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Weiter-ButtonZurück-Button Jesusüberlieferung und apostolisches Kerygma im Corpus Paulinum ⋅1⋅

Nach diesem Blick auf das Leben und Wirken des Paulus ist es notwendig, bevor wir uns den einzelnen Briefen zuwenden, auf die Traditionen zu schauen, auf die Paulus zurückgreifen kann. Woraus schöpft er? Auf was kann er aufbauen?

Zunächst einmal ist klar, dass er in seinen Briefen in der Regel auf Nachrichten eingeht, die aus den einzelnen Gemeinden an ihn herangetragen werden. Im wesentlichen sind es demnach aktuelle Probleme, die er zur Sprache bringt. Um auf diese Probleme zu reagieren, um Antworten geben zu können übernimmt Paulus dann aber zu einem guten Teil auch vorpaulinische Traditionen. Er übernimmt überkommene Ausdrucksformen, gliedert dieselben in seine Theologie ein und legt sie neu aus.

Mit diesen Überlieferungen, auf die Paulus bereits zurückgreifen kann, müssen wir uns zunächst auseinandersetzen.

1. Paulus und die Jesusüberlieferung

Und beginnen wir mit einer Überlieferung, von der immer wieder behauptet wird, dass Paulus sie gar nicht kannte, nämlich mit der Jesusüberlieferung.

Es ist ja auffallend, dass in den Briefen des Paulus fast nie davon gesprochen wird, was Jesus getan, gewirkt und gesagt hat. Paulus geht kaum auf die Jesusüberlieferung, wie sie sich in den Evangelien niedergeschlagen hat, ein. Viele schließen daraus, dass dies deshalb der Fall sei, weil Paulus diese Überlieferung ganz einfach nicht kannte, oder zumindest, weil sie ihn nicht interessiert habe.

Dies scheint der Sache allerdings nicht gerecht zu werden und es entspricht auch nur einer oberflächlichen Betrachtung.

  • In 1 Kor 7,10 zitiert Paulus eindeutig ein Herrenwort. Er sagt dort:
    "Den Verheirateten gebiete nicht ich, sondern der Herr: Die Frau soll sich vom Mann nicht trennen." (1 Kor 7,10)
    Hier wird die Jesusüberlieferung von Paulus demnach eindeutig herausgestellt.
  • In 1 Kor 11,23-26 zitiert er darüber hinaus die Abendmahlstradition und zwar auf ganz ähnliche Art und Weise, wie sie von den Synoptikern etwa überliefert wird.
  • Auch knüpft Paulus in Röm 12-13 inhaltlich durchaus an die Bergpredigt an, und auch sonst gleichen viele seiner Aussagen inhaltlich den Herrenworten der Evangelien.

Auch muss man berücksichtigen, dass Paulus an vielen Stellen ja gar nicht auf Jesustradition zurückgreifen konnte. Er wurde von seinen Gemeinden ja gerade deswegen angegangen, weil für diesen oder jenen Fall gar keine Überlieferung da war, auf die man sich hätte berufen können.

  • Bei der Götzenopferfleischfrage etwa gab es keine Tradition, auf die Paulus hätte zurückgreifen können. Dieses Problem stellte sich in Israel nicht. Wir haben es hier mit einer ganz neuen Frage zu tun, auf die aus der Situation heraus eine Antwort gegeben werden musste.
  • Das Apostolat des Paulus, das er immer wieder gegen Angriffe verteidigen musste, wird in der Tradition ebenfalls nicht begründet, so muss sich Paulus auf davon unabhängige Begründungen einlassen.
  • Gottesdienstliche Probleme, wie Glossolalie, Prophetie und ähnliches, gab es in der frühen Gemeinde ebenfalls nicht. So kann sich Paulus auch hier nicht auf deren Traditionen beziehen.

Man müsste also nachweisen, dass Paulus den Rückgriff auf Tradition wirklich unterlassen hat, wenn man behauptet, dass er diese Tradition nicht kannte oder nicht verwenden wollte. Ein solcher Nachweis ist jedoch nicht zu führen.

So kann man aus dem einfachen Schweigen über Jesustraditionen nicht schließen, dass Paulus dieselbe in Jerusalem oder Antiochien gar nicht kennengelernt habe. Es ist vielmehr sehr wahrscheinlich, dass sich jemand, der sich wie Paulus für die Person Jesu Christi eingesetzt hat, sehr genau mit dieser Tradition auseinandergesetzt hat.

2. Paulus und das apostolische Kerygma

Genauso wie die Frage nach der Verwendung von Jesustraditionen ist auch die Frage umstritten, inwieweit Paulus die apostolische Verkündigung kannte. War ihm bekannt, was Petrus und die anderen Augenzeugen von Jesus verkündet haben?

Rudolf Pesch verweist darauf, dass in den Briefen des Paulus immer wieder vom Sühnetod Jesu Christi und von seiner Auferstehung gesprochen wird, dass Paulus diesen Jesus den "Christus", den "Sohn Gottes" und den "Herrn" nennt. Dies sei eine breite Wiedergabe des apostolischen Kerygmas. So könne man, nach Rudolf Pesch, unter keinen Umständen davon sprechen, dass die apostolische Verkündigung dem Paulus unbekannt geblieben sei.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkung

1 Wo nicht anders vermerkt folge ich meinem Lehrer Rudolf Pesch, Einführung in das Neue Testament II - nicht autorisierte Vorlesungsmitschrift des WS 1980/81 (Albert-Ludwig-Universität Freiburg i. Br.). Zur Anmerkung Button