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Weiter-ButtonZurück-Button Die Quellen des Johannes-Evangeliums ⋅1⋅

Auf welche Quellen stützt sich nun dieser Theologe, der diesen großen Wurf verfasst hat?

Die Frage nach den Quellen des Johannes-Evangeliums wird heute wieder kräftig diskutiert. Es ist ja kaum vorstellbar, dass dieser gewaltige Text einfach aus einem Guss entstanden ist. Die Einheitlichkeit des Evangeliums, wird nurmehr ganz selten vertreten.

1. Die Semeia-Quelle

Der See Gennesaret vom Golan aus gesehen

Der See Gennesaret vom Golan aus gesehen.

Foto-Button© Katholisches Bibelwerk Linz, Kapuzinerstr. 84, A-4020 Linz

Man geht heute dem­nach allgemein davon aus, dass Johannes, wie auch die übrigen Syn­optiker, Quellenmaterial zur Verfügung hatte, das er verarbeitet hat.

Meistens wird dabei eine sogenannte Se­meia-Quel­le postuliert. Dahin­ter steht das griechische Wort σημεῖον ["sæmei­on"], "Zeichen", der Be­griff, mit dem Johannes in der Regel die Wunder Jesu bezeichnet.

Das Johannes-Evan­ge­lium berichtet nun von sieben solcher Zeichen Jesu:

  • dem Weinwunder in Kana,
  • einem Heilungswunder in Kana,
  • einem Speisungswunder am See Gennesaret,
  • dem Seewandel,
  • der Heilung am Betesda-Teich,
  • der Blindenheilung am Schiloach-Teich,
  • und der Totenerweckung in Betaniën.

Die Schilderung dieser Zeichen verbindet das Evangelium nun mit einer eigentümlichen Zählung. Die ersten beiden Zeichen werden nämlich durchgezählt (Joh 2,11; Joh 4,54). Beim dritten Zeichen bricht die Zählung aber auffallenderweise ab. In Joh 20,30 wird dann zusammenfassend auf die Zeichen zurückgeblickt, die in diesem Buch aufgeschrieben worden seien, damit die Menschen zum Glauben kommen.

Diese Wundergeschichten sind im übrigen auch durch Ortsangaben, aber vor allem durch ein eigenes Wunderverständnis miteinander verbunden. Und dieses Wunderverständnis sperrt sich ab und an mit der übrigen Auffassung im Johannes-Evangelium und wird anscheinend auch nicht unkritisch übernommen.

Alles in allem Anzeichen dafür, dass hier eine alte Wundergeschichten-Sammlung in den Text des Johannes-Evangeliums eingearbeitet worden ist.

Möglicherweise enthielt diese Semeia-Quelle noch anderes Material, vor allem etwa eine Täufergeschichte, so dass sie mit der Verteilung des Wirkens Jesu auf Galiläa und Jerusalem eine evangelienähnliche Struktur besaß. Ob sie ursprünglich auch einen eigenen Passionsbericht enthielt, darüber lässt sich allerdings nur spekulieren.

2. Der vorjohanneische Passionsbericht

Ein solcher Passionsbericht lag dem Johannes-Evangelium aber mit Sicherheit vor. Dies dürfte die zweite Quelle sein, aus der er schöpft. Dieser vorjohanneische Passionsbericht lässt sich mit Abstrichen aus dem heutigen Zusammenhang des Johannes-Evangelium rekonstruieren.

Er weist in der Abfolge der Geschehnisse überraschende Übereinstimmungen mit den Synoptikern auf.

Dass im Zusammenhang mit der Passion Johannes anderen Vorlagen folgt als im übrigen Verlauf seines Evangeliums, machen einige Indizen recht deutlich. Der Passionsbericht ist nämlich von durchweg anderem Charakter, als der übrige Text des Johannes-Evangeliums. Es fällt schon auf, dass er

  • keine Zeichen kennt,
  • die Sohn-Gottes-Titular vermeidet
  • und das Königs- und Kyrios-Prädikat favorisiert.

Alles Hinweise darauf, dass das Johannes-Evangelium tatsächlich Quellenmaterial verarbeitet hat, dessen eigener Stil sich im heutigen Textzusammenhang des Evangeliums durchaus noch nachweisen lässt.

3. Weiteres Traditionsgut

Neben diesen beiden größeren Quellen muss der Verfasser des Johannes-Evangeliums natürlich auch noch auf eine Fülle kleinerer Traditionseinheiten zurückgegriffen haben.

Das vorsynoptische Überlieferungsgut, dessen Anklänge wir im Johannes-Evangelium entdecken können, habe ich ja bereits erwähnt.

Daneben ist dann aber vor allem das sogenannte Logoslied zu nennen, das der Verfasser ja - ich habe es beim Blick auf den Aufbau des Evangeliums schon erwähnt - zum Prolog des gesamten Werkes ausgebaut hat.

Alles in allem verstand es der Verfasser recht gut, diese ganz unterschiedlichen Traditionen seiner gestaltenden Kraft gefügig zu machen.

4. Die Annahme von Überarbeitungen zur Lösung bleibender Fragen

Wir haben beim Besprechen des Aufbaus des Johannes-Evangeliums aber auch schon gesehen, dass man allein mit der Annahme, dass der Verfasser unterschiedliche Quellen benutzt hat, die Spannungen im heutigen Textzusammenhang nicht alle erklären kann. Mit der Annahme der Benutzung von Quellen kommt man für die Entstehung des Johannes-Evangeliums noch nicht aus.

Die Unebenheiten, Risse und Zusätze, die in der vorliegenden Anordnung des Stoffes zu beobachten sind, haben schon die Textabschreiber im Altertum wahrgenommen und als störend empfunden. In manchen Handschriften haben die Abschreiber anscheinend von sich aus Umstellungen des Textes vorgenommen, um diese Spannungen zu glätten.

Solche Auffälligkeiten im Text kann man eigentlich nur mit mehrfachen Überarbeitungen und Redaktionen des Evangeliums schon in frühester Zeit erklären.

Ich habe bei der Besprechung des Aufbaus an den jeweiligen Stellen auf diese frühen Veränderungen im ursrprünglichen Text bereits aufmerksam gemacht. Hier sollen noch einmal die wichtigsten Beispiele genannt werden:

  • Wir haben gesehen, dass Kapitel 21 zu einem späteren Zeitpunkt an das bereits mit Joh 20,30-31 abgeschlossene Evangelium angefügt worden ist.
  • Die Abschiedsreden von Joh 15 und 16 sowie das "Hohepriesterliche Gebet" in Joh 17 unterbrechen den Zusammenhang von Joh 14,34 und Joh 18,1. In Joh 14,34 heißt es ja:
    "Wir wollen weggehen von hier." (Joh 14,34)
    Der Aufbruch erfolgt aber erst in Joh 18. Neben den bereits oben genannten Gründen ein weiterer Hinweis darauf, dass hier ganz offensichtlich drei Kapitel nachträglich eingefügt worden sind.
  • Auch haben wir gesehen, dass die Anordnung der Kapitel 5, 6 und 7 kaum noch die ursprüngliche sein kann. Nicht nur die geographischen Angaben stehen recht umgereimt nebeneinander.
  • Zusätzlich sei noch darauf hingewiesen, dass sich auch die Abschnitte Joh 3,13ff und Joh 3,31ff im gegenwärtigen Kontext sperrig ausnehmen.

Neben solchen redaktionellen Änderungen wurden manche Stellen des ursprünglichen Evangelientextes nachträglich wohl aus theologischen Gründen korrigiert oder ergänzt.

  • Wenn Jesus davon spricht, dass die Stunde kommen wird, in der jeder, der seine Stimme hört, leben wird. Wird ganz unvermittelt hinzugefügt, dass die Stunde kommen wird, in der alle, die in den Gräbern liegen auferstehen werden (Joh 5,27-29). Wie wenn hier jemand im Nachhinein klar stellen wollte, dass nicht nur ein paar zum Leben erstehen werden, sondern tatsächlich an eine allgemeine Auferstehung von den Toten gedacht werden muss.
  • Auch das Eucharistische Redestück in Joh 6,51c-59 wird unter solchen Gesichtspunkten in der Forschung diskutiert.

Solche Schwierigkeiten lassen sich nicht einfach mit der Theorie lösen, diese "Unordnung" im Johannes-Evangelium sei gleichsam mechanisch, durch Vertauschung von Blattseiten, entstanden. Ich habe oben ja bereits darauf hingewiesen. Wir müssen vielmehr damit rechnen, dass das Evangelium, nachdem es eigentlich bereits fertig war - möglicherweise noch vor seiner endgültigen Herausgabe -, nochmals und vielleicht sogar mehrfach überarbeitet worden ist.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkung

1 Vgl.: Joachim Gnilka, Johannesevangelium (Würzburg 1983) 7. Zur Anmerkung Button