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Weiter-ButtonZurück-Button Der Römerbrief ⋅1⋅

Damit kommen wir zum umfangreichsten Schreiben unter den Paulusbriefen überhaupt, nämlich zum Römerbrief.

1. Die Adressaten

Die Adressanten dieses Briefes nennt uns Röm 1,7: Es sind die Christen in Rom angesprochen. Er schreibt:

"An alle in Rom, die von Gott geliebt sind, die berufenen Heiligen..." (Röm 1,7.)

Paulus verwendet hier allerdings interessanterweise nicht den Begriff ἐκκλησία ["ekklæsía"], also "Gemeinde", im Blick auf seine Adressaten. Dies hat zu unterschiedlichen Erklärungsversuchen geführt.

  • Manche Exegeten gehen davon aus, dass es in Rom schon zu dieser Zeit mehrere Hausgemeinden gegeben habe. So hätte Paulus kaum an die ἐκκλησία ["ekklæsía"] von Rom schreiben können.
  • Eine andere Möglichkeit ist die, dass Paulus die römische Gemeinde zu schlecht kannte, um sie direkt ansprechen zu können.

Tatsache ist, dass es schon zu sehr früher Zeit zur Entstehung einer römischen Gemeinde gekommen sein muss. Wie dies geschehen ist, wissen wir nicht. Es gibt allerdings viele Nachrichten über Spannungen, die sich offenbar zwischen Christen und Juden in Rom ergaben. Sie scheinen so tiefgreifend gewesen zu sein, dass selbst der Kaiser eingreifen musste. Ich möchte hier nur an das Claudiusedikt des Jahres 49 n. Chr. erinnern. Durch diesen Erlass wurden die Juden in Rom gezwungen, die Stadt zu verlassen. Anlass dieses Edikts war ein Aufruhr, der unter ihnen entstanden war. Und vermutlich handelte es sich hierbei um eine Auseinandersetzung zwischen Juden und Christen - für die Römer der damaligen Zeit noch eine rein innerjüdische Angelegenheit.

Nach der Vertreibung der Juden und damit auch der Judenchristen aus Rom konnten sich vermutlich in der Regel nur noch die heidenchristlichen Familien in Rom halten. Dies führte zu einer Dominanz des heidenchristlichen Elementes in der Reichshauptstadt.

Paulus scheint dies in seinem Brief auch vorauszusetzen. Die Israelkapitel, Röm 9-11, sollen schließlich den Heidenchristen deutlich machen, dass sie sich Israel gegenüber nicht zu rühmen haben. So etwas schreibt man natürlich nur an eine Gemeinde, in der die Heidenchristen das vorherrschende Element waren.

Persönlich gekannt hat Paulus die Gemeinde in Rom zum Zeitpunkt der Abfassung des Briefes vermutlich nicht. Aber durch Aquila und Priscilla, die ja zu den aus Rom Ausgewiesenen gehörten, scheint er recht ausführlich über die Verhältnisse in und die Fragen der Gemeinde von Rom informiert worden zu sein.

Natürlich darf man auch andere Informationsquellen voraussetzen. Über die Hauptstadt Rom war mit Sicherheit in der damaligen Zeit überall etwas zu erfahren.

2. Die Situation

Entstanden ist der Römerbrief mit einiger Wahrscheinlichkeit im Sommer 54 oder Frühjahr 55 n. Chr. Damals befand sich Paulus auf der dritten Missionsreise, vermutlich in Korinth. Den Phil C hatte er zu dieser Zeit möglicherweise bereits geschrieben.

Wenn Kapitel 16 des Römerbriefes ursprünglich zu diesem Schreiben dazugehörte - wir werden auf dieses Problem gleich noch zu sprechen kommen -, dann haben wir dort einen wichtigen Hinweis auf die Abfassung des Römerbriefes in Korinth. Paulus schreibt nämlich in Röm 16,23a, dass er bei Gaius in Korinth wohne. Diesen Gaius hatte er - wie er in 1 Kor 1,14 schrieb - ja selbst getauft.

Sein Plan war nun, die Mission im Westen vorwärtszutreiben. Dies bringt Paulus unter anderem in Röm 15,23-24 zum Ausdruck. Dabei trägt er sich mit dem Gedanken, bis Spanien vorzudringen (Röm 15,24). Ausdrücklich wird der Besuch in Rom dabei angekündigt.

Angesichts der vielen Gegner, die er hat, braucht Paulus nun die Gewogenheit der römischen Gemeinde. Er möchte sie zum Missionsstützpunkt im Westen machen.

Eine ganz ähnliche Bedeutung hatte ja zuvor für ihn bereits die Stadt Ephesus gehabt. Sie war so etwas wie der Missionsstützpunkt im Osten.

Mit dem Brief an die Römer möchte sich Paulus demnach der ihm unbekannten Gemeinde gleichsam empfehlen. Das Schreiben will die Grundlage seiner Theologie, seiner Berufung und seines missionarischen Werkes vorstellen. Der Brief ist demnach theologisch ungeheuer interessant und von daher auch so etwas wie das Kompendium der paulinischen Theologie. Auf den theologischen Gehalt des Römerbriefes werde ich im Zusammenhang mit dem Überblick über die paulinische Theologie noch eingehender zu sprechen kommen. Wir können diese Frage demnach hier einfach übergehen.

Sei lediglich noch erwähnt, dass der Brief selbst wohl von einer Christin namens Phoebe aus Kenchreae überbracht worden ist (Röm 16,1).

3. Der Aufbau des Briefes

Der Aufbau des Römerbriefes lässt sich nun kurz folgendermaßen darstellen:

Röm 1,1-7
Präskript mit ausführlicher Selbstvorstellung.
Röm 1,8-15
Danksagung
Röm 1,16-5,21
Die Lehre von der Rechtfertigung.
Vor Gott sind alle Menschen Sünder. Der Mensch kann nur durch Glauben gerecht gemacht werden, was am Beispiel Abrahams expliziert wird.
Im Gegensatz zum Galaterbrief, 2. Korintherbrief und Philipperbrief, die viel stärker polemisieren, legt Paulus seine Lehre hier in systematischer und sachlicher Form vor.
Röm 6,1-8,39
Die Konsequenz der Rechtfertigungslehre im Blick auf die Themen Sünde, Gesetz und Geist.
Röm 9,1-11,33
Das Versagen und der Unglaube Israels und seine Chance der Bekehrung.
Röm 12,1-13,14
Mahnungen an die ihm nicht näher bekannten Christen Roms.
Röm 14,1-23
Das Problem der Schwachen und der Starken in der Gemeinde.
Vgl. die Ausführungen in den Korintherbriefen.
Röm 15,1-13
Das Zusammenleben von Juden- und Heidenchristen.
Röm 15,14-21
Das Apostolat des Paulus.
Röm 15,22-33
Die Bekanntgabe der Reisepläne.
Röm 16,1-27
Das Grußkapitel.

4. Das Problem des 16. Kapitels des Römerbriefes

Allgemein wird der Brief in der Forschung dabei als einheitlich betrachtet. Schwierigkeiten bereitet lediglich das 16. Kapitel. Es wird äußerst kontrovers beurteilt.

Vielen Forschern scheint es nämlich, fraglich zu sein, dass dieses Kapitel mit den vielen zu grüßenden Personen ursprünglich zu diesem Brief gehört hat. Die römische Gemeinde war dem Paulus doch unbekannt, wie sollte er dann all diese Leute kennen?

Um dies zu beurteilen müssen wir zunächst das Grußkapitel Röm 16 etwas genauer untersuchen.

Man kann es in fünf Abschnitte einteilen:

a. Erster Abschnitt: Röm 16,1-2

Der erste Abschnitt umfasst Röm 16,1-2. Hier empfiehlt Paulus die Phoebe, die den Brief überbringt.

Dieser Abschnitt hat mit Sicherheit ursprünglich schon zum Römerbrief gehört.

b. Zweiter Abschnitt: Röm 16,3-16

Der zweite Abschnitt ist Röm 16,3-16. Hier handelt es sich um eine Liste von Grüßen, die Paulus in Rom bestellen lässt.

Wie sieht dieser Abschnitt genauer aus?

Röm 16,3-4
Enthalten Grüße an Aquila und Priscilla.
Röm 16,5
Enthält einen Gruß an Epaenetus, den Paulus als den Erstbekehrten der Asia bezeichnet.
Röm 16,6
Erwähnt eine Maria, die bei der Missionsarbeit viel geleistet hat.
Röm 16,7
Enthält Grüße an Andronikus und Junia, die mit Paulus in Gefangenschaft waren.
Umstritten ist, ob Andronikus und Junia Mann und Frau waren, oder ob Andronikus und dann Junias zwei Männer sind.
Gerhard Lohfink ⋅2⋅ hat versucht nachzuweisen, dass es sich um ein Ehepaar handelt, das zudem den Aposteltitel trägt. Der Begriff "Apostel" war also in der frühen Zeit weiter verbreitet, als die spätere Vorstellung von den zwölf Aposteln es erahnen lässt. Auch ein Ehepaar und dementsprechend auch Frauen konnten diesen Titel tragen. Vermutlich hat dies später Anstoß erregt. So wurde aus der Junia der Junias.
Röm 16,8-16
Hier folgen mehrere Grüße an in Bezug auf unsere Fragestellung weniger interessante Leute.

Die Liste der zu Grüßenden wirft die Frage auf, ob wohl alle diese Leute, an die Paulus hier Grüße übermitteln lässt, damals in Rom gewesen sind bzw. dem Paulus als Mitglieder der römischen Gemeinde bekannt sein konnten. Waren Aquila und Priska etwa in Rom, oder Epaenetus, der als Erstlingsgabe der Provinz Aisia bezeichnet wird? Andronikus und Junia(s), sollen mit Paulus zusammen im Gefängnis gewesen sein. Das kann nicht in Rom gewesen sein. Sind sie jetzt in der Reichshauptstadt?

So wird immer wieder gefragt, ob diese Grüße tatsächlich von Korinth aus nach Rom gerichtet sind, oder ob hier nicht vielmehr ein Teil eines anderen Schreibens vorliegt, etwa ein Grußbrief, den Paulus vielleicht aus Rom nach Ephesus gesandt hat.

Diejenigen Forscher, die das vertreten, gehen davon aus, dass dieser Grußbrief dann einfach dem Römerbrief angehängt wurde.

Für eine Theoriebildung über Kapitel 16 sind die Angaben über Aquila und Priscilla sowie über Epaenetus ausschlaggebend. Gerade die Angaben über sie scheinen vielen Exegeten deutlich nach Ephesus zu weisen.

Gegenargumente, die für die ursprüngliche Zugehörigkeit von Kapitel 16 zum Römerbrief sprechen, wären:

  • Nach dem Tod des Claudius im Jahre 54 n. Chr. bestand für Aquila und Priscilla durchaus wieder die Möglichkeit nach Rom zurückzukehren.
  • Auch die Erwähnung, dass beide für Paulus den Nacken hingehalten haben und alle Heidengemeinden ihnen zu Dank verpflichtet seien, bräuchte Paulus in einem Brief nach Ephesus nicht zu tätigen. Eine solche Empfehlung würde eher für Rom sprechen.

Aus Röm 16,5, wo Paulus von einer Hausgemeinde bei Aquila und Priscilla spricht, könnte man sogar darauf schließen, dass beide der Missionsstrategie des Paulus gemäß in Rom den Boden für die zukünftige Tätigkeit des Paulus bereiten wollten.

  • In Bezug auf Epaenetus ließe sich auch fragen, ob den Ephesern gesagt werden müsste, dass dieser der Erstbekehrte der Asia ist. Diese Bemerkung könnte im Blick auf eine Gemeinde, die von den näheren Umständen nichts weiß, möglicherweise wahrscheinlicher sein.
  • Die Erwähnung der Gefangenschaft von Andronikus und Junia(s) lässt den Ort, wo sie sich jetzt befinden offen. Sie können sich daher ohne weiteres mittlerweile in der Reichshauptstadt niedergelassen haben.

Rudolf Pesch beispielsweise erscheinen die Argumente dafür, dass dieser Abschnitt auch ursprünglich zum Römerbrief gehörte, die gewichtigeren zu sein.

c. Dritter Abschnitt: Röm 16,17-20

Der dritte Abschnitt des Grußkapitels umfasst nun Röm 16,17-20. Hier warnt Paulus vor Irrlehrern. Diese Ausführungen stehen denen des Philipperbriefes recht nahe.

Es handelt sich um allgemeine Warnungen vor Irrlehrern, denen Paulus in seinen bisherigen Missionsgebieten begegnet ist.

Hier spricht eigentlich nichts dagegen, dass Paulus so an die Römer geschrieben haben könnte.

d. Vierter Abschnitt: Röm 16,21-24

Der vierte Abschnitt, Röm 16,21-24, umfasst den Schlussgruß selbst. Es geht um Grüße an die Adressaten durch die Mitabsender. Auch hier spricht eigentlich nichts dagegen, dass dieser Abschnitt ursprünglich zum Römerbrief gehört hat.

e. Fünfter Abschnitt: Röm 16,25-27

Röm 16,25-27, der fünfte Abschnitt des 16. Kapitels bietet eine abschließende Doxologie.

Sie weist interessanterweise starke stilistische Abweichungen von den sonstigen paulinischen Doxologien auf. Stilistisch gesehen gleicht diese Doxologie vor allem denen der Deuteropaulinen.

Da sie darüber hinaus auch noch textkritisch unsicher ist, wird sie häufig als eine nachträgliche Zufügung betrachtet. Nach Rudolf Pesch bezeugt der handschriftliche Befund eindeutig, dass diese Verse nicht zum ursprünglichen Bestand des Römerbriefes gehört haben können. ⋅3⋅

Bei allen anderen Abschnitten des 16. Kapitels gibt es aber nichts, was wirklich zwingend eine ursprüngliche Zugehörigkeit zum Römerbrief als Unmöglichkeit erscheinen lassen würde.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Wo nicht anders vermerkt folge ich meinem Lehrer Rudolf Pesch, Einführung in das Neue Testament II - nicht autorisierte Vorlesungsmitschrift des WS 1980/81 (Albert-Ludwig-Universität Freiburg i. Br.). Zur Anmerkung Button

2 Vgl.: Gerhard Lohfink, Diakonia 11 (1981) 385-400. Zur Anmerkung Button

3 Vgl.: Rudolf Pesch, Römerbrief (Würzburg 1983) 110. Zur Anmerkung Button