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Weiter-ButtonZurück-Button Der zweite Korintherbrief ⋅1⋅

Damit kommen wir zum zweiten Korintherbrief, der sich - wenn unsere Überlegungen zutreffend sind - als zweite Sammlung authentischer Schreiben des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth bezeichnen lässt.

1. Die Briefsituation

a. Paulus war bereits wieder in Korinth

Bei der Betrachtung des ersten Korintherbriefes haben wir bereits gesehen, dass sich Paulus mit dem Gedanken trug, Korinth ein zweites Mal zu besuchen. Er schrieb in 1 Kor 16,7-9:

"Denn ich will euch nicht bloß auf der Durchreise sehen: ich hoffe nämlich einige Zeit bei euch zu verweilen, wenn der Herr es zulässt. Ich werde aber in Ephesus bis Pfingsten bleiben. Eine große und erfolgreiche Tür hat sich mir nämlich aufgetan, und die Gegner sind zahlreich." (1 Kor 16,7-9)

Ledersandalen aus Massada

Ledersandalen aus Massada.

Foto-ButtonSandals from Massada. Reproduced by permission
of Zev Radovan, www.BibleLandPictures.com

Im zweiten Korin­ther­brief ist von diesem Reiseplan nichts mehr zu spüren. Offensichtlich hat Paulus denselben in der Zwischenzeit in die Realität umsetzen kön­nen. Er war anscheinend ein zweites Mal in Korinth gewesen. Hinter der Formulierung in 2 Kor 2,1 könnte sich solch ein zweiter Auf­enthalt verbergen:

"Ich habe bei mir den Entschluss gefasst, nicht wieder in Betrübnis zu euch zu kommen." (2 Kor 2,1.)

Paulus war also, mit großer Wahrscheinlichkeit, vor der Abfassung des zweiten Korintherbriefes in Korinth gewesen - in Betrübnis, wie er schreibt, also möglicherweise recht kurz. Dieser Besuch muss stattgefunden haben, nachdem er in Ephesus die beiden Schreiben 1 Kor A und 1 Kor B verfasst hatte, denn zu dieser Zeit trug er sich ja erst mit Reiseplänen nach Korinth. Vielleicht hat er diesen Kurzbesuch sogar noch von Ephesus aus unternommen.

Dass dieser in 2 Kor 2,1 erwähnte Kurzbesuch tatsächlich erst der zweite Besuch in Korinth gewesen sein kann, ergibt sich aus zwei anderen Stellen des zweiten Korintherbriefes. In 2 Kor 12,14 sagt Paulus nämlich:

"Seht, jetzt halte ich mich zum dritten Male bereit, zu euch zu kommen, [...]" (2 Kor 12,14.)

Und 2 Kor 13,1-2 schreibt er:

"Zum dritten Male komme ich jetzt zu euch. [...] Ich habe es denen, die früher gesündigt haben und den andern allen vorausgesagt, als ich zum zweiten Male anwesend war, und sage es jetzt (noch einmal) voraus in der Abwesenheit: Wenn ich wiederkomme, werde ich keine Schonung üben." (2 Kor 13,1-2.)

Jener zweite, kurze Besuch scheint also von widrigen Umständen getrübt gewesen zu sein. Paulus spricht von einer Betrübnis, die irgendwie mit diesem Besuch verbunden gewesen sein muss. Es scheint demnach in Korinth zu einem Zwischenfall gekommen zu sein, der die Beziehung der Gemeinde zu ihrem Apostel aufs Äußerste angespannt hat.

Man kann dies auch aus einer Andeutung entnehmen, die Paulus im 2. Kapitel des zweiten Korintherbriefes macht:

"Wenn aber einer Betrübnis verursacht hat, so hat er ja nicht mich betrübt, sondern bis zu einem gewissen Grad, um nicht zuviel zu sagen, euch alle." (2 Kor 2,5.)

Auch hinter 2 Kor 7,2 lässt sich dieser Vorfall vermuten:

"Gebt uns Raum. Niemandem haben wir Unrecht getan, niemanden zugrunde gerichtet, niemanden übervorteilt." (2 Kor 7,2.)

Dieser Vorfall scheint mit ein Schlüssel zum Verständnis der Geschichte zu sein, die hinter dem heutigen zweiten Korintherbrief liegt. Diese Geschichte wird natürlich erst dann wirklich greifbar, wenn man das Schreiben literarkritisch untersucht und im Detail die einzelnen Zusammenhänge zu klären sucht.

Da das Ganze dann aber ungeheuer kompliziert wird und vor allem sehr schwer nachzuvollziehen ist, möchte ich der Einfachheit halber, bevor wir den Brief nun analysieren, schon einmal vorausschicken, welcher Ablauf der Ereignisse sich letztlich rekonstruieren lässt.

Was hat sich denn genauer abgespielt?

b. Rekonstruktion der Ereignisse

Wir können nun folgendes vermuten:

In Ephesus hatte Paulus ja an die Gemeinde in Korinth, in dem von uns rekonstruierten 1 Kor B geschrieben, dass Timotheus bereits auf dem Weg nach Korinth sei. Wir haben geschlossen, dass er auf dem Landweg unterwegs gewesen sein muss und daher erst nach dem Brief in Korinth angekommen sein dürfte.

Anscheinend war Timotheus nicht lange in Korinth gewesen und kam bereits vor dem Pfingstfest des Jahres 52 n. Chr. - 1 Kor B wurde ja vermutlich um Ostern 52 n. Chr. geschrieben - wieder in Ephesus an.

Er scheint nun berichtet zu haben, dass 1 Kor B tatsächlich die Schwierigkeiten in Korinth ausgeräumt hatte. Die Schismata, die Paulus im ersten Korintherbrief ausgiebig behandelt hat, spielen im zweiten Korintherbrief ja keine Rolle mehr.

Dafür scheint in Korinth jedoch der Einfluss der judenchristlichen Missionare gewachsen zu sein.

Mit ihnen gab es ja bereits im ersten Korintherbrief eine Auseinandersetzung. Bereits zu dieser Zeit musste sich Paulus gegen Vorwürfe judenchristlicher Missionare rechtfertigen. Sie machten ihm das Apostelamt streitig.

Im ersten Korintherbrief schrieb er deshalb:

"Wenn ich für andere kein Apostel bin, so bin ich es doch für euch. Seid ihr doch das Siegel meines Apostelamtes im Herrn. Das ist meine Rechtfertigung denen gegenüber, die mich aburteilen." (1 Kor 9,2-3.)

Jetzt scheint sich diese Auseinandersetzung, zugespitzt zu haben. Timotheus wird Paulus berichtet haben, dass diese Missionare ihm, dem Paulus, die Eignung zu eigenständiger Mission absprachen und behaupteten, Paulus würde sich selbst empfehlen und nur wichtigmachen.

Äußerungen des zweiten Korintherbriefes, wie

"Denn nicht uns selbst verkünden wir, sondern Christus Jesus, den Herrn, uns aber als eure Diener um Jesu willen." (2 Kor 4,5.)

sind vermutlich auf diesem Hintergrund zu sehen.

2. Die Hypothese

Nehmen wir einmal an, dass Paulus solche Angriffe nicht einfach auf sich sitzen ließ. Nach all dem, was wir von seiner Person wissen, wäre das zuletzt zu vermuten. Nehmen wir an, dass er den Titus daraufhin nach Korinth schickte. Titus hätte dann ein Schreiben des Paulus überbracht, in dem er sich im Stil einer Apologie gegen die Vorwürfe seiner Widersacher verwahrt.

Im Sommer 52 n. Chr. müsste Titus dann zurückgekommen sein. Er hätte dann berichtet, dass das Schreiben des Paulus seine Wirkung verfehlt hat. Daraufhin wäre Paulus dann selbst nach Korinth gegangen, eben zu dem oben festgestellten Zwischenbesuch.

Auf diesem Kurzbesuch wäre es dann zu einem Zwischenfall gekommen, der eine sofortige Rückkehr des Paulus nach Ephesus zur Folge hatte.

Hier käme nun eine Notiz aus dem zweiten Korintherbrief zum Tragen. Paulus schreibt:

"Ich schrieb euch ja aus vielfacher Not und Herzensangst heraus und unter vielen Tränen, nicht um euch weh zu tun, sondern um euch die Liebe erkennen zu lassen, die ich in besonderem Maße zu euch hege." (2 Kor 2,4.)

Der hier erwähnte und unter Tränen geschriebene Brief könnte in genau dieser Situation entstanden sein. Dass es einen solchen "Tränenbrief" gegeben haben muss, darauf weisen neben der eben zitierten Stelle, 2 Kor 2,3-4, auch 2 Kor 2,9; 2 Kor 7,8 und 2 Kor 7,12 hin. Paulus scheint also in Ephesus, nach jenem Zwischenfall in Korinth, einen solchen Tränenbrief geschrieben zu haben. Im Herbst des Jahres 52 n. Chr. hat möglicherweise Titus diesen Brief wieder nach Korinth gebracht.

Danach scheint Paulus nach Troas aufgebrochen zu sein, wo er gute Missionserfolge hatte. Aus Sorge um Titus reiste er allerdings bald nach Makedonien weiter. Paulus schreibt:

"Als ich aber zur Verkündigung der Heilsbotschaft Christi nach Troas kam, tat sich mir zwar eine Tür auf im Herrn, aber ich hatte doch keine Ruhe in meinem Geist, weil ich meinen Bruder Titus nicht antraf, sondern ich sagte ihnen Lebewohl und ging fort nach Mazedonien." (2 Kor 2,12-13.)

Dort traf er Titus dann an, der auch tatsächlich mit guten Nachrichten aus Korinth gekommen war. Paulus setzte sich nun noch einmal hin und schrieb einen versöhnlichen Brief nach Korinth, nachdem die Sache anscheinend wieder im Lot gewesen ist.

In dieser hypothetischen Rekonstruktion der Ereignisse haben wir jetzt insgesamt drei Briefe angenommen:

  • zuerst eine Art Verteidigungsschreiben, die sogenannte Apologie,
  • dann den von Paulus selbst erwähnten "Tränenbrief"
  • und abschließend eine Art Versöhnungsbrief.

Jetzt gilt es nachzufragen, ob sich diese Hypothese begründen lässt und ob die genannten Briefe jetzt nicht etwa sogar im heutigen zweiten Korintherbrief enthalten sind.

Und es gibt tatsächlich eine ganze Reihe von Gründen, die eine solche Annahme stützen. Schauen wir uns den zweiten Korintherbrief dazu etwas genauer an.

3. Die Gliederung des Briefes

Der heute vorliegende Text ist folgendermaßen aufgebaut:

a. 2 Kor 1-7: Zwischenbesuch und Versöhnung

Er beginnt - nach dem üblichen Präskript - mit Bemerkungen über den Zwischenbesuch und die Versöhnung.

[V]
2 Kor 1,1-1,2
Adresse.
Paulus und Timotheus sind Absender des Briefes.
Timotheus ist also inzwischen wohl wieder in Ephesus.
Paulus, Silas und Timotheus werden in 2 Kor 1,19 als Gemeindegründer, bzw. eigentliche Missionare der Gemeinde genannt.
[V]
2 Kor 1,3-1,7
Danksagung;
hier in Form einer Eulogie.
Paulus spricht von Drangsal, Leiden und Tröstung.
[V]
2 Kor 1,8-1,11
Rückblick auf eine überstandene Todesgefahr in der Asia.
Hier ist wohl Ephesus als Hauptstadt der Provinz Asia gemeint.
Diese Perikope, die einen Rückblick darstellt, lässt die Vermutung zu, dass dieser Abschnitt nicht in Ephesus verfasst worden ist. Ein Hinweis also auf die Abfassung in Makedonien.
[V]
2 Kor 1,12-1,14
Paulus verteidigt sich gegen Missverständnisse.
[V']
2 Kor 1,15-1,24
Hier rechtfertigt er seine neuen Reisepläne.
Er ist auf dem Landweg nach Makedonien weitergereist und nicht direkt nach Korinth, wie er ursprünglich vorhatte. (vgl. 2 Kor 1,15-16; 2 Kor 1,23).
1 Kor 16 war noch nicht klar, ob er die Kollekte selbst nach Jerusalem bringen wollte, jetzt scheint er sich sicher zu sein, tatsächlich selbst hingehen zu wollen.
[V]
2 Kor 2,1-2,4
Rückblick auf den Zwischenbesuch und den Tränenbrief.
[V]
2 Kor 2,5-2,11
Verzeihung für denjenigen, der ihn auf dem Zwischenbesuch beleidigt hatte.
Hier wird also eine gute Wirkung des Tränenbriefes vorausgesetzt. Paulus geht es demnach in diesem Teil um Versöhnung.
[V]
2 Kor 2,12-2,13
Paulus ist von Troas nach Makedonien gereist.
Die Sorge, die Paulus umtreibt, weil Titus noch nicht eingetroffen ist, setzt voraus, dass von vorneherein ausgemacht war, dass Titus, der mit dem Tränenbrief in Korinth war, über Makedonien nach Troas dem Paulus entgegenkommen sollte.
Warum hat Titus aber dann den Korinthern die geänderten Reisepläne des Paulus nicht erklärt? Dies spricht eigentlich schon dagegen, 2 Kor 1,15-24 aus dem Zusammenhang auszuscheiden und als Tränenbrief zu betrachten.
Titus wird übrigens in der Apostelgeschichte in diesen Zusammenhängen nie erwähnt, er gehört allerdings zu den Begleitern Pauli beim später Apostelkonzil genannten Treffen in Jerusalem.
[A]
2 Kor 2,14-7,4
Verteidigung und Rechtfertigung des Apostolates des Paulus (Apologie).
Dieser Block bildet einen seltsam geschlossenen Eindruck. Einzig störend sind die sechs Verse 2 Kor 6,14-7,1, die allerdings ein späterer Einschub sein könnten. Ansonsten scheint hier tatsächlich das Fragment eines eigenen Schreibens vorzuliegen, das Paulus dem Titus als Verteidigung von Ephesus nach Korinth mitgegeben hat.
[V]
2 Kor 7,5-7,7
Dieser Abschnitt nimmt 2 Kor 2,13 wieder auf. Paulus trifft Titus in Makedonien und bekommt gute Nachrichten. Wenn 2 Kor 2,14-7,4 ursprünglich in diesem Schreiben gestanden haben, dann erhebt sich die Frage, warum sie den Zusammenhang so deutlich stören.
[V]
2 Kor 7,8-7,16
Paulus erinnert an den Tränenbrief, erwähnt die Begegnung mit Titus und drückt seine Freude aus über die Versöhnung.

b. 2 Kor 8-9: Zwei Kollektenkapitel

Die Kapitel 8 und 9 erwähnen nun ausdrücklich die Kollekte für Jerusalem. Dies ist an dieser Stelle ungewöhnlich. Normalerweise behandelt Paulus die Kollekte gegen Ende eines Schreibens.

Auffallend ist auch, dass die Kollekte in diesen beiden Kapiteln recht unterschiedlich behandelt wird.

[V]
2 Kor 8,1-8,5
Hier spricht Paulus davon, dass sich Makedonien im Blick auf die Kollekte selbst übertroffen habe.
[V]
2 Kor 8,6
Dieser Vers setzt einen früheren Besuch des Titus voraus.
Vielleicht ist die Kollekte nach dem Zwischenbesuch ins Stocken geraten und Titus sollte sie zu Ende bringen.
[V]
2 Kor 8,7-8,15
Die Korinther werden zu Eifer ermuntert.
[V]
2 Kor 8,16-8,17
Die Tätigkeit des Titus in Korinth.
[V]
2 Kor 8,18-8,22
Paulus hat einen Bruder mitgeschickt, offenbar damit in der angespannten Situation keine Verdächtigungen aufkommen.
[V]
2 Kor 8,23-8,24
Titus wird erneut gelobt.
Die Brüder werden ἀπόστολοι ἐκκλησιῶν ["apóstoloi ekklæsiôn"], "Abgesandte der Gemeinden", genannt. Ein wichtiger Hinweis darauf, dass der Aposteltitel alles andere als auf die Zwölf beschränkt war.
[A']
2 Kor 9,1
Hier setzt Paulus ganz überraschend mit der Formulierung ein, dass über die Kollekte zu schreiben ja überflüssig sei.
[A']
2 Kor 9,2
Paulus lobt die Bereitschaft der Gemeinden in Achaia und Makedonien.
[A']
2 Kor 9,3
Er hat die Brüder nach Korinth geschickt, damit er sich nicht umsonst über den Eifer der Korinther gerühmt hat.
[A']
2 Kor 9,4
Ein eigenes Kommen des Paulus wird angekündigt.
[A']
2 Kor 9,5
Ermahnung dafür, alles vorzubereiten.
[A']
2 Kor 9,6-9,15
Ermunterung zur reichlichen Sammlung und zu Eifer.

c. 2 Kor 10-13: Äußerst scharfe Auseinandersetzung mit den Gegnern

Mit den Kapiteln 10 bis 13 setzt wieder ein neuer Abschnitt ein. Sie bilden eine in sich geschlossene Einheit, in der eine äußerst scharfe Auseinandersetzung mit den Gegnern des Paulus erfolgt.

Allgemein wird hier mit einem selbständigen Schreiben gerechnet. Man nennt diese Schrift in der Forschung daher den sogenannten "Vierkapitelbrief".

[T]
2 Kor 10,1-13,10
Paulus zeigt sich mit den Vorwürfen vertraut.
Versuch einer Widerlegung.
[T]
2 Kor 13,11-13,13
Briefschluss.

4. Einzelne Teilbriefe?

Bereits der Blick auf den Aufbau des zweiten Korintherbriefes macht deutlich, dass in diesem Schreiben eine Reihe eigenartiger Teilstücke enthalten sind, die nicht so recht in den Zusammenhang zu passen scheinen.

Darüber hinaus ist zudem ja die Frage noch nicht geklärt, was mit dem im Brief selber erwähnten sogenannten "Tränenbrief" geschehen ist. Ist er verloren gegangen oder wurde er in den zweiten Korintherbrief eingearbeitet, ist er dementsprechend in diesem Schreiben enthalten?

Es werden heute ganz unterschiedliche Thesen diskutiert. Untersuchen wir den Brief daraufhin noch einmal genauer.

a. 2 Kor 1,15-24: Der Tränenbrief?

Das erste Interesse der Forschung galt natürlich der Frage nach dem "Tränenbrief".

Einige Exegeten meinten ihn denn auch in 2 Kor 1,15-24 zu finden. Dort heißt es nämlich:

"In dieser Zuversicht wollte ich zunächst zu euch kommen, damit ihr ein zweites Mal Gnade erfahren hättet. Von euch wollte ich dann nach Mazedonien reisen und von Mazedonien zu euch zurückkommen, um von euch nach Judäa geleitet zu werden. War dieser Entschluss etwa leichtsinnig? Plane ich, wie manche Menschen planen, so dass mein Ja auch ein Nein sein kann? Gott ist treu, er bürgt dafür, dass unser Wort euch gegenüber nicht Ja und Nein zugleich ist. Denn Gottes Sohn Jesus Christus, der euch durch uns verkündigt wurde - durch mich, Silvanus und Timotheus -, ist nicht als Ja und Nein zugleich gekommen; in ihm ist das Ja verwirklicht. Er ist das Ja zu allem, was Gott verheißen hat. Darum rufen wir durch ihn zu Gottes Lobpreis auch das Amen. Gott aber, der uns und euch in der Treue zu Christus festigt und der uns alle gesalbt hat, er ist es auch, der uns sein Siegel aufgedrückt und als ersten Anteil (am verheißenen Heil) den Geist in unser Herz gegeben hat. Ich rufe aber Gott zum Zeugen an und schwöre bei meinem Leben, dass ich nur um euch zu schonen, nicht mehr nach Korinth gekommen bin. Wir wollen ja nicht Herren über euren Glauben sein, sondern wir sind Helfer zu eurer Freude; denn im Glauben seid ihr fest verwurzelt." (2 Kor 1,15-24.)

Dieser Abschnitt sei also der unter Tränen geschriebene Brief.

b. 2 Kor 6,14-7,1: Die Apologie

Ein zweiter, auffallender Abschnitt waren die Kapitel 2 Kor 2,14-7,4. Dieser Teil wirkt wie ein einheitlicher Block, mit Ausnahme der Verse 2 Kor 6,14-7,1. Es handelt sich hierbei um eine ausführliche Auseinandersetzung Pauli mit seinen Gegnern. Hinter diesem Abschnitt vermutet man daher gemeinhin einen eigenen Brief, gleichsam eine Apologie, eine Verteidigungsschrift des Paulus.

c. Zwei Kollektenschreiben?

Auch die beiden Kapitel 8 und 9 erregen in der Forschung Aufsehen. Sie behandeln auf recht unterschiedliche Art und Weise ja die Frage der Kollekte und lassen von daher auf verschiedene Briefsituationen schließen.

Kapitel 9 schildert wohl einen älteren Stand der Dinge bezüglich der Kollekte als Kapitel 8. In der Darstellung von 2 Kor 8 scheint die Kollekte schon bedeutend weiter fortgeschritten zu sein. Sie steht kurz vor ihrem Abschluss.

In 2 Kor 9 hingegen ist die Kollekte in Makedonien erst in Gang gekommen, während die Fortschritte in Achaia von Paulus gelobt werden.

Hier vermuten einige Forscher demnach zwei Abschnitte aus verschiedenen Schreiben, die bezüglich der Kollekte nach Korinth gesandt wurden. Manche sprechen sogar von zwei eigenen Kollektenschreiben.

d. Versöhnungsschreiben und Vierkapitelbrief

Und dann bleibt die Frage, warum ein Brief, der so versöhnlich beginnt, auf solch polemische Art und Weise endet. Der versöhnliche Stil der ersten beiden Kapitel und der zweiten Hälfte des siebten Kapitels passt schließlich absolut nicht zum scharfen Stil der Kapitel 10-13. Wodurch sollte der Stimmungsumschwung des Paulus in ein und demselben Brief motiviert sein?

In den letzten vier Kapiteln des zweiten Korintherbriefes setzt sich Paulus äußerst scharf mit Gegnern auseinander. Es scheinen dies die gleichen Leute zu sein, die Paulus auch in 1 Kor 9 und 2 Kor 2,14-7,4 Schwierigkeiten machen.

Wenn wir uns nun die Äußerungen Pauli in diesem Zusammenhang anschauen, dann ist es kaum denkbar, dass die Kapitel 10-13 mit dem Rest des zweiten Korintherbriefes in einem ursprünglichen Zusammenhang stehen.

e. Zwischenergebnis

Somit hätten wir jetzt bereits sechs Fragmente im zweiten Korintherbrief erhoben, die eine eigene Situation voraussetzen oder sich doch zumindest in den heutigen Zusammenhang des zweiten Korintherbriefes nur sehr sperrig einordnen lassen.

So neigen viele Forscher heute auch dazu anzunehmen, dass hier mehrere Briefe zu einem einzigen Text zusammenkomponiert wurden. Bis zu sechs ursprünglich selbständigen Schreiben werden vermutet.

Daneben gibt es natürlich auch noch die klassische Annahme, dass der zweite Korintherbrief ein einheitlicher Text sei, der mehr oder weniger in der uns heute vorliegenden Form abgefasst wurde.

Ich möchte nun in der Folge die Theorie wiedergeben, die Rudolf Pesch bevorzugt. Er geht davon aus, dass man mit einer Annahme von drei ursprünglich selbständigen Schreiben auskäme, um eine sinnvolle Erklärung der Entstehung des zweiten Korintherbriefes bieten zu können.

Nicht jedes Fragment muss ja schon ein eigenes Schreiben gewesen sein. Es kann schließlich auch nicht angehen, die heutigen Texte einfach in eine Vielzahl von angeblich ursprünglich selbständiger Schreiben zu zerlegen. Die jeweiligen Briefe müssen schließlich auch sinnvoll in einer Pauluschronologie untergebracht werden können.

Im Zusammenhang mit dem zweiten Korintherbrief lassen sich aber mehr als drei Schreiben kaum sinnvoll abdecken. Drei Briefe aber als ursprünglich anzunehmen, das scheint im Verlauf der Ereignisse dann durchaus angebracht.

  • So kann man vermuten, dass sich hinter der Bemerkung in 2 Kor 10,9-10 ein Brief verbirgt. Hier schreibt Paulus:
    "... ich möchte nicht den Anschein erwecken, als wollte ich euch durch meine Briefe einschüchtern. Ja, die Briefe, wird gesagt, die sind wuchtig und voll Kraft, aber sein persönliches Auftreten ist matt, und seine Worte sind armselig." (2 Kor 10,9-10)
    Diese Zeilen lassen vermuten, dass Paulus einen Brief nach Korinth gesandt hat, in dem er ganz massiv seine Position verteidigte. Man rechnet aufgrund dieser Stelle demnach mit einer "Apologie" des Paulus.
  • Dann haben wir ja bereits mehrfach den Tränenbrief erwähnt, an den Paulus in 2 Kor 2,4 erinnert.
  • Und als dritten Brief hätten wir dann noch jenen anzunehmen, in dem Paulus auf die vorangegangen Schreiben zurückblickt. Nach dem Tränenbrief wäre dies ein Text, in dem nun einen Versöhnung mit der Gemeinde in Korinth stattfindet.

So lassen sich - gemäß des geschichtlichen Ablaufes, den ich vorher zu rekonstruieren versucht habe, und entsprechend der Hinweise im zweiten Korintherbrief selbst - folgende Schreiben aus dem heutigen Textzusammenhang herauslösen.

5. Versuch einer Teilungshypothese auf der Grundlage von drei selbständigen Briefen

a. Der "Vierkapitelbrief" als "Tränenbrief"

Schauen wir zuerst auf die Kapitel 10-13 des zweiten Korintherbriefes. Wir haben im Blick auf den Aufbau ja bereits gesehen, dass diese vier Kapitel einen ganz eigenen Abschnitt bilden. Als "Vierkapitelbrief" wird er von den meisten Exegeten ja als eigenes Schreiben gehandelt.

Wenn wir uns diese vier Kapitel genauer ansehen, dann fällt auf, dass Paulus hier offensichtlich bereits auf den Zwischenbesuch in Korinth zurückblickt. Dieser Kurzbesuch wird 2 Kor 10-13 als bereits geschehen vorausgesetzt.

So heißt es in 2 Kor 13,1-2 etwa:

"Zum dritten Male komme ich jetzt zu euch. [...] Ich habe es denen, die früher gesündigt haben und den andern allen vorausgesagt, als ich zum zweiten Male anwesend war, und sage es jetzt (noch einmal) voraus in der Abwesenheit: Wenn ich wiederkomme, werde ich keine Schonung üben." (2 Kor 13,1-2.)

Paulus kündigt also bereits einen dritten Besuch an, auf dem es keine Schonung mehr geben wird.

Auch blickt er in diesen vier Kapiteln auf frühere Briefe zurück, insbesondere auf die Apologie. Er schreibt in 2 Kor 10,9-10, jener Stelle, die ich bereits eben zitiert habe:

"... ich möchte nicht den Anschein erwecken, als wollte ich euch durch meine Briefe einschüchtern. Ja, die Briefe, wird gesagt, die sind wuchtig und voll Kraft, aber sein persönliches Auftreten ist matt, und seine Worte sind armselig." (2 Kor 10,9-10.)

Hier scheint ein deutlicher Nachhall der Apologie vorzuliegen. Auch die Wirkungsgeschichte derselben und die Argumente, mit der die Gegner dieses Schreiben suchten zunichte zu machen, sind hier genannt.

Darüber hinaus erwähnt Paulus in 2 Kor 12,18, dass Titus in Korinth gewesen ist:

"Ich habe den Titus ersucht (zu euch zu gehen) und den Bruder mit ihm gesandt; [...]" (2 Kor 12,18.)

Im Versuch der Rekonstruktion der geschichtlichen Ereignisse habe ich ja vorausgesetzt, dass Titus die Apologie nach Korinth gebracht hatte. Auch diese Stelle wäre demnach ein Hinweis dafür, dass wir uns in den Kapiteln 10 bis 13 auf jeden Fall in der Zeit nach dem Zwischenbesuch und nach der von uns postulierten Apologie befinden.

Diese vier Kapitel müssen aber genauso in der Zeit vor dem Besuch in Makedonien angesiedelt sein. Da Paulus einen dritten Besuch ankündigt, auf dem er keine Schonung üben möchte, kann die Versöhnung mit der Gemeinde in Korinth ja noch nicht erfolgt sein.

Es bleibt für die Abfassung dieser vier Kapitel also eigentlich nur die Zeit nach der Rückkehr vom Zwischenbesuch und vor dem Aufbruch aus Ephesus nach Makedonien übrig.

Dies aber wäre genau die Zeit in der der sogenannte Tränenbrief entstanden sein muss.

Unserer Hypothese zufolge wäre der in der Forschung sogenannte Vierkapitelbrief demnach der gesuchte "Tränenbrief". Die Tränen, die Paulus vergießt, wären dementsprechend Tränen des Zornes über die Zustände in Korinth.

b. Das Versöhnungsschreiben und die Apologie

Im Gegensatz zu den vier Schlusskapiteln sind die ersten sieben Kapitel des heutigen zweiten Korintherbriefes nun durchweg versöhnlich gehalten. Hier muss demnach auch der postulierte Versöhnungsbrief gesucht werden.

Wir haben aber bereits gesehen, dass 2 Kor 2,14-7,4 - mit Ausnahme von sechs später eingefügten Versen; 2 Kor 6,14-7,1 werden allgemein als spätere Zufügung betrachtet - einen eigenen Textblock bilden, der sich ohne weiteres aus dem Zusammenhang herauslösen lässt, den heutigen Textzusammenhang sogar stark stört. Hinter diesen Kapiteln suchen fast alle Forscher, die von einer Teilungshypothese ausgehen, die Apologie des Paulus. Dies ist eigentlich kaum umstritten.

Der Rest der ersten sieben Kapitel, also 2 Kor 1,1-2,13 und 2 Kor 7,5-16, wäre demnach der Versöhnungsbrief, der in Makedonien verfasst worden sein muss.

Bleibt in diesem Zusammenhang jedoch noch das Problem der Verse 2 Kor 1,15-24, hinter denen manche Forscher ja den Tränenbrief vermuten. Wenn man dies tut, so muss man aber erklären, welche Rolle die Kapitel 10-13 spielen sollen. Dies ist dann nämlich ein kaum zu lösendes Problem.

Die Verse 2 Kor 1,15-24 fügen sich andererseits ganz gut in den Zusammenhang des ersten Kapitels ein. Sie können durchaus ein Rückblick im Versöhnungsbrief auf den Tränenbrief sein. Sie verlangen also nicht unbedingt danach, als eigenes Schreiben angesehen zu werden.

Schauen wir uns den so rekonstruierten Versöhnungsbrief noch einmal an, um zu überprüfen, ob er irgendwelche Brüche oder Unstimmigkeiten enthält:

In 2 Kor 2,7ff bittet Paulus um Vergebung für den "jemand" (2 Kor 2,5), durch den ihm Betrübnis von Seiten der Korinther widerfahren ist (2 Kor 2,3) und den die Mehrheit der Gemeinde bestraft hat (2 Kor 2,6).

Vorausgesetzt ist hier, dass Paulus beim Zwischenbesuch von diesem jemand vor der ganzen Gemeinde erniedrigt wurde. 2 Kor 12,21 legt dies nahe. Paulus schreibt dort:

"Ich fürchte, dass, wenn ich wiederkomme, mein Gott mich euch gegenüber demütigt und dass ich um viele Leid tragen muss, die früher gesündigt, sich aber nicht bekehrt haben und von der Unreinheit, Unzucht und Schwelgerei, die sie verübt haben." (2 Kor 12,21.)

Hier wird zusätzlich noch einmal deutlich, dass der Vierkapitelbrief sehr gut der Tränenbrief sein kann. Paulus schreibt 2 Kor 12,21 unter dem Eindruck, dass ihn jemand vor der ganzen Gemeinde erniedrigt hat und die Gemeinde diesen jemand auch noch gewähren ließ.

Ja, er setzt sich hier nicht einmal mit einem einzelnen auseinander, sondern sieht die ganze Gemeinde als verführt an.

Hier ist am ehesten davon auszugehen, dass ein angesehenes Gemeindemitglied beim Zwischenbesuch des Paulus in Korinth dem Paulus gegenüber aufgetreten ist. Anscheinend hat dieser Ankläger dabei einen großen Teil der Gemeinde hinter sich gebracht gehabt.

Die Situation in 2 Kor 2,3-8 ist nun eine ganz andere. Die Gemeinde hat diesen jemand bestraft und Paulus ist offensichtlich versöhnt.

Damit haben wir inhaltlich in den bisher gefunden Kapiteln nichts aufweisen können, was dagegen sprechen würde, hinter 2 Kor 1,1-2,13 und 2 Kor 7,5-16 den Versöhnungsbrief zu vermuten.

c. Das Problem der Kapitel 8 und 9

Bleibt also nur noch die Frage, wie mit den Kapiteln 8 und 9 umzugehen ist.

Beide Kapitel nehmen sich im heutigen Textzusammenhang ja recht sperrig aus und behandeln zudem auf unterschiedliche Art und Weise ein und dasselbe Thema, nämlich die Kollekte.

Es gibt in den paulinischen Selbstäußerungen aber, genauso wie in der Apostelgeschichte, keinen Hinweis darauf, dass Paulus irgendwann einmal ein eigenes Kollektenschreiben nach Korinth gesandt hätte. Wenn wir jetzt also nicht davon ausgehen wollen, dass diese beiden Kapitel ganz einfach ursprünglich selbständige Briefe gewesen sind, aber nirgendwo Erwähnung gefunden und auch sonst keine Spuren hinterlassen haben, dann stellt sich die Frage, wie und wo wir die Kapitel 8 und 9 in den drei, doch recht gut bezeugten Schreiben unterzubringen haben.

(1) 2 Kor 9 und die Apologie

Schauen wir uns dazu zunächst das Kapitel 9 an, das wir gegenüber 2 Kor 8 ja bereits als älteres Kapitel identifiziert haben. Paulus spricht hier folgendermaßen:

"Über den Dienst für die Heiligen euch zu schreiben ist für mich überflüssig. Ich kenne ja eure Bereitwilligkeit und pflege sie den Mazedoniern gegenüber an euch zu rühmen, (indem ich erkläre:) Achaia ist schon seit Jahresfrist gerüstet. Und euer Eifer hat die meisten angespornt. Die Brüder aber habe ich trotzdem gesandt, damit nicht unser Rühmen über euch sich in diesem Punkte als gegenstandslos erweise, sondern damit ihr wirklich, wie ich behauptet habe, gerüstet dastehet." (2 Kor 9,1-3.)

Zunächst ist die Erwähnung einer Sendung von Brüdern interessant. Wir haben im Zusammenhang des zweiten Korintherbriefes nämlich einen Hinweis darauf, dass Paulus "Brüder" nach Korinth gesandt hat, nämlich in unserem rekonstruierten Tränenbrief. Es heißt hier in 2 Kor 12,17-18:

"Habe ich euch etwa durch irgendeinen von denen, die ich zu euch gesandt habe, übervorteilt? Ich habe den Titus ersucht (zu euch zu gehen) und den Bruder mit ihm gesandt; hat vielleicht Titus euch übervorteilt? Sind wir nicht in demselben Geiste gewandelt? Nicht auf den selben Spuren?" (2 Kor 12,17-18.)

Hier spricht Paulus also davon, dass er zwei Brüder nach Korinth gesandt hat, die die Gemeinde nicht übervorteilt hätten. Diese Notiz könnte inhaltlich mit 2 Kor 9,3 zusammengehen und auf die Kollekte abzielen.

Dann aber müsste 2 Kor 9 zeitlich vor der Abfassung von 2 Kor 10-13 anzusetzen sein, also nach unserer Hypothese vor der Abfassung des Tränenbriefes.

Gibt es hierfür Anhaltspunkte in unserer Chronologie?

Schauen wir uns zunächst an, wie die Sache mit der Kollekte in Korinth angelaufen ist.

Wir können davon ausgehen, dass Timotheus, als er im Herbst 51 n. Chr. nach Korinth unterwegs war - Paulus erwähnt das im 1 Kor B - die Kollekte in Korinth in Gang brachte.

Kurz zuvor scheint Paulus ja bei seinem Besuch in Antiochien wieder an die eingegangene Kollektenverpflichtung erinnert worden zu sein - ich habe darauf im Zusammenhang mit dem ersten Korintherbrief bereits hingewiesen. Zur gleichen Zeit in der Timotheus nach Korinth geschickt wurde, brachte Paulus auf dem Weg von Antiochien nach Ephesus auch in Galatien (1 Kor 16,1) die Kollekte in Gang.

Die Kollekte in Korinth drohte nun ins Stocken zu geraten. Dies ist durchaus mit den gegen Paulus aufgekommenen Vorwürfen durch seine judenchristlichen Gegner erklärbar.

Wir haben jetzt aus 2 Kor 12,17-18 geschlossen, dass Paulus den Titus mit einem Schreiben nach Korinth sandte. Dieses Schreiben, eine Verteidigung des Apostels, also die Apologie, sollte seine Stellung in Korinth wieder herstellen.

Es ist jetzt durchaus sinnvoll anzunehmen, dass Paulus in diesem Zusammenhang nicht nur sein Apostelamt verteidigte, sondern auch daran erinnerte, dass die Kollekte für die Armen in Jerusalem nicht unter den Zwistigkeiten leiden dürfe.

In der damaligen Situation, in der Timotheus einige Zeit zuvor die Kollekte in Gang gebracht hatte, war es nicht notwendig noch einmal ausführlich den Sinn dieser Sache zu erläutern und lang und breit auf sie einzugehen. Zumal Paulus in einem früheren Schreiben, nämlich in 1 Kor 16,1ff ausführlich Anfragen der Korinther über die Kollekte behandelt hatte. Paulus konnte deshalb jetzt ganz einfach sagen:

"Über den Dienst für die Heiligen euch zu schreiben ist für mich überflüssig." (2 Kor 9,1.)

Demnach ist es nicht unwahrscheinlich, dass 2 Kor 9 in den Zusammenhang des Besuches des Titus und eines weiteren Bruders in Korinth gehört. Bei diesem Besuch wurde unserer Hypothese zufolge aber die Apologie überbracht.

Nicht unwahrscheinlich also, dass Paulus damals auch an die Kollektenverpflichtung erinnerte und dass 2 Kor 9 demnach ursprünglich zur Apologie gehörte.

Dazu passt, dass 2 Kor 9 inhaltlich gesehen keine genauen Anweisungen für die Kollekte bietet, sondern eigentlich nur ein Ansporn ist, nicht nachzulassen.
Auch ist es für Paulus üblich, gegen Ende eines Schreibens noch auf die Kollekte zu sprechen zu kommen.

Wenn dem so wäre, dann hätte die Apologie unserer Rekonstruktion nach folgende Abschnitte umfasst:

(2) 2 Kor 8 und der Versöhnungsbrief

Kommen wir damit zu 2 Kor 8, ein Kapitel, das wir im Vergleich zu 2 Kor 9 ja bereits als jüngeren Text erkannt haben. Die Kollekte in Makedonien, die 2 Kor 9 gerade angefangen hatte, war nun beinahe abgeschlossen. In Korinth aber war die Sache über die Zwistigkeiten ins Stocken geraten.

2 Kor 8,10-11 muss Paulus deshalb die Korinther ermahnen:

"Und so gebe ich euch in dieser Angelegenheit nur einen Rat; denn das gereicht euch zum Nutzen, weil ihr nicht nur mit dem Tun, sondern auch mit dem Wollen vorher, nämlich seit dem vorigen Jahr angefangen habt. Nun aber bringt das Werk zu Ende, damit der Bereitschaft des Wollens das Durchführen entspreche, nach Maßgabe des Vermögens." (2 Kor 8,10-11.)

Kapitel 8 gehört demnach in die Zeit des Abschlusses der Kollekte und dementsprechend auch in die Zeit des Versöhnungsbriefes. Wir können es als Fortsetzung von 2 Kor 7,5-16 ansehen und somit dem Versöhnungsbrief zuordnen.

Demnach sähe unser Rekonstruktionsversuch des Versöhnungsbriefes folgendermaßen aus:

Fragen, die verschiedentlich diskutiert werden, ob nämlich in den Versen 2 Kor 1,1-2,13 noch Teile der anderer Schreiben enthalten sind, lassen wir dabei der Einfachheit halber hier ganz einfach außer Acht.

d. Die Komposition

Schauen wir uns vielmehr noch einmal an, wie diese einzelnen Briefe des Paulus nun zum sogenannten zweiten Korintherbrief zusammengestellt worden wären. Die Komposition des zweiten Korintherbriefes wäre unserer Rekonstruktion zufolge im Grunde recht einfach.

Der Redaktor hatte den Versöhnungsbrief als Grundlage genommen und an passender Stelle dabei die Apologie eingefügt und zwar nach 2 Kor 2,13.

In 2 Kor 2,13 war von der Reise des Paulus nach Makedonien die Rede. Da die Apologie in 2 Kor 2,14 mit der Mission des Paulus beginnt und sie gleichsam mit einem Triumphzug vergleicht, ist der Anschluss an dieser Stelle ganz passend gewählt.

Lediglich der Kollektenabschnitt der Apologie wurde an anderer Stelle eingefügt, nämlich nach Kapitel 8, dem Kollektenkapitel des Versöhnungsbriefes. Dort fügt sich dieser Abschnitt ja inhaltlich am besten ein.

Den Tränenbrief mit seinen heftigen Äußerungen und der zweimaligen Erwähnung seines Kommens schloss der Redaktor dann am Ende an. So passen diese harten Äußerungen sicher noch am Besten in den ansonsten versöhnlich gehaltenen Grundton der übrigen beiden Schreiben.

Auf diese Art und Weise lassen sich - bei allen Fragen die bleiben - die Spannungen im heutigen Textverlauf des zweiten Korintherbriefes am Besten lösen.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkung

1 Wo nicht anders vermerkt folge ich meinem Lehrer Rudolf Pesch, Einführung in das Neue Testament II - nicht autorisierte Vorlesungsmitschrift des WS 1980/81 (Albert-Ludwig-Universität Freiburg i. Br.). Zur Anmerkung Button