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Die Bibel

Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...


Weiter-ButtonZurück-Button Verfasser, Abfassungszeit und Abfassungsort des Johannes-Evangeliums ⋅1⋅

1. Die Verfasserfrage

Damit sind wir aber bereits bei der Frage, wer diese Menschen waren, die den Text überarbeitet haben und herausgaben. Und wer hat den Text ursprünglich verfasst?

Wenn wir diese Frage zu beantworten versuchen, müssen wir es so tun, dass dadurch die skizzierten Probleme der komplizierten Entstehung des Johannes-Evangeliums in vernünftiger Weise einer Lösung zumindest nahegebracht werden.

a. Johannes der Apostel identisch mit dem Evangelisten?

Deshalb geht die Diskussion heute kaum mehr um die Frage, ob der Verfasser der Apostel Johannes sei oder nicht. Diese Auffassung ist heute auch im Bereich der katholischen Exegese weitgehend fallen gelassen worden. ⋅2⋅

Dass der Apostel Johannes das vierte Evangelium herausgegeben habe, erwähnt erstmals Irenäus (ad haer. III, 1, 2), der im Jahr 202 n. Chr. gestorben ist.

b. Gegenargumente

Dagegen sprechen aber im Grunde alle Fakten. Vor allem der zeitliche Abstand des Johannes-Evangeliums von den synoptischen Evangelien ist ein entscheidendes Argument. Wir werden nachher sehen, dass vor dem letzten Jahrzehnt des 1. Jahrhunderts an eine Abfassung des Johannes-Evangeliums kaum zu denken ist. Es muss ja schon auffallen, dass die für Jesus zentrale Verkündigung des Reiches Gottes im Johannes-Evangelium kaum noch Spuren hinterlassen hat.

Und auch die jesuanische Gleichnispredigt fehlt beinahe völlig. Sie aber hat, das zeigt uns die Untersuchung der synoptischen Evangelien, im Leben Jesu eine wichtige Rolle gespielt. Der Apostel Johannes hätte sie sicher nicht so gänzlich übergangen.

Im Johannes-Evangelium selber wird nun nirgendwo davon gesprochen, dass der Apostel das Evangelium verfasst habe. Von der Abfassung des Evangeliums ist eigentlich auch nur in Joh 21,24 die Rede. Dort aber wird "der Jünger, den Jesus liebte" als Verfasser genannt.

Augenscheinlich ist das Evangelium unter Berufung auf die Autorität dieses "Jüngers, den Jesus liebte" veröffentlicht worden. Natürlich wurde dieser Jünger in der Tradition mit dem Apostel Johannes identifiziert. Das ist aber alles andere als zwingend.
Bevor wir eine weitere Erörterung der Verfasserfrage vornehmen, müssen wir uns daher fragen, was wir über diesen "Jünger, den Jesus liebte" sagen können.

c. Zur Frage nach dem "Jünger, den Jesus liebte"

Nach Rudolf Schnackenburg ⋅3⋅ war der "Jünger, den Jesus liebte" mit Sicherheit eine historische Person. Ein Jünger Jesu, der wohl beim letzten Abendmahl dabei war, aber nicht zum Kreis der Zwölf gehörte.

Dazu ist es wichtig, sich vor Augen zu halten, dass wir nicht wissen, wer alles beim Abendmahl teilgenommen hat. Dass Jesus allein im Kreis der Zwölf gefeiert hat, ist wenig wahrscheinlich. Davon sprechen die Evangelien auch nicht. Sie sagen uns wohl, dass die Zwölf dabei waren. Wie viele Personen noch im Raum gewesen sind, berichten die Evangelien aber nicht. Auch von Dienern, gleichsam Personal, das ja für ein Mahl benötigt wird, ist ja keine Rede.

Stellen wir uns, mit Rudolf Schnackenburg, vor, dass der "Jünger, den Jesus liebte", irgendeine Person war, die Jesus nahe gestanden ist - und phantasieren wir ganz einfach einmal - etwa der Sohn des Mannes, in dessen Haus das Abendmahl stattgefunden hat. Vielleicht hat Jesus tatsächlich zu diesem Kind oder jungen Mann, eine ganz besonders innige Beziehung gehabt. Jesus könnte ja durchaus in Jerusalem öfters in diesem Haus abgestiegen sein. Beim Mahl vor dem Pascha könnte solch ein Junge durchaus, gleichsam auf Jesu Schoß gesessen haben.

Dies ist zwar reine Spekulation, aber es ist ein Gedanke, der einige Zusammenhänge erklärbar machen würde.

Selbstverständlich wäre solch ein Bekannter Jesu vor allem mit Geschehnissen vertraut, die in Jerusalem stattgefunden haben. Wir haben nun aber ja gesehen, dass sehr viele Traditionen des Johannes-Evangeliums anscheinend an Jerusalem haften.

Wenn nun dieser "Jünger, den Jesus liebte" nach dem jüdischen Krieg etwa, in einer christlichen Gemeinde außerhalb Jerusalems, vermutlich sogar außerhalb Palästinas lebte, dann hatte er in dieser Gemeinde aufgrund seiner Erlebnisse und Begegnungen mit diesem Jesus natürlich ein ganz besonderes Gewicht.

Außerhalb dieser Gemeinde besaß er allerdings kaum Autorität. Er gehörte zu keiner der bekannten Größen in der urchristlichen Gesellschaft. Er gehörte nicht zum Apostelkreis, nicht zu den Zwölf, geschweige denn zu den Säulen in Jerusalem, die Paulus in seinen Briefen erwähnt.

So ist es durchaus denkbar, dass die Gemeinde dieses "Lieblingsjüngers" seine Autorität nach außen ganz besonders mit dem Hinweis darauf, dass Jesus selbst diesen Jünger geliebt hat, verteidigte. Das, was diese Gemeinde von diesem Mann erfahren hat, das hatte Gewicht, denn dieser Mann kannte Jesus und Jesus liebte ihn; nichts anderes soll diese eigentümliche Formulierung wohl sagen.

Der Name und weitere Charakteristika seiner Person waren im Grunde von keinerlei Belang. Wichtig war allein die Tatsache, dass Jesus in einer ganz besonderen Nähe zu diesem Jünger gestanden hat.

d. Wer aber war dann der Verfasser?

Verfasst hat das Evangelium dann ein Schüler dieses Mannes, jemand, der die Tradition von diesem Lieblingsjünger empfangen hat und für den "der Jünger, den Jesus liebte" auch der Garant dieser Tradition gewesen ist. Dass der Lieblingsjünger das Evangelium nicht selbst verfasst hat, liegt eigentlich schon in dieser eigenartigen Bezeichnung begründet. Es ist im Grunde kaum vorstellbar, dass ein Jünger Jesu sich mit dieser überschwänglichen Bezeichnung selbst vorgestellt hätte.

e. Zum Vorhandensein einer johanneischen Schule

Um diese Gestalt, die für uns im letzten wohl immer rätselhaft bleiben wird, entstand dann eine regelrechte Schule. Im Kreis dieser sogenannten "Johannesschüler" wurde die Tradition und vor allem die Theologie, die sich auf den "Lieblingsjünger" zurückführte gepflegt und weiterentfaltet. Durch diese sogenannte johanneische Schule wurde das Johannes-Evangelium dann mehrfach bearbeitet und letztlich dann auch herausgegeben.

Wenn uns auch die Person des Lieblingsjüngers nicht mehr greifbar ist, das Vorhandensein einer johanneischen Schule liegt nicht nur im Bereich der Wahrscheinlichkeit. Die Behauptung, dass solch ein Schule existiert habe, kann sich auf verschiedene Argumente stützen und ist keinesfalls als Notlösung aufzufassen.

Einmal gibt es hierfür zahlreiche Parallelen in der damaligen Zeit. Schon im Frühjudentum hatten sich vergleichbare Schulen etabliert. Wir brauchen hier nur etwa an die verschiedenen Weisheitsschulen zu denken.

Zum anderen lassen sich am Johannes-Evangelium Phänomene beobachten, die die Arbeit eines Teams von Schülern, Theologen, Schriftgebildeten vermuten lassen:

  • Man pflegt eine eigene Tradition,
  • man bildet eine eigene Sprache aus,
  • man entfaltet eine eigene Theologie,
  • man besitzt eine eigene Autorität, auf die man sich beruft, nämlich die des Lieblingsjüngers,
  • und man grenzt sich ab.

Kennzeichnend für letztere Feststellung sind verschiedene Auseinandersetzungen, die im Evangelium ihre Spuren hinterlassen haben:

  • Die Auseinandersetzungen mit der Synagoge,
  • mit dem Täuferkreis
  • und mit der Gnosis, auf die wir gleich noch zu sprechen kommen werden.

Gegen diese Strömungen setzte man sich zur Wehr und zog klare Grenzen. Deutliche Anzeichen für die Arbeit einer regelrechten johanneischen Schule.

Innerhalb des frühen Christentums bildet die Paulus-Schule die nächste Verwandte zu diesem angenommenen johanneischen Kreis. Mit einer Paulus-Schule rechnen schließlich heute gleichfalls viele Forscher und erklären damit auch die Entstehung der Deuteropaulinen. Innerhalb der Paulus-Schule wäre dann sogar eine regelrechte literarische Tätigkeit festzustellen. Ähnliches wird uns begegnen, wenn wir auf die sogenannten Johannes-Briefe schauen.

Alles in allem ist die Existenz einer johanneischen Schule also recht gesichert.

Rylands-Fragment

Rylands-Fragment mit Teilen
von Joh 18,31-33 und 18,37-38
entstanden um das Jahr 150 n. Chr.

Foto-ButtonLizenz: Papyrologist Bernard Grenfell (1920),
as preserved at the John Rylands Library.
Photo: courtesy of JRUL., P52 recto,
als gemeinfrei gekennzeichnet,
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2. Der Ort und die Zeit der Abfassung

Wo sind die johanneische Schule und die johanneische Gemeinde aber zu suchen? Und wann ist das Evangelium herausgegeben worden?

Als Antwort auf die letzte Frage hat sich ein verhältnismäßig breiter Konsens gebildet. Er plädiert für das letzte Jahrzehnt des 1. Jahrhunderts.

Das Johannes-Evangelium setzt nämlich den Synagogen­aus­schluss der Judenchristen bereits voraus (vgl. Joh 9,22). Dieser ist in den 80er Jahren des 1. Jahrhunderts anzusetzen.

Da Ignatius von Antiocheia, der etwa 110 n. Chr. starb, das Evangelium sehr wahrscheinlich schon gekannt hat, haben wir hier den Zeitpunkt, vor dem der Text sicher vorgelegen haben muss.

Die geistige Verwandtschaft mit Ignatius und den in Syrien entstandenen Oden Salomos sind einige Gründe dafür, warum die Entstehung des Johannes-Evangelium meist in Syrien lokalisiert wird.

Auch das Ostjordanland wurde als Ent­stehungs­ort genannt. Und manche meinen Spuren zu finden, die nach Ägypten weisen.

Daneben gibt es Verfechter einer Ephesus-Hypothese. Diese Ephesus-Hypothese ist wohl als eigentlich traditionelle Hypothese zu bezeichnen und hat ihre Wurzeln vor allem in der katholischen Tradition. Auch Rudolf Schnackenburg meint, dass diese Hypothese, die nicht nur die altkirchliche Überlieferung für sich hat, im Vergleich zu den anderen Theorien als mindestens gleichrangig dasteht. ⋅4⋅

Letztlich sind wir bei der Frage des Entstehungsortes aber auch wieder auf Spekulationen angewiesen.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Vgl.: Joachim Gnilka, Johannesevangelium (Würzburg 1983) 7. Zur Anmerkung Button

2 Theologisch verhilft dazu nicht zuletzt ein geläutertes Verständnis dessen, was mit dem Begriff des Apostolischen gemeint ist. Das Evangelium bezieht seine Autorität nicht dadurch, dass es einen Apostel bzw. ein Mitglied des Zwölferkreises zum Autor hat, sondern dadurch, dass in ihm apostolische Verkündigung eingefangen und dass es von der Kirche als Ausdruck ihres Glaubens akzeptiert wurde. Zur Anmerkung Button

3 Vgl.: Rudolf Schnackenburg, Das Johannesevangelium III (Freiburg, Basel, Wien 4. Auflage 1982) 461-463. Zur Anmerkung Button

4 Vgl.: Rudolf Schnackenburg, Das Johannesevangelium I (Freiburg, Basel, Wien 5. Auflage 1981) 131-134. Zur Anmerkung Button