Die Bibel
Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...
Hinweise auf die Eigenart der Prophetenbücher ⋅1⋅
- 1. Die Abfassung der Texte am Beispiel des Jeremia-Buches
- 2. Redaktion der Prophetenüberlieferung
- 3. Weiterentfaltung der Botschaft des Propheten
- 4. Der Anteil der deuteronomistischen Schule
- 5. Einfluss der weisheitlichen Schulen
Am besten sind wir naturgemäß über diejenigen Propheten unterrichtet, die uns in den nach ihnen benannten biblischen Büchern begegnen. Mit ihnen und ihren Büchern müssen wir uns nun im folgenden beschäftigen.
Die Propheten, denen im Kanon der Bibel ein Buch ⋅2⋅ zugewiesen wird, heißen - wie bereits erwähnt - gewöhnlich "Schriftpropheten". Nach dem, was über das Prophetenamt gesagt wurde, zeigt sich jedoch, dass diese Bezeichnung ungenau ist: Der Prophet ist kein Schreibender, er ist in höchstem Maße ein Redender, ein Prediger. Die prophetische Botschaft wurde zuerst gesprochen.
Wir müssen uns daher darüber im Klaren sein, dass diese Prophetenbücher in der Form, in der sie uns heute vorliegen, in der Regel nicht von den Propheten selber stammen.
Schon die Abschnitte in der dritten Person weisen auf einen anderen Verfasser als den jeweiligen Propheten selbst hin.
Deshalb müssen wir noch einen Blick auf den Weg werfen, den das jeweilige Wort der Propheten von diesem verkündigten Wort bis hin zum geschriebenen Buch genommen hat.
1. Die Abfassung der Texte am Beispiel des Jeremia-Buches
Wie man sich das Werden der Prophetenbücher vorstellen kann, wird beispielsweise am Buch des Propheten Jeremia recht deutlich.
Es heißt dort, dass der Prophet alle Worte, die er im Namen Jahwes seit dreiundzwanzig Jahren verkündet hatte (vgl. Jer 25,3), einem Mann namens Baruch diktiert hat (Jer 36,4). Diese erste Sammlung der Worte des Jeremia wird zwar von König Jojakim verbrannt (Jer 36,23), Baruch schreibt - so wird geschildert - anschließend allerdings eine neue Rolle nieder (Jer 36,32).
Man geht nun davon aus, dass dieser Baruch tatsächlich einen Teil des Jeremia-Buches niedergeschrieben hat. Ihm wären dann wohl auch die biographischen Berichte über Jeremia (Jer 37-44) zuzuweisen. Es ist schließlich auffallend, dass diese biographischen Aufzeichnungen ausgerechnet mit einem Trostwort Jeremias an einen Baruch enden (Jer 45,1-5).
Interessant ist dabei die beiläufige Erwähnung in Jer 36,32, dass der zweiten Rolle, die der Baruch geschrieben hat
"[...] viele Worte ähnlicher Art hinzugefügt wurden."
Dies kann man nun so verstehen, als dass Baruch eben noch weitere Worte hinzugefügt hat. Es kann aber auch als Hinweis darauf verstanden werden, dass andere Verfasser Worte des Jeremia den Baruchtexten zugefügt haben. Das wären dann Worte gewesen, die diese Autoren etwa noch zusätzlich in Erinnerung hatten, oder die ihnen als Aufzeichnungen vorgelegen wären.
Ähnliche Umstände könnte man sich auch bei der Abfassung der anderen Propheten-Bücher vorstellen.
2. Redaktion der Prophetenüberlieferung
Vielleicht haben die Propheten einen Teil ihrer Sprüche - hier werden vor allem die vielfach vorliegenden "Ich"-Berichte häufig genannt - selbst aufgeschrieben oder zumindest diktiert. ⋅3⋅
Ein Teil ihres Erbes wurde ganz sicher einfach durch mündliche Weitergabe in der Umgebung des Propheten überliefert. So denkt man etwa an Überlieferungen in Schülerkreisen. Durch Jes 8,16 sind wahrscheinlich Schüler des Jesaja bezeugt.
In denselben Kreisen blieben dann auch Erinnerungen an das Leben des Propheten lebendig. Diese Erinnerungen enthielten sicher auch einzelne Prophetenworte.
Ein Beispiel hierfür sind etwa die Überlieferungen über Jesaja, die in den Königsbüchern gesammelt wurden (2 Kön 18-20). Sie scheinen unabhängig von anderen Aufzeichnungen des Propheten gesammelt und weitergegeben worden zu sein. Vermutlich sind sie erst nachträglich aus den Königs-Büchern in das Jesaja-Buch übernommen worden (Jes 36-39).
Ein Beispiel ist auch der Bericht über die Auseinandersetzung zwischen Amos und Amazja (Am 7,10-17).
Es entstanden also in verschiedenen Kreisen Teilsammlungen. Man hat z. B. gleichartige Sprüche oder Stücke zu einzelnen Textblöcken zusammengestellt, die dann das gleiche Thema behandelten. An solche thematischen Sammlungen lassen heute noch die Abschnitte gegen die Fremdvölker bei Jesaja, Jeremia oder Ezechiel denken.
Redaktoren haben sich dann dieser Sammlungen angenommen und sie nach einem von ihnen erstellten Plan zusammengefügt.
Bei Micha etwa scheint den Redaktor, das Anliegen bewogen zu haben, die ausgesprochenen Unheilsankündigungen des Micha auszugleichen, indem er sie mit dessen Heilsverheißungen verbunden hat.
3. Weiterentfaltung der Botschaft des Propheten
Die so entstandenen Propheten-Schriften wurden gelesen und meditiert, sie trugen dazu bei, dass die religiösen Strömungen, die von den Propheten ausgingen, weiterlebten:
- So zitieren die Zeitgenossen Jeremias einen Spruch Michas (Jer 26,17-18)
- und oft bezieht man sich später auf die Worte der alten Propheten. ⋅4⋅
In den frommen Kreisen, die hieraus Nahrung für ihren Glauben und ihre Frömmigkeit schöpften, blieben die Bücher der Propheten etwas Lebendiges.
Man kann die Bemerkung in Jer 36,32 in Bezug auf die Rolle Baruchs dementsprechend auch so verstehen, dass den Aufzeichnungen Baruchs einfach "Worte ähnlicher Art hinzugefügt" worden sind. Dann wäre das ein Beleg dafür, dass man neue Worte den Prophetentexten hinzufügte, um die alte Überlieferung an neue Situationen und gegenwärtige Erfordernisse des Volkes anzupassen oder um sie anzureichern.
In machen Fällen konnten solche Anfügungen, wie wir es bei den Büchern Jesaja und Sacharja sehen können, größeren Umfang annehmen. Ganze Texteinheiten werden an den ursprünglichen Bestand angehängt.
Die geistigen Erben der Propheten waren, wenn sie solches taten, durchaus überzeugt, den Schatz, den sie von diesen Prophetenpersönlichkeiten erhalten hatten, zu bewahren. Sie wollten aber bewahren, indem sie diese alte Tradition Frucht bringen ließen.
4. Der Anteil der deuteronomistischen Schule
Hinzu kommt, dass sich auch andere theologische Schulen um die Sammlung der Prophetenworte zu kümmern schienen.
Insbesondere die deuteronomistische Schule scheint hier große Bedeutung zu haben. In fast allen Prophetenbüchern finden sich deuteronomistische Elemente - nicht unbedingt immer im Text, aber vor allem in den Überschriften. Und das ist ja durchaus ein wichtiger Hinweis darauf, dass einzelne Prophetenschriften von den Deuteronomisten überarbeitet wurden. Man denkt hier daran, dass die Deuteronomisten einzelne prophetische Bücher neu herausgegeben haben.
5. Einfluss der weisheitlichen Schulen
In geringerem Umfang hat man auch den Einfluss von Weisheitskreisen festgestellt. Auch sie dürften daher an der Redaktion der Prophetenbücher beteiligt gewesen sein. ⋅5⋅
Anmerkungen