Die Bibel
Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...
Das Buch Jesus Sirach ⋅1⋅
- 1. Zur Textkritik
- a. Fragmente des hebräischen Textes
- b. Schon sehr früh unterschiedliche Textformen
- c. Der kanonische Text
- 2. Der Titel des Buches
- 3. Die Abfassungszeit
- 4. Die Absicht Ben Siras
- 5. Die Struktur des Buches
- 6. Zur Theologischen Intention
- a. Eine traditionelle Lehre
- b. Neue Gesichtspunkte in der Lehre Ben Siras
- (1) Die Identifizierung von Weisheit und Gesetz
- (2) Die Betrachtungen über die Heilsgeschichte
- (3) Hoffnung auf Heil
- c. Zur Würdigung Ben Siras
- 7. Zur Wirkungsgeschichte
Damit kommen wir zum Buch Jesus Sirach. Es gehört zwar zur griechischen Bibel, steht aber - wie alle Schriften, die wir nun noch zu betrachten haben, - nicht im hebräischen Alten Testament.
Es zählt also zu den deuterokanonischen Büchern, die in der katholischen Kirche zur Heiligen Schrift gerechnet, in der evangelischen Tradition dagegen nicht als kanonisch betrachtet werden.
1. Zur Textkritik
Dabei wurde das Buch Jesus Sirach ursprünglich auf hebräisch verfasst.
a. Fragmente des hebräischen Textes
Hieronymus berichtet beispielsweise von einer hebräischen Ausgabe des Buches, die ihm vorgelegen habe.
Im Jahre 1896 hat man dann ungefähr zwei Drittel dieses hebräischen Textes unter den Fragmenten von mittelalterlichen Handschriften entdeckt, die aus einer alten Synagoge in Kairo stammten.
In einer der Höhlen von Qumran kamen dann weitere Bruchstücke dieses verschollenen Textes zum Vorschein.
Und im Jahre 1964 fand man bei der Ausgrabung von Massada einen längeren Textabschnitt, der Sir 39,27-44,17 umfasst. Die Form der Handschrift dieses Abschnittes entspricht dabei der Form, die im 1. Jahrhundert v. Chr. üblich war.
b. Schon sehr früh unterschiedliche Textformen
Die gefundenen Textzeugen weichen allerdings alle recht stark voneinander ab. Und auch wenn man die hebräischen Fragmente mit den griechischen und syrischen Übersetzungen vergleicht, fallen recht große Unterschiede auf.
Das weist darauf hin, dass das Buch schon sehr früh in mehreren Textformen im Umlauf gewesen sein muss.
c. Der kanonische Text
In der katholischen Kirche wird seit jeher der griechische Text des Buches Jesus Sirach als kanonisch betrachtet.
Dieser Text liegt beispielsweise der französischen Übersetzung der "Bible de Jérusalem" zugrunde. Auch unsere Übersicht über den Aufbau des Buches folgt der griechischischen Ausgabe von Jesus Sirach.
Die deutsche "Einheitsübersetzung" hat an einigen Stellen aber dem hebräischen Text den Vorrang gegeben.
2. Der Titel des Buches
Das Buch hat seinen Namen durch seinen Verfasser erhalten. Dieser Autor hat das Werk nämlich gleichsam unterschrieben. Seine Unterschrift liegt in Sir 51,30b vor.
So heißt das Buch im Griechischen nach diesem Verfasser "Weisheit des Jesus, des Sohnes Sirachs".
Der Name des Autors wird im Verlauf des Buches auch Sir 50,27 genannt.
Die Form "Sirach" ist dabei die griechische Fassung des Namens. Von ihr ist dann auch die manchmal gebrauchte Bezeichung der "Sirazide" abgeleitet.
Heute verwendet man den Namen auch gern in seiner hebräischen Kurzform und spricht dann von "Ben Sira".
Im Lateinischen wird das Buch unter der Überschrift "(Liber) Ecclesiasticus" - also "Kirchenbuch" - geführt.
Dies ist ist eine spätere Bezeichnung, die auf Cyprian zurückgeht. Sie sollte vermutlich hervorheben, dass die Christen im Unterschied zu den Juden das Buch offiziell, also in der Kirche, gebrauchten.
3. Die Abfassungszeit
In einem Vorwort erklärt der Enkel des Verfassers, dass er das Buch übersetzt habe. Dies hätte er getan, als er im 38. Jahr des Königs Euergetes nach Ägypten gekommen wäre.
Bei diesem König kann es sich nur um Ptolemäus VII. Euergetes handeln. Die Zeitangabe entspräche dann also dem Jahr 132 v. Chr.
So muss man wohl davon ausgehen, dass der Großvater des Übersetzers, also jener Jesus ben Sira, rund 60 Jahre zuvor dieses Buch geschrieben haben dürfte. Dementsprechend können wir vermuten, dass das eigentliche Werk etwa um das Jahr 190 v. Chr. entstanden ist.
Ein inneres Kriterium bestätigt diese Abfassungszeit: Ben Sira singt ein Loblied auf den Hohenpriester Simeon (Sir 50,1-21). Es handelt sich hierbei um den Hohenpriester Simeon II., der erst nach 200 v. Chr. gestorben ist.
Da in diesem Lied des Ben Sira eine Reihe von persönlichen Erinnerungen an diesen Simeon anklingen, weist auch der Inhalt des Buches selbst in die Zeit des beginnenden 2. Jahrhunderts v. Chr.
4. Die Absicht Ben Siras
Damals ging Palästina in die Herrschaft der Seleukiden über (198 v. Chr.).
Zu dieser Zeit kamen mit den neuen Machthabern auch eine Fülle von fremden Sitten und Gebräuchen nach Israel. Von einem Teil der führenden Schichten wurde die einsetzende Hellenisierung dabei sogar stark begünstigt.
Diesen bedrohlichen Neuerungen stellt Ben Sira mit aller Kraft die Überlieferung entgegen.
Dazu versucht er die einzelnen Stränge dieser Überlieferung miteinander zu verbinden. Vor allem die Verbindung von Weisheitsliebe und Gesetzesliebe ist Ben Sira ein Anliegen.
So hängt er einerseits leidenschaftlich am Tempel und seinen Zeremonien und hegt große Achtung vor dem jüdischen Priestertum.
Auf der anderen Seite erweist er sich aber genauso als großer Schriftgelehrter. Er ist in den heiligen Schriften und den Büchern der Propheten ebenso zuhause wie in der israelitischen Weisheitsliteratur.
Er selbst bringt seine Absicht dabei folgendermaßen auf den Punkt: Er will für alle, die sie suchen, Unterweisung in Weisheit erteilen. ⋅2⋅
5. Die Struktur des Buches
Seiner Form nach ist dieses Buch denn auch ein typisches Weisheitsbuch. Es steht in der Linie seiner Vorgänger und seiner Vorbilder.
a. Eine Sammlung von Sprüchen
Es ist eine Ansammlung einer Unzahl von Sprüchen. In seinem kompilatorischen Charakter ähnelt es dabei sehr stark den Sammlungen des Buches der Sprüche oder auch des Buches Kohelet.
Die verschiedenartigsten Themen werden ohne bestimmte Reihenfolge, mit einer Reihe von Wiederholungen erörtert. Als einziges Gliederungsmerkmal lässt sich ausmachen, dass thematisch verwandte Sprüche häufig in lockerer Form zusammengestellt wurden.
Strukturierter ist lediglich der zweite, kürzere Teil des Buches, der die Herrlichkeit Gottes in der Natur (Sir 42,15-43,33) und in der Geschichte preist (Sir 44,1-50,29). Hier ist schon von der Thematik her, eine deutlichere Gliederung auszumachen.
b. Anhänge
Zwei Anhänge wurden dann zusätzlich dem Buch angefügt:
- ein Dankhymnus (Sir 51,1-12)
- und ein Gedicht über das Suchen nach der Weisheit (Sir 51,13-30).
Der hebräische Text dieses letzten Stückes wurde in einer Qumranhöhle gefunden. Dort stand dieses Gedicht allerdings innerhalb einer Psalmenhandschrift.
Diese Entdeckung bestätigt die Vermutung, dass das Gedicht Sir 51,13-30 ursprünglich einmal ein selbständiger Text gewesen ist, der nachträglich an das Buch Jesus Sirach angehängt wurde.
c. Überblick ⋅3⋅
Die Themen, die das Buch des Ben Sira - gemäß seiner griechischen Ausgabe - behandelt sind dann im einzelnen folgende:
Danach Zusatz, der nur in einigen Handschriften der Septuaginta enthalten ist
6. Zur Theologischen Intention
a. Eine traditionelle Lehre
Die Lehre des Buches ist so traditionell wie seine Form.
Die Weisheit, die Ben Sira predigt,
- kommt vom Herrn.
- Ihr Ursprung ist Gottesfurcht.
- Sie erzieht die Jugend
- und sie verschafft das Glück.
Es geht ihr also auch - wie bei den Weisheitslehrern vor Ben Sira - zunächst um die Bewältigung des Alltages, um Hilfen für das ganz konkrete Leben.
Dabei herrscht auch bei Ben Sira Ungewissheit, wenn es um das menschliche Schicksal und das Problem der Vergeltung geht. Wie schon bei Ijob und Kohelet bleibt diese Frage letztlich unbeantwortet. Über den Tun-Ergehen-Zusammenhang kommt auch Ben Sira letztlich nicht hinaus. Er glaubt durchaus an die Vergeltung gemäß seiner Taten und zwar bereits in diesem Leben.
Ben Sira spricht andererseits aber auch von einer besonderen Bedeutung der Todesstunde, ohne allerdings schon eine Vergeltung nach dem irdischen Leben ins Spiel zu bringen.
Insgesamt kann man sagen, dass Ben Sira, was das Wesen der göttlichen Weisheit betrifft (Sir 24,1-22) die Einsichten des Buches der Sprüche und des Ijob-Buches weiterführt, ohne hier wesentlich Neues zu formulieren.
b. Neue Gesichtspunkte in der Lehre Ben Siras
Es gibt darüber hinaus aber auch eine Reihe von neuen Ansätzen im Werk des Jesus Ben Sira.
(1) Die Identifizierung von Weisheit und Gesetz
Er bringt beispielsweise dadurch etwas Neues, dass er die Weisheit mit dem von Mose verkündeten Gesetz identifiziert (Sir 24,23-34). Weisheitsliebe und Gesetzesliebe sind nach ihm identisch.
Solch eine Aussage findet sich ansonsten nur noch im ebenso deuterokanonischen Weisheitsgedicht des Buches Baruch (Bar 3,9-4,4.)
Ben Sira fügt also die Weisheit in die gesetzliche Strömung ein.
Befolgung des Gesetzes ist für ihn allerdings in erster Linie genauer Vollzug des Kultes (Sir 35,1-10). Genaugenommen stellt er also Weisheit, Gesetz und Gottesdienst am Tempel in eine Reihe, ja er verbindet diese drei traditionellen Größen zu einer untrennbaren Einheit.
(2) Die Betrachtungen über die Heilsgeschichte
Neu im Vergleich zu den früheren Weisheitslehrern ist auch die Betrachtung über die Heilsgeschichte, die Sir 44,1-49,16 bietet. Ben Sira lässt die großen Gestalten des Alten Testamentes, von Hennoch bis Nehemia, vorüberziehen.
Sein Urteil über die Gestalten der Geschichte orientiert sich dabei anscheinend an der deuteronomistischen Geschichtsschreibung. Wie sie verurteilt er insgesamt alle Könige außer David, Hiskija und Joschija.
Das strenge Urteil über Salomo, der genauso scharf verurteilt wird, wie Rehabeam und Jerobeam - und das obwohl er doch als der erste Weise gilt -, verwundert dabei in einem Weisheitsbuch nicht wenig. Aber auch dieses Urteil stimmt mit dem Urteil der deuteronomistischen Geschichtsschreibung überein.
Auffallend ist, dass die ganze Geschichtsbetrachtung Ben Siras wieder auf den Gottesdienst zuzulaufen scheint. Es geht ihm vor allem um die Ehre des Priestertums.
Gott hat mit Noah, Abraham, Jakob, Mose, Aaron, Pinhas und David zwar einen Bund geschlossenen, der das ganze Volk betrifft, entscheidend scheint für Ben Sira jedoch zu sein, dass durch diesen Bund vor allem priesterlichen Familien bleibende Privilegien zugesichert wurden.
So erhalten Aaron und Pinhas in der Reihe der Vorväter bei Ben Sira auch einen Ehrenplatz.
Und die Zielgestalt der ganzen Darstellung ist schließlich Simeon, der zeitgenössische Hohepriester. Die Geschichtsbetrachtung Ben Siras schließt mit einem begeisterten Loblied auf diesen Hohenpriester Simeon.
Er - und in ihm natürlich das Amt des Hohenpriesters - scheinen das Ziel dieses Teiles des Buches zu sein.
(3) Hoffnung auf Heil
Auffallend bei der Geschichtsbetrachtung des Ben Sira ist im übrigen eine gewisse Wehmut.
Ben Sira beschwört angesichts der Gegenwart die versunkene Herrlichkeit Israels. Bei der Erwähnung der Richter und der Kleinen Propheten spricht er gar den Wunsch aus, dass 'ihre Gebeine von ihrer Stätte emporsprossen mögen' (Sir 46,12; 49,10). Er wünscht also, dass auch in seiner Zeit Leute wie die Richter und die kleinen Propheten auftreten mögen.
Ben Sira erwartet aber keinen eschatologischen bzw. apokalyptischen Eingriff Gottes in die Geschichte.
Im Gebet (Sir 36,1-17) erinnert er Gott zwar an seine Verheißungen und bittet ihn, sich Zions zu erbarmen und die Stämme Jakobs zu sammeln. Doch bleibt ein solches Beispiel von prophetischem Nationalismus bei ihm die Ausnahme.
Als echter Weisheitslehrer scheint er sich mit der erniedrigenden, aber befriedeten Situation, in die sein Volk nun geraten war, abgefunden zu haben. Dem Volk ergeht es gemäß seinem Tun.
So gibt es in seinem Werk auch keine Hoffnung auf irgendeine Erlösung durch einen Messias. Wenn Israel wieder zu Größe und Ansehen gelangen wird, wenn seine Befreiung kommt, dann geschieht dies nicht als Werk eines Messias, dann geschieht dies als Lohn für die Treue zum Gesetz, ganz gemäß der Vorstellung von einem Tun-Ergehen-Zusammenhang.
Nichtsdestoweniger ist Ben Sira voll Vertrauen, dass diese Befreiung kommen wird.
c. Zur Würdigung Ben Siras
Ben Sira ist der letzte kanonische Zeuge der jüdischen Weisheit in Palästina. Er ist ein hervorragender Vertreter jener "chasidim", jener "Frommen" des Judentums (vgl. 1 Makk 2,42), die dann ihren Glauben gegen die Verfolgung unter Antiochus Epiphanes verteidigen werden.
Aus solchen Kreisen werden sich in Israel in der Folge - ganz besonders durch die Auseinandersetzung mit der Verdunstung der alten Tradition - Inseln des Glaubens bilden, in denen die Botschaft Jesu aufkeimen wird.
7. Zur Wirkungsgeschichte
Obwohl das Buch Jesus Sirach nicht in den hebräischen Kanon aufgenommen wurde, wird es im rabbinischen Schrifttum häufig zitiert.
Im Neuen Testament entnimmt der Jakobusbrief diesem Buch viele Wendungen. Auch das Matthäusevangelium bezieht sich mehrfach auf das Buch des Ben Sira.
Darüber hinaus hat Jesus Sirach insbesondere die christliche Liturgie stark befruchtet. Dort findet sich vor allem der Widerhall dieser alten Weisheitsüberlieferung.
Anmerkungen