Die Bibel

Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...


Weiter-ButtonZurück-Button Die Verarbeitung des Traditionsgutes in den Evangelien ⋅1⋅

1. Komposition von Einzelüberlieferungen

Zunächst einmal gilt es zu sehen, dass die Evangelien, und hier vor allem die ersten drei, nicht aus einem Guss sind. Sie sind nicht jeweils als Gesamtwerk entstanden, sondern bestehen aus vielen kleinen Einzelüberlieferungen, sogenannten Perikopen.

Diese kleinen Abschnitte, diese Perikopen, sind wohl zum größten Teil einmal selbständig erzählt, selbständig für sich überliefert und weitergegeben worden. Jede von ihnen hat ein ganz eigenes Anliegen. Sie wollen Jesu Persönlichkeit und Bedeutung auf je eigene Art beleuchten. So lassen die einzelnen Perikopen Jesus jeweils in einer besonderen und spezifischen Art seines Wirkens,

  • seiner Heilertätigkeit,
  • seiner Disputation mit verschiedenen Gruppen des Judentums,
  • seines Umgangs mit den Jüngern oder ähnliches,

wie in einem Lichtkegel erscheinen.

2. Theologie statt Chronologie

Diese Perikopen wurden nun im Laufe der Zeit zu regelrechten Erzählsträngen verbunden. Ihre Verbindung in den Evangelien erfolgte aber meist nicht nach chronographischen, sondern vielmehr nach sachlichen und vor allem nach theologischen Gesichtspunkten. Es ist daher nicht möglich, aus dem Nebeneinander zweier Berichte etwa auf die zeitliche Abfolge der Ereignisse im Wirken Jesu zu schließen.

Das aber wäre für einen Biographen doch wichtig. Für ihn wäre es natürlich hochinteressant, in welche Städte Jesus zuerst gegangen ist, und in welcher Reihenfolge er sie durchwandert hat. Die Evangelien aber überliefern uns kein Itinerar der Tätigkeit Jesu im Lande Israel. Solch eine Beschreibung der Wander- und Predigttätigkeit Jesu ist ganz einfach nicht vorhanden und zwar deswegen, weil die überliefernden Gemeinden schlicht und ergreifend kein Interesse daran hatten.

Zwar besitzen manche Perikopen topographische Angaben, sie sprechen davon, dass dies oder jenes am Meer von Galiläa, in Kafarnaum oder anderen Orten stattgefunden hat, die Mehrzahl der Berichte ist aber nur unbestimmt oder gar nicht lokalisiert. Nur ein Schwerpunkt des Wirkens Jesu in Galiläa, im Land am See, ist insgesamt erkennbar.

Nach den ersten drei Evangelien, den sogenannten Synoptikern, begibt sich Jesus während seines öffentlichen Auftretens auch nur ein einziges Mal nach Jerusalem, nämlich zu seinem Leidenspascha. Ist das aber auch historisch so gewesen? Möglicherweise ist auch dies ja nur ein künstlicher literarischer Rahmen, mittels dessen das, was die Evangelien von Jesus verkünden wollen, den Hörern eben dargebracht werden soll.

Im Johannes-Evangelium sehen wir Jesus öfter nach Jerusalem wandern. Das vierte Evangelium scheint hier einen anderen literarischen Aufbau zu bevorzugen. Aber auch es berichtet nicht deshalb von mehreren Aufenthalten Jesu in Jerusalem, weil es eben geschichtlich so gewesen wäre. Der Grund dafür sind auch hier sachliche Überlegungen und theologische Reflexion.

Johannes will aus theologischen Gründen den Protestakt Jesu im Tempel beispielsweise an den Beginn seines Evangeliums stellen (Joh 2,13ff). Deshalb muss Jesus natürlich bei ihm auch gleich zu Anfang seines Wirkens nach Jerusalem gehen. Er will damit natürlich nicht sagen, dass Jesus in der geschichtlichen Abfolge der Dinge gleich zu Anfang die Händler aus dem Tempel vertrieben hat. Er will vielmehr, dadurch dass er diese Begebenheit an den Anfang rückt, wie in einer Überschrift zum Ausdruck bringen, das was Jesus während seines öffentlichen Wirkens getan hat, das war gleichsam ein Protest gegen diese veräußerlichte Art von Religion und dieser Protest musste ihn gleichsam in den Konflikt mit den Repräsentanten dieser Religion bringen.

3. Redekompositionen aus Einzellogien

Ganz ähnliche Zusammenhänge gilt es auch bei den Reden zu beachten, die uns von Jesus überliefert sind. Die großen Reden in den Evangelien sind keine Tonbandmitschnitte, sie sind Redekompositionen.

Aus vielen Einzellogien, vielen Worten Jesu, die sich im Gedächtnis der Menschen eingegraben hatten, und aus Gruppierungen solcher Worte, kleinen zusammenhängenden Spruchgruppen, die sich im Laufe der Zeit durch das fortlaufende Erzählen gebildet hatten, wurden diese Reden zusammengesetzt. Die Reihenfolge der Worte ergab sich dabei vielfach nach inhaltlichen Gesichtspunkten. So wurde ihre Verwendung in Predigt und Katechese erleichtert - und genau dazu wurden sie schließlich überliefert.

4. Die Besonderheit des Passionsberichtes

Pilatusstein

Der Pilatusstein aus Caesarea am Meer - heute im Israel-Museum in Jerusalem.

Foto-Button© Katholisches Bibelwerk Linz, Kapuzinerstr. 84, A-4020 Linz

Alles in allem bildet eigentlich nur ein Bericht eine gewisse Aus­nahme. Bemerkenswert an­ders ist nämlich der Pas­sionsbericht.

Er zeichnet sich nicht nur durch bestimmte Personennamen aus, etwa den

  • Kajafas,
  • Pilatus,
  • Simon von Kyrene,
  • Josef von Arima­thäa
  • und die Namen der Frauen unter dem Kreuz

oder auch durch topographische Angaben, wie

  • Getsemani,
  • Litostroton
  • oder Golgota,

er bietet auch eine echte Folge von Ereignissen vom letzten Mahl Jesu mit seinen Jüngern, der Verhaftung, dem Prozess, dem Tod bis zur Entdeckung des geöffneten Grabes. Diese Besonderheit des Passionsberichtes gilt es bei der Betrachtung der Evangelien zu beachten.

Weiter-ButtonZurück-ButtonAnmerkung

1 Vgl.: Joachim Gnilka, Jesus von Nazareth (Herders Theologischer Kommentar zum NT - Supplementband 3) (Freiburg/Basel/Wien 1990) 22-28. Zur Anmerkung Button