Die Bibel

Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...


Weiter-ButtonZurück-Button Der jüdische Krieg (66-70 n. Chr.) ⋅1⋅

Im Zusammenhang mit diesem geschichtlichen Überblick bin ich bereits mehrfach auf den jüdischen Krieg der Jahre 66-70 n. Chr. zu sprechen gekommen. Was war damals geschehen?

1. Schriftliche Quellen über den Jüdischen Krieg

Hauptquelle für die Rekonstruktion dieser kriegerischen Auseinandersetzung ist Flavius Josephus und sein Bericht über den "Jüdischen Krieg".

Flavius Josephus versucht zu beweisen, dass es eigentlich die Missgriffe einer unfähigen römischen Verwaltung gewesen sind, die zum Untergang des jüdischen Volkes wesentlich beigetragen hätten. Er ist dementsprechend bemüht, vor allem die Unfähigkeit der Römer herauszustellen. Wir erfahren daher bei ihm einiges über die Prokuratoren, die für das wachsende Unbehangen verantwortlich waren. Über die Prokuratoren, unter denen eher Ruhe in Palästina herrschte, schreibt Flavius Josephus daher folgerichtig fast nichts.

Josephus selbst war zunächst auch am Aufstand als Anführer beteiligt. Er setzte sich aber ab, als er sah, dass mit Erfolg nicht zu rechnen war. So dient seine Darstellung auch ein Stück weit der Rechtfertigung seiner eigenen Person. Manches ist demnach mit Vorsicht zu genießen.

Nichtsdestoweniger scheint seine Darstellung der Zeit, die dem Krieg unmittelbar vorausging, recht zutreffend zu sein.

So schildert Flavius Josephus recht genau, wie nach dem Tode Agrippas I. im Jahre 44 n. Chr. das palästinische Land als römische Provinz neu organisiert wurde, um diesen erheblich unruhiger gewordeneren Landstrich wieder in den Griff zu bekommen.

2. Die Prokuratoren in Palästina vor dem Kriegsausbruch

Ein wichtiger Punkt in dieser Neuordnung, war die Einsetzung eines Prokurators. Diese Persönlichkeiten prägten die Zeit bis zum Krieg ganz entscheidend. Folgende Prokuatoren spielten in der Folge in Palästina eine Rolle:

Fadus (44-46 n. Chr.): er hat kleinere Rebellionen unterdrückt. Ferner wollte er die Herausgabe der hohepriesterlichen Gewänder, der eigentlichen Amtsinsignien, erwzingen, die nur zu den Festtagen wieder zurückgegeben werden sollten. Flavius Josephus berichtet allerdings, dass die Juden eine Gesandtschaft an Claudius schickten, die erreichte, dass das Hohepriestergewand im Besitz der Juden blieb. ⋅2⋅ Unter ihm ist vermutlich der Aufstand des Theudas (Apg 5,36) anzusiedeln. 

Tiberius Alexander (46-48 n. Chr.): er war Jude in römischen Diensten, ein Neffe Philos von Alexandrien. Vielleicht wurde er deswegen in der Darstellung des Flavius Josephus geschont. Möglich, dass seine Amtszeit tatsächlich eine Zeit der Ruhe in Judäa gewesen ist. 

Ventidius Cumanus (48-52 n. Chr.): nach der Ermordung eines Jerusalempilgers durch Samaritaner unternahm der Prokurator zunächst nichts. Daraufhin gab es eine jüdische Strafexpedition nach Samaria. Nun griff der Prokurator ein. Der syrische Legat schickte letztendlich beide Parteien nach Rom um sich dort zu verantworten.

Marcus Antonius Felix (52-? n. Chr.): Der kaiserliche Minister Pallas versprach allen Straffreiheit, wenn sie den Kaiser um die Ernennung des Antionius Felix, des Bruders des Pallas zum Prokurator bäten. Dieser wurde daraufhin ernannt, war aber ein unfähiger Freigelassener, der völlig abhängig von seinem Bruder in Rom war. Während seiner Amtszeit traten die Sikarier auf, die Meuchelmorde an Römerfreunden verübten. Es kam zu Unruhen am Tempel. In ihrem Zusammenhang könnte auch Paulus verhaftet worden sein.
Das Ende des Prokurators liegt im Dunkeln. Sein Bruder wurde 56 n. Chr. gestürzt. Vielleicht konnte sich Antonius Felix noch weitere 2 Jahre halten.

Porcius Festus (ca. 58-62 n. Chr.): er war ein umsichtiger und erfolgreicher Beamter, wie Flavius Josephus angibt. Nach seinem vorzeitigen Tod nutzte der Hohepriester die Zeit vor dem Eintreffen des neuen Prokurators um Jakobus steinigen zu lassen.

Lucceius Albinus (62-64 n. Chr.): über ihn ist nicht viel mehr zu sagen, als dass er durch und durch korrupt war.

Gessius Florus (64-66 n. Chr.): Er scheint noch schlimmer und unfähiger als sein Vorgänger gewesen zu sein.

3. Gründe für den Jüdischen Krieg

Schon dieser Überblick über die römischen Prokuratoren lässt den Niedergang der römischen Verwaltung erahnen. Dieser äußerte sich vor allem in Korruption und Unfähigkeit der Verantwortlichen.

Diese Missstände, gepaart mit den messianischen Erwartungen der Juden, die ja noch immer nicht erloschen waren, bildeten die wichtigsten Gründe für den Ausbruch des Jüdischen Krieges. Vor allem die unteren Schichten, die unter den Römern stark besteuert wurden und verarmt waren, lebten aus der Erwartung des Messias, der die Verhältnisse umkehren würde. So kam es im Vorfeld des Krieges bereits mehrfach zu messianisch geprägten Unruhen.

Die jüngere Generation der Oberschicht wurde zusätzlich immer radikaler und dachte vor allem politisch-eschatologisch; dies aber war gleichbedeutend mit antirömisch.

4. Der eigentliche Anlass für den Kriegsausbruch

Vor allem in den Küstenstädten kam es nun immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den griechischen und jüdischen Bevölkerungsanteilen Palästinas. In Caesarea äußerten sich solche Auseinandersetzungen in einem Grundstückstreit, der die Zugangsmöglichkeit zur Synagoge betraf.

Hinzu kam, dass im Jahre 66 n. Chr. Gessius Florus 17 Talente aus dem Tempelschatz konfiszierte. Dabei kam es zu Plünderungen römischer Soldaten in Jerusalem, die der Prokurator Gessius Florus erlaubt hatte.

Dies aber brachte das Fass zum Überlaufen. Es begann ein Aufruhr im Volk, der den Statthalter letztlich zwang, sich nach Caesarea zurückzuziehen.

5. Der Kriegsverlauf

Überall flammte nun der Aufstand auf, an dem sich sämtliche Gruppierungen beteiligten. Der Führer der Rebellion war der Sohn des Hohenpriesters.

Eine wichtige Rolle spielte auch Agrippa II., der Sohn Agrippas I. Er hatte im Jahre 48 n. Chr. Chalkis in Zölesyrien erhalten. Im Jahre 53 er hielt er ein neues Herrschaftsgebiet. Kaiser Claudius übertrug ihm

"... die Tetrarchie des Philippus nebst Batanaea, gab ihm auch noch obendrein Trachonitis sowie Abila, die ehemalige Tetrarchie des Lysanias, nahm ihm aber Chalkis, das er vier Jahre lang beherrscht hatte." ⋅3⋅

Außerdem hatte er die Oberaufsicht über den Tempel und das Recht, den Hohepriester einzusetzen, erhalten.

Apgrippa II. versuchte nun gegenüber den Römern loyal zu sein und gleichzeitig mit den jüdischen Rebellen zu verhandeln. Als die Verhandlungen scheiterten, sah er sich gezwungen 3000 Soldaten nach Jerusalem zu schicken. Sie wurden allerdings aus der Stadt vertrieben.

Der syrische Legat Cestius Gallus griff daraufhin ein, konnte Jerusalem aber nicht einnehmen und erlitt auf seinem Rückweg schwere Verluste.

Dies war wahrscheinlich der Zeitpunkt, an dem die Urgemeinde Je­ru­sa­lem verließ und nach Pella übersiedelte. ⋅4⋅

Im Winter 66 / 67 n. Chr. wurde nun Fla­vius Vespasian mit dem Feldzug gegen die Juden beauftragt. Er begann denselben im Frühjahr 67 n. Chr. und eroberte rasch ganz Galiläa.

Flavius Jose­phus wech­sel­te zu dieser Zeit die Fronten, lief zu den Römern über und prop­hezeite dem Ves­pa­sian sein späteres Kaisertum.

Der zelotische Gegenspieler des Flavius Josephus, Johannes von Gischala, konnte den Römern entkommen und zog in Jerusalem ein. Dort kam es zu Auseinandersetzungen zwischen ge­mäßig­ten und radikalen Rebellen.

Bis zum Jahre 68 n. Chr. hatte Vespasian außer Massada am Toten Meer und Jerusalem ganz Palästina unter Kontrolle, auch die Siedlung in Qumran. Als aber im Sommer Kaiser Nero starb, geriet der Feldzug ins Stocken.

In Jerusalem kam nun ein neuer Zelotenführer, Simon bar Giora, an die Macht. Johannes von Gischala hielt hingegen den Tempelbezirk weiter besetzt.

Im Jahre 69 n. Chr. begann die endgültige Belagerung Jerusalems durch Vespasian. Als dieser jedoch im Sommer zum römischen Kaiser ausgerufen wurde, setzte sein Sohn Titus ab dem Frühjahr des Jahres 70 n. Chr. die Belagerung fort. Im Juli konnte Titus die Stadt einnehmen.

Titus gab Anweisungen, den Tempel zwar zu plündern, ihn aber nicht zu zerstören. Durch den Fackelwurf eines Soldaten wurde der Tempel jedoch in Brand gesetzt und völlig vernichtet. Ein archäologisches Zeugnis dafür stellt der Titusbogen in Rom dar. Die Mauern Jerusalems wurden daraufhin geschleift.

Im Jahre 73 n. Chr. fiel zum Abschluss des Krieges die Festung Massada, wo sich die letzten Aufständischen - zumindest der Überlieferung nach - selbst den Tod gegeben hatten.

6. Die Folgen des Krieges

Mit dem Ende des Krieges war das Ende des klassischen Judentums gekommen. Die Selbstbestimmung des Staates Juda war endgültig verloren.

Aus den Kreisen der Pharisäer, die sich während des Krieges nicht kompromittiert hatten, wurde nun eine neue Form des Judentums gebildet. Die sogenannte Synode von Jamnia war die Geburtsstunde des rabbinischen Judentums, das in den Synagogen die Jahrtausende überdauern sollte.

Die Geschichtsdeutung der Christen sah in der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im übrigen eine Strafe für die Verwerfung des Messias. In den Zerstörungsweissagungen der Evangelien hat sich dieses Geschichtsdeutung niedergeschlagen.

Nichtsdestoweniger hatte der Krieg auch für das Christentum weitreichende Folgen:

  • Durch die Tempelzerstörung wurden weitere Spannungen zwischen Juden und Christen hervorgerufen (vgl. Mk 13). Die christliche Eschatologie wandte sich nun in der Folge vom Tempel ab. Man erwartete die Wiederkunft Christi nicht mehr am Ort des Tempels in Jerusalem.
  • Jerusalem stellte nun auch nicht mehr das Zentrum der Christenheit dar. Eine neue Bindung an ein Zentrum, bzw. ein neues Selbstverständnis der Kirche wurde nötig. Man begann daher über die communio, über die Gemeinschaft der apostolischen Kirchen nachzudenken. In diesem Zusammenhang gewann Rom, wie bereits erwähnt, eine führende Stellung unter den sedes apostolicae. Vor allem die Gräber der Apostelfürsten Petrus und Paulus begründeten nun den neuen Rang der römischen Hauptstadt.
  • Darüber hinaus gab die nun überwiegend heidenchristliche Kirche die Judenmission nach und nach immer mehr auf. Die jüdische Tradition hatte zwar, ganz besonders durch die judenchristlichen Auswanderer einen großen Einfluss auf die Ausbildung der christlichen Liturgie und die Lebensformen der Gemeinden, aber insgesamt richtet sich die christliche Kirche nun immer mehr auf das Heidentum aus.
    Vor dem Jahre 70 n. Chr. stand der werdenden heidenchristlichen Kirche, deren Zentren Antiochien, Rom, Kleinasien und Griechenland waren, die Mutterkirche in Jerusalem gegenüber, die durch die Apostel, besonders Jakobus, zusammengehalten wurde. Jetzt waren die Reste der Jerusalemer Urgemeinde, die sich bei Jerusalem zusammenfanden, wenig einflussreich.
    Die palästinische Tradition wurde dennoch - und zwar in den Evangelien - gesammelt und durch Leute wie Paulus übermittelt. Sie wurde Bestandteil der Kirche schlechthin.
    Petrus und Paulus wurden nun zu den Hauptzeugen des Glaubens. Dies geht mit der wachsenden Bedeutung der römischen Gemeinde einher. Petrus gewann in der Tradition, die sich ja aus juden- und heidenchristlicher Überlieferung zusammensetzte, letztlich den Vorrang. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass er - stärker als Paulus - in allen Schichten des Urchristentums, also sowohl bei den Juden- als auch bei den Heidenchristen, zuhause war.

Das aber soll nun als Blick auf die wesentlichen Stationen des Urchristentums genügen. Wenden wir uns nun der Darstellung zu, wie sie uns in der Apostelgeschichte begegnet.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Wo nicht anders vermerkt folge ich meinem Lehrer Rudolf Pesch, Einführung in das Neue Testament II - nicht autorisierte Vorlesungsmitschrift des WS 1980/81 (Albert-Ludwig-Universität Freiburg i. Br.). Zur Anmerkung Button

2 Rudolf Pesch, Einführung in das Neue Testament II - nicht autorisierte Vorlesungsmitschrift des WS 1980/81 (Albert-Ludwig-Universität Freiburg i. Br.). Zur Anmerkung Button

3 Vgl. Flavius Josephus, Antiquitates Judaicae, XX,7,1, §137-139. Zur Anmerkung Button

4 Eusebius gibt hingegen das Martyrium des Jakobus als Zeitpunkt an. Zur Anmerkung Button