Die Bibel
Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...
Konstruktion, Aufbau und stilistische Fragen des Lukas-Evangeliums ⋅1⋅
- 1. Systematische Darstellung der Veränderung der Markus-Quelle im Lukas-Evangelium
- 2. Der Aufbau
- a. Erster Hauptteil: Lk 1,1-4,13
- b. Zweiter Hauptteil: Jesu Wirksamkeit in Galiläa (Lk 4,14-9,50)
- c. Dritter Hauptteil: Beginn der Wanderung nach Jerusalem (Lk 9,51-13,30) (vor allem Q und Sondergut)
- d. Vierter Hauptteil: Erneuter Beginn der Wanderung nach Jerusalem (Lk 13,31-19,27) (u. a. Sondergut)
- e. Fünfter Hauptteil: Jesus in Jerusalem (Lk 19,28-24,53)
- 3. Stilistische Fragen
Damit kommen wir zum dritten synoptischen Evangelium, zum sogenannten Lukas-Evangelium.
1. Systematische Darstellung der Veränderung der Markus-Quelle im Lukas-Evangelium
Auch hier soll zunächst wieder der Vergleich mit dem Markus-Text die Besonderheiten der Komposition deutlich machen.
(großer Einschub)
Wenn eine Markus-Stelle von der Lukas-Parallele geringfügig abweicht, dann wurde sie in der obigen Darstellung in Klammern angegeben. Das Gleiche ist auch der Fall, wenn eine Markus-Stelle offensichtlich auch in der Logienquelle enthalten war und Lukas hier mit einiger Wahrscheinlichkeit aus Q schöpft.
Die vier großen Umstellungen, die der der Verfasser des Lukas-Evangeliums vorgenommen hat, sind von 1 bis 4 durchgezählt und farbig gekennzeichnet.
Hellgrau unterlegt und (zumindest bei Verwendung des MS-Internet Explorers) eingerahmt sind die großen Einschübe des Lukas-Verfassers. In diesen Einschüben bringt Lukas ganz konzentriert das Material, das ihm in der Logienquelle vorgelegen hat, sowie sein Sondergut.
Hier ist also ein erster großer Unterschied zum Matthäus-Evangelium festzustellen. Während Matthäus sein Material gemäß seiner Gliederungsabsicht über den ganzen Text verteilt, fügt Lukas das über Markus hinausgehende Traditionsgut, recht konzentriert, vor allem an zwei Stellen ein.
Hellgrau unterlegt und (zumindest bei Verwendung des MS-Internet Explorers) eingerahmt ist im übrigen auch die große Auslassung des Lukas-Verfassers, also der Abschnitt aus dem Markus-Evangelium, den Lukas insgesamt übergeht.
2. Der Aufbau
Sehen wir uns daraufhin den Aufbau des Lukas-Evangeliums genauer an.
a. Erster Hauptteil: Lk 1,1-4,13
Der erste Haupteil schildert die Vorgeschichten und die Vorbereitung des Auftretens Jesu.
(1) Vorgeschichten
Die Vorgeschichten überliefert Lukas als einziger der kanonischen Evangelisten. Er ist der einzige, der eine explizite Darstellung der Vorgeschichte der Geburt Jesu und der ersten Kindheitszeit in dieser Ausführlichkeit erzählt.
(2) Vorbereitung des Auftretens Jesu
Mit der Darstellung der Vorbereitung des Auftretens Jesu läuft Lukas nun parallel zu den beiden anderen synoptischen Evangelien.
b. Zweiter Hauptteil: Jesu Wirksamkeit in Galiläa (Lk 4,14-9,50)
Im zweiten Hauptteil wird Jesu Wirksamkeit in Galiläa geschildert. Hier folgt der Verfasser recht getreu seiner Markus-Vorlage, mit Ausnahme von Mk 6,45-8,26, dem Teil des Markus-Evangeliums, den Lukas ja auffallenderweise völlig auslässt.
c. Dritter Hauptteil: Beginn der Wanderung nach Jerusalem (Lk 9,51-13,30) (vor allem Q und Sondergut)
Im dritten Hauptteil schildert Lukas den Beginn der Wanderung nach Jerusalem. Auf dieser Reise fügt er nun vor allem das Traditionsgut aus der Logienquelle und sein Sondergut ein.
d. Vierter Hauptteil: Erneuter Beginn der Wanderung nach Jerusalem (Lk 13,31-19,27) (u. a. Sondergut)
Im vierten Hauptteil beginnt die Wanderung nach Jerusalem gleichsam noch einmal, indem Jesus die Notwendigkeit nach Jerusalem zu gehen darlegt. Auch in diesem Teil schöpft Lukas stark aus seinem Sondergut.
e. Fünfter Hauptteil: Jesus in Jerusalem (Lk 19,28-24,53)
Der fünfte Hauptteil berichtet nun - wie die übrigen Synoptiker auch - das Geschehen in Jerusalem vom Einzug in Jerusalem über die Kreuzigung zur Auferstehung bis hin zur Himmelfahrt Jesu.
(dazwischen Sendung Jesu zu Herodes [Antipas] 23,6-12)
3. Stilistische Fragen
Vom Stil her ist auffallend, dass der Verfasser des Lukas-Evangeliums, wie auch schon Matthäus, die Perikopen enger miteinander verbindet, als dies die Markus-Vorlage getan hat. Lukas verbessert darüber hinaus den volkstümlichen, markinischen Wortlaut. Er streicht dabei auffallenderweise alle hebräischen "Fremdwörter" mit Ausnahme des Wortes "Amen".
Allerdings ist auch das Lukas-Evangelium stilistisch nicht einheitlich. Der Verfasser ist schließlich von seinen Quellen abhängig. Und aus Rücksicht auf diese Quellen übernimmt er oftmals auch deren stilistische Unvollkommenheit, obschon das Bemühen immer wieder festzustellen ist, deren Stil zu verbessern. Wo der Lukas-Verfasser aber ganz selbständig schreibt, dort ist sein Stil ausgezeichnet. Bewusst und mit großem Geschick ahmt er schließlich den biblischen Stil der Septuaginta nach. ⋅2⋅
Obwohl der Verfasser im Aufbau seines Evangeliums grundsätzlich der markinischen Gliederung folgt, stellt er einige Teile - wie bereits gesehen - um.
Diese Umstellungen nimmt der Verfasser des Lukas-Evangeliums meist deshalb vor, damit die Klarheit der Darstellung und ihre logische Folge gewinnen. Dies lässt sich an den vier großen Umstellungen im Lukas-Evangelium gut zeigen.
- Die Verwerfung Jesu in Nazaret aus Mk 6,1-6, wird beispielsweise an den Anfang des Evangeliums gestellt. Dadurch wird die Verwerfung Jesu in seiner Heimat zu einer programmatischen Szene am Anfang der Wirksamkeit Jesu. Der Messias, der zu seinem Volk kommt, wird in seiner Heimat nicht angenommen.
- Und wenn der Verfasser des Lukas-Evangeliums die Jüngerberufung aus Mk 1,16-20 hinter die erste Tat Jesu stellt, dann deswegen, um die Berufung als eine Reaktion auf diese Aktion darstellen zu können. Jesus tritt in Erscheinung und als Reaktion auf das vorgängige Handeln des Messias folgen ihm nun die Menschen.
- Mk 3,7-12 und Mk 3,13-19, die Berufung der Zwölf und der Zulauf der Menschenmenge, wurden von Lukas ebenfalls umgestellt. Damit schließt sich der in Mk 3,20ff erwähnte erneute Zulauf von Menschen harmonischer an, als sich das im Markus-Zusammenhang darstellt.
- Und die Familienszene aus Mk 3,31-35 erhält nach der Umstellung hinter die Gleichnisrede die nötige Volksmenge, die in dieser Szene eigentlich auch vorausgesetzt wird.
Neben solchen Umstellungen lässt Lukas aber auch einige Berichte aus. Dies tut er,
- entweder weil sie für die Leserschaft des Lukas - wir werden sehen, dass es sich um Heidenchristen handelt - weniger bedeutsam waren. Der Bericht von der Wiederkunft des Eilja in Mk 9,11-13 spielte für die Hörer des Lukas anscheinend eine minder wichtige Rolle. Lukas übergeht ihn daher.
- Andere Begebenheiten aus dem Markus-Zusammenhang werden übergangen, weil Lukas sie bereits aus der Logienquelle entnommen hatte. So übergeht Lukas Mk 12,28-34, die Frage nach dem Hauptgebot. Er zitiert die gleiche Begebenheit in Lk 10,25-28 jedoch in der Form, wie er sie wohl in der Logienquelle vorgefunden hatte.
- Ein besonderes Phänomen stellt die große Auslassung des Lukas-Verfassers dar. Die Abschnitte Mk 6,45-8,26 kommen im Evangelium des Lukas ja überhaupt nicht vor. Man hat sich das Fehlen dieser Perikopen nun damit zu erklären versucht, dass Lukas ein lückenhafter Markus-Text vorgelegen habe. Dieser Abschnitt könnte in der Markus-Vorlage des Lukas ganz einfach gefehlt haben.
Eine andere Möglichkeit der Erklärung geht davon aus, dass Lukas Dubletten vermeiden wollte. Er hätte der Auffassung sein können, dass diese Stücke eine Verdoppelung darstellten.
Dies ist vor allem im Zusammenhang mit der Apostelgeschichte wichtig. Wir werden dort sehen, dass sie ja vom gleichen Verfasser wie das Lukas-Evangelium stammt. Und in der Apostelgeschichte ist ein zentrales Thema die Auseinandersetzung um die beginnende Heidenmission. Jetzt bietet Markus in Mk 7,1-23 die große Lehrrede über Reinheit und Unreinheit. Diese Rede Jesu machte im Verlauf der Darstellung des Markus die Zuwendung zu den Heiden ja erst möglich. Der Verfasser des Lukas-Evangeliums schildert die Auseinandersetzung um die Frage der Heidenmission aber erst in seinem zweiten Werk. Möglicherweise lässt er die Klärung dieser Frage im Evangelium deshalb ganz einfach weg. Wenn Jesus mit einer Rede wie in Mk 7,1-23 die Frage der Heidenmission schon entschieden hätte, wäre die ganze nachösterliche Auseinandersetzung, die Lukas ja ausführlich schildert, völlig überflüssig gewesen. - Darüber hinaus lässt der Verfasser des Lukas-Evangeliums auch Berichte aus, die nicht zu seinem christologischen Verständnis passen. Dies ist ein Phänomen, das wir ja auch schon im Matthäus-Evangelium beobachtet haben. So lässt Lukas den Ruf
"Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" (Mk 15,34)
ganz einfach aus. Er wird ersetzt durch den Satz:
"Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist." (Lk 23,46)
Damit macht auch Lukas deutlich, dass es ihm darum geht, ein ganz bestimmtes Bild von diesem Jesus von Nazaret zu zeichnen. Er verfolgt eine theologische Intention. Dieser Frage müssen wir nun zumindest kurz nachgehen. Was ist die theologische Absicht des Verfassers des Lukas-Evangeliums?
Anmerkungen