Die Bibel

Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...


Weiter-ButtonZurück-Button Der Galaterbrief ⋅1⋅

Damit kommen wir zum nächsten paulinischen Schreiben, nämlich zum sogenannten Galaterbrief. Dieser Brief wird in der Forschung allgemein als einheitlich anerkannt, das heißt, hier müssen wir uns nicht mit irgendwelchen Teilungshypothesen beschäftigen.

1. Die Adressaten

Gal 1,2 nennt eine Gruppe von Gemeinden in Galatien als Adressaten des Briefes. Vermutlich lagen diese so dicht beieinander, dass Paulus sie gemeinsam anschreiben konnte. Er ging demnach möglicherweise davon aus, dass sein Brief zirkulieren würde. Was aber meint Paulus mit Galatien?

a. Die Provinzhypothese

Eine Gruppe von Forschern meint nun, dass Galatien die südlich gelegene römische Provinz Galatia bezeichnet. Man nennt diese Hypothese daher auch Provinzhypothese oder südgalatische Theorie. Es würde sich dementsprechend um Gemeinden in Lykaonien und Pysidien handeln, die Paulus auf seiner ersten Missionsreise besucht hat.

Diese Theorie hat sich in der Forschung allerdings nicht durchgesetzt.

b. Die Landschaftshypothese

Eine zweite Theorie ist die Landschaftshypothese, die sogenannte nordgalatische Theorie. Ihr zufolge würde Galatien die Landschaft im Inneren Kleinasiens bezeichnen. Also das Gebiet um die Städte Pessinus, Orkistos, Nakolesia usw. Paulus hat dieselben auf der zweiten Missionsreise besucht (vgl. Apg 16,6).

Diese Theorie hat einiges für sich. Paulus gebraucht in Gal 3,1 nämlich den Ausdruck:

"Oh ihr unverständigen Galater!" (Gal 3,1.)

Dieses "Galater" müsste man im Deutschen aber korrekterweise mit "Kelten" wiedergeben. Eine Anrede, die Paulus bezüglich der im Süden wohnenden Griechen sicher nicht gebraucht hätte.

2. Die Briefsituation

a. Die Gemeindegründung und die beiden Besuche

Römische Strasse

Römische Strasse.

Foto-Button© Katholisches Bibelwerk Linz,
Kapuzinerstr. 84, A-4020 Linz

Nach Gal 4,12-20 war Paulus durch eine Krankheit in diesem Gebiet festgehalten worden. Er hat diese Zeit genutzt, um mit Hilfe von Silas und Timotheus mehrere Gemeinden zu gründen.

Die Galater haben ihn damals gesund gepflegt.

Nach Apg 18,23 kommt Paulus auf der dritten Missionsreise, nachdem er in Antiochien aufgebrochen war, um erneut nach Ephesus zu gehen, ein zweites Mal nach Galatien. Dort hat er die Kollekte für Jerusalem in die Wege geleitet und angeordnet. 1 Kor 16 liefert ein Zeugnis dafür.

Nach unserer Chronologie ist der erste Besuch demnach im Jahr 48 / 49 n. Chr. anzusetzen. Dies wäre dann auch der Zeitpunkt seiner Krankheit in Galatien gewesen.

Der zweite Besuch wäre im Sommer 51 n. Chr. zu suchen.

b. Die Gemeindestruktur

Neben diesen Auskünften erfahren wir, dass sich die Gemeinden in Galatien überwiegend aus Heidenchristen zusammensetzen. Gal 4,8 macht dies deutlich. Dort heißt es:

"Damals freilich, als ihr Gott noch nicht kanntet, habt ihr den "Göttern" gedient, die ihrer Natur nach gar keine sind." (Gal 4,8.)

Paulus warnt die Gemeinde nun (Gal 5,2f; Gal 6,12f) vor der Beschneidung, was voraussetzt, dass sie ohne Beschneidung Christen geworden sind.

c. Judenchristliche Missionare in Galatien

In den Kapiteln 3 und 4 des Galaterbriefes setzt sich Paulus nun mit judenchristlichen Gegnern auseinander, die die Galater zur Beschneidung, d. h. zum Weg des Gesetzes, bewegen wollen.

Anscheinend sind damals also auch judenchristliche Missionare nach Galatien gekommen. Möglicherweise haben die Gegner Pauli zuvor von diesen Gemeinden noch nichts gewusst.

Während ja in Korinth und in Saloniki bereits eifrig gegen Paulus mobil gemacht wurde, scheinen solche Umtriebe in den Gemeinden Galatiens erst später eine Realität geworden zu sein. Beim zweiten Besuch des Paulus in den dortigen Gemeinden war davon anscheinend noch nichts zu spüren gewesen.

Aber warum treten nun plötzlich diese Schwierigkeiten auf? Sind die judenchristlichen Missionare rein zufällig nach Galatien gekommen und haben die Paulusgemeinden dort gleichsam per Zufall entdeckt? Oder gibt es einen Grund dafür, dass ausgerechnet jetzt Judenchristen in den Gemeinden dort auftreten und für Unruhe sorgen?

Es gibt ein paar Hinweise, die uns möglicherweise erlauben ein wenig Licht in diese Frage zu bringen.

Paulus plante ja zuerst nicht, mit der Kollekte selbst nach Jerusalem zu gehen. In 1 Kor 16,1-4 hat er es zumindest offengelassen. Erst die jüngeren Ereignisse, vielleicht gerade im Zusammenhang mit seiner Anfeindung in Korinth, haben ihn dazu bewogen, selbst nach Jerusalem zu reisen. Die Kollekte war eine gute Möglichkeit für ihn, seine Verbundenheit mit der Jerusalemer Gemeinde zu zeigen und auch seinem Anspruch als Apostel Geltung zu verschaffen.

Die Gemeinden in Galatien waren nun aber an der gemeinsamen Kollektenaktion in Makedonien und in der Achaia nicht beteiligt. Zumindest hören wir von einer gemeinsamen Aktion mit diesen Gemeinden nichts. Möglicherweise hat Paulus bei seinem Besuch in Galatien die Galater mit Empfehlungs- und Beglaubigungsschreiben ausgestattet, so dass sie die Kollekte selbst an die Jerusalemer Gemeinde überbringen konnten.

Es ist nun nicht schwer, sich vorzustellen, welches Aufsehen eine Gesandtschaft von unbeschnittenen Heidenchristen in Jerusalem verursacht haben dürften, die nun - ausgestattet mit Briefen des Paulus - die Kollekte überbracht haben.

Dies könnte überhaupt erst der Auslöser dafür gewesen sein, dass judaisierende Gegner des Paulus von der Existenz dieser weitab gelegenen Gemeinden gehört haben. Möglicherweise sind sie daraufhin nach Galatien gegangen, um dort nach dem Rechten zu sehen. In Jerusalem haben Heidenchristen, die nicht beschnitten waren, schließlich immer noch eher Unruhe als Freude ausgelöst.

3. Anlass des Briefes und Literarkritik

Der Anlass des Galaterbriefes, dessen Echtheit im übrigen unbestritten ist, ist nun folgendermaßen zu denken.

In Epheseus, vielleicht aber erst in Troas oder Makedonien, erreichten Paulus Nachrichten, deren Herkunft uns unbekannt bleiben.

Paulus scheint uns aber im Nachhinein relativ genau informiert zu sein. Vielleicht hat ihn eine Gesandtschaft der Galater erreicht und ihn umgehend unterrichtet, was sich in ihrer Heimat zugetragen hat. Möglicherweise hat Paulus aber auch nur geschickt kombiniert. Er kannte ja die Masche seiner Gegner. Sicher hatte er es in Galatien mit ähnlichen Angriffen zu tun, wie in Korinth.

Auffällig ist, dass der Galaterbrief der Apologie (2 Kor 2,14-7,4 und 2 Kor 9) und dem Tränenbrief (2 Kor 10-13) recht nahe ist. Ein zeitliches Beieinander dieser Briefe ist daher durchaus anzunehmen.

Nach Gal 1,6-9 verkünden die Gegner des Paulus ein anderes Evangelium und sprechen ihm seine apostolische Würde ab. Paulus betont daher ganz besonders:

"Paulus, Apostel, nicht von Menschen, auch nicht durch einen Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott, den Vater, der ihn von den Toten auferweckt hat,..." (Gal 1,1.)

Die Gegner Pauli hielten das Christentum der Galater darüber hinaus für unvollkommen (Gal 3,3). Deshalb forderten sie ja gerade die Beschneidung (Gal 3-4) und damit zumindest die teilweise Beachtung des jüdischen Gesetzes, sowie die Beobachtung der jüdischen Feiertage (Gal 4,10) - was wohl insbesondere die Beobachtung des Sabbats bedeutete - und dann die Anerkennung der maßgebenden Autoritäten Kephas (Petrus) und Jakobus (Gal 1,11-2,14).

Paulus habe auf diese Punkte bei seiner Mission verzichtet. Dies aber nur um die Galater eben für sich zu gewinnen.

Da Paulus diese Nachrichten frühestens in Ephesus erreichten und er mit den Auseinandersetzungen in Korinth beschäftigt war, konnten weder er noch seine Mitarbeiter nach Galatien reisen. Deshalb musste er wohl diesen scharfen Brief mit einer deutlichen Selbstverteidigung und Beschwörung voller Liebe und Sorge schreiben.

4. Gliederung und Aufbau

Sehen wir uns den Aufbau dieses Briefes wieder etwas näher an. Es handelt sich - wie bereits erwähnt - zweifelsfrei um ein einheitliches Schreiben. Der Brief bietet keinerlei Anlass für eine Teilungshypothese. Einige störende Verse können durchaus als Glosse erklärt werden.

Gal 1,1-5
Präskript: Betonung seines Apostolates;
keine Danksagung angesichts der Zustände.
Gal 1,5-10
Polemik gegen seine Gegner.
Gal 1,11-2,14
Hier betont Paulus seine eigene Unabhängigkeit, aber auch seine Gleichberechtigung mit und seine Anerkennung durch Jakobus, Johannes und Kephas, mit denen er in der Grundüberzeugung übereinstimme.
Gal 2,15-21
Pauli Grundüberzeugung ist: Juden wie Heiden werden durch den Glauben und nicht durch Gesetzestaten gerecht gemacht.
Gal 3,1-5,12
Abhandlung über Glaube und Gesetz in theoretischer und praktischer Hinsicht.
Sie wird unterbrochen von Anwendungen auf die Situation hin und Appellen, den Gegnern nicht zu vertrauen.
Im Römerbrief hat Paulus diese Aussagen dann stärker systematisiert.
Gal 5,13-6,10
Paränetischer Teil.
Gal 6,11-18
Briefschluss mit Warnungen, Segenswunsch.

Der Galaterbrief ist theologisch höchst bedeutsam. Hier formuliert Paulus zum ersten Mal seine Lehre von der Rechtfertigung allein aus Gnade. Im Römerbrief wird er dieselbe dann in aller Ausführlichkeit darlegen. Ein näheres Eingehen auf diese theologischen Fragen möchte ich hier aber aufsparen. Ich werde nach der Durchsicht der einzelnen Briefe einen kleinen Überblick über die paulinische Theologie versuchen.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkung

1 Wo nicht anders vermerkt folge ich meinem Lehrer Rudolf Pesch, Einführung in das Neue Testament II - nicht autorisierte Vorlesungsmitschrift des WS 1980/81 (Albert-Ludwig-Universität Freiburg i. Br.). Zur Anmerkung Button