Die Bibel

Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...


Weiter-ButtonZurück-Button Träger der Apokalyptik, ihr Denkansatz und ihre Mittel ⋅1⋅

1. Die Träger der Apokalyptik

Dass die Apokalypsen ihre Blütezeit in den beiden Jahrhunderten unmittelbar vor und nach Christi Geburt hatten, habe ich bereits erwähnt. Seit dieser Zeit wuchs das Interesse an einer Offenbarungsliteratur ganz immens. Immer weitere jüdische Kreise wurden von dieser neuen Literaturrichtung erfasst. Dementsprechend häufig ist diese Gattung anzutreffen. Auch in den bisher behandelten Büchern des Neuen Testamentes, etwa im Judasbrief oder im 2. Petrusbrief, finden wir Anklänge an diese Art der Literatur.

Die Träger dieser Literatur sind nicht genau zu bestimmen. Man kann eigentlich nur allgemeines sagen. Vermutlich darf man die Verantwortlichen in der seit den Makkabäern stark gewachsenen Bewegung der Chassidim suchen. In solchen Conventikeln dürften diese Werke entstanden sein.

2. Der Denkansatz und seine Weiterführung

a. Der Welt unterliegt gegenwärtig einer satanischen Herrschaft

Der gemeinsame Denkansatz dieser eschatologisch interessierten Kreise ist, dass Gott seine Herrschaft zeitweise, das heißt interimsweise, satanischen Mächten überlassen hat. Diese wirken nun in der Welt. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass von diesen innerweltlichen, innergeschichtlichen Kräften letztlich nichts Positives zu erwarten ist. Gottes Eingreifen ist dementsprechend ausgesetzt und erst zukünftig zu erwarten.

Dies ist ein ganz neuer Denkansatz. Bisher hatte man das Walten Gottes in Gericht und Rettung ausschließlich innerweltlich gesehen. Jetzt aber blickte man auf ein Ende der Geschichte. Denn allein durch Gottes Eingreifen am Ende der Geschichte kann nun eine positive Erfüllung erreicht werden. Diejenigen, die - wie die Chassidim - in der Verfolgung durch diese satanischen Mächte Gott treu geblieben sind, sie werden am Ende durch Gott das Heil finden.

b. Gott schafft die Wende

Wenn sich Gott dann am Ende der Tage offenbaren werde, dann würden die Toten aus den Gräbern gerufen und zu neuem Leben erweckt. Am Ende der Geschichte stünde ein individuelles Gericht, das nach den Werken des einzelnen ergehen würde.

Wie immer diese Vorstellung von der Totenauferstehung konzipiert war, sie setzte sich allmählich durch und entwickelte sich vom Glauben an die Auferstehung der Gerechten zu einem Glauben an eine allgemeine Auferstehung aller Verstorbenen weiter.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass trotz allem die altbiblische theologische Sicht durchgehalten wurde. Die Souveränität Gottes steht auch in der Apokalyptik im Vordergrund. Vom letzten Eingreifen Gottes hängt schließlich alles ab. Zwischen Geschichte und Heil gibt es demnach keinen fließenden Übergang.

Dieses Eingreifen Gottes wurde nun für die nähere Zukunft erhofft. Ein Anzeichen dafür schien den Apokalyptikern die sich steigernde Bosheit in der Welt zu sein. Das Maß würde in Kürze voll sein und demnach stünde der richtende Zugriff Gottes un-mittelbar bevor.

Die Verzögerung dieses Endes wurde dabei natürlich immer wieder zum Problem, aber letztlich half das Sich-Klammern an die Souveränität Gottes, der allein alles ordnet, über jegliche Terminschwierigkeiten hinweg.

Es entspricht dieser theozentrischen Sicht, dass als Retter- oder Richterfigur der Menschensohn in Erscheinung tritt. Er ist ein himmlisches Wesen, das augenblicklich noch verborgen ist und auf seine Offenbarung wartet. Dabei vermag dieser Menschensohn selbstredend Gottes alles bestimmende Heilsinitiative nicht zu schmälern. Nach Dan 7,13 wird der Menschensohn-Ähnliche zum Hochbetagten, sprich Gott gebracht, nach 4 Esra 13,3 - einer späteren Schrift - führt ihn der Sturmwind aus dem Innern des Meeres empor.

Bedeutungsvoll ist auch, dass mit dem Durchblick durch das Diesseitige in eine jenseitige, kommende neue Welt ein ganz anderer geschichtlicher und eschatologischer Standort gewonnen worden war. Zum ersten Mal hatte man nun ja eine einigermaßen tragfähige Antwort für das Problem der Theodizee, für die Frage nämlich, wo die ausgleichende Gerechtigkeit für die eklatant ungerechten irdischen Verhältnisse gesucht werden müsse: in einem jenseitigen Leben nämlich.

c. Erwartungen für die Zukunft

Was die einzelnen apokalyptischen Conventikel für die neue Zeit nun genau erwarteten, das ist schwer zu sagen. Es gibt eine starke Variationsbreite über das erwartete kommende Ziel der Geschichte.

Die Erwartung hängt meist an den unterschiedlichen Ausgangspositionen in der Gegenwart. So lässt eine in Qumran gefundene Schrift erahnen, dass Gruppen in Israel aus der Kritik an der Personalunion von Hohepriesteramt und Königtum unter den Makkabäern gleich zwei Messiase erwarteten. Sie erwarteten einen königlichen und einen priesterlichen Heilbringer und damit die Wiederherstellung der angeblich ursprünglichen Ordnung Israels.

Die Vorstellungen können auch insofern auseinandergehen als man

  • die Wiederherstellung der jüdischen Nationalität durch einen nationalpolitischen Befreier erwartete,
  • oder allein die Erneuerung der religiösen Integrität erhoffte, wozu man theoretisch gar keinen Messias brauchte, sondern wozu allein Gott in die Herzen der Verfolger hätte eingreifen müssen.
  • Manche Kreise erwarteten gar die universale Erneuerung des Kosmos nach einem Zusammenbruch des Kosmos in einer neuen Sintflut oder einem Weltenbrand.

Dabei sind alle möglichen Kombinationen dieser verschiedenen Richtungen denkbar. Alle möglichen Formen der Zukunftsdeutung wurden in der Apokalyptik durchgespielt.

Nichtsdestoweniger blieb die Apokalyptik immer in das Judentum integriert. Sie hat nie den Schritt gewagt, sektiererische oder gar spalterische Formen anzunehmen. Auf der anderen Seite hat sie recht starken Einfluss auf die verschiedenen Gruppen des Judentums gewonnen.

d. Zur Ethik der Apokalyptik und der apokalytischen Conventikel

Die Ethik der Apokalyptik war dabei in etwa der der späteren Pharisäer zu vergleichen. Durch die starke Betonung der individuellen Vergeltung bekam das Gesetz und die Forderung nach seiner Beachtung eine ganz große Bedeutung. Der Mensch ist nach Auffassung der Apokalyptik zwar eingebunden in ein von bösen Mächten ausgelöstes Verhängnis, er hat aber dennoch die Freiheit und damit auch die Verantwortlichkeit und Fähigkeit, dem Gesetz zu gehorchen (Henaeth 98,4).

Die Jahwegetreuen in den apokalyptischen Zirkeln verstanden sich dabei als der Rest der Geretteten und damit als Vorhut einer neuen Zeit, als das messianische Gefolge, das mit ihm herrschen wird, wenn der Messias am nahen Ende der Tage erscheint. Hier zu vergleichen sind etwa die 144000 in der neutestamentlichen Apokalypse.

Wer zu diesen Getreuen gehören wollte, von dem wurde Umkehr und Buße verlangt. Elemente, die übrigens auch bei Johannes dem Täufer und seiner Bewegung wiederkehren. Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, dass Johannes einer solchen apokalyptischen Bewegung entsprang.

Einzelne apokalyptische Gemeinschaften haben ein eigenes Schrifttum hervorgebracht, wie wir aus den Funden in Qumran entnehmen können. Die Heiligen Schriften wurden nun eschatologisch ausgelegt, was sich ganz gut etwa im Habakukkommentar aus Qumran zeigt. Wahrscheinlich entstanden in dieser Zeit auch ganze Lebensregeln solcher Gruppen, wie uns die in Qumran gefundene Sektenregel vermuten lässt.

3. Die Mittel

Die Apokalyptik bediente sich nun - wie bereits erwähnt - der Form der Visionen und Auditionen. Diese besitzen stets einen traumartigen Charakter. Sie werden in fiktionalen Bildern vorgestellt.

  • In den Auditionen sprechen Gott oder die Engel. Sie werden dabei mit apokalyptischen Vergleichen belegt.
  • Auch werden Personen als Tiere dargestellt (Dan 7, Offb 13), womit dann meist Herrscher oder Reiche gemeint sind.
  • Und die Geschichte wird gerne als eine Kette von Naturereignissen vorgestellt.
  • Namen werden häufig mit Zahlen verschlüsselt im Sinne der Gematria.
  • Auch arbeitet die Apokalyptik gerne mit der Farbensymbolik. An dieser Stelle sind etwa die Farben der apokalyptischen Reiter aus der neutestamentlichen Apokalypse zu vergleichen.

All dies zeigt, dass die apokalyptische Literatur stark esoterisch ist. Man muss in die Symbolik eingeweiht sein, um das Ganze zu verstehen.

Auch ein eigener Kalender scheint für manche dieser Gruppen ein besonderes Merkmal gewesen zu sein (Henaeth 72-82).

Esoterik ist in diesem Zusammenhang auch so zu verstehen, dass die Apokalyptik in kleinen Kreisen gepflegt und tradiert wurde. Nur wer hier eingeweiht war, verstand die Symbolik. Ein modernes Beispiel wären hier die Freimaurerlogen.

Auch lassen die Apokalypsen einen geheimnisvollen Spielraum des Undeutbaren. So vermitteln sie sich selbst gewissermaßen eine höhere Weihe. Ihr Anspruch ist ja himmlische Weisheit zu tragen, die der Mensch nur stückweise verstehen kann.

Fast paradoxerweise läuft diesem esoterischen Charakter ein anderer entgegen. Die Schau der Apokalyptik, die die ganze Gesichte umgriff, verband sich nämlich letztlich mit einer universalen und völkerumspannenden Perspektive. Es ging ja um das Ende der Zeiten und damit um das Ende der bekannten Geschichte der Welt und aller Völker. Israel trat in dieser Sichtweise langsam in den Hintergrund.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkung

1 Wo nicht anders vermerkt folge ich meinem Lehrer Rudolf Pesch, Einführung in das Neue Testament II - nicht autorisierte Vorlesungsmitschrift des WS 1980/81 (Albert-Ludwig-Universität Freiburg i. Br.). Zur Anmerkung Button