Der Isenheimer Altar

und seine Botschaft


Zurück-Button Paul Hindemiths Oper "Mathis der Maler"

"Vom Musiker und Bühnendichter wird man kein Werk verlangen, das den wissenschaftlichen Anforderungen eines Kunsthistorikers genügt, ihm ist aber zweifellos zuzubilligen, was einem Maler geschichtlicher Personen und Geschehnisse von jeher erlaubt war: zu zeigen, was ihn die Historie lehrte und welchen Sinn er in ihrem Ablauf erkennt. Wenn ich versucht habe, in bühnenmäßiger Form darzustellen, was ich aus den wenigen Lebensdaten des Mathis Gothart Nithart las und welche Verbindung zu seinen Werken sie mich erahnen ließen, so deshalb, weil ich mir keine lebensvollere, problematischere, menschlich und künstlerisch rührendere, also im besten Sinne dramatischere Figur denken kann als den Schöpfer des Isenheimer Altars, der Karlsruher Kreuzigung und der Stuppacher Madonna." ⋅1⋅

Das schreibt der am 16. November 1895 in Hanau geborene Komponist Paul Hindemith. In den Jahren 1933 bis 1935 schuf er die Oper über den Maler Mathis - Künstleroper, historische Oper und nicht minder geistliches Stück. ⋅2⋅

Ein wenig Biographisches

Fotographie

Paul Hindemith 1945
während seines Lehraufenthaltes in den USA.

Lizenz: Anonym, Paul Hindemith USA, CC BY-SA 3.0

Paul Hindemith kam schon sehr früh mit Musik in Berührung. Sein Vater ließ ihn und seine 1898 und 1900 geborenen Geschwister Antonie und Rudolf schon seit frühester Kindheit musikalisch unterrichten und unter dem Namen "Frankfurter Kindertrio" auftreten. Dass der Vater sich im Alter von 44 Jahren 1914 als Kriegsfreiwilliger meldete und im September 1915 in der Champagne als Infanterist im Krieg fiel, war ein einschneidendes Erlebnis.

Nach einer Komponistenausbildung hatte Hindemith von 1915 bis 1923 die Stelle des Konzertmeisters an der Frankfurter Opernbühne inne, spielte gleichzeitig dort die zweite Violine und nach dem ersten Weltkrieg im Frankfurter Amar-Quartett die Bratsche. Nach seiner Hochzeit im Jahre 1924 entstanden mehrere Auftragswerke für das neue Medium Rundfunk. Zudem wurde er 1927 zum Professor für Komposition an die Berliner Hochschule für Musik berufen.

Schon mit dreißig Jahren galt er als einer der einflussreichsten und geachtetsten modernen Musikern Europas. Seine musikalischen Aktivitäten als Bratscher führten ihn in den Dreißigerjahren  zunehmend ins europäische Ausland und in die USA. Parallel dazu wurde seine Arbeit in Deutschland mehr und mehr behindert. Von Seiten der NSDAP bezweifelte man zwar nicht sein musikalisches Können, agitierte aber gegen seine "untragbare Gesinnung". Schon 1934 galt für seine Werke Sendeverbot im deutschen Rundfunk und Joseph Goebbels bezeichnete ihn als "atonalen Geräuschemacher". Der publizistische Versuch Wilhelm Furtwänglers 1934 positiv auf die Situation Hindemiths aufmerksam zu machen, missriet und hatte letztlich gegenteiligen "Erfolg".

Nachdem die Aufführung seiner Werke ab 1936 verboten worden war, kündigte Hindemith 1937 seine Stellung. Im Mai 1938 wurde während der "Reichsmusiktage“ in Düsseldorf die Ausstellung "Entartete Musik“ gezeigt, in der neben Mahler, Schönberg, Krenek oder Toch auch Hindemith angegriffen und verunglimpft wurde. Ausdrücklich verwies man auf die jüdische Abstammung seiner Ehefrau. In der Folge gingen Paul Hindemith und seine Frau ins Exil, zunächst in die Schweiz, dann in die USA.

1946 erhielt Hindemith die amerikanische Staatsbürgerschaft und lehrte an der Universität Yale, sowie ab 1951 zusätzlich in Zürich, wo ein eigener Lehrstuhl für ihn eingerichtet wurde. 1953 siedelte er ganz zurück in die Schweiz und lebte in seiner Villa am Genfersee. Mit vielfachen Ehrungen ausgezeichnet beendete er 1957 seine Lehrtätigkeit, widmete sich dem Dirigieren und ging auf Tournee durch die ganze Welt. In einem Krankenhaus in Frankfurt am Main starb Paul Hindemith am 28. Dezember 1963 an einer Bauchspeicheldrüsenentzündung.

"Hast du erfüllt, was Gott dir auftrug?"

Hindemiths Oper "Mathis der Maler" ist ein Werk, bei dem die Handlung, die Titelfigur, die Abfassungszeit und die Biographie des Komponisten auf eine Art und Weise miteinander korrespondieren, wie es bei kaum einer anderen Oper der Musikgeschichte der Fall sein dürfte.

Schon die Schauplätze der Handlung verweisen in Hindemiths Heimat. Der Komponist fühlte sich als Frankfurter, als Hesse. Zeitlebens sprach er unverfälschtes Frankfurterisch. Das nahe Mainz war der Sitz seines Verlages und nicht nur in der Vergangenheit eines der großen geistlichen Zentren nördlich der Alpen.

Bevor sich Hindemith für den Mathis-Stoff entschieden hatte, spielte er mit dem Gedanken, eine Gutenberg-Oper zu komponieren, die ebenfalls hauptsächlich in Mainz gespielt hätte. Der Ort der Handlung ist demnach keine bloße Äußerlichkeit, wie Rudolf Stephan betont. ⋅3⋅

Auch die Auseinandersetzung um die "rechte Art zu glauben" spiegelt sich in Hindemiths Leben wider. Von Haus aus evangelischer Konfession, fühlte er sich in den frühen Dreißigerjahren stark zum Katholizismus hingezogen. Wenn auch seine Beweggründe unbekannt sind, so spiegelt sich dieses innere Ringen deutlich in seinem musikalischen Schaffen. Sowohl in der Oper wie auch im einige Jahre später entstandenen Tanzspiel "Nobilissima Visione", in dessen Mittelpunkt die Gestalt Franz von Assisis steht, geht es um Visionen, die den rechten Weg weisen und dem Betreffenden die Erkenntnis seiner Bestimmung vermitteln. ⋅4⋅

Auf dem Hintergrund des Sprechens von entarteter Kunst und Bücherverbrennungen erwächst dem Stoff der Oper Hindemiths eine geradezu beklemmende Aktualität. Die Frage nach dem Platz der Kunst und der Rolle des Künstlers und die Versuchung allem zu Entsagen und die innere Emigration zu wählen, sind nicht nur die Fragen, die sich Meister Mathis angesichts der Spannungen und Umbrüche seiner eigenen Zeit stellt. Mathis und sein Arbeitgeber, der Kardinal Albrecht von Brandenburg, erhalten in der Oper eine tiefe Einsicht: Sie werden zur Erkenntnis der Notwendigkeit geführt, die auferlegte Pflicht zu erfüllen. Eine Antwort, die weit über die Oper hinausweist.

Oper in sieben Bildern

Mit einem Vorspiel, das den Titel "Engelskonzert" trägt beginnt das Stück. Dieser bewussten Anlehnung an die bekannte Darstellung der zweiten Schauseite des Isenheimer Altares korrespondiert das alte Lied "Es sungen drei Engel ein' süßen Gesang", dessen Melodie Hindemith im Vorspiel erstmals aufnimmt. Es durchzieht als ein großes Thema in Wort und Musik letztlich die ganze Oper.

Erstes Bild - "Hof eines Antoniterklosters, Mai 1525"

Das erste Bild ist datiert auf Mai 1525 und führt in den Hof eines Anoniterklosters, in das sich Mathis zurückgezogen hat. Sein Auftraggeber, Kardinal Albrecht von Brandenburg, hat ihm eine einjährige Auszeit gewährt, die der Maler zur Arbeit im Kloster nutzte.

Hindemith, der auch den Text der Oper verfasste, recherchierte sehr gründlich. Die geschilderten Ereignisse haben ihren geschichtlichen Hintergrund. Und alle Personen - mit einer einzigen  Ausnahme - sind historisch verbürgt. So auch Hans Schwalb, für den der Verfasser der Schrift "Beklagungen eines Laien genannt Hans Schwalb über viele Missbräuche christlichen Lebens" aus dem Jahre 1521 Pate stand. Er wird in der Oper zum Bauernführer, der auf der Flucht vor den Soldaten bei den Antonitern Unterschlupf sucht. Einzig seine Tochter Regina ist eine fiktive Gestalt. Ihre kindliche Unschuld bezaubert Mathis und veranlasst ihn, ihr ein Band zu schenken, das er selbst als Liebesunterpfand erhalten hatte.

Mathis' eigene Zweifel am Sinn seines weltfernen Schaffens bekommen durch Schwalb neue Nahrung. Der Bauernführer macht dem Maler heftige Vorhaltungen und konfrontiert ihn mit der Frage, wie er während des Krieges seelenruhig malen könne.

Mit Sylvester von Schaumberg begegnet eine weitere historische Person. Schaumberg, der 1536 starb, gilt als Vorkämpfer Luthers und dessen Beschützer. Von Hindemith wird er mit nicht ganz korrekter Rollenbeschreibung an die Spitze des Bundesheeres gestellt, das den Bauernführer verfolgt. Die Soldaten nähern sich dem Kloster. In dieser Situation verhilft Mathis Hans Schwalb und seiner Tochter zur Flucht, woraufhin die Soldaten ihm androhen, ihn bei seinem Dienstherrn zu verklagen.

Zweites Bild - "Saal der Martinsburg zu Mainz"

Szenenfoto

Szenenfoto einer Aufführung der Oper
am Badischen Staatstheater in Karlsruhe -
Zweites Bild, "Saal der Martinsburg zu Mainz" -
Mauro Nicoletti ("Albrecht"), Thomas J. Mayer ("Mathis")
und Matthias Wohlbrecht ("Capito").

Foto: Jacqueline Krause-Burberg -
Mit freundlicher Genehmigung des Badischen Staatstheaters Karlsruhe.

Unter Papstanhänger, Prote­stanten und Studenten als Vorreiter des Humanismus entbrennt zu Beginn des zweiten Bildes in einem Saal der Martinsburg zu Mainz ein regelrechter Glaubensstreit, dem erst das Eintreffen Kardinal Albrechts Einhalt gebietet. Der Bischof bringt die Reliquien des Heiligen Martin nach Mainz - Anlass zu einem Fest, das aber nur schwer überspielen kann, dass der Kardinal finanziell wie politisch in Nöten ist.

Im Grunde ist er gegenüber den Lutheranern und den "neuen Freiheiten" aufge­schlossen und würde dem Rat seines Kurfürstlichen Kanzlers Wolfgang Capito (1478-1541) gerne folgen, sie vor den Sanktionen zu beschützen, fügt sich aber dennoch den Weisungen Roms, auf die ihn sein Domdechant, der in Laurentius Truchseß von Pommersfelden sein historisches Vorbild hat, unmissverständlich hinweist: Die reformato­rischen Schriften sollen verbrannt werden.

Meister Mathis, der sich nach seiner einjährigen Auszeit zurückmeldet, sorgt für zusätzliche Aufregung. Der gerade eintreffende Sylvester von Schaumberg zeigt den Maler an und beschuldigt ihn dem Bauernführer zur Flucht verholfen zu haben. Obschon ihn der Kardinal in Schutz nehmen möchte, bezieht Mathis deutlich Stellung für die Sache der Bauern und quittiert seinen Dienst. Albrecht hindert ihn nicht.

Das Ganze wird von Ursula Riedinger verfolgt, die gekommen war, um Mathis endlich wiederzusehen. Sie war es, die diesem einst das Band geschenkt hatte, das er mittlerweile an Regina Schwalb weitergegeben hat. Die historische Ursula Riedinger, gilt als Geliebte des Kardinals. Er scheint aus seiner Beziehung zu ihr nie ein Geheimnis gemacht zu haben. Bekannt sind etwa Gemälde Lukas Cranachs d. Ä. auf denen Albrecht von Brandenburg als Heiliger Erasmus und Ursula Riedinger als Heilige Ursula dargestellt sind.

Drittes Bild - "Haus Riedingers am Marktplatz in Mainz"

Gegen die Zusage des Kardinals, das Haus des reichen Mainzer Bürgers Riedinger - Ursulas Va­ter - zu verschonen, wird das Anwesen durch­sucht und die darin von den Anhängern der Refor­mation in vermeintliche Sicherheit ge­brachten Schriften dem Scheiterhaufen zuge­führt.

Capito hat den Protestanten gleichsam als Entschädigung jedoch ein Schreiben Luthers an den Kardinal, in dem derselbe aufgefordert wird, dem geistlichen Stand zu entsagen und sich als weltlicher Fürst zu verehe­lichen. Das Schreiben ist authentisch. Luther richtete es am 2. Juni 1525, elf Tage vor seiner eigenen Hochzeit mit Katharina von Bora an Kardinal Albrecht. Hindemith zitiert den Wortlaut in seiner Oper nahezu wörtlich.

In weiteren Verlauf des Stücks wird Ursula Riedinger nun als Braut für den Kardinal auserkoren. Während sich Capito von einer solchen Heirat die Sanierung der Staatsfinanzen erhofft, sehen die Anhänger der Reformation darin die Chance, endlich dem "neuen Glauben" zum Sieg zu verhelfen. Ursula Riedinger ist bereit, für ihren Glauben jedes Opfer zu bringen, hofft aber auf die Liebe des Malers Mathis und will mit ihm fliehen. Mathis aber hat sich bereits entschlossen, an der Seite der Bauern in den Krieg zu ziehen.

Viertes Bild - "Königshofen"

Szenenfoto

Szenenfoto einer Aufführung der Oper
am Badischen Staatstheater in Karlsruhe -
Drittes Bild, "Königshofen" -
Luiz Molz ("Truchseß"), Thomas J. Mayer ("Mathis")
und Mitglieder des Chores.

Foto: Jacqueline Krause-Burberg -
Mit freundlicher Genehmigung des Badischen Staatstheaters Karlsruhe.

Die furchtbare Bluttat der Bauern am 16. April, dem Ostersonntag des Jahres 1525, nimmt Hindemith zum historischen Hintergrund des vierten Bildes der Oper. Damals wurde in der württem­bergischen Stadt Weinsberg, nach deren Eroberung durch aufständische Bauern der Graf Ludwig von Helfenstein mit einem Dutzend weiterer Adliger umgebracht. Nur seine Frau Margaretha und das zwei­jährige Söhnchen ließ man am Leben. Für Martin Luther, der anfangs Sympathien für die Bauern zeigte, war dies Anlass für seine Schrift "Wider die mörderischen Rotten der Bauern", in der er den Adel zu unnachsichtiger Härte gegen die Aufständischen aufforderte.

Hindemith schildert den Überfall auf die Burg und die Ermordung des Grafen. In der Oper versucht Mathis die Gräfin zu schützen und wird dabei selbst verletzt.

Schwalb - außer sich über die Undiszipliniertheit der Bauern - ruft zu den Waffen. Das Heer unter Führung des Truchseß von Waldburg nähert sich. Doch Schwalb fällt und die Bauern werden vernichtend geschlagen. Historischer Hintergrund für diese Niederlage ist die Schlacht bei Königshofen, die  im Juni 1525 stattfand.

Hindemiths Mathis entgeht der Hinrichtung durch die siegreichen Soldaten des Truchseß da die gerettete Gräfin, die ihrerseits dem Maler ja ihr Leben verdankt, für diesen Fürsprache einlegt. Mathis bleibt allein zurück - wie betäubt, zerrissen zwischen den Fronten:

"Du maßest dir an, der Vorsehung weisen Plan zu bessern. Und was bist du gewesen? Ein unzufriedner Maler, ein mißratner Mensch ..." ⋅5⋅

Fünftes Bild - "Arbeitszimmer des Kardinals in der Martinsburg"

Das fünfte Bild der Oper spielt ins Arbeitszimmer des Kardinals in der Martinsburg. Albrecht von Brandenburg soll auf Betreiben seines Ratgebers Capito die Frau empfangen, die ihm nun von den Protestanten als Ehefrau angeboten wurde. Völlig überrascht ist er, als Ursula Riedinger eintritt. Sie versucht ihn für die neue Lehre zu gewinnen. Ihre Opferbereitschaft macht dem Kardinal aber sein eigenes Treuegelübde bewusst. Er beschließt, allem Prunk zu entsagen und - einem Eremiten gleich - in Demut nur noch seinem Glauben zu leben.

Sechstes Bild - "Im Odenwald"

Szenenfoto

Szenenfoto einer Aufführung der Oper
am Badischen Staatstheater in Karlsruhe -
Sechstes Bild, "Im Odenwald" -
Thomas J. Mayer ("Mathis") und der Badische Staatsopernchor.

Foto: Jacqueline Krause-Burberg -
Mit freundlicher Genehmigung des Badischen Staatstheaters Karlsruhe.

Es sind die Tafeln des Isenheimer Altares, die das sechste Bild bis in Einzelheiten hinein prägen. Regina ist mit Mathis in den Odenwald geflohen. Sie glaubt sich verfolgt und hat beständig ihren toten Vater vor Augen. Mathis versucht sie zu trösten, indem er ihr von den musizierenden Engeln seines Altares erzählt.

Ihn selbst plagen nicht minder Schreckens-Visionen. Er verschmilzt mit der Gestalt des Heiligen Antonius, die - wie auf der Versuchungstafel gemalt - von allerlei Dämonen geplagt wird. Die "Üppigkeit" in Gestalt der Grä­fin, ein "Kaufmann" - der Dechant Pommers­felden -, eine "Bettlerlin" in Gestalt der Ursula, die zu einer "Buhlerin" und schließlich zur "Märtyrin" wird, Capito als "Gelehrter" und Schwalb als "Kriegsherr" dringen auf ihn ein.

"Der ärgste Feind sitzt in dir selbst. Ist dir die Gabe, Dinge zu sehen, sieh nicht genau hin. Kannst du denken, denke nichts zu Ende. Bezwinge dich, Letztes zu erfühlen. Kannst du dich nicht bescheiden, stößt dich zurück das Leben, die Hölle nimmt dich auf ..." ⋅6⋅

... mit diesen Worten fällt der Chor über ihn her. So dass Mathis nicht mehr anders kann, als den Text der Versuchungstafel des Altares zu zitieren:

"Ubi eras, Jhesu, bone, ubi eras, quare non affuisti, ut sanares vulnera mea?" -
Wo warst du, guter Jesus, wo warst du? Warum bist du nicht dagewesen, um meine Wunden zu heilen?

Abschließend tritt - analog zum Besuchsbild des Altares, Paulus in Gestalt des Albrecht von Brandenburg auf, um den Maler wieder neu den Sinn seines Lebens erkennen zu lassen. Durch seine Malerei soll er sich dem Volk widmen und durch seine Kunst alle irdische Vergänglichkeit überwinden.

"Sollen wir uns echt bewähren,
muß unser Tun nach beiden Mitten weisen.
Laßt uns dem Boden danken.
Laßt uns den Himmel preisen.
Alleluia!" ⋅7⋅

Siebentes Bild - "Mathis' Werkstatt, einige Zeit später"

Szenenfoto

Szenenfoto einer Aufführung der Oper
am Badischen Staatstheater in Karlsruhe -
Siebtes Bild, "Mathis' Werkstatt, einige Zeit später" -
Diana Tomsche ("Regina").

Foto: Jacqueline Krause-Burberg -
Mit freundlicher Genehmigung des Badischen Staatstheaters Karlsruhe.

In einigem zeitlichem Abstand zum sechsten Bild schließt die Handlung mit dem ans Ende seines Schaffens und seines Lebens gekommenen Maler. Erschöpft ruht er von der Arbeit in seiner Werkstatt.

Regina, die den Tod des Vaters und die Flucht nicht verkraftet hat, ist dem Tode nahe. Sie gibt Ursula das Band zurück, das Mathis ihr im Antoniterkloster schenkte und stirbt, nachdem sie noch einmal das Lied von den drei Engeln mit ihrem süßen Gesang angestimmt hat. 

Es folgt ein Zwischenspiel, das Hindemith mit den Worten "Die Grablegung" überschrieben hat und das von der gleichnamigen Tafel des Isenheimer Altares inspiriert ist.

Noch einmal tritt Kardinal Albrecht auf, der den Maler zum Bleiben bewegen will und ihm sein Haus als Ruhesitz anbietet. Doch der Maler, der sein Werk vollendet hat, lehnt ab. Er fühlt sein Ende nahe.

"Sie mögen noch bewahren,
wenn man mich begraben hat, einen Hauch dessen,
was ich an Gutem übte,
was ich erstrebte,
was ich erschuf,
was mir an Ehren ward,
was mich bedrängte,
was ich liebte." ⋅8⋅

Geburtsstunde des Isenheimer Altares?

Auf vielfältige Weise ist Mathis Gothart Nitharts Isenheimer Altar in Hindemiths Oper präsent. Doch an keiner Stelle werden die Tafeln des Altares ausdrücklich erwähnt. Das Werk, an dem Mathis arbeitet, wird nicht näher bezeichnet. Welches Werk ist es, das Mathis nun zu Beginn des siebten Bildes gerade vollendet hat?

Obschon Hindemith sich nicht darüber geäußert hat, kann man nicht selten lesen, dass der Komponist in seiner Oper die Entstehung des Isenheimer Altares schildere. So sei das sechste Bild mit der Darstellung der Versuchung des Antonius gleichsam die "Geburtsstunde des Isenheimer Altares" ⋅9⋅.

Dann aber müsste Paul Hindemith der Auffassung gewesen sein, dass die Altartafeln wohl in der Gegend um Mainz oder Aschaffenburg, auf jeden Fall aber in den Jahren nach dem Bauernkrieg entstanden wären. Bei den ansonsten ungeheuer detailliert geschilderten historischen Zusammenhängen und dem großen Wert, den Hindemith auf die Historizität der handelnden Figuren gelegt hat, wäre dies allerdings mehr als verwunderlich.

Die Karlsruher Dramaturgin der Inszenierung von 2006/07 Katrin Lorbeer geht davon aus, dass Paul Hindemiths Libretto auch hier historische Genauigkeit bewiese. Der Komponist sehe nämlich sehr wohl eine zeitliche Distanz zwischen der Entstehung der Isenheimer Altarttafeln und der Handlung der Oper. Schlüsselszene ist für sie die Schilderung des Engelskonzertes im sechsten Bild. Mathis beschreibt die musizierenden Engel:

"Ihr Kleid selbst musiziert mit ihnen.
In schillernden Fendern schwirrt der Töne Gegenspiel.
Ein leichter Panzer unirdischen Metalls erglüht,
berührt vom Wogen des Klanges wie vom Beben
bewegten Herzens.
Und im Zusammenklang viel bunter Lichterkreise
wird aus kaum gehörtem Lied
auf wunderbare Art sichtbares Formenleben." ⋅10⋅

Nachdem Regina eingeschlafen ist, beginnt der zweite Auftritt mit den Worten:

"Das kann nicht der gleiche Mann sein: dem solches einst entsprang, der andre im unfruchtbaren Jammer vor dem letzten Abgrund." ⋅11⋅

Hier spricht Mathis von sich. Er vergleicht seine jetzige Verfassung mit der Zeit, in der ihm "solches einst entsprang". Das aber lässt darauf schließen, dass er das soeben Beschriebene bereits geschaffen hat und zwar vor länger Zeit, wie der Text vermuten lässt. Mathis blickt demnach auf die Entstehung der Tafel des Engelskonzertes - und damit auch auf die Entstehung des Isenheimer Altares als Ganzes - bereits zurück. Damit hätte Hindemith auch in diesem Punkt die Chronologie der Ereignisse exakt wiedergegeben.

"Bei den letzten Werken, zu deren Vollendung im 7. Bild der Maler durch die Vision des Hl. Paulus zurückgeführt wird, muss es sich also um die heute in der Karlsruher Kunsthalle hängenden letzten Gemälde Grünewalds, die Kreuztragung und die Kreuzigung, handeln, die Hindemith gut kannte." ⋅12⋅

Paul Hindemith geht es demnach nicht um die Entstehung des Isenheimer Altares, nicht einmal um ein einzelnes Werk des Malers. Er schildert den Blick des Malers auf die Zeitläufe, die er auf dem Hintergrund seines bisherigen Schaffens interpretiert.

Er kann sie auch gar nicht anders deuten...

"... so sehr ist der Maler mit sich selbst beschäftigt. Das erklärt auch seine große Distanz vor allem zu Ursula, zu der er selbst am Ende der Oper nicht zurückfindet, deren Tragik er sich nicht erbarmt. Mathis bleibt gefangen in seiner Kunst, nicht nur als einem privaten Rückzugsort, sondern auch als dem ihm eigenen einzigen Ausdrucksmittel. Während der ganzen Oper sehen wir ihn, so wie Hindemith es wollte, nie malen - er grübelt und sinnt über den Wert seiner Kunst, beschränkt sich auf passive Bildbetrachtung. Die Schreckensvisionen des 6. Bildes, die Unterredung des Hl. Antonius mit dem Hl. Paulus sind keine spontanen Eingebungen, kein Einbrechen einer mystischen Ebene ins Weltliche, sondern Mathis' Auseinandersetzung mit seinen eigenen Geschöpfen, eine Rückerinnerung an einst visionär selbst Geschaffenes. Die Kunst, seine eigene, rückt ihm trotz aller Fluchtversuche immer näher und holt ihn am Ende (...) wieder ein." ⋅13⋅

Es ist eine der großartigsten Auseinandersetzungen mit der Gestalt des Mathis Gothart Nithart, eine Art und Weise der Begegnung, wie sie mit Worten kaum gelingen kann. Vielleicht kann man sich dem Genius des Meister Mathis auch auf keine andere Art und Weise wirklich nähern als mit den Mitteln der Kunst - und wenn nicht der seiner eigenen Bildern, dann eben mit den Mitteln der Musik. Paul Hindemith hat solche Musik geschaffen, eben ...

"... die Mathis-Musik, die zum mindesten einen schwachen Widerschein des Lichtes verbreiten soll, unter dessen wärmenden Strahle sie aufblühen konnte: Vom belebenden Geist eines der größten Künstler, die wir je besaßen." ⋅14⋅

Zurück-Button Literaturhinweise

Vergleiche unter anderem:
Gerhard Hellwig, Herders Musiklexikon - Oper - Operette - Musical (Freiburg / Basel / Wien 1972),
Badisches Staatstheater Karlsruhe (Hrsg.), Mathis der Maler, Programmheft des Badischen Staatstheaters Karlsruhe, Spielzeit 2006/2007 (Karlsruhe 2006),
Rudolf Stefan, Mathis der Maler, Information und Libretto zur Aufnahme des Westdeutschen Rundfunks 1990 (Mainz 1994) .

Anmerkungen

1 Paul Hindemith, 1938, zitiert nach: Paul Hindemith, Mathis der Maler, Information und Libretto zur Aufnahme des Westdeutschen Rundfunks 1990 (Mainz 1994) 1. Zur Anmerkung Button

2 Vgl.: Rudolf Stefan, Mathis der Maler, Information und Libretto zur Aufnahme des Westdeutschen Rundfunks 1990 (Mainz 1994) 5. Zur Anmerkung Button

3 Vgl.: Rudolf Stefan, Mathis der Maler, Information und Libretto zur Aufnahme des Westdeutschen Rundfunks 1990 (Mainz 1994) 4. Zur Anmerkung Button

4 Vgl.: Rudolf Stefan, Mathis der Maler, Information und Libretto zur Aufnahme des Westdeutschen Rundfunks 1990 (Mainz 1994) 4. Zur Anmerkung Button

5 Paul Hindemith, Mathis der Maler, Viertes Bild, Fünfter Auftritt. Zur Anmerkung Button

6 Paul Hindemith, Mathis der Maler, Sechstes Bild, Zweiter Auftritt. Zur Anmerkung Button

7 Paul Hindemith, Mathis der Maler, Sechstes Bild, Dritter Auftritt. Zur Anmerkung Button

8 Paul Hindemith, Mathis der Maler, Siebentes Bild, Letzter Auftritt. Zur Anmerkung Button

9 Vgl.: Gerhard Hellwig, Herders Musiklexikon - Oper - Operette - Musical (Freiburg - Basel - Wien 1972) 75. Zur Anmerkung Button

10 Paul Hindemith, Mathis der Maler, Sechstes Bild, Erster Auftritt. Zur Anmerkung Button

11 Paul Hindemith, Mathis der Maler, Sechstes Bild, Zweiter Auftritt. Zur Anmerkung Button

12 Katrin Lorbeer, "Mathis der Maler" als persönliches Bekenntnis, historisches Drama und politisches Lehrstück, in: Badisches Staatstheater Karlsruhe (Hrsg.), Mathis der Maler, Programmheft des Badischen Staatstheaters Karlsruhe, Spielzeit 2006/2007 (Karlsruhe 2006) 42. Zur Anmerkung Button

13 Katrin Lorbeer, "Mathis der Maler" als persönliches Bekenntnis, historisches Drama und politisches Lehrstück, in: Badisches Staatstheater Karlsruhe (Hrsg.), Mathis der Maler, Programmheft des Badischen Staatstheaters Karlsruhe, Spielzeit 2006/2007 (Karlsruhe 2006) 42. Zur Anmerkung Button

14 Paul Hindemith, 1938, zitiert nach: Paul Hindemith, Mathis der Maler, Information und Libretto zur Aufnahme des Westdeutschen Rundfunks 1990 (Mainz 1994) 2. Zur Anmerkung Button