Die Bibel

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Weiter-ButtonZurück-Button Stil und Bearbeitung des Stoffes - die Quellenfrage ⋅1⋅

Ähnlich wie auch das Lukas-Evangelium zeigt die Apostelgeschichte einen guten griechischen Stil. Besonders die Prooemia des Lukas-Evangeliums und der Apostelgeschichte zeigen gegenüber den anderen Evangelien das bessere Griechisch. Dort, wo der Verfasser also selbständig arbeitet, bewegt er sich stilistisch auf einem recht hohen Niveau.

Was die Quellen des Verfassers angeht, ist die Frage schwieriger zu beantworten als im Blick auf das Lukas-Evangelium. Dort können wir nach der Zwei-Quellen-Theorie ja mit dem Matthäus- und Markus-Text vergleichen und die Vorlagen des dritten Evangeliums gleichsam erschließen. Die Apostelgeschichte bietet uns leider nicht die Möglichkeit, in derselben Weise kritisch zu überprüfen, wie der Verfasser gearbeitet hat. Die Quellen der Apostelgeschichte sind demnach nicht so deutlich ersichtlich, wie das beim Evangelium der Fall ist.

1. Grundsätzlich zwei Quellenstränge

Allerdings dürfen wir angesichts der beiden großen Hälften der Apostelgeschichte grundsätzlich mit zwei Quellensträngen rechnen:

  • Wir können zum einen von Quellen ausgehen, die vom Leben der Urgemeinde in Jerusalem und der Entwicklung der Mission in Palästina bis hin nach Antiochien erzählt haben. Lukas hat diese dann in ein bestimmtes Arrangement gebracht und aus ihnen vor allem die erste Hälfte des Buches gestaltet.
  • Einen zweiten Quellenstrang bilden dann Überlieferungen über Paulus. Hier verwendet der Verfasser möglicherweise antiochenische, ephessinische bzw. europäische Paulustraditionen. Sie haben vor allem im zweiten Teil der Apostelgeschichte ihren Niederschlag gefunden.

2. Gab es eine "Wir"-Quelle?

Eine Spezialfrage bilden die "Wir"-Stücke der Apostelgeschichte. Gehen diese Teile vielleicht tatsächlich auf einen Paulusbegleiter zurück. Hat sich hier ein Mitarbeiter Pauli vielleicht Notizen - etwa im Stil eines tagebuchähnlichen Itinerars - gemacht? Ist dem Lukas vielleicht ein solches Tagebuch in die Hände gefallen, so dass er es in die Apostelgeschichte einarbeiten konnte?

Gerhard Schneider glaubt in seinem Kommentar bei den "Wir"-Stücken nicht an solch ein Tagebuch. Er denkt vielmehr an ein literarisches Mittel. So geht er nicht davon aus, dass eine "Wir"-Quelle vorgelegen habe. Er traut dem Lukas als gebildetem antiken Schriftsteller vielmehr zu, dass er diese Stücke im "Wir"-Stil selbst verfasst habe.

Die Antike war reich an solchen Formen. Schneider weist darüber hinaus darauf hin, dass es auch im christlichen Bereich neben diesen "Wir"-Stücken in der Apostelgeschichte ähnliche Erscheinungen gibt. Das apokryphe Petrusevangelium ist beispielsweise ganz im "Ich"-Stil verfasst, obwohl es keineswegs von Petrus selbst geschrieben wurde.

Rudolf Pesch weist aber darauf hin, dass hinter den "Wir"-Stücken in der Apostelgeschichte keine logisch einsichtige Anlage festzustellen ist. Sie setzen unvermittelt ein und brechen unvermittelt auch wieder ab. Warum hätte der Verfasser der Apostelgeschichte ausgerechnet an diesen Stellen im "Wir"-Stil schreiben sollen, im Verlauf der übrigen Darstellung dann aber wieder nicht?

Pesch scheint es hier sinnvoller zu sein, wenn man davon ausgeht, dass die genannten Stellen tatsächlich aus einem Itinerar eines Paulusbegleiters stammen. Er postuliert demnach eine solche "Wir"-Quelle für die Apostelgeschichte.

3. Die Redekomplexe der Apostelgeschichte

Vom griechischen Titel πράξεις ἀποστόλων ["práxeis apostólon"], zu Deutsch "Taten der Apostel", könnte man zunächst an einen Bericht über die Wundertaten oder ähnliche herausragende Taten der Apostel denken. Wenn man den tatsächlichen Inhalt anschaut, dann ist diese Vorstellung aber ganz falsch.

Dass dem so ist, sieht man schon daran, dass sich in der Apostelgeschichte nicht nur Berichte über Taten und Handlungen der Apostel finden. Im Verlauf der Darstellung lassen sich allein 24 größere Reden ausmachen.

Der größte Teil dieser Reden werden dem Petrus und dem Paulus zugeschrieben.

  • Darüber hinaus finden wir die Rede des Stephanus. Sie ist im übrigen der längste zusammenhänge Text im Doppelwerk überhaupt.
  • Eine Rede hält Gamaliel (Apg 5)
  • und eine wird von Jakobus auf dem Apostelkonzil gehalten.
  • Hinzu kommen einige weitere Reden anderer Personen.

a. Die Reden des Petrus und Paulus

(1) Die Petrusreden

Die meisten Reden werden vom Verfasser dem Petrus in den Mund gelegt, und zwar an folgenden Stellen:

Die Rede bei der Nachwahl des Mattias,
die Pfingstpredigt,
eine Missionsrede vor den Juden anlässlich der Heilung des Gelähmten an der schönen Pforte,
Apg 4 / 5:
zwei Verteidigungsreden,
die Rede im Haus des Kornelius,
eine Rede vor den Juden in Jerusalem mit Erzählung der Korneliusgeschichte
und die Rede vor dem Apostelkonzil.

(2) Die Paulusreden

Folgende Reden werden dem Paulus zugeschrieben:

zwei Reden auf der ersten Missionsreise,
die Areopagrede auf der zweiten Missionsreise,
die Abschiedesrede vor den Presbytern in Milet
und mehrere Verteidigungsreden während der Gefangenschaft.

c. Funktion der Reden im Blick auf Petrus und Paulus

Diese Reden haben im Rahmen der Apostelgeschichte eine ganz besondere Funktion. Sie sind nicht nur ein Element neben vielen anderen. Als antiker Historiker legt Lukas, ähnlich wie etwa Thukydides, das, was er mitteilen möchte, den führenden Personen in den Mund. So erfolgt die Deutung des Geschehens auch in der Apostelgeschichte ganz zentral in den Reden des Petrus und des Paulus. Die Reden der Apostelgeschichte stellen die Hauptfiguren somit ganz besonders in den Vordergrund.

d. Redequellen und vorlukanische Traditionen

Eine Hauptschwierigkeit der Forschung ist nun herauszuarbeiten, welche Tradition hinter diesen Reden steht. Auf was konnte Lukas zurückgreifen, wo hat er erweitert und was hat er umgeformt?

Die Positionen der einzelnen Exegeten unterscheiden sich hier sehr stark.

  • Manche gehen davon aus, dass Lukas lediglich Traditionssplitter vorlagen, etwa Schemata, wie Missionare vor Juden bzw. vor den Heiden geredet haben. Aus diesen Splittern, diesen Redeentwürfen habe Lukas dann seine Reden selbständig komponiert.
  • Andere meinen, dass es umfangreiche Rede-Traditionen gegeben habe. Es hätten dem Verfasser der Apostelgeschichte zwar keine ausformulierten Reden vorgelegen, aber er hätte aus diesem umfangreichen Material leicht die heute vorliegenden Reden zusammenstellen können.
  • Rudolf Pesch und einige andere gehen hingegen davon aus, dass es ausführlichste Tradition gegeben habe. Nach Pesch haben sich etwa ganze Reden in der Überlieferung erhalten.

Dies gelte vor allem für den Pfingstbericht. Diesen Bericht könne man ohne die Rede des Petrus gar nicht weitererzählen. Ohne die Rede wäre er gar nicht verständlich. So geht Pesch davon aus, dass der Pfingstbericht von Anfang an mit dieser Petrusrede tradiert wurde. Die vollständige Rede hätte dem Lukas demnach in seinem Material bereits vorgelegen.

Eine Entscheidung für eine der drei Positionen ist äußerst schwierig. Im Gegensatz zum Lukas-Evangelium haben wir bei der Apostelgeschichte ja kein Vergleichsmaterial vorliegen.

Auch beim Lukas-Evangelium wäre es ja beinahe unmöglich, wenn wir die Markus-Vorlage nicht hätten, allein aus innerlukanischem Sprach- und Relationsgewohnheitenvergleich die Vorlagen des Verfassers zu rekonstruieren. Allein aus dem Lukas-Text etwas den Markus-Text herausarbeiten zu wollen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Lukas ist jemand, der stark umformuliert und umschreibt.

So lassen sich die Apostelgeschichte-Vorlagen, da uns hier das Vergleichsmaterial fehlt, wohl kaum nachträglich erschließen.

Wir können nun aber davon ausgehen, dass Lukas mit den Materialien, die er für seine Apostelgeschichte vorliegen hatte, in ähnlicher Weise umging, wie mit dem Markus-Evangelium. So können wir aus der Tatsache, dass wir nicht genau sagen können, wie die Traditionen vor Lukas ausgesehen haben, nicht schließen, dass es solche Traditionen nicht gegeben hat. So wie Lukas bei der Abfassung seines Evangeliums auf umfangreiche Traditionen zurückgegriffen hat, so dürfte er auch bei der Verschriftung der Apostelgeschichte vorgegangen sein. Es ist demnach sinnvoll anzunehmen, dass auch hier Überlieferung vorlag. Diese zu rekonstruieren ist uns in den meisten Fällen aber nicht mehr möglich.

4. Das Dispositionsschema des Lukas

a. Grundsätzliches zur Anordnung des Materials in der Apostelgeschichte

Was wir aber sagen können, das ist, dass Lukas diese Traditionen in der Apostelgeschichte in ein räumliches Dispositionsschema einordnete. Lukas führt uns einen Weg von Jerusalem ausgehend über Antiochien nach Rom. Entlang diesen Hauptstationen seines Berichtes ordnete er das Material, das er in der Tradition vorfand, an.

Das bedeutet aber gleichzeitig, dass die Reihenfolge der Darstellung nicht unbedingt die historische ist. Lukas ordnet sein Material nicht nach geschichtlichen Gesichtspunkten, er ordnet es seinem Dispositionsschema unter. Er ist, wenn überhaupt, dann ein antiker Historiker - und als solchem kommt es ihm nicht auf eine genaue Abfolge der Geschichte an. Es geht ihm um den Richtungssinn des Geschehens.

Somit hängt die Reihenfolge wesentlich von sachlichen Gesichtspunkten ab (Lk 1,1ff). Dies heißt, dass er sein Material im wesentlichen nach dem Richtungssinn des Geschehens und auf Grund einer theologischen Interpretation angeordnet hat.

Hierfür zwei Beispiele:

b. Der Beginn der Heidenmission als Beispiel

In seinem Material fand Lukas offensichtlich mehrere miteinander konkurrierende Darstellungen über den Beginn der Heidenmission vor.

Einmal fand er den Bericht über die Bekehrung eines äthiopischen Kämmerers durch Philippus. Zum anderen kannte er die Tradition von der ersten Heidenbekehrung durch Petrus und zu guter Letzt war ihm die Schilderung des Beginns der Heidenmission durch die Hellenisten in Antiochien bekannt.

All dieses Material ordnete er nun entsprechend seiner Konzeption an (Apg 8-12). Er wollte ja die Ausbreitung des Christentums von Jerusalem als Zentrum ausgehend darstellen. Deshalb macht er aus dem äthiopischen Kämmerer bereits einen Gottesfürchtigen, der schon nach Jerusalem reist um dort Gott anzubeten. Die Petruserzählung von Kornelius und der Bekehrung seines Hauses datiert er entsprechend seines Dispositionsschemas zurück und macht sie dadurch zur eigentlich entscheidenden Eröffnung der Heidenmission.

Erst auf diese beiden in der Umgebung von Jerusalem angesiedelten Ereignisse lässt er die Geschehnisse in Antiochien folgen.

c. Die Ereignisse auf den Paulusreisen als Beispiel

Ein weiteres Beispiel stellen die Ereignisse auf den Paulusreisen dar. Nach dem Lukasbericht besuchte Paulus mehrere Städte im Verlauf seiner Reisen mehrfach.

Nun war das Überlieferungsmaterial, das dem Lukas vorlag, natürlich nicht genau zu datieren. Es war im Letzten unklar, ob ein Ereignis beim ersten, beim zweiten oder gar beim dritten Besuch einer Gemeinde stattgefunden hatte.

Lukas löst dieses Problem, indem er seine Tradition ganz einfach nicht auf mehrere Besuche verteilt. Er verbindet alles, was er an Überlieferungen etwa von den Besuchen in Korinth vorliegen hat, mit einem einzigen Besuch in dieser Gemeinde. Die anderen Besuche erwähnt er nur flüchtig, schildert aber nicht, was dort geschehen ist.

Man muss also in Rechnung stellen, dass Lukas seine Stoffe konzentriert und dass sich von seiner Darstellung her demnach nicht einfach klären lässt, wann das entsprechende Ereignis nun historisch genau stattgefunden hat.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkung

1 Wo nicht anders vermerkt folge ich meinem Lehrer Rudolf Pesch, Einführung in das Neue Testament II - nicht autorisierte Vorlesungsmitschrift des WS 1980/81 (Albert-Ludwig-Universität Freiburg i. Br.). Zur Anmerkung Button