Die Bibel
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Die Gattungen der Weisheitsliteratur
Die älteste und einfachste Form der Weisheitsliteratur ist der Weisheitsspruch, der מָשָׁל ["maschal"]. ⋅1⋅ Aus ihm haben sich fast alle anderen Gattungen der Weisheitsliteratur entwickelt.
1. Redeformen der Spruchweisheit
Der Weisheitsspruch begegnet in unterschiedlichen Formen.
a. Das Aussagewort
Zuallererst ist hier das einfache Aussagewort zu nennen, auch Sentenz oder "Wahrspruch" genannt.
In solchen Aussageworten wird ganz einfach das Leben festgehalten, wie es ist. Das Buch der Sprüche bietet zahlreiche Beispiele für solche Aussageworte. Das Folgende bezieht sich etwa auf das Handeln:
""Wie schlecht! Wie schlecht!" sagt der Käufer; doch ist er seines Weges gegangen, dann prahlt er." (Spr 20,14.)
... nämlich darüber, dass er ein gutes Geschäft gemacht habe.
Gerne wird in diesen Worten ein Tun-Ergehen-Zusammenhang formuliert, der typisch für die Weisheit ist. Das Schicksal wird dabei als Folge des eigenen Verhaltens geschildert. Hierher gehört der berühmte Spruch:
"Wer eine Grube gräbt, fällt in sie hinein;
und wer einen Stein hochwälzt, auf den rollt er zurück." (Spr 26,27) ⋅2⋅
In der Regel wird mit solchen Sprüchen auch eine Wertung verbunden. Dabei wird das Urteil oft ganz einfach durch Kontrastbegriffe ausgedrückt.
- Der Weise und der Tor,
- der Gerechte und der Frevler,
- arm und reich,
- fleißig und faul
werden einander gegenübergestellt.
Dahinter steht die Vorstellung, dass das Verhalten eines Menschen aus einer Grundhaltung bzw. Einstellung hervorgeht. Diese Haltung oder Einstellung ist es aber letztendlich, die über die Zukunft des Menschen entscheidet.
"Der Gerechten Hoffnung mündet in der Freude;
doch zunichte wird die Erwartung der Frevler." (Spr 10,28) ⋅3⋅
Hier wird schon deutlich, dass die Weisheit eine gewisse "Schwarz-Weiß-Malerei" liebt. Dies hängt mit ihrer pädagogischen Ausrichtung zusammen. Solch ein Spruch soll natürlich immer zur rechten Lebensführung ermahnen bzw. vor der unklugen Lebensführung warnen.
b. Das Bildwort
Andere Sprüche liegen beispielsweise als Bildwort oder Vergleichswort vor. Solche Sprüche werden durch das Wort "wie" gekennzeichnet.
Vorgänge aus verschiedenen Bereichen, oft aus der Welt der Natur und der Welt des Menschen, werden hier einander zugeordnet.
Dabei ruht der Ton des Vergleiches gerne auf dem Schluss, was eine gewisse Spannung in den Spruch hineinträgt. Beispiele finden sich im Buch der Sprüche zu Hauf, etwa:
"Die Tür dreht sich in ihrem Zapfenloch,
und so der Faule auf seinem Lager." (Spr 26,14.)
oder:
"Wie ein Hund, der zurückkehrt zu seinem Erbrochenen,
ist der Tor, der (nur) wiederholt seine Narrheit." (Spr 26,11) ⋅4⋅
Viele solcher Bildworte sind nicht eindeutig bestimmbar. Ihr Inhalt bleibt oft mehrdeutig, ja "rätselhaft". Dies ist sicherlich kaum zufällig so, sondern ein bewusstes Ausdrucksmittel der Weisheit, die sich dem Menschen nie in allen Einzelheiten erschließt. ⋅5⋅
c. Der Zahlenspruch
Das gleiche gilt auch für den Zahlenspruch, die nächste Redeform der Spruchweisheit, die es hier zu betrachten gilt.
Er lässt sich im Grunde als spezielle Form des Bild- oder Vergleichswortes verstehen. Auch er ordnet schließlich verschiedenartige Phänomene einander zu.
Ein Beispiel hierfür findet sich in Spr 30,18-19:
"Drei gibt es, die für mich zu wunderbar sind,
und vier, die ich nicht begreife:
Der Weg des Adlers am Himmel,
der Weg der Schlange auf Felsgestein,
der Weg des Schiffes auf hoher See
und der Weg des Mannes bei der Frau." (Spr 30,18-19) ⋅6⋅
Bei solchen Zahlensprüchen muss man den Eindruck gewinnen, dass die drei ersten Phänomene nur dazu angeführt werden, um das vierte, das menschliche Geschehen ins Licht zu rücken. ⋅7⋅ Dieses Phänomen begegnet häufig.
Es lässt sich daraus folgern, dass es eine reine "Naturweisheit" (vgl. 1 Kön 5,13) in der Vorstellung der Spruchweisheit nicht gibt. Naturweisheit existiert nur bedingt. Es bleibt immer die Blickrichtung auf den Menschen (vgl. auch Ps 104; Ijob 38ff).
Neben "drei-vier" gestaffelten Zahlenfolgen finden sich natürlich auch andere. Es gibt "eins-zwei" Folgen bis zu "neun-zehn" Folgen (Spr 30,15ff; 6,16ff).
Auch die Propheten greifen solche Zahlensprüche übrigens auf. Ein berühmtes Beispiel dafür ist Am 1,3ff.
d. Der Vergleich
Neben den bisher genannten Redeformen ist der Vergleich wichtig.
Eine spezifische Form des Vergleichs enthalten jene Sprüche, die zwei Sachverhalte gegenüberstellen. Der erste wird dabei meist positiv, der zweite negativ bewertet. Ein Beispiel dafür bietet Spr 15,16-17:
"Besser weniges in der Furcht Jahwes,
als reiche Schätze, doch mit Beunruhigung.
Besser ein Gericht Gemüse, und Liebe dabei,
als ein gemästeter Ochse, doch Hass dabei." (Spr 15,16-17) ⋅8⋅
Interessant ist in diesem Zusammenhang der Hinweis von Werner H. Schmidt, dass die hebräische Wendung טוֺב...מִן ["tob ... min"], die üblicherweise mit "besser ... als" übersetzt wird, hier vermutlich gar nicht abwägend zu verstehen sei. Es geht also nicht darum zwischen einem guten und einem besseren abzuwägen.
Die Wendung ist vermutlich ausschließlich kontrastierend zu verstehen, also im Sinne des "gut ist im Unterschied bzw. Gegensatz zu". ⋅9⋅
e. Das Mahnwort
All die Redeformen bisher wollen nichts anderes als helfen, sich im Leben zurechtzufinden. Dabei zielen sie nicht nur auf den Bereich des Alltäglichen. Es geht auch um den ethischen (Spr 19,1. 22) und sogar den theologischen Bereich (Ps 118,8-9).
Erst die Gattung des Mahnwortes ruft nun ausdrücklich zu einem bestimmten Verhalten auf. Hier wird nun auch gerne eine Begründung mit "denn" angefügt, oder vor Konsequenzen gewarnt, etwa mit der Wendung "damit nicht".
Ein Beispiel hierfür ist Spr 24,19-20. Hier wird mit Blick auf den Tun-Ergehen-Zusammenhang zur Besonnenheit gegenüber dem Frevler gemahnt:
"Über die Bösewichte erhitze dich nicht
und über die Frevler ereifre dich nicht;
Denn der Böse hat keine Zukunft,
die Lampe der Frevler verlischt!" (Spr 24,19-20) ⋅10⋅
Diese Redeform des Mahnwortes findet sich gehäuft in dem Teil des Buches der Sprüche, der von ägyptischen Sammlungen beeinflusst ist (Spr 22,17ff; auch Spr 1,8ff).
Von dort her ist er vermutlich in viele Literaturbereiche Israels vorgedrungen. Zuletzt auch in die Botschaft der Propheten.
2. Weitere Gattungen der Weisheitsliteratur
Aus den Redeformen der Spruchweisheit entwickelten sich dann fast alle weiteren Gattungen der Weisheitsliteratur.
a. Die weisheitliche Rede bzw. das Weisheits-Gedicht ⋅11⋅
Eine direkte Weiterentwicklung des Maschal ist die weisheitliche Rede. Sie ist eigentlich nichts anderes als ein umfangreicher Spruch. Im Laufe der Zeit wurden die Sprüche immer ausgefeilter und immer komplexer. Sie entwickelten sich so zu regelrechten Reden.
Solche weisheitlichen Reden sind oftmals metrisch verfasst. Dann handelt es sich um Weisheits- bzw. Lehrgedichte.
Beispiele für Weisheits- oder Lehrgedichte haben sich im Buch Ijob niedergeschlagen. Sie sind direkte Weiterentwicklungen aus dem "Maschal".
Diese Entwicklung ist noch sehr deutlich festzustellen, wenn man Ijob 20,4-29 betrachtet. Dieses Gedicht über das Schicksal des Frevlers zeigt noch recht klar die Entstehung des Gedichtes durch das Aneinanderreihen von einzelnen Sprüchen oder Spruchgruppen. So entsteht ein noch uneinheitlicher Gesamteindruck.
Ijob 18,5-21 bietet ein Gedicht, das das gleiche Thema behandelt. Hier liegt aber bereits eine geschlossene Komposition vor. Ein Beispiel für ein voll entwickeltes Weisheits- bzw. Lehrgedicht.
Ähnlich wie bei den Sprüchen hat der Weisheitslehrer in dieser Gedichtform seine Überlegungen und Ermahnungen ausgesprochen.
Viele von diesen Gedichten sind dabei vom Tun-Ergehen-Zusammenhang geprägt. Das Unglück des Frommen vergeht und das Glück des Gottlosen ist trügerisch. Der Frevler wird untergehen und der Fromme gerettet werden.
b. Die Prosagattungen ⋅12⋅
(1) Die Parabel
Aus dem Vergleich, der in den Sentenzen häufig vorkommt, hat sich die Prosagattung der Parabel entwickelt. Ihre Eigenart illustriert am besten die Prabel vom Lamm des Armen, die Natan dem David nach seiner Verfehlung mit der Batscheba erzählt (2 Sam 12).
Besonders in Prophetenworten findet sich die Parabel häufig (z. B. Jes 28,4b).
(2) Die Fabel
In diesem Zusammenhang ist auch die Fabel zu nennen. Sie hat sich zwar nicht aus dem Maschal entwickelt, sondern wurde vermutlich von den Sumerern, den Assyrern bzw. Babyloniern sowie den Ägyptern übernommen.
In Ägypten und dem nördlichen Mesopotamien gibt es bildliche Tierdarstellung aus dem 2. Jahrtausend v. Chr., die die Existenz der Tierfabel bereits voraussetzen.
Das AT überliefert etwa die Jotamsfabel (Ri 9,8-15), die das unnütze, ja schädliche Königtum verspottet.
Für die Beliebtheit, die die Fabel genossen hat, spricht die Tatsache, dass sie auf eine Reihe anderer Gattungen eingewirkt hat.
Von der Fabel beeinflusst wurden
- die Parabel und zwar dann, wenn sie Mensch und Naturwesen gemeinsam auftreten lässt, ⋅13⋅
- die Legende ⋅14⋅
- und die Allegorie ⋅15⋅.
(3) Die Allegorie
Die Allegorie besteht aus einer Reihe von Metaphern. Jede von diesen Metaphern ist dabei wichtig und muss gedeutet werden. Dabei werden oft unbelebte Dinge oder abstrakte Ideen personifiziert.
Ein wichtiges Beispiel dafür ist die Personifikation der Weisheit (vgl. Spr 8) oder der Torheit.
Eine längere Allegorie, die das Alter beschreibt, findet sich in Koh 11,9-12,8.
Vor allem Ezechiel hat sich dieser Redeform - wenn auch in sehr konstruierter Art - bedient. In diesem Punkt steht Ezechiel ganz deutlich unter dem Einfluss der Weisheitslehre. ⋅16⋅
c. Die Listenwissenschaft ⋅17⋅
Abschließend ist an dieser Stelle die Listenwissenschaft der Bildungsweisheit zu nennen, die Israel natürlich auch kannte.
Zur Weisheit gehörte nämlich die Bestandsaufnahme beobachteter Tatsachen in Natur und Geschichte. Aus Ägypten sind uns in diesem Zusammenhang lange Listen erhalten, die sorgfältig geordnet vom Größten bis zum Kleinsten aufzählen, was es in der Welt gibt.
Aus Israel sind uns solche Listen nicht erhalten, aber ein Echo der Listenwissenschaft begegnet uns in der Bibel immer wieder. ⋅18⋅
Ein Nachhall hat sich etwa in 1 Kön 5,12-13 erhalten:
"[Salomo] redete dreitausend Sprüche, und die Zahl seiner Lieder betrug tausendundfünf. Er wusste zu reden über die Bäume, von der Zeder auf dem Libanon bis zum Ysop, der an der Mauer heranwächst; er wusste zu reden über die Vierfüßler und die Vögel, über das Gewürm und die Fische." (1 Kön 5,12-13.)
Auch bei der Schilderung der Schöpfungswerke in Gen 1 greift der Autor auf Listen zurück.
Wichtig ist hier auch Ps 104 und Ps 148. Hier werden Psalmen im Anschluss an solche alten Listen gedichtet. Psalm 148 schildert beispielsweise den Lobpreis des Weltalls. Ihm lag vermutlich eine Liste über "alle Dinge der Welt" vor. Diese Dinge lässt er nun Jahwe loben:
"Lobet Jahwe vom Himmel her, lobet Jahwe in der Höhe!
Lobet ihn, all seine Engel,
lobet ihn, all seine himmlischen Heere!
Lobet ihn, Sonne und Mond,
lobet ihn, ihr leuchtenden Sterne!
Lobet ihn, ihr obersten Himmel,
all ihr Wasser in den Höhen der Himmel!..." (Ps 148,1-4.)
Und das geht nun so weiter bis zu den Jünglingen und den Jungfrauen, den Kindern und Greisen (Ps 148,12).
Hier wird einmal mehr deutlich, dass die Gattungen der Weisheitsliteratur keineswegs auf die Weisheitsbücher im strengen Sinne beschränkt sind. Sie haben zahlreiche andere Bücher des AT befruchtet und beeinflusst.
Anmerkungen
(Vgl. Georg Fohrer, Einleitung in das Alte Testament (Heidelberg 12. Auflage 1979) 339.)
Dabei bleibt offen, ob die so festgestellte Beziehung nur zur Veranschaulichung dient oder ob sie letztlich eine Analogie zwischen Natur und Menschenleben, d. h. eine weltumspannende Ordnung, voraussetzt. Vermutlich geht es "jedenfalls in Israel nicht um eine Weltordnung insgesamt, sondern um Einzelordnungen" (Hermission, 191) hier und da entdeckter Analogien.
(Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 322-323.)
(Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 323.)
(Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 323.)
(Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 323.)
(Vgl.: Georg Fohrer, Einleitung in das Alte Testament (Heidelberg 12. Auflage 1979) 343.)