Die Bibel
Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...
Allgemeines zur Weisheit in Israel ⋅1⋅
- 1. Der Begriff "Weisheit" in Israel
- 2. Die Entstehung von Weisheitstraditionen und Weisheitsschulen
- 3. Die Grundsätze der Weisheit
- 4. Weisheit als gemeinorientalisches Phänomen
- 5. Der Sitz im Leben der Weisheit
Fünf Bücher des Alten Testaments werden "Weisheitsbücher" genannt. Es sind dies die Bücher Ijob, Kohelet, das Buch der Sprüche und die deuterokanonischen Schriften Jesus Sirach und Weisheit.
Gewöhnlich wird auch noch das Hohelied dazugezählt, weil es der Tradition nach ja von Salomon stammt. Es gehört natürlich im strengen Sinne nicht zu den Weisheitsbüchern.
Wenn man den Begriff Weisheitsliteratur nicht nur auf die eigentlichen Weisheitsbücher beschränkt, dann gehören auch eine Fülle anderer Schriften des Alten Testamentes in diesen Rahmen hinein. Manche Psalmen, prophetische Äußerungen und Teile der Bücher Tobit und Baruch gehören zu dieser weisheitlichen Strömung.
Um nicht einer falschen Vorstellung aufzusitzen, was die Weisheitsbücher betrifft, muss man sich darüber klar werden, was "Weisheit" in Israel bedeutet.
1. Der Begriff "Weisheit" in Israel
"Weisheit" meint zunächst weniger die Fähigkeit, theoretisch-grundsätzliche Fragen zu beantworten. Weisheit ist in Israel zuallererst die Fähigkeit, sich im Lebensalltag zurechtzufinden; und das heißt ganz einfach, die Fähigkeit mit den Dingen und den Menschen zurechtzukommen.
So ist Weisheit etwa
- der Sachverstand des Handwerkers oder Künstlers
(Ex 31,3ff; 35,10. 25-26. 35; Jes 40,20 u. a.), - der Verstand des Herrschers oder Richters
(1 Kön 3; Jes 11,2ff) - oder einfach die Lebensklugheit (Spr 6,6).
Weisheit ist also kurz gesagt ein Erfahrungswissen.
Dieses Erfahrungswissen beruht auf
- der Beobachtung von Lebensvorgängen,
- der Zuordnung von Vergleichbarem
- und der Erkenntnis von Regeln.
Aus solchen Beobachtungen und Zuordnungen gewann man Einsichten in die vorgegebene Ordnung - sei es jetzt in die Ordnung der Natur oder in die der zwischenmenschlichen Bezüge.
Diese Einsichten drückte man nun in einer bildkräftigen und meist in Parallelismen gegliederten Sprache aus. Dadurch wurden sie leichter merkbar und auch gezielter anwendbar.
2. Die Entstehung von Weisheitstraditionen und Weisheitsschulen
Solche Sentenzen, in denen sich die einmal gemachte Erfahrung niedergeschlagen hatte, wurden dann gesammelt und diese Sammlungen wurden weitergegeben: es entstand eine Tradition. ⋅2⋅
Solche Traditionen gewinnen aber im Laufe der Zeit immer größere Autorität (Ijob 8,8). So beschäftigen sich letztendlich ganze Weisheitsschulen mit den gesammelten Erfahrungen der Vorfahren. Diese Gelehrtenkreise pflegten die alten Grundsätze der Weisheit.
3. Die Grundsätze der Weisheit
Die Grundsätze dieser Weisheit kann man ganz einfach mit dem Ziel umschreiben,
- Gefahren und Schaden vom Leben fernzuhalten
- und den Weg zu einem rechten, angesehenen und gelungenen Leben zu weisen (Spr 13,14; 15,24).
4. Weisheit als gemeinorientalisches Phänomen
Die Bücher der israelitischen Weisheitsliteratur finden sich in der hebräischen Bibel vorwiegend unter den כְּתוּבִים ["ketubim"], den "übrigen Schriften", also dem jüngsten Teil des alttestamentlichen Kanons.
Deshalb hat man vermutet, dass die Weisheit so etwas wie ein Spätphänomen in Israel sei.
Tatsächlich ist sie nichts spezifisch Israelitsches, sondern gemeinorientalisch.
So gibt es eine
- babylonische
- oder kanaanäische Weisheit.
- In Israel ist die Weisheit der nomadischen "Söhne des Ostens" berühmt. ⋅3⋅
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass das AT selbst in seinen Spruchsammlungen ausländische Verfasser erwähnt. ⋅4⋅
Vor allem Ägypten scheint die israelitische Weisheit beeinflusst zu haben. ⋅5⋅
Solche Beziehungen zeigen allerdings, dass Weisheit keineswegs erst dem nachexilischen Israel bekannt wurde.
Ein Hinweis darauf ist schon die Tatsache, dass immer wieder von der Weisheit Salomos berichtet wird (1 Kön 3; 5,9ff) und er als eigentlicher Verfasser der Weisheitsbücher gilt.
Hier dürfte sich sicher die Erinnerung daran niedergeschlagen haben, dass einzelne Sprüche oder auch kleinere Sammlungen in die frühe Königszeit zurückreichen.
Auch die Propheten setzen immer wieder die Weisheit voraus und nehmen positiv ⋅6⋅ oder auch kritisch ⋅7⋅ auf sie Bezug.
5. Der Sitz im Leben der Weisheit
Ein wichtiger Hinweis auf den Sitz im Leben der israelitischen Weisheit findet sich in Spr 25,1. Dort heißt es, dass die Männer Hiskijas, des Königs von Juda, die folgenden Sprüche zusammengestellt hätten.
Weisheit wurde also am Königshof gepflegt.
Der König bedurfte natürlich einer ganzen Reihe weiser Ratgeber (2 Sam 16,23; Gen 41,33). Man geht davon aus, dass es daher eine regelrechte Schule für Beamte in Jerusalem gab.
Doch haben wir hier vermutlich noch nicht den ursprünglichen "Sitz im Leben" der Weisheit. Er ist wahrscheinlich ganz einfach in der Familie zu suchen.
In der Familie fand schließlich vor allem die Erziehung statt. Hier dürften diese Lebensweisheiten zuallererst tradiert worden sein. ⋅8⋅
Es könnte also sein, dass die höfischen Weisen in späterer Zeit lediglich schon vorgegebenes und damit älteres Gut "gesammelt" (vgl. Spr 25,1) haben. ⋅9⋅
Anmerkungen
(Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 320.)
Nur vereinzelt finden sich im Buch der Sprüche sogenannte Königssprüche (Vgl. Spr 16,10ff; 25,2ff), auch findet sich in ihm kein Beamtenethos, wie etwa in den ägyptischen Lehren. Das Buch der Sprüche redet jedermann an, nicht einen bestimmten Stand.
(Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 321.)
Noch in der Spätzeit gab es in Jerusalem vermutlich eine eigene Bildungsstätte. Hinter der Anrede "Vater-Sohn" mag sich das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler verbergen (Spr 1,1ff). Gab es neben Priestern und Propheten geradezu einen eigenen Stand der "Weisen", der einen "Rat" zu erteilen vermochte (Jer 18,18; vgl. Ez 7,26)?
Der Rat des Weisen war hochgeachtet (2 Sam 16,23), ja konnte sich auf Offenbarungen berufen (Ijob 4,12ff; 32,6ff).
Klug ist aber nicht nur, einen Rat zu erteilen, andere zu belehren, sondern auch auf einen Rat zu hören, sich selbst zu bilden (Spr 1,5; 10,7; 12,15).
(Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 321.)