Die Bibel

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Weiter-ButtonZurück-Button Die theologische Botschaft des Priesterkodex ⋅1⋅

Um die Theologie der Priesterschrift zu würdigen, müssen wir der Tatsache Rechnung tragen, dass die Quellenschicht selbst in sich gewachsen ist. Wir müssen daher die erzählenden Teile und die gesetzlichen Teile auch separat untersuchen.

1. Die theologische Konzeption der eigentlichen Priesterschrift, d. h. der im wesentlichen erzählenden Teile

Das heißt aber nicht, dass die im wesentlichen erzählenden Teile reine Erzählungen sind. Auch sie sind sehr stark auf die Kult- und Lebensordnung hingeordnet. Insofern haben auch diese Teile des Priesterkodex anordnenden Charakter.

a. Kult- und Lebensordnung für die Zeit nach der Rückkehr

Wenn wir berücksichtigen, dass die priesterschriftliche Grundschrift noch im Exil abgefasst wurde, dann wird dieses starke Interesse an Kult- und Lebensordnung durchaus verständlich. Man kann wohl mit Recht vermuten, dass die Priester im Exil sich Gedanken darüber machten, wie das Leben nach der Rückkehr aussehen sollte.

So verfasste man im Priesterkodex also gleichsam eine Kult- und Lebensordnung für die nachexilische Zeit.

b. Das verheißene Land

Aus der Situation des Exils wird auch verständlich, dass die Priesterschrift einen außerordentlichen Wert auf das Thema der Land-Verheißung legt. Hier ist sie durchaus mit dem jahwistischen Werk vergleichbar.

Die Priesterschrift zielt schließlich auf die nachexilische Kult- und Lebensordnung im verheißenen Land. Nach Rudolf Kilian zieht sich durch PG

"[...] das Thema "Land" gleichsam als roter Faden vom Anfang der Geschichte Israels an (Gen 17) bis zu Moses Tod hin [...]" ⋅2⋅

(1) Abraham und das Land

In Gen 17,8, also an ganz exponierter Stelle, nämlich innerhalb der ersten Gottesrede an Abraham, die das priesterschriftliche Werk anführt, spricht Gott:

"Dir und deinen Nach­kommen gebe ich ganz Kanaan, das Land, in dem du als Fremder weilst, für immer zu Eigen und ich will ihnen Gott sein." (Gen 17,8 [P].)

Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang auch, dass in der priester­schriftlichen Darstellung bereits Abraham ein Stück des verheißenen Landes zu seinem Eigentum erhält.

Er kann gemäß Gen 23 die Höhle Machpela als Begräbnisstätte käuflich erwerben. Hier werden nach P Sara, Abraham, Isaak, Rebekka, Jakob/Israel und Lea begraben.

Bereits Abraham erhält also ein kleines Stück des von Gott ihm und seiner Nachkommenschaft auf ewig verheißenen Landes zu seinem Eigentum. Dieses kleine Landstück ist als Angeld der späteren Erfüllung der Verheißung Gottes zu verstehen. ⋅3⋅

(2) Das Land und die Sinaiperikope

So nimmt es nicht wunder, dass das Land in der priesterschriftlichen Grundschrift, auch in der Sinaiperikope eine entscheidende Rolle spielt. Nach Rudolf Kilian ist die Sinaiperikope der Priesterschrift sogar ganz auf das Land hin ausgerichtet.

Die priesterschriftliche Grundschrift PG bietet nämlich anstelle eines Bundesschlussberichtes die Schilderung der Kultgesetzgebung.

Ex 25,1-31,17 wird minutiös beschrieben, wie das Heiligtum, die "Stiftshütte", aussehen soll, wie die Diener gekleidet und die Kultgeräte angeordnet sein sollen.

Diese Kultgesetzgebung hat aber alles andere als eine Zelt im Blick, das während der Wüstenwanderungszeit das Heiligtum Israels war. Hier geht es natürlich um den Kult am Tempel in Jerusalem. Die Kultordnung, die Ex 25-31 geschildert wird, spiegelt den Kult am Jerusalemer Tempel wider und dieser Kult wird nun zurückprojiziert in die Wüstenwanderungszeit, die dem Volk ja als Ideal vor Augen gestellt werden soll. Dadurch erhält der Kult am Tempel natürlich eine ungeheure Legitimation. Er wird so dargestellt, als würde er unmittelbar auf das Geschehen am Sinai zurückgehen. ⋅4⋅

Es geht der Priesterschrift bei ihrer Darstellung der Sinaiperikope dementsprechend um die kultische Ordnung der Volks- und Kultgemeinde für die Zeit, in der man wieder nach Palästina zurückkehren kann, für die Zeit nach dem Exil im verheißenen Land. ⋅5⋅

c. Die Verfehlung des Volkes in der Wüste

Das Thema Land klingt auch wieder an, als Israel vom Sinai aufbricht (Num 10,11-36). Num 10,29 spricht Mose:

"Wir sind dabei, nach der Stätte aufzubrechen, von der Jahwe gesagt hat: "Ich will sie euch geben."" (Num 10,29.)

Israel zieht nun in die Wüste, in die Nähe des verheißenen Landes und schickt Kundschafter voraus.

(1) Der Bericht der Kundschafter und die Reaktion

Als nun aber die Kundschafter, die in das Land vorausgesandt worden waren, zurückkehrten, berichten sie:

"Wir sind in das Land hineingezogen, in das du uns gesandt hast. Es fließt wirklich von Milch und Honig, und dies hier sind Proben von seinen Früchten. Aber die Bevölkerung die in dem Lande wohnt, ist stark, und die Städte sind befestigt, dazu sehr groß,..." (Num 13,27b-28a.)

Kaleb versucht daraufhin auf die Stimmung des Volkes einzuwirken und sagt:

"Unverzüglich wollen wir hinaufziehen und es uns aneignen; denn wir können ganz gut seiner Herr werden!" (Num 13,30b.)

Aber während Kaleb hier das Vertrauen auf die Führung und den Beistand Jahwes unter Beweis stellt, verzagen die Israeliten und murren sogar gegen Gott, der sie doch lieber hätte in Ägypten sterben lassen sollen (Num 14). Und auch Mose und Aaron zweifeln an Jahwe. ⋅6⋅

(2) Gottes Zorn und Verbannung der Auszugsgeneration

Nun entbrennt Gottes Zorn gegen die murrenden Kundschafter, gegen das böse, aufwieglerische Volk (Num 12f+) und selbst gegen die zweifelnden Führer Moses und Aaron (Num 20+).

Gott beschließt, dass niemand von dieser unwürdigen Auszugsgeneration das verheißene Land betreten darf. Mose kann es vor seinem Tod auf dem Berg Nebo nur noch erspähen (Dtn 34,1a. 7-9; vgl. Num 27,12).

Einzig und allein diejenigen, die Jahwe treu geblieben sind, und das sind in diesem Fall nur Kaleb, den wir oben erwähnten, und auch Josua, dürfen den Einzug im Land erleben. Sie dürfen am Leben bleiben (Num 14,34. 38). ⋅7⋅

Das heißt aber im Klartext: Nur diejenigen, welche Jahwe in Anfechtungen treu und gehorsam bleiben, werden das verheißene Land betreten dürfen.

d. Das Volk im Exil und die Hoffnung auf Rückkehr

Wenn man sich diese Erzählung vor Augen hält, dann scheint hier natürlich ganz stark die Exilssituation durch.

(1) Die Situation der Verbannten in Babel

Das Volk ist ja nun - genauso wie damals in der Wüste - wieder in einer Verbannung, dieses Mal in der "Wüste" Babylon. Und wieder geht es um die Frage, wer den verheißenen Rückweg nach Palästina antreten darf.

Die Frage der Jahwe-Treuen unter den verbannten Judäern in Babel ist ja genau, ob Jahwe sie wieder in das Land zurückbringen wird oder ob die Hoffnung auf die Erfüllung der Gottesverheißung vergebens ist.

Soll man nun aufgeben oder weiter seinen Glauben hochhalten?

Diese Frage ist ja nicht unbedeutend, denn die Jahwe-Treuen unter den verbannten Judäern in Babel werden vor Anfechtungen seitens der einheimischen Bevölkerung schließlich nicht verschont.

(2) Das Vorbild Josuas und Kalebs

In dieser Situation werden von PG den Verbannten Josua und Kaleb als Vorbilder der Glaubenstreue vor Augen gestellt.

Weil sie stets Gott treu geblieben sind, deshalb konnten sie in das verheißene Land gelangen. Die Verbannten sollen sich sozusagen als das angefochtene Volk in der Wüste der Völker verstehen.

Es geht nun darum, nicht wie das Volk Israel damals zu handeln, zu murren und gegen Jahwe aufzubegehren, sondern so wie Josua und Kaleb weiter auf den Herrn zu vertrauen und vor allem in der Befolgung der Gebote treu zum Herrn zu stehen.

(3) Die Hoffnung auf Rückkehr für die Jahwegetreuen

Schon das Zeugnis der Propheten macht ja deutlich, dass die Verbannung Israels nach Babel als Strafe für die Schuld des Volkes gedeutet wurde. Hier wurde also, genauso wie damals an der Wüstengeneration, die Untreue gegenüber Gott bestraft.

Demnach ist es bedeutsam, wenn die priesterschriftliche Grundschrift PG erklärt, dass die gesamte Auszugsgeneration in der Wüste, außerhalb des Landes der Verheißung sterben muss (Num 14; 16). Die Strafe wird verhängt und das Volk kann ihr nicht entgehen.

PG war jedoch davon überzeugt, dass dies nicht Gottes letztes Wort ist. Gott wird wieder gnädig sein, wenn die Schuld in der Fremde gesühnt ist, d. h. wenn die Generation, die sich vor 586 v. Chr. verfehlte, gestorben ist und eine neue Generation im Gehorsam gegenüber Jahwe und im Vertrauen auf seine Verheißung herangewachsen ist.

e. Der Gottesbund mit Abraham

Der Bund, den Gott mit seinem Volk geschlossen hat, kann nämlich - selbst durch die Verfehlung des Volkes - nicht aufgehoben werden. Es ist ein ewiger Bund.

(1) Der Abrahamsbund - ein ewiger Bund

Im Zusammenhang mit dem Bundesschluss zwischen Gott und Abraham bringt die priesterschriftliche Grundschrift dies ganz deutlich zum Ausdruck.

Der Gottesbund mit Abraham ist eine בְּרִית עוֺלָם ["berit <olam"], ein ewiger Bund (Gen 17,7). Selbst wenn Abraham oder seine Nachkommen versagen, bleibt das Bundesverhältnis bestehen. Gen 17,7-8 wird das unmissverständlich gesagt.

Der Abrahamsbund kann von Menschen nicht wirklich gebrochen werden, denn er ist eine einseitige Gnadenordnung Gottes, die Gott "aufgerichtet" hat.

(2) Die Bedeutung des Abraham-Bundes für Exilierten

Das heißt für die Jahwe-Treuen in Babylon aber auch, dass die Zeit der Verbannung in Babylon zu Ende gehen wird. Sie endet wie die Zeit der 40 Jahre in der Wüste nach der Tilgung der Schuld (Num 14,34). Gott ist nämlich treu und steht zu seiner Heilssetzung mit bzw. für Abraham und seine Nachkommen (Gen 17).

Von daher ist der Bund Gottes mit Abraham für den priesterschriftlichen Bericht weit wichtiger als der Bund vom Sinai. Gen 17 ist so etwas wie ein Kompendium der priesterschriftlichen Theologie. Alle wichtigen Themen klingen hier an.

Wir brauchen nur einige Stichworte von Gen 17,7-8 zu betonen, um dies ganz deutlich zu sehen:

"als ewigen Bund [...] das Land [...] für immer zu eigen" (Gen 17,7-8.)

Das ist das Thema, auf das es den Verfassern der Priesterschrift ankommt.

(3) Bund mit Abraham und Sinai-Geschehen

Hier wird verständlich, warum die priesterschriftliche Grundschrift den Sinaibund kaum hervorhebt. Es gibt keine eigene Darstellung in PG, die das Bundesgeschehen vom Sinai eigens entfalten würde.

In der priesterschriftlichen Darstellung erscheint der Sinaibund vielmehr als Entfaltung und Vollendung dessen, was im Abrahamsbund (Gen 17) schon grundgelegt worden war.

Die Kontinuität des Bundes mit Abraham ist, das Durchhalten des Bundes über alle Verfehlungen hinweg, das ist den priesterschriftlichen Verfassern ein großes Anliegen. Der Bund vom Sinai darf daher nicht als völliger Neubeginn erscheinen.

Das einzig neue, was das Sinaigeschehen hinzubringt, das ist, dass der Bund mit Abraham nun vollendet und entfaltet wird. Jetzt sagt Jahwe, wie er und wo er in Kult und Opfern in rechter Weise zu verehren ist.

Das Sinaigeschehen ist also die Entfaltung und Vollendung des Abrahambundes. Und zwar eine Vollendung in Form der rechten Verehrung Jahwes, die aus Kult und Opfern am zentralen Heiligtum besteht (Ex 25-31; 35-40; Lev 9).

f. Zeichen des Bundes in der veränderten Situation der Verbannung

Schmerzhaft für die Jahwe-Treuen in Babel ist natürlich, dass der Kult am zentralen Heiligtum nicht ausgeübt werden kann. Man sitzt an den Ufern von Babel, fern von Jerusalem und auch fern von den Trümmern des Tempels.

Dies ist der Grund, warum in dieser Zeit andere Zeichen ganz neue Bedeutung gewinnen.

(1) Die Beschneidung

Eines davon ist die Beschneidung, die nun zum eigentlichen Zeichen des Bundes wird.

Ursprünglich ist die Beschneidung kein israelitisches Phänomen. Sie ist in zahlreichen Kulturen anzutreffen. Das Israel der Frühzeit ist mit diesem Brauch alles andere als allein.

Möglicherweise hätte die Bedeutung der Beschneidung auch in Israel - so wie in manchen anderen Kulturen - langsam nachgelassen, möglicherweise wäre sie auch hier ganz verschwunden.

Das Exil in Babel hat wohl zu einem wichtigen Teil dazu beigetragen, dass dies nicht geschehen ist.

Gerade in Babel wurde die Beschneidung nämlich wichtig. Der Kult am Tempel war nun eine Unmöglichkeit geworden, aber die Beschneidung konnte man auch im Exil vollziehen.

Sie hatte darüber hinaus den Nebeneffekt, dass man sich dadurch von den Heiden unterschied. Sie wurde also in dieser Exilssituation zum eigentlichen Unterscheidungs­zeichen von der einheimischen Bevölkerung

(2) Das Sabbatgebot

Auch das Sabbatgebot gehört zu diesen Vorschriften, die im Exil leicht einzuhalten waren und von daher hier ihre ganz besondere Bedeutung bekamen. Die spätere Wertschätzung der Sabbatgebote hat ihre Heimat mit Sicherheit in der Exilszeit.

In einer späteren Schicht der Priesterschrift wird das Sabbatgebot dann als eine spezielle Gottesforderung vom Sinai festgeschrieben. Es wird dadurch - wie viele andere Vorschriften des Priesterkodex - in die Urzeit zurückdatiert.

Da dieses Sabbatgebot für die Priesterschrift bereits in der Schöpfungsordnung grundgelegt war (Gen 1,1-2,4a), heißt dies darüber hinaus: Solange Israel den Sabbat hält, befolgt es nicht nur eine zentrale Gottesforderung vom Sinai, es bejaht zusätzlich vor den Augen aller anderer Völker die von Jahwe aufgerichtete Schöpfungsordnung.

g. Zusammenfassung

Blicken wir abschließend noch einmal auf die erzählenden Teile der Priesterschrift, bzw. auf die priesterschriftliche Grundschrift zurück, so können wir zusammenfassend sagen, dass sich die Botschaft der Priesterschrift in zwei Brennpunkten zusammenfassen lässt:

  • Der erste Brennpunkt ist Gottes ewige, sich in der Landgabe konkretisierende Gnadenordnung für Abraham und seine Nachkommen,
  • der zweite Brennpunkt wird gebildet durch den unbedingten Gehorsam und die unbedingte Treue gegenüber dem Gott dieses Heiles, wie er bzw. sie von Josua und Kaleb berichtet wird.

Gottes Heilszusage bleibt für ewig bestehen. Ob jedoch alle Nachkommen Abrahams in den Genuss des Heiles kommen, hängt von ihrem Glaubensgehorsam und ihrer Treue ab.

Das priesterschriftliche Kerygma ist demnach ein kaum verhüllter Aufruf zur Entscheidung für Gott und sein Heil.

2. Die theologische Konzeption der priesterschriftlichen Kultordnung und Gesetze, speziell des Heiligkeitsgesetzes (PH) im Priesterkodex

Nach der Betrachtung der priesterschriftlichen Grundschrift, soll nun noch ein kurzer Blick auf die gesetzlichen Teile geworfen werden.

Wir fragen also nach der theologischen Konzeption der priesterschriftlichen Kultordnung und der Gesetze. Ganz besonders hervorgehoben werden soll hierbei das Heiligkeitsgesetz.

a. PG: Der Kult geht auf das Sinai-Geschehen zurück

Schon PG hat die Sinaitradition als das Urdatum der kultischen Jahweverehrung Israels interpretiert. Das heißt, die Praxis, die am Tempel vorgeherrscht hatte, wurde auf das Sinaigeschehen zurückprojiziert. Damit sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass die Verehrung im Kult bereits mit dem Geschehen am Sinai beginnt.

Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass die Priesterschrift keine großen Anstrengungen unternimmt, einen eigenen Bundesschlussbericht vom Sinai zu konstruieren.

Die Grundschrift berichtete vom überkommenen Bundesschlussgeschehen am Sinai eigentlich nur die Theophanie (Ex 24,15b-18a). Darauf folgte ganz einfach die Übergabe der beiden Gesetzestafeln (Ex 31,18 P?).

b. Die Einfügung des Stiftshüttengesetzes

Ein späterer Redaktor hat nun versucht, noch ausdrücklicher festzuschreiben, dass die kultische Verehrung am Tempel ihre Wurzeln im Sinaigeschehen hat.

Er hat nun zwischen die Schilderung der Theophanie, also der Erscheinung Gottes, und der Übergabe der Gesetzestafeln das "Stiftshüttengesetz" (Ex 25,1-31,17) eingefügt.

So muss man, wenn man den dadurch entstehenden Text liest, den Eindruck gewinnen, dass der Inhalt der von Jahwe übergebenen Gesetzestafeln genau dieses "Stiftshüttengesetz" ist, das nun ja der Übergabe unmittelbar vorangeht.

Dieses Stiftshüttengesetz regelt aber den Bau des Wüstenheiligtums, also des auch so genannten "Bundeszeltes", und vor allem den Kult um dieses Heiligtum. Das Stiftshüttengesetz ist also - im durch die Redaktion entstehenden Textzusammenhang - der Anfang der kultischen Jahweverehrung Israels. Und der geht - so die Aussage des Redaktors - unmittelbar auf Jahwe zurück.

Die übrigen, meist kultischen Gesetze im Priesterkodex schließen sich hier an.

Am Sinai ist nach Darstellung der Priesterschule dementsprechend die alttestamentliche Kultgemeinde gegründet worden.

Diese Kultgemeinde wird natürlich schlechthin von den Priestern, und dann vor allem vom Hohenpriester Aaron repräsentiert.

c. Die Rolle des Heiligkeitsgesetzes

Weniger kultische Bedeutung hat das alte Heiligkeitsgesetz (Lev 17-26), das vermutlich als eigener Block in den Priesterkodex eingefügt wurde.

(1) Der Heiligkeitsbegriff des Heiligkeitsgesetzes

Es ist der älteste Teil der Priesterschrift überhaupt und enthält die Jerusalemer Priestertradition aus spät vorexilischer Zeit, also etwa aus der Zeit zwischen 650 und 600 v. Chr. Seinen Namen hat es von seinem Kernsatz her. Dieser ist in Lev 19,2 zu finden. Es heißt dort:

"Seid heilig, denn ich, Jahwe, euer Gott, bin heilig." (Lev 19,2⋅8⋅

Hier haben wir es nicht primär mit einer kultischen Heiligkeit bzw. Reinheit zu tun, so wie das später dann in Israel verstanden wurde.

Um das Heiligsein, das das Heiligkeitsgesetz meint, richtig zu verstehen, muss man Kapitel 19 in seiner Gesamtheit sehen. Aus der Heiligkeit Gottes folgen nach Lev 19 die sittlichen Gebote, also Vorschriften, die sich in etwa mit der zweiten Tafel des Dekaloges decken.

Heilig zu sein, wie Jahwe heilig ist, das heißt dementsprechend sich den Blinden, Tauben, Geringen, Armen, Witwen und Waisen gegenüber jahwe-gerecht zu verhalten.

Der Grundsatz von Lev 19,2 regelt daher vor allem das Verhalten gegenüber den sozial Schwachen des Gottesvolkes. Das Heiligsein, von dem hier gesprochen wird, ist also kein kultischer Begriff. Es meint zuallererst die Ehrfurcht vor dem Gott der sittlichen Gebote.

(2) Die Forderung der Nächstenliebe als Konsequenz

Deshalb folgt aus Lev 19,2, also der Forderung heilig zu sein, wie Jahwe heilig ist, direkt das Gebot der Nächstenliebe, das ein Kernsatz des Heiligkeitsgesetzes ist:

"Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Ich bin Jahwe." (Lev 19,18.)

Dies ist das ursprüngliche Verständnis und die unmittelbare Konsequenz von Heiligkeit im Alten Testament.

(3) Die Entstehung des Ritualgesetzes

Selbstverständlich hat man Heiligkeit Gottes in späterer Zeit dann in einem viel numinoseren Sinn verstanden. Heiligkeit wurde in eins gesetzt mit dem unnahbaren Glanz Jahwes.

Dies hatte natürlich zur Folge, dass man den Satz

"Seid heilig, denn ich, Jahwe, euer Gott, bin heilig." (Lev 19,2.)

so verstand, dass diejenigen, die sich dem heiligen Gott nahen möchten, selbst heilig - und nun aber kultisch heilig - sein müssten. Die Heiligkeit Jahwes erforderte - nach dieser späteren Vorstellung - also die menschliche Heiligkeit und damit die Entsündigung der Menschen.

Dies wird dann zu den vielen verschiedenen Vorschriften ausgebaut, die dem Menschen kultische Reinheit garantieren sollen. Aus dieser Überzeugung entstand das umfangreiche Ritualgesetz Israels. ⋅9⋅

(4) Fazit

Wenn auch die späteren Gesetzessammlungen hauptsächlich diese kultische Reinheit und Heiligkeit hervorheben, so darf vom Heiligkeitsgesetz her nicht übersehen werden, dass die Ehrfurcht gegenüber dem heiligen Gott und die Liebe zum Nächsten die ursprünglichen Grundforderungen der Heiligkeit Jahwes sind. Sie sind damit auch der ursprüngliche Inhalt priesterlicher Verkündigung in Israel.

Die Ehrfurcht gegenüber dem heiligen Gott und die Liebe zum Nächsten, diese Grundforderungen des Heiligkeitsgesetzes richten sich an all die, die als Nachkommen Abrahams in der Gnadenordnung des Abrahambundes als Volk Gottes unter dem einen, heiligen Gott stehen.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Vgl.: Lothar Ruppert, Einleitung in das Alte Testament (Teil I) - autorisierte Vorlesungsmitschrift (WS 1984/85). Zur Anmerkung Button

2 Rudolf Kilian, Die Priesterschrift - Hoffnung auf Heimkehr, in J. Schreiner, Wort und Botschaft des AT, 245. Zur Anmerkung Button

3 In diesem Zusammenhang verweist Rudolf Kilian zusätzlich auf die wichtigen Stellen Ex 6,4. 8 (im Rahmen der Jahwe-Offenbarung an Mose). Zur Anmerkung Button

4 PG kann hier auch eine ältere Tradition aufgegriffen haben, da das "Offenbarungszelt" (vgl. Ex 33,7ff) evtl. die Vorstellung eines transportablen Kleintempels ("Stiftshütte") hervorgerufen hat. Zur Anmerkung Button

5 Vgl. Rudolf Kilian, Die Priesterschrift - Hoffnung auf Heimkehr, in J. Schreiner, Wort und Botschaft des AT, 245. Zur Anmerkung Button

6 Das Vergehen des Mose und Aaron bleibt dunkel. Der Redaktor hat offenbar eine wenig ruhmvolle Begebenheit verwischen wollen. Da Dtn 1,37 die Strafe mit dem - von Mose gebilligten - Aufgeben des Feldzuges gegen Kanaan begründet, schließt sich Num 20,12 wahrscheinlich nicht an das Felswunder von Meriba, sondern an Kapitel 14 an. Vielleicht hat der Redaktor, um eine andere Überlieferung zu berücksichtigen, nach der Jahwe selbst gegen den Feldzug gewesen wäre (Num 14,39-45), den Text umgestellt und ihn in die Nähe des Berichtes über Aarons Tod eingefügt. Die doppelte Überlieferung ließe sich gut durch eine Teilung der Israeliten erklären, wobei die einen mit Mose Edom umgangen, die anderen mit Kaleb Horma eingenommen hätten und von Süden eingezogen wären. Vgl. Num 21,1-3; Ri 1,9-16.
(Vgl. Anmerkung zu Num 20,12 in der Jerusalemer Bibel.) Zur Anmerkung Button

7 Hier ist bereits die Verbindung zu der in P wohl zumindest summarisch berichteten Landnahme hergestellt. Zur Anmerkung Button

8 Parallelen in Lev 20,26; 11,45; vgl. 1 Petr 1,16. Zur Anmerkung Button

9 Zu ihm kam in neutestamentlicher Zeit die "Überlieferung der Alten" hinzu. Zur Anmerkung Button