Die Bibel
Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...
Die Botschaft des Elohisten - Sprecher für Gottes Volk
- 1. Das erwählte Volk Jahwes
- a. Das Fehlen der Urgeschichte
- b. Eine Beschränkung auf die Themen von Dtn 26,5-9
- c. Der Beginn des elohistischen Werkes in Gen 15 - Das Thema der Nachkommenschaft
- d. Der Bileamspruch in Num 23 - das auserwählte Volk
- 2. Der erwählende Gott ist der transzendente, heilige und nur durch Mittler seinem Volk nahe Gott
- a. Die räumliche Distanz Gottes zu seinem Volk
- b. Das sündige Volk kann Gott nicht nahen
- c. Gott begegnet dem Menschen mittelbar
- d. Der prophetische Mittler
- e. Die Vermeidung des Gottesnamens
- f. Die Geschichtslenkung Jahwes
- 3. Die allein angemessene Haltung des Menschen vor Gott ist die Gottesfurcht יִרְאַת אֱלֺהִים["jir>at >ælohim"] bzw. יִרְאַת יְהוָה ["jir>at jahwe"])
- a. Das Problem von Gen 15,6 - Das Thema des Glaubens
- b. Das Thema "Gottesfurcht"
- (1) Die Gottesfurcht bewahrt vor Verfehlung
- (2) Das Thema Gottesfurcht und die elohistische Sinaierzählung
- c. Gott erprobt sein Volk
- (1) Parallele Ex 20 und Gen 22
- (2) Abrahams Erprobung stellt die Gottesfurcht unter Beweis
- (3) Die Uminterpretation des ursprünglichen Gehaltes der Erzähleinheit durch den Elohisten
- d. Fazit
- 4. Die Theophanie am Gottesberg und die Gottes-berit als Ziel der göttlichen Führung
- a. Die verworrene Textlage des elohistischen Werkes
- b. Theophanie in Form eines Gewitters
- c. Bundesschluss als Mahl
- d. Der Inhalt des Gottesbundes
- 5. Der Bruch der Gottes-berit durch Israel
- a. Jahweverehrung im Bild eines Jungstieres
- b. Jahwes Urteilsspruch
- c. Parallele zum Jahwe-Kult von Bet-El
- d. Folgen für die Datierung
- 6. Hoffnung auf Rettung eines Restes Israels?
1. Das erwählte Volk Jahwes
Schon der Blick auf den vermutlichen Inhalt des elohistischen Werkes lässt theologische Intentionen des Elohisten deutlich werden.
a. Das Fehlen der Urgeschichte
Es zeigt sich beispielsweise, dass der Elohist offensichtlich keine eigene Version der Urgeschichte überliefert hat.
Er lässt sein Werk mit der Berufung des Abraham als des Urvaters des auserwählten Volkes beginnen.
Schon dieser Einstiegspunkt seines Werkes lässt darauf schließen, dass sich der Elohist voll auf Israel konzentriert. Er ist dementsprechend weniger an der Frage nach der übrigen Menschheit und ihrer Bestimmung im göttlichen Heilsplan interessiert, als dies beim Jahwisten der Fall gewesen ist.
b. Eine Beschränkung auf die Themen von Dtn 26,5-9
Diese Vermutung bestätigt sich weiter, wenn wir auf die übrigen vom Elohisten behandelten Themen blicken.
Der Elohist bschränkt sich im Grunde auf die im "kleinen geschichtlichen Credo" (Dtn 26,5-9) artikulierten Glaubenstraditionen seines Volkes. Er handelt von:
- den Erzvätern
- der Herausführung aus Ägypten
- der Führung in der Wüste
- vermutlich - auch wenn einige Exegeten das bestreiten - vom Gottesbund und der Jahwe-Theophanie
- und von der Hineinführung in das Kulturland
c. Der Beginn des elohistischen Werkes in Gen 15 - Das Thema der Nachkommenschaft
Der erste Mensch, von dem der Elohist spricht, ist auch nicht הָאָדָם ["ha>adam"], also der Mensch im allgemeinen, sondern Abraham, der Stammvater Israels (Gen 15,1-6. 13-16 E). ⋅1⋅
Bei der Abraham-Perikope des Elohisten fällt auch ein weiterer Unterschied zum Jahwisten auf. Im Gegensatz zu diesem, legt der Elohist bei der ersten Begegnung Gottes mit Abraham beinahe ausschließlich auf Gottes Nachkommenschaftsverheißung wert. Gleich zu Anfang schildert er diese Nachkommenschaftsverheißung an Abraham in einer eindrucksvollen Szene:
"Er führte ihn hinaus und sprach: Sieh doch zum Himmel hinauf und zähl die Sterne, wenn du sie zählen kannst. Und er sprach zu ihm: So zahlreich werden deine Nachkommen sein.'" (Gen 15,5.)
Wir haben beim Jahwisten ja gesehen, dass das absolute Schwergewicht der Gottesverheißung auf der Zusage des Landes lag. Beim Elohisten spielt das Land anscheinend keine so große Rolle. Ihm geht es offensichtlich weit mehr um die Nachkommenschaft, und damit implizit natürlich um das spätere Israel.
d. Der Bileamspruch in Num 23 - das auserwählte Volk
Zu dieser Beobachtung passt, dass gerade der Elohist den eigentümlichen Bileamspruch bietet, der sich in Num 23,9b. 10 findet:
"Sieh, ein Volk ist es, das abgesondert siedelt, das nicht zu den anderen Völkern zählt. Wer zählte je Jakobs Staub? Zeichnete auf auch nur ein Viertel Israels? Stürbe ich doch den Tod der Gerechten, und wäre doch mein Ende dem ihrigen gleich." (Num 23,9b. 10; elohistischer Kontext.)
Hier schaut der heidnische Seher Bileam also die Erfüllung der Verheißung, die Gott dem Abraham in Gen 15 gegeben hat. Bileam sieht das Volk, das so zahlreich wie der Staub ist.
Dieses Volk Israel ist abgesondert von allen anderen Völkern, es zählt nicht zu diesen Völkern. Es ist nämlich das Volk, das Gott sich auserwählt hat. Der Seher Bileam erfasst somit etwas von der auf Israel liegenden Erwählung Gottes und sehnt sich danach, daran teilzuhaben.
In diesem Spruch kommt so etwas wie die Sinnspitze des elohistischen Zeugnisses zum Ausdruck. Wenn wir nämlich die Aussagen von Gen 15 und Num 23 zusammennehmen, dann ergibt sich, dass der Elohist in seiner Darstellung ganz stark auf Israel abzielt, und zwar auf Israel als das erwählte Volk, das Volk Jahwes.
2. Der erwählende Gott ist der transzendente, heilige und nur durch Mittler seinem Volk nahe Gott
In diesem Thema "Volk Jahwes" schwingt bereits die Frage nach dem Verhältnis Gottes zu diesem Volkes mit. Diese Frage thematisiert der Elohist eingehend.
a. Die räumliche Distanz Gottes zu seinem Volk
Und dabei ist auffallend, dass dieses Verhältnis zunächst von einer deutlichen Distanz geprägt ist. Obwohl E immer wieder betont, dass das Volk das von Gott erwählte Volk ist, muss auch Israel von seinem Gott Distanz halten.
Gott erscheint seinem Volk lediglich in der Wolkensäule verhüllt und auch nur außerhalb des Lagers am Eingang des Zeltes der Begegnung. Die unmittelbare Nähe Gottes dürfen anscheinend nur prophetisch begabte Männer wie Mose und Josua erleben. ⋅2⋅
Schon dadurch, dass der Elohist das Zelt der Begegnung außerhalb des Lagers stehen lässt, schon durch diese räumliche Distanz zum Volk Israel, wird in diesen Texten natürlich die Transzendenz Gottes ausgedrückt.
Dieser Gedanke findet sich auch in den Stellen, in denen der Elohist betont, dass Gott im Himmel wohnt (Gen 28,12) oder auf der Spitze des Gottesberges (Ex 19 E). Er bleibt in der Ferne und auch sein Volk kann dementsprechend nicht über ihn verfügen.
Die Vorstellung, dass Jahwe sich gegen die Abendkühle im Garten Eden ergeht und dort dem Menschen begegnet, wie sie die jahwistische Urgeschichte zum Ausdruck bringt, ist ein für den Elohisten beinahe undenkbarer Gedanke.
b. Das sündige Volk kann Gott nicht nahen
Das Volk besteht in der Sicht des Elohisten nämlich aus schwachen Menschen, ja aus Sündern. Es könnte daher in Jahwes Nähe den Tod finden. Der Sünder kann schließlich vor dem Angesicht Gottes nicht bestehen.
Ganz anders, als der Jahwist das schildert, weiß das Volk auch um diesen Umstand. Schon am Fuße des Gottesberges fürchtet es sich. Es fürchtet sich, sterben zu müssen, wenn Gott zu ihm redet.
"Als das ganze Volk den Donner und die Blitze, den Posaunenschall und den rauchenden Berg sah, fürchtete sich das Volk und zitterte und blieb in der Ferne stehen. Sie sprachen zu Mose: "Rede du mit uns, so wollen wir hören! Gott aber möge nicht mit uns reden, sonst müssen wir sterben." Mose antwortete dem Volk: "Fürchtet euch nicht! Denn Gott ist gekommen, um euch auf die Probe zu stellen und die Furcht vor ihm in euch wachzurufen, damit ihr nicht sündigt." So blieb das Volk in der Ferne stehen; Mose aber trat an das dunkle Gewölk heran, in dem Gott war." (Ex 20,18-21.)
Mose wird also als Mittler auf den Gottesberg geschickt, offenbar damit sich allein dieser Gott nahen und dessen Wort vernehmen solle.
c. Gott begegnet dem Menschen mittelbar
Die Transzendenz und Heiligkeit Gottes erlauben es dem Elohisten auch nicht, zu schildern, Gott sei in Menschengestalt bei Abraham (Gen 18) eingekehrt.
Der Jahwist tut dies aufgrund seiner älteren Tradition ungeniert.
Bei E hingegen erscheint Gott dem Abraham nur indirekt, etwa in Gestalt des מַלְאַך אֱלֺהִים ["male>ak >ælohim"], des Boten Gottes. Dieser erscheint ihm beispielsweise, als er im Begriff ist, den Isaak zu opfern (Gen 22,11).
In diese Vorstellung passt es auch, dass sich Gott dem Menschen, wie z. B. dem König Abimelech vor Gerar (Gen 20,3) im Traum zeigt. Ganz besonders ausgeprägt ist dieses Motiv beim Traum Jakobs, des Erwählten Gottes. ⋅3⋅
d. Der prophetische Mittler
Da Gott dem Menschen in der Regel kaum unmittelbar begegnet, ist es nicht verwunderlich, dass das Volk ebenfalls des Mittlers bedarf, um mit Jahwe in Kontakt zu treten. Es benötigt dazu also den prophetischen und von Gott erwählten Mittler.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass Mose, Abraham oder auch Josua als Gesandte Gottes und Interpreten geschichtlicher Vorgänge prophetische Züge tragen. Mose wie Josua sollen dem erwählten Volk die Gegenwart deuten und die Zukunft künden. ⋅4⋅
Schon Abraham war - nach Gen 20,7 - ein prophetischer Mann. In der elohistischen Szene von der Gefährdung der Ahnfrau heißt es:
"Jetzt aber gib die Frau dem Mann zurück; denn er ist ein Prophet. Er wird für dich eintreten, dass du am Leben bleibst...". (Gen 20,7)
Zu diesem Prophetentum Abrahams gehört schließlich auch, dass bereits ihm die Zukunft seiner Nachkommenschaft, also des erwählten Volkes Israel, offenbart worden ist (Gen 15,13-16).
"Gott sprach zu Abram: Du sollst wissen: Deine Nachkommen werden als Fremde in einem Land wohnen, das ihnen nicht gehört. Sie werden dort als Sklaven dienen und man wird sie vierhundert Jahre lang hart behandeln. Aber auch über das Volk, dem sie als Sklaven dienen, werde ich Gericht halten und nachher werden sie mit reicher Habe ausziehen. Du aber wirst in Frieden zu deinen Vätern heimgehen; in hohem Alter wirst du begraben werden. Erst die vierte Generation wird hierher zurückkehren; denn noch hat die Schuld der Amoriter nicht ihr volles Maß erreicht." (Gen 15,13-16.)
Dahinter steht anscheinend die gleiche Überzeugung, die Amos bzw. die deuteronomistische Bearbeitung des Amos-Buches so formuliert:
"Nein, Jahwe, der Herr, tut nichts, ohne seinen Plan seinen Knechten, den Propheten, zu offenbaren." (Am 3,7.)
Hier wird die Nähe des elohistischen Kerygmas zur schriftprophetischen Verkündigung bzw. zu deren späteren Interpretation deutlich.
e. Die Vermeidung des Gottesnamens
Die räumliche Distanz und die Mittelbarkeit der Gotteserfahrung ist letztlich wohl auch der Grund für den Elohisten, den vor der Sinai-Theophanie peinlich genau zu vermeiden.
Das liegt nicht etwa daran, dass der Elohist eben logischer vorgehen wollte als etwa der Jahwist, dass er sich also gesagt hätte, vor der Namensoffenbarung kann der Gottesname ja gar nicht verwendet worden sein. Der eigentliche Grund für die Vermeidung des Gottesnamens in der Genesis ist ein theologischer.
Der Name drückt im AT schließlich immer das Wesen des Namensträgers aus. Wenn der Elohist die Verwendung des Jahwe-Namens vor dem Sinaibund vermeidet, dann will dies sagen, dass das Wesen Gottes Israel erst nach dem Sinaibund bekannt wurde. Selbst dem Abraham war nach der Darstellung des Elohisten das eigentliche Wesen Jahwes noch verborgen.
f. Die Geschichtslenkung Jahwes
Es scheint auch so zu sein, dass der Elohist die Transzendenz und Überweltlichkeit Gottes dadurch noch einmal unterstreicht, dass er die Heilstaten, die Jahwe wirkt, immer wunderbarer schildert, als der Jahwist das tut.
Das ist nicht ganz unumstritten, weil die Textgrundlage äußerst schwierig ist. Einige Exegeten aber gehen davon aus, dass bestimmte Aussagen von Ex 14, also aus dem Bericht vom Schilfmeerwunder, elohistischen Ursprunges sind. Sie halten die Äußerungen über die Spaltung des Wassers beispielsweise für elohistisch.
Diese Stellen wollen andere allerdings dem Priesterkodex zugeordnet wissen.
Sicher ist auf alle Fälle, dass Jahwes Geschichtslenkung beim Elohisten voller Geheimnisse ist.
Nach elohistischem Zeugnis ist der Plan von Josefs Brüdern, den Josef zu ermorden, letztendlich der Grund dafür, dass Josef zum zweitmächtigsten Mann Ägyptens aufsteigt. Dadurch wieder kann allerdings erst in jener Hungersnot die Verwandtschaft des Josef nach Ägypten nachkommen und gerettet werden. Gott rettet also ausgehend vom Mordplan der Brüder letztlich ihr Leben (Gen 45; 50 E).
In Gen 50,20a drückt der Elohist diese Geschichtslenkung Gottes so aus:
"Ihr dachtet Böses gegen mich, Gott aber dachte es zum Guten." (Gen 50,20a.)
3. Die allein angemessene Haltung des Menschen vor Gott ist die Gottesfurcht (יִרְאַת אֱלֺהִים["jir>at >ælohim"] bzw. יִרְאַת יְהוָה ["jir>at jahwe"])
Der Elohist schildert Gott also als den sein Volk erwählenden Gott. Dieser Gott ist aber gleichzeitig immer der transzendente, heilige und nur durch Mittler seinem Volk nahe Gott.
Wie hat sich nun der Mensch - und ganz besonders das von Gott erwählte Volk - diesem Gott gegenüber zu verhalten. Das scheint das nächste Thema des Elohisten zu sein.
a. Das Problem von Gen 15,6 - Das Thema des Glaubens
Einen wichtigen Hinweis darauf bietet uns bereits die Einstiegsperikope des elohistischen Werkes.
Wir haben ja bereits gesehen, dass der Elohist damit beginnt, wie Gott in Gen 15 dem Abraham die Nachkommenschaft verheißt. Und hier ist ja auch zum ersten Mal geschildert, wie ein Mensch auf die Verheißung Gottes reagiert.
Diese Reaktion des Abraham wird in Gen 15,6 geschildert, ein Vers der von den allermeisten Exegeten als elohistisch betrachtet wird. Er lautet:
"Er [Abraham] glaubte (machte sich fest in) Jahwe, und der rechnete es ihm als Gerechtigkeit an." (Gen 15,6)
(1) Die Verwendung des Gottesnamens
Dass an dieser Stelle יהוה ["jahwe"] und nicht אֱלֺהִים [">ælohim"] steht, macht den Vers natürlich problematisch. Das würde ihn im Normalfall ja als klassischen Vers des Jahwisten ausweisen. Aber hier zeigt sich einmal mehr, dass man nicht einfach sklavisch nach der Verwendung des Gottesnamens die Quellen scheiden kann.
Es ist unbestritten, dass Gen 15,6 trotz der Verwendung des Jahwe-Namens vor der Sinai-Theophanie nicht jahwistisch sein dürfte. Der Vers fällt ganz aus dem jahwistischen Erzählzusammenhang heraus und auch stilistische Merkmale weisen in eine andere Richtung, nämlich in die des Elohisten.
Eine Erklärung für das Auftauchen des Jahwe-Namens an dieser Stelle ist, dass der Redaktor JE das Wort אֱלֺהִים [">ælohim"] aus seiner elohistischen Vorlage in seiner redaktionellen Bearbeitung durch יהוה ["jahwe"] ersetzt habe.
Auch die Meinung, dass der ganze Vers 6 auf einen Redaktor zurückgeht, wird in der Fachwelt vertreten.
Es ist hier jetzt natürlich nicht der Ort, die ganze Diskussion über Gen 15,6 aufzurollen. Folgen wir ganz einfach der Meinung der Mehrheit der Exegeten und gehen davon aus, dass Gen 15,6 elohistisch ist. Wenn wir das tun, dann eröffnet sich eine interessante Perspektive.
(2) Die in Gen 15,6 geschilderte Reaktion des Abraham
Erinnern wir uns an die jahwistische Darstellung. Für den Jahwisten ist die eigentliche Reaktion Abrahams auf die Verheißung Jahwes die im Glauben angetretene Wanderung nach Kanaan. Die eigentliche Reaktion Abrahams ist also der Gehorsam gegenüber der göttlichen Weisung (vgl. Gen 12,4a).
Beim Elohisten sieht das aber ganz anders aus. Hier heißt es:
"Er glaubte (machte sich fest in) Jahwe, und der rechnete es ihm als Gerechtigkeit an." (Gen 15,6.)
Abrahams Reaktion auf die göttliche Zusage ist also der Glaube.
Jetzt darf man das nicht so verstehen, als wenn Abraham halt sagen würde:
"Ja, ich glaub Dir schon, dass ich Nachkommen erhalten werde."
Es geht bei diesem Glauben nicht um ein Glaube an die Nachkommenschaftsverheißung im Sinne des "Für-wahr-haltens" der göttlichen Verheißung.
Das hebräische Wort für "Glauben", das hier verwendet wird, heißt הֶאֱמִן ["hæ>æmin"]. Das ist die Hiphil-Form von אמן [">mn"], die soviel bedeutet, wie "sich festmachen an etwas". Beim Glauben des Abraham geht es also um ein sich-Festmachen an bzw. in dem verheißenden Gott.
Abraham verankert sich und sein Leben also ganz und gar in diesem Gott, der ihm hier die Verheißung gegeben hat, und genau das rechnet ihm Gott als Gerechtigkeit an.
b. Das Thema "Gottesfurcht"
Mit dem Thema "Glauben" bzw. "sich-fest-machen" in Jahwe korrespondiert ein zweiter Themenkreis, der dem Elohisten wichtig und ein wesentlicher Bestandteil des elohistischen Kerygmas zu sein scheint. ⋅5⋅
Es geht hier um die Haltung der "Gottesfurcht".
In der Josefserzählung wird dies ganz ausdrücklich gesagt. Josef sagt dort in Bezug auf sich selbst:
"... ich bin ein gottesfürchtiger Mann." (Gen 42,18)
(1) Die Gottesfurcht bewahrt vor Verfehlung
Warum diese Gottesfurcht dem Elohisten so wichtig ist, wird schon in der Patriarchenerzählung deutlich. Zum Beispiel im Zusammenhang mit der Gefährdung der Ahnfrau in Gerar.
Hier ist interessant, dass offenbar auch die Heiden Gottesfurcht besitzen können.
Abraham musste dies nämlich ganz erstaunt feststellen. Als man ihn nämlich fragte, warum er die Leute betrogen hat indem er behauptete, dass seine Frau seine Schwester sei, gibt er an:
"Ich dachte, an diesem Ort sei gar keine Gottesfurcht;..." (Gen 20,11.)
Weil die heidnische Bevölkerung in Gerar aber anscheinend gottesfürchtig ist, deshalb hat Abraham nichts zu befürchten.
Diese Stelle macht ganz deutlich, was für den Elohisten die Folgen des gottesfürchtigen Handelns bzw. der Haltung der Gottesfurcht sind. Sie hält den Menschen nämlich vor schweren Verfehlungen zurück.
Hierfür gibt es eine Fülle von Belegen:
- Josef zum Beispiel bleibt gerecht und rächt sich nicht an den Brüdern, die ihn beinahe umgebracht hätten, weil er Gott fürchtet (Gen 42,18).
- Die hebräischen Hebammen in Ägypten führen den Befehl zu Tötung der männlichen Säuglinge nicht aus, weil sie Gott fürchten (Ex 1,17a) und werden deshalb von Gott mit Nachkommenschaft belohnt (Ex 1,21).
"Der Gehorsam gegen Gott erzieht zum Ungehorsam gegen den Willen politischer Unterdrücker, die das Töten gebieten, wo Gott das Leben will." (Hans Walter Wolff) ⋅6⋅ - Keine Frage, dass auch Mose als gottesfürchtiger Mensch geschildert wird. Von ihm wird gesagt:
"Mose verhüllte sein Angesicht, denn er fürchtete sich, Gott anzublicken." (Ex 3,6b) - Und die rechten Führer Israels, das heißt diejenigen, die Mose bei der Rechtsprechung helfen sollen, müssen nach Ex 18 natürlich gottesfürchtige Männer sein (Ex 18,21).
(2) Das Thema Gottesfurcht und die elohistische Sinaierzählung
Nach Hans Walter Wolff nimmt die elohistische Sinaierzählung (Ex 20,18b-21) die letzten Zweifel an der Absicht des Elohisten, Israel die Gottesfurcht einzuprägen. Das Volk bleibt nämlich während der Gotteserscheinung mit Zittern und Beben in der Ferne stehen (Ex 20,18b) und bittet Mose, Gottes Rede zu vermitteln (Ex 20,19). ⋅7⋅
Mose andererseits macht dem Volk daraufhin klar, dass es keine Angst haben soll. Gott sei gekommen, um die Furcht vor ihm in seinem Volk wachzurufen. Und die Furcht vor ihm würde bewirken, dass das Volk nicht mehr sündigt (Ex 20,20).
c. Gott erprobt sein Volk
Damit die Furcht vor Gott aber wirklich wachgerufen werde, darum würde Gott sein Volk versuchen, auf die Probe stellen. Mose sagt:
"Fürchtet euch nicht! Denn Gott ist gekommen, um euch auf die Probe zu stellen und die Furcht vor ihm in euch wachzurufen, damit ihr nicht sündigt." (Ex 20,20.)
Gott stellt sein Volk auf die Probe, um die Gottesfurcht wachzurufen.
(1) Parallele Ex 20 und Gen 22
Diese Stelle am Gottesberg, erinnert natürlich gleich wieder an die Abrahamserzählung, und dort natürlich zuallererst an die Opferung Isaaks (Gen 22).
In Gen 22,1 begegnet genau das gleiche Wort wie in Ex 20,20, nämlich der Ausdruck נִסָּה ["nissah"].
Das elohistische Theologumenon von der Versuchung und Erprobung durch Gott klingt also bereits ganz am Anfang seines Werkes und zwar ganz massiv an.
(2) Abrahams Erprobung stellt die Gottesfurcht unter Beweis
Abraham glaubte der Verheißung Jahwes (Gen 15,6), aber sein Glaube, sein absolutes Vertrauen in den sich offenbarenden Gott, muss sich bewähren. Von daher wird er auf die Probe gestellt. Er soll Gott seinen einzigen Sohn nicht vorenthalten und damit seine Gottesfurcht unter Beweis stellen (Gen 22,1).
Der für Abraham so paradox erscheinende Befehl Gottes, ihm seinen Sohn Isaak zu opfern, den er ja gerade durch Verheißung Gottes erhalten hat, erscheint im Erzählzusammenhang des Elohisten als Versuch Gottes, die Gottesfurcht Abrahams zu erproben.
Das macht der Elohist schon mit seiner Überschrift deutlich:
"Nach diesen Begebenheiten geschah es, da prüfte Gott Abraham und sprach zu ihm:..." (Gen 22,1.)
(3) Die Uminterpretation des ursprünglichen Gehaltes der Erzähleinheit durch den Elohisten
Dabei ist ganz interessant, dass der Elohist die wohl ursprüngliche Aussageabsicht dieser Erzählung ganz einfach auf den Kopf stellt.
Der wohl eigentliche Inhalt dieser alten Erzählung, die der Elohist hier aufnimmt, ist ja, dass Gott keine Menschenopfer will und die Opferung des Sohnes verhindert.
Zur Zeit des Elohisten war die Frage der Menschenopfer aber nicht mehr aktuell. Daher kann er der Geschichte eine neue Sinnspitze geben. Die alte und ursprüngliche Aussage der Erzähleinheit tritt nun also zurück hinter die Aussage, dass Gott die Gottesfurcht und den Gehorsam des Abraham - und damit natürlich implizit seines ganzen Volkes - erwartet.
d. Fazit
Wenn der Elohist beim Bundesschluss in Ex 20 den Mose in einem gleichsam maßgeblichen Wort sagen lässt, dass Gott gekommen ist, um sein Volk zu erproben und die Gottesfurcht aufzurichten, dann macht er damit dem Volk deutlich, dass Gott diesem Volk gegenüber das gleiche Ziel anstrebt, das er schon bei den Vätern - und ganz besonders bei Abraham verfolgt hat. Er will die Gottesfurcht, die im Trauen auf die Verheißung gehorcht (Gen 22) und im Gehorsam den Zusagen traut. Er will die Gottesfurcht, die den Ungehorsam gegen menschliche Zumutungen dem Ausweichen vor dem Gotteswort vorzieht (Ex 1,15ff).
- Sich fest machen an bzw. in Gott,
- diesen Gott fürchten
- und im Gehorsam gegenüber Gott in der Versuchung den Glauben bewähren,
das sind die wichtigen, zentralen Inhalte der Verkündigungsabsicht des Elohisten. ⋅8⋅
4. Die Theophanie am Gottesberg und die Gottes-berit als Ziel der göttlichen Führung
Aussicht vom "Mosesberg" -
In der Tradition ist der Berg Sinai der Ort der Gottesbegegnung.
Lizenz: Berthold Werner, Mount Sinai BW 3, CC BY-SA 3.0
Eine entscheidende Frage im Blick auf die Theologie des Elohisten ist natürlich auch, ob es in seinem Werk einen Bericht über einen förmlichen Bundesschluss Jahwes mit seinem Volk gegeben hat.
a. Die verworrene Textlage des elohistischen Werkes
Diese Frage ist gar nicht leicht zu beantworten und das hängt vor allem mit der recht verworrenen Textlage des elohistischen Werkes zusammen. ⋅9⋅
Wenn man aber davon ausgeht, dass es ein zusammenhängendes elohistisches Werk gegeben hat und nicht etwa nur einzelne elohistische Fragmente vorliegen, dann scheint es auch sinnvoll zu sein, eine eigene elohistischen Darstellung von der Gotteserscheinung am Gottesberg anzunehmen. Diejenigen Forscher, die davon ausgehen, dass es eine elohistische Quelle gegeben hat, sind dementsprechend auch durch die Bank davon überzeugt, dass diese Quelle eine Darstellung der Sinai-Theophanie enthalten haben muss.
Wie sah diese elohistische Darstellung aber ursprünglich aus?
b. Theophanie in Form eines Gewitters
Allgemein anerkannt ist unter den genannten Exegeten, dass man die elohistische Theophanie in der Schilderung der gewitterhaften Gotteserscheinung am Gottesberg (Ex 19,16) zu suchen hat. Es heißt hier:
"Am dritten Tag, als es Morgen wurde, brachen Donner und Blitze los, eine schwere Wolke lagerte sich über dem Berg, und es ertönte mächtiger Posaunenschall. Das ganze Volk, das im Lager war, erbebte." (Ex 19,16.)
Unbestritten ist auch, dass die Schilderung, wie das Volk nun vor Gottes Anwesenheit erzittert in Ex 20,18b-21 genuin elohistisch ist. Das Element der Gottesfurcht ist hier ein wichtiger Hinweis.
Damit ist aber noch kein förmlicher Bundesschluss geschildert.
c. Bundesschluss als Mahl
Die Schilderung des Bundesschlusses zwischen Jahwe und seinem Volk im Rahmen des elohistischen Werkes, glauben eine Reihe von Forschern daher hinter Ex 24,1+ und Ex 24,9-11+ zu finden. Dort wird geschildert, wie Mose und 70 Älteste des Volkes auf dem Gipfel des Berges im Angesicht Jahwes Mahl halten.
Wenn diese Szene elohistischen Ursprunges ist, dann kann sie durchaus die elohistische Darstellung des Bundesschlusses sein. Auch wenn das Wort בְּרִית ["berit"] dort nicht ausdrücklich auftaucht, so kann man doch hinter dem Mahl den förmlichen Akt eines Bundesschlusses sehen.
Es gibt eine ganze Reihe von Stellen, in denen ein Mahl mit einem Bundesschluss in Verbindung gebracht wird. Als Beispiel sei hier nur der Bund zwischen Laban und Jakob in Gen 31 genannt. ⋅10⋅
"Darauf ergriff Laban das Wort und sagte zu Jakob: [...] Jakob sagte zu seinen Brüdern: Tragt Steine zusammen! Da holten sie Steine und legten einen Steinhügel an. Dort auf dem Steinhügel aßen sie." (Gen 31,43a. 46.)
Wichtig an der vorliegenden Stelle ist, dass die 70 Ältesten im Angesicht Gottes Mahl gehalten haben. Das Angesicht Gottes zu schauen zieht in der Tradition ja eigentlich den Tod nach sich. Wenn diese Ältesten Gott geschaut haben und trotzdem von ihm am Leben gelassen werden, ist das gleichbedeutend damit, dass sie in seine Gemeinschaft aufgenommen wurden, einen Bund mit ihm abgeschlossen haben.
Interessanterweise wäre es beim Elohisten dann - im Gegensatz zur jahwistischen Darstellung - das Volk in der Gestalt der 70 Ältesten, das in kultischer Form den Abschluss der allein von Gott ausgegangenen בְּרִית ["berit"] besiegelt.
Auch hier wäre die ungeheure Betonung des Volkes durch den Elohisten ganz deutlich zu spüren.
d. Der Inhalt des Gottesbundes
Wenn aber das Mahl der 70 Ältesten auf dem Gottesberg der eigentliche Bundesschluss in der elohistischen Darstellung war, was war dann der Inhalt dieses Bundes? Um was ging es bei diesem Bundesschluss zwischen Jahwe und dem Volk?
(1) Keine eigene Bundescharta?
Einige Forscher gehen davon aus, dass der Sinn und das Ziel des Bundes in der Darstellung des Elohisten eben genau diese Furcht des Volkes gegenüber Gott sei. Mit dem Bundesschluss sei demnach überhaupt keine andere Botschaft verbunden gewesen.
Das ist aber nicht unbedingt einleuchtend. Mose steigt ja gerade auf den Berg (Ex 20,21 E), um sich stellvertretend für das Volk (vgl. Ex 34,10a-27 J/Je) Gott zu nähern. Wieso sollte er es tun, wenn nicht gerade, um dort entscheidende Worte Gottes zu vernehmen?
(2) Die Rolle des Bundesbuches
Schauen wir den Text, so wie er heute vorliegt, daraufhin noch einmal an. Vielleicht hat sich ja der Inhalt des elohistischen Bundes auch irgendwo erhalten.
- Wir haben in Ex 19 die Schilderung von der Ankunft am Gottesberg.
- Ex 19,16 beginnt dann die eigentliche Theophanie in Form eines Gewitters - daraufhin wird der elohistische Bericht anscheinend unterbrochen
- Ex 19,20 steigt Mose nun auf den Berg und Jahwe spricht zu Mose
- Ex 19,24 steigt Mose hinab und verkündet dem Volk die Worte Jahwes
- Ex 20,1-17 folgt nun der Dekalog
- Ex 20,18 wird nun vermutlich der elohistische Bericht wieder aufgenommen, denn das Volk steht immer noch in der Ferne und bittet Mose nun erst, auf den Berg hinaufzugehen.
- Nun folgt in Ex 20,22-23,19 eine große Gesetzessammlung, Bundesbuch genannt. Heute wird also der Eindruck erweckt, dass dies die Worte sind, die dem Mose beim erneuten Ersteigen des Berges gesagt worden wären.
- Ex 24,7 wird nun berichtet, wie Mose nach dem Heruntersteigen dem Volk das Bundesbuch vorgelesen habe.
- Dann folgt der Bericht vom Aufstieg der 70 Ältesten gemeinsam mit Mose und dem Mahl auf dem Berg.
Wenn wir nun allein den elohistischen Faden verfolgen, dann sieht es so aus, als wäre das in Ex 20,22-23,19 ausgeführt Bundesbuch der eigentliche Inhalt dessen was Jahwe dem Mose gesagt hat. Dieses Buch wäre dementsprechend vor dem konstituierenden Mahl als Inhalt des Bundes dem Volk verlesen worden.
Gehört also das Bundesbuch zum elohistischen Werk, ist es der Inhalt des Gottesbundes nach dem Elohisten?
Das Bundesbuch in Ex 20,22-23,19 wäre eigentlich ganz harmonisch der elohistische Inhalt des Bundes mit Gott, wenn dieses sogenannte Buch in der heutigen Form nicht so massiv den Eindruck erwecken würde, ein späterer redaktioneller Zusatz zu sein.
Das Bundesbuch selbst scheint an sich tatsächlich recht alt zu sein. Vermutlich älter als das Werk des Elohisten selbst. Es stammt möglicherweise sogar aus vorstaatlicher Zeit.
Mit großer Wahrscheinlichkeit existierte es allerdings als selbständige Gesetzessammlung. Wir können davon ausgehen, dass ein späterer Redaktor dieses Bundesbuch als eigenen Block an dieser Stelle eingefügt hat. Sinn dieses Unterfangens könnte gewesen sein, das im Bundesbuch enthaltene altisraelitische Recht explizit als Gottesrecht vom Gottesberg zu deklarieren.
Dann stammt das Bundesbuch aber nicht vom Elohisten. An dieser Stelle hätten wir dementsprechend ein Loch an dem zuvor etwas anderes gestanden haben müsste. Jener Redaktor, der das Bundesbuch einfügte, hätte dementsprechend den ursprünglich an dieser Stelle stehenden Text gegen das Bundesbuch ausgetauscht.
Ist der Inhalt des elohistischen Bundes also verloren gegangen, oder steht er heute an anderer Stelle?
(3) Der Dekalog
Nun stellt man fest, dass der Dekalog in Ex 20,1-17 heute quasi wie ein Vorspiel des anschließend geschilderten Bundesschlusses erscheint.
Und weiter kann man feststellen, dass zumindest wesentliche Gebote der ersten Tafel des Dekaloges - so Lothar Ruppert - dem Elohisten ⋅11⋅ zugeschrieben werden können. So könnte durchaus eine ältere Fassung des Exodus-Dekalogs den eigentlichen Inhalt des elohistischen Bundesschlusses dargestellt haben. Möglicherweise wurde er bei der Redaktion des Textes und der Einfügung des Bundesbuches dann von seinem ursprünglichen Platz verdrängt und als Auftakt des ganzen Bundesschluss-Geschehens an seinen heutigen Platz gerückt. ⋅12⋅
Wenn dem so ist, dann könnte man den Inhalt des elohistischen Bundesschlusses also im Dekalog suchen.
Sicher sah derselbe in der elohistischen Quelle dann noch nicht ganz so aus, wie er heute in Ex 20 überliefert ist, denn der Dekalog ist kein einheitlicher Text. Vers 11 setzt beispielsweise den priesterschriftlichen Schöpfungsbericht voraus, und die ethischen Gebote der zweiten Tafel scheinen ebenfalls aus jüngerer Zeit zu stammen.
Das erste Gebot des Dekaloges
"Du sollst keine anderen [besser: keinen anderen] אֱלֺהִים [">ælohim"] neben mir haben"
und das zweite Gebot
"Nicht sollst du dir ein Schnitzbild machen"
könnten sogar schon Bestandteile einer vom Elohisten übernommenen und daher sogar schon sehr viel älteren Tradition sein.
Beide Gebote sind im alten Orient schließlich religionsgeschichtlich vollkommen singulär.
Das erste Gebot mit der Forderung nach Verehrung nur eines Gottes sowieso, aber auch das 2. Gebot. Es wird hier nach der ursprünglichen Intention nicht die Anfertigung von Götzenbildern verboten. Es geht hier ursprünglich darum, dass die Anfertigung eines Jahwe-Bildes verboten wird.
Da dies keinerlei Parallelen im Alten Orient aufweist, kann es auch nicht auf irgendwelche Beziehungen zu anderen Völkern im Kulturland zurückgehen. Lothar Ruppert vermutet deshalb - genauso wie beim ersten Gebot, dass hier durchaus die Handschrift einer charismatischen Führergestalt denkbar sei. Vielleicht liegt hier, in dieser uralten Tradition, tatsächlich die Überlieferung einer von Gott gegenüber einem historischen Moses proklamierten Bundes-Charta vor.
Dieses alte Traditionsgut hätte der Elohist in seiner Schilderung dementsprechend aufgenommen und als Inhalt des Gottesbundes überliefert. ⋅13⋅
(4) Fazit
Nach dem Elohisten zielt also Gottes Heilshandeln auf die Gotteserscheinung am Sinai und den בְּרִית ["berit"]-Abschluss hin. Inhalt dieses Bundes wäre, dass Israel Jahwes Volk werden soll. Es ist sein erwähltes Volk, das in der בְּרִית ["berit"] auf den Dienst Jahwes, also konkret die wesentlichen Punkte der ersten Tafel des Dekaloges, verpflichtet wird.
5. Der Bruch der Gottes-berit durch Israel
Das wäre also der Bund zu dem Gott sein Volk erwählt hat.
a. Jahweverehrung im Bild eines Jungstieres
Das Volk aber erweist sich dieses Bundes als nicht würdig. Ganz anders als Abraham besteht Israel seine Erprobung nämlich nicht. Noch am Gottesberg fällt das Volk von Jahwe ab (Ex 32). ⋅14⋅ Es verehrt Jahwe auf illegitime Weise in Gestalt eines goldenen Jungstieres. Dies aber wurde durch die "Bundes"-Charta, die wir ja in einer Urform des Dekalogs vermuteten, ganz ausdrücklich ausgeschlossen.
Dem Volk fehlte also die rechte Gottesfurcht, die es von der Übertretung des göttlichen Gebotes abgehalten hätte.
b. Jahwes Urteilsspruch
Die Entlassung Israels vom Gottesberg klingt dementsprechend auch wie eine Verbannung. Jahwe erwidert auf die Fürbitte des Mose: ⋅15⋅
"Wer gegen mich gesündigt hat, nur den tilge ich aus meinem Buch. Aber gehe nun und führe das Volk dorthin, wohin ich dir geboten habe. Siehe, mein Engel soll vor dir hergehen. Aber wenn der Tag der Heimsuchung gekommen ist, werde ich ihre Sünde an ihnen heimsuchen." (Ex 32,33-34.)
Das Verdikt ist nur leicht abgemildert durch die Zusicherung, dass ein Engel vor dem Volk hergehen werde (Ex 32,34ab). Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die endgültige Bestrafung noch aussteht (Ex 32,34b).
Die Auszeichnung Israels und seine Erwählung gereichen dem Volk, durch sein eigenes Versagen, zum Unheil. ⋅16⋅ Mit der Verbannung vom Gottesberg endet dann die Sinai-Perikope des Elohisten.
c. Parallele zum Jahwe-Kult von Bet-El
Wenn diese Rekonstruktion so stimmt, dann ist es hoch interessant, eine tatsächliche geschichtliche Parallele dazu in den Blick zu fassen.
Die Verfehlung des Volkes, die der Elohist zum Abschluß seiner Sinaiperikope schildert, hatte nämlich tatsächlich eine geschichtliche Entsprechung, und zwar in einem pervertierten Jahwe-Kult, wie er im 8. Jahrhundert vor Christus am Reichsheiligtum des Nordreiches Bet-El existierte.
Jerobeam hatte als Ersatz für die Lade Jahwes (deuteronomisch "Bundeslade" genannt), die nach der Reichstrennung für das Nordreich ja unzugänglich war, weil sie in Jerusalem aufbewahrt wurde, einen goldenen Jungstier als Gottesthron erichtet (1 Kön 12,28-30).
Das war noch nicht das Tragischste. Es handelte sich bei diesem Jungstier ja lediglich um den Thron Jahwes. Aber mit der Zeit identifizierte man nun den Thron mit dem auf ihm thronenden Gott.
Gegen diesen Jahwe-Kult, wie er in Bet-El praktiziert wurde, wandte sich vor allem Hosea (Hos 13,12).
d. Folgen für die Datierung
Der Elohist sieht in diesen Vorgängen offenbar die Fortsetzung der Ursünde des Gottesvolkes am Gottesberg.
Folgt man dieser Interpretation, dann hat dies auch Folgen für die Datierung. Möglicherweise hat der Elohist diesen Jahwe-Kult in Bet-El mit seinem goldenen Jungstier vor Augen. Er könnte darin nun eine direkte Fortsetzung der Ursünde des Gottesvolkes am Gottesberg sehen.
Eine derartige Geschichtskonzeption wäre am besten zwischen den Propheten Amos und Hosea vorstellbar. In dieser Zeit stand eine prophetisch-levitische Opposition gegen diese Art des Jahwekultes auf. In der nun schon deutlich exisiterenden assyrische Bedrohung könnte der Elohist das bevorstehende, bisher ja nur ausgesetzte Gericht des Herrn verstanden haben, so wie es in Ex 32,34 angedroht worden war. ⋅17⋅
6. Hoffnung auf Rettung eines Restes Israels?
Sieht der Elohist nach dem Bruch des Gottes-"Bundes" also keine Zukunft mehr für Israel? Hat er diese Geschichte nur deshalb niedergeschrieben, damit das Volk den Grund für seinen Niedergang erkennen soll?
Die Antwort auf diese Frage scheint in der Abraham-Perikope zu liegen.
Wenn es keine Rettung mehr gäbe, dann wäre die elohistische Betonung des Gehorsams Abrahams in Gen 22,1-14 lediglich ein Positiv-Klischee gegenüber dem Verhalten des Volkes am Sinai.
Sinnvoller scheint es hingegen zu sein, dass das Beispiel Abrahams als Ansporn für das Volk angesichts des lediglich suspendierten Gottesgerichtes anzusehen ist. Abrahams Beispiel soll das Volk dazu anspornen, diesem Beispiel Abrahams zu folgen. Der Elohist hegt dann die Hoffnung, dass der umkehrende Rest Israels vielleicht gerettet werde.
Belege für diese Annahme gibt es nicht. Man kann sie lediglich anhand von Indizien erschließen, insbesondere durch die Parallele zu Amos:
"Hasset das Böse und liebet das Gute und haltet aufrecht im Tore das Recht, vielleicht erbarmt sich Jahwe, der Gott Zebaot, über Josefs Rest." (Am 5,15.)
Anmerkungen
Väterzeit (Gen 15,4-6),
Ägypten (Gen 15,13),
Auszug (Gen 15,14),
Landnahme (Gen 16).
Der letzte Inhalt werde jedoch unter absichtlicher Vermeidung des Wortes "Land" angeführt.
Nach Rudolf Kilian werde das alte Credo bei E aus der Rückschau in Dtn 26,5-9 in eine Vorausschau übertragen, als ein an Abraham ergangenes "vaticinium ex eventu", eine Weissagung, die das (geweissagte) Geschehen voraussetzt.
Rudolf Kilian misst diesem Umstand eine tiefe theologische Bedeutung bei.
"Dadurch, daß der Elohist die Heilsgeschichte nicht nur mit Abraham beginnen lässt, sondern ihn auch noch in einem vaticinium ex eventu das künftige Geschick seiner Nachkommen wissen lässt, bringt er ganz bewußt und unübersehbar zum Ausdruck, daß die Geschichte Israels sich nicht blindlings nach einer Eigengesetzlichkeit entwickelte, sondern einem göttlichen Plan folgte, der schon im Augenblick der Erwählung Israels in Abram bei Gott bestanden hat." (Rudolf Kilian, Der heilsgeschichtliche Aspekt der elohistischen Geschichtstradition, in: Theologie und Glaube (1966) 380.)
Eine direkte Abhängigkeit von Gen 15,13-16 von Dtn 26,5-9 ist jedoch fraglich, da die Zusammenstellung israelitischer Credenda zum "kleinen geschichtlichen Credo" relativ jung, nämlich deuteronomisch ist.
Lothar Ruppert erkennt E sogar weitaus größere Teile zu als er, betont allerdings auch den hypothetischen Charakter seiner Rekonstruktion. Er stellt das Geschehen am Gottesberg nach E folgendermaßen dar:
(1) Theophanie-Erlebnis Israels unten am Fuß des Berges (Wolken, Donner, Blitze) [Ex 19,2b. 3a.ba. 10ab.c.b. 11a. 14. 15a. 16. 17. 18bb [ließ: und das ganze Volk!]. 19].
(2) Mose geht als Vertreter des durch die Theophanie (!) in Schrecken geratenen Volkes zu Gott auf den Berg hinauf, um Gottes Worte zu vernehmen [Ex 20,18b. 19-21 (mit Ex 20,20 schlösse nach Erich Zenger (1982!) die elohistische Sinaiperikope bereits)]
(3) Theophanie vor Mose oben auf dem Berg [Ex 33,18. 21a. 22; 34,6f]. Hier folgte nach Ruppert ursprünglich das 1. und 2. Gebot des Dekaloges (ohne Einführung) [Ex 20,3* (Du sollst keine anderen Götter {אֱלֺהִים אֲהֵרִים [">ælohim >acherim"]} haben! - ohne: neben mir!). 4a (Du sollst dir kein Bild-Gottesbild machen!)]. Danach wohl Ex 34,8.
(4) Abstieg des Mose vom Gottesberg [Ex 23,29aa. 30. 31*]. Das Element der zwei Tafeln der בְּרִית ["berit"] ist hier offenbar als später ("jehowistisch" (gemäß Ruppert'scher Terminologie)?) auszuklammen.
(5) Übermittlung der Gottesworte an das Volk und Zustimmung des Volkes [Ex 24,3* (ohne: und/alle Rechtsvorschriften)] - Fraglich ist, ob anschließend von Brand- und Schlachtopfern (inkl. Altarbau) und dem zweifachen Blutritus die Rede war [Ex 24. 4ab.b. 5. 6. 8].
(6) Aufstieg des Mose und der 70 Ältesten auf Jahwes Geheiß auf den Gottesberg, um dort im Angesicht Jahwes ein kultisches Mahl halten zu dürfen [Ex 24,1a*. 9. 10a. 11]. In diesem Mahl wird die von Jahwe initiierte Gottesgemeinschaft Israels durch die Ältesten als Israels Repräsentanten gleichsam besiegelt. Damit ist, ohne dass der Terminus בְּרִית ["berit"] bisher bei E gefallen ist, das durch die בְּרִית ["berit"] hergestellte Verhältnis zwischen Jahwe und Israel gemeint.
(7) Unterdessen: Abfall des Volkes unten am Fuß des Berges durch die Verehrung des goldenen Jungstiers bzw. Jahwes im Bild des goldenen Jungstiers [Ex 31,1-4a. 5-6] - Bruch des 1. und bzw. 2. Gebotes!
(8) Abstieg des Mose - ursprünglich auch der 70 Ältesten - vom Berg [Ex 32,15aa].
(9) Zornige Reaktion des Mose: Zerstörung des goldenen Jungstieres [32,19a.ba. 20a.ba. 21-24(?)].
(10) Erneuter (3.) Aufstieg des Mose zu Jahwe auf den Berg, um für das untreu gewordenen Volk (prophetische) Fürbitte einzulegen; vorübergehende Suspension der Strafe. Schroffe Entlassung Israels durch Jahwe vom Gottesberg [Ex 32,30. 31. 32a. 33a. 34aa.b]
(11) Reaktion des Volkes auf die - durch Mose übermittelte - Gerichtsandrohung Jahwes: Trauer des Volkes [Ex 33,4]. Wohl ursprüngliches Ende der elohistischen Sinaiperikope.
E. Rupprecht hat allerdings gerade diese Szene aufgrund schriftprophetischer Parallelen (Ez 1) literarisch spät angesiedelt und zwar in exilische Zeit (vgl. Festschrift Westermann, 238-239).
Lothar Ruppert hält diese Argumentation nicht für überzeugend; er setzt schon beim Elohisten eine kurze Darstellung einer Gottes-berit voraus (vgl. L. Schmidt, im Sammelband "AT"). Insofern der Jahwist - den der Elohist ja kennt und bei der Gestaltung seiner eigenen Überlieferung teilweise berücksichtigt hat - in Ex 34,1-10a einen Bericht über den Abschluss einer בְּרִית ["berit"] Jahwes mit Mose bietet, erscheint dies wahrscheinlich.
Dies scheint Ruppert nicht überzeugend zu sein, da der Ex-Dekalog einen archaischen Eindruck macht (mit Ausnahme von Vers 11, der den priesterschriftlichen Schöpfungsbericht voraussetzt; dieser Vers wurde sicher später hinzugefügt).
"Nur euch allein habe ich erkannt von allen Geschlechtern der Erde, darum suche ich heim an euch alle eure Missetaten." (Am 3,2.)