Die Bibel

Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...


Weiter-ButtonZurück-Button Rut ⋅1⋅

Eines der Bücher, das unbestritten zum Kanon gehört, ist das Buch Rut. Es wurde in hebräischer Sprache abgefasst und ist heute auch im hebräischen Kanon zu finden.

1. Zur Stellung im Kanon

In der hebräischen Bibel hat man das Buch Rut unter die כְּתוּבִים [ "ketubim"], die "Schriften", eingereiht. Es gehört dort zu den fünf מְגִלּוֺת ["megillot"], den fünf "Rollen", die man an den Hauptfesten las. Das Buch Rut wurde hierbei am Wochenfest, unserem Pfingstfest, verlesen.

In der Septuaginta, der Vulgata und den modernen Übersetzungen wird das Buch Rut - seinem Inhalt entsprechend - in der Regel nach dem Buch der Richter eingeordnet.

2. Aufbau, Thema und Inhalt des Buches

Der Gegenstand der Erzählung des Buches wird nämlich in die Richterzeit verlegt (vgl. Rut 1,1).

a. Der Inhalt der Erzählung

Es wird berichtet, wie ein Mann namens Elimelech aus Betlehem mit seiner Frau Noomi und seinen beiden Söhnen aufgrund einer wirtschaftlichen Notlage zur Auswanderung nach Moab gezwungen wird.

Nach dem Tod des Vaters nehmen beide Söhne Moabiterinnen zur Frau. Als nun auch die Söhne sterben, macht sich die nun alleinstehende Noomi auf den Heimweg nach Betlehem. Dabei drängt sie ihre Schwiegertöchter Orpa und Rut, doch in ihrer Heimat zu bleiben.

Während Orpa "zu ihrem Volk und ihren Göttern zurückkehrt", beharrt Rut auf ihrem Entschluss, sich an Noomi und damit zugleich an Jahwe zu "hängen".

"Dränge mich nicht, dich zu verlassen und wegzugehen von dir. Denn wo du hingehst, will auch ich weilen; dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da will ich sterben, und da will ich begraben sein. Möge Jahwe mir dieses Schlimme antun und jenes andere auch noch, wenn nicht der Tod allein uns scheiden wird." (Rut 1,16-17.)

Dies ist ein Schlüsselsatz der ganzen Erzählung.

b. Das Leviratsgesetz

In Israel angekommen, nimmt Boas, ein Verwandter des verstorbenen Mannes der Rut, die Witwe in Anwendung des Leviratsgesetztes zur Frau.

Nach diesem Gesetz war der nächste Verwandte eines kinderlos gestorbenen Mannes nämlich verpflichtet, die Witwe zu heiraten; der erste Sohn galt dann als Kind des Verstorbenen (vgl. Rut 4,10).

Der Sinn dieses Gesetzes war zunächst, den Bestand der Familie des Verstorbenen zu sichern, dann aber ging es auch darum, für die Zukunft der Witwe zu sorgen.
Boas ist der "Löser", der sich der Witwe annimmt.

Das Buch Rut schildert nun, wie aus dieser Ehe Obed, der spätere Großvater Davids, entstammt.

Ein Anhang zum Buch (Rut 4,18-22) bietet dann abschließend eine Genealogie Davids. Dieser Stammbaum läuft parallel zur Geschlechterliste in 1 Chr 2,5-15.

c. Übersicht ⋅2⋅

Sehen wir uns den Aufbau des Buches daraufhin genauer an:

I.
Rut 1,1-1,7a
Exposition: Vorgeschichte und Situation
Rut 1,7b-19a
Zwiegespräch Noomi - Rut. Ihr Entschluss
Rut 1,19b-22
Klage daheim in Betlehem: Statt Noomi "die Anmutige, Liebliche" eher Mara "die Bittere"
II.
Rut 2,1-17
Erste Begegnung zwischen Rut und Boas auf dem Felde beim Ährenlesen
Rut 2,18-23
Rut berichtet Noomi
III.
Rut 3,1-5
Noomis Plan
Rut 3,6-15
Begegnung zwischen Rut und Boas nachts auf der Tenne
Rut 3,16-18
Rut berichtet Noomi
IV.
Rut 4,1-12
Rechtsverhandlung im Tor. Verzicht des Lösers
Rut 4,13-17
Boas heiratet Rut. Geburt des Sohnes
Rut 4,18-22
(Sekundäres) Geschlechtsregister bis David

3. Rut als Stammmutter Davids

Umstritten ist, ob das Buch ursprünglich in die Familiengeschichte Davids gehört. Es wurde verschiedentlich gefragt, ob es vielleicht nicht erst nachträglich zu einer Erzählung über die Abstammung Davids gemacht wurde.

Sicher ist die Genealogie in Rut 4,18-22 ein Zusatz zum Buch. Sie passt schon aus stilistischen Gründen nicht zum übrigen Werk.

Die Frage ist aber, ob das Buch Rut von Anfang an auf die Geburt Obeds zuläuft. Vielleicht hieß das Kind der Rut in der Erzählung am Anfang ja ganz anders. Vielleicht wurde der Name "Obed" in Rut 4,17b ja erst nachträglich eingesetzt, um das Kind mit der David-Linie in Verbindung zu bringen.

Diese Frage wird heute recht kontrovers diskutiert.

Die Anzeichen dafür, dass das Buch Rut jedoch schon von Anfang an die Intention hatte, Rut als Stammmutter Davids zu schildern, scheinen allerdings zu überwiegen.

  • Schon die einleitende Herkunftsangabe, dass nämlich Elimelich aus Betlehem in der Landschaft Efrata stamme (Rut 1,1-2; vgl. 1 Sam 17,12; Mi 5,1) verweist in die Heimat Davids.
  • Die Glückwünsche der Frauen in Rut 4,12 spielen auf einen weiteren Vorfahren Davids, den Perez, an. Dies scheint nicht zufällig so zu sein.
  • Am stärksten wirkt aber das Argument, dass die Erzählung über die Abstammung Davids von einer Moabiterin anstößig gewesen sein muss. Und solch einen anstößigen Sinngehalt stülpt man einer neutralen Geschichte kaum im Nachhinein über, wenn er nicht schon in der Tradition vorhanden war.

So ist es durchaus wahrscheinlich, dass die Erzählung bereits von Anfang an die Abstammung Davids von einer Ausländerin schilderte.

Die jüngere Genealogie, also der Stammbaum Davids, der nachträglich an das Buch angefügt wurde, hätte dann nur noch einmal erläutert, was die Erzählung seit jeher selbst beabsichtigt hatte.

4. Die Zeit der Abfassung

Wann das Buch geschrieben wurde, ist sehr umstritten. Man hat im Grunde schon alle Perioden von David und Salomo bis zu Nehemia vorgeschlagen.

Als Gründe für eine Spätdatierung werden genannt,

  • dass das Buch im jüngsten Teil des hebräischen Kanons steht,
  • und dass Sprache,
  • Familienbräuche
  • und auch der Sinngehalt wohl am ehesten in nachexilische Zeit verweisen.

Gerade die fremdenfreundliche Haltung, die in diesem Buch zum Ausdruck kommt, scheint vielen in die Nähe der Jona-Erzählung zu deuten. Auch die Jona-Novelle - auf die wir gleich zu sprechen kommen werden - ist ja sehr fremdenfreundlich in ihrer positiven Zeichnung der Bewohner Ninives. Das Jona-Buch ist aber unbestritten in nachexilischer Zeit abgefasst worden.

Deshalb plädiert beispielsweise Werner H. Schmidt im Blick auf das Buch Rut auf jüngere, nachexilische Entstehungszeit. ⋅3⋅

Alfons Deissler meint hingegen, dass das Büchlein, ausgenommen natürlich die letzten Verse, durchaus auch in der Königszeit verfasst worden sein könne. Die Gegenargumente seien nicht zwingend.

Gerade die Vorstellung, dass sich die Tradition der Herkunft Davids von einer Ausländerin nicht erst in der Spätzeit gebildet haben kann, sondern wegen ihrer Anstößigkeit eigentlich schon recht alt sein müsse, stützt die These von einer vorexilischen Abfassung des Buches Rut.

Lassen wir beide Ansichten hier ganz einfach nebeneinander stehen.

5. Die Gattung des Buches Rut und seine theologische Intention

Insgesamt handelt es sich beim Büchlein Rut um eine novellenartige Erzählung, deren Hauptabsicht ganz einfach die Erbauung des Lesers ist.

Das Büchlein will zeigen, wie ein Vertrauen auf Gott, das sich durch die Prüfungen des Lebens hindurch bewährt, belohnt wird und wie sich Gottes Erbarmen selbst auf eine Fremde, eine Ausländerin erstreckt (Rut 2,12).

Dieser Glaube an die gütige Vorsehung Gottes, der die Geschicke lenkt, und der universalistische Geist des Büchleins sind die bleibenden Lehren dieser Erzählung.

Der Umstand, dass Rut als Ahnmutter Davids angesehen wird, gab dem Buch in der Tradition dann ein ganz eigenes Gewicht. Matthäus fügt von hier her den Namen der Stammmutter Rut auch in den Stammbaum Jesu ein (Mt 1).

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Vgl.: Alfons Deissler, Anton Vögtle (Hrsg.), Neue Jerusalemer Bibel (Freiburg / Basel / Wien 1985) 266-267; Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 314-316. Zur Anmerkung Button

2 Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 314. Zur Anmerkung Button

3 Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 314. Zur Anmerkung Button