Die Bibel
Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...
Die Paulusrezeption in nachpaulinischer Zeit ⋅1⋅
- 1. Die altkirchliche Tradition über das weitere Wirken des Apostel Paulus
- 2. Zur Situation der Kirche in der Zeit nach dem Tod der großen Apostel
- 3. Die Gegner des Paulus
- 4. Die Arbeit der Paulusschule
Damit kommen wir zu den übrigen Briefen, die sich heute ebenfalls im sogenannten Corpus Paulinum, also in der Sammlung der Paulusbriefe finden. Was hat es nun mit diesen Briefen auf sich?
1. Die altkirchliche Tradition über das weitere Wirken des Apostel Paulus
Der Tradition nach kam Paulus aus seiner Haft in Rom noch einmal frei. Man erzählte sich davon, wie er noch einmal auf Missionsreise ging, weitere Briefe verfasst hat und dann zum zweiten Mal verhaftet wurde. Am Ende dieser zweiten Haft sei dann die Hinrichtung in Rom gestanden.
Diese alte Tradition entstand vermutlich aufgrund jener weiterer Schreiben, die sich heute im Corpus Paulinum finden, aufgrund des Kolosser-, des Epheser- und 2. Thessaonicherbriefes und vor allem dann aufgrund der Pastoralbriefe.
Wenn Paulus diese Briefe alle selber verfasst haben soll, dann setzt dies nämlich über die bisher geschilderten und in der Apostelgeschichte erzählten Ereignisse eine weitere umfassende Tätigkeit des Paulus voraus. Und gerade die Pastoralbriefe erwecken den Anschein, als seien sie im hohen Alter des Paulus in einer zweiten, ausgedehnten Haft in Rom geschrieben worden.
Diese Tradition muss aber nicht den historischen Sachverhalt widerspiegeln. Sie kann durch diese Briefe ja auch erst entstanden sein. Man kann sich von daher die geschichtliche Abfolge auch anders denken.
2. Zur Situation der Kirche in der Zeit nach dem Tod der großen Apostel
Nach allem, was wir wissen, müssen wir nämlich wohl davon ausgehen, dass die großen Apostel in den 60er Jahren ums Leben gekommen sind. Die Martyrien gerade von Petrus und Paulus bildeten eine gewaltige geschichtliche Zäsur in der Entwicklung der christlichen Gemeinden.
In der Folge war eines der Hauptanliegen, die authentische Tradition von den Aposteln her zu bewahren. Dies war gerade in jenen Jahren eine wichtige Aufgabe, da das Problem der Abspaltungen und Sektiererei immer größer wurde. Häresien und christliche Geheimlehren, die sich auf irgendwelche Sondertraditionen beriefen tauchten ganz massiv auf. Teile der jungen Kirche begannen vom allgemeinen Strom der Hauptzeugen des Urchristentums abzuschwenken.
3. Die Gegner des Paulus
Hinzu kam im Blick auf den Apostel Paulus, dass er ja zu Lebzeiten alles andere als unumstritten war. Nun darf man sich nicht vorstellen, dass nach dem Tod des Paulus die Gegnerschaft gegen ihn und seine Mission plötzlich verstummte. Auch nach seinem Martyrium wurde Paulus und sein Werk von den Gegnern, die ihn bereits zuvor immer wieder angegriffen hatten, bekämpft.
Wie stark das Missionswerk des Paulus von Gegnern bedroht war, zeigt die spätere Geschichte. Das Judenchristentum des 2. Jahrhunderts, das sich immer mehr von der sich entwickelnden heidenchristlichen Großkirche absetzte, bezeichnete Paulus geradezu als Verderber des göttlichen Gesetzes. In den sogenannten Pseudo-Klementinen, einem mehrteiligen, unter dem Namen des Klemens abgefassten Werk, gilt Paulus geradezu als identisch mit dem in Apg 8 erwähnten Simon Magus, der als erster Vertreter der urchristlichen Häresie galt. Daraus kann man deutlich ersehen, wie judenchristliche Kreise des 2. Jahrhunderts Paulus als denjenigen, der das Gesetz abgeschafft habe, geradezu verteufelten.
Im Gegenzug zu dieser Verteufelung des Paulus im 2. Jahrhundert spannte die Großkirche Petrus und Paulus immer mehr zusammen. Man ließ nicht zu, dass die judenchristliche Tradition des Petrus gegen die heidenchristliche Tradition des Paulus ausgespielt wurde. Die römische Gemeinde nannte deshalb immer Petrus und Paulus gemeinsam am Beginn ihrer Successionslisten. ⋅2⋅
4. Die Arbeit der Paulusschule
Eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit der Verteidigung des Werkes und vor allem des Erbes des Apostels Paulus spielten nun seine Schüler, die sogenannte Paulusschule.
a. Die Paulusschule
Das Zentrum dieser Paulusschule lag vermutlich in Ephesus. Dort mag man wohl auch - neben Korinth - die entscheidenden Anstöße zur Briefsammlung gegeben haben.
Die Stellung, die Ephesus im Leben des Paulus einnahm, zeigt sich ja schon darin, dass von den - nach unseren Teilungshypothesen - 13 erhaltenen Paulusschreiben vermutlich insgesamt 8 in Ephesus geschrieben wurden. Dies macht mehr als wahrscheinlich, dass gerade die Paulusschüler in Ephesus sich um die Korrespondenz des Paulus nach seinem Tod gekümmert haben und die Briefe sammelten.
Man schrieb sie ab und gab sie für andere Gemeinden heraus. Dadurch sollten sich auch die umliegenden christlichen Gemeinden der gemeinsamen authentischen Tradition versichern können.
b. Briefredaktion
Auf diesem Hintergrund ist dann auch die Redaktion der Briefe zu sehen.
Sieben der heute im Neuen Testament befindlichen Briefe werden von der kritischen Forschung als von Paulus selbst verfasste Schreiben angesehen. Vielleicht ist das nicht zufällig so. Möglicherweise hatte die Redaktion der Paulusbriefe, also die Zusammenfügung mehrer Briefe zu einem einzigen, mit den Sinn, am Ende sieben Briefe entstehen zu lassen. Dies könnte symbolische Bedeutung haben. So finden wir im heutigen Kanon auch die sieben sogenannten katholischen Briefe, auf die wir später noch zu sprechen kommen werden. In der Apokalypse werden sieben Sendschreiben erwähnt. Die Zahl sieben galt in der Zahlensymbolik eben als die runde Zahl der Fülle, die Zahl der ökumenischen Gesamtheit.
Vielleicht ließe sich von daher auch erklären, warum nicht alle Briefe nach Korinth zu einem einzigen Schreiben zusammengefasst worden sind. Nur durch die Aufteilung in einen ersten und zweiten Korintherbrief erreichte man ja die Siebenzahl.
c. Pseudepigraphen
Aber bei diesen Briefredaktionen blieb es nicht. In späterer Zeit kam es zu Ergänzungen. In der Paulusschule, in der seine Theologie weiter erörtert und gepflegt wurde, entstanden nun Darstellungen zu aktuellen Problemen. Die Paulusschüler verwalteten ja gleichsam das Vermächtnis des Paulus in der Zeit nach seinem Tod. Und sie taten dies eben nicht nur, indem sie seine Worte abschrieben und unter die Leute brachten, sie taten es auch dadurch, dass sie seine Theologie für die damalige Gegenwart ausfalteten und weiterentwickelten.
Dies aber taten sie nicht in ihrem eigenen Namen, sie taten es im Namen und unter der Autorität des Apostels Paulus. Sein Vermächtnis verwalteten sie ja, in seinem Namen gaben sie daher auch Auskunft im Blick auf die Probleme ihrer Zeit.
So entstanden weitere Schriften unter dem Namen des Apostels Paulus. Schreiben, die in seiner Tradition stehen, jedoch in der Paulusschule entstanden sind. Wir nennen diese Schreiben die paulinischen Pseudepigraphen oder hier speziell die Deuteropaulinen.
Für die Beurteilung solcher deuteropaulinischen Briefe ist es wichtig festzuhalten, dass
- Paulus natürlich zunächst unverfälscht und legitim in seinen authentischen Briefen greifbar ist. Aus diesen Gelegenheitsschreiben wurden in der Paulusschule durch die Briefredaktionen gewichtige Dokumente für die nachpaulinische Zeit gemacht.
- Aber auch die darüber hinaus unter der Autorität des Paulus entstandenen Schriften haben ihren Wert. Paulus konnte ja von seinen Schülern legitim ausgelegt werden. Dass sich die Schüler wiederum in Briefform äußerten und sich seines Namens bedienten, tut der Sache selbst ja keinen Abbruch. Man muss um den Umstand der Pseudepigraphie, der in der damaligen Zeit ein durchaus geläufiges literarisches Instrument gewesen ist, lediglich wissen. Hier schreibt nicht Paulus, hier wird in der Tradition des Paulus seine Theologie für eine veränderte Situation weiterentfaltet.
Anmerkung