Die Bibel

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Weiter-ButtonZurück-Button Die Judenchristen ⋅1⋅

Der Schwerpunkt der Mission hatte sich dabei mittlerweile schon lange von Jerusalem wegverlagert. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass mit Paulus die Heidenmission in den Vordergrund getreten ist. Das heißt aber nicht, dass es in Palästina mit seinen Randgebieten nicht auch weiterhin viele und starke judenchristliche Gemeinden gegeben hätte.

1. Die Urgemeinde in Jerusalem

Nicht zuletzt die sogenannte Urgemeinde befand sich bis zum 1. jüdischen Krieg ja weiterhin in Jerusalem. Als Petrus Jerusalem verlassen hatte, rückte Jakobus, der sogenannte Herrenbruder, in die Leitung der Gemeinde vor. Er gewann anscheinend zunehmend Einfluss in der judenchristlichen Welt. Wir haben ja bereits gesehen, dass er eine viel strengere Linie vertrat, als Paulus sie in seiner Mission durchführte. Selbst Petrus scheint in seinen Ansichten liberaler gewesen zu sein. Dies hing aber nicht damit zusammen, dass Jakobus nun besonders rückständig gewesen wäre. Er versuchte anscheinend, wegen der bedrängenden Situation der Gemeinden im jüdischen Umfeld (vgl. 1 Thess 2,14-16), durch besonders strenge Gesetzesobservanz Auseinandersetzungen mit den Juden zu vermeiden.

Diese Tendenz, nach Möglichkeit die Gesetzestreue zu betonen und unter Beweis zu stellen, sie dementsprechend auch von den Judenchristen in der Diaspora zu verlangen, wird wohl durch die Verfolgung des Agrippa und den wachsenden Druck der Zeloten, von denen uns Apg 21,20ff und Apg 23,12ff berichten, verstärkt worden sein.

Wie recht Jakobus mit seinen Befürchtungen hatte, dass seine Gemeinde in Jerusalem durch die Juden bedroht sei, zeigt sich darin, dass er selbst wohl um das Jahr 62 n. Chr. das Martyrium fand. Der Hohepriester Hannas d. J. nutzte nämlich ein Interregnum zwischen zwei Statthaltern aus, um den Führer der Jerusalemer Gemeinde steinigen zu lassen. Die Pharisäer scheinen dieser Maßnahme nicht zugestimmt zu haben.

Gemeindeleiter wurde in der Folge wieder ein Verwandter Jesu, nämlich Simon, der Sohn des Klopas.

2. Das Verhalten der judenchristlichen Gemeinden während des jüdischen Krieges

Modell einer römischen Belagerungsmaschine aus dem jüdischen Krieg

Modell einer römischen Belagerungsmaschine aus dem jüdischen Krieg.

Foto-Button© Katholisches Bibelwerk Linz, Kapuzinerstr. 84, A-4020 Linz

Die judenchristlichen Ge­mein­den ver­stan­den sich nun folgerichtig immer stärker als eine Größe, die nicht mehr zum Judentum gehörte. Die christlichen Ge­mein­den sind also keine jüdische Splittergruppe geblieben. Am Ende dieser Entwicklung steht die Tatsache, dass sich die christlichen Ge­mein­den in Palästina nicht am jüdischen Krieg beteiligt haben.

Der größte Teil der Ur­ge­meinde siedelte in den Jahren 66 / 67 n. Chr. ins Ost­jor­danland, nach Pella über. Dort konnte man weiterhin erfolgreich missionieren und sich ausbreiten. Die übrigen Christen flohen in die Diaspora oder wurden von den Aufständischen Juden als Verräter nieder­gemacht.

Durch den Anschluss judenchristlicher Splittergruppen an die Gemeinden in der Diaspora, kam es zu dieser Zeit noch einmal zu einem nicht zu unterschätzenden Transport von judenchristlichen Überlieferungen in die Gebiete der Diaspora. Im zweiten Drittel des ersten nachchristlichen Jahrhunderts gelangte hier noch einmal altes palästinisches Traditionsgut in die Diaspora. Durch diesen Vorgang lässt sich die Entstehung etwa des Johannes-Evangeliums und der Apokalypse besser verstehen. Obschon diese Werke weit nach den synoptischen Evangelien entstanden sind, verarbeiten sie oft Material, das in seinem Kern recht alt zu sein scheint.

3. Das weitere Schicksal der judenchristlichen Gemeinden

Nach dem jüdischen Krieg konnte sich erneut eine judenchristliche Gemeinde in Jerusalem etablieren. So finden wir zwischen 70 und 132 n. Chr. also wieder Judenchristen in der Davidsstadt. Im 2. jüdischen Krieg musste diese aber erneut die Flucht ergreifen.

Nach 132 n. Chr. war nun aber allen Beschnittenen und damit sowohl den Juden als auch den Judenchristen die Rückkehr nach Jerusalem verwehrt. Die Römer verhinderten eine erneute Ansiedlung. So konnte sich in der Folge in Jerusalem selbst nur eine heidenchristliche Gemeinde bilden.

Dies alles bedeutete einen Verlust an Größe und Bedeutung der palästinischen Kirche ab 70 n. Chr., so dass sie nicht mehr Mutterkirche der nun mehrheitlich heidenchristlichen Kirche bleiben konnte. Schon durch diesen Umstand lässt sich der wachsende Einfluss der römischen Gemeinde begreiflich machen.

Und auch im Blick auf die Märtyrergräber der Apostel Petrus und Paulus konnte die römische Gemeinde gegenüber den alten Zentren im Osten immer mehr auftrumpfen. Sie wahrte mit den Gräbern der Apostelfürsten gleichsam auch die authentische apostolische Tradition. Und die Frage nach dieser authentischen Tradition stellte sich seit dem Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. ja verstärkt.

Die Bedeutung der Judenchristen nahm im Gegenzug immer mehr ab. Nach dem zweiten jüdischen Krieg gab es immer weniger Kontakte zwischen den judenchristlichen Gemeinden und der Großkirche. Die Judenchristen schieden entweder ganz aus und drifteten ins heterodoxe Judentum ab oder ließen sich als judenchristliche Gruppen in heidenchristlich dominierte Gemeinden aufnehmen. Auf Zukunft hin spielten sie im Grunde keine Rolle mehr.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkung

1 Wo nicht anders vermerkt folge ich meinem Lehrer Rudolf Pesch, Einführung in das Neue Testament II - nicht autorisierte Vorlesungsmitschrift des WS 1980/81 (Albert-Ludwig-Universität Freiburg i. Br.). Zur Anmerkung Button