Die Bibel
Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...
Die Botschaft des Jahwisten - Künder der Heilsgeschichte ⋅1⋅
- 1. Jahwes Führen in der israelitischen Tradition
- 2. Die mit der Konsolidierung Israels in Kanaan, speziell mit dem Königtum aufkommende Problematik
- 3. Führung zum Heil - Grundthema des Jahwisten
- 4. Die Führung Israels
- a. Die Führung des Volkes in das Land
- b. Gotteserscheinung und Gottes-berit am Sinai im Rahmen der göttlichen Führung
- 5. Die Führung der Patriarchen in das Land
- 6. Das Problem der göttlichen Führung in der jahwistischen Urgeschichte
- a. Die Welt im Zustand des Unheils
- b. Die Antwort aus der Tradition
- c. Befand sich die Menschheit schon von Anfang an in einem Unheilszustand?/li>
- d. Worin ist der Unheilszustand der Menschheit begründet?
- e. War Abrahams Erwählung Jahwes erster Versuch, die gefallene Menschheit wieder ins Heil zu führen?
- 7. Die vier Etappen der göttlichen Führung zum Heil im jahwistischen Werk
- 8. Das Kerygma des Jahwisten - eine eindringliche Warnung vor Hybris in einer Zeit nationaler Hochgefühle
Was können wir nun über die Botschaft des Jahwisten sagen? Was war seine theologische Absicht?
Der Jahwist war der erste, der die Geschichte Israels und der Menschheit als Heilsgeschichte begriff.
1. Jahwes Führen in der israelitischen Tradition
Wir haben bereits mehrfach gesehen, dass Israel Gottes Handeln vor allem darin sieht, dass Jahwe sein Volk führt. Den Terminus "führen" findet man in den verschiedensten Variationen.
Im "kleinen geschichtlichen Credo", einem seinem Inhalt nach sehr alten Text, bekennt Israel:
"Du aber sollst anheben und vor Jahwe, deinem Gotte sprechen:
Ein umherirrender Aramäer war mein Vater. Mit wenigen Leuten zog er hinab nach Ägypten und hielt sich dort als Fremdling auf, wurde aber daselbst zu einem großen und starken und zahlreichen Volke. Als uns dann die Ägypter schlecht behandelten und bedrückten und uns harten Frondienst auferlegten, schrien wir zu Jahwe, dem Gotte unserer Väter und Jahwe hörte auf unser Rufen und sah unser Elend, unsere Mühsal und Bedrängnis. Und Jahwe führte uns aus Ägypten weg mit starker Hand und ausgestrecktem Arme, mit großen Schrecken, unter Zeichen und Wundertaten. Er brachte uns an diesen Ort und gab uns dieses Land, ein Land, das von Milch und Honig fließt. Und hier bringe ich nun die Erstlinge von den Früchten des Landes, das du, Jahwe, mir gegeben hast." (Dtn 26,5-10.)
Jahwe führt also sein Volk in das Land, das seinerseits Sinnbild und Ausdruck von Jahwes Heil ist. Die Geschichte Israels mit Jahwe ist also vor allem die Geschichte der Führung durch Jahwe.
2. Die mit der Konsolidierung Israels in Kanaan, speziell mit dem Königtum aufkommende Problematik
Der Höhepunkt dieser Führung durch Jahwe ist für Israel selbstverständlich die Landgabe.
Gerade dadurch aber, dass Israel nun im Land angekommen ist, sich niedergelassen hat, wird ja eine ganz neue Frage aufgeworfen. Das Volk muss sich ja jetzt fragen, ob Jahwes Führung nun zu Ende ist.
Wohin soll er sein Volk jetzt noch führen? Welche Zeichen und Wunder braucht er jetzt noch zu wirken? Welche Zeichen und Wunder wirkt er jetzt noch?
An die Stelle Jahwes schien nun die Führung durch den König, durch David und Salomo und seines Beamtenapparat getreten zu sein. Man lebte nun in einem Beamtenstaat, in einer Zeit, die - wie etwa Gerhard von Rad sagt - einer Zeit der Aufklärung gleichkam.
Alte Sakraltraditionen, Heerbann und die Hl. Lade Jahwes waren weitgehend durch profane Institutionen wie zum Beispiel ein Söldnerheer abgelöst worden.
An die Stelle charismatischer, von Jahwe ergriffener Führer, wie Debora, Barak, Gideon, war nun eine königliche Dynastie getreten.
Konnte in dieser Zeit wirklich noch von Jahwes Führung gesprochen werden?
Eine erste Antwort auf diese Frage hatte bereits ein Zeitgenosse des Jahwisten versucht. Er hatte kurz zuvor ein kleines Geschichtswerk über Davids Aufstieg verfasst, das vermutlich der Darstellung von 1 Sam 16,13 - 2 Sam 5. 7 zugrunde liegt.
Mit diesem Werk über den Aufstieg Davids beantwortet der Verfasser die Frage nach der Führung durch Jahwe mit einem klaren "Ja". Er versucht zu zeigen, dass Jahwe immer noch einen Erwählten zum Heil führen kann, nämlich in diesem Fall seinen Erwählten David. ⋅2⋅
Im abschließenden Gebet des David wird dies ganz deutlich. Das Gebet beginnt mit den Worten:
"Wer bin ich, o Herr Jahwe, und was ist mein Haus, dass du mich bis hierher gebracht hast?" (2 Sam 7,18.)
3. Führung zum Heil - Grundthema des Jahwisten
Das ist - theologisch betrachtet - eine interessante Neuerung. Anscheinend gewinnt Israel zur Davidszeit die Überzeugung, dass Jahwe nicht nur das Volk als Kollektiv, sondern auch einen Einzelnen zum Heil führen kann. Der Verfasser der Geschichte vom Aufstieg Davids artikuliert diese Überzeugung zumindest erstmals.
Auf diesem Hintergrund, auf dem Hintergrund dieser neu erwachenden Glaubensüberzeugung, stellt nun der Jahwist die alten Themen Israels,
- also die Erzväter,
- den Wüstenzug,
- die Sinaitheophanie,
- den Gottesbund
- und die Landnahme,
dar. Von Abrahams Wanderung an bis hin zur Landnahme Israels zieht sich diese Aussage in der jahwistischen Überlieferung wie ein roter Faden durch die alte Geschichte und Vorgeschichte:
Jahwe führt sein Volk, indem er den einzelnen führt.
Die gesamte Sakraltradition Israels stellt der Jahwist unter dieses eine Thema: "Führung Jahwes zum Heil". Das ist der Schlüssel zum Verständnis des jahwistischen Werkes.
Schauen wir nun einmal genauer hin, wie der Jahwist dieses Thema nun in seiner Geschichte Israels artikuliert, und untersuchen daraufhin seine Patriarchen- und dann seine Urgeschichte unter dem gleichen Gesichtspunkt.
4. Die Führung Israels
a. Die Führung des Volkes in das Land
In seiner Geschichte Israels artikuliert der Jahwist das Thema "Führung Jahwes zum Heil" zum einen, indem er ganz dezidiert davon berichtet, wie Jahwe sein Volk in das Land führt.
Wir haben ja bereits mehrfach gesehen, dass das zwar nicht in seiner literarischen Ausformung wohl aber in seinem Inhalt schon vorjahwistische "kleine geschichtliche Credo" (Dtn 26,5-9) von der Führung Israels in das Land spricht.
Der Jahwist betont dies über alle Maßen. Dieses Land ist für ihn immer qualifiziert als das gute und weite Land. Dies wird deutlich in den Worten Jahwes an Mose in der Offenbarung am Dornbusch:
"Darum bin ich herabgestiegen, um es [das Volk] aus der Gewalt der Ägypter zu befreien und es aus diesem Land herauszuführen in ein schönes und geräumiges Land, in ein Land, das von Milch und Honig fließt, in das Gebiet der Kanaaniter, Hethiter, Amoriter, Perisiter, Hiwwiter und Jebusiter." (Ex 3,8 J)
b. Gotteserscheinung und Gottes-berit am Sinai im Rahmen der göttlichen Führung
Ein weiteres Zentralthema des Jahwisten, mit dem er die Führung Jahwes zum Heil illustriert, ist die Gotteserscheinung und die Gottes-berit am Sinai.
(1) בְּרִית ["berit"] als Selbstverpflichtung
Das hebräische Wort בְּרִית ["berit"] wird durch das deutsche Wort "Bund" nur unzulänglich übersetzt. In der jahwistischen Stelle Ex 34,10a wird deutlich, was בְּרִית ["berit"] eigentlich meint.
Jahwe erscheint dem Mose als dem Repräsentanten Israels und sagt:
"Er [Jahwe] antwortete: "Ich will einen Bund (בְּרִית ["berit"])mit dir schließen: Vor deinem ganzen Volk will ich Wundertaten vollbringen, wie sie auf der ganzen Erde und unter allen Völkern nicht geschehen sind." (Ex 34,10a) ⋅3⋅
בְּרִית ["berit"] meint also keinen Bund im Sinne eines Vertrages zwischen zwei Partnern sondern vielmehr eine Selbstverpflichtung Jahwes gegenüber seinem Volk. Jahwe verpflichtet sich vor Mose, in dieser neuen jetzt anbrechenden Geschichte von Jahwe mit seinem Volk zugunsten Israels Wundertaten zu vollbringen.
Mose und Israel hingegen gehen bei diesem Bundesschluss keinerlei Verpflichtung ein.
(2) Die בְּרִית ["berit"] schützt Israel auf dem Weg ins Land
Der Jahwist denkt dabei offenbar an Machttaten, die Jahwe bei der Inbesitznahme des Landes zu vollbringen gedenkt. Das heißt, dass auch die Selbstverpflichtung Jahwes vom Sinai vornehmlich auf die machtvolle Führung des Volkes in das verheißene Land hingeordnet ist.
Der "Sinaibund" soll Israel die Augen dafür öffnen, dass es Jahwe und kein anderer Gott ist, der es in das gute und weite Land bringt.
Die wundersame Einlösung der Zusage Jahwes an Israel durch die Besitznahme Kanaans, die man zur Zeit des Jahwisten ja tatsächlich erleben durfte, soll Israel dementsprechend am Staunen über Jahwe, den Gott vom Sinai festhalten lassen.
Dieses Staunen schließt ein Bewundern und Preisen anderer Götter aus. Diese sind Jahwe nämlich allesamt unterlegen.
(3) Die Konsequenz kann nur sein, an Jahwe festzuhalten
Die Konsequenz aus dem Staunen über die Führung Jahwes - und das betont der Jahwist vehement - kann nur die radikale Bindung Israels an diesen Jahwe sein. Eine Bindung die Israel unter Mose schon am Sinai zu ziehen begonnen hat.
Dies ist besonders zur Zeit Salomos eine wichtige Botschaft. Durch den religiösen Synkretismus unter Salomo begann man anscheinend diese alleinige Bindung an Jahwe immer mehr zu vergessen.
Der Jahwist bringt daher den Bund Gottes mit seinem Volk in Erinnerung. Er mahnt sein Volk an diesem Bund festzuhalten, damit die Heilsgabe des Landes diesem Volk nicht zum Unheil werde. Denn das wäre schließlich die Konsequenz aus dem Vergessen der Bindung an Jahwe.
(4) Einzig und allein die Gottes-"berit" macht das Land zur Heilsgabe
Das Land selbst kann Israel nämlich zur Gefahr werden. Die Wirkmacht der einheimischen Götter und Dämonen ist beim Jahwisten noch nicht endgültig gebrochen. Nur durch Jahwe wurden die kanaanäischen Götter in der Landnahme verjagt und werden seither daran gehindert Israel zu bedrängen (Num 10,33. 35-36; Ex 33,12b-17 J):
"Sie brachen also vom Berge Jahwes auf, [um] drei Tagmärsche weit [weiterzuziehen]; dabei zog die Bundeslade Jahwes ihnen die drei Tagmärsche voran, um für sie einen Lagerplatz zu erkunden. (...) Jedesmal wenn die Lade sich in Bewegung setzte, sprach Mose: "Erhebe dich, Jahwe, dass deine Feinde zerstieben und deine Hasser vor deinem Antlitz fliehen!" (Num 10,33. 35.)
Nur dadurch, dass Jahwe sein Volk begleitet hat konnte das Land in die Hände des Volkes fallen. Und nur durch die heilvolle Nähe Jahwes behält die Landgabe für Israel den Charakter einer Heilsgabe. Der Bund vom Sinai ist es nämlich der den Heilscharakter des Landes absichert. Durch diesen Bund mit dem mächtigen Jahwe ist Israel auch fortan vor möglichen Gefahren, nicht zuletzt vor den Baalen der kanaanäischen Bevölkerung geschützt. ⋅4⋅
In diesem Sinne ist auch Ex 34,12-13 zu verstehen:
"Hüte dich, mit den Bewohnern des Landes in das du kommen wirst, ein Bündnis zu schließen; sie könnten sonst, wenn sie in deiner Mitte bleiben, zum Fallstrick werden. Ihr sollt vielmehr ihre Altäre niederreißen, ihre Malsteine zertrümmern und ihre Ascheren ⋅5⋅ umhauen." (Ex 34,12-13.)
5. Die Führung der Patriarchen in das Land
Das Thema "Führung" begegnet in der Darstellung der Geschichte Israels also auf Schritt und Tritt. Welche Rolle spielt es nun aber in der Patriarchenerzählung des Jahwisten?
Der Jahwist versucht deutlich zu machen, dass die Landgabe Jahwes an sein Volk nichts anderes ist, als die Einlösung einer Verheißung, die Jahwe bereits den Vorvätern Israels, den Patriarchen gegeben hat.
Bereits am Anfang der jahwistischen Patriarchengeschichte stehen die programmatischen Worte Jahwes an Abraham:
"Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde." (Gen 12,1.)
Dies ist noch einmal ein Hinweis darauf, dass die Führung in das Land ein Grundthema des Jahwisten ist. ⋅6⋅
Der Jahwist ist auch hier - wie schon beim Thema der Landgabe an das Volk (Dtn 26,5-9) - alten Traditionen verpflichtet. Von den Erzvätern sagt bereits die alte israelitische Überlieferung, dass Jahwe ihnen außer zahlreicher Nachkommenschaft den Besitz des ersehnten Kulturlandes verheißen hatte.
Dabei galt die Landesverheißung in den "Erzväterreligionen" natürlich ursprünglich dem jeweiligen Stammvater persönlich (vgl. Gen 15,7):
"Weiter sprach er zu ihm [Gott zu Abram]: Ich bin Jahwe, der dich aus Ur in Chaldäa herausgeführt hat, um dir dieses Land zum Besitz zu geben." (Gen 15,7.)
Der Jahwist geht hier ganz bewußt einen Schritt weiter. Er weitet die persönliche Verheißung an die Väter zu einer Verheißung an die Nachkommen, einer Verheißung, die dann natürlich in der geschichtlichen Landgabe an Israel eingelöst werden konnte.
Bereits Gen 12,7, sechs Verse nach der entscheidenden Verheißung an Abraham betont er ausdrücklich:
"Deinen Nachkommen gebe ich dieses Land." (Gen 12,7.)
Dadurch schlägt der Jahwist bereits den Bogen von der Verheißung an die Erzväter bis zur Erfüllung der Verheißung an ihren Nachkommen, sprich am Volk Israel der Landnahmegeneration. ⋅7⋅
6. Das Problem der göttlichen Führung in der jahwistischen Urgeschichte
Dem Jahwisten war es also ein Anliegen zu zeigen, dass die im Auszug Israels aus Ägypten greifbare Führung Jahwes schon im Leben der Erzväter, besonders Abrahams, am Werk war.
Wie stand es nun aber um die Zeit vor Abraham? Welche Beziehung hatte Jahwe zur Menschheit zu dieser Zeit? Und wie ist das Verhältnis der anderen Völker zu Jahwe?
a. Die Welt im Zustand des Unheils
Nach dem Verheißungswort an Abraham in Gen 12,2-3 wird Gen 12,3 den anderen Völkern der göttliche Segen verheißen:
"Ich will segnen, die dich segnen; wer dich verwünscht, den will ich verfluchen. Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen." (Gen 12,3.)
Nicht nur Abraham, auch die anderen Völker bedürfen zur damaligen Zeit also des zukünftigen Segens Jahwes.
- Muss man aber daraus nicht schließen, dass diese Völker im Augenblick noch nicht gesegnet sind?
- Heißt das also, dass sie sich nicht im Zustand des "schalom" befinden?
- Und wenn das für die Zeit Abrahams tatsächlich zutreffen sollte, wenn sich die Welt zu dieser Zeit also nicht im Zustand des "schalom" befand, seit wann war das denn so?
- War die Welt etwa von Anfang an in einem Unheilszustand?
- Und wenn das nicht so war, durch wen oder durch was ist sie dann in diesen Unheilszustand gekommen?
b. Die Antwort aus der Tradition
Auch zur Beantwortung dieser Frage lag dem Jahwisten eine umfangreiche Tradition vor. Er kann sich schließlich auf das überkommene altmesopotamische Überlieferungsmaterial berufen. In Israel liegt es in der durch die Kanaanäer übermittelten Form leicht zugänglich vor.
In diesen Berichten, vor allem im Atram-hasis-Epos, der altmesopotamischen Parallele zum biblischen Sintflutbericht (Atram-hasis - Utnapischtim - Noah), - wir sind auf ihn im Zusammenhang mit dem Gilgamesch-Epos bereits gestoßen - wird ja tatsächlich die Überzeugung genährt, dass die frühe Menschheit eher unter Gottes Fluch und Gericht, als unter seinem Segen steht.
c. Befand sich die Menschheit schon von Anfang an in einem Unheilszustand?
Dass vor Gottes Eingreifen also die Menschheit nicht unter Gottes Segen stand, war ein Faktum, das in der Tradition vorgegeben war.
Den Jahwist interessiert nun die Frage, ob dies von Anfang an so war. War die Menschheit schon von Anfang an in einem Unheilszustand?
(1) Die Erschaffung des Menschen als heilsvolles Geschöpf
Um diese Frage zu beantworten, erzählt der Jahwist von der Erschaffung des Menschen.
Es geht ihm dabei natürlich weniger um präzise Informationen über die Entstehung des Lebens. Er will vielmehr zeigen, dass es Jahwe war, der den Menschen - und jetzt ganz wichtig - als heilvolles Geschöpf geschaffen hat.
Der Mensch ist von Jahwe erschaffen worden - nicht von El, dem Schöpfer der Menschen in den kanaanäischen Religionen, oder von Baal, nein, von Jahwe, und zwar als heilvolles Geschöpf.
Im Unterschied zu Gottes eigener Vollkommenheit erschuf Jahwe den Menschen aber aus Staub, hinfällig und vergänglich. Der Mensch ist also kein Gott, er ist ein vergängliches Wesen.
(2) Jahwe führt den Menschen in den Garten
Aber dieses vergängliche Wesen, dieser sterbliche Mensch erfährt bereits, dass Gott sich ihm zuwendet. Bereits den ersten Menschen als Repräsentanten der Menschheit überhaupt, führt Gott nämlich ins Heil. Und das, indem er ihn aus der unfruchtbaren Wüste in den Garten Eden versetzte (Gen 2,15-16).
Und wie dieser Garten war, das macht der Bericht selbst ja deutlich. Es ist ein Garten, der so großartig ist, dass Jahwe selbst gegen den Abendwind in ihm zu wandeln pflegte (Gen 3,7). Gott führte den Menschen an den Ort, wo er seinem Geschöpf nahe sein konnte.
(3) Leben in der Nähe Jahwes
Der Jahwist war der Überzeugung, dass der Schöpfer seinem im Grunde sterblichen Geschöpf ein "Leben ohne Tod" in Aussicht gestellt hat. Deshalb hat Jahwe-Gott in die Mitte des Gartens auch den Baum des Lebens gepflanzt.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass der Hebräer zur Zeit des Jahwisten nicht davon ausging, dass es im Menschen irgendetwas ewig Lebendes gäbe. Eine Vorstellung, wie sie beispielsweise die Griechen von der unvergänglichen Seele hatten, war den Hebräern fremd.
Durch den Tod sinkt der Mensch gleichsam in ein Vergessen, das davon bestimmt ist, dass der Mensch die Verbindung mit Jahwe verliert. Die Toten sind unwiderruflich von Jahwe abgeschnitten (vgl. Ps 6,5-6; Jes 38,10-11).
Leben andererseits ist bestimmt der Hebräer als "in der Nähe Jahwe sein". Das Leben des Menschen ist zuallerst durch Jahwes Nähe erfülltes Leben. Dies verdeutlicht die jahwistische Darstellung der Urgeschichte:
In dem Garten, in dem der Mensch in der Nähe Jahwes weilt, steht der Baum des Lebens.
d. Worin ist der Unheilszustand der Menschheit begründet?
Jahwe hat also den Menschen, obwohl der aus Staub besteht, in seine Nähe, in den Gottesgarten gesetzt. Aber jetzt kommt das Unheil über die Menschheit. Und die zentrale Aussage des Jahwisten ist hier: es kam gegen den Willen Jahwes.
(1) Das Unheil als Straffolge einer schuldhaften Tat
Dieses Unheil entstammt also nicht - wie etwa im Atram-hasis-Epos - der Laune einer Gottheit. Das Unheil war Straffolge einer freien, schuldhaften Tat, in der der Mensch Jahwes Gebot übertrat, um dadurch "wie Gott" zu werden.
Das "wie-Gott-sein-Wollen" wurde dabei übrigens erst später als autonom sein verstanden. Die erste Bedeutung dieses Verlangens ist, nicht sterben zu müssen, nicht diesem Gesetz des Werdens und Vergehens unterworfen zu sein.
(2) Die Tatfolge
Gen 3,5 schildert die Tat des Menschen also als eine Folge der Hybris, der Selbstüberhebung und des Unglaubens. Und hier ist ganz wichtig im Hinterkopf zu behalten, dass zur Zeit des Jahwisten Israel sich ja wieder wie in solch einem Garten Eden vorkommen konnte. Man erlebte im mächtig geworden Volk, im von Jahwe geschenkten Land ja wiederum eine ungeheure Nähe Jahwes. Man war von ihm erneut aus der Steppe in den Garten geführt worden.
Die Hybris und die Selbstüberhebung haben den Menschen aus dem Garten herausgetrieben.
Es war eine unabänderliche Konsequenz, dass die Menschheit dadurch in die Wirksphäre des Fluches Jahwes geriet (Gen 3,19). Die Vertreibung aus Jahwes Garten war eine unausweichliche Folge.
Wer sich gegen Gott erhebt, der kann nicht mehr in Gottes Nähe sein. Wer aber nicht mehr in der Gottnähe ist, der ist nun unter der Herrschaft des Todes. Das Bild von der Vertreibung aus Jahwes Garten macht dies auf ungeheuer drastische Weise deutlich (Gen 3,24).
Das Leben, das der Mensch nun in Zeugung und Geburt weitergibt (Gen 3,20; 4,1) wird - in der jahwistischen Sichtweise - "ein Sein zum Tode" (vgl. Heidegger). Bereits mit dem Eintritt ins Leben beginnt für den Menschen, der nun in der Gottferne lebt, der Weg zum traurigen Leben in der Unterwelt.
Dies wird durch den Umstand ganz besonders deutlich, dass Jahwe den Menschen nun ganz bewusst vom Baum des Lebens ausschließt (Gen 3,22).
Interessanterweise ist das nun nicht als Strafe zu verstehen. Der Mensch selbst hat sein Leben ja zu einem leidvollen Dasein gemacht. Durch ein Essen vom Lebensbaum wäre das nun elend gewordene Leben des Menschen verewigt worden.
Dass Gott den Menschen vom Baum des Lebens ausschließt, ist dementsprechend zunächst als Wohltat, als Akt des Erbarmens, zu verstehen.
e. War Abrahams Erwählung Jahwes erster Versuch, die gefallene Menschheit wieder ins Heil zu führen?
Gott lässt die Menschheit aber auch in Zukunft nicht einfach im Stich. Die Erwählung Abrahams war nicht der erste Versuch Gottes, die ins Unheil geratene Menschheit wieder ins Heil zu führen.
Noah mit seiner Sippe zum Beispiel findet Gnade vor Gott (Gen 6,8). Er allein wird als gerecht erfunden (Gen 7,11). Und durch die Arche rettet Jahwe in Noah die Menschheit und darüber hinaus alle Landtiere.
Allerdings beinhaltet die Zusage Jahwes, die er nach der Sintflut dem Noah gibt, nämlich die Erde nicht noch einmal zu verfluchen (Gen 8,21-22), noch nicht den Segen. Jahwes Handeln an Noah stellt erst eine Vorstufe seines Heilshandelns an Abraham dar (Gen 12,2-3).
7. Die vier Etappen der göttlichen Führung zum Heil im jahwistischen Werk
Wir können also sagen, dass der Jahwist sein Thema der Führung des Menschen zum Heil in vier Stufen entfaltet.
- Die Versetzung des von Jahwe erschaffenen Menschen aus der dürren Steppe in den Gottesgarten Eden (Gen 2,15; ähnlich Gen 2,8)
- Die Führung Noahs und seiner Sippe in die rettende Arche (Gen 7,1)
- Die Einführung Abrahams in das Land der Verheißung, Kanaan (Gen 12,1)
- Die Herausführung Israels in das gute (schöne) und weite Land (Ex 3,7; Num 14,8-9)
8. Das Kerygma des Jahwisten - eine eindringliche Warnung vor Hybris in einer Zeit nationaler Hochgefühle
Der Jahwist schrieb seine Darstellung der Heilsgeschichte in der Glanzepoche des israelitischen Reiches, unter David bzw. Salomo. Trotz seines Erwählungsbewusstseins, das allenthalben durch seinen Text durchschimmert, liegt ihm dabei alle Selbstüberhebung fern. Durch Taten der Hybris - auch schon im Garten Eden ("wie Gott sein wollen") - ist die vorabrahamische Menschheit ins Unheil geraten.
Der Autor des jahwistischen Geschichtswerkes warnt daher ein stolzes und selbstbewusstes Volk, das von heute auf morgen Großreich geworden war, vor einem ähnlichen Weg:
"Setze Jahwes gutes und weites Land nicht aufs Spiel, das die Erzväter nicht verdient, sondern im Gehorsam und Demut von ihrem geistigen Führer Jahwe erhalten haben."
Dass es Israel in dem verheißenen und nun geschenkten Land gut geht, das hängt von Israels Gehorsam und Treue zu Jahwe ab.
Das ist die Mahnung des Jahwisten an ein groß und mächtig gewordenes Volk, das seinen Gott zu vergessen drohte.
Anmerkungen
(Vgl.: Lothar Ruppert, Einleitung in das Alte Testament (Teil I) - autorisierte Vorlesungsmitschrift (WS 1984/85) 94.)