Die Bibel

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Weiter-ButtonZurück-Button Ursprung der jüdischen Apokalyptik ⋅1⋅

Damit kommen wir zum letzten Buch des neutestamentlichen Kanons, nämlich zur sogenannten Geheimen Offenbarung des Johannes.

Für das Verständnis der Offenbarung muss man wissen, dass dieses Buch mitten in einem Strom von Offenbarungsbüchern der jüdischen und frühchristlichen Zeit steht. Diese sogenannten Apokalypsen bilden eine eigene literarische Gattung. Ihre Sprach- und Stilform muss man kennen, um die neutestamentliche Apokalypse richtig einordnen zu können.

Dazu müssen wir zunächst zurückblicken auf den Ursprung der sogenannten apokalyptischen Bewegung.

Der Ursprung der jüdischen Apokalyptik liegt in der Makkabäerzeit, d. h. in der Religionsverfolgung unter Antiochus IV. Epiphanes um die Mitte des 2. vorchristlichen Jahrhunderts. Wir befinden uns demnach etwa in der Zeit, in der das alttestamentliche Danielbuch entstanden ist.

1. Das Wort "Apokalypse"

Das Wort "Apokalypse" kommt aus dem Griechischen, vom Wort ἀποκαλύπτω ["apokalýpto"], was soviel bedeutet wie "offenbaren". Vom Wort her ist Apokalypse also "Enthüllung" oder "Offenbarung". Damit ist auch schon der Hauptinhalt der "apokalyptischen Literatur" angegeben. Sie will Enthüllungen und Offenbarungen über den Verlauf und das Ende der Geschichte bieten.

2. Ursachen zur Entstehung der apokalyptischen Literatur

Wie kommt es zu dieser Art von Literatur?

Nach dem großen Babylonischen Exil hatte das Volk Israel ja das neue Heil erwartet. Aber die Heils-Zeit, die Deutero-Jesaja angekündigt hatte, war offensichtlich ausgeblieben. Nach den Feldzügen Alexanders des Großen, den Diadochenkämpfen und vor allem dann der Eroberung durch die Römer blieb von den Verheißungen des Deutero-Jesaja lediglich Enttäuschung.

Daher war die Versuchung groß, zu sagen, die jahwefeindlichen Weltmächte haben nicht nur immer gesiegt, sie sind sogar die endgültigen Sieger geblieben.

Als Reaktion auf diese hier und dort laut werdenden jahwe-kritischen Stimmen begannen die Jahwe-Getreuen die Prophezeiungen der Propheten in einem neuen Licht zu lesen.

Man vertiefte sich dabei vor allem in diejenigen Stellen, in denen von der Niederlage der Heidenvölker am Ende der Tage und vom Triumph des endzeitlichen Gottesvolkes die Rede war.

Das waren vor allem Prophetentexte, die in früh-nachexilischer Zeit entstanden sind,

  • etwa die Weissagung vom Einbruch und Untergang Gogs (Ez 38-39),
  • die Nachtgesichte Sacharjas (Sach 1-6),
  • die Tag-Jahwes-Erwartungen im Joël- und Tritosacharja-Buch (Sach 12-14),
  • die Hoffnung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde (Jes 65,17; 66,22)
  • und die Ankündigung eines weltweiten Gerichts in der Jesaja-Apokalypse (Jes 24-27). ⋅2⋅

An solchen Stellen machte man aufs Neue die Überzeugung fest, dass Jahwe trotz allem die Geschichte lenkt. Nicht die Tatsache, dass eine Macht in der Gegenwart die Herrschaft innehat ist entscheidend. Am Ende der Zeiten wird Jahwe seiner Herrschaft zum Durchbruch verhelfen.

3. Weisheitliche und persische Einflüsse

Dieses Erbe der Propheten und die neue Deutung ihrer Botschaft war der wesentliche Wurzelgrund für das Entstehen der apokalyptischen Literatur.

Wichtig war darüber hinaus der Einfluss der ebenfalls in dieser Zeit immer bedeutender werdenden Weisheitsliteratur. Besonders das kosmologische Interesse der Weisheit befruchtete die Apokalyptik; also das starke Interesse der Weisheit am Kosmos und seiner Erklärung.

Gemeinhin geht man auch davon aus, dass persische Einflüsse vorhanden waren. Im Exil hatte Israel ja den persischen Dualismus kennengelernt.

  • Das Denken im Gegensatz von Licht und Finsternis
  • sowie die Geisterlehre, das verstärkte Reden von Engeln und Dämonen und die Ausprägung einer eigenen Angelologie und Dämonologie,

dies alles führt man auf solche Einflüsse aus der Exilszeit zurück.

Die Geisterlehre wird dabei in Israel eine Hilfe für die Interpration der Entscheidungssituation des Menschen. Er wird in seiner Entscheidung von guten und bösen - oder wie die Juden sagen - guten und unreinen Geistern beeinflusst. ⋅3⋅

4. Die Blütezeit der apokalyptischen Literatur

Aus solchen Wurzeln erwuchs die apokalyptische Bewegung und ihre Literatur.

Ihre Blütezeit hatte sie in der Zeit vom 2. Jahrhundert v. Chr. bis zum Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr.

Sie ist erwachsen aus und gleichzeitig eine Antwort auf die Glaubensnot Israels um die Zeitenwende herum.

5. Die literarische Form der Apokalypsen

Dabei ist die Gestalt, die die Verfasser der apokalyptischen Literatur ihren Werken gaben, für unsere Begriffe recht eigenartig.

Es geht ja letztlich um Geschichtsdeutung.

Dementsprechend nahmen die Autoren der Apokalypsen eine Gestalt aus der Vergangenheit heraus. Zum Beispiel

  • Abraham
  • oder Moses,
  • Elias
  • oder Baruch.

Und nun beschrieben sie die Geschichte von dieser historischen Gestalt an bis in die eigentliche Gegenwart des Autors hinein. Also die Geschichte von Abraham bis zu dem Zeitpunkt an dem der Verfasser schreibt.

Und diese Geschichte wird nun so beschrieben, als ob sie diese historische Gestalt, als ob sie also Abraham in Form von "Visionen" vorhergesehen hätte.

Die Geschichtsschreibung der apokalyptischen Autoren wird also den historischen Gestalten in Form von Visionen zugeschrieben. Dabei wurde dann auch alte biblische Überlieferung in diese besondere Art der Geschichtsdarstellung mit eingearbeitet.

Ein wichtiges Kennzeichen dieser Apokalypsen ist dann, dass diese angeblichen Visionen einzig und allein den Gottesmännern, also einzig dem Abraham etwa, zuteil geworden seien. Sie seien daher nicht für seine Zeit bestimmt gewesen.

Diese Gottesmänner hätten ihre Visionen daher in versiegelten Büchern niedergeschrieben. Und diese versiegelte Botschaft wird nun, in der Zeit für die sie bestimmt ist, enthüllt, offenbart.

Wichtig für diese Apokalypsen ist aber dann nicht so sehr die oftmals recht getreue Geschichtsdarstellung von den jeweiligen historischen Gestalten, die die Visionen gehabt haben sollen, bis zur Gegenwart. Wichtig ist vielmehr, was dann über die Zukunft gesagt wird.

An die Darstellung der Zeit von den jeweiligen Gottesmännern bis zur Gegenwart schließt sich nämlich meist ein Ausblick in die Zukunft an. Und dieser Ausblick stützt sich auf die Aussagen der Propheten aus der nachexilischen Zeit. Er greift die Botschaft vom Tag-Jahwes, vom Gericht über die Völker und vom endgültigen Einbrechen der Herrschaft Gottes auf.

Und das ist dann schließlich die eigentliche Absicht der ganzen Darstellung: Zu zeigen, dass der endgültige Sieg Jahwes zwar noch aussteht, aber dass er mit Sicherheit kommen wird.

6. Die Apokalypsen - ein großer Schwindel?

Wenn sich Menschen heute dieser Art von Literatur nähern, dann hört man zuallererst meist den Vorwurf, dass die ganze apokalyptische Literatur dann ja nichts anderes als ein großer Schwindel sei.

Da werden Menschen aus grauer Vorzeit Visionen gleichsam in die Feder gelegt, die sie nie hatten, und dann anschließend so getan, als wäre hier eine alte Prophezeiung in Erfüllung gegangen; eine Prophezeiung, die ja gar keine Prophezeiung ist, sondern ein geschichtlicher Rückblick.

Dazu muss man wissen, dass die Autoren nicht die Absicht hatten, ihre Bücher wirklich als Werke des Abraham oder einer anderen Gestalt auszugeben. Zur Zeit als die Apokalypsen entstanden, war diese Literatur-Gattung bekannt und auch als Form der literarischen Auseinandersetzung mit einem theologischen Problem gebräuchlich.

Das ist etwa ähnlich wenn heute jemand einen historischen Roman schreibt und eine geschichtliche Person als "Ich"-Erzähler auftreten lässt.

Es geht dem Autor nicht darum sein Buch als Visionen eines alten Gottesmannes zu verkaufen. Es geht ihm darum, in Form dieser Apokalypse deutlich zu machen, dass alles, was sich in der Geschichte ereignet, von Anfang an bis auf den heutigen Tag, nach einem genauen Plan Gottes abgelaufen ist. Ein Plan, der von Anfang an fest stand, der so fest stand, dass Gott ihn durchaus seinen Getreuen bereits am Anfang hat schauen lassen können.

Und dieser Plan Gottes gilt auch für die Zukunft, bis hin zum Gericht über die Völker und zur Errichtung der Gottesherrschaft. Diese neue Zeit kommt, denn Gott ist der Herr der Geschichte - auch wenn es in der Gegenwart noch anders aussieht. ⋅4⋅

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Wo nicht anders vermerkt folge ich meinem Lehrer Rudolf Pesch, Einführung in das Neue Testament II - nicht autorisierte Vorlesungsmitschrift des WS 1980/81 (Albert-Ludwig-Universität Freiburg i. Br.). Zur Anmerkung Button

2 "Jes 24-27, ein geschlossener nicht-jesajanischer Abschnitt im Anhang an die Völkerorakel des Jesajabuches, ist im strengen Sinne noch keine Apokalypse, wenn sich auch bereits gewisse apokalyptische Motive (24,21-22; 26,19; 27,1 u. a.) erkennen lassen. Wie in der nachexilischen Prophetie oft wird das ältere prophetische Schrifttum vorausgesetzt, aber nun in universalem Horizont aktualisiert. Die Einheit bildet eine im einzelnen nicht leicht durchschaubare, wohl erst allmählich gewachsene Komposition. Zumindest unterscheidet man (seit B. Duhm) zwischen eschatologischen Erwartungen (Jes 24,1ff. 16ff. u. a.) und später - ergänzten? - Liedern (24,10ff; 25,1ff; 26,1ff u. a.), die zum großen Teil den Sturz einer namenlosen Stadt besingen. Das theologisch Belangvollste findet sich in den vielleicht erst jüngeren Partien 24,21-23; 25,6-8 mit ihrer alle Völker einschließenden, ja ins Kosmische ausgreifenden Hoffnung auf die Königsherrschaft Gottes. Sie wird - nach einem wohl noch jüngeren Zusatz (in 25,8; vgl. 26,19) - selbst den Tod besiegen."
(Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 291.) Zur Anmerkung Button

3 Diese Geisterlehre hat sich in Israel übrigens zum Teil auch verselbständigt. Sie führt zu ganz eigenen angelologischen Spekulationen. Die Dämonologie nimmt dann im Judentum allmählich auch einen vor allem militärischen Charakter an. Dies geschieht wohl aus der Erfahrung des Krieges als etwas fundamental Bösem. Krieg wäre demnach also als etwas von den Dämonen geprägtes.
(Vgl.: Rudolf Pesch, Einführung in das Neue Testament II - nicht autorisierte Vorlesungsmitschrift des WS 1980/81 (Albert-Ludwig-Universität Freiburg i. Br.) 118.) Zur Anmerkung Button

4 Vgl.: Alfons Deissler, Einleitung in das Alte Testament - Zusammenschrift entsprechend einer autorisierten Vorlesungsmitschrift des WS 1969/70 bzw. einer nicht autorisierten Mitschrift anhand von Bandaufnahmen des WS 1976/77 mit teilwei-sen Ergänzungen für das WS 1979/80 (Albert-Ludwig-Universität Freiburg i. Br.) 56. Zur Anmerkung Button