Die Bibel

Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...


Weiter-ButtonZurück-Button Joël ⋅1⋅

Nun kommen wir zum Ende der prophetischen Bewegung. Wir stehen in einer Zeit, in der die Prophetie durch die apokalyptische Bewegung abgelöst wird. Der Blick richtet sich nun verstärkt auf das Ende der Zeiten.

Die apokalyptische Strömung, die mit Ezechiel beginnt, bricht nun bei Joël und im zweiten Teil des Buches Sacharja durch.

Von ihr ist dann das Buch Daniel erfasst, in dem sich der Blick in die Vergangenheit und die Zukunftsschau zu einem die Zeitlinie überschreitenden Bild über die Zerstörung des Bösen und den Anbruch des Gottesreiches verbinden. Dieses ausgesprochen apokalyptische Buch, das in unserer Tradition zwar unter die Prophetenbücher eingereiht wird, müssen wir noch gesondert betrachten.

Jetzt scheint die große prophetische Geistbegabung erloschen; man beruft sich auf die "Propheten von einst" (Dan 9,6; vgl. bereits Sach 7,7. 12).

Deutero-Sacharja (Sach 13,2-6) sieht den Untergang der Einrichtung des Prophetentums voraus, das durch die falschen Propheten in Verruf gebracht wurde.

Joël 3,1-5 aber kündet eine Ausgießung des Geistes in der messianischen Zeit an. Die das Neue Testament dann nach Apg 2,16-17 an Pfingsten verwirklicht sieht. ⋅2⋅

Die Wirkungszeit des Propheten Joël ist weder durch die Buchüberschrift noch auf andere Weise festgelegt. Sie kann also nur aus seiner Botschaft erschlossen werden.

1. Zur Person Joëls

Dementsprechend wissen wir auch über seine Person so gut wie nichts. Die einzige Angabe, die wir haben ist die Überschrift des Buches:

"Wort Jahwes, das erging an Joël, den Sohn des Petuël." (Joël 1,1.)

2. Ursprünglich ein oder zwei Bücher?

Das Buch zerfällt deutlich in zwei Teile. Im ersten Teil führt eine Heuschreckenplage, die Juda verwüstet, zu einem Trauer- und Bittgottesdienst. Jahwe antwortet und verheißt das Ende der Geißel und die Wiederkehr des Wohlstandes (Joël 1,2-2,27).

Der zweite Teil beschreibt in apokalyptischem Stil das Gericht über die Völker, sowie den endgültigen Sieg Jahwes und Israels (Joël 3-4).

Dass beide Teile zusammengehören und auch wirklich auf einen Verfasser zurückgehen, wird durch das Sprechen vom "Tag Jahwes" wahrscheinlich. Dieses Thema klammert beide Teile zusammen. Es ist ausdrücklich Thema im zweiten Teil (Joël 3-4), kommt aber auch schon in Joël 1,15 und Joël 2,1-2. 10-11 vor.

Damit wird im heutigen Text-Zusammenhang die Heuschreckenplage zu einem Symbol für das Gericht Gottes.

Das könnte durchaus auch schon die ursprüngliche Intention des Buches gewesen sein. Diskutiert wird aber auch, ob nicht erst eine spätere Redaktion zwei zunächst selbständige Teile zusammengefügt hat. Dadurch wäre dann erst der heutige Sinnzusammenhang hergestellt worden.

3. Die Entstehungszeit der beiden Teile

Auf jeden Fall stammen beide Teile aus annähernd der gleichen Zeit. Sie setzen nämlich die gleichen Verhältnisse voraus.

Wir befinden uns augenscheinlich in der Zeit der nachexilischen Gemeinde:

  • Es gibt keinen König,
  • der Kult am Tempel steht im Mittelpunkt
  • und immer wieder wird auf frühere Propheten Bezug genommen. Besonders Ezechiel und Obadja, der in Joël 3,5 zitiert wird, sind hier zu nennen.

So dürfte das Buch wohl um 400 v. Chr. oder auch im 4. vorchristlichen Jahrhundert verfasst worden sein. Also nicht sehr viel später als Maleachi. ⋅3⋅

4. Überblick ⋅4⋅

Die beiden Teile des Joël-Buches gliedern sich nun wie folgt:

A)
Joël 1-2
Joël 1,2-20
Klage über Heuschreckenplage und Dürre
Joël 1,2-4
Aufforderung zur Überlieferung über Generationen:
Not (Joël 1,4) und Errettung durch Jahwe (Joël 2,18)
Joël 1,5-14
Aufruf zur Volksklage
Joël 1,15
Klageruf "Nahe ist der Tag Jahwes!" (Zef 1,7; Jes 13,5-6 u. a.)
Joël 1,16-18
Klage einer "Wir"-Gruppe
Joël 1,19-20
Bitte ("ich rufe zu dir") des Propheten als Vorbeter
Joël 2
Neue Klage und Gebetserhörung
Joël 2,1-2
Alarmruf: Der Tag Jahwes kommt (vgl. Zef 1,14-15)
Joël 2,3-11
Beschreibung des Feindes
Joël 2,12-14
Bußruf
Joël 2,15-17
Neuer Aufruf zur Volksklage
Joël 2,18
Wende der Not
Joël 2,19-20
Gottes Antwort (Erhörungsorakel): Segen, Vertreibung der "Nördlichen" (Heuschrecken, Heer?; vgl. Jer 1,14-15)
Joël 2,21-24
Aufruf zu Freude und Dank
Joël 2,25-27
Neue Heilszusage mit Gotteserkenntnis als Ziel (Joël 2,27; 4,17)
B)
Joël 3-4
(in Joël 3-4 ist die Verszählung nicht einheitlich)
Joël 3
Geistausgießung (Joël 3,1-2). Zeichen am Himmel und auf Erden (Joël 3,3-4). Rettung in Jerusalem (vgl. Obd 17)
Joël 4
Völkergericht in Jerusalem (vgl. Jes 17,12ff; 29,5ff; Ez 38-39; Sach 12; 14)
Joël 4,4-8
Einschub in Prosa
Joël 4,18-21
Nachtrag nach der abschließenden Erkenntnisaussage (Joël 4,7)

5. War Joël ein Kultprophet - zum Charakter des Joël-Buches

Offensichtlich ist die Verbindung des Joël-Buches mit dem Kult. Joël 1-2 tragen den Charakter einer Bußliturgie. Diese Liturgie schließt mit der prophetischen Verheißung der göttlichen Vergebung.

Aufgrund dieses liturgischen Charakters wollte man Joël als einen Kultpropheten betrachten. Er sei für den Tempeldienst bestellt gewesen und hätte hier eine fest umrissene liturgische Funktion gehabt.

Nach Alfons Deissler lassen sich diese liturgischen Züge seines Büchleins jedoch auch als literarische Nachahmung liturgischer Formen erklären. Das Joël-Buch sei keine Wiedergabe einer Verkündigung im Tempel. Es sei ein schriftlich abgefasstes Werk, das von vorneherein zum Lesen bestimmt gewesen sei.

Wie auch immer, wir stehen auf jeden Fall augenscheinlich am Ende der prophetischen Bewegung.

6. Zur theologischen Intention Joëls

Joël ist klar als Heilsprophet zu bezeichnen. Wer Buße tut, dem wird der Herr vergeben. Eine Schlüsselstelle ist hier Joël 2,13-14:

"Zerreißt eure Herzen und nicht eure Kleider, und bekehret euch zu Jahwe, eurem Gott, denn er ist gnädig und barmherzig, langmütig und reich an Güte; er hat am Bösen keine Freude. Vielleicht gereut es ihn wieder, dass er aufs neue Segen spendet..." (Joël 2,13-15a.)

Die Heilszusagen des ersten Teiles werden in den Weissagungen des zweiten Buchteiles (Joël 3-4) breit ausgestaltet. Zentrale Verheißung ist die Ausgießung des Geistes. Dieser Geist gewährt die Gabe der Prophetie und damit eine unmittelbare Gottesbeziehung und zwar für jedermann ohne Unterschied des Alters, Geschlechtes und sozialen Standes:

"Danach werde ich ausgießen meinen Geist über alles Fleisch, und es werden weissagen eure Söhne und eure Töchter; eure Ältesten werden Träume haben und eure Jünglinge Gesichte schauen. Selbst über die Knechte und Mägde werde ich ausgießen meinen Geist in jenen Tagen. Und Zeichen werde ich geben am Himmel und auf Erden: Blut und Feuer und Rauchsäulen." (Joël 3,1-3.)

Nach dem Gericht über die Völker, das in apokalyptischer Sprache angekündigt wird, und dem damit zusammenhängenden Tag Jahwes, werden alle erkennen, dass Jahwe Gott ist. Darauf folgt die paradiesische Zeit der Erneuerung Israels.

7. Zur Wirkungsgeschichte des Joël-Buches

Für das Neue Testament ist Joël der Prophet des Pfingstfestes. Der Verfasser der Apostelgeschichte lässt Petrus in Apg 2,16-21 einen ganzen Abschnitt aus dem Joël-Buch zitieren.

Aber Joël ist auch der Prophet der Buße. Seine Aufforderung zu Fasten und Gebet, die dem Tempelkult entnommen oder nach dessen Vorbild abgefasst wurden, haben die christliche Liturgie der Fastenzeit stark geprägt.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Vgl.: Alfons Deissler, Anton Vögtle (Hrsg.), Neue Jerusalemer Bibel (Freiburg / Basel / Wien 1985) 1031-1032; Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 283-286. Zur Anmerkung Button

2 Hier liegt für das NT der Anbruch der neuen Zeit, die mit der Predigt Johannes' des Täufers begonnen hat; er ist der letzte der Propheten des Alten Bundes, "ein Prophet und mehr als ein Prophet", Mt 11,9; Lk 7,26. Zur Anmerkung Button

3 Es wurden aber auch andere Vorschläge gemacht. Um eine Alternative zu nennen: Joël wurde auch in die spätvorexilische Ära datiert. Dann wäre er Zeitgenosse, ja mit seiner Heilserwartung sogar ein Gegner Jeremias. Die politisch bewegte Situation jener Epoche, die Bedrängnis durch die Babylonier oder auch das wechselvolle Schicksal der letzten Könige, spiegelt sich im Buch jedoch nicht wider. Vielmehr setzt die Erwartung des Gerichts über die Völker, die Israel zerstreut und verkauft haben (Joël 4,2-3. 17), doch wohl die Katastrophe von 587 v. Chr. voraus. Dann ist das Heiligtum (Joël 1,14; 2,17) aber der zweite Tempel im bereits wieder mauerumwehrten (Joël 2,6ff) Jerusalem. Charakteristisch für die Spätzeit sind auch die mannigfachen sprachlichen Berührungen mit der Verkündigung der älteren Prophetie.
(Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 283.) Zur Anmerkung Button

4 Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 284. Zur Anmerkung Button