Die Bibel

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Weiter-ButtonZurück-Button Die Theologie des Markus-Evangeliums ⋅1⋅

Soweit der Blick auf den Aufbau des Evangeliums. Was können wir nun aber zur Theologie des Werkes sagen?

1.  Ein konservativer Sammler und Redaktor

Markus war - nach Rudolf Pesch - allem Anschein nach ein konservativer Sammler und Redaktor des Überlieferungsstoffes. Er war im Unterschied zu Matthäus und Lukas ein Autor, der die überlieferten Traditionen wenig bearbeitet hat.

Daher fällt es - zumindest nach Ansicht von Rudolf Pesch - schwer, von einer eigenständigen Theologie des Markus zu reden. Vielmehr müsse man sagen, dass Markus im Wesentlichen die Theologie seiner Traditionen repräsentiert.

Will man eine Theologie des Markus herausarbeiten, so ist man darauf angewiesen, nach der Theologie der einzelnen Traditionen zu fragen, also der Theologie die hinter den einzelnen Wundergeschichten, den Streitgesprächen oder der Passionsdarstellung steht.

2. Markus und der Begriff Evangelium

Die eigenständige Bedeutung seines Werkes kommt, wiederum nach Rudolf Pesch, dadurch zustande, dass er die verschiedenen Traditionen in einen Gesamtaufriss einfügt. Das Entscheidende dabei ist, dass er dies unter dem Stichwort "Evangelium" tut.

Möglicherweise geht der Begriff εὐαγγέλιον ["euangélion"] schon auf Jesus selbst zurück. Vielleicht hat er diesen Begriff bereits verwendet. Wirklich bedeutsam wurde das Wort aber ohne Zweifel vor allem in der nachösterlichen Zeit. Es wird zum grundlegenden missionstechnischen Begriff der frühen urchristlichen Gemeinden.

Die urchristlichen Missionare hatten das Evangelium, die frohe Botschaft von Gottes Herrschaft, anzubieten. Und diese Botschaft konkretisierte sich in der Botschaft vom erlösenden Tod und von der Auferstehung Jesu Christi und der damit einbrechenden Herrschaft Gottes.

Bei Paulus spielt dieser Begriff demnach eine ganz wichtige Rolle. Evangelium meint bei Paulus ganz direkt die Botschaft vom Tod und von der Auferweckung Jesu Christi.

Es ist nun eine Besonderheit des Markus, dass er das ganze Leben Jesu in diesen Begriff mit einbezieht. Für Markus ist Evangelium das ganze Leben Jesu, von der Johannestaufe bis zum Kreuz.

Dadurch verkommt bei ihm dieser Begriff allerdings nicht zur bloßen Geschichtserzählung. Auch Markus versteht unter Evangelium keine historische Biographie von Jesus. Evangelium bleibt auch bei ihm zuerst Predigt. Markus will keine bloße Lebensbeschreibung des Jesus von Nazaret anbieten, er bietet uns in der Zusammenstellung seines Materials das Evangelium von Jesus Christus.

Matthäus, Lukas und Johannes haben diesen Leitbegriff auffallenderweise nicht übernommen. Erst später wurde der Begriff εὐαγγέλιον ["euangélion"] auch auf diese Bücher angewandt.

Matthäus spricht ursprünglich in Bezug auf sein Werk lediglich von einem Buch, Lukas von einem Bericht. Erst bei der Zusammenstellung des Neuen Testamentes wurde der Begriff, den Markus für sein Evangelium geprägt hat, auch auf die übrigen Darstellungen des Geschehens um Jesus Christus angewandt.

3. Der Blickwinkel des Markus-Evangeliums

Wichtig ist auch hier wieder der Hinweis auf den Blickwinkel des Verfassers. Er schreibt nicht als unbeteiligter Beobachter, er schreibt als zum Glauben an diesen erhöhten Kyrios Jesus Christus gekommener Mensch. Und damit schreibt er von einem nachösterlichen Standpunkt her.

Von daher trägt das Markus-Evangelium auch die Fragen und Themen seiner Zeit in die Darstellung der Geschichte Jesu ein. Dies wird vor allem in den Kapiteln 6-8, die von der Heidenmission handeln, und den Kapiteln 8-10, deren Thema die Nachfolge ist, deutlich.

4. Der theologische Anspruch des Markus-Evangeliums ⋅2⋅

Durch die Zusammentragung des Materials und die Redaktion der Markus vorliegenden Traditionen entsteht nun ein Ganzes, ein theologisches Werk mit einer theologischen Gesamtaussage.

Mit dieser müssen wir uns auseinandersetzen, egal ob sie nun gleichsam schematisch, durch das bewahrende Zusammenfügen von Traditionen entstanden ist, wie Rudolf Pesch vermutet, oder ob dahinter die planvolle gestalterische Absicht eines Theologen zu sehen ist, wie Karl Kertelge meint.

Auf jeden Fall liefert uns das Markus-Evangelium, so wie es heute vorliegt, eine mehr oder minder geschlossene Theologie über die Geschichte und Verkündigung des Messias Jesus. Diese möchte ich in drei Punkten in den Blick nehmen.

a. Die Sendung des Messias Jesus

Markus führt sein Evangelium als "Evangelium Jesu Christi" ein. Damit stellt er die Messiaswürde Jesu als Thema seines Evangeliums vor. Er tut dies mit einem christologischen Titel, der im Urchristentum schon geläufig war, nämlich mit dem Begriff "Christus".

Verstärkt wird diese Angabe mit einem weiteren Titel, nämlich mit dem Begriff "Sohn Gottes".

Beide Bezeichnungen begegnen im Evangelium an entscheidenden Schnittpunkten des Weges Jesu, wenngleich nicht immer beide zugleich.

  • Die Gottessohnschaft Jesu wird gleich bei seiner Taufe, Mk 1,11, offenbar gemacht,
  • ebenso bei der Verklärung, Mk 9,7,
  • und schließlich vom Hauptmann unter dem Kreuz angesichts des Todes Jesu. Hier wird sie in der Weise eines Bekenntnisses zum Ausdruck gebracht (Mk 15,39).

Daneben ist nicht zu übersehen,

  • dass Inhalt der Bekenntnisaussage des Simon Petrus in Mk 8,29 die Christusbezeichnung ist. Dieses Bekenntnis bildet in der Reihung von Mk 8,27-29 gleichsam die Zielaussage.
  • Sie wird von Jesus selbst allerdings durch die Aussage vom leidenden Menschensohn in Mk 8,31 "interpretiert".

Und dies ist ein ganz wichtiger Hinweis. Durch solche Textstellen wird die christologische Intention des Evangeliums nämlich deutlich. Die Titel sind ja allesamt belastet. Sie zeigen entsprechende Heilserwartungen und Heilsvorstellungen an. Diese werden nun nicht einfach bestätigt. Das Evangelium macht deutlich auf welche Weise diese Erwartungen ihre Gültigkeit behalten. Sie behalten ihre Gültigkeit, wenn sie von Jesus her neu bestimmt werden.

Dass Jesus der Messias, der Sohn Gottes ist, erweist sich nämlich im geschichtlichen Wirken des Jesus von Nazaret, so wie es das Evangelium schildert. Markus expliziert demnach in welchem Sinne Jesus der "Messias" ist. Er ist es eben in der Weise seiner gelebten Sendung von Gott.

Dieser Darstellungsabsicht entspricht es - nach Karl Kertelge - auch, wenn Jesus den Jüngern immer wieder verbietet, Dinge, die sie erkannt haben, weiterzusagen. Dass Jesus der Messias ist, überall zu verkünden, wird den Jüngern bis nach Ostern verboten. Wir haben es hier mit dem sogenannten "Messiasgeheimnis" zu tun.

Solche Schweigegebote erscheinen ja an manchen Stellen wenig verständlich. Sie weisen aber über sich selbst hinaus. Sie machen letztlich deutlich, dass mit dem Titel Messias allein, die Bedeutung Jesu nicht zu erfassen ist. Um die wahre Bedeutung der Messianität Jesu zu erfassen bedarf es des Blicks auf das ganze Evangelium. Erst von seiner Selbsthingabe am Kreuz wird Jesu Messianität "verständlich". Ohne den Kreuzestod Jesu und seine Auferstehung ist der Titel "Messias" Missdeutungen anheimgegeben. Vor diesem Geschehen bleibt er demnach mit der Aura des Geheimnisses umgeben.

b. Die nahegekommene Gottesherrschaft

Diese christologische Intention des Evangeliums, die schon mit Mk 1,1 angezeigt wird, darf nicht übersehen lasen, dass Jesus nicht nur und nicht zuerst der Inhalt dieses Evangeliums, sondern vor allem der Verkünder des Evangeliums ist.

Gleich mit seinem ersten öffentlichen Auftreten bekennt sich Jesus zu seiner Sendung, nämlich das "Evangelium Gottes" zu verkünden (Mk 1,15). Zentraler Inhalt dieser Verkündigung ist nun die nahegekommene βασιλεία ["basileía"] Gottes.

Das griechische Wort βασιλεία ["basileía"] kann nun sowohl mit "Herrschaft" als auch mit "Reich" Gottes wiedergegeben werden. In der Regel ist "Herrschaft Gottes" vorzuziehen.

In und mit Jesus ist diese Herrschaft Gottes den Menschen "nahegekommen". Es entspricht der messianischen Sendung Jesu, besonders in seinen wunderbaren Heilungen und Dämonenaustreibungen, den Menschen, die wohltuende, menschenfreundliche Herrschaft Gottes mitzuteilen, die sich von allen anderen "Herrschaften" unterscheidet. Gottes Herrschaft, die durch Jesu Wirken den Menschen nahegebracht wird, erweist sich als Wende vom Unheil zum Heil. Obwohl sie letzte, eschatologische Wirklichkeit bleibt, ist sie jetzt schon wirksam, auch wenn sie vielfach verkannt und einstweilen eher im Kontrastbild der scheinbar vergeblichen Aussaat (Mk 4,3-8) als in unleugbar offener Herrlichkeit zu erkennen ist.

Die Gleichnisse Jesu in Mk 4,1-34 sprechen von der jetzt schon verborgen wirksamen Herrschaft Gottes. Ihr endgültiges Sichtbarwerden bleibt aber zusammen mit der Parusie des Menschensohnes Gott vorbehalten (Mk 13,32).

Diese Botschaft muss unter die Menschen gebracht werden, damit sie nun, in der Zeit der noch anhaltenden Verkündigung, gehört wird und ihre Wirkung tut - entsprechend der Forderung Jesu:

"Bekehrt euch und glaubt an das Evangelium." (Mk 1,15.)

Dazu bedarf es der Boten aus der Nachfolge Jesu.

c. Evangelium als Gedächtnis und Verheißung

Das Evangelium, das Jesus verkündigt, ist somit zuerst eine "Zeitansage". Es sagt die "erfüllte Zeit" (Mk 1,15) an, die Gegenwart, in der Jesus begegnet. Sie ist der Zeitpunkt, den Gott von alters her im Auge hatte, um jetzt das verheißene Heil Wirklichkeit werden zu lassen. Dies ist das den Vätern verheißene Heil für Israel, aber auch für alle Völker (Mk 13,10).

Die Person des Messias Jesus und sein geschichtliches Wirken auf Erden stehen für dieses von Gott den Menschen zugesagte und jetzt schon wirksam werdende Heil. An Sendung und Person Jesu vorbei gibt es nach Ausweis des Evangeliums dieses Heil demnach nicht. Darum ist es notwendig, wahrhaft "heils-notwendig", dass das Evangelium von Jesus Christus den Menschen verkündigt wird.

Das Evangelium bewahrt das Gedächtnis dieses Heils für alle Menschen. Es bewahrt damit die heilbringende Geschichte Jesu Christi vor dem Vergehen und dem Vergessen.

Aber es bewahrt sie nicht als etwas Vergangenes. Im Evangelium wird die Verheißung Gottes, die sich in der Zeit erfüllt, den Menschen auch als Verheißung für ihre Zeit verkündet. Sie findet ihre Erfüllung nämlich von Christus her, der zwar schon gekommen ist, der aber darüber hinaus wiederkommen wird.

Die Jüngergemeinde in der Nachfolge Jesu wird so zur Trägerin dieses Gedächtnisses und zur Verkünderin der darin enthaltenen Verheißung für die Menschen. Sie darf den Menschen die Verheißung des Lebens weitergeben. Viele Texte, wie Mk 8,34-38 und Mk 10,17-31, heben diese im Evangelium Jesu Christi angelegte Lebensverheißung ins Wort.

Soweit der kurze Blick auf die theologischen Schwerpunkte des Markus-Evangeliums.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Wo nicht anders angegeben folge ich meinem Lehrer Prof. Dr. Rudolf Pesch, Einführung in das Neue Testament - I: "Von Jesus zu den Evangelien", Vorlesungsmitschrift Sommersemester 1980. Zur Anmerkung Button

2 Vgl.: Karl Kertelge, Markusevangelium (Würzburg 1994) 10-12. Zur Anmerkung Button