Die Bibel
Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...
Der Philemonbrief ⋅1⋅
Damit kommen wir zum letzten Schreiben aus der Reihe der sogenannten echten Paulinen, dem Philemonbrief.
1. Die Adressaten
Der Philemonbrief richtet sich - wie der Name schon sagt - als einziges der bisher betrachteten Schreiben nicht an eine Gemeinde, sondern an eine einzelne Person, nämlich an Philemon und dessen Hausgemeinde. Zu dieser Hausgemeinde gehörten neben Philemon selbst vermutlich seine Frau, die Aphia, und ein Archippus (vgl. Kol 4,17), möglicherweise dessen Sohn.
Somit ist der Brief - im Unterschied zu den anderen paulinischen Schreiben - aufs Ganze gesehen ein Privatbrief.
2. Inhalt und Situation
Der ganze Brief besteht nur aus einem einzigen Kapitel und umfasst lediglich 25 Verse. Sie handeln von einem Sklaven, dem Onesimus, der seinem Herrn Philemon, einem Christen, entlaufen ist. Onesimus hatte offensichtlich Zuflucht bei Paulus gefunden und wurde von ihm getauft. Nun sandte Paulus den Sklaven seinem Herrn zurück. Als Empfehlungsschreiben gab er ihm offensichtlich diese wenigen Zeilen, die sich heute als Philemonbrief im Neuen Testament finden, mit und bat darin den Philemon, den Onesimus nunmehr als Bruder in Christus in Gnaden wieder aufzunehmen,
Die 25 Verse gliedern sich nun folgendermaßen:
Hier geht es um die Zurückführung des entlaufenen Sklaven Onesimus zu seinem Herrn (vgl. Kol 4,9).
Nach der Bekehrung des Onesimus wird dieser mit einem Begleitschreiben an Philemon zurückgesandt. Dabei bittet Paulus indirekt um seine Freilassung, damit er ihm zur Hand gehen könne.
3. Der Abfassungsort
In der Frage des Abfassungsortes des Philemonbriefes gehen die Meinungen auseinander.
In Vers 1 wird erwähnt, dass Paulus in Haft sei. Dies wirft die Frage auf, ob hier die Haft in Ephesus, in Caesarea oder gar in Rom gemeint ist.
Für Rom als Abfassungsort spricht:
- Der Philemonbrief setzt Gemeinden in der Provinz Asia voraus. Die Haft in Ephesus steht nach der Schilderung des Philipperbriefes aber relativ am Anfang des Wirkens Pauli. Eine spätere Haft anzunehmen ist daher im Blick auf die Briefsituation des Philemonbriefes weit sinnvoller.
- Paulus stellt sich als alten Mann in Haft vor (Phlm 9). Dies ist verständlicher, wenn Rom als Ort der Haft angesehen würde. Der Aufenthalt in Ephesus wäre mindestens 3 bis 5 Jahre früher anzusetzen.
- Paulus hat in der Haft den Onesimus bekehrt. Nach der Schilderung der Apostelgeschichte (Apg 28,30) ist dies etwas, was während der römischen Haft durchaus denkbar wäre.
- Und Paulus spricht davon, dass er den Philemon selbst zu einer früheren Zeit bekehrt habe. Dies heißt, dass er auf eine frühere Zeit zurückblickt. Die Bekehrung des Philemon dürfte deshalb schon einige Zeit, wahrscheinlich einige Jahre zurückliegen. Dadurch ist der Brief wohl eher an das Ende der Wirkungszeit des Paulus zu rücken.
Onesimus kann durchaus aus der Asia stammen. Dies ist unabhängig vom Abfassungsort des Briefes. Es war nichts ungewöhnliches, dass ein entlaufener Sklave in einer Großstadt wie Rom Zuflucht suchte.
Interessant ist übrigens die spätere Überlieferung in der Alten Kirche, dass nämlich Onesimus Bischof von Ephesus geworden ist. Anscheinend empfand man nichts anstößiges daran, einen entlaufenen Sklaven mit dem Bischofsamt zusammenzubringen. Dies ist ein wichtiger Hinweis für die Rolle der Sklaven in der damaligen Zeit und vor allem in den frühen christlichen Gemeinden.
Es gibt natürlich auch Argumente, die für Ephesus als Abfassungsort sprechen.
- Paulus bittet nämlich um Unterkunft, wenn er wieder frei kommt (Phlm 22). Hatte er in Rom tatsächlich die Hoffnung, noch einmal frei zu kommen? Und ist es sinnvoll anzunehmen, dass er aus Rom, das so weit von Philemons Wohnsitz entfernt liegt, darum bittet, bei diesem Unterkunft zu bekommen? Wäre es nicht sinnvoller anzunehmen, dass Paulus eben gar nicht so weit von Philemon entfernt inhaftiert ist, nämlich in Ephesus?
- Ein weiterer Punkt ist die Tatsache, dass der Kolosserbrief, auf den wir noch zu sprechen kommen werden, den Philemonbrief als literarische Vorlage benutzt. Er zitiert ihn teilweise fast wörtlich. Dies lässt aber durchaus vermuten, dass man den Onesimus und den Archippus in der Nähe von Kolossae suchen müsse. Auch dies würde eher für Ephesus als Abfassungsort des Philemonbriefes sprechen.
- Als drittes Argument wird genannt, dass die Grußliste des Philemonbriefes starke Übereinstimmungen mit der Grußliste des Kolosserbriefes aufweist. Die Personen wären demnach doch wohl auch in der gleichen Gegend zu suchen.
Eine Diskussion der letzten beiden Argumente hängt allerdings sehr damit zusammen, ob man den Kolosserbrief für ein Paulusschreiben hält oder für einen deuteropaulinischen Brief. Wenn der Kolosserbrief erst in der nächsten Generation entstanden ist, dann sind die genannten Zusammenhänge nicht mehr ganz so zwingend.
Die Befürworter der Rom-Theorie müssen Phlm 22 mit der Bitte um Unterkunft nach der Haft so interpretieren, dass Philemon nicht in der Provinz Asia weilt, sondern in der Nähe von Rom.
Die Benutzung des Philemonbriefes im Kolosserbrief wird von ihnen so interpretiert, dass der Verfasser des Kolosserbriefes eben ein Paulusschüler war. Er hat aus dem Philemonbrief irrtümlich geschlossen, dass Kolossae bzw. die Umgebung von Kolossae der ursprüngliche Wohnsitz des Philemon war und seinen Brief dementsprechend konstruiert.
Joachim Gnilka ⋅2⋅ und Wilhelm Egger ⋅3⋅ erscheint Ephesus als sinnvollste Lösung. Gnilka meint eine Abfassung kurz vor dem Philipperbrief annehmen zu müssen. Rudolf Pesch hingegen tendiert für eine Abfassung in Rom. Die Autorität der römischen Gemeinde ist für ihn mit ein Grund dafür, warum der Philemonbrief auch nach seiner Einarbeitung in den Kolosserbrief nicht einfach vergessen wurde. Er wäre demnach um 58 - 60 n. Chr. geschrieben worden. Abgeschlossen ist die Diskussion über diese Frage noch nicht.
4. Die Bedeutung des Briefes
Der Philemonbrief ist inhaltlich äußerst wichtig
- einmal für die Beschreibung der Existenz der frühen Kirche in Hausgemeinden,
- dann für die Behandlung der Sklavenfrage im frühen Christentum
- und nicht zuletzt für die Einschätzung der Deuteropaulinen. Der Vergleich von Philemonbrief und Kolosserbrief gibt wichtige Aufschlüsse über die Entstehung und Einordnung der deuteropaulinischen Schreiben.
Formgeschichtlich ist der Brief ein Fürbittbrief. Eine Parallele in der antiken Literatur ist zum Beispiel der Brief des Plinius d. J. an Sabinianus.
Anmerkungen