Die Bibel

Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...


Weiter-ButtonZurück-Button Ein chronistisches Geschichtswerk? ⋅1⋅

Wenn man diese beiden Bücher aufmerksam durchgeht, dann fällt auf, dass sie nicht nur parallel zu den Samuel- und Königsbüchern laufen. Darüber hinaus weisen sie auch deutliche Berührungspunkte mit den Büchern Esra und Nehemia auf.

1. Stilistische Merkmale

Hier sind zunächst stilistische Merkmale auffallend. Es gibt mannigfache Ähnlichkeiten in

  • Ausdrucksweise,
  • Stil,
  • Grundgedanke
  • und Intention.

Wir haben diesbezüglich eine weitgehende Übereinstimmung der vier Bücher vorliegen.

Unterschiede, die bleiben lassen sich oftmals recht einfach erklären. In den Chronikbüchern zum Beispiel spielt das davidische Königtum und die Prophetie eine überaus große Rolle. In den Büchern Esra und Nehemia haben diese Themen kaum noch eine Bedeutung.

Solche deutlichen Unterschiede sprechen aber nicht gegen eine Beziehung dieser vier Bücher untereinander.

Im Blick auf Königtum und Prophetie ließe sich die unterschiedliche Gewichtung beispielsweise ganz einfach dadurch erklären, dass diese Themen im Buch Esra und Nehemia keinen Platz mehr haben. In der Zeit, von der Esra und Nehemia berichten, spielen weder Königtum noch Prophetie mehr eine entscheidende Rolle.

2. Das Kyrusedikt als Scharnier

Der Eindruck von innerer Beziehung dieser vier Bücher untereinander wird noch verstärkt, wenn man be­rück­sich­tigt, dass die beiden Chronikbücher bis zum Exil reichen. Esra und Nehemia berichten ge­nau über die Folge­zeit.

Dabei endet das zweite Chronikbuch mit dem Kyrusedikt, das die Exilswende markiert. Es heißt hier:

"Damit das Wort Jahwes durch den Mund des Jeremia sich erfülle, erweckte Jahwe im ersten Jahr des Kyrus, des Königs von Persien, den Geist des Kyrus, des Königs von Persien, dass er folgendes in seinem ganzen Reiche ausrufen und auch schriftlich bekannt machen ließ: "So spricht Kyrus, der König von Persien: Alle Königreiche der Erde gab mir Jahwe, der Gott des Himmels. Er beauftragte mich, ihm ein Haus in Jerusalem zu bauen. Wer aus euch irgendwie zu seinem Volke gehört, mit dem sei sein Gott! Er ziehe hinauf!"" (2 Chr 36,22-23)

Genau mit diesen beiden Versen, mit denen das 2. Chronikbuch endet, nämlich 2 Chr 36,22-23, beginnt aber wortwörtlich gleichlautend das Buch Esra.

3. Chronik und Esra/Nehemia ein eigenes, geschlossenes Werk?

a. Ein chronistisches Geschichtswerk

Gerade diese Beobachtung führte zur - nicht unbestrittenen ⋅2⋅ - aber heute allgemein vertretenen Auffassung, dass diese vier Bücher ursprünglich eine Einheit bildeten. Man fasst die Bücher der Chronik sowie Esra und Nehemia daher unter der Bezeichnung "chronistisches Geschichtswerk" zusammen.

Es scheint also so zu sein, dass diese vier Bücher ursprünglich ein eigenständiges Werk gewesen sind.

b. Die Teilung des chronistischen Geschichtswerkes

Vermutlich wurde dieses dann später auseinandergenommen. Die Bücher der Chronik scheint man gestrichen und einzig und allein Esra und Nehemia im Kanon der heiligen Schriften belassen zu haben.

Nur Esra und Nehemia bieten ja über die Samuel- und Königsbücher hinausgehende Nachrichten. Vermutlich hat man daher nur diese beiden Bücher als kanonisch betrachtet und die Chronikbücher als eigentlich überflüssig beiseite gelegt.

c. Die verschiedene Anordnung der Bücher des chronistischen Geschichtswerkes in den verschiedenen Bibelausgaben

Nachträglich scheint man dann auch die beiden Chronikbücher in die Reihe der Heiligen Schriften aufgenommen zu haben. Vermutlich sind sie die letzten hebräischen Schriften, die kanonisiert wurden. Man hat sie daher wohl auch nach ganz hinten, an die letzte Stelle in der heutigen hebräischen Bibel, gestellt.

Weil Esra und Nehemia früher aufgenommen wurden, stehen sie in der hebräischen Anordnung der Bibel heute sogar vor den beiden Chronikbüchern, obwohl sie vom Inhalt her ja erst nach den beiden Chronikbücher ansetzen. Die inhaltliche Reihenfolge ist also gerade vertauscht. Das hängt mit großer Wahrscheinlichkeit mit der späteren Kanonisierung, also der späteren Aufnahme der Chronikbücher, in die Reihe der Heiligen Schriften zusammen.

Vermutlich hat man den Anfang des Esra-Buches, nämlich das Kyrusedikt, dann nachträglich auch noch einmal an das Ende von 2 Chronik gesetzt, um diesem letzten Buch der hebräischen Bibel dann auch einen richtigen Schluss zu geben.

Sicher hat man es in einer späteren Zeit dann als störend empfunden, dass die Anordnung der Bücher ihrem Inhalt zuwiderläuft. In der griechischen und lateinischen Übersetzung, der dann auch die deutschen Bibelausgaben gefolgt sind, hat man die Reihenfolge deshalb korrigiert.

In unseren heutigen deutschen Bibelausgaben hat man die Chronikbücher dann bei den sogenannten Geschichtsbüchern einsortiert. Sie folgen daher unmittelbar auf die Bücher der Könige und danach schließen sich dem Inhalt entsprechend auch gleich die Bücher Esra und Nehemia an.

4. Die Zeit der Entstehung des chronistischen Geschichtswerkes

Die Bücher des chronistischen Geschichtswerkes stehen in der hebräischen Bibel also ganz hinten. Sie gehören damit auch zum dritten Teil der Bibel, der ganz einfach mit כְּתוּבִים ["ketubim"], also "übrige Schriften", überschrieben ist. Das ist eigentlich schon ein Hinweis darauf, dass sie recht spät erst entstanden sein dürften.

Die letzten im chronistischen Geschichtswerk berichteten Ereignisse fallen in die Zeit um 400 v. Chr.

Vor 400 v. Chr. können die Bücher dementsprechend auch kaum entstanden sein.

Andererseits findet sich noch kein Hinweis auf die Ereignisse um den Feldzug Alexanders d. Gr. Auch kann man noch keinen direkten hellenistischen Einfluss auf die Bücher des chronistischen Geschichtswerkes ausmachen. Deshalb gehen eine Reihe von Exegeten davon aus, dass die Bücher noch im 4. Jahrhundert v. Chr. entstanden sein müssten.

Hier ist allerdings noch keine Übereinstimmung erzielt.

Manche sagen dessen unbeschadet, dass das Werk erst nach dem Ende der persischen Herrschaft, also um 300 v. Chr. entstanden sein dürfte.

Wieder andere verlegen die Entstehung des chronistischen Werkes sogar erst ins 3. Jahrhundert v. Chr.

5. Bearbeitungsschichten des chronistischen Geschichtswerkes

Unbestritten ist dann wieder, dass die Bücher der Chronik sowie Esra und Nehemia in ihrer heutigen Form nicht ganz einheitlich sind. Sie tragen Spuren späterer Bearbeitungen.

Im allgemeinen scheidet man selbst größere Abschnitte als nachträgliche Ergänzungen aus.

Ähnlich wie in der Priesterschrift vermutet man zum Beispiel, dass vor allem verschiedenartige Listen später zugesetzt worden sind. Dazu gehören etwa Listen in 1 Chr 2-9, in Neh 7 oder Neh 11-12 und auch an anderen Stellen.

6. Die Frage nach dem oder den Verfassern

Umstritten ist dann wieder ob man wegen dieser Uneinheitlichkeit von mehreren Berarbeitern ausgehen muss.

Manche behaupten, dass diese Zusätze durchaus vom eigentlichen Verfasser des chronistischen Geschichtswerk stammen könnten. Er hätte dann später sein Werk an der ein oder anderen Stelle erweitert.

Andere gehen von mehreren selbständigen Bearbeitern aus.

K. Galling ⋅3⋅ hat so in Weiterführung früherer Analysen das chronistische Geschichtswerk etwa auf zwei Autoren zurückgeführt. Er nimmt einen älteren Autor an, der etwa um 300 v. Chr. gearbeitet habe, und einen ergänzenden jüngeren Chronisten, den er um 200 v. Chr. ansiedelt.

Diese Zweiteilung hat zwar nur wenig Gefolgschaft unter den Exegeten gefunden, auf diese Art ließen sich aber einige Erscheinungen im chronistischen Werk ganz gut erklären.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 161-171. Zur Anmerkung Button

2 Es wird auch die Meinung vertreten, dass Chr und Esr/Neh von vorneherein verschiedene Werke sind, sei es vom gleichen oder von verschiedenen Verfassern.
(Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 162.) Zur Anmerkung Button

3 In: ATD 12 (vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 162). Zur Anmerkung Button