Die Bibel
Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...
Der Aufbau des Johannes-Evangeliums
- 1. Der Prolog (Joh 1,1-18)
- 2. Erster Hauptteil - Jesu Selbstoffenbarung vor der Welt (Joh 1,19-12,50)
- a. Erster Abschnitt - Die Anfänge der Offenbarung Jesu (Joh 1,19-4,54)
- b. Zweiter Abschnitt - Auf dem Höhepunkt der galiläischen Wirksamkeit. Jesus, das Brot des Lebens (Joh 6)
- c. Dritter Abschnitt - Jesu Selbstoffenbarung in Jerusalem: Der "Sohn" als Lebensspender und Richter (Joh 5; Joh 7,15-24)
- d. Vierter Abschnitt - Jesus auf dem Laubhüttenfest in Jerusalem. Die Einstellung verschiedener Kreise zu ihm (Joh 7 mit Ausnahme der Verse 15-24)
- e. Ein nichtjohanneischer Einschub: Die Perikope von der Ehebrecherin (Joh 7,53-8,11)
- f. Fünfter Abschnitt - Weitere Offenbarungsworte und Streitreden. Vertiefung der Kluft zwischen Jesus und den ungläubigen Juden (Joh 8,12-59)
- g. Sechster Abschnitt - Die Heilung des Blindgeborenen; Jesus das Licht der Welt (Joh 9)
- h. Siebter Abschnitt - Jesus der Hirt und verwandte Bildreden. Auf dem Tempelweihfest (Joh 10)
- i. Achter Abschnitt - Die Auferweckung des Lazarus: Jesus, die Auferstehung und das Leben. Todesbeschluss des Hohen Rates (Joh 11,1-54)
- j. Neunter Abschnitt - Der Gang zum Todespascha in Jerusalem. Ausblick auf Jesu Erhöhung und Verherrlichung (Joh 11,55-12,36)
- k. Abschluss des Ersten Hauptteils - Das Ergebnis des Offenbarungswirkens Jesu und die fortklingende Offenbarungsrede (Joh 12,37-50)
- 3. Zweiter Hauptteil - Jesus im Kreis der Seinigen. Passion und Auferstehung (Joh 13-20)
- a. Erster Abschnitt - Jesus im Kreis der Seinigen. Letztes Mahl und Abschiedsreden (Joh 13-14)
- b. Zweiter Abschnitt - Weitere Abschiedsreden (Joh 15-16)
- c. Dritter Abschnitt - Das Gebet des scheidenden Erlösers (Joh 17)
- d. Vierter Abschnitt - Die Verhaftung Jesu und das jüdische Verhör (Joh 18,1-27)
- e. Fünfter Abschnitt - Der Prozess vor Pilatus (Joh 18,28-19,16a)
- f. Sechster Abschnitt - Die Passion: Kreuzweg, Kreuzigung und Grablegung (Joh 19,16b-42)
- g. Siebter Abschnitt - Ostern: Offenes Grab und Erscheinungen. Ausklang der Offenbarung Jesu vor den Jüngern (Joh 20)
- 4. Das redaktionelle Schlusskapitel (Joh 21)
Damit haben wir die synoptischen Evangelien hinter uns gelassen. Wir kommen nun zum Johannes-Evangelium, das eine ganz eigene Stellung unter den kanonischen Evangelien einnimmt. Was wir bisher über Quellen und strukturelle Zusammenhänge gesagt haben, galt fast in gleicher Weise ja für alle drei bisher besprochenen Evangelien-Schriften. Im Blick auf das Johannes-Evangelium müssen wir hier ganz eigene Wege gehen.
Bevor wir dies aber tun wollen, soll zunächst der Aufbau des Evangeliums verdeutlicht werden.
Das Johannes-Evangelium lässt sich folgendermaßen gliedern:
1. Der Prolog (Joh 1,1-18)
Es beginnt mit einem eigenartigen Prolog, dem ein Lied oder Hymnus zugrunde liegt. Dieses Lied, besang den λόγος ["lógos"], das göttliche Wort, den Erlöser. Umstritten ist in der Forschung, ob es sich hier schon von Anfang an um ein christliches Lied handelte, also ob dieser λόγος [ "lógos"] schon vom Verfasser dieses Liedes mit Jesus Christus identifiziert worden ist, oder ob der Verfasser des Evangeliums ganz einfach auf ein bekanntes, heidnisches Lied, etwa aus dem Umfeld der Gnosis - wir werden auf sie später noch zu sprechen kommen - zurückgegriffen hat. Dieses hätte er dann christlich durchformt und erweitert.
2. Erster Hauptteil - Jesu Selbstoffenbarung vor der Welt (Joh 1,19-12,50)
a. Erster Abschnitt - Die Anfänge der Offenbarung Jesu (Joh 1,19-4,54)
Danach beginnt ein Abschnitt, der im Rahmen des ersten Hauptteiles des Johannes-Evangeliums die Anfänge des Wirkens Jesu darstellt, und zwar in einem fortlaufenden, vielfach mit genauen Zeitangaben versehenen Bericht.
Der Leser trifft auf Jesus zuerst bei der Taufstelle Johannes' d. T. am Jordan, folgt ihm nach Galiläa, näherhin nach Kana, wo er auf einer Hochzeit das erste "Zeichen" wirkt, dann nach Kafarnaum, wo er aber nur kurz verweilt, um dann zum Pascha nach Jerusalem hinaufzuziehen. Der Abschnitt schließt nach der Rückkehr mit einem zweiten Wunder in Kana.
b. Zweiter Abschnitt - Auf dem Höhepunkt der galiläischen Wirksamkeit. Jesus, das Brot des Lebens (Joh 6)
Auf Kapitel 4 des Johannesevangeliums folgte wohl ursprünglich Kapitel 6. Wenn wir den heutigen Text anschauen, dann fällt nämlich auf, dass Joh 6,1 nur ganz schlecht an Joh 5 anschließt, aber sehr gut als Fortsetzung von Joh 4,54 passen würde.
Die Bemerkung
"Danach ging Jesus weg an das andere Ufer des Sees von Galiläa, des von Tiberias." (Joh 6,1.)
ist nämlich völlig fehl am Platz, wenn Jesus vorher in Jerusalem war. Der Vers zeigt schließlich eine Übersiedlung von der einen auf die andere Seite des Sees an. Ende Joh 5 ist Jesus aber in Jerusalem. Dass er von Jerusalem nach Galiläa zurückgekehrt wäre, wird nirgendwo berichtet.
Auch Joh 7,1 gibt im Anschluss an Kapitel 6 keinen guten Sinn, wohl aber wenn vorher das in Kapitel 5 Geschehene erzählt wurde.
Die Gegenprobe zeigt, dass nicht nur Kapitel 6 besser an Kapitel 4 anschließt, sondern auch Kapitel 5 ohne Schwierigkeit an Joh 6 angefügt werden kann. Hat der Leser zuerst den Jüngerabfall in Galiläa und das Bekenntnis des Simon-Petrus erfahren, so hört er danach, dass sich Jesus zu einem Fest nach Jerusalem begibt.
Wie aber wäre nun die Tatsache zu erklären, dass die Reihenfolge der Verse hier durcheinandergekommen ist.
Manchmal hat man versucht, dieses Phänomen mit dem Vertauschen von Blättern zu erklären. Die Blätter wären ganz einfach durcheinandergeraten und in der Folge immer falsch abgeschrieben worden. Wir werden an einer weiteren Stelle sehen, dass diese These aber recht unwahrscheinlich ist.
Vermutlich muss eine solch frühzeitige Änderung, die in sämtliche Handschriften eingegangen ist, schon der Endredaktion des Johannes-Evangeliums zugeschrieben werden. Möglicherweise war das Material des Evangelisten bei seinem Tod noch nicht genügend geordnet und die den Text herausgebende Schule hat sich aus uns nicht mehr ganz nachvollziehbaren Gründen für diese Reihenfolge entschieden. ⋅1⋅
Auf jeden Fall scheint sich - dem ursprünglichen Textablauf zufolge - die Gliederung der folgenden Kapitel so darzustellen:
c. Dritter Abschnitt - Jesu Selbstoffenbarung in Jerusalem: Der "Sohn" als Lebensspender und Richter (Joh 5; Joh 7,15-24)
Darauf würde dann Joh 5 und auch die Verse 15-24 aus dem 7. Kapitel folgen. Der Abschnitt Joh 7,15-24 wurde mit einiger Wahrscheinlichkeit auch erst nachträglich in den heutigen Textzusammenhang gestellt. Für die wohldurchdachte Komposition von Joh 5 scheint er kaum entbehrlich zu sein. ⋅2⋅
d. Vierter Abschnitt - Jesus auf dem Laubhüttenfest in Jerusalem. Die Einstellung verschiedener Kreise zu ihm (Joh 7 mit Ausnahme der Verse 15-24)
Darauf folgt dann als 4. Abschnitt Joh 7 mit Ausnahme der Verse 15-24, die wir ja an Kapitel 5 anschließen ließen.
e. Ein nichtjohanneischer Einschub: Die Perikope von der Ehebrecherin (Joh 7,53-8,11)
In Joh 7,53-8,11 folgt nun die Perikope von der Ehebrecherin. Dieses Stück stellt textkritisch ebenfalls ein Problem dar. Mit großer Sicherheit hat es ursprünglich gar nicht zum Johannes-Evangelium gehört.
So enthalten viele Textzeugen, darunter die ältesten, diese Perikope gar nicht. Einzelne Handschriften bieten diese Perikope darüber hinaus an einer ganz anderen Stelle.
Auch den griechischen Vätern scheint die Perikope als Bestandteil des Johannes-Evangeliums unbekannt gewesen zu sein.
U. Becker geht aufgrund seiner traditionsgeschichtlichen Forschungen davon aus, dass diese Perikope aus judenchristlichen Kreisen des 2. Jahrhunderts stammt. Erstmals scheint sie zu Beginn des 3. Jahrhunderts in den Vier-Evangelien-Kanon aufgenommen worden zu sein. Um 400 n. Chr. dürfte sie dann von der griechischen Kirche ausgehend als kanonisch akzeptiert worden sein. ⋅3⋅
f. Fünfter Abschnitt - Weitere Offenbarungsworte und Streitreden. Vertiefung der Kluft zwischen Jesus und den ungläubigen Juden (Joh 8,12-59)
Der johanneische Zusammenhang wird dann mit Joh 8,12 fortgesetzt. Dieser fünfte Abschnitt schließt sich locker, ohne neuen Rahmen, an Kapitel 7 an. Es geht um weitere Offenbarungsworte und Streitreden. Die Kluft zwischen Jesus und den ungläubigen Juden vertieft sich.
g. Sechster Abschnitt - Die Heilung des Blindgeborenen; Jesus das Licht der Welt (Joh 9)
Joh 9 bildet dann wieder eine selbständige Einheit, die allerdings geschickt in den Zusammenhang eingefügt ist. Joh 9,1 schließt sich unmittelbar an den Fortgang Jesu aus dem Tempel an. Die Thematik "Jesus, das Licht der Welt", die an Hand der Blindenheilung entfaltet wird, wird an den Deutesprüchen zu Beginn (Joh 9,5) und am Ende (Joh 9,39) erkennbar. Sie steht mit dem Offenbarungswort in Joh 8,12 in Verbindung und bindet den sechsten Abschnitt dementsprechend an den fünften zurück.
h. Siebter Abschnitt - Jesus der Hirt und verwandte Bildreden. Auf dem Tempelweihfest (Joh 10)
Joh 10 stellt uns wieder vor literarkritische Probleme. Es ist umstritten, ob hier die ursprüngliche, vom Evangelisten beabsichtigte Reihenfolge der Verse vorliegt. Auffallend ist der
- abrupte Einsatz von Joh 10,1,
- die Einordnung des Disputs über Jesus, bei dem die Blindenheilung eine Rolle spielt, in Joh 10,19-21,
- die Auseinanderreißung von Stellen, die unter dem gleichen Bildmotiv und Thema zusammengehören in Joh 10,1-18 und Joh 10,26-29
- und die Ansage des Tempelweihfestes in Joh 10,22, die zudem noch einen zeitlichen Abstand schafft.
Auch hier hat man nun wieder die Theorie einer Blattvertauschung ins Spiel gebracht. So meinte man die Verse 19-21 für den Abschluss von Kapitel 9 halten zu müssen. Darauf wären dann ursprünglich die Verse 22-29 gefolgt. Angeschlossen hätten sich die Verse 1-18 und Vers 30 hätte die Perikope der vertauschten Verse geschlossen.
Dabei würde also der ganze Block Joh 10,1-18 zwischen Vers 29 und 30 eingeschoben. Man hat errechnet, dass diese Verse mit ihren 1495 Buchstaben auf zwei Blättern Platz gefunden hätten. Der Abschnitt Joh 10,19-29 mit seinen 775 Buchstaben hätte auf einem Blatt Platz gehabt. So hätten die Blätter durchaus vertauscht worden sein können.
Gegen die damit neu gewonnene Reihenfolge der Verse kann man vom Inhalt her keine ernstlichen Einwände erheben. Schwierig ist nur die These der Blattvertauschung an sich. Hat man das Johannes-Evangelium in dieser frühen Zeit tatsächlich bereits auf lose Blätter geschrieben, in Form eines Kodex gar? Schrieb man in dieser Zeit nicht doch noch auf Rollen? Bei einer Rolle aber lassen sich Blätter kaum vertauschen.
So bleiben wir mit Rudolf Schnackenburg hier wohl am Besten bei der traditionellen Reihenfolge der Verse, mit der man durchaus leben kann. ⋅4⋅
i. Achter Abschnitt - Die Auferweckung des Lazarus: Jesus, die Auferstehung und das Leben. Todesbeschluss des Hohen Rates (Joh 11,1-54)
Es folgt nun Joh 11 mit der Schilderung der Auferweckung des Lazarus. Hier lässt sich traditionsgeschichtlich ganz gut eine einfache Geschichte von einer Totenerweckung herauslösen. Auf ihr hat der Evangelist aufgebaut und sie auf dem Hintergrund seiner theologischen Intentionen erweitert.
In der Tiefenschau des Evangelisten ist es kein Zufall, dass in dem Augenblick, da der Sohn Gottes seine Lebensmacht in höchster Weise offenbart, die ungläubigen Menschen entschlossen sind, ihn zu vernichten und alle erforderlichen Maßnahmen dazu zu ergreifen. Der Weg zum Kreuz ist vorgezeichnet, steht aber im Plan Gottes; denn die Erhöhung am Kreuz wird zur Verherrlichung Gottes in seinem Sohn. Das Zeichen der Totenerweckung weist schon auf diese letzte Verherrlichung hin (Joh 11,4), und die unfreiwillige Prophetie des Hohenpriesters aus Joh 11,51-52, dass Jesus nämlich als einzelner für das ganze Volk sterben werde, zeigt, wie der Anschlag der Menschen dem Plan Gottes dienen muss. ⋅5⋅
j. Neunter Abschnitt - Der Gang zum Todespascha in Jerusalem. Ausblick auf Jesu Erhöhung und Verherrlichung (Joh 11,55-12,36)
Der letzte Abschnitt des öffentlichen Wirkens Jesu steht dann im Bannkreis des herannahenden Todespascha.
k. Abschluss des Ersten Hauptteils - Das Ergebnis des Offenbarungswirkens Jesu und die fortklingende Offenbarungsrede (Joh 12,37-50)
Den Abschluss der öffentlichen Wirksamkeit Jesu markiert der Evangelist nun noch durch eine Rückschau und eine Reflexion über den Unglauben der Menschen. Joh 12,37-43 ist eine theologische Betrachtung, die den jüdischen Unglauben im Licht der Schrift zu verstehen sucht und auf die Verhältnisse zur Zeit des Evangelisten blickt (Joh 12,42-43).
Nach Rudolf Schnackenburg hat dann die Redaktion des Evangeliums in Joh 12,44-50 aus Material des Evangelisten weitere Worte angefügt, die ursprünglich nicht zum Bestand des Evangeliums gehörten. Sie bringen keinen neuen Gedanken, aber sie stellen das "johanneische Kerygma", die Verkündigung des Johannes, in einer präzisen Form mit einigen besonderen und beachtlichen Formulierungen dar. ⋅6⋅
3. Zweiter Hauptteil - Jesus im Kreis der Seinigen. Passion und Auferstehung (Joh 13-20)
Damit kommen wir zum zweiten Hauptteil des Johannes-Evangeliums. Er schildert Jesus im Kreis der Seinigen und führt über die Passion zu den Berichten von der Aufstehung.
a. Erster Abschnitt - Jesus im Kreis der Seinigen. Letztes Mahl und Abschiedsreden (Joh 13-14)
Der erste Abschnitt schildert das Mahl und lässt Jesus in einer Abschiedsrede seinen Weggang ankündigen. Dabei ist auffallend, dass Johannes nicht vom Mahl selbst handelt. Er berichtet vielmehr ausführlich von der Fußwaschung. Durch den Weggang des Verräters wird dieser Abschnitt klar in zwei Hälfen geteilt.
b. Zweiter Abschnitt - Weitere Abschiedsreden (Joh 15-16)
Nun folgen zwei weitere Abschiedsreden. Obschon Joh 15 tatsächlich eine Fortsetzung der "Abschiedsrede" von Joh 14 ist, fällt auf, dass diese Rede abrupt einsetzt. Mit einiger Wahrscheinlichkeit handelt es sich - nach Rudolf Schnackenburg - hier um einen Nachtrag der Redaktion aus hinterlassenem Material des Evangelisten.
Auch die nächste Rede in Joh 16 könnte aus ähnlichen Bestrebungen entstanden sein. Hier handelt es sich offensichtlich um eine "relecture" der ursprünglichen Abschiedsrede von Joh 14, ein Neubedenken und Neusagen, besonders im Hinblick auf die Existenz der Gemeinde in der Welt (vgl. Joh 16,33). ⋅7⋅
c. Dritter Abschnitt - Das Gebet des scheidenden Erlösers (Joh 17)
Wieder anders stellt sich das Problem des Gebetes in Joh 17 dar. Dieses Gebet, das eine in sich gerundete Redeeinheit darstellt, kann durchaus auf einer späteren Stufe der literarischen Komposition eingefügt worden sein. Nach Schnackenburg bleibt es durchaus möglich, dass die Redaktion ein solches Gebet im Nachlass des Evangelisten vorfand und an dieser Stelle einbaute. ⋅8⋅
d. Vierter Abschnitt - Die Verhaftung Jesu und das jüdische Verhör (Joh 18,1-27)
Auch die johanneische Darstellung der Passion Jesu, die sich an das letzte Zusammensein Jesu mit seinen Jüngern im Rahmen eines Mahles anschließt, zeigt unverkennbar die Eigenart johanneischer Theologie und Gestaltungskunst. Theologisch ist sie nichts anderes als die Durchführung des Gedankens von der "Erhöhung" Jesu. Seine Hoheit, näherhin seine königliche und göttliche Würde, wird gerade in jenem Geschehen erwiesen, das den früheren Evangelisten und anderen Theologen als der Tiefpunkt seiner Erniedrigung galt. ⋅9⋅
Der johanneische Passionsbericht setzt unmittelbar mit der Verhaftung Jesu ein. Er übergeht also das von allen Synoptikern geschilderte Gebetsringen und die Todesangst Jesu in Getsemani.
e. Fünfter Abschnitt - Der Prozess vor Pilatus (Joh 18,28-19,16a)
Schon von seiner Länge her ragt der fünfte Abschnitt des zweiten Hauptteiles aus dem johanneischen Passionsbericht hervor. Er ist das Herzstück der ganzen Darstellung. Es geht nun um den Prozess vor Pilatus. Auch ohne die synoptischen Vergleichstexte weist er sich durch die Worte Jesu, die durchweg an Pilatus gerichtet sind, als bewusste und gewollte Gestaltung des Evangelisten aus. Diese Worte sind zusammengenommen gleichsam eine letzte Offenbarungsrede Jesu, die er vor dem Vertreter des römischen Staates und des Heidentumes hält, während seine Rede vor den Juden verstummt ist (vgl. Joh 12,36b; Joh 18,20-21). ⋅10⋅
f. Sechster Abschnitt - Die Passion: Kreuzweg, Kreuzigung und Grablegung (Joh 19,16b-42)
Das eigentliche Passionsgeschehen stellt Johannes dann konsequent in die theologische Perspektive hinein, die er durch das ganze Evangelium aufgetan hat. Das Thema vom Königtum Jesu, das den Prozess vor Pilatus beherrschte, wird nun zu Ende geführt. Jesus besteigt am Kreuz seinen "Königsthron", in der Mitte von zwei anderen Verurteilten: tiefste Schmach in den Augen der Menschen, "Erhöhung" von Seiten Gottes. Sein Königtum wird durch die Kreuzesaufschrift in drei Sprachen - also vor aller Welt - proklamiert. Der Text ist für die "Hohenpriester der Juden" widersprüchlich, wird von Pilatus bestätigt, aber erst von der glaubenden Gemeinde in seinem Sinn erkannt. ⋅11⋅
g. Siebter Abschnitt - Ostern: Offenes Grab und Erscheinungen. Ausklang der Offenbarung Jesu vor den Jüngern (Joh 20)
Der letzte Abschnitt des ursprünglichen Evangelienbuches bringt nun die Osterüberlieferung in der Sicht und Deutung des 4. Evangelisten.
4. Das redaktionelle Schlusskapitel (Joh 21)
Schwierigkeiten bereitet dann noch einmal das heutige Schlusskapitel Joh 21. Stilistische, sprachliche und literarkritische Argumente zwingen dazu, dieses Kapitel dem Evangelisten abzusprechen. Es wurde frühestens von der Redaktion geschaffen und an den Text des Evangeliums angefügt. ⋅12⋅
Inhaltlich findet sich hier eine weitere Offenbarung des Auferstandenen vor Petrus und dem Lieblingsjünger und die Gleichsetzung des Verfassers mit dem Lieblingsjünger, sowie ein weiteres Schlusswort.
Anmerkungen