Die Bibel

Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...


Weiter-ButtonZurück-Button Ezechiel ⋅1⋅

Das Ende des Wirkens Jeremias fällt zeitlich zusammen mit den Anfängen Ezechiels. Wir stehen am Beginn des babylonischen Exils. Mit diesem Exils-Propheten wandelt sich jedoch die Atmosphäre:

  • weniger Unmittelbarkeit und leidenschaftliche Glut,
  • grandiose, aber komplizierte Visionen,
  • minutiöse Beschreibungen
  • und vor allem ein wachsendes Interesse für die Endzeit.

Dies alles sind Merkmale, die bereits die apokalyptische Literatur ankündigen.

Aber nicht nur apokalyptische Züge zeigen sich in dieser Zeit. Eine von Jesaja ausgehende prophetische Strömung schlägt sich im sogenannten Trostbuch nieder (Jes 40-55) - so benannt nach den ersten Worten "Tröstet, tröstet mein Volk" (Jes 40,1) -, einer neuen, großartigen Form der prophetischen Rede.

Sehen wir uns die Propheten dieser Epoche im einzelnen an. Hier ist allen voran Ezechiel zu nennen.

1. Zur Person Ezechiels

Im Jahre 597 v. Chr wurde nach der ersten Eroberung Jerusalems König Jojachin und sein Gefolge, sowie Teile der judäischen Oberschicht und mehrere Handwerker von Nebukadnezzar nach Babylon deportiert (2 Kön 24,10ff). Nach den Angaben des Buches Ezechiel gehörte zu diesen Deportierten auch Ezechiel, der Sohn des Busi.

a. Ezechiels Wirken im Exil

Ezechiel gehörte zu einer Gruppe Israeliten, die in Tell Abib ⋅2⋅ am Fluss bzw. Kanal Kebar, wohl in der Nähe von Nippur, angesiedelt wurden.

Dort wurde Ezechiel - nach eigenen Angaben - im fünften Jahr nach der Verbannung des Königs Jojachin, also im Jahre 593 v. Chr., von Jahwe zum Propheten berufen (Ez 1,1-3; 3,15).

Aus der Zeit unmittelbar nach seiner Berufung stammen wohl die meisten seiner Gerichtsworte gegen die Hauptstadt Jerusalem und das Land Israel (Ez 4-24⋅3⋅.

Auch die Fremdvölkerworte aus Ez 26-32 dürften in dieser Zeit entstanden sein.

Als im Jahr 587/586 v. Chr. Jerusalem zerstört wird, erfährt Ezechiel in der Ferne davon durch Israeliten, die dieser Katastrophe entrinnen konnten (Ez 33,21-22).

Nun beginnt die Zeit, die verstärkt durch Heilsworte Ezechiels geprägt ist.

Im Jahre 573 v. Chr., also über ein Jahrzehnt nach der Zerstörung Jerusalems, hat Ezechiel dann - wieder nach eigenen Angaben - die berühmte Vision von einem neuen Tempel, der in Jerusalem entstehen wird (Ez 40,1; vgl. Ez 29,17). ⋅4⋅

b. Zum Verhältnis Person - Verkündigung

Auch bei Ezechiel reichte die Verkündigungstätigkeit bis hinein in die persönliche Lebensgestaltung und den persönlichen Lebensvollzug.

Wir haben ja schon bei Hosea und Jeremia gesehen, wie Ehe bzw. Ehelosigkeit zur Zeichenhandlung werden konnten. Bei Ezechiel ist es der Tod seiner Frau (Ez 24,15ff). Er sagt diesen Tod voraus und erhält den Auftrag, dann, wenn er eintritt, weder zu klagen noch zu weinen, wie es ja eigentlich üblich wäre. Lediglich leises Stöhnen ist ihm erlaubt. Dies soll ein Zeichen sein: So wird man nämlich auch Israel nicht Klagen und nicht Weinen können, wenn der Tempel zerstört wird. Es wird dann selbst todverfallen sein und in wortloses Stöhnen versinken. ⋅5⋅

Auch sonst unterstreicht das Verhalten Ezechiels das, was er sagt. Das geht dann sogar soweit, dass er ganz körperlich in die Gestaltung und Intention seiner Verkündigung hineingenommen ist. Es wird dann von Zittern, Betäubtsein, Verstummen oder Gebundensein gesprochen. Besonders bei den Gerichtsankündigungen ist das der Fall. ⋅6⋅

Verschiedentlich wurden diese Phänomene als Symptome einer Krankheit Ezechiels gedeutet. Das scheint allerdings nicht unbedingt schlüssig zu sein. Hier scheint viel eher ein ins Körperliche gesteigertes Erleben von Visionen dahinterzustehen, ähnlich wie man es etwa bei Trance-Zuständen vorfindet.

2. Überblick ⋅7⋅

Sehen wir uns den Aufbau des Buches nun aber zunächst im einzelnen an.

I.
Ez 1-24
Gerichtsworte über Juda und Jerusalem
Ez 1-3
Sogenannte Thronwagenvision (Ez 1) mit Audition und symbolischem Wortempfang: Essen einer Buchrolle (Ez 2-3)
Ez 3,16ff
Beauftragung zum Wächter (vgl. Ez 33,1ff; Jer 6,17)
Ez 4-5
Drei Symbolhandlungen (eingeleitet durch Ez 3,22ff) zur Darstellung der Belagerung Jerusalems:
Ez 4,1-2. 3
Belagerung eines Lehmziegels, auf dem das Bild der Stadt eingeritzt ist
Ez 4,9ff
Rationierung von Mischbrot und Wasser zum Zeichen der Nahrungsknappheit (vgl. Jer 37,21)
Ez 5,1-2. 3-4
Abschneiden der Haare: je ein Drittel verbrennen, zerhauen, zerschneiden (vgl. Jes 7,20)
Ez 4,4-8. 12ff
Einschub: Weitere symbolische Handlunge, Tragen der Schuld und Backen des Brotes, zur Darstellung der Exilssituation
Ez 5,5ff
Gericht über Jerusalem, Mitte der Völker (Vgl. Ex 38,12)
Ez 6
Gegen die Berge (und Täler) Israels
Zerstörung und Verunreinigung der Altäre (Kulthöhen)
Ez 7
Der Tag des Endes (vgl. Am 8,2)
Ez 8-11
Vision von Jerusalems Sünde und Gericht
Ez 8
Entrückung nach Jerusalem. Vier Greuel: unreine bzw. fremde Kulte, wie Bilderverehrung, Tammuz- und Sonnenkult
Ez 9-11
Gericht
Ez 9
Sechs Straf-, ein Schreiberengel
Ez 10
Einäscherung der Stadt. Der Kerubenwagen (vgl. Ez 1)
Ez 11
Tod Pelatjas. Gottes Auszug aus dem Tempel
Ez 12
Zwei Symbolhandlungen vom Exulantengepäck (Deportation der Jerusalemer) und vom Essen und Trinken mit Zittern (Ez 12,17ff)
Ez 12,12ff
Ergänzung: Schicksal Zidkijas
Ez 12,21ff
Gewisses, baldiges Eintreffen des Prophetenwortes
Ez 13
Wehe den Propheten und Prophetinnen (vgl. Mi 3,5ff; Jer 23)
Ez 14
Kein Befragen Gottes (vgl. Ez 20,1ff) durch Götzendiener
Ez 14,12ff
Selbst die drei Gerechten - Noach, Daniel und Ijob - könnten nur sich selbst retten (vgl. Jer 5,1; 15,1)
Ez 15
Jerusalem als Rebholz, nur zum Verbrennen tauglich
Ez 16
Jerusalem als untreue Frau (vgl. Ez 23; Hos 2)
Ez 17; 19
Klage über die letzten Könige Judas (vgl. Jer 21-22)
Ez 17
"Rätsel": Allegorische Darstellung des Schicksals Jojachins (vom Adler geraubter Zedernwipfel) und Zidkijas (Weinstock vor zwei Adlern: Ägypten und Babylon)
Ez 17,13ff
Vertragsbruch Zidkijas
Ez 18
Sogenannte Lehre von der individuellen Vergeltung (vgl. Ez 33,10ff)
Der Gerechte und der Ungerechte (vgl. Ps 15; 24,3ff)
Freiheit zur Umkehr
"Ich richte jedermann nach seinem Wandel" (Ez 18,30)
Ez 19
Klagelied. Fabel von der Löwin und ihren beiden Jungen über das Königtum (Joahas, Jojachin)
und - im Nachtrag (Ez 19,10ff) - vom verdorrten Weinstock (Zidkija)
Ez 20
Geschichtsrückblick in die Wüstenzeit
Offenbarung des Jahwenamens, Übertretung des ersten Gebotes und Sabbatgebots
Ez 20,25ff
Ungute Satzungen, die nicht zum Leben führen (Forderung der Erstgeburt)
Ez 20,32ff
Zusatz: Gericht in der Wüste "von Angesicht zu Angesicht" und Heil. Zweiter Exodus
Ez 21
Jahwes "Schwert"
Ez 21,23ff
Symbolhandlung: Nebukadnezzar vor zwei Wagen
Das Los entscheidet für Jerusalem
Ez 22
Die "Blutstadt" (Ez 22,2; 24,6. 9)
Ez 22,17ff
Im Schmelzofen (vgl. Jes 1,21ff)
Ez 22,23ff
Ständepredigt. Alle verdorben
Ez 23
Die untreuen Schwestern Ohola und Oholiba, Samaria und Jerusalem (vgl. Jer 3,6ff)
Ez 24
Bild vom (verrosteten) Kessel im Feuer
Ez 24,15ff
Der Tod von Ezechiels Frau als Symbol für den Fall Jerusalems:
Keine Trauer
II.
Ez 25-32
Worte über (sieben) Fremdvölker (vgl. Am 1-2; Jer 46ff u. a.)
Ez 25
Gegen Ammon, Moab, Edom (vgl. Ez 35), Philister
Ez 26-28
Gegen Tyrus (von Nebukadnezzar aber nicht erobert; vgl. Ez 29,18)
Wie schon in Ez 19 tritt in Ez 26,15ff; 27; 28,11ff; 32 die Form des Klageliedes hervor. Dabei klingen in Ez 28-32; 47 verstärkt mythische Traditionen an
Ez 27
Klagelied über das Schiff Tyrus
Ez 28,1ff
Höllensturz des Himmelwesens (vgl. Jes 14; Ez 31,14ff; 32,17ff)
Ez 28,11ff
Klagelied: Der König als Urmensch verstoßen aus dem Gottesgarten (vgl. Gen 3)
Ez 28,20ff
Gegen Sidon und Verheißung für Israel
Ez 29-32
Gegen Ägypten (vgl. Ez 17,7ff. 15ff)
Pharao als Krokodil (Ez 29; 32) und Weltenbaum (Ez 31; vgl. Dan 4)
III.
Ez 33-39
Heilsworte
Ez 33 mit den Entsprechungen zu Ez 1-24 markiert die Wende von der Unheils- zur Heilsbotschaft
Ez 33
Beauftragung zum Wächter (vgl. Ez 3,16ff)
Ez 33,10ff
Umkehrpredigt: Der Gerechte und der Ungerechte (vgl. Ez 18)
Ez 33,21-22
Kunde vom Fall Jerusalems (vgl. Ez 3,26-27; 24,25ff)
Ez 33,23ff
Gegen die Sicherheit der im Land Verbliebenen und der Verbannten (Ez 33,30ff)
Ez 34
Die bösen Hirten Israels (Ez 34,1-10) und der wahre Hirte - Gott (Ez 34,11ff) und sein Knecht David (Ez 34,23-24; 37,22ff; vgl. Jer 23)
Ez 34,25ff
Friedensbund
Ez 35-36,15
Gericht über Seïr/Edom (wegen seines Verhaltens bei und nach dem Fall Jerusalems; vgl. Obd; Jes 34; Jes 63) und Heil über die Berge Israels (vgl. Ez 6).
Gegen Anspruch der Feinde auf das Land
Ez 36,16ff
Reinigung Israels. Neues Herz, neuer Geist (Ez 26-27; 11,16ff)
Ez 37
Vision von der Wiederbelebung der Gebeine: neues Leben und Heimkehr des Volkes
Ez 37,15ff
Symbolhandlung: Zusammenlegung zweier Hölzer mit der Aufschrift "Juda" und "Josef" als Bild für die Vereinigung von Süd- und Nordreich
Ez 38-39
Ansturm von Norden (vgl. Jer 4-6) unter Gog von Magog, dem Fürsten von Meschech und Tubal. Seine Vernichtung
Sicherung des Landes
IV.
Ez 40-48
Vision vom neuen Tempel. Sogenannter Verfassungsentwurf Ezechiels (in verschiedenen Wachstumsstadien)
Ez 40
Führung des Propheten durch einen Engel. Grundmaße des Heiligtums
Ez 43
Rückkehr von Jahwes Herrlichkeit in den Tempel
Ez 44
Diener am Heiligtum. Leviten und Priester
Ez 45-46
Der "Fürst" (vgl. Ez 44,3; auch Esra 1,8)
Ez 47
Tempelquelle (Paradiesstrom; vgl. Gen 2,10ff; Sach 14,8)
Ez 47-48
Verteilung des Landes

3. Stilistische Besonderheiten

Das Ezechielbuch ist in mancher Hinsicht anders als die älteren Prophetenbücher. Es besteht weniger aus Sammlungen von knappen, selbständigen Einzelworten als aus größeren Kompositionen. In diesen größeren Einheiten wird jeweils ein Thema breit ausgestaltet.

Dabei sind für Ezechiel folgende "Stilmittel" charakteristisch:

a. Visionen

Gegenüber der älteren Prophetie sind die Visionen bei Ezechiel ungeheuer umfangreich (Ez 1-3; 8-11; 37; 40-48). In der Verwendung solch umfangreicher visionärer Berichte ist Ezechiel eine Vorstufe zur späteren Apokalyptik.

Interessant ist, dass Ezechiel nicht nur fürbittend (Ez 9,8; 11,13), sondern auch prophezeiend und handelnd (Ez 11,4; 37,4ff) in das visionäre Geschehen selbst eingreifen kann (vgl. Ez 4,14; 21,5).

b. Bildreden

Ein wichtiges Element des Ezechielbuches sind auch die ausgedehnten Bildreden. Mittels solcher Allegorien wird derselbe Stoff mit unterschiedlichen Nuancen und Intentionen ausgemalt.

Wichtige Beispiele hierfür sind:

Verschiedene Bilder ⋅8⋅ oder auch Bild und Deutung können dabei ineinander übergehen.

  c. Geschichtsrückblicke

Ezechiel umfasst auch immer wieder die Gesamtgeschichte mit ausführlichen Geschichtsrückblicken. Durch diese Rückblicke hält er seinen Zeitgenossen die Geschichte immer wieder mit ungemein kritischer Schärfe anklagend und drohend vor Augen. ⋅9⋅

d. Wendungen

Mehr oder weniger typisch sind auch bestimmte Wendungen, wie etwa

  • die Erkenntnisformel: Ihr werdet bzw. du wirst (oder ähnliches) erkennen, dass ich Jahwe bin.
    Diese Formel findet sich zum Beispiel in Ez 6,7. 13-14 und öfters. Mit ihr beschließt Ezechiel gerne eine Ankündigung, dass Jahwe dies oder jenes tun wird. ⋅10⋅
  • Eine andere Wendung ist der Auftrag zu einer sogenannten Ausdruckshandlung: Richte dein Angesicht gegen.
    Sie liegt in Ez 6,2; 21,2. 7; 38,2 und öfters vor.
  • Eine Selbstaussage Jahwes betont bei Ezechiel gegen Ende durchweg die Bestätigung oder Verwirklichung des Wortes: Ich, Jahwe, habe geredet - und tue es.
    Solche Wendungen begegnen in Ez 5,15. 17; 17,24; 37,14 und öfters (vgl. Ez 12,25ff).
  • Von besonderer Wichtigkeit ist die Anrede des Propheten durch Gott als Menschensohn.
    Sie bedeutet wohl soviel wie "Mensch", "Einzelperson", "Geschöpf" (Ez 2,1 und öfters).

e. Prophetische Traditionen

Ezechiel schildert Ereignisse gerne so, dass sie an alte prophetische Traditionen erinnern. Dabei bedient er sich dann allerdings meist nur des Rahmens und verleiht den alten Traditionen neue Akzente.

Zu diesen Redeweisen, die zum Teil noch aus der Zeit der alten Propheten stammen, gehört es zum Beispiel, wenn Ezechiel davon spricht:

  • dass er durch Jahwes "Hand" ergriffen wurde (Ez 1,3; 8,1; 27,1; 40,1 u. a.; vgl. 1 Kön 18,46)
  • oder dass der "Geist" ihn entrückt hat (Ez 3,12ff; 8,3, u. a.; vgl. 2 Kön 2,16; 5,26).
  • Auch wenn geschildert wird, dass die Ältesten vor ihm in seinem Haus sitzen, erinnert das an alte prophetische Praxis - der Prophet, der an einem bestimmten Ort sitzt, und zu dem man kommt, um ihn um Rat zu fragen (Ez 8,1; 14,1; 20,1; vgl. 2 Kön 6,32).

Aber auch an die Thematik der älteren Schriftpropheten knüpft Ezechiel an. Insbesondere an Jeremia. ⋅11⋅

f. Kultische bzw. liturgische Sprache

Auffallend ist ebenfalls, dass Ezechiel ein nicht geringes Interesse am Tempel und seinen Einrichtungen hat (besonders Ez 8; vgl. Ez 40ff). Dies wird möglicherweise dadurch verständlich, dass er selbst Priester, auf jeden Fall aber Priestersohn gewesen ist (Ez 1,3).

Dieser Aspekt könnte auch erklären, dass seine Sprache anders als bei den älteren Schriftpropheten auffällige Berührungen mit priesterlicher Ausdrucksweise aufweist. Insbesondere eine Nähe zum Heiligkeitsgesetz (Lev 17-26) ist in diesem Zusammenhang deutlich festzustellen.

4. Zur Redaktionsgeschichte

Trotz der ähnlichen Sprache und immer wiederkehrender stilistischer Eigenheiten, gibt es auch eine Reihe von Hinweisen darauf, dass das Ezechielbuch nicht aus einem Guss ist.

  • Die Breite der Darstellung,
  • die Wiederaufnahme von Themen,
  • gewisse Unebenheiten,
  • sowie mehr oder minder deutlich erkennbare Wachstumsstadien

deuten darauf hin, dass eine - anonym bleibende - "Schule" die vorgegebenen Prophetenworte nicht nur gesammelt und verknüpft hat, sondern auch eigenständig ausgelegt, weitergeführt, neu gestaltet, ja und wohl auch "fortgeschrieben" hat. ⋅12⋅

Durch seinen auffällig einheitlichen Stil macht das Buch die Unterscheidung zwischen ursprünglichem Gut und sekundärer Bearbeitung allerdings sehr schwer.

So lässt sich kaum Genaues sagen. Die Forschung schwankt zwischen mehr Zutrauen und mehr Skepsis. Neuerdings bricht die Skepsis im Anschluss an die Kritik G. Hölschers allerdings wieder mehr auf. ⋅13⋅

Nach G. Hölscher bilden vor allem die Visionen und Gedichte den Kern des ursprünglichen Ezechiel-Buches.

5. Zur Theologie Ezechiels

Zur Theologie Ezechiels kann man in aller gebotenen Kürze folgendes sagen:

a. Gerichtsbotschaft

In den letzten Jahren vor der Katastrophe hat auch Ezechiel - wie die älteren Schriftpropheten - eine harte Gerichtsbotschaft zu bringen. Ezechiel greift hier die Unheilsbotschaft seiner Vorgänger auf und spitzt sie noch einmal zu.

In immer neuen Variationen,

kündet Ezechiel dem Land und der Stadt Jerusalem das "Ende" (Ez 7) an. ⋅14⋅

b. Heilsbotschaft

Die Nachricht vom Fall Jerusalems (Ez 33,21-22; vgl. Ez 3,25ff; 24,25ff) bedeutet nach der durch die Redaktion bewusst betonten Darstellung des Buches einen Umschwung in der Verkündigung Ezechiels.

Nun beginnt die Heilsbotschaft des Propheten.

Im Aufbau des Buches korrespondieren so Unheils- und Heilsansage.

  • Dem Auszug aus dem Heiligtum (Ez 8-11) entspricht Gottes Rückkehr (Ez 40-48; vgl. auch Ez 6 mit Ez 36).
  • Auf der einen Seite steht die tief verwurzelte Schuld des Volkes, auf der anderen nun die Erwartung eines neuen Lebens durch einen neuen Schöpfungsakt Gottes (vgl. Ez 36,21ff).
  • Dem hoffnungslosen Resümee der Exilierten "Verdorrt sind unsere Gebeine" (Ez 37,11; vgl. 33,10; Jes 49,14) tritt nun die Vision von der Erweckung der Gebeine entgegen: "Siehe, ich bringe Lebensodem in euch" (Ez 37; vgl. Gen 2,7). ⋅15⋅

c. Ein neuer, ewiger Bund

Das heißt aber, dass Gott nicht einfach das Alte wiederherstellen wird. Er wird etwas Neues schaffen. An die Stelle des alten Bundes wird ein ewiger Bund treten (Ez 16,60; 37,26-27).

Dies wird nicht als Belohnung geschehen, weil das Volk etwa zu Jahwe zurückgekehrt wäre. Das Ganze geschieht rein aufgrund der Huld Jahwes - heute würden wir sagen: geschenkweise, aufgrund der Gnade. Die Reue der Menschen wird erst anschließend folgen (vgl.: Ez 16,62-63).

d. Ein neuer David

In dieser neuen Zeit erwartet auch Ezechiel einen neuen David, aber viel verhaltener, als das andere Propheten tun. ⋅16⋅

Ezechiel erwartet hier nicht einen Messiaskönig voll Herrlichkeit. Der künftige Herrscher ist nicht einmal ein König, er ist nur noch "Fürst" und übernimmt Gottes eigene Aufgabe (Ez 34,10ff). Er wird der wahre Hirt seines Volkes sein.

e. Individuelle Vergeltung

Ein wichtiges Ergebnis der Theologie Ezechiels ist auch der Bruch mit der Vorstellung von der Gemeinschaftlichkeit in der Strafe. Ezechiel spricht von der individuellen Vergeltung (Ez 18; vgl. Ez 33). ⋅17⋅

f. Verinnerlichung von Religion

Ezechiel ist zwar ein mit dem Tempel innig verwachsener Priester, aber er bricht dennoch, wie das auch schon Jeremia getan hatte, mit der Vorstellung, dass Gott an sein Heiligtum gebunden sei.

Der Altar in seiner Berufungsvision hat Räder bekommen. Er ist nicht mehr an Jerusalem gebunden. Außerdem begegnet Gott dem Ezechiel in dieser Vision im Exil, in einem fernen, unreinen Land.

So vermählen sich in Ezechiel priesterlicher und prophetischer Geist; eine Spannung, die in seiner ganzen Botschaft bestehen bleibt und nicht restlos harmonisiert wird.

Die Riten, die bestehen bleiben, erhalten ihren Wert nun erst durch die Gesinnung, den Geist, der sie beseelt. Die ganze Lehre Ezechiels kreist um diese innere Erneuerung. Man muss sich ein neues Herz und einen neuen Geist schaffen (Ez 18,31).

Einer der Kernpunkte seiner Verheißung ist in diesem Zusammenhang Ez 36,26, jene Stelle, in der Gott selbst verspricht, dies im Menschen zu bewerkstelligen:

"... ich werde euch ein neues Herz geben und einen neuen Geist in euer Inneres geben, euer steinernes Herz wegnehmen und euch ein Herz von Fleisch geben." (Ez 36,26⋅18⋅

6. Zur Wirkungsgeschichte

Mit Ezechiels Verkündigung von der göttlichen Huld, die die Reue voraussieht, steht man hier an der Schwelle einer Theologie der Gnade, die dann Johannes und Paulus im Christentum entfalten werden.

Die Vergeistigung aller religiösen Gegebenheiten ist der große Beitrag des Ezechiel. Er steht wie Jeremia - nur auf eine andere Weise - am Ursprung einer überaus bedeutenden Geistesströmung, die das ganze nachfolgende Judentum durchzogen hat.

Darüber hinaus steht er am Anfang der apokalyptischen Strömung. Seine großartigen Visionen sind ein Vorspiel zu den Gesichtern Daniels. Von daher ist es alles andere als überraschend, dass man in der Apokalypse des Johannes so oft seinen Einfluss wiederfindet.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 247-256; Alfons Deissler, Anton Vögtle (Hrsg.), Neue Jerusalemer Bibel (Freiburg / Basel / Wien 1985) 1019-1021. Zur Anmerkung Button

2 Hebräisch "Ähren-", babylonisch "Sintfluthügel".
(Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 248.) Zur Anmerkung Button

3 Vgl. Ez 8,1; 20,1; 24,1. Zur Anmerkung Button

4 Die Vision vom Jerusalemer Tempel (Ez 8-11) hat zur Frage Anlass gegeben, ob Ezechiel nicht auch in Palästina aufgetreten sei. Gerade die Worte des ersten Teils, die an die Bewohner Jerusalems gerichtet sind, scheinen eine solche Vermutung ja nahezulegen (vor allem Ez 11,13).
So wurde die Hypothese von einem zweifachen Wirken Ezechiels aufgestellt: Bis nach dem Zusammenbruch Jerusalems im Jahre 587 v. Chr. sei er in Palästina geblieben und hätte hier gepredigt. Erst danach sei er zu den Verbannten nach Babylon gekommen. Die Vision von der Buchrolle (Ez 2,1-3,9) bezeichne die Berufung des Propheten in Palästina, die Vision vom Thronwagen Gottes (Ez 1,4-28 und Ez 3,10-15) die Ankunft bei den Verbannten. Durch die Umstellung dieser Vision an den Anfang sei die ganze Perspektive des Buches verändert. worden Diese Hypothese vermag manche Schwierigkeiten zu lösen, aber sie wirft andere neu auf. Sie setzt weitgehende Textveränderung voraus; sie muss annehmen, dass Ezechiel selbst während seines "palästinensischen" Wirkens gewöhnlich außerhalb der Stadt lebte, da er in sie "überführt" wird (Ez 8,3). Und wenn Ezechiel und Jeremia gemeinsam in Jerusalem gepredigt hätten, ist doch auffällig, dass sich bei keinem von beiden eine Anspielung auf das Wirken des anderen findet.
Andererseits sind die Schwierigkeiten der herkömmlichen These nicht unüberwindlich. Die Vorwürfe, die an die Leute von Jerusalem gerichtet werden, dienten als Lehre für die Verbannten. Wenn Ezechiel in der Heiligen Stadt zu sein scheint, so sagt der Text ausdrücklich, dass er "in einer göttlichen Vision" (Ez 8,3) hingebracht und ebenfalls "in dieser göttlichen Vision" wieder zurückgebracht wurde (Ez 11,24). Die Hypothese von einem doppelten Wirken wird darum kaum mehr vertreten.
(Vgl.: Alfons Deissler, Anton Vögtle (Hrsg.), Neue Jerusalemer Bibel (Freiburg / Basel / Wien 1985) 1020.) Zur Anmerkung Button

5 Vgl.: Hans Ferdinand Fuhs, Ezechiel (= Die Neue Echter Bibel) (Würzburg 1984) 132. Zur Anmerkung Button

6 Vgl. Ez 3,15. 22ff; Ez 4,4ff; Ez 6,11; Ez 12,17ff; Ez 21,11ff; Ez 33,21f u. a. Zur Anmerkung Button

7 Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 250-253. Zur Anmerkung Button

8 So das Bild vom Weinstock und vom Adler Ez 17.
(Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 249.) Zur Anmerkung Button

9 Dies kann bildlich (Ez 16 von Jerusalem; Ez 23 von beiden Reichen) oder unbildlich (Ez 20) geschehen. Ezechiel umgreift die Gesamtgeschichte dabei von den fragwürdigen Ursprüngen an (Ez 16,2; 20,7-8; 23,3).
(Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 248.) Zur Anmerkung Button

10 W. Zimmerli nennt diese Formel daher "Erweiswort".
(Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 249.) Zur Anmerkung Button

11 Vgl. bezüglich seiner Verkündigung Ez 7 mit Am 8,2 und in Bezug auf seine Bildrede Ez 16; 23 mit Hos 2; Jer 3. Zur Anmerkung Button

12 Eine Auslegung "wird mit der Einsicht Ernst zu machen haben, daß das Prophetenworte durch das Medium der überlieferten Schule gebrochen ist. Ihr Werk ist dabei nicht nur in der formalen Redaktion und Aneinanderfügung des überlieferten Wortgutes zu erkennen. Vielmehr greift es, gewiß im einzelnen in unterschiedlicher Stärke, in das überkommene Wortgut ein."
(W. Zimmerli, Ezechiel (1972) 21, zitiert in: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 247.) Zur Anmerkung Button

13 Er verstand das Buch - wesentlich auf Grund der Unterscheidung zwischen poetischen und prosaischen Texten - als "ein vielschichtiges Redaktionswerk, in welchem die Visionen und Gedichte des Propheten Hesekiel nur den Kern bilden" (1924, 26).
(Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 247.) Zur Anmerkung Button

14 Wird durchweg die Unwiderruflichkeit des Gerichts vor Augen gestellt, das keinen Rest verschont (Ez 9,8ff; 11,13; 15; 21,3. 6ff; 22; 24 u. a.), so steht dieser Einsicht jedoch vor allem das visionäre Geschehen von Ez 9 entgegen: Wer durch eine - priesterliche - Schreibergestalt ein Zeichen (in Kreuzform?) an der Stirn erhält, ist dem Morden der sechs Verderberengel und damit dem Gericht entzogen (vgl. auch Ez 5,3 u. a.). In dieser Szene klingt der Schutzritus des Passahblutes (Ex 12,23-24) wieder an.
(Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 254.) Zur Anmerkung Button

15 Diese Neuschöpfung, Wiederbelebung des Totenfeldes und Öffnung der Gräber, symbolisiert Wiedergeburt, Befreiung, genauer: Heimkehr des Volkes. Sie wird in der sich innerhalb des Buches unmittelbar anschließenden Symbolhandlung von der Verbindung der beiden Holzstäbe um die Hoffnung auf Wiedervereinigung von Juda und Israel ergänzt (Ez 37,15ff; vgl. Hos 2,1-3). Zur Anmerkung Button

16 Die Erwartung eines neuen David für diese neue Zeit, tritt wohl erst in den jüngeren Schichten des Buches hinzu (Ez 34,23-24; 37,24-25; vgl. Ez 17,22ff). Zur Anmerkung Button

17 Eine vorläufige theologische Lösung, die, allzu oft von den Fakten widerlegt, langsam zur Vorstellung einer Vergeltung im Jenseits führen wird.
(Vgl.: Alfons Deissler, Anton Vögtle (Hrsg.), Neue Jerusalemer Bibel (Freiburg / Basel / Wien 1985) 1021.) Zur Anmerkung Button

18 Vgl.: Ez 11,19; 18,31; Jer 24,7; 31,33. Zur Anmerkung Button