Die Bibel
Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...
Zur Konzeption eines Doppelwerkes ⋅1⋅
- 1. Mk 6,45-8,26 - die große Auslassung
- 2. Mk 13,32
- 3. Mk 13,26 // Lk 21,27 - die Zahl der Wolken
- 4. Das Tempelwort im Prozess
- 5. Fazit
Die Apostelgeschichte beginnt mit den Worten:
"Im ersten Buch, lieber Theophilus, habe ich über alles berichtet, was Jesus getan und gelehrt hat, bis zu dem Tag, an dem er (in den Himmel) aufgenommen wurde." (Apg 1,1.)
Diese Einleitung stellt die Apostelgeschichte als ein Werk vor, das ein anderes fortzusetzen gedenkt. Und dieses erste Werk muss folgerichtig das Lukas-Evangelium gewesen sein. Dort heißt es nämlich in Lk 1,3:
"Nun habe auch ich mich entschlossen, allem von Grund auf sorgfältig nachzugehen, um es für dich, hochverehrter Theophilus, der Reihe nach aufzuschreiben." (Lk 1,3.)
Der Name Theophilus, den der Verfasser im Prooemium sowohl der Apostelgeschichte also auch des Lukas-Evangeliums nennt, ist gemeinsam mit Sprache, Stil und theologischer Haltung, ein wichtiges Indiz dafür, dass das Lukas-Evangelium und die Apostelgeschichte auf ein- und denselben Verfasser zurückgehen.
Nun ist in der Forschung umstritten, ob dieser Verfasser von Anfang an ein Doppelwerk schreiben wollte. War seine Geschichte von vorneherein auf zwei Bücher konzipiert, hatte er also bereits beim Schreiben des Evangeliums die Niederschrift der Apostelgeschichte im Auge?
Diese Frage zu beantworten wäre nicht unwichtig. Wenn die Apostelgeschichte von Anfang an mitgeplant war, dann hat ihre Anlage ja sicherlich auch Konsequenzen für die Gliederung des Evangeliums gehabt. Manche Schwierigkeiten im Aufriss des Lukas-Evangeliums ließen sich von daher dann möglicherweise erklären.
Ein Hinweis dafür, dass beide Werke von Anfang an als Doppelwerk geplant waren, ist für Rudolf Pesch die vielfache Beziehung zwischen Apostelgeschichte und Lukas-Evangelium. Es fließen Dinge in die Darstellung des Evangeliums mit ein, die nur in der Apostelgeschichte geklärt werden können. Auch werden Abschnitte im Evangelium aufgespart, weil sie erst in der Apostelgeschichte relevant werden.
1. Mk 6,45-8,26 - die große Auslassung
Ein wichtiges Beispiel ist Mk 6,45-8,26, die sogenannte große Auslassung des Lukas, und hier ganz besonders Kapitel 7. Lukas lässt den Streit um rein und unrein im Evangelium konsequent aus, weil er ja in der Apostelgeschichte zeigen möchte, dass es zur Heidenmission erst allmählich gekommen ist (vgl. Apg 10-11).
2. Mk 13,32
Mk 13,32 ist ein weiteres Beispiel. Es heißt dort:
"Doch jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater." (Mk 13,32.)
Lukas lässt diesen Vers an der entsprechenden Stelle in Lk 21 aus. Dies verwundert nicht, wenn man die Apostelgeschichte mit dem Evangelium zusammennimmt. In Apg 1,6-7 überliefert er nämlich eine ganz ähnliche Äußerung, die Mk 13,32 im Zusammenhang des Evangeliums überflüssig macht. Es heißt dort:
"Als sie nun beisammen waren, fragten sie ihn: Herr, stellst du in dieser Zeit das Reich für Israel wieder her? Er sagte zu ihnen: Euch steht es nicht zu Zeiten und Fristen zu erfahren, die der Vater in seiner Macht festgesetzt hat." (Apg 1,6-7.)
Es scheint also so zu sein, als ob der Verfasser das Problem der Naherwartung gleichsam auf die Apostelgeschichte vertagen würde.
3. Mk 13,26 // Lk 21,27 - die Zahl der Wolken
Interessant ist auch, dass sich an einigen Stellen eine im Vergleich zum Markusevangelium differierende Sprechweise vom Lukas-Evangelium zur Apostelgeschichte hin durchhält.
Bei der Schilderung der Parusie des Menschensohnes in Lk 21 spricht Lukas beispielsweise davon, dass man den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf einer Wolke kommen sehen wird (Lk 21,27). Mk 13,26 ist von der Wiederkunft "in den Wolken des Himmels", also von mehreren Wolken, die Rede.
Diese andere Sprechweise hält Lukas durch. Auch bei der Himmelfahrtsschilderung in der Darstellung der Apostelgeschichte spricht er nur von einer Wolke. Ein weiterer Hinweis also zumindest auf die Zusammengehörigkeit beider Werke.
4. Das Tempelwort im Prozess
Auch den Prozess Jesu vor dem Hohen Rat in Lk 22 stellt Lukas anders dar als seine Markus-Vorlage. Er bringt ihn nicht mit einem Tempelwort in Zusammenhang. Jesus wird nicht angeklagt, dass er den Tempel habe vernichten wollen. Dies könnte, bei einer gleichzeitigen Konzipierung von Evangelium und Apostelgeschichte, durchaus mit Rücksicht auf die Apostelgeschichte geschehen sein. Denn dort wird ja zunächst die Urgemeinde äußerst tempelfreundlich dargestellt. Der Vorwurf der Tempelkritik wird erst in Apg 6 - und dort dem Stephanus - gemacht.
5. Fazit
Nach Rudolf Pesch muss Lukas daher schon - zumindest während er das Evangelium geschrieben hat - den Plan gefasst haben, auch eine "Apostelgeschichte" hinterher zu schicken. Man könne daher nicht davon ausgehen, dass Lukas erst nach Fertigstellung des Evangeliums, etwa angesichts des Erfolges des ersten Werkes, gleichsam einen Fortsetzungsroman geschrieben habe.
Anmerkung