Der Isenheimer Altar

und seine Botschaft


Zurück-Button Bekehrtes Israel?

Die Legende der Heiligen Maria Magdalena

Für Emil Spath ist die Gestalt der Maria Magdalena auf dem Isenheimer Altar ein Sinnbild des "bekehrten Israels". Dieser Deutung legt er die Gerichtsrede aus dem 16. Kapitel des Ezechiel-Buches zugrunde:

Gegen Jerusalem, die treulose Frau:

Ez 16,1 Das Wort des Herrn erging an mich:
2 Menschensohn, mach Jerusalem seine Gräueltaten bewusst!
3 Sag: So spricht Gott, der Herr, zu Jerusalem: Deiner Herkunft und deiner Geburt nach stammst du aus dem Land der Kanaaniter. Dein Vater war ein Amoriter, deine Mutter eine Hetiterin.
4 Bei deiner Geburt, als du geboren wurdest, hat man deine Nabelschnur nicht abgeschnitten. Man hat dich nicht mit Wasser abgewaschen, nicht mit Salz eingerieben, nicht in Windeln gewickelt.
5 Nichts von all dem hat man getan, kein Auge zeigte dir Mitleid, niemand übte Schonung an dir, sondern am Tag deiner Geburt hat man dich auf freiem Feld ausgesetzt, weil man dich verabscheute.
6 Da kam ich an dir vorüber und sah dich in deinem Blut zappeln; und ich sagte zu dir, als du blutverschmiert dalagst: Bleib am Leben!
7 Wie eine Blume auf der Wiese ließ ich dich wachsen. Und du bist herangewachsen, bist groß geworden und herrlich aufgeblüht. Deine Brüste wurden fest; dein Haar wurde dicht. Doch du warst nackt und bloß.
8 Da kam ich an dir vorüber und sah dich, und siehe, deine Zeit war gekommen, die Zeit der Liebe. Ich breitete meinen Mantel über dich und bedeckte deine Nacktheit. Ich leistete dir den Eid und ging mit dir einen Bund ein - Spruch Gottes, des Herrn -, und du wurdest mein.
9 Dann habe ich dich gebadet, dein Blut von dir abgewaschen und dich mit Öl gesalbt.
10 Ich kleidete dich in bunte Gewänder, zog dir Schuhe aus Tahasch-Leder an und hüllte dich in Leinen und kostbare Gewänder.
11 Ich legte dir prächtigen Schmuck an, legte dir Spangen an die Arme und eine Kette um den Hals.
12 Deine Nase schmückte ich mit einem Reif, Ohrringe hängte ich dir an die Ohren und setzte dir eine herrliche Krone auf.
13 Mit Gold und Silber konntest du dich schmücken, in Byssus, Seide und bunte Gewebe dich kleiden. Feinmehl, Honig und Öl war deine Nahrung. So wurdest du strahlend schön und wurdest sogar Königin.
14 Der Ruf deiner Schönheit drang zu allen Völkern; denn mein Schmuck, den ich dir anlegte, hatte deine Schönheit vollkommen gemacht - Spruch Gottes, des Herrn.
15 Doch dann hast du dich auf deine Schönheit verlassen, du hast deinen Ruhm missbraucht und dich zur Dirne gemacht. Jedem, der vorbeiging, hast du dich angeboten, jedem bist du zu Willen gewesen.
16 Du hast deine bunten Gewänder genommen und dir an den Kulthöhen ein Lager bereitet und darauf Unzucht getrieben.
17 Deinen prächtigen Schmuck aus meinem Gold und Silber, den ich dir geschenkt hatte, hast du genommen und hast dir daraus männliche Figuren gemacht, um mit ihnen Unzucht zu treiben.
18 Deine bunten Gewänder hast du genommen und sie damit bekleidet. Mein Öl und meinen Weihrauch hast du vor sie hingestellt.
19 Das Brot, das ich dir gab - mit Feinmehl, Öl und Honig nährte ich dich -, das hast du ihnen als beruhigenden Duft dargebracht [ja, so war es] - Spruch Gottes, des Herrn.
20 Du hast deine Söhne und Töchter, die du mir geboren hast, genommen und ihnen als Schlachtopfer zum Essen vorgesetzt. War dir dein unzüchtiges Treiben noch nicht genug?
21 Musstest du auch noch meine Söhne schlachten, um sie ihnen darzubringen und für sie durch das Feuer gehen zu lassen?
22 Bei all deinen Gräueltaten und deiner Unzucht hast du die Zeit deiner Jugend vergessen, in der du noch nackt und bloß und zappelnd in deinem Blut lagst.
23 Nach all diesen schändlichen Taten - wehe, weh dir! Spruch Gottes, des Herrn -
24 hast du dir auf jedem freien Platz ein Bett und eine Kulthöhe errichtet.
25 An jeder Straßenecke hast du deine Kulthöhen errichtet, du hast deine Schönheit schändlich mißbraucht, hast dich jedem angeboten, der vorbeiging, und hast unaufhörlich Unzucht getrieben.
26 Du hast dich den Ägyptern, deinen Nachbarn mit dem großen Glied, hingegeben und mit ihnen unaufhörlich Unzucht getrieben, um mich zu erzürnen.
27 Da streckte ich meine Hand aus und nahm dir weg, was dir zustand. Ich lieferte dich deinen rachgierigen Feindinnen aus, den Philisterinnen; sogar sie schämten sich wegen deines schändlichen Treibens.
28 Dann hast du dich mit den Assyrern eingelassen, weil du noch nicht genug hattest. Du hast dich mit ihnen eingelassen, doch auch dann hattest du noch nicht genug.
29 Immer mehr Unzucht hast du getrieben und bist sogar den chaldäischen Krämern nachgelaufen; doch auch dann hattest du noch nicht genug.
30 Wie fiebert dein Herz - Spruch Gottes, des Herrn -, weil du all das getan hast, du selbstherrliche Dirne.
31 Du hast dir an jeder Straßenecke ein Bett und auf jedem freien Platz eine Kulthöhe errichtet. Du warst keine gewöhnliche Dirne; denn du hast es verschmäht, dich bezahlen zu lassen.
32 [Die Ehebrecherin nimmt sich statt ihres Mannes fremde Männer.]
33 Jede Dirne bezahlt man; du aber hast all deinen Liebhabern Geschenke gegeben und sie bestochen, damit sie von überall kamen, um mit dir Unzucht zu treiben.
34 Bei deiner Unzucht hast du es gerade umgekehrt gemacht wie andere Frauen: Dir lief niemand nach; du hast selbst bezahlt und dich nicht bezahlen lassen. So hast du es umgekehrt gemacht wie andere.
35 Darum, du Dirne, höre das Wort des Herrn!
36 So spricht Gott, der Herr: Weil du deinen Körper schamlos entblößt hast bei der Unzucht mit deinen Liebhabern, mit all deinen abscheulichen Götzen, und weil du ihnen das Blut deiner Kinder hingegeben hast,
37 deshalb will ich alle deine Liebhaber zusammenrufen, denen du gefallen hast, alle, die du geliebt hast, und auch alle, die du verachtet hast. Und wenn ich sie von allen Seiten bei dir zusammengerufen habe, dann entblöße ich vor ihren Augen deine Scham, damit sie deine Scham unverhüllt sehen.
38 Ich spreche dir das Urteil nach den Rechtsvorschriften für Ehebrecherinnen und Mörderinnen, voll Zorn zahle ich dir heim mit Blut, Grimm und Eifersucht.
39 Ich gebe dich in ihre Hand, damit sie dein Bett zerstören und deine Kulthöhen einreißen, damit sie dir deine Gewänder ausziehen, deinen prächtigen Schmuck wegnehmen und dich nackt und bloß daliegen lassen.
40 Sie berufen eine Volksversammlung gegen dich ein, steinigen dich und hauen dich mit ihren Schwertern in Stücke.
41 Sie werden deine Häuser anzünden und vor den Augen vieler Frauen das Urteil an dir vollstrecken. So mache ich deiner Unzucht ein Ende. Keinem wirst du mehr Dirnenlohn zahlen.
42 Wenn ich meinen Zorn an dir gestillt habe, wird meine Eifersucht aufhören, gegen dich zu wüten. Ich werde Ruhe haben und mich nicht mehr ärgern.
43 Weil du die Tage deiner Jugend vergessen und mich durch dein Treiben gereizt hast, darum lasse ich dein Verhalten auf dich selbst zurückfallen - Spruch Gottes, des Herrn. Hast du nicht neben all deinen Greueln auch noch andere Schandtaten verübt?
44 Wer ein Sprichwort auf dich anwenden will, der sagt: Wie die Mutter, so die Tochter!
45 Du bist die Tochter deiner Mutter, die vor ihrem Mann und ihren Söhnen Abscheu empfand. Du bist die Schwester deiner Schwestern, die vor ihren Männern und Söhnen Abscheu empfanden. Eure Mutter war eine Hetiterin und euer Vater ein Amoriter.
46 Deine ältere Schwester ist Samaria mit ihren Töchtern, die links von dir wohnt; deine jüngere Schwester ist Sodom mit ihren Töchtern, die rechts von dir wohnt.
47 Du bist nicht nur ihrem Beispiel gefolgt und hast nicht nur die gleichen Gräueltaten begangen, sondern in kurzer Zeit hast du es in allem noch schlimmer getrieben als sie.
48 So wahr ich lebe - Spruch Gottes, des Herrn: Deine Schwester Sodom und ihre Töchter haben es nicht so getrieben wie du und deine Töchter.
49 Die Schuld deiner Schwester Sodom war, dass sie und ihre Töchter hochmütig waren, dass sie in Ãœberfluss zu essen hatten und in sorgloser Ruhe dahinlebten, ohne den Elenden und Armen zu helfen.
50 Sie wurden hochmütig und begingen Gräueltaten vor meinen Augen. Darum habe ich sie verstoßen, wie du selbst gesehen hast.
51 Samaria hat nicht die Hälfte deiner Sünden begangen. Du hast mehr Gräueltaten verübt als sie beide zusammen, und du lässt deine Schwestern gerecht erscheinen, sieht man auf all die Gräueltaten, die du begangen hast.
52 Darum trag auch du deine Schande, die du deine Schwestern durch deine Sünden entlastet und abscheulicher als sie gehandelt hast; deshalb erscheinen sie gerechter als du. Darum schäme auch du dich, und trag deine Schande, weil du deine Schwestern gerecht erscheinen lässt.
53 Aber ich werde ihr Schicksal wenden, das Schicksal Sodoms und ihrer Töchter, das Schicksal Samarias und ihrer Töchter, und ich werde auch dein Schicksal wenden zusammen mit ihrem Schicksal;
54 denn du sollst deine Schande tragen, und du sollst dich schämen über all das, was du getan und wodurch du sie in Sicherheit gewiegt hast.
55 Deine Schwestern werden wieder sein wie früher, Sodom und ihre Töchter, Samaria und ihre Töchter werden wieder sein wie früher. Auch deine Töchter werden wieder sein wie früher.
56 Hast du nicht über deine Schwester Sodom gelästert, als du hochmütig warst,
57 bevor deine Schlechtigkeit offenbar wurde? So lästern jetzt ringsum über dich all deine Nachbarinnen, die Edomiterinnen und die Philisterinnen, die dich verachten.
58 Die Folgen deines schamlosen Treibens und deiner Gräueltaten hast du zu tragen - Spruch des Herrn.
59 Denn so spricht Gott, der Herr: Ich habe mit dir gemacht, was du gemacht hast; du hast den Eid missachtet und den Bund gebrochen.
60 Aber ich will meines Bundes gedenken, den ich mit dir in deiner Jugend geschlossen habe, und will einen ewigen Bund mit dir eingehen.
61 Du sollst dich an dein Verhalten erinnern und dich schämen, wenn ich deine älteren und jüngeren Schwestern nehme und sie dir zu Töchtern gebe, aber nicht deshalb, weil du den Bund gehalten hättest.
62 Ich selbst gehe einen Bund mit dir ein, damit du erkennst, dass ich der Herr bin.
63 Dann sollst du dich erinnern, sollst dich schämen und vor Scham nicht mehr wagen, den Mund zu öffnen, weil ich dir alles vergebe, was du getan hast - Spruch Gottes, des Herrn. (Ez 16,1-63)

Gerade in den Versen 8-11 sieht Spath eine Parallele zur Darstellung auf dem Isenheimer Altar.

Maria Magdalena sei wie eine Braut geschmückt. Die Spangen an den Armen zeichnen sich für Spath unter den Ärmeln des Gewandes ab und der leinene Brautschleier sei vom Öl, mit dem das Haupt der Braut gesalbt worden war, getränkt. Deshalb erscheine er auch durchsichtig.

Diese Braut aber ist treulos und zur Hure geworden. Der bekehrten Maria Magdalena, dem zu Gott zurückgekehrten Israel, hat sich Gott aber schon lange wieder zugewandt. Er hat an seinen Bund gedacht und der Büßerin nach Jesaja 61,10 den "Mantel der Gerechtigkeit" bereits geschenkt.

Diesen Mantel stelle die Bekehrte hier nicht selbstgefällig zur Schau, sondern trage ihn unter dem Büßergewand, während nach außen hin noch das Kleid ihres alten Lebens den Menschen vor Augen sei. ⋅1⋅

Zurück-Button Anmerkungen

1 Ausgeführt bei: Emil Spath, Geheimnis der Liebe - Matthias Grünewald - Der Isenheimer Altar (Freiburg 6. Auflage 1991) 92-93. Zur Anmerkung Button