Die Bibel
Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...
Das Buch Kohelet ⋅1⋅
- 1. Das Wort Kohelet
- 2. Der Verfasser des Buches
- a. Die Zuschreibung an Salomo
- b. Ein Werk der nachexilischen Zeit
- c. Das Werk eines oder mehrerer Autoren?
- 3. Zum Inhalt des Buches
- 4. Korrekturen aus traditionellem Glauben
- 5. Der Entstehungsprozess und die Struktur des Buches
- a. Der Entstehungsprozess des Kohelet-Buches nach Werner H. Schmidt
- b. Übersicht
- c. Die Gliederung Norbert Lohfinks
- 6. Fremde Einflüsse
- 7. Die Zeit der Abfassung
- 8. Zur Intention des Buches Kohelet
- 9. Abschließende Würdigung des Buches Kohelet
Wie sehr der sogenannte Tun-Ergehen-Zusammenhang in die Krise gekommen war, macht dann das Buch Kohelet deutlich. Es geht im Vergleich zum Buch Ijob in seinen Anfragen noch einmal einen Schritt weiter.
1. Das Wort Kohelet
Seinen eigenartigen Namen hat dieses Buch von seiner Überschrift. Sie lautet im hebräischen Original:
דִּבְרֵי קֹהֶלֶת בֶּן־דָּוִ֔ד מֶלֶךְ בִּירוּשָׁלִָֽם ["dibre qohælæt bæn dawid mælæk biruschalaim"] (Koh 1,1.)
Übersetzt bedeutet das soviel wie:
"Worte Kohelets, des Davidsohnes, des Königs von Jerusalem." (Koh 1,1.)
Das Wort "Kohelet" (Vgl. 1,2. 12; 7,27; 12,8-10) ist dabei kein Eigenname, es ist vielmehr eine Gattungsbezeichnung, vermutlich so etwas wie eine Berufsbezeichnung. ⋅2⋅
Die Bedeutung des Wortes ist nicht ganz geklärt. Mit Sicherheit aber steckt das hebräische Wort קָהָל ["qahal"] in diesem Begriff. Die קָהָל ["qahal"] ist die Versammlung, vor allem die gottesdienstliche Zusammenkunft.
Im Griechischen wird dieses Wort mit ἐκκλησία ["ekklæsía"] übertragen, was in der neutestamentlichen Tradition dann zum Begriff "Kirche" hinführt.
So dürfte der קֺהֶלֶת ["qohælæt"] also am ehesten jemand sein, der in dieser קָהָל ["qahal"], also in der Versammlung, redet. Kohelet ist also der "Prediger" in der Gemeindeversammlung.
Eine andere Deutung sieht in ihm eine Art Lehrer, also einen "Versammler" eines Schülerkreises. ⋅3⋅
Die griechisch-lateinische Übersetzung überträgt den Titel des Buches fast wörtlich, indem sie den Begriff "Ecclesiastes" für "Kohelet" setzt.
Luther verwendet dann den deutschen Ausdruck "Prediger".
2. Der Verfasser des Buches
Der Verfasser des Buches Kohelet wird in der Überschrift nun anscheinend noch genauer bestimmt. Er wird "Sohn Davids" und "König von Jerusalem" genannt (Koh 1,12).
a. Die Zuschreibung an Salomo
Damit ist - obwohl der Name nicht ausdrücklich dasteht - dieser Kohelet ganz eindeutig mit Salomo identifiziert. Auf ihn spielt der Text auch an anderen Stellen noch deutlich an. ⋅4⋅
Das Buch Kohelet galt in der Tradition denn auch als ein Buch, das von Salomo verfasst worden sei. Vielleicht war diese Zuschreibung sogar der Grund dafür, dass das Buch dann in den Kanon des Alten Testamentes aufgenommen wurde.
b. Ein Werk der nachexilischen Zeit
Die Zuweisung an Salomo ist allerdings historisch nicht haltbar.
Die Sprache des Buches und seine Lehre, auf die wir unten noch eingehender zu sprechen kommen werden, verbieten es ganz einfach die Abfassung in vorexilischer Zeit anzusetzen. Das Buch stammt sicher aus der Zeit nach dem Exil.
Der Autor stellt seine Überlegungen ganz einfach unter das Patronat des berühmtesten Weisen, den es in der Tradition Israels gibt. Er schreibt sein Buch - im Sinne der Pseudepigraphie - einfach dem Salomo zu; ein in der damaligen Literatur durchaus geläufiges Phänomen.
c. Das Werk eines oder mehrerer Autoren?
Auf den ersten Blick hat das Buch alles andere als einen festgefügten Aufbau. Spannungen, ja sogar Widersprüchlichkeiten begegnen allenthalben. Daher hat man oft vermutet, dass es sich kaum um das Werk eines einzigen Autors handeln könne. Die Spuren von bis zu acht verschiedenen Verfassern meinten manche Exegeten im Buch Kohelet entdecken zu können.
Heute geht man aber wieder eher von der Einheitlichkeit aus. Auch in anderen Weisheitsbücher geht der Gedanke hin und her, wird neu angeknüpft und abgewandelt.
Darüber hinaus weisen
- die Gedankenwelt des Buches,
- sein einheitlicher Stil
- und der einheitliche Wortschatz
darauf hin, dass das Buch im Prinzip einheitlich sein dürfte.
Bei der Endredaktion des Werkes und bei seiner Herausgabe war aber mit Sicherheit ein Schüler des Verfasser mitbeteiligt. Dieser Schüler spricht beispielsweise am Ende des Buches und empfiehlt dem Leser die Ausführungen Kohelets. Diese Verse sind demnach von ihm wohl anlässlich der Herausgabe des Buches angefügt worden (Koh 12,9-14).
3. Zum Inhalt des Buches
Bevor wir uns nun weiter in die Fragen des Buches vertiefen, müssen wir uns kurz mit seinem Inhalt auseinandersetzen. Worum geht es im Buch Kohelet?
Das Buch besteht aus Variationen über ein einheitliches Thema.
Dieses Thema wird ganz am Anfang und auch am Ende des Werkes ausdrücklich genannt: Es geht um die Nichtigkeit all dessen, was den Menschen betrifft (Koh 1,2 und 12,8).
So beschreibt das Buch alles als trügerisch:
- das Wissen,
- den Reichtum,
- die Liebe,
- ja selbst das ganze Leben.
Das ganze Leben sei nichts anderes, als eine reine Abfolge von Vorgängen, die ohne Zusammenhang und ohne Bedeutung sind (Koh 3,1-11).
Am Ende steht - nach Kohelet - immer das Alter (Koh 12,1-7); und der Tod trifft gleichermaßen
- Weise und Toren,
- Reiche und Arme,
- Tiere und Menschen (Koh 3,14-20).
So etwa kann man die Kerngedanken des Buches knapp zusammenfassen.
4. Korrekturen aus traditionellem Glauben
Solche Aussagen in der Bibel müssen schon ein wenig verwundern. Und es scheint auch so zu sein, als hätten die Aussagen des Kohelet-Buches bereits in ihrer Zeit manchen Anstoß erregt.
An einigen Stellen scheint daher ein späterer Bearbeiter ein paar Korrekturen angebracht zu haben. Diese Korrekturen bemühen sich anscheinend, Aussagen des Buches nicht ganz so fatalistisch erscheinen zu lassen. Vielleicht hat hier jemand Ergänzungen vorgenommen, um das Buch für den Kanon der Heiligen Schriften eher tauglich zu machen.
Solche Korrekturen aus traditionellem Glauben vermutet man beispielsweise hinter den Aussagen
- vom Gericht Gottes in Koh 11,9b
- und von der gerechten Vergeltung in Koh 8,12b-13.
Beide Stellen wirken wie Fremdkörper im sonstigen Gedankengut Kohelets. ⋅5⋅
Vermutlich gehen auch die allerletzten Verse des Buches in Koh 12,(12.) 13-14 auf diesen Bearbeiter zurück. Hier wird nämlich ausdrücklich die Gottesfurcht eingeschärft und vor allem die Mahnung ausgesprochen, auch die Gebote zu achten.
Auch das passt kaum in den ursprünglichen Geist des Kohelet-Buches.
5. Der Entstehungsprozess und die Struktur des Buches ⋅6⋅
a. Der Entstehungsprozess des Kohelet-Buches nach Werner H. Schmidt
Werner H. Schmidt versucht die Entstehung des Buches Kohelet auf diesem Hintergrund daher folgendermaßen zu rekonstruieren:
- Er meint, dass in der "Ich"-Rede von Koh 1,12-11,8 die ursprüngliche, von Kohelet verfasste Sentenzensammlung vorliegt.
- Ein Schüler Kohelets habe dann das Buch insgesamt zusammengestellt. Er habe die Sentenzen Koh 1,3-11 ("über den Wechsel der Geschlechter") und die Sprüche Koh 11,9-12,7 ("über das Altern") bewusst an den Anfang und den Schluss des Buches gestellt, um damit so etwas wie einen Rahmen zu schaffen.
Von diesem Schüler stamme dann auch die Schlussbemerkung in Koh 12,9-10 (11). - Das somit an sich fertige Buch wurde dann von einem Bearbeiter mit den oben genannten kritischen Zusätzen versehen. Damit sollten einige Aussagen korrigiert werden.
- Von diesem Bearbeiter würde dann auch der sogenannte "zweite Epilog" (Koh (12.) 13-14) stammen, der dann ausdrücklich an die Gottesfurcht und das Halten der Gebote erinnert.
b. Übersicht ⋅7 ⋅
So kommt Werner H. Schmidt zu folgendem Aufbau des Kohelet-Buches.
"Was hat der Mensch für Gewinn von all seiner Mühe" (Koh 1,3)
"Es geschieht nichts Neues unter der Sonne." (Koh 1,9)
Das Buch entbehrt nach Werner H. Schmidt allerdings eines klaren, folgerichtigen Aufbaus. Es ist zwar weit einheitlicher gefügt als das Buch der Sprüche, aber nicht so geschlossen wie die Ijob-Dichtung.
c. Die Gliederung Norbert Lohfinks ⋅8⋅
Norbert Lohfink meint hingegen, auch im Kohelet-Buch einen mehr oder minder durchgeplanten Aufbau entdecken zu können. Er spricht von einer palindromischen ⋅9⋅ Gesamtkonstruktion und stellt die Struktur des Buches folgendermaßen dar:
6. Fremde Einflüsse
Die Frage nach dem Aufbau des Kohelet-Buches ist natürlich lediglich ein Randproblem. Viel wichtiger ist die Frage, was dieses eigenartige Buch bedeutet.
Woher kommt dieses fatalistische Denken Kohelets?
Man versucht heute vielfach die Aussagen des Buches durch außerisraelitische Einflüsse zu erklären.
So fallen etwa eine Reihe von Parallelen zu ägyptischen Dichtungen auf,
- etwa zum "Gespräch des Lebensmüden mit seiner Seele"
- oder den "Harfnerliedern".
Auch Bezüge zur mesopotamischen Weisheitsliteratur und dem Gilgamesch-Epos werden in diesem Zusammenhang untersucht.
Vor allem aber Spuren
- der stoischen,
- der epikureischen
- und der kynischen Philosophie
glaubt man im Werk des Kohelet, ausmachen zu können.
Kohelet könnte diese philosophischen Strömungen vermittelt durch das hellenistische Ägypten durchaus gekannt haben.
Allerdings lässt sich von keinem dieser Werke ein unmittelbarer Einfluss auf das Buch nachweisen.
Keines von ihnen scheint die Mentalität des Verfasser wirklich geprägt zu haben. Kohelet bleibt insgesamt dem semitischen Denken verhaftet, und ist im Grunde weit weg von der geistigen Welt der griechischen Philosophie.
Berührungen zwischen seinem Buch und außerisraelitischen Traditionen beziehen sich häufig auf Themen, die manchmal sehr alt sind und durchaus zum Gemeingut der altorientalischen Weisheit gehören.
Deshalb darf man - unbeschadet etwaiger Parallelen und vielfacher Bezüge - die Eigenständigkeit Kohelets und seines Denkens nicht zu gering veranschlagen (vgl. den Epilog, Koh 12,9).
7. Die Zeit der Abfassung
So können wir wohl als Fazit der Untersuchungen an diesem Buch festhalten, dass jener Kohelet wohl ein Jude aus Palästina, wahrscheinlich sogar aus Jerusalem selbst gewesen ist.
Er schreibt ein spätes, mit Aramäismen durchsetztes Hebräisch, und verwendet im Verlaufe des Buches auch zwei persische Wörter.
Dies setzt eine Abfassung in ziemlich später nachexilischer Zeit voraus.
Allerdings muss das Buch vor Beginn des 2. Jahrhunderts v. Chr. vorgelegen haben. Zu dieser Zeit benutzt nämlich Jesus Ben Sira dieses Buch bereits.
In den Qumranhöhlen hat man im übrigen Fragmente des Kohelet-Buches gefunden. Diese wurden durch die Paläographie ungefähr auf das Jahr 150 v. Chr. datiert.
So können wir alles in allem als Abfassungszeit des Kohelet-Buches mit einiger Wahrscheinlichkeit das 3. Jahrhundert v. Chr. annehmen.
Damit befinden wir uns aber in der Zeit, in der Palästina unter ptolemäische Herrschaft und damit in den Einfluss des Hellenismus gerät.
Das Kohelet-Buch entstand also in der Zeit, als griechisches Denken langsam nach Palästina vordrang, aber noch bevor der Glaubensprotest und die Hoffnungsbewegung der Makkabäerzeit einsetzte.
Wir stehen politisch und auch geistesgeschichtlich also in einer Umbruchsituation.
8. Zur Intention des Buches Kohelet
Diese Übergangszeit ist theologisch nicht zuletzt durch die Krise des Tun-Ergehen-Zusammenhangs geprägt.
Dementsprechend bewegt Kohelet genau die gleiche Frage wie Ijob: Finden das Gute und das Böse ihre Vergeltung auf Erden?
Die Antwort, die das Buch Kohelet gibt, geht nun bereits weit über die Antwort Ijobs hinaus.
Während das Buch Ijob im Grunde noch fest auf dem Boden des Tun-Ergehen-Zusammenhangs steht, leugnet Kohelet ganz radikal die irdische Vergeltung von gut und böse.
Das ist eine der wichtigsten Aussagen des Kohelet-Buches: Die Erfahrung widerspricht den überkommenen Antworten (Koh 7,25-8,14).
Das Glück ist etwas flüchtiges und man findet seinen Trost lediglich im Genießen jener bescheidenen Freuden, die das Dasein zu geben vermag (Koh 3,12-13; 8,15; 9,7-9).
Aber selbst das Genießen der Freuden des Daseins kann den Menschen nicht trösten. Er bleibt von Anfang bis zum Ende unbefriedigt (Koh 3,21; 9,10; 12,7).
Damit zeigt das Buch Kohelet endgültig, dass der Tun-Ergehen-Zusammenhang nicht mehr greift. Aber das Buch bringt keine neue Antwort. Die traditionellen Sicherheiten, die alten Antworten Israels sind erschüttert, aber an ihre Stelle ist noch nichts Neues getreten.
Das Buch Kohelet verharrt im Grunde in einer gewaltigen Ratlosigkeit.
Bei all dieser Fragwürdigkeit und Ratlosigkeit, die das Denken Kohelets nun aber bestimmt, bricht Kohelet nicht mit seinem Glauben. Wenn er sich auch am Gang der Geschicke, so wie Gott sie lenkt, stößt, so sagt das Buch - auf jeden Fall in seiner endgültig, heute vorliegenden und kanonischen Form,
- dass Gott keine Rechenschaft zu geben braucht (Koh 3,11. 14; 7,13),
- dass man aus seiner Hand die Leiden wie die Freuden annehmen (Koh 7,14)
- und dass man die Gebote halten und Gott fürchten soll (Koh 5,6; 8,12-13).
In dieser Situation des Zusammenbrechens der alten Antworten macht sich der Verfasser des Kohelet-Buches trotz allem in Gott fest.
9. Abschließende Würdigung des Buches Kohelet
Um aus diesem Buch keine falschen Schlussfolgerungen zu ziehen, muss man auf jeden Fall berücksichtigen, dass das Kohelet-Buch insgesamt den Charakter eines Übergangswerkes trägt. Es bildet nur eine Stufe in der religiösen Entwicklung Israels und darf daher nicht losgelöst vom Vorhergehenden und Nachfolgenden beurteilt werden.
Dadurch, dass Kohelet das Ungenügen der alten Vorstellungen hervorhebt und zu einer Auseinandersetzung mit der Rätselhaftigkeit des Menschseins zwingt, treibt er das Suchen nach einer Antwort weiter.
Und wenn er lehrt, dass der Mensch den irdischen Gütern nicht verfallen soll, und dass sich Klammern an die Dinge dieser Welt nicht lohnt, dann ist er von der Antwort, die später formuliert wird, gar nicht mehr weit entfernt.
Der Glaube an eine Vergeltung jenseits der irdischen Wirklichkeit ist hier schon zum Greifen nahe. Ausgesprochen wird er im Buch Kohelet noch nicht. Diesen Schritt vermag der Autor des Buches noch nicht zu gehen.
Formuliert wird diese Antwort erst in der nachfolgenden theologischen Reflexion des Judentums und dann vor allem im Neuen Testament.
Anmerkungen
(Vgl.: Alfons Deissler, Anton Vögtle (Hrsg.), Neue Jerusalemer Bibel (Freiburg / Basel / Wien 1985) 892; Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 326.)
(Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 327.)
(Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 328.)