Die Bibel

Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...


Weiter-ButtonZurück-Button Besondere Fragen der Überlieferung ⋅1⋅

1. Verwendung von vorhandenen Gattungen für die Tradition

Ein weiterer Punkt, der beachtet werden muss, ist die Tatsache, dass sich die Tradenten der Überlieferung, vor allem in den erzählerischen Partien der Evangelien, die ja neben den Jesusworten die große Menge der Überlieferung ausmachen, ganz bestimmter klassischer Erzählformen, bestimmter Gattungen also, bedienten.

Diese Gattungen waren schon vorhanden. Man musste sie nicht erst neu schaffen. Man konnte sie vor allem dem Alten Testament, aber auch der übrigen jüdischen und außerisraelitischen Literatur entnehmen.

Dies sich vor Augen zu halten, ist wichtig. Eine Wunderheilung etwa, die erzählte man im Israel der damaligen Zeit eben auf genau diese Art und Weise. Und wenn man berichten wollte, dass Jesus einen Kranken geheilt hatte, dann tat man dies eben so, wie man in Israel über Wunderheilungen zu berichten pflegte.

So konnten dementsprechend die neuen Inhalte der Jesusbotschaft in alte erzählerische Strukturen gegossen werden.

Die sogenannte "Bucht der Parabeln"

Die sogenannte "Bucht der Parabeln".

Foto-Button© Katholisches Bibelwerk Linz, Kapuzinerstr. 84, A-4020 Linz

Die formgeschichtliche Betrachtungsweise der Evan­gelien ist solchen Struk­turen nach­ge­gan­gen und hat uns ihre Regeln gelehrt. So gibt es

  • die durch ein Merk­wort geprägte erzäh­le­rische Über­lie­fe­rungs­einheit (Apoph­teg­ma) (Mk 9,33-35),
  • es gibt Streit­ge­sprä­che,
  • Lehrgespräche, wie sie strukturell auch im Judentum exi­stie­ren, und manches andere.

Mancherorts haben alttestamentliche Wundergeschichten möglicherweise unmittelbar auf die der Evangelien eingewirkt, besonders die aus der Elija-Elischa-Tradition stammende Geschichten wurden anscheinend mit Vorliebe auf Jesus hin übertragen. Ein Vergleich der Jaïrusgeschichte aus Mk 5,21-43 par. mit 2 Kön 4,25-37 und 1 Kön 17,17-24 ist hier sehr aufschlussreich. Auch die Brotvermehrungsgeschichte aus Mk 6,30-44 lässt die Verwandtschaft, aber auch die Unterschiede, zu 2 Kön 4,42-44 deutlich hervortreten. Solch ein Vergleich, der Blick auf die jeweilige Gattung, ist also äußert hilfreich um die Aussage, die sich hinter solch einem Bericht verbirgt, ans Tageslicht zu fördern.

Aber nicht nur die erzählenden Texte, auch die Wortüberlieferung lässt sich grundsätzlich gattungsmäßig gliedern. Es gibt

  • Seligpreisungen,
  • Weherufe,
  • Weisheitsworte usw.

Dies alles sind Redegattungen, die auch schon im Alten Testament begegnen. Was natürlich nicht heißt, dass diese Worte alle nachträglich nach alttestamentlichem Vorbild geschaffen worden wären. Selbstverständlich ist damit zu rechnen, dass Jesus selbst schon solche Formen in der Prägung seiner Worte aufgreift. Er bedient sich ganz einfach der Worte und Formen, die etwa die alttestamentlichen Propheten vor ihm geprägt haben.

Wir können ruhig davon ausgehen, dass bei der Wortüberlieferung der Kern und der erhebliche Umfang der Logien auf Jesus selbst zurückgeht.

2. Das Sprachenproblem

Ich habe nun also versucht, die eigene Art der Evangelien ein wenig zu kennzeichnen. Um diesen Blick abzurunden muss ich abschließend noch auf zwei Schwierigkeiten hinweisen. Die erste Schwierigkeit, die sich hier auftut, hängt mit der Sprache zusammen.

Jesus sprach Aramäisch oder, genauer gesagt, den galiläischen Dialekt des Aramäischen. An diesem Dialekt konnten die Galiläer in Jerusalem ja erkannt werden. Petrus erging es dementsprechend, wie Mt 26,73 schildert.

Die genaue Unterscheidung dieses Dialektes vom übrigen Aramäischen ist für uns kaum nachvollziehbar. Er soll sich vor allem durch eine ungenaue Artikulation der Kehllaute ausgezeichnet haben. Insbesondere die Buchstaben Ajin und Aleph haben die Galiläer anscheinend miteinander vertauscht.

Jesus hat nun diese Sprache gesprochen. Wir haben aber nur ein einziges Jesuswort in Aramäisch vorliegen. Die Evangelien wurden schließlich auf Griechisch verfasst. Das bedeutet aber, dass Jesu Worte schon vor der Abfassung der Evangelien ins Griechische übersetzt worden waren.

Man diskutiert zwar darüber, da man in Galiläa sicher in manchen Kreisen auch Griechisch gesprochen hat, ob Jesus sich auch gelegentlich des Griechischen bediente, ob er selbst Griechisch konnte. M. Hengel hat schließlich aufgezeigt, in welchem Umfang das Judentum der Zeit Jesu bereits hellenisiert war. Es ist demnach nicht ausgeschlossen, dass Jesus auch des Griechischen mächtig war. Nichtsdestoweniger dürfte der größte Teil seiner Worte ursprünglich auf Aramäisch vorgelegen haben.

Am Rande möchte ich nur erwähnen, dass in der Hörerschaft Jesu sicherlich gelegentlich auch von Hause aus griechisch sprechende Menschen gewesen sind. Es ist ja auffallend, dass im Kreis der Zwölf zwei Jünger anscheinend einen griechischen Namen tragen: Andreas, der Bruder des Simon Petrus, und Philippos.

Abschließend lässt sich die Frage nach der Verbreitung des Griechischen im Umfeld Jesu aber nicht klären. Sie bedürfte einer gründlichen Untersuchung. Und auch dann bleibt fraglich, ob eine Klärung letztlich überhaupt zu erreichen ist.

3. Reduktion auf das Wesentliche

Aber ich habe neben der Sprache noch von einer zweiten Schwierigkeit gesprochen. Diese betrifft nun die schriftliche Aufzeichnung der Jesusworte selbst. Wir haben von ihm, von den Gleichnissen abgesehen, ja nur Logien, sentenzenhafte, kurze Einzelworte vorliegen.

Und auch manche Gleichnisse erscheinen außerordentlich zusammengedrängt. So besteht etwa das Gleichnis vom Sauerteig lediglich aus einem einzigen Satz (Mt 13,33 par), das Gleichnis vom Schatz im Acker umfasst genau zwei Sätze (Mt 13,44).

Man wird deshalb davon ausgehen müssen, dass Jesu Worte im Zuge der einprägsamen Weitergabe und dann der Verschriftlichung komprimiert wurden. Jesus hat sicher umfangreicher gesprochen, als nur in kurzen Sätzen. Vermutlich ist oftmals nur die Zusammenfassung oder das von ihm selbst gebotene Fazit einer Redeausführung weitererzählt worden.

Dass die längeren Reden, die uns in den Evangelien dargeboten werden, nicht ursprünglich sind, sondern Redekompositionen, also Zusammenstellungen aus ehemals selbständigen Einzellogien oder kleinen Wortgruppen, das habe ich ja bereits erwähnt.

Aber lassen wir es dabei mit diesen Vorüberlegungen bewenden und sehen uns nun die Evangelien und zunächst ihr Werden im einzelnen an.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkung

1 Vgl.: Joachim Gnilka, Jesus von Nazareth (Herders Theologischer Kommentar zum NT - Supplementband 3) (Freiburg/Basel/Wien 1990) 22-28. Zur Anmerkung Button