Die Bibel
Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...
Die Sprache des Johannes-Evangeliums
Schauen wir abschließend noch auf die Sprache des Johannes-Evangeliums. Dieses Werk ist nämlich einer ganz eigenen Sprache mächtig. Ich habe dieses Phänomen ja bereits durch das Bestehen einer johanneischen Schule zu erklären versucht.
Wenn wir die Argumentation im Johannes-Evangelium verfolgen, dann stellen wir fest, dass Gedanken hin- und hergewendet werden. Manchmal werden sie wie von außen betrachtet.
Dadurch, dass das Prädikat oft am Anfang und das Subjekt nicht selten am Ende des Satzes steht, erscheinen Sätze im Johannes-Evangelium fast feierlich gedehnt.
Dabei fällt auf, dass der Autor zwar griechisch schreibt, aber semitisch denkt.
Dies wird schon im Blick auf die verwendeten Bilder deutlich. Sowohl die Bilder als auch die Symbole, die das Johannes-Evangelium verwendet, sind ja sozial eingebettet. Das heißt, dass für ihr Verständnis eine gewachsene Kultur erforderlich ist, eine Kultur, in der die Hörer erzogen wurden und leben.
See Gennesaret - Schwere Wolken über dem See.
© Katholisches Bibelwerk Linz, Kapuzinerstr. 84, A-4020 Linz
Die Kulturwelt des Johannes-Evangeliums ist aber weithin die biblische. Die verwendeten Bilder haben fast alle im Alten Testament ihre Vorgeschichte:
- das Sprechen vom Hirten und der Herde,
- die Unzucht als Ausdruck des Götzendienstes (Joh 8,41),
- die Bilder von Licht und Finsternis,
- die sprudelnde Wasserquelle (Joh 4,14),
- das Reden von Braut und Bräutigam (Joh 3,29)
- und nicht zuletzt der Vergleich mit der Erhöhung der Schlange (Joh 3,14).
Dies lässt Rückschlüsse auf das Umfeld der johanneischen Schule zu. Eine Bildersprache setzt ja voraus, dass die Bedeutung der Bilder auch verstanden wird.
Ihre Kraft gewinnt die johanneische Bildersprache im übrigen vorab dadurch, dass sie ganz gewöhnliche Lebensvollzüge in ihren Dienst nimmt:
- das Sehen,
- das Hören,
- das Kommen,
- Suchen
- und Finden.
In nicht seltenen Fällen wird das Symbol durch einen Parallelismus auch noch eindeutig erklärt, z. B.:
"Wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben" (Joh 6,35).
Zu Jesus kommen ist also gleichbedeutend mit glauben.
Auch diese Parallelismen sind ein Merkmal dafür, das auf das semitische Denken der Verfasser Rückschlüsse zulässt.
Manche Symbole nimmt man nur durch genaueres Hinsehen wahr. Sie sind so unauffällig, dass sie schon beinahe übersehen werden können,
- etwa der das Netz ziehende Petrus (Joh 21,11),
- das Schweißtuch und die Leinenbinden in der Grabkammer (Joh 20,5),
- der Leibrock Jesu, der keine Naht hat (Joh 19,23), usw.
Manches ist uns in seinem hintergründigen Sinn auch nicht mehr eindeutig zugänglich, wie der Einsatz von Zahlen, der gleichfalls immer wieder anzutreffen ist.
- Was bezeichnen etwa die 46 Jahre, die für den Tempelbau benötigt wurden (Joh 2,20),
- oder die 153 Fische, die das Netz füllen, das nicht zerreißt (Joh 21,11)?
Dies sind Fragen, die wir wohl nie mehr letztlich klären können. Festhalten lässt sich aber doch, dass gerade die johanneischen Symbole eine ungeheure Wirkungsgeschichte in der Theologie und vor allem in der Volksfrömmigkeit entfaltet haben. Dies unterstreicht die Auffassung, dass die Symbolsprache grundsätzlich eine Sprache ist, die weniger von als zu den Menschen redet (P. Ricoeur). Ein Bild kann den Menschen länger beschäftigen als ein Wort, zuweilen ein ganzes Leben lang.
Dementsprechend will die johanneische Symbolsprache so etwas wie eine gesteigerte Realität durchscheinen lassen. Diese gesteigerte Realität, die Realität des erhöhten Christus Jesus, der zum Vater vorausgegangen ist, um uns eine Wohnung zu bereiten, diese Realität soll im Menschen, der sich mit dem Wort des Evangeliums konfrontieren lässt, nachklingen.