Die Bibel

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Weiter-ButtonZurück-Button Zwei konträre Positionen: Nur Aufweis eines von Israel verdienten Gottesgerichts oder auch Hoffnung auf künftiges Heil?

Ist also die eigentliche Aussage des Deuteronomistischen Geschichtswerkes die, dass Jahwe an seinem Volk Gericht geübt hat und dass dieses Gericht gerecht gewesen ist?

1. Die Theologische Intention des DtrG nach Martin Noth

Martin Noth hat diese Frage recht eindeutig beantwortet, und zwar mit einem klaren "Ja".

Für Martin Noth war der Eindruck des Untergangs der Stadt Jerusalem und damit die Zerstörung des Tempels der eigentliche Schlüssel zum Verständnis dieses Geschichtswerkes.

Auch die Pentateuchquelle D hat dem Volk den Untergang ja als mögliche Strafe Gottes angekündigt.

Dieses nun geschichtliche Wirklichkeit gewordene Gottesgericht hat der Verfasser bzw. die Verfasser des Deuteronomistischen Geschichtswerkes vor Augen.

Dementsprechend entdeckte Martin Noth im Deuteronomistischen Geschichtswerk keinerlei Heilshoffnung für Israel mehr. Es ginge dem Verfasser einzig und allein darum, die Entwicklung der jüngsten Vergangenheit, die Vernichtung des Tempels und Jerusalems, als göttliches Gericht zu lehren, dem Volk und seinen Lesern begreifbar zu machen, dass das, was sich hier ereignet hat, das angekündigte Gottesgericht gewesen sei.

Gerade in der damaligen Zeit dürfte ja häufig der Vorwurf erhoben worden sein, dass Jahwe seinen Bund gebrochen habe. Wo war Jahwe, als das Volk von den Babyloniern unterworfen wurde? Man machte Jahwe den Vorwurf, dass er sein Volk an die Feinde preisgegeben hätte.

Diesem Vorwurf wird vom Deuternomistischen Geschichtswerk her ganz energisch widersprochen. Es geht dem Deuteronomisten demnach um die Rechtfertigung Jahwes. Nicht ein etwaiger Bundesbruch Gottes ist die Ursache für die vernichtende Niederlage Israels. Allein die Schuld des Volkes wird als verursachendes Moment vor Augen geführt.

2. Die Position Gerhard von Rads

Die Position, die Gerhard von Rad vertritt, ist ganz ähnlich.

a. Aufweis der Alleinschuld Israels

Er verweist im Blick auf die Darstellung des Deuteronomistischen Geschichtswerkes auf die Nähe zu Psalm 51. Dort heißt es im Vers 6:

"Ich habe gesündigt an dir allein; was böse vor dir, ich hab' es getan. Nun erweist du dich in deinem Urteil gerecht, und recht behalten hast du in deinem Gerichte." (Ps 51,6.)

Die Geschichtsschreibung habe einen ganz konkreten Sinn: angesichts der nationalen Katastrophe soll der Aufweis von Israels Alleinschuld und Gottes Recht geführt werden.

Gerhard von Rad schreibt:

"Das erste Ergebnis dieser Einkehr war: an Jahwe hat's nicht gelegen; Israel hat allein durch seine eigene Schuld sein Heil verwirkt. Jahwes Urteil in der Geschichte war gerecht. Es geht Dtr also um jenes 'Auf dass du recht behaltest in deinem Spruch' (Ps 51,6); sein Werk ist eine große aus dem Kultischen ins Literarische transponierte 'Gerichtsdoxologie'" ⋅1⋅

Also nicht Jahwe hat Israel verlassen, sondern umgekehrt: Israel hat Jahwe verlassen.

b. Trotz allem: unbestimmte Hoffnung

Soweit stimmt Gerhard von Rad in seiner Interpretation mit der Ansicht Martin Noths durchaus überein. Die völlig ausweglose Interpretation Martin Noths teilt er allerdings nicht. Nach Gerhard von Rad bleibt eine - wenn auch unbestimmte - Hoffnung.

Einige Aussagen der Samuel- und Königsbücher passen nämlich nicht zu einer solch defätistischen Grundhaltung. Sie sind mit einer solch ausweglosen Interpretation des ganzen Werkes nicht in Einklang zu bringen.

  • Hier ist für Gerhard von Rad vor allem die Verheißung einer ewigen Dynastie von Gott an David, die sogenannte Natansweissagung, zu nennen (2 Sam 7). Diese Verheißung gilt - nach Gerhard von Rad - weiterhin und wird nirgendwo endgültig aufgehoben.
  • Auch werden nicht alle Könige negativ dargestellt. Es gibt eine Reihe jahwetreuer Könige, die ganz besonders hervorgehoben werden.
  • Allen voran ist hier natürlich Joschija zu nennen (2 Kön 23 und 25). Er hat, den Forderungen des Deuteronomiums mit seiner Reform ja zum Durchbruch verholfen.
  • Zuvor aber wurden auch schon Asa (1 Kön 15,11. 14)
  • und Hiskija (2 Kön 18,3-6) ausdrücklich gelobt.

Sie werden als jahwetreue Könige aus der Schar der anderen herausgehoben. Darum meint Gerhard von Rad:

"... der Deuteronomist sah noch ein anderes Wort in der Geschichte wirksam, nämlich die Heilszusage der Natansweissagung, die ebenfalls wirkkräftig durch die Geschichte gegangen ist." ⋅2⋅

Die Frage ist nur, ob diese Weissagung auch schöpferisch ihr Ziel erreicht. Das Deuteronomistische Geschichtswerk lässt diese Frage offen. Es bleibt unklar, ob die Natansweissagung auch weiterhin gilt.

Durch die Begnadigung Jojachins aber, die am Ende des Werkes geschildert wird, bleibt die Möglichkeit auf jeden Fall erhalten, dass Jahwe mit den Nachkommen Jojachins wieder an diese alte Verheißung anknüpfen kann. ⋅3⋅

Jahwes Gericht hat sich erfüllt, aber eine - wenn auch ungewisse - Hoffnung für Israel bleibt.

Soweit also Gerhard von Rad.

3. Die Positionen in der neueren Exegese

Genau zwischen diesen beiden Ansichten - zwischen "unbestimmter Hoffnung" und "lediglich Aufweis der Alleinschuld Israels" - bewegen sich die Aussagen der neueren Exegese.

Erich Zenger zum Beispiel sieht - noch über Gerhard von Rad hinausgehend - mit Jojachin die Geschichte des Zornes Jahwes überwunden und im Schluss des Deuteronomistischen Geschichtswerkes einen Blick voll Hoffnung auf die David gegebene Verheißung.

Die Mehrzahl der Exegeten vertritt heute hingegen wohl den Standpunkt, dass das Deuteronomistische Geschichtswerk für die davidische Dynastie keine Heilshoffnung gehabt habe. Die Königsdynastie ist tatsächlich zu ihrem Ende gekommen. ⋅4⋅

Das heißt aber noch nicht, dass damit auch gleichzeitig die Heilshoffnung für ganz Israel automatisch negiert wird. Für Israel bleibt anscheinend eine gewisse Hoffnung. Zumindest scheint das Deuteronomistische Geschichtswerk dies anzudeuten.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Gerhard von Rad, Theologie des Alten Testamentes, I/354-355, ziitiert nach: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 141. Zur Anmerkung Button

2 Gerhard von Rad, Theologie des Alten Testaments, I/340), zitiert nach: Ruppert. Zur Anmerkung Button

3 Vgl.: Gerhard von Rad, Theologie des Alten Testaments, I/340). Zur Anmerkung Button

4 Vgl.: Hans Walter Wolff, L. Schmidt, Werner H. Schmidt. Sie vermissen etwa einen Bezug zwischen der Natan-Weissagung und der Begnadigung Jojachins. Überdies werde die Erfüllung der Natan-Weissagung im gesamten Deuteronomischen Geschichtswerk der Erfüllung des Gesetzes bzw. dem Gehorsam des Königs gegenüber Jahwe als condition sine qua non untergeordnet.
L. Schmidt vermisst eine Weiterführung über den aus 2 Kön 25,29f zu erschließenden Tod Jojachins hinaus. Der Autor berichte über Jojachin einzig deshalb, weil dieser aufgrund seines Titels noch der Königszeit zuzurechnen sei. Zur Anmerkung Button