Die Bibel
Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...
Jeremia ⋅1⋅
- 1. Zur Person Jeremias
- 2. Zum geschichtlichen Hintergrund
- a. Die Frühzeitverkündigung (626-622 v. Chr.)
- b. Von der Regierungszeit Jojakims bis zur ersten Eroberung Jerusalems (608-597 v. Chr.)
- c. Zwischen der ersten und der zweiten Eroberung Jerusalems (597-587 v. Chr.)
- d. Vom Fall Jerusalems bis zum Zwangsaufenthalt in Ägypten (nach 587 v. Chr.)
- 3. Überblick
- 4. Zur Redaktionsgeschichte
- a. Sprüche des Propheten und Eigenberichte
- (1) Niederschrift von Prophetenworten
- (2) Die Frage nach der Ur-Rolle
- (3) Auf Jeremia zurückgehende Sprüche und Berichte
- (4) Die Konfessionen
- b. Die Baruchbiographie
- c. Zwei Überlieferungsformen des Jeremiabuches
- d. Deuteronomistische Redaktion
- 5. Zur Theologie des Jeremia
- a. Gott und Mensch
- b. Der Mensch und das unausweichlich gewordene Gericht
- (1) Die Schuld des Menschen
- (2) Gegen das falsche Sicherheitsgefühl Jerusalems
- (3) Die Auseinandersetzung mit den falschen Propheten
- (4) Aufbäumen gegen das Schicksal macht es nur noch schlimmer
- c. Heilsweissagungen
- 6. Zur Wirkungsgeschichte des Jeremiabuches
Reichlich ein Jahrhundert nach Jesaja, also um 645 v. Chr. wurde in einer Priesterfamilie, die nahe bei Jerusalem ansässig war, Jeremia geboren. Über ihn und sein Leben sind wir am Besten von allen Schriftpropheten unterrichtet.
1. Zur Person Jeremias
Nach den Angaben des Jeremia-Buches selbst ⋅2⋅ wurde Jeremia im 13. Regierungsjahr des Königs Joschija, also 627 bzw. 626 v. Chr. berufen.
a. Heimat in Anatot
Vermutlich war Jeremia selbst kein Priester, auch wenn er aus priesterlichem Geschlecht stammte (Jer 1,1). Sein Vater hieß Hilkija (Jer 1,1), seine Heimat war Anatot (vgl. 1 Kön 2,26), ein Ort nicht weit von Jerusalem in nordöstlicher Richtung gelegen. Jeremia stammte also im Unterschied zu Jesaja, aber ähnlich wie Amos oder Micha vom Land.
Vielleicht wird von daher schon seine eher kritische Haltung gegenüber der Hauptstadt und dem Tempel verständlich (Jer 5,1; 7; 26). Möglicherweise ist das auch der Grund dafür, warum die David- und Zionstradition in Jeremias Heilshoffnung nur eine geringere Rolle spielt (Jer 23,5-6).
b. Das ganze Leben als Verkündigung
Auch bei Jeremia war das ganze Leben von seiner Verkündigung geprägt (Jer 15,17; 20,10). Schon seine Lebensform war durch einen göttlichen Auftrag bestimmt.
Ähnliches haben wir ja bereits bei Hosea gesehen. Er hatte einen Befehl zur Heirat verspürt und seinen Kindern darüber hinaus Namen gegeben, die seine Gerichtsbotschaft unterstreichen sollten (Hos 1; vgl. Ez 24,16ff).
Jeremia hingegen sollte zum Zeichen für das kommende Unheil ehe- und kinderlos bleiben (Jer 16,1ff).
Auch erlebte er eine Reihe von Nachstellungen, angefangen von der eigenen Familie (Jer 11,8ff) bis hin zu Verfolgungen durch den König, Misshandlung, Gefangennahme und letztlich die Verschleppung nach Ägypten.
Sein Freund, Helfer und Leidensgefährte in dieser Zeit war Baruch (Jer 32; 36; 43,3; 45.)
Das Ende des Wirkens Jeremias dürfte auf das Jahr 585 v. Chr. anzusetzen sein.
2. Zum geschichtlichen Hintergrund
Die Weltreiche zur Zeit Jeremias.
In den vier Jahrzehnten zwischen etwa 625 und 585 v. Chr. erlebte Jeremia eine ganze Reihe einschneidender Ereignisse:
- die Kultzentralisation Joschijas,
- den Niedergang der assyrischen
- und den Aufstieg der babylonischen Macht,
- den Versuch der Ägypter, diesen Prozess aufzuhalten,
- sowie die Eroberung und letztlich die Zerstörung Jerusalems im Jahre 587 v. Chr.
Dabei trat Jeremia, ähnlich wie Jesaja, während dieser 40 Jahre nicht kontinuierlich als Prophet auf. Man kann seine Wirksamkeit in drei bzw. vier Perioden einteilen:
a. Die Frühzeitverkündigung (626-622 v. Chr.)
Die erste Phase stellt die Zeit von Jeremias Berufung bis zu Joschias Reformen dar, also etwa die Jahre von 626 bis 622 v. Chr. Diese Zeit hat sich grob gesprochen in den Kapiteln 1 bis 6 niedergeschlagen.
Das Urteil, das über diese Frühzeit gesprochen wird, ist düster.
""Verworfenes Silber" soll man sie nennen. Denn Jahwe hat sie verworfen" (Jer 6,30.)
Die kultischen Missstände, die Jeremia in Jer 2 bekämpft, werden durch die Reform Joschijas dann aber beseitig.
Dies dürfte auch der Grund dafür gewesen sein, warum sich Jeremia nun zurückzieht und ähnlich wie Jesaja für mehr als ein Jahrzehnt schweigt. Möglicherweise sieht Jeremia nach den Reformen des Königs eben keinen Anlass mehr, als Prophet öffentlich aufzutreten. ⋅3⋅
Jeremia wendet sich in seiner Frühzeit ⋅4⋅ übrigens auch an die Bewohner des ehemaligen, ein Jahrhundert zuvor zerstörten Nordreiches.
Hier liegt eine Parallele zu Jesaja vor. Auch Jesaja hat in den ersten Epochen seines Auftretens an die Adresse des Nordreiches gesprochen. Während Jesaja damals aber Drohworte gegen das Nordreich sprach, verheißt Jeremia den Bewohnern des ehemaligen Nordreiches nun Umkehr bzw. Heimkehr und Wiederaufbau (Jer 3,12ff; 31,2ff. 15ff).
b. Von der Regierungszeit Jojakims bis zur ersten Eroberung Jerusalems (608-597 v. Chr.)
In die Zeit der Regierung König Jojakims bis zur ersten Eroberung Jerusalems, also in die Jahre 608 bis 597 v. Chr. fällt ein Großteil der Kapitel 7 bis 20 sowie die Kapitel 26 und 35-36.
Nach Joschijas Tod folgte die nur dreimonatige Zwischenherrschaft von Joahas / Schallum (Jer 22,10ff; 2 Kön 23,31ff), die kaum Spuren hinterlassen hat. Gleich bei Regierungsantritt des Königs Jojakim meldet sich Jeremia aber wieder zu Wort.
In diese Zeit gehört seine berühmte Tempelrede. Durch die Reformen Joschijas scheint die Jerusalemer Bevölkerung ein ganz neues Selbstbewusstsein erlangt zu haben. Der Tempel in Jerusalem ist das einzige legitime Heiligtum im Land. Dem aus dieser neuen Rolle erwachsenen Selbstbewusstsein, ja dem daraus erwachsenden Dünkel tritt Jeremia ganz energisch entgegen.
Auch sonst hat er sich mit der Priesterschaft (Jer 20; 36,5) ⋅5⋅ und dem König selbst (Jer 22,1-2. 13ff auseinanderzusetzen.
Eine von Jeremia verfasste Buchrolle, die anscheinend schwerwiegende Drohungen und Anschuldigungen enthielt, lässt der König nach ihrer Verlesung verbrennen (Jer 36). Dieses wichtige Ereignisse ist etwa auf das Jahr 604 v. Chr. zu datieren.
In die kurze Regierungszeit von Jojakims Nachfolger Jojachin, genannt Konja, (Jer 22,24ff) ⋅6⋅ fällt die erste Eroberung Jerusalems. Damit endet die zweite Phase des Auftretens Jeremias.
c. Zwischen der ersten und der zweiten Eroberung Jerusalems (597-587 v. Chr.)
In die dritte Phase, die Zeit zwischen der ersten und der zweiten Eroberung Jerusalems, also zwischen 597 und 587 v. Chr., gehören die Kapitel 21-24*, 27-29, 32, 34 und 37-39.
Diese dritte Wirkungsperiode Jeremias ist die Zeit der harten Auseinandersetzung mit "falschen" Propheten (Jer 27-29). Zunehmend gerät Jeremia unter Druck, wird verfolgt und schließlich gefangengenommen (Jer 37-39).
Das Verhältnis zum König Zidkija wird aber mit wachsender Zeit wieder freundlicher. Der König möchte Jeremias Rat. Der Prophet rät ihm daraufhin, sich den Babyloniern zu unterwerfen. Ein Ratschlag den der König allerdings nicht befolgt (Jer 21; 27; 37-38).
d. Vom Fall Jerusalems bis zum Zwangsaufenthalt in Ägypten (nach 587 v. Chr.)
Die letzte knappe Epoche ist die Zeit vom Fall Jerusalems bis zum Zwangsaufenthalt in Ägypten, also die Zeit nach 587 v. Chr.
Nachdem Jerusalem gefallen war, wurde der babylonische Statthalter Gedalja gegen die Warnung Jeremias ermordet - ich bin darauf im Zusammenhang mit dem geschichtlichen Überblick schon ausführlich zu sprechen gekommen. Aus Angst vor Sanktionen der Babylonier entschließt man sich nun nach Ägypten zu fliehen und zwingt Jeremia mitzugehen. Auf dem Hintergrund dieser Ereignisse verkündet Jeremia, dass man selbst im Land des Nils vor Nebukadnezzar nicht geschützt sein wird (Jer 43,8ff). Erneut wirft er Israel seinen Götzendienst vor (Jer 44).
Von einer eigenen Epoche kann man hier natürlich kaum sprechen. Der Gehalt der Botschaft Jeremias hat hier kein eigenes Gesicht. Nur die gänzlich veränderte politische und persönliche Situation gebieten es, diese Zeit eigens zu betrachten.
Die Kapitel 40 bis 44 sind in dieser Zeit anzusiedeln.
3. Überblick ⋅7⋅
Schauen wir daraufhin den Aufbau und Inhalt des Jeremiabuches im einzelnen an:
Aussonderung "im Mutterleib" (Jer 1,5) zum "Völkerpropheten" (Jer 1,10)
Vision vom Mandelzweig (bzw. Wacholder) (Jer 1,11-12) und siedenden Kessel (Jer 1,13-14(.15-16))
Aussendung (Jer 1,17-19; vgl. Jer 15,19ff): "Ich mache dich zur ehernen Mauer."
Ich höre Kriegslärm (Jer 4,19), sehe Chaos (Jer 4,23)
Die Völkerworte in Jer 46-51, nur z. T. "echt" (bes. Jer 46,3-12), sind in der griechischen Textüberlieferung (LXX) umgestellt und vor 25,15ff eingefügt. So ergibt es im Gesamtaufbau des Buches die klarere - darum auch ältere? - Ordnung
"Ich wende das Geschick meines Volkes" (Jer 30,4)
Der Grundstock (bes. Jer 31,2ff. Jer 31,15ff) wendet sich an die Bewohner des ehemaligen Nordreiches. Ist der Text hier und da nachträglich durch den Zusatz "und Juda" (Jer 30,3-4; 31,27. 31) projudäisch überarbeitet worden?
Freilassung und Wiedereinfangen der hebräischen Sklaven
Zitat von Mi 3,12. Tod des Propheten Urija
"Baut Häuser, betet für das Wohl der Stadt/des Landes!"
Anfragen Zidkijas, Jeremias Warnungen und Ergehen
"Dir gebe ich dein Leben zur Beute."
4. Zur Redaktionsgeschichte ⋅8⋅
Das Jeremia-Buch bietet zum ersten Mal einen Bericht darüber, dass Worte eines Propheten tatsächlich aufgeschrieben wurden. Bei Jesaja haben wir hier ja lediglich einen Hinweis gefunden, der uns so etwas bereits vermuten ließ. Im Verlauf des Jeremia-Buches wird ausführlich vom Aufschreiben der Propheten-Worte berichtet.
a. Sprüche des Propheten und Eigenberichte
(1) Niederschrift von Prophetenworten
Baruch, der Freund Jeremias, schreibt nämlich auf Jeremias Diktat hin die Worte des Propheten auf eine Rolle und trägt sie dem Volk im Tempel und später dann auch den königlichen Beamten im Palast vor.
Als die Rolle noch ein drittes Mal vor dem König verlesen wird, lässt dieser die Buchrolle zerschneiden und verbrennen.
Jeremia diktiert den Inhalt daraufhin von Neuem. Zusätzlich werden Ergänzungen angefügt.
So wird es in Jer 36 geschildert.
(2) Die Frage nach der Ur-Rolle
Ob dieser Bericht tatsächlich historisch ist, wurde in der Vergangenheit zwar oftmals angezweifelt. Trotzdem geht die Mehrheit der Exegeten wohl davon aus, dass diese Rolle den ursprünglichen Kern des Jeremia-Buches darstellt.
Von daher ist die Frage hochinteressant, was in dieser Ur-Rolle einmal gestanden haben mag. Dies ist eine der meist diskutierten Fragen der Jeremia-Forschung. ⋅9⋅ Eine abschließende Antwort ist kaum in Sicht.
(3) Auf Jeremia zurückgehende Sprüche und Berichte
Auf jeden Fall wird man festhalten können, dass sich im Jeremiabuch, wie auch in den anderen Prophetenbüchern, eine große Zahl von Prophetenworten findet, die durchaus auf Jeremia selbst zurückgehen dürften. Es wird sich dabei meist um die Vielzahl von durchweg rhythmisch gehaltenen Einzelworten handeln, die in verschiedenen Sammlungen vereinigt sind.
Darüber hinaus sind aber mehrfach Selbstberichte eingestreut, die durchaus auch auf Jeremia zurückgehen können.
(4) Die Konfessionen
Eine ganz besondere Rolle spielen hier die sogenannten "Konfessionen Jeremias". Dies sind Berichte, von denen man annimmt, dass sie durchweg vom Propheten selbst stammen.
Im Stil der Klagepsalmen verarbeitet Jeremia in diesen Konfessionen innere Krisen, die er durchgemacht hat. Wir haben es hier mit ungeheuer bewegenden Zeugnissen aus dem Leben des Propheten zu tun.
Diese berühmten Konfessionen finden sich in:
b. Die Baruchbiographie
Immer wieder liegen dann auch Berichte in der dritten Person vor, die über das Leben Jeremias und sein Schicksal Auskunft geben. Da sie Einzelheiten überliefern, die aus der näheren Umgebung Jeremias stammen müssen, führt man diese Fremdberichte gerne auf Baruch, den Vertrauten Jeremias, zurück.
Durch diese Fremdberichte, die sogenannte Baruch-Biographie, sind wir über das Schicksal Jeremias weit besser unterrichtet als über das Leben anderer Propheten. ⋅10⋅
c. Zwei Überlieferungsformen des Jeremiabuches
Ein eigenes Problem ist die Form, in der das Jeremia-Buch überliefert ist.
Die griechische Übersetzung der Septuaginta bietet nämlich eine Textfassung, die um ein Achtel kürzer ist als der masoretische, also der hebräische Text.
Interessanterweise hat man durch die Qumran-Funde belegen können, dass es sowohl für die masoretische Fassung als auch die griechische Fassung hebräische Vorlagen gab. Es kursierten also bereits in der hebräischen Überlieferung eine kürzere und einer längere Ausgabe des Jeremia-Buches.
Die Schwierigkeiten vergrößern sich noch einmal dadurch, dass die griechische Ausgabe zum Teil eine ganz andere Reihenfolge bietet, als der hebräische Text.
So bringt sie die Worte gegen die Völker zum Beispiel nach Jer 25,13 und bietet sie auch in einer anderen Reihenfolge als der hebräische Text. Er verlegt diese Worte an das Ende des Buches und führt sie als Jer 46-51. ⋅11⋅
d. Deuteronomistische Redaktion
Auch sonst wirft das heutige Jeremia-Buch schwierige redaktionsgeschichtliche Probleme auf. Es bietet sich keineswegs als Werk aus einem Guss dar.
Außer den poetischen Abschnitten und biographischen Berichten enthält es Prosareden in einem Stil, der dem Deuteronomium nahe steht.
Ein Teil der Exegeten geht hier davon aus, dass diese Prosareden schlicht und ergreifend der judäischen Prosa des 7. und beginnenden 6. Jahrhunderts v. Chr. entsprechen würden. Von diesem allgemein verbreiteten Stil sei dementsprechend sowohl das Buch Deuteronomium also auch Jeremia beeinflusst.
Auch dass die Theologie des Jeremiabuches in diesen Passagen sehr stark an das Deuteronomium erinnert, wird von diesen Exegeten dadurch erklärt. Jeremia sei eben wie auch das Deuteronomium zur gleichen religiösen Bewegung zu rechnen. ⋅12⋅
Andere meinen, hier eine spätere, umfassende deuteronomistische Bearbeitung des Jeremiabuches festmachen zu können. In deuteronomistischen Kreisen seien die einzelnen Sammlungen der Prophetenworte ergänzt, überarbeitet, neu zusammengestellt und herausgegeben worden. ⋅13⋅
Auch hier ist eine endgültige Lösung des Problems kaum in Sicht.
Das mag aber nun als Überblick über die redaktionsgeschichtlichen Probleme genügen.
5. Zur Theologie des Jeremia
Werfen wir nun einen Blick auf die theologischen Intentionen Jeremias.
Auch bei Jeremia fehlen soziale Anklagen nicht. ⋅14⋅
a. Gott und Mensch
(1) Jahwe, der einzige Gott
Zumindest in der Frühphase herrscht aber die Klage über die Übertretung des ersten und zweiten Gebotes vor. ⋅15⋅
Gerade in diesem Punkt scheint Jeremia stark von Hosea beeinflusst zu sein:
- So beschreibt auch er das Verhältnis von Gott und Volk als Ehe.
- Die Wüstenzeit erscheint bei ihm als eine Zeit der Harmonie. Nachdem man sich im Kulturland niedergelassen hatte, fiel das Volk aber von Jahwe ab.
- Und der Vorwurf der Fremdgötter- und Bilderverehrung - speziell des Baalkultes mit seinen Riten - wird mit Begriffen wie "treulos sein", "huren", Gott "verlassen" bzw. Gott "vergessen" umschrieben.
Alles Themen und Begriffe, die auch bei Hosea anzutreffen sind.
(2) Das Verhältnis zu Gott
Das Thema "Jahwe ist der einzige Gott" ist für Jeremia von einer existentiellen Wichtigkeit. Es ist ganz besonders geprägt von seinem persönlichen Verhältnis zu diesem Gott.
Jahwe, das ist der Gott, mit dem Jeremia in seinem Inneren quasi auf Du und Du verkehrt. In seinen inneren Dialogen mit Gott drückt sich diese ungeheure Nähe und Unmittelbarkeit ganz besonders aus. All seine Qual und Zerrissenheit bringt er vor ihn.
"Warum dauert mein Leiden ewig?" (Jer 15,18.)
schreit er ihm gleichsam ins Gesicht. Und das Ganze steigert sich dann bis zu jenem erschütternden Wort, das schon an Ijob denken lässt:
"Verflucht der Tag, an dem ich geboren wurde." (Jer 20,14-15.)
(3) Aspekte seines Gottesbildes
Ein so persönlich verstandenes Verhältnis zu Gott führte Jeremia dann zu einer Vertiefung des überlieferten Gottesbildes:
- Gott erforscht und prüft Herz und Nieren (Jer 11,20),
- er vergilt einem jeden nach seinem Tun (Jer 31,29-30).
Aber dieser Gott ist auch der Gott, der sein Volk unbedingt und immer noch liebt (Jer 2,2). Bei Jeremia heißt es sogar ganz ausdrücklich, dass Gott nicht nur Israel als Volk, sondern auch den einzelnen liebt.
In dieser Betonung des Menschen als Einzelperson steht Jeremia dem Deuteronomium sehr nahe, sofern man solche Stellen nicht sowieso alle einer deuteronomistischen Redaktion zurechnen möchte.
b. Der Mensch und das unausweichlich gewordene Gericht
(1) Die Schuld des Menschen
Diesem Gott gegenüber ist der Mensch schuldig geworden. Er hat ihn wider besseren Wissens verlassen.
In der radikalen Einsicht dieser menschlichen Schuld steht Jeremia nun wieder Hosea sehr nahe (vgl. Hos 5,4 u. a.):
"Denn wenn du dich auch mit Natron wäschst und viele Lauge dazu verwendest: deine Schuld bleibt als schmutziger Flecken vor meinen Augen stehen, spricht der Herr Jahwe." (Jer 2,22).
Das Böse ist dem Menschen nun gleichsam "zur zweiten Natur" (W. Rudolph) geworden, die er weder abstreifen kann (Jer 13,23; vgl. Jer 4,22 u. a.) noch will (Jer 6,16; Jer 8,5 u. a.).
Das geht sogar soweit, dass man nach Jeremia in ganz Jerusalem nach dem "einen, der Recht übt" vergeblich suchen würde (Jer 5,1).
(2) Gegen das falsche Sicherheitsgefühl Jerusalems
Daher ist es ein furchtbarer Irrtum, wenn sich das Volk in Jerusalem so in Sicherheit wiegt.
Gerade nach Joschijas Reform und der neuen Bedeutung, die der Tempel nun gewonnen hatte, sagte man sich: Jerusalem kann ja gar nichts passieren. Hier ist ja der Tempel, der Wohnsitz Gottes (Jer 7; 26). Gegen solch ein trügerisches Sicherheitsgefühl tritt Jeremia ganz energisch auf.
(3) Die Auseinandersetzung mit den falschen Propheten
Auch die Auseinandersetzung mit den falschen Propheten, oder besser den "Heilspropheten", wie sie ursprünglich heißen, ⋅16⋅ liegt auf dieser Ebene.
Diese Heilspropheten wiegen das Volk in falscher Sicherheit. Aber die Zeit
- des Heiles und des Friedens (Jer 8,11ff),
- der Gnade und des Erbarmens (Jer 16,5),
- ja selbst der Fürbitte (Jer 14,11ff; 15,1ff)
ist vorbei. Die Botschaft der Heilspropheten entspringt einem Wunschdenken bzw. einer Lüge, ⋅17⋅ eigenen Träumen, aber nicht dem Wort Gottes (Jer 23,25ff).
Das Gericht ist unausweichlich geworden.
Die Kritik, die Jeremia dabei an die letzten judäischen Könige (Jer 21,11ff; 36,30-31) bis zu Zidkija (Jer 34; 37-38) übt, ist im Grunde nur ein Aspekt seiner Gerichtsbotschaft für das Gesamtvolk. ⋅18⋅
(4) Aufbäumen gegen das Schicksal macht es nur noch schlimmer
Gerade in den letzten beiden Jahrzehnten vor dem Untergang ruft Jeremia mit Worten, aber auch mit symbolischen Handlungen, wie etwa der des Jochtragens (Jer 27-28), zur Unterwerfung unter die babylonische Macht auf.
Jahwe selbst hat ihr die Weltherrschaft anvertraut; und das selbst über Ägypten (Jer 43,8ff). Es wäre sinnlos, sich dagegen aufzulehnen.
c. Heilsweissagungen ⋅19⋅
Heil gibt es nach Jeremia nämlich nur in und nach dem Durchgang durch das Gericht.
(1) Die Heilszusage für das Nordreich
Dies wird im Blick auf das Nordreich deutlich. In seiner Frühzeit wendet sich Jeremia - wie bereits erwähnt - an die Bewohner des rund ein Jahrhundert zuvor zerstörten Nordreiches. Zu ihnen sagt er:
"Kehre zurück, Abtrünnige, Israel, spricht Jahwe, ich will dir nicht mehr böse sein, denn ich bin gnädig, spricht Jahwe, ich zürne nicht auf ewig." (Jer 3,12b) ⋅20⋅
Jetzt, nachdem das Gericht am Nordreich vollzogen ist, besteht von neuem die Hoffnung auf Jahwes Erbarmen. Dabei ergeht das neue Heil ohne Bedingung. Es ist im Wesen Gottes selbst, ja sogar in einer Wandlung Gottes, begründet (vgl. Hos 11,8-9; Jer 3,22; 31,3. 18-20).
Im Rahmen dieser Verheißung bekommt der Bußruf einen ganz neuen Sinn: Er stellt den Menschen nicht vor die Alternative, zwischen Gut und Böse zu wählen, sondern fordert ihn auf, sich auf Gottes Gnade und Liebe einzulassen.
(2) Die Heilshoffnung für die Exilierten
Für das Südreich gilt das ähnlich, aber noch steht das Gericht bevor. Jeremia kündet Juda und Jerusalem das Heil nur in und nach dem Durchgang durch das Gericht an.
Dabei ruht die Verheißung nicht auf den im Jahre 597 v. Chr. in Jerusalem Verbliebenen. Diese Vorstellung, die in der Umgebung Jeremias vorherrschte, wird sich als Trugschluss erweisen. Jahwe sieht nämlich nicht die im Land Verbliebenen, sondern die nach Babel Verschleppten freundlich an (Jer 24).
Sie werden allerdings zwei oder drei Generationen, rund siebzig Jahre, in der Ferne bleiben müssen.
Jeremia fordert sie auf, sich darauf einzurichten und für das Wohl der fremden Großmacht zu beten. Diese Aufforderung, nämlich für die fremden Herren zu beten, mag auf den ersten Blick paradox erscheinen, aber sie ist auf dem Hintergrund zu sehen, dass das Wohl der Exilierten eben auch vom Wohl Babylons abhängt. Die jetzt in Babylon lebenden Israeliten werden dort nämlich für lange Zeit bleiben müssen. Die jetzige Generation wird ihre Heimat nicht mehr wiedersehen. ⋅21⋅
(3) Der Ackerkauf in Anatot
Ganz im Rahmen der verhaltenen Heilsbotschaft des Jeremia liegt eine weitere Zeichenhandlung. Während der Belagerung Jerusalems durch die Babylonier kauft er einen Acker in Anatot.
"Denn so spricht Jahwe Zebaot, der Gott Israels: Man wird noch einmal Häuser und Äcker kaufen in diesem Lande." (Jer 32,15.)
Nach der Zerstörung wird es also neues Leben geben. ⋅22⋅ So lässt sich seine Botschaft auch kurz auf einen Nenner bringen.
6. Zur Wirkungsgeschichte des Jeremiabuches
Jeremia ist eine tragische Persönlichkeit. Eigentlich von seinem Wesen her für ein Leben in Stille und wohl auch eher Zurückgezogenheit bestimmt, wurde er dazu berufen "auszureißen und niederzureißen, zu vernichten und einzureißen". Er sehnte sich nach Frieden und musste immer wieder kämpfen. Er wurde von seiner Sendung zerrissen und konnte sich ihr doch nicht entziehen (Jer 20,9).
Zeit seines Lebens ist Jeremia in seiner Sendung gescheitert.
Nach seinem Tod entfaltete seine Botschaft aber eine ungeheure Wirkung. Auch wenn es umstritten ist, ob das Wort vom "Neuen Bund" (Jer 31,31ff) ursprünglich auf ihn selbst zurückgeht, so hat gerade diese Stelle eine ungeheure Wirkungsgeschichte entfaltet.
Durch die Lehre von einem neuen Bund, der auf die Religion des Herzens gegründet ist, wurde Jeremia zum Vater des Judentums in seiner reinsten Ausprägung.
Hervorzuheben ist sein Einfluss auf Ezechiel, Deuterojesaja und mehrere Psalmen.
Die Makkabäer-Zeit zählte ihn zu den Beschützern des Volkes (2 Makk 2,1-8; 15,12-16).
Besonders das Wort vom neuen Bund wurde im Christentum dann aufgenommen. Dadurch, dass Jeremia den Vorrang der geistigen Werte betonte und aufzeigte, wie innig die Verbindung des Menschen zu Gott sein soll, wird er hier geradezu zu einem Wegbereiter des neuen, in Jesus Christus gründenden Bundes.
Anmerkungen
(Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 241.)
(Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 241.)
A) Sprüche des Propheten und Eigenberichte: Wie in anderen Prophetenbüchern findet sich auch im Jeremiabuch eine Vielzahl von durchweg rhythmisch gehaltenen Einzelworten; sie sind in verschiedenen Sammlungen vereinigt, die durch ein gemeinsames Thema bestimmt sein können (z. B. Jer 2; Jer 4-6 oder die Worte über Könige und Propheten Jer 21-23; vgl. Dtn 17-18). Mehrfach sind (wie etwa schon Hos 3 oder Jes 6 (Selbstberichte eingestreut (Jer 1; 13; 18; 24; 25,15ff; vgl. Jer 3,6. 11; 14,11. 14 u. a.)
B) Berichte über Jeremia in 3. Person, sogenannte Baruchbiographie: Die Kapitel 19-20,6; 36-44; 45 (51,59-64) werden durch Fremdberichte beherrscht, die durchweg von Jeremias Leiden erzählen. Sie setzen in der Zeit Jojakims ein und führen bis zur Flucht nach Ägypten. Da sie Einzelheiten überliefern, die aus der näheren Umgebung Jeremias stammen müssen, führt man diese Fremdberichte gerne auf Baruch, Jeremias Vertrauten, zurück (vgl. Jer 36; 43; besonders Jer 45 mit einer an ihn gerichteten Weissagung). Jedenfalls sind wir durch sie über das Schicksal Jeremias besser also über das Leben anderer Propheten unterrichtet.
C) Prosareden in deuteronomistischer Bearbeitung: Sie zeichnen sich durch Gemeinsamkeiten in Stil, Ausdrucksweise und Thema (etwa: Schuld des Volkes durch Ungehorsam gegenüber prophetischen Warnungen, Strafansage) aus und deuten damit die Exilssituation vom Jahwe- bzw. Prophetenwort her. Geht der schematische Aufbau auf den Predigtstil der exilisch-nachexilischen Zeit zurück? Eine eindeutige Abgrenzung ist bisher nicht gelungen; doch weist man C zumindest Jer 7-8,3; 11,1-14; 18,1-12; 21,1-10; 22,1-5; 25,1-11(. 14); 34,8-22; 35 zu.
D) Heilsweissagungen in Kap 30-31: Gewiss bilden beide Kapitel eine eigene Sammlung. Da ihr Grundbestand jeremianisch ist, kann man sie auch Gruppe A zuordnen (so W. Rudolph) und speziell mit Jer 3 verbinden.
(Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 235.)
(Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 234.)
Jer 19,1-20,6,
Jer 26; 36,
Jer 45; 28-29,
Jer 51,59-64,
Jer 34,8-22,
Jer 37-44.
(Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 244.)
(Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 41989) 245.)