Die Bibel
Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...
Der zweite Thessalonicherbrief ⋅1⋅
- 1. Absender und Adressaten
- 2. Inhalt und Aufbau
- 3. Die Situation und die Abfassungszeit
- 4. Die Benutzung des 1. Thessalonicherbriefes
- 5. Der Verfasser
Das letzte Schreiben aus der Gruppe der älteren Deuteropaulinen ist der zweite Thessalonicherbrief. Auf ihn müssen wir nun zu sprechen kommen.
1. Absender und Adressaten
Auch dieses Schreiben, das sich als Brief des Apostels Paulus ausgibt, beginnt schon ganz eigen. Im Präskript des 2. Thessalonicherbriefes fungieren genauso wie in 1 Thess 1,1-2 Paulus, Silvanus und Timotheus als Absender. Das müsste bedeuten, dass er auf der 2. Missionsreise geschrieben worden ist. Anschließend blieb Silvanus ja vermutlich in Antiochien.
Daraus würde aber auch folgen, dass der 2. Thessalonicherbrief wohl noch in Korinth und auch bald nach dem 1. Thessalonicherbrief abgefasst worden sein müsste. Wenn man aber auf die Aussagen des Briefes schaut, vor allem auf das, was man dort über Eschatologie und den Tag des Herrn lesen kann, kommt man mit diesen Ergebnissen in größte Schwierigkeiten. Dass Paulus kurz nach dem 1. Thessalonicherbrief wirklich so ganz andere Auskünfte geben soll, eine ganz andere Theologie vertreten soll, das ist nun wirklich unwahrscheinlich.
Anders wäre es, wenn hier ein Autor der nächsten Generation den 1. Thessalonicherbrief ganz einfach benutzt, um mittels dieser Vorlage ein neues Schreiben zu verfassen. Er benutzt die Adresse sowie den Wunsch nach Gnade und Friede aus dem 1. Thessalonicherbrief und spannt in diesen Rahmen die theologischen Aussagen ein, die er für seine Zeit als nötig erachtet.
Es ist schließlich auffallend, dass wir an konkreten Auskünften über die Gemeinde in Saloniki im 2. Thessalonicherbrief nichts finden, was nicht auch im 1. Thessalonicherbrief gestanden hätte. Es gibt keine Auskünfte über eine wie auch immer veränderte Situation.
Man kann daher davon ausgehen, dass der 2. Thessalonicherbrief ein pseudepigraphisches Schreiben ist.
2. Inhalt und Aufbau ⋅2⋅
Sehen wir uns den Inhalt und den Aufbau dieses Briefes wieder etwas genauer an:
3. Die Situation und die Abfassungszeit
Der Brief richtet sich gegen Verwirrungen und falsche Lehren über die Eschatologie, also über das Ende der Welt und die Wiederkunft Christi. Dies ist das eigentliche Hauptthema des Briefes (2 Thess 2,1-12). Er wendet sich scharf gegen die Aussage, dass der Tag des Herrn schon da sei.
Andere Aussagen bleiben hingegen recht allgemein, blass und farblos. Den einzigen Hinweis auf konkrete Vorgänge finden wir in 2 Thess 1,4, wo Verfolgungen angesprochen sind. Dies aber ist wieder ein wichtiger Hinweis. Er verweist uns vermutlich in die 90er Jahre des 1. Jahrhunderts n. Chr. Wenn hier dieselben Verfolgungen wie im 1. Petrusbrief und der Offenbarung angesprochen sind, dann müsste dies eigentlich ein Hinweis auf die Zeit Domitians sein. In dieser Zeit scheint der 2. Thessalonicherbrief denn auch verfasst worden zu sein.
4. Die Benutzung des 1. Thessalonicherbriefes
Schauen wir kurz darauf, wie der 2. Thessalonicherbrief seine Vorlage verwendet.
Im 1. Thessalonicherbrief wird die Parusie ausdrücklich behandelt. Möglicherweise war dies ja auch der Anlass, diesen Brief als Vorlage für diese Neufassung zu wählen. Unser Verfasser hat es ja jetzt mit einem ähnlichen Thema zu tun. Nur ist die These, mit der er sich auseinanderzusetzen hat, eine andere. Seine Gegner behaupten: der Tag des Herrn sei schon da. Gegen diese Auffassung wehrt sich der Verfasser vehement. Christus kommt. Seine Ankunft steht noch bevor.
Wenn der Autor den 1. Thessalonicherbrief hier lediglich als äußeres Gewand benutzt, dann kann man wohl mit Recht die Frage stellen, ob das neu entstandene Schreiben tatsächlich als Brief an die Gemeinde in Saloniki gedacht war. Vielleicht war dies ja nur ein literarisches Mittel. Vielleicht ist das Schreiben ja von vorneherein als Abhandlung für alle Gemeinden gedacht gewesen, die sich mit solchen eschatologischen Spekulationen auseinanderzusetzen hatten.
Sofern unsere Teilungshypothese im Blick auf den 1. Thessalonicherbrief stimmt, ist dies noch ein weiteres Indiz für die These, dass hier ein Autor der nächsten Generation den 1. Thessalonicherbrief als Vorlage verwendet hat und Paulus diesen Brief nicht selbst verfasst haben kann. Der 2. Thessalonicherbrief baut ja auf dem in dieser Form dann erst durch die Redaktion entstandenen 1. Thessalonicherbrief auf. Ihm läge also das Schreiben in der Form vor, wie es erst nach dem Tod des Paulus zusammengestellt worden wäre.
Der Autor des 2. Thessalonicherbriefes hätte von dieser Redaktion dann wohl schon gar nichts mehr gewusst. Er hätte sein Vorlage ganz einfach wegen der Parusiethematik benutzt, um dadurch auf Paulus Bezug nehmen zu können und um dessen Autorität mit ins Spiel zu bringen.
Die Verwendung des 1. Thessalonicherbriefes geht interessanterweise so weit, dass der Autor des zweiten ebenfalls zwei Briefeingänge, nämlich in 2 Thess 1,3-4 und 2 Thess 2,13-14, und genauso zwei Briefschlüsse (2 Thess 2,16-17 und 2 Thess 3,16-18) formuliert hat. Ein wichtiges Indiz dafür, dass er von der Arbeit der Redaktoren schon nichts mehr wusste. Der 1. Thessalonicherbrief war für den Verfasser des zweiten ganz klar ein einheitliches Paulusschreiben.
5. Der Verfasser
Wie bereits mehrfach geäußert, liegt die Vermutung nahe, dass der Verfasser auf der Autorität des Paulus aufbauen will. Unter Benutzung der Briefredaktion des 1. Thessalonicherbriefes versucht er die schwärmerische Ankündigung der unmittelbar bevorstehenden Wiederkehr Jesu Christi als Irrlehre erkennen zu lassen.
Der Paulus, der uns im 2. Thessalonicherbrief begegnet, gleicht von daher einem eschatologischen Seher, der über die einzelnen Stadien der endzeitlichen Geschichte unterrichtet ist. Er ist sich aber zugleich wohl der zeitlichen Differenz zwischen Gegenwart und Parusie bewusst. Durch die Enthüllungen will er in 2 Thess 2,1-12 klar machen, dass der Tag des Herrn noch nicht gekommen ist.
Dabei zeigt sich, dass im Unterschied zum 1. Thessalonicherbrief von konkreten Fragen, die nur eine Gemeinde bewegen, nichts mehr zu finden ist. An die Stelle der brieflichen Beziehung ist die Autorität und der Anspruch der Überlieferung des Apostels getreten, auf die sich die Schüler berufen.
2 Thess 2,15 und 2 Thess 3,6 verweisen auf die Überlieferung, die von Paulus der Gemeinde von Saloniki gegeben worden ist. In den echten Paulinen sind solche Erinnerungen immer recht konkret. Hier ist sie ganz allgemein gehalten.
Der Hinweis auf die eigene Arbeit des Apostels in 1 Thess 1,6-7 und 1 Thess 2,8-9 wird zwar im 2. Thessalonicherbrief aufgenommen, aber dies geschieht auf dem Hintergrund eines Paulus-Bildes, das den Apostel bereits zum Vorbild stilisiert.
Die Inanspruchnahme der Autorität des Apostels zeigt auch der handschriftliche Gruß in 2 Thess 3,17. Auch der 1. Korintherbrief, Gal 6,11 oder Phlm 19 erwähnen einen solchen eigenhändigen Gruß. Zusammen mit 2 Thess 2,2 dürfte dieser Schluss die Absicht verraten, dem Brief die Anerkennung zu sichern.
Auch die einleitende Danksagung unterscheidet sich, abgesehen von ihrem auch schon apokalyptischen Inhalt, durch ihren kühleren und feierlicheren Ton von den Danksagungen, die Paulus zu schreiben pflegte - ein Hinweis auf die Pseudonymität. Hinter diesem Stilwandel steht auch die gewandelte Perspektive der Beziehungen des Briefschreibers zu seinen Adressaten. Der Autor ist nicht mehr - wie Paulus - ein Vorbild und eine Autorität, die in unmittelbarer Beziehung mit der jeweiligen Gemeinde lebt. Der Autor des 2. Thessalonicherbriefes schreibt diesen Brief unter der Autorität des Paulus, die er seinen Adressaten als unumstößlich gegenüberstellt. ⋅3⋅
Anmerkungen