Die Bibel

Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...


Weiter-ButtonZurück-Button Quellenlage zum Leben und zur Mission des Paulus ⋅1⋅

Kommen wir damit noch einmal - und nun in aller Ausführlichkeit - auf jene Person zu sprechen, der Lukas die zweite Hälfte der Apostelgeschichte gleichsam widmet. Kommen wir zum Apostel Paulus, seinem Leben, seiner Mission und letztlich seinen Briefen.

1. Quellen über das Leben des Paulus

Diese Briefe sind zuallererst auch die Quellen, aus denen wir die Tätigkeit und das Leben des Paulus rekonstruieren können.

Dabei gilt es zu unterscheiden zwischen Briefen, die tatsächlich von Paulus stammen und solchen, die ihm lediglich zugeschrieben werden. Diese sogenannten Deuteropaulinen, geben natürlich nur indirekt Aufschluss über seine Persönlichkeit. Sie unterrichten uns vielmehr über die Rezeption der Gedanken des Paulus, sind also Quellen, um die Wirkungsgeschichte des Völkerapostels zu erhellen.

2. Die echten Paulusbriefe als Quellen und das Problem der Briefredaktionen

In den Bereich der Wirkungsgeschichte gehört auch die Frage nach der Redaktion der sogenannten echten Paulusbriefe. Wir müssen uns ja durchaus der Frage stellen, ob die Briefe des Paulus uns heute noch so vorliegen, wie er sie damals verfasst hat.

Die meisten Forscher gehen heute nämlich davon aus, dass man am Anfang diese Briefe des Paulus lediglich gesammelt hat. Man hat sie herausgegeben, ausgetauscht und immer wieder abgeschrieben.

Zu Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr. tauschte man jedoch nicht mehr nur aus. Damals kam es anscheinend zu regelrechten Brief-Redaktionen. Einzelne Briefe scheinen ganz neu zusammengestellt worden zu sein. In dieser Beziehung wird heute ganz besonders der erste und zweite Korintherbrief und der Philipperbrief diskutiert.

Man geht hierbei davon aus, dass bei einer solchen Redaktion mehrere Briefe durch Abschneiden von Briefkopf und Briefschluss zusammengestellt wurden. So denkt man beim 2. Korintherbrief an mindestens zwei, manchmal sogar an bis zu sechs ursprünglich selbständige Schreiben, die auf diese Art und Weise nachträglich zusammengestellt wurden.

Solch eine Zusammenstellung von Briefen trägt natürlich bereits ein Stück Wirkungsgeschichte in das Quellenmaterial mit hinein. Der Briefzusammenhang ist dann schließlich ein ganz anderer, als wenn man den Brief so betrachten würde, wie er geschrieben wurde.

Gerade beim 2. Korintherbrief etwa kann man beobachten, wie ursprünglich ganz harte Aussagen anscheinend nachträglich in einen versöhnlichen Rahmen gestellt wurden. Wir werden dies bei der Besprechung der einzelnen Briefe noch sehen.

Das heißt aber, dass hier nicht nur zusammengestellt, sondern auch inhaltlich bearbeitet wurde.

Das erschwert natürlich eine Rekonstruktion der Lebensgeschichte des Paulus aus diesen Briefen.

3. Die Apostelgeschichte als Quelle und die echten Paulusbriefe

Genauso schwer ist es, die historischen Fakten aus der Apostelgeschichte zu erheben. Wir haben das bei der Besprechung des lukanischen Doppelwerkes ja bereits gesehen.

Die Apostelgeschichte, die uns als zweite Quelle für das Wirken des Paulus zur Verfügung steht, widerspricht recht häufig der Darstellung in den Briefen des Apostels. Beide Quellen zusammengenommen ergeben alles andere als ein einheitliches Bild. So ist man gezwungen, sich im Grunde zwischen drei Möglichkeiten zu entscheiden:

  • Entweder wir behandeln die echten Paulusbriefe und die Apostelgeschichte gleichrangig. Dann müssen wir bei auftretenden Schwierigkeiten nach einer Möglichkeit der Harmonisierung der beiden Quellen suchen.
  • Oder aber wir gehen davon aus, dass die Apostelgeschichte von einem Paulusschüler stammt, der die Zusammenhänge selbst erlebt hat und daher auch zutreffend beschreiben kann. Es besteht ja durchaus die Möglichkeit, dass Paulus in seinen Briefen auf dem Hintergrund einer uns unbekannten Briefsituation gesprochen hat, dass wir seine Aussageabsicht daher gar nicht so recht einordnen können. Dann wäre natürlich der Darstellung in der Apostelgeschichte der Vorzug zu geben.
  • Und die dritte Möglichkeit ist, eben davon auszugehen, dass die Paulusbriefe die einzigen wirklich authentischen Dokumente sind. Dann wären die Aussagen der Apostelgeschichte auf dem Hintergrund der echten Paulinen zu deuten. Die Informationen der Apostelgeschichte müssten dann dem, was Paulus selbst von sich sagt, zugeordnet werden.

Schon bei der Behandlung der Apostelgeschichte hat sich herausgestellt, dass die dritte Möglichkeit wohl die größte Wahrscheinlich für sich hat. Ich versuche demnach das Leben und Wirken des Paulus nach den Selbstaussagen in den echten Paulusbriefen zu rekonstruieren. Die Apostelgeschichte werde ich dann an den Stellen, an denen sie die Aussagen des Paulus stützt, begleitend zur Hilfe nehmen.

4. Die durch die Briefe abgesicherten Jahre der Paulusbiographie

Wenn wir nun aber die übliche Datierung der Paulusbriefe zugrundelegen, dann stoßen wir auf ein weiteres Problem.

Paulus schreibt den 1. Thessalonicherbrief, wie wir später noch sehen werden, zwischen 49 und 50 n. Chr. Dies ist sein erstes uns erhaltenes Schreiben. Der jüngste Brief dürfte der Römerbrief sein. Er aber ist zwischen 55 und 56 n. Chr. geschrieben worden. Damit ist aber dann nur ein recht kleiner Zeitraum abgedeckt, der darüber hinaus erst 17 Jahre nach der Bekehrung Pauli zu greifen beginnt.

Versuchen wir nun die Nachrichten, die wir von Paulus haben und die Berichte über ihn aus der Apostelgeschichte dennoch zu einem Ganzen zu verweben und eine Chronologie des Paulus zu erstellen.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkung

1 Wo nicht anders vermerkt folge ich meinem Lehrer Rudolf Pesch, Einführung in das Neue Testament II - nicht autorisierte Vorlesungsmitschrift des WS 1980/81 (Albert-Ludwig-Universität Freiburg i. Br.). Zur Anmerkung Button