Der Isenheimer Altar
und seine Botschaft
Leben und Offenbarungen der heiligen Brigitta
Nach der Übersetzung von Ludwig Clarus (1888) digitalisiert und bearbeitet von Gertrud Willy
Viertes Buch der himmlischen Offenbarungen der heiligen Brigitta [1. Teil].
- Kapitel I. - Worte des Evangelisten Johannes zur Braut, wie kein Werk ohne Vergeltung ist und die Bibel alle anderen Schriften übertrifft. Von einem Könige, Räuber und Verschwender u. s. w. Vom Rate, den Johannes dem Könige gegeben, und wie er Reichtum und Ehre um Gottes willen verachten soll.
- Kapitel II. - Ein wunderbares und merkwürdiges Gesicht der Braut. Gott legt dieses Gesicht aus. Nach dieser Auslegung bedeuten die Getauften das Tier, die Heiden den Fisch und die Freunde Gottes die drei Scharen.
- Kapitel III. - Ein wunderbares Gespräch in Art von Fragen und Antworten zwischen Gott und der Braut über den König und sein Erbrecht im Reiche; von seinen Nachkommen, und wie durch diese Nachkommen einiges zurückbegehrt werden soll, anderes nicht.
- Kapitel IV. - Worte Gottes zur Braut in betreff zweier Geister, nämlich des bösen und des guten, und von dem wunderbaren und nützlichen Kriege im Herzen einer Frau, welcher aus den Eingebungen des guten Geistes und den Anfechtungen des bösen Geistes hervorgegangen ist, und was darin zu erwählen sei.
- Kapitel V. - Worte des heiligen Petrus zur Braut über das Verlangen, das er hatte, die Völker zu retten. Wie er die Braut unterweist, das Gedächtnis zu erlangen, und von den großen Wundern, welche noch in der Stadt Rom geschehen und erfüllt werden sollen.
- Kapitel VI. - Eine sehr schöne Erzählung des seligen Paulus, wie er aus des seligen Stephanus Gebet von Gott berufen und aus einem Wolfe ein Lamm geworden, und wie es gut ist, für alle zu beten.
- Kapitel VII. - Wunderbares und merkwürdiges Gesicht von einer Seele, welche gerichtet werden sollte; von den Anklagen des Teufels und der Fürsprache der glorwürdigen Jungfrau. Über die Auslegung dieses Gesichtes, in welchem unter dem Palaste der Himmel, unter der Sonne Christus, unter dem Weibe die Jungfrau, unter dem Mohren der Teufel, unter dem Krieger ein Engel verstanden wird, und in welchem zwei Peinigungsorte, aus denen Rettung nicht möglich, und drei Orte beschrieben werden, aus welchen Rettung möglich ist; und von noch vielem anderen Wunderbaren, namentlich von der Hilfe.
- Kapitel VIII. - Worte des Engels zur Braut von der großen Pein einer Seele.
- Kapitel IX. - Worte des Engels zur Braut vom Gerichte der göttlichen Gerechtigkeit wider die obengedachte Seele, und von der Genugthuung, welche in diesem Leben für sie im Fegfeuer geschehen soll.
- Kapitel X. - Klagende Worte Christi an die Braut über die Römer, und von dem grausamen Urteile, das Christus über sie fällen wird, wenn sie in ihren Sünden dahinsterben.
- Kapitel XI. - Worte der heiligen Agnes zur glorwürdigen Jungfrau, welche dieselbe preisen und benedeien, und wie sie die Jungfrau für die Tochter bittet. Von der süßen und trostreichen Antwort des Herrn und der Jungfrau an die Braut, und wie diese Welt durch einen Topf bedeutet wird.
- Kapitel XII. - Worte der jungfräulichen Mutter zur Tochter von der Heimsuchung der Freunde Gottes in dieser Welt bald durch geistliche Trübsal, bald durch Tröstungen. Was geistliche Trübsal und Tröstung ist, und wie die Freunde Gottes sich zeitlich freuen und trösten sollen.
- Kapitel XIII. - Worte Christi zur Braut darüber, welche Thränen Gott angenehm sind und welche nicht, und wovon den Armen ein Almosen gemacht und gegeben werden soll für die Seelen der Verstorbenen, und von dem Ratschlusse und der Leitung Christi hinsichtlich der Braut.
- Kapitel XIV. - Trostworte Christi zur Braut, als sie in Furcht war, sie solle sich vor dem nicht fürchten, was sie gesehen und gehört, weil es vom heiligen Geiste sei. Und wie der Teufel durch eine Schlange und einen Löwen, der Trost des heiligen Geistes durch eine Zunge bedeutet wird, und wie man dem Teufel zu widerstehen hat.
- Kapitel XV. - Worte Christi zur Braut, weshalb die Guten in diesem Leben Trübsale erleiden, die Bösen aber Glück haben, und wie Gott durch ein Beispiel darthut, daß er zuweilen Zeitliches verheißt, worunter das Geistliche verstanden wird, und wie Gott das einzelne nicht bis auf die gewissen Stunden vorhergesagt hat, da ihm alle Stunden und Augenblicke bekannt sind.
- Kapitel XVI. - Worte der Jungfrau zur Tochter, wie der Teufel oft listig unter dem Gewande der Andacht auch einige unter den Dienern Gottes führt, damit er sie beunruhige. Welchen der Ablaß gegeben wird, und wie die Anordnung der Kirche durch eine Gans und Gott durch eine Henne bedeutet wird. Wer würdig ist, Küchlein Gottes genannt zu werden.
- Kapitel XVII. - Eine sehr gute Unterweisung der heiligen Agnes für die Tochter, gut und löblich zu leben und sich vor einem bösen und gegen Gott undankbaren Leben zu hüten. Hierbei werden die Stärke und Geduld durch einen Wagen und durch die vier Räder folgende vier Tugenden bedeutet: Alles um Gottes willen vollkommen aufzugeben, Demut, und Gott weislich zu lieben und das Fleisch klüglich im Zaume zu halten. Es wird auch einiges andere für Ordensgeistliche hinzugefügt.
- Kapitel XVIII. - Lobesworte der Tochter zur glorwürdigen Jungfrau und liebliche Antwort der Jungfrau an die Tochter, in welcher der Tochter durch die Jungfrau von ihr, den Aposteln und Heiligen sehr viele Gnaden gewährt werden und vieles andere Gute.
- Kapitel XIX. - Erhabenes Lob der jungfräulichen Schönheit der Mutter Gottes und wie der Sohn Gottes seine Mutter einem Goldschmiede vergleicht.
- Kapitel XX. - Unterweisung der heiligen Agnes an die Tochter, daß sie weder rückwärts weichen, noch mehr, als sich gebührt, vorwärts schreiten soll. Über die Art, welche beim und nach dem Anfange der Enthaltungen zu beobachten ist, und welche Enthaltsamkeit Gott angenehm ist.
- Kapitel XXI. - Worte der Braut zu Gott über seine Kraft und Herrlichkeit und die Antwort der Jungfrau an die Tochter, welche dieselbe stärkt. Wie die Guten und die Diener Gottes nicht aufhören sollen, zu predigen und die Heiden zu ermahnen, dieselben mögen bekehrt werden oder nicht, was durch ein Beispiel bewiesen wird.
- Kapitel XXII. - Wie in neueren Zeiten die Bosheit der Menschen die Arglist des Teufels übertrifft, und wie die Menschen jetzt bereitwilliger sind, zu sündigen, als der Teufel zum Versuchen. Vom Urteile, das wider solche gefällt wird. Wie die Freunde Gottes durch Predigen mannhaft und rasch arbeiten sollen, und von der Eingießung der Wissenschaft in seine Freunde.
- Kapitel XXIII. - Worte Johannis, des Evangelisten, zur glorwürdigen Jungfrau von einem ganz boshaften Heuchler, und die Antwort der Jungfrau, wie ein solcher beschaffen sei. Von des Teufels Verspottungen desselben, und wie aus sieben Zeichen der gute und aus eben so vielen der böse Geist erkannt wird.
- Kapitel XXIV. - Worte der Jungfrau zur Tochter von der Weise, wie sich die Diener Gottes gegen die Ungeduldigen zu verhalten haben, und wie die Hoffart durch ein Faß bedeutet wird.
- Kapitel XXV. - Ermahnende Worte der Mutter zur Tochter, daß der Mensch keine Sorge auf die Lüste des Fleisches verwenden, sondern den Leib in mäßiger Notdurft erquicken, und wie der Mensch neben, aber nicht in seinem Leibe stehen soll.
- Kapitel XXVI. - Ermahnende Worte der Jungfrau zur Tochter, welche tugendhaften Werke das ewige Leben verdienen und welche nicht, und von dem gar großen Verdienste des Gehorsams.
- Kapitel XXVII. - Klageworte der Jungfrau zur Tochter über einen falschen Frömmling, den sie mit einem im leiblichen Kriege übel bewaffneten Kämpfer vergleicht.
- Kapitel XXVIII. - Worte der Jungfrau zur Tochter von dreierlei Trübsal, welche durch dreierlei Brot bedeutet wird.
- Kapitel XXIX. - Worte der Mutter Maria zur Tochter, wie gewisse Teufel die Menschen in Todsünden stürzen, andere sie vom Guten abhalten, andere sie in der Enthaltsamkeit versuchen wollen, und von der Art, welche wider diese Trübsal zu beobachten ist.
- Kapitel XXX. - Worte der Jungfrau zur Tochter, wie zu kostbare und zu schöne Dinge der Welt den Dienern Gottes nicht schaden, wenn sie sich deren bedienen, wofern es nur zur Ehre Gottes und zwar nach dem Vorbilde des Paulus geschieht.
- Kapitel XXXI. - Worte der Jungfrau zur Tochter in einem Beispiele, welche beweisen, daß die Prediger und Freunde Gottes, obschon die Heiden nach ihrer Predigt, wenn dieselbe in rechter Absicht erfolgt war, nicht bekehrt worden, nicht minder vor Gottes Angesicht gekrönt werden, als wenn sie dieselben bekehrt hätten.
- Kapitel XXXII. - Worte der Mutter zur Tochter von ihrer unendlichen Barmherzigkeit gegen die Sünder, und auch gegen die, welche sie preisen und ehren.
- Kapitel XXXIII. - Bemerkenswerte Klageworte der Braut über die Stadt Rom, welche vom Troste, der Andacht und Regelmäßigkeit der Römer, sowohl der Geistlichen, als Weltleute von alters her, reden, und wie das alles in Trostlosigkeit, Abscheu und Regellosigkeit verkehrt worden, und wie unglücklich sie leiblicher- und geistlicherweise sei.
- Kapitel XXXIV. - Ein Gesicht der Braut von verschiedenen Strafen, welche einer Seele bereitet worden, die noch im Körper weilte, und wie alle jene Arten von Strafen, wenn die Seele sich vor dem Tode bekehrt haben würde, in die höchste Ehre und Herrlichkeit sich verwandeln sollten.
- Kapitel XXXV. - Worte der Braut zu Jesu Christo vom Verlangen nach der Errettung der Seelen und der ihr im heiligen Geiste gewordenen Antwort, daß die Ausschweifungen und der Überfluß an Trank und Speise bei den Menschen den Heimsuchungen des heiligen Geistes, die ihnen gesendet werden, widerstehen.
- Kapitel XXXVI. - Worte Gottes zur Braut, wie religiöse Menschen vor alten Zeiten aus Furcht und göttlicher Liebe in die Klöster gingen, daß aber nun die Feinde Gottes, d. h. die falschen Religiosen, hinausgehen in die Welt um der Hoffart und der ungerechten Begierde halber; desgleichen von den Kriegern in ihrem Dienste.
- Kapitel XXXVII. - Worte Christi zur Braut, worin er dieselbe fragt, wie es um die Welt steht. Und von der Antwort der Braut, nämlich: daß sie wie ein ausgespannter Sack sei, in welchen alle unklug hineinrennen. Vom grausamen, aber gerechten Urteile wider solche.
- Kapitel XXXVIII. - Worte Christi zur Braut, daß man Träumen nicht glauben, sondern sich vor denselben hüten soll, wie fröhlich oder traurig dieselben auch sein mögen, und wie der Teufel in solchen Dingen Falsches mit Wahrem vermischt, weshalb in der Welt viele Irrtümer aufsteigen. Und wie die Propheten aus dem Grunde nicht irrten, weil sie Gott über alles wahrhaft liebten.
- Kapitel XXXIX. - Worte der Mutter zum Sohne von der Braut und Christi Antwort an die Mutter. Ferner Worte der Mutter, was durch den Löwen und das Lamm bedeutet wird, und wie Gott wegen Undankbarkeit und Ungeduld der Menschen ihnen begegnen läßt, was sonst sich nicht ereignen würde.
- Kapitel XL. - Worte Christi zur Braut, welche erklären, was ein christlicher Tod ist. Wie der Mensch übel oder gut stirbt, und wie die Freunde Gottes sich nicht betrüben sollen, wenn sie die Diener Gottes leiblich und auf grausame Weise sterben sehen.
- Kapitel XLI. - Worte der Mutter zur Tochter, daß die Priester, welche auf rechte Weise das Amt erlangt haben, loszusprechen, wie große Sünder sie auch sein mögen, von den Sünden freisprechen können, desgleichen vom Sakramente der Eucharistie.
- Kapitel XLII. - Worte der Mutter zur Tochter, wie die guten Sitten und die Werke der Gerechtigkeit an den Freunden Gottes durch Thürpfosten bedeutet werden. Und wie die Diener sich vor üblen Rachreden hüten sollen.
- Kapitel XLIII. - Worte der Mutter zur Tochter, wie die bösen Hirten einem Wurme verglichen werden, der die Wurzeln eines Baumes zernagt.
- Kapitel XLIV. - Worte Christi zur Braut, wie der Leib durch ein Schiff, die Welt durch ein Meer bedeutet wird, und wie der Wille die Freiheit hat, die Seelen in den Himmel oder in die Hölle zu führen. Wie die irdische Schönheit dem Glase vergleichbar ist.
- Kapitel XLV. - Klageworte der Braut vor der kaiserlichen Majestät darüber, daß die vier Schwestern, die Töchter des Königs Jesu Christi, nämlich: die Demut, die Enthaltsamkeit, die Genügsamkeit, die Liebe, jetzt leider vernichtet sind, die Töchter des Königs Teufel dagegen: Hoffart, Lust, Überfluß und Simonie, vornehme Frauen genannt werden.
- Kapitel XLVI. - Mahnende Worte der Braut an einen Herrn wegen Zurückerstattung des widerrechtlich Erworbenen. und von der Stimme eines Engels, welcher ein grausames Urteil wider ihn spricht.
- Kapitel XLVII. - Worte des Sohnes zur Braut, wie wir uns vor des Teufels Versuchungen zu hüten haben. Wie der Teufel durch einen Feind, Gott durch eine Henne, seine Macht und Weisheit durch die Flügel, seine Barmherzigkeit durch die Federn und die Menschen durch die Jungen bedeutet werden.
- Kapitel XLVIII. - Worte des Sohnes zur Braut von einem gewissen Könige, wie er Gottes Ehre und Liebe zu den Seelen mehren soll, und von dem Urteile wider ihn, wofern er's nicht gethan haben würde.
- Kapitel XLIX. - Ein Gesicht der Braut unter der Gestalt der Kirche und von dessen Auslegung, welche die Art und Stellung enthält, wonach der Papst in Rücksicht auf sich selber, auf die Kardinäle und andere Prälaten der heiligen Mutter Kirche - und so sehr als möglich in der Demut sich verhalten soll.
- Kapitel L. - Ein unbegreifliches Gesicht der Braut vom Gerichte vieler noch lebenden Personen, in welchem sie die Worte vernahm: "Bessern die Menschen ihre Sünden, so will auch ich mein Gericht mildern."
- Kapitel LI. - Ein wunderbares und schreckliches Gesicht der Braut von einer Seele, welche vor den Richter gestellt ward. Von den Vorwürfen Gottes und des Gerichtsbuches wider jene Seele. Von den Antworten der Seele wider sich selber, und den verschiedenartigen erstaunlichen Peinen, die bei ihr zur Reinigung angewendet worden.
- Kapitel LII. - Erschreckliches Gesicht der Braut von einem Manne und einer Frau. Von der Auslegung des Gesichtes der Braut, wie solche durch einen Engel gemacht worden, in welcher vielerlei Wunderbares enthalten ist.
- Kapitel LIII. - Worte der Jungfrau zur Braut, wie sie bereit ist, alle Mütter, Witwen und Jungfrauen zu schützen, von welchen sie steht, daß sie im rechten Vorsatze verharren und ihren Sohn über alles lieben.
- Kapitel LIV. - Worte der Mutter zur Tochter von der glücklichen, geistlichen Geburt eines gewissen Mannes, der in den übelsten Sünden erzogen war, und wie er diese Geburt durch die Bitten und Thränen der Diener Gottes erlangt hat.
- Kapitel LV. - Worte der Mutter zur Tochter von einem Knaben, den sie lieben und mit geistlichen Waffen ausrüsten will.
- Kapitel LVI. - Worte der Mutter zur Tochter von einem, der sich nicht um des Tadels willen betrüben soll.
- Kapitel LVII. - Worte der Mutter zur Tochter, wie Rom vom Unkraute, erstlich mit schwerem Eisen, zweitens mit Feuer, drittens durch ein Gespann Ochsen gereinigt werden soll.
- Kapitel LVIII. - Worte Christi zur Braut unter einem Bilde, welche auseinandersetzen, wie Christus einen Herrn, welcher wallfahrtet, sein Leib einen Schatz, die Kirche ein Haus vorstellt, die Priester aber durch Hüter bedeutet werden, welche Priester er wie ein wahrer Herr mit siebenfacher Ehre geehrt hat. Wie Gott sich beklagt, daß die ungerechten Priester ihn durch siebenfache Unehre verunehren, und wie sie die sieben Kleider, nämlich die sieben Tugenden, welche sie haben sollten, in sieben Laster verwandeln.
- Kapitel LIX. - Worte Christi zur Braut, wie der Priester drei Dinge nötig hat: Erstens den Leib Christi konsekrieren; zweitens Reinheit des Fleisches und des Geistes; drittens Besorgung seiner Pfarrei. Er soll auch haben ein Buch und Öl; und wie der Priester ein Engel Gottes, ja, wie sein Amt größer ist, als eines Engels.
- Kapitel LX. - Worte der Braut zu Gott von einer angenehmen Weise, seine Bitten vor Gott auszugießen.
- Kapitel LXI. - Wie der Teufel bei der Erhebung des Leibes Christi der Braut erschien, mit ihr geredet und durch Gründe ihr darthun wollte, daß dasjenige, was aufgehoben wurde, nicht der Leib Christi sei. Es erschien ihr aber sogleich ein Engel des Herrn und tröstete sie. Wie Christus erschien und den Teufel gezwungen hat, vor der Tochter die Wahrheit zu sagen. Und daß der Leib Christi wie von den Guten, so auch von den Bösen empfangen wird; und von einem bequemen Mittel in Versuchungen gegen die leibliche Gegenwart Christi.
- Kapitel LXII. - Strafende Worte des Herrn zu einem Priester, der einen begrub, welcher in Geduld im Beisein der Braut gestorben war. Wie Christus mit sieben leiblichen und sieben geistlichen Plagen zu den ungerechten Priestern kommen wird, und wie jener wegen seiner Geduld alle Herrlichkeit erlangt hat.
- Kapitel LXIII. - Wie der Teufel der Braut erschienen und dieselbe durch scheinbare Gründe im Sakramente des Leibes Christi hat betrügen wollen, wie aber Christus der Braut zur Hilfe kam und den Teufel nötigte, die Wahrheit vor der Braut zu sagen. Von der Gleichförmigkeit mit einer sehr nützlichen Unterweisung Christi an die Braut über seinen verherrlichten Leib im Sakramente.
- Kapitel LXIV. - Worte der Mutter zur Tochter, wie ihr Sohn einem armen Bauern verglichen wird, und wie die Guten und Bösen Trübsale und Verfolgung treffen, die Guten zur Reinigung und Krönung, die Bösen zur Verdammnis.
- Kapitel LXV. - Mahnende Worte zur Braut, welche durch ein Beispiel darthun, wie die Freunde Gottes der Arbeit der Predigt nicht überdrüssig werden, noch von derselben ablassen sollen, und vom großen Lohne solcher.
- Kapitel LXVI. - Worte der Mutter zur Tochter, wie die zeitlichen Güter, wenn man dieselben mit Bescheidenheit besitzt, nicht schaden, wenn nicht die Begierde zu deren Besitze eine ungeordnete ist.
- Kapitel LXVII. - Worte Christi zur Braut, welche seine Herrlichkeit darlegen, und wie alles nach seiner Ordnung bleibt mit Ausnahme der elenden Seele des Sünders, und wie der Wille in den Werken gehütet werden soll.
- Kapitel LXVIII. - Worte der Mutter zur Braut von einem Fuchse. Wie der listige Teufel einem Fuchse gleich durch verschiedene und mannigfache Arten der Versuchungen die Menschen betrügt und zu betrügen bemüht, diejenigen vorzugsweise, welche er im Guten zunehmen sieht.
- Kapitel LXIX. - Worte Christi zur Braut, wie der gute Wandel und die guten Werke der Geistlichen durch klare Gewässer, und der üble Wandel und die bösen Werke durch häßliches und trübes Gewässer bedeutet wird.
- Kapitel LXX. - Worte der Mutter zur Tochter, in welchen sie das Leiden ihres gebenedeiten Sohnes nach der Ordnung erzählt, und von der Gestalt und der Schönheit des Leibes ihres gedachten Sohnes.
- Kapitel LXXI. - Anmutige Fragen, welche von Christo der Braut vorgelegt worden, und demütige Antworten der Braut an Christum, und wie Christus der Braut drei löbliche Stände zur Auswahl hinstellt, nämlich: den jungfräulichen, den ehelichen und den Witwenstand.
- Kapitel LXXII. - Worte Christi zur Braut von den beiden Schwestern und Lazarus, dem Auf- erweckten. Und wie die Braut und ihre Tochter durch die Schwestern, die Seele durch den Bruder Lazarus bedeutet werden, und wie ihnen Gott größere Barmherzigkeit geübt, als den Schwestern des Lazarus. Wie diejenigen, welche vieles zu sprechen, aber wenig zu thun wissen, sich über die, welche gut handeln, erzürnen."
- Kapitel LXXIII. - Worte der Jungfrau zur Braut, daß sie sich nicht bekümmern soll um einen Kriegsmann, der totgesagt und ihr um Hilfe bittend angezeigt wurde.
- Kapitel LXXIV. - Worte Christi zur Braut und Johannes des Täufers zu Christo, worin er ihn preist und vor seinem Angesichte für die Christen bittet, hauptsächlich für einen Krieger. Auf seine Bitten wird der Kriegsmann durch seine eigenen und von der glorwürdigen Jungfrau und Petri und Pauli Händen mit geistlichen Waffen, d. i. mit Tugenden, gerüstet und geehrt. Was durch jede körperliche Waffe insbesondere bedeutet wird, und vom guten Gebete.
- Kapitel LXXV. - Gebetsworte der Braut an Christum und zur Jungfrau, worin sie das beste Lob anstimmt. Tröstliche Antwort der Jungfrau an die Tochter, worin sie durch Beispiele darthut, daß Gott mittels eines gerechten Ratschlusses häufig die Lüge des Teufels zuläßt, damit die Kraft Gottes desto offenbarer werde, und wie die Trübsale Anleitung zu geistlichen Gütern geben.
- Kapitel LXXVI. - Worte der Jungfrau zur Tochter, welche sie belehren, wer die Freunde Gottes sind, und wie wenige derselben in der neueren Zeit gefunden werden, wenn man jeglichen Stand, sowohl den der Laien, als der Geistlichen, durchforscht. Was die Ursache ist, weshalb der reiche Gott die Armut geliebt, und wie er die Armen und nicht die Reichen auserwählt hat, und zu welchem Ende der Reichtum der Kirche verliehen worden.
- Kapitel LXXVII. - Worte der Braut zu Christo, welche die Barmherzigkeit, die Christus an ihr offenbarte, preisen. Worte Christi zur Braut, welche dieselbe Gerechtigkeit an der Braut bestätigen, und wie er sie zu einem Gefäße erwählt hat, das mit Wein gefüllt werden soll, den sie selber den Dienern Gottes zuzutrinken hat, und von einer lieblichen und demütigen Frage der Braut an Christum.
Viertes Buch der himmlischen Offenbarungen der heiligen Brigitta.
Kapitel I.
Worte des Evangelisten Johannes zur Braut, wie kein Werk ohne Vergeltung ist und die Bibel alle anderen Schriften übertrifft. Von einem Könige, Räuber und Verschwender u. s. w. Vom Rate, den Johannes dem Könige gegeben, und wie er Reichtum und Ehre um Gottes willen verachten soll.
Es zeigte sich der Braut die Person eines Mannes, dem man zum Spotte die Haare ringsum abgeschnitten hatte. Sein Leib war ganz mit Öl gesalbt und ganz nackt. Er aber schämte sich nicht und sprach zur Braut: "Die Schrift, die ihr die heilige nennt, sagt, daß kein Werk ohne Vergeltung sei. Das ist die Schrift, welche bei euch Bibel genannt wird. Bei uns aber ist sie schimmernd wie eine glänzende Sonne, unvergleichlicher als Gold, fruchtbar wie ein Same, welcher aus sich hundertfältige Frucht hervorbringt. Denn wie das Gold alle übrigen Metalle übertrifft, so übertrifft die Schrift, welche ihr die heilige nennt, alle Schriften, weil in derselben der wahre Gott geehrt und gepredigt wird. Der Patriarchen Werke werden erzählt, die Eingebungen der Propheten erklärt. Weil nun also kein Werk ohne Vergeltung ist, so vernimm, was ich sage: Der König, für welchen Du bittest, ist vor 5 Gott ein Räuber, ein Seelenverderber, ein verschwenderischer Reichtumsvergeuder. Er ist ein Seelenverderber, da er die Ungerechten auf fleischliche Weise liebt, die Ruchlosen auf ungerechte Weise erhöht, die Gerechten unterdrückt, und Ausschweifungen, welche zu bessern wären, mit Stillschweigen übergeht. Er ist ein Räuber an demjenigen, der das Haupt an seinen Busen gelehnt hat; denn das Volk seines Landes, das gleichsam an seinen Busen gelehnt war, hat er auf eine klägliche Weise beraubt, hat gestattet, daß ihm Hab und Gut hinweggenommen und Unerträgliches auferlegt wurde, während er über das Unrecht, das andere begingen, hinwegsah und die Gerechtigkeit allezeit nachlässig übte. Er ist ein Dieb, da er, nachdem ihm alles anvertraut und die Schlüssel übergeben wurden, den Herrn wider dessen Willen bestiehlt und die Schlüssel der Macht und Ehre ungerecht und verschwenderisch und nicht zur Ehre Gottes gebraucht. Weil er doch aber einiges, woran er Gefallen hatte, aus Liebe zu mir unterlassen hat, so gebe ich ihm einen dreifachen Rat. Erstens, daß er sein soll wie der Mensch im Evangelium, welcher die Träber der Säue verließ und zu seinem Vater zurückkehrte; so soll auch er den Reichtum und die Ehren verachten, welche im Vergleich mit den ewigen Dingen nichts anderes sind, als die Träber der Säue, und mit Demut und Ergebung zu seinem Vater und Gott zurückkehren. Zweitens soll er die Toten ihre Toten begraben lassen und den engen Pfad des gekreuzigten Gottes wandeln. Drittens soll er die schwere Bürde seiner Sünden ablegen und auf dem Wege dahinwandeln, welcher im Anfange eng, am Ende aber freudenvoll ist. Du aber, die Du mich siehst, erkennst wohl, wie ich derjenige bin, der ich die goldene Schrift vollkommen erkannt und durch Erkenntnis gemehrt habe. Ich ward schmählich entblößt, weil ich aber geduldig aushielt, bekleidete Gott meine Seele mit einem unsterblichen Gewande. Ich bin auch eingetaucht in Öl, deshalb freue ich mich wie im Öle der ewigen Freude. Überdies bin ich nächst der Mutter Gottes mittels des leichtesten Todes aus der Welt geschieden, weil ich der Hüter der Mutter Gottes geworden, und mein Leib befindet sich an einem gar ruhigen und sicheren Orte." 6
Kapitel II.
Ein wunderbares und merkwürdiges Gesicht der Braut. Gott legt dieses Gesicht aus. Nach dieser Auslegung bedeuten die Getauften das Tier, die Heiden den Fisch und die Freunde Gottes die drei Scharen.
Hierauf hatte die Braut ein Gesicht von zwei Wagen, welche auf der Erde standen, mit ihren Spitzen und Verbindungen aber bis an die Wolken reichten. Die Ringe aber durchdrangen den Himmel. In der ersten Wage lag ein Fisch, dessen Schuppen so scharf waren wie ein Reibeisen; sein Angesicht war wie eines Basilisten; sein Maul wie das eines Einhorns, welches Gift ausspeit; die Ohren waren wie zwei sehr scharfe Speere und wie eiserne Klingen. In der anderen Wage befand sich ein Tier, dessen Haut wie ein Kieselstein war. Der ungeheuere Mund ergoß glühende Flammen. Seine Augenlider waren wie sehr harte Schwerter. Auch seine Ohren waren sehr hart und schleuderten überaus scharfe Pfeile von sich, als wie von einem harten und gespannten Bogen. Sodann erschienen drei Scharen von Völkern auf der Erde; von denen die erste klein, die zweite kleiner und die dritte ganz klein war. Darüber ertönte, eine Stimme vom Himmel, welche sagte: "O meine Freunde, mich dürstet heftig nach dem Herzen jenes wunderbaren Tieres. Wenn nur jemand wäre, der es mir aus Liebe darbieten möchte! Auch nach dem Blute des Fisches habe ich ein feuriges Verlangen, wenn nur Ein Mensch sich finden wollte, der, mir's brächte." Es antwortete aus der einen Schar eine Stimme und sprach wie aus dem Munde aller: "Vernimm, o unser Schöpfer, wie können wir Dir das Herz eines so großen Tieres bringen, dessen Fell härter ist als Kieselstein? Wenn wir uns seinem Munde nähern wollen, werden wir von der Flamme seines Feuers angezündet; schauen wir seine Augen an, so werden wir von den Pfeilen ihrer Funken durchbohrt werden. Wenn aber auch einige Hoffnung da wäre, das Tier zu haben, wer wird den Fisch haschen können? Seine Schuppen und Flossen sind spitziger als ein Schwert, seine Augen blenden unseren Blick, sein Mund ergießt über uns unheilbares Gift." Es antwortete die Stimme 7 vom Himmel und sprach: "O meine Freunde, das Tier und der Fisch scheinen euch unüberwindlich, allein beim Allmächtigen ist alles leicht, Wer also immer den Weg sucht, das Tier zu bekämpfen, dem will ich vom Himmel Weisheit eingießen und Stärke erteilen. Wer aber für mich zu sterben bereit ist, dem werde ich mich selbst zum Lohne geben." Die erste Schar antwortete: "O höchster Vater, Du bist der Geber alles Guten, wir aber, Deine Geschöpfe, werden Dir gern zu Deiner Ehre unser Herz geben. Weil uns aber der Tod hart, die Schwäche des Fleisches lästig, die Wissenschaft aber gering erscheint, so regiere Du uns inwendig und auswendig, und nimm huldvoll, was wir Dir bieten, und vergilt, was und so viel Dir gefällt." Die zweite Schar erwiderte: "Wir erkennen unsere Schwächen und nehmen die Eitelkeiten und Wechsel der Welt wahr; darum werden wir Dir gern unser Herz geben und unseren ganzen Willen anderen unterwerfen, weil wir lieber unter anderen stehen, als das mindeste von der Welt besitzen wollen." Die dritte Schar sprach: "Höre, Du Herr, der Du das Herz des Tieres begehrst und nach dem Blute des Fisches dürstest, gern werden wir Dir unser Herz geben und sind bereit, für Dich zu sterben. Gewähre Du Weisheit und wir werden den Weg suchen, das Herz des Tieres zu finden." Hierauf tönte eine Stimme vom Himmel und sprach: "O Freund, wenn Du des Tieres Herz finden willst, so durchbohre mit einem spitzigen Bohrer Deine Hände in der Mitte. Sodann nimm die Augenlider von einem Walfische und klebe dieselben mit starkem Leim an Deine Augenlider. Nimm eine Stahlplatte und binde sie fest auf Dein Herz, so daß die Breite und Fläche des Stahles Dein Herz bedecken, schließe auch Deine Nasenlöcher, indem Du Deinen Atem in den Hals ziehest. So gehe mit geschlossenem Munde und eingezogenem Atem kühn vorwärts gegen die Wildheit des Tieres. Wenn Du nun das Tier selber erreicht hast, so ergreife mit beiden Händen seine Ohren; ihre Pfeile werden Dir nicht schaden, sondern durch die Öffnungen in Deinen Händen hindurchgehen. Dazu laufe dem Tiere mit geschlossenem Munde entgegen, und wenn Du ihm nahe gekommen, blase Deinen ganzen Atem auf dasselbe ein. Wenn es sich nahet, werden seine Flammen Dir nicht schaden, sondern auf das Tier selber eindringen und dasselbe anzünden. Achte sorgfältig auf die Spitzen der Schwerter, welche aus 8 den Augen des Tieres herausgehen und halte ihnen Deine mit den Augenlidern des Walfisches beschützten Augen entgegen; stoßen sie gegenseitig aufeinander, so werden entweder des Tieres Schwerter sich beugen oder in sein eigenes Herz hineinfahren. Gieb auch aufmerksam acht auf den Herzensschlag des Tieres und stoße die Spitze des Stahles fest hinein, indem Du die kieselsteinharte Haut des Tieres durchbohrst. Ist sie durchbohrt, so wisse, daß das Tier sterben wird, und sein Herz wird mein sein. Ist es ein Talent wert, so werde ich dem Arbeiter hundert geben. Widersteht aber die Haut dem Stoße und verletzt das Tier den Menschen, so werde ich ihn heilen, und wenn er tot ist, wieder erwecken. Wer mir aber den Fisch bringen will, der gehe ans Ufer mit einem Netze in den Händen, das nicht aus Fäden, sondern aus dem köstlichsten Erze zusammengesetzt ist. Er gehe aber nicht tiefer ins Wasser, als bis an die Kniee, damit ihm nicht etwa die Stürme schaden, und den Fuß setze er auf eine feste, schlammfreie Stelle. Danach verbinde er sich eines seiner Augen und wende es dem Fische zu, und so wird dessen Basiliskenauge ihm nicht schaden. Auch mit einem Schilde von Stahl muß er sich waffnen, damit der Fisch mit den scharfen Zähnen seines Gebisses ihn nicht verwunde. So gerüstet werfe er kräftig und vorsichtig das Netz über ihn aus und habe acht, daß er dasselbe mit dem Reibeisen seiner Schuppen nicht zerreiße, noch daraus zu entweichen vermöge. Wenn er nun das Netz oben über ihn ausgebreitet und zehn Stunden über dem Wasser gehalten hat, so wird der Fisch sterben. Er soll ihn dann ans Ufer bringen und mit dem Auge, welches er nicht verbunden hatte, anschauen, die Hände anlegen und ihn am Rücken öffnen, wo mehr Blut ist, und dasselbe so seinem Herrn darbieten. Wenn aber der Fisch entschlüpfen, oder an ein anderes Gestade schwimmen und dem Menschen mit seinem Gifte schaden möchte, so bin ich mächtig, den Vergifteten zu heilen. Die Belohnung für das Blut des Fisches wird nicht geringer sein, als die für das Herz des Tieres." Ferner sprach Gott: "Die beiden Wagen bedeuten so viel, als wenn einer sagte: Schone und leide, warte und erbarme dich, wie, wenn jemand des anderen Ungerechtigkeit sähe und ihn beständig ermahnte, vom Bösen abzustehen. So steige ich, Gott und Schöpfer aller Dinge, zuweilen nach Art der Wage hinab auf den Menschen, ermahne 9 ihn, schone seiner und prüfe ihn durch Trübsal. Bisweilen auch steige ich hinauf, indem ich die Herzen der Menschen erleuchte, entflamme und mit ungewöhnlicher Gnade heimsuche. Die Wagebänder, welche an die Wolken reichen, bedeuten, daß ich, der Gott aller Dinge, alle, sowohl Heiden als Christen, Freunde wie Feinde erhalte, durch meine Gnade erleuchte und heimsuche, vorausgesetzt, daß sich Leute finden sollten, welche meiner Gnade entsprechen und ihren Willen samt Neigung vom Bösen abkehren wollten. Das Tier aber bedeutet diejenigen, welche, nachdem sie die Taufe empfangen und zu den Jahren der Unterscheidung gekommen, die Worte des heiligen Evangeliums nicht befolgen, deren Herz und Mund auf das Irdische verfallen sind, und dasjenige, was geistlich ist, gar nicht beachten. Der Fisch aber bedeutet die Heiden, die auf den Sturmwogen der Begierlichkeit umhertreiben, und deren Blut, d. h. der Glaube, gering, sowie ihre Einsicht von Gott klein ist. Darum begehre ich das Herz des Tieres und das Blut des Fisches, und suche, ob jemand gefunden würde, der es aus Liebe unternehmen möchte, mir dieselben zu bringen. Die drei Scharen aber sind meine Freunde. Die erste sind die, welche sich der Welt auf eine vernünftige Weise bedienen; die zweite diejenigen, welche das Ihrige verlassen und demütig Gehorsam leisten; die dritte die, welche für Gott zu sterben bereit sind."
Kapitel III.
Ein wunderbares Gespräch in Art von Fragen und Antworten zwischen Gott und der Braut über den König und sein Erbrecht im Reiche; von seinen Nachkommen, und wie durch diese Nachkommen einiges zurückbegehrt werden soll, anderes nicht.
"O Herr," sprach die Braut, "werde nicht unwillig, daß ich frage. Aus der Schrift habe ich vernommen, daß man nichts mit Unrecht erwerben, auch nichts behalten soll, was wider Recht erworben worden. Nun aber hat jener König das Land inne, Einige sagen, er besitze es mit Recht, andere behaupten das Gegenteil, und deshalb ist es wunderbar, wenn Du an diesem das duldest, was an anderen gemißbilligt wird." Gott antwortete: "Nach der Sündflut 10 sind keine Menschen übriggeblieben, als die in der Arche Noahs befindlich waren. Aus ihnen ging ein Geschlecht hervor, das gegen den Aufgang der Sonne seinen Weg nahm. Einige davon kamen nach Schweden. Ein anderes Geschlecht wandte sich nach dem Niedergange; einige daraus Entsprossene kamen nach Dacien. Diejenigen aber, welche zuerst das Land zu bauen begannen, das mit Wasser nicht umschlossen war, eigneten sich nichts vom Lande derer zu, welche jenseits des Wassers und auf den Inseln wohnten, sondern ein jeder war zufrieden mit dem, was er gefunden, wie von Loth und Abraham geschrieben worden. Willst Du, sprach dieser, zur Rechten gehen, so werde ich die Linke behalten. Als wollte er sagen: Alles, was Du Dir zueignest, wird Dein sein und Deinen Erben gehören. Im Fortgange der Zeit kamen die Richter und die Könige, welche, mit ihren Grenzen zufrieden, nicht das Land derer in Besitz nahmen, welche auf den Inseln und jenseits des Wassers wohnten, sondern ein jeglicher blieb in den Marken und Grenzen der Alten." Sie antwortete: "Wenn ein Teil eines Reiches durch eine Schenkung von dem Reiche veräußert worden wäre, sollte das vom Nachfolger nicht zurückgefordert werden können?" Gott antwortete ihr: "In einem gewissen Reiche ward die Krone aufbewahrt, welche dem Könige gehörte. Das Volk meinte, es könne nicht bestehen ohne einen König. Sie wählten sich also einen König und übergaben dem erwählten Könige die Krone zum Aufheben und Überweisung an den künftigen König. Wenn nun der also erwählte König einen Teil von der Krone veräußern oder dieselbe mindern wollte, so könnte und müßte es wahrlich der künftige König zurückfordern, weil keine Verminderung an der Krone stattfinden, und der König die Krone des Reiches weder schmälern, noch veräußern darf, ausgenommen aus einem vernünftigen Grunde auf die Dauer seiner Tage. Was ist aber die Krone eines Königreiches anders, als die königliche Gewalt? Was ist das Reich anders, als das ihm unterworfene Volk? und was der König anders, als der Mittler und Erhalter des Reiches und des Volkes, also der Bewahrer und Verteidiger der Krone? Weder teilen, noch schmälern darf er die Krone zum Nachteile des künftigen Königs." Die Braut fragte weiter: "Wenn nun ein König aus Not oder infolge von Gewalt genötigt würde, einen Teil der Krone zu veräußern?" Gott sprach: 11 "Wenn zwei Menschen uneins wären, der eine mächtigere wollte aber keine Gnade geben, außer es würde dem anderen der Finger abgeschnitten, wem würde dann der abgeschnittene Finger gehören, als demjenigen, der den Schaden erlitten? Also ist es auch mit dem Reiche. Wenn ein König in der Not oder in Gefangenschaft sein Reich um einen Teil verminderte, so wird der künftige König denselben fürwahr zurückfordern können; denn der König ist nicht Herr, sondern bloß Träger desselben, und die Not bildet kein Gesetz." Jene antwortete: "Wenn nun ein König einem Herrn auf die Tage seines Lebens einen Teil der Krone abgetreten hätte und nach des Königs Tode jener Herr oder dessen Nachfolger das Eingeräumte als Eigenes zurückbehalten wollte, müßte dasselbe dann zurückgefordert werden?" Darauf der Herr: "Allerdings muß das Land an den rechtmäßigen Herrn zurückkehren." Sie fragte weiter: "Wenn ein Teil der Krone jemand Schulden halber verpfändet wäre, und dieser, nachdem er viele Jahre die Früchte erhoben, stürbe, das Land aber geriete nachher in eines anderen Hand, welcher auf das Land keinen gerechten Anspruch hätte, weil es ihm weder überlassen, noch verpfändet worden wäre, sondern er hätte es bei irgend einer Gelegenheit in Besitz genommen und wollte es nicht eher herausgeben, bis er Geld empfangen hätte, was würde da zu thun sein?" Der Herr sprach zu ihr: "Wenn jemand eine goldene Kugel in der Hand hielte und sagte einem, der dabei stünde: Diese Kugel ist dein, wenn du sie wieder haben willst, gieb nur so und so viel Pfunde, wahrlich, es müßten ihm so viel Pfunde gegeben werden. Wo also ein Land unter Botmäßigkeit gebracht und friedlich behauptet worden, da muß es weislich zurückgefordert und mit Anrechnung des Schadens wieder zurückerworben werden. Wie nun aber ein König, welcher erwählt worden, auf einem Stein, dem Volke zum Schauspiel, erhoben und damit angedeutet wird, daß er die Herrschaft und den Besitz in den oberen Teilen des Reiches habe, so gehört auch dieses Land in seinen unteren Teilen und vermöge Erbrechtes und Kaufes und Wiederkaufes zum Reiche. Darum soll der König bewahren, was er erhalten, damit er nicht, wenn er anders handelt, die Herrschaft verliere und der Krone verlustig gehe." Die Braut redete ferner: "O Herr, werde nicht unwillig, wenn ich noch einmal frage. Ein König hat zwei Reiche 12 und zwei Söhne. In dem einen Reiche wird er König kraft des Erbrechtes, im anderen aber erwählt durch die Gunst des Volkes. Nun ist aber das Gegenteil erfolgt; denn der jüngere Sohn ist König geworden im Erbreiche und der ältere in dem Reiche, in welchem erwählt werden muß." Gott antwortete: "Bei den Wählern sind drei unziemliche Sachen vorgekommen und das vierte geht noch darüber: ungeordnete Liebe, erheuchelte Klugheit, die Schmeichelei der Thoren und Mißtrauen gegen Gott und die Gemeinde. Deshalb war ihre Wahl wider die Gerechtigkeit, wider Gott, wider die Wohlfahrt des Staates und den Nutzen der Gemeinde. Um daher für die Erhaltung des Friedens zu sorgen und dem allgemeinen Nutzen förderlich zu sein, ist es erforderlich, daß der ältere Sohn das Erbreich in Besitz nehme, der jüngere aber das Wahlreich. Außerdem und wenn nicht das früher Geschehene zurückgenommen wird, wird das Reich Nachteil leiden, die Gemeinde betrübt werden, Zwietracht entstehen, die Tage der Söhne werden in Bitterkeit vergehen, ihre Reiche werden bald nicht mehr Reiche sein, sondern, wie geschrieben steht: Die Mächtigen werden ihre Stühle verlassen, und die auf Erden wandelten, werden erhöht werden. Siehe, ich erzähle Dir das Beispiel von zwei Reichen, in dem einen findet eine Wahl, im anderen Erbfolge statt; das erste, in welchem eine Wahl stattfand, ist wüste und betrübt, weil der wahre Erbe nicht erwählt worden, und das haben die Parteien unter den Wählenden bewirkt und die Begierde derer, welche nach dem Reiche trachteten. So betrübt denn Gott den Sohn nicht um der Sünden seines Vaters willen und zürnt nicht ewig, sondern übt und hält Gerechtigkeit auf Erden und im Himmel. Daher wird jenes Reich nicht eher zum früheren Ruhme und in einen glücklicheren Zustand gelangen, als bis ein rechter Erbe entweder aus der väterlichen oder mütterlichen Nachfolge aufstehen wird." 13
Kapitel IV.
Worte Gottes zur Braut in betreff zweier Geister, nämlich des bösen und des guten, und von dem wunderbaren und nützlichen Kriege im Herzen einer Frau, welcher aus den Eingebungen des guten Geistes und den Anfechtungen des bösen Geistes hervorgegangen ist, und was darin zu erwählen sei.
Christus sprach zur Braut: "Von zwei Geistern werden die Gedanken und Eingebungen in dem Herzen der Menschen herbeigeführt und eingegossen, nämlich von einem bösen und einem guten Geiste. Der gute Geist rät dem Menschen, an das künftige Himmlische zu denken, das Zeitliche aber nicht zu lieben. Der böse Geist rät, zu lieben, was man sieht, und macht die Sünde zu etwas Leichtem. Er beruft sich auf Schwachheiten und führt Beispiele von Schwachen an: Wohlan, ich erzähle Dir ein Beispiel, wie beide Geister das Herz jener Dir bekannten Frau und Königin, von der ich Dir bereits früher gesagt habe, entflammen. Der gute Geist sagt ihr und giebt ihren Gedanken folgendes ein: Der Reichtum ist eine Last, die Ehre der Welt wie Luft und die Lust des Fleisches wie ein Traum. Die Freuden sind vergänglich und alles Weltliche ist Eitelkeit. Das künftige Gericht ist unvermeidlich und der Peiniger gar grausam. Deshalb scheint es mir gar hart zu sein, über die Verwendung des flüchtigen Reichtums sich zu verantworten, langwierige Trübsal zu erdulden für ein augenblickliches Vergnügen, und dem Rechenschaft abzulegen, dem alles bekannt ist, ehe es noch geschieht; deshalb ist es sicherer, vieles fahren zu lassen und nur eine Rechnung über weniges zu führen, als sich in vieles zu verwickeln und eine lange und schwere Rechenschaft abzulegen. Auf diese Eingebungen antwortet im Gegenteil der böse Geist: Laß solche Gedanken fahren, Gott ist gütig und leicht zu besänftigen. Besitze mutig Güter und spende reichlich, was du besitzest; denn dazu bist du geboren, daß du gelobt werdest, wenn du dem Bittenden mitteilst. Wenn du den Reichtum fahren lassest, wirst du denen dienen, welche dir dienstbar waren, deine Ehre wird vermindert und deine Verachtung wird vermehrt werden; eine Person, welche arm ist, geht ohne Trost dahin. Es ist auch hart für dich, 14 dich in neue Gewohnheiten zu finden, das Fleisch durch dir fremde Sitten zu zähmen und ohne Bedienung zu leben. Deshalb bleibe stehen in der empfangenen Ehre, halte deinen Stand königlich fest, versieh dein Haus löblich, auf daß du nicht, wenn du deinen Stand veränderst, der Unbeständigkeit beschuldigt werdest; harre vielmehr, aus beim Angefangenen und du wirst Ruhm haben bei Gott und den Menschen. Hernach erteilt wieder der gute Geist dem Herzen dieser Frau und Königin Rat, daß sie spricht: Ich weiß, zwei sind ewig, Himmel und Hölle. Niemand, der Gott über alles liebt, wird in die Hölle kommen, wer aber Gott nicht liebt, wird keinen Himmel haben. Auf dem Wege zum Himmel wandelte Gott selber, nachdem er Mensch geworden war, und bestätigte denselben durch seine Wunder und seinen Tod. Wie herrlich ist das Himmlische, wie bitter die Bosheit des Teufels und wie eitel das Irdische! Gott selbst sind seine Mutter und alle seine Heiligen nachgefolgt; sie haben jegliche Qual aushalten und alles lieber verlieren wollen, ja sich selbst verachtet, um nicht das Himmlische und Göttliche zu verlieren. Deshalb ist es sicherer, die Ehre und Reichtum bald aufzugeben, als dieselben bis zum Ende behalten zu wollen, wo mit der Erinnerung auch der Schmerz über die Sünde zunimmt und jene, die nach meiner Seligkeit nichts fragen, meinen erworbenen Reichtum an sich reißen. Die böse Eingebung des Teufels entgegnet hierauf: Laß ab, hieran zu denken; wir sind schwache Menschen, Christus aber ist Gott und Mensch; wir dürfen unsere Werke nicht mit denen der Heiligen vergleichen, welche eine größere Gnade und Freundschaft mit Gott hatten. Es soll uns genügen, auf den Himmel zu hoffen und in unserer Schwachheit dahinzuleben, auch unsere Sünden durch Almosen und Gebet loszukaufen; denn es würde kindisch und närrisch sein, Ungewöhnliches anzugreifen und es nicht hinausführen zu können. Die gute Eingebung antwortet: Ich bin unwürdig, mich den Heiligen zu vergleichen; allein es ist gar sicher, allmählich nach der Vollkommenheit zu streben. Was hindert denn, Ungewöhnliches zu unternehmen, da Gott Macht hat, Hilfe zu gewähren? Es begiebt sich ja oft, daß ein Armer den Weg eines mächtigen und reichen Herrn einschlägt und ihm nachfolgt. Und, wenn auch der Herr eher zur Herberge kommt, zartere Speisen genießt und auf einem weichen Bette ruht, 15 so kommt doch der Arme auch bei derselben Herberge an, wenn auch erst spät, und nimmt teil an den übriggelassenen Speisen des Herrn. Hätte er den Weg des Herrn nicht eingeschlagen, so hätte er die Herberge des Herrn aufgeben müssen und die Speisen des Herrn nicht genossen. Daher sage ich denn auch jetzt, daß, obwohl ich unwürdig bin, mich den Heiligen zu vergleichen, ich doch ihren Weg hinter ihnen her einschlagen will, damit ich wenigstens an ihren Verdiensten teilnehmen könne. Denn zweierlei ist's, was mich bekümmert in meinem Geiste: Erstens, daß, wenn ich in meinem Vaterlande bleibe, die Hoffart über mich herrscht. Die Liebe zu den Eltern, denen zu helfen ich verpflichtet bin, drückt mein Gemüt nieder; der Überfluß des Gesindes und die Kleider sind mir lästig, deshalb erfreut es mich und ist geratener, herabzusteigen vom Sitze der Hoffart und durch Pilgern meinen Leib zu demütigen, als im Stande der Ehre zu bleiben und Sünden auf Sünden zu häufen. Zweitens bekümmert mich die Armut und das Geschrei des Volkes, welches zu seiner Hilfe meine Gegenwart verlangt. Deshalb bedarf ich eines guten Rates. Die böse Eingebung und Einflüsterung des Teufels erwidert: Das Pilgern ist um das Zeichen eines unbeständigen Gemütes, Barmherzigkeit dagegen ist Gott angenehmer, als jedes Opfer. Wofern du aus deinem Vaterlande dich hinwegbegiebst, werden genußsüchtige Menschen, wenn sie deinen Ruf vernommen, dich ausplündern und gefangennehmen. Dann wirst du statt der Freiheit die Gefangenschaft haben, Armut für Reichtum, Schande für Ehre, Unruhe statt Ruhe. Der gute Geist entgegnet mittels seiner Eingebung: Ich habe von einem in einen Turm gesetzten Gefangenen gehört, welcher ein größeres Vergnügen an der Gefangenschaft und der Dunkelheit fand, als er früher jemals am Überflusse und zeitlicher Freude gefunden. Wenn es Gott also gefällt, mich mit Trübsalen heimzusuchen, so wird es mir zum größeren Verdienste gereichen; denn er ist liebevoll, um uns zu trösten, und zur Hilfe schnell bereit, namentlich, wenn ich mein Vaterland nur verlasse meiner Sünden wegen und um mir die göttliche Liebe zu verdienen. Die böse Eingebung und Einflüsterung des Teufels antwortet weiter: Wie, wenn du des göttlichen Trostes unwürdig wärest und Demut und Armut nicht ertragen könntest? Dann wird es dich reuen, dich der Strenge 16 ergeben zu haben. Alsdann wirst du statt eines Ringes einen Stab in der Hand, statt einer Krone einen Lappen auf dem Haupte, einen häßlichen Sack anstatt eines purpurnen Kleides haben. Der gute Geist dagegen spricht: Ich habe gehört, wie die heilige Elisabeth, eines ungarischen Königs Tochter, obwohl zärtlich erzogen und edel vermählt, eine große Armut und Verachtung ausgestanden. In der Armut erhielt sie einen größeren Trost von Gott und eine höhere Krone, als wenn sie in aller Ehre der Welt und deren Freuden geblieben wäre. Die böse Eingebung erwidert darauf und spricht: Was wirst du thun, wenn Gott dich dahingiebt in die Hände der Menschen, oder du geschwächt wirst an deinem Leibe? Solltest du dann noch bestehen können vor Scham? Wirst du dich nicht untröstlich beklagen über deine Halsstarrigkeit, und wird dein ganzes Geschlecht nicht Ärgernis nehmen und trauern? Alsdann wird fürwahr bei dir die Ungeduld sich erheben und die Angst aufstehen im Herzen und Undankbarkeit gegen Gott. Dann wirst du wünschen, deine Tage möchten ein Ende nehmen. Und wenn du in aller Munde verschrieen sein wirst, dürftest du dich dann wohl sehen lassen? Hierauf entgegnet der gute Gedanke wiederum: Ich habe aus einer Schrift vernommen, wie die selige Lucia, als sie in ein Hurenhaus geführt worden, standhaft im Glauben und vertrauend auf die Güte Gottes gesprochen: Wie sehr mein Leib auch geschändet werden mag, nichtsdestominder bleibe ich eine Jungfrau, und meine Krone wird verdoppelt werden. Als Gott ihren Glauben gewahrte, ließ er sie unversehrt bleiben. Also sage ich denn: Gott, der niemand über seine Kräfte versucht werden läßt, wird meinen Sinn, meinen Glauben und meinen Willen bewahren. Denn ich ergab mich ihm völlig; sein Wille geschehe an mir. Weil nun diese Frau von solchen Gedanken beunruhigt wird, ermahne ich sie in drei Stücken. Erstens soll sie sich vor das Gedächtnis führen, zu welcher Ehre sie auserwählt worden; zweitens, was für eine Liebe ihr Gott in ihrem Ehestande erwiesen hat; drittens, wie voll Güte sie in dieser Sterblichkeit erhalten worden ist. Dagegen warne ich sie dreifach: Erstens, daß sie Gott Rechenschaft über alle ihre zeitlichen Güter wird geben müssen bis auf jeden Heller, und wie derselbe erhoben und ausgegeben worden; zweitens, daß ihre Zeit sehr kurz ist, und sie nicht vorher weiß, wann sie dahinfällt; drit- 17 tens, daß Gott der Frau so wenig schont, wie der Magd. Deshalb rate ich ihr dreierlei: Zuerst, daß sie Reue empfinde über das Begangene, fruchtbar bessere, was sie gebeichtet und Gott von ganzem Herzen liebe; zweitens rate ich, vernünftigerweise die Strafe des Fegfeuers zu meiden; denn wie der, welcher Gott nicht mit ganzem Herzen liebt, eine große Strafe verdient, so auch ist derjenige, welcher seine Sünden nicht wieder gut macht, wenn er es kann, des Fegfeuers würdig; drittens empfehle ich, die fleischlichen Freunde auf eine Zeit lang um Gottes willen zu verlassen und an den Ort zu gehen, von wo ein kurzer Weg vom Tode zum Himmel führt, um der Strafe des Fegfeuers zu entgehen, wo sie den Ablaß erhält, welcher eine Erhebung und Erlösung der Seelen ist, welchen die heiligen Päpste gaben und die Heiligen Gottes mit ihrem Blute verdienten."
Kapitel V.
Worte des heiligen Petrus zur Braut über das Verlangen, das er hatte, die Völker zu retten. Wie er die Braut unterweist, das Gedächtnis zu erlangen, und von den großen Wundern, welche noch in der Stadt Rom geschehen und erfüllt werden sollen.
Der selige Petrus redete zur Braut Christi: "Du, meine Tochter, hast mich mit einem Pfluge verglichen, welcher Furchen zieht und die Wurzeln ausreißt. Das ist allerdings wahr; denn ich bin so eifernd gegen die Laster gewesen, daß, wenn ich die ganze Welt zu Gott hätte bekehren können, ich durchaus weder Leben, noch Arbeit gespart haben würde. Gott war mir süß im Gedanken, süß in der Rede und süß im Werke, und zwar so sehr, daß alle Gedanken, außer die an Gott, bitter für mich waren. Aber auch Gott war mir bitter, nicht durch ihn, sondern durch mich selber; denn so oft ich daran dachte, wie oft ich mich vergangen und wie ich ihn verleugnet hatte, weinte ich bitterlich, weil ich schon vollkommen zu lieben verstand, und meine Thränen waren mir köstlich wie süße Speise. Wenn Du mich aber bittest, ich soll Dir Gedächtnis geben, so antworte ich Dir: Hast Du noch nicht gehört, wie vergeßlich ich gewesen bin? Im Wege Gottes, vollkommen 18 unterwiesen, verpflichtete ich mich durch einen Eid, mit Gott zu stehen und zu sterben; allein von einem einzigen Weibe aufs Wort gefragt, verleugnete ich die Wahrheit, und warum? Weil Gott mich mir selbst überließ und ich mich selber nicht kannte. Allein, was habe ich dann gethan? Ich betrachtete mich fürwahr selbst, wie ich aus mir selber nichts war, und ich erhob mich und lief der Wahrheit Gottes nach, der mir ein solches Gedächtnis seines Namens in mein Herz drückte, daß ich ihn auch weder vor Tyrannen, noch unter Geißelhieben, noch im Tode vergessen konnte. Also mache auch Du es. Erhebe Dich durch die Demut zum Meister des Gedächtnisses und begehre von ihm das Gedächtnis. Denn er allein ist es, der alles vermag. Ich aber werde Dir helfen, damit Du der Körner teilhaftig wirst, welche ich auf Erden gesäet habe. Weiter sage ich Dir, daß diese Stadt Rom eine Stadt der Kämpfer war. Ihre Straßen waren mit Gold und Silber gepflastert. Jetzt aber sind ihre Saphirsteine in Kot gewandelt, ihrer Bewohner sehr wenige geworden; denselben ist das rechte Auge ausgerissen und die rechte Hand abgehauen. Es wohnen Kröten und Nattern bei ihnen; vor ihrem Gifte wagen zahme Tiere sich gar nicht sehen zu lassen, noch meine Fische das Haupt zu erheben. Deshalb werden jetzt Fische in ihr versammelt werden, und, wenn auch nicht so viele wie ehemals, so werden sie doch ebenso süß und kühn sein, daß bei ihrem Zusammenhalten Kröten, Frösche und Schlangen in Lämmer werden verwandelt und die Löwen wie Tauben an ihren Schlaglöchern sein werden." Weiter fügte er hinzu: "Ich sage Dir ferner, wie man noch in Deinen Tagen sagen wird: Es lebe der Statthalter Petri! Und Du wirst ihn mit Deinen Augen sehen; denn ich will den Berg der Lüste durchgraben und die darauf Sitzenden werden herabsteigen. Diejenigen aber, welche nicht gutwillig herabsteigen wollen, werden wider die Hoffnung aller gezwungen werden. Denn Gott will mit der Barmherzigkeit und Wahrheit erhöht werden." 19
Kapitel VI.
Eine sehr schöne Erzählung des seligen Paulus, wie er aus des seligen Stephanus Gebet von Gott berufen und aus einem Wolfe ein Lamm geworden, und wie es gut ist, für alle zu beten.
Der selige Paulus redete zur Braut Christi und sprach: "Du, meine Tochter, hast mich mit einem unter Wölfen aufgewachsenen Löwen verglichen, welcher den Wölfen auf eine wunderbare Weise entrissen worden. Fürwahr, Tochter, ich bin aber selbst ein räuberischer Wolf gewesen, den Gott zu einem Lamme gemacht und zwar aus zweierlei Gründen: Erstlich, wegen seiner großen Liebe, welche aus Unwürdigen ihre Gefäße macht und aus Sündern ihre Freunde; zweitens infolge der Gebete des seligsten Erzmärtyrers Stephanus. Ich will Dir zeigen, von welcher Gesinnung ich damals gewesen, als der heilige Stephanus gesteinigt ward, und wodurch ich sein Gebet verdient habe. Ich hatte fürwahr keine Freude und kein Ergötzen an der Pein des seligen Stephanus, auch war ich nicht neidisch auf seinen Ruhm; gleichwohl wünschte ich, daß er sterben möge, weil ich meiner Ansicht nach erkannte, daß er nicht den rechten Glauben habe. Als ich nun wahrnahm, daß er über die Maßen inbrünstig und geduldig sei, sein Leiden zu tragen, that es mir gar leid, daß er ein Ungläubiger war, während er doch wirklich höchst gläubig war, ich dagegen völlig blind und ungläubig; ich hatte Mitleid mit ihm und bat, aus vollem Herzen betend, daß ihm seine bittere Pein zur Herrlichkeit und Krone verhelfen möchte. Darum war mir sein Gebet zum Heile, daß ich durch dasselbe vielen Wölfen entzogen und ein sanftes Lamm geworden bin. Deshalb ist es gut, für alle zu beten; denn des Gerechten Gebet nützt denen, welche für die Gnade einen empfänglichen Sinn haben. Jetzt aber klage ich darüber, daß dieser unter den Lehrern seines Volkes so beredte Mann, der so geduldig unter den Steinwürfen sich verhielt, so sehr vergessen und von den Herzen vieler vernachlässigt worden ist, hauptsächlich aber von denen, welche zu seiner Verherrlichung verpflichtet wären; aber diese bringen ihm zerbrochene, leere, kotige und abscheuliche Gefäße dar; deshalb werden sie, wie ge- 20 schrieben steht, mit doppelter Schande erfüllt und hinausgeworfen werden ans den Häusern der Lust."
Kapitel VII.
Wunderbares und merkwürdiges Gesicht von einer Seele, welche gerichtet werden sollte; von den Anklagen des Teufels und der Fürsprache der glorwürdigen Jungfrau. Über die Auslegung dieses Gesichtes, in welchem unter dem Palaste der Himmel, unter der Sonne Christus, unter dem Weibe die Jungfrau, unter dem Mohren der Teufel, unter dem Krieger ein Engel verstanden wird, und in welchem zwei Peinigungsorte, aus denen Rettung nicht möglich, und drei Orte beschrieben werden, aus welchen Rettung möglich ist; und von noch vielem anderen Wunderbaren, namentlich von der Hilfe.
Einer Person, welche im Gebete wachte, erschien in einem geistlichen Gesichte das Bild eines Palastes von unermeßlicher Größe. Es waren darin zahllose in weiße leuchtende Gewänder Gekleidete, deren jeder einen eigenen Stuhl zu haben schien. In diesem Palaste stand ein Richterstuhl, auf welchem eine Gestalt wie eine Sonne zu sehen war, und der Glanz, welcher von der Sonne ausging, war unerfaßlich in der Länge, Tiefe und Breite. Neben dem Stuhle stand eine Jungfrau mit einer kostbaren Krone auf dem Haupte. Alle dienten der Sonne, welche auf dem Stuhle saß, und priesen sie in Hymnen und Liedern. Hierauf erschien ein Mohr, schrecklich von Ansehen, und seinen Gebärden nach wie erfüllt von Neid und großem Zorn, welcher sprach und ausrief: "O gerechter Richter, erkenne mir diese Seele zu und vernimm ihre Werke, da sie nur wenige Zeit zum Leben noch übrig hat. Erlaube mir auch, den Leib samt der Seele zu bestrafen, bis sie voneinander getrennt werden." Nach diesen Worten schien es mir als ob einer vor dem Stuhle stände wie ein bewaffneter Krieger, sittsam und weise in Worten, und bescheiden in seinen Gebärden; er sprach: "O Richter, siehe, hier sind seine guten Werke, welche er bis auf diese Stunde vollbracht hat." Und augenblicklich ging von der Sonne, welche auf dem Stuhle saß, eine Stimme aus, die da sprach: "Hier ist das Laster größer, als die Tugend, aber die Gerechtigkeit duldet nicht, daß das Laster mit der höchsten Tugend verbunden werde." Der Mohr antwortete: "Also ist es Gerechtigkeit, daß diese Seele mit 21 mir verbunden werde, wie zu einer Verbindung dieser lasterhaften Seele mit meiner größten Lasterhaftigkeit." Der Krieger erwiderte: "Die Barmherzigkeit Gottes folgt einem jeden Menschen bis zum Tode und bis in den letzten Augenblick, und hernach erfolgt das Gericht, an dem Menschen aber, von dem wir reden, sind Leib und Seele noch verbunden und der Verstand ist noch in ihm." Der Mohr entgegnete: "Die Schrift, welche nicht lügen kann, spricht: Du sollst Gott über alles lieben und deinen Nächsten wie dich selbst. Siehe nun, wie alle Werke dieser Seele aus Furcht vollbracht sind, nicht aus Liebe, wie es ihre Pflicht war, und alle ihre Sünden, welche sie gebeichtet, hat sie, wie Du finden wirst, nur mit geringer Reue gebeichtet; deshalb hat sie die Hölle verdient, weil sie das Himmelreich verscherzt hat; alle ihre Sünden sind hier bei der göttlichen Gerechtigkeit offenbar, weil sie noch niemals aus göttlicher Liebe Reue über dieselben empfunden hat." Der Krieger antwortete: "In ihm war jedoch der Glaube und die Hoffnung, vor dem Tode wahre Reue zu erhalten." Ihm entgegnete der Mohr: "Du hast nun alles vorgebracht, was er Gutes gethan hat, und alle Worte und Gedanken zum Heile seiner Seele kennst Du. Alles dieses aber, was es auch sein mag, kann mit der Gnade der Reue aus göttlicher Liebe, heiligem Glauben und starker Hoffnung nicht verglichen werden und vermag die Sünden nicht auszutilgen; denn die Gerechtigkeit ist von Ewigkeit her in Gott, daß kein Sünder den Himmel betreten soll, der keine vollkommene Reue hatte. Und deshalb ist es unmöglich, daß Gott wider die von Ewigkeit vorausgewußte Anordnung richte, und muß jene Seele zur Hölle verurteilt und mit mir zu ewiger Strafe verbunden werden." Auf diese Worte schwieg der Krieger und antwortete auf seine Rede nichts. Hierauf erschienen unzählige böse Geister, ähnlich den aus glimmendem Feuer hervorspringenden Funken. Diese riefen mit Einer Stimme und sprachen zu dem, der wie eine Sonne auf dem Stuhle saß: "Wir wissen, daß Du Ein Gott bist in drei Personen; Du warst ohne Anfang und bist ohne Ende, und kein anderer ist Gott, als Du. Du bist fürwahr die Liebe selber, mit welcher Barmherzigkeit und Gerechtigkeit verbunden sind. Du bist vom Anfange an in Dir gewesen, und an Dir ist nichts gemindert, noch gewandelt, wie es Gott geziemt. Außer Dir ist nichts, und ohne 22 Dich ist nichts, das Freude hat. Deshalb hat Deine Liebe die Engel aus keinem anderen Stoffe gemacht, als aus der Macht Deiner Gottheit, und Du hast sie gemacht, wie die Barmherzigkeit angab. Aber nachdem wir inwendig entzündet worden von Hoffart und Neid und Begierde, da hat Deine Liebe, welche die Gerechtigkeit liebt, uns mit dem Feuer unserer Bosheit aus dem Himmel in den unbegreiflichen und finsteren Abgrund geworfen, welcher jetzt Hölle genannt wird. Also hat Deine Liebe damals gethan; sie wird auch noch jetzt nicht vom Gerichte Deiner Gerechtigkeit getrennt werden, mag es nun nach der Barmherzigkeit oder der Billigkeit stattfinden. Wir sagen noch mehr; wenn jene Person, die Du am meisten liebst, nämlich die Jungfrau, welche Dich geboren, und die niemals gesündigt, wenn sie eine Todsünde begangen hätte und wäre ohne göttliche Reue gestorben, so liebst Du die Gerechtigkeit so sehr, daß ihre Seele niemals den Himmel erlangen, sondern bei uns in der Hölle sein würde. Wohlan denn, o Richter, weshalb erkennst Du jene Seele nicht uns zu, damit wir sie nach ihren Werken bestrafen?" Hierauf ward ein Schall gehört wie einer Trompete; es schwiegen, welche sie hörten, und sogleich redete eine Stimme und sprach: "Schweiget und höret zu, all ihr Engel, Seelen und Teufel, was die Mutter Gottes spricht!" Und alsbald erschien die Jungfrau, von einem weiten, faltenreichen Mantel umgeben, vor dem Richterstuhle. Sie sprach: "O ihr Feinde, ihr verfolgt die Barmherzigkeit und liebt mit keiner Liebe die Gerechtigkeit. Wenn auch hier ein Mangel guter Werke sichtbar wird, um dessenwillen diese Seele den Himmel nicht erlangen kann, so schaut doch, was ich hier unter meinem Mantel halte." Als die Jungfrau nun beide Falten ihres Mantels aufgethan hatte, erschien in der einen eine kleine Kirche, in welcher einige Mönche sichtbar wurden; in der anderen Falte zeigten sich Weiber, Männer, Ordensgeistliche und Freunde Gottes und andere, welche alle mit Einer Stimme riefen und sprachen: "Erbarme Dich, Du barmherziger Herr!" Dann ward eine Stille und die Jungfrau redete und sprach: "Die Schrift sagt, wer einen vollkommenen Glauben hat, kann mittels desselben in der Welt Berge versetzen. Was also vermögen die Stimmen derjenigen, welche sowohl den Glauben hatten, als auch Gott mit brünstiger Liebe dienten? Und was vermögen jene 23 Freunde Gottes, welche diese Seele angerufen hat um ihre Fürbitte, daß sie von der Hölle loskommen und den Himmel erlangen möge, die auch für ihre guten Werke keinen anderen Lohn gesucht hat, als das Himmlische? Können und vermögen es nicht ihre Thränen und Gebete, daß sie angeregt und erleuchtet werde, um vor ihrem Tode göttliche Reue und Leid samt der Liebe zu erhalten? Außerdem will ich auch mein Gebet hinzufügen samt den Gebeten aller Heiligen, welche im Himmel sind, und welche diese Seele besonders in Ehren gehalten hat." Weiter fügte die Jungfrau hinzu und sprach: "O ihr Teufel, ich gebiete euch kraft der Gewalt des Richters, daß ihr acht habt auf das, was ihr in der Gerechtigkeit jetzt sehen werdet." Hierauf ward von der Sonne aus eine Stimme gehört, welche sprach: "Um der Bitten meiner Freunde willen wird dieser Mensch nun die göttliche Reue vor seinem Tode soweit erlangen, daß er nicht in die Hölle kommen, sondern mit denen gereinigt werden wird, welche eine schwerere Pein im Fegfeuer haben werden. Nachdem aber die Seele gereinigt worden, wird sie im Himmel mit denen den Lohn empfangen, welche auf Erden Glauben und Hoffnung mit geringer Liebe gehabt haben." Nach diesen Worten nahmen die Teufel die Flucht. Hiernach kam es der Braut vor, als würde ein schrecklicher und finsterer Ort aufgethan, innerhalb dessen ein feuriger Ofen sich zeigte, und das Feuer desselben war angezündet für Teufel und lebendige Seelen. Über diesem Ofen erschien jene Seele, deren Urteil bereits im bisherigen vernommen worden. Ihre Füße waren an den Ofen geheftet und sie stand aufrecht wie eine Person; sie stand aber weder am höchsten, noch am tiefsten Orte, sondern gleichsam an der Seite des Ofens, dessen Gestalt wunderbar, aber schrecklich war. Das Feuer des Ofens schien sich aufwärts zu ziehen unter die Füße der Seele, wie wenn Wasser durch Röhren aufwärts steigt; es drängte sich mit Gewalt zusammen und stieg so weit über den Kopf empor, daß die Schweißlöcher wie Adern waren, in denen brennendes Feuer rinnt. Die Ohren aber erschienen wie Blasebälge der Schmelzer, und ihr beständiges Blasen hielt das Gehirn in Bewegung. Die Augen zeigten sich umgekehrt und eingesunken und schienen inwendig am Hinterkopfe befestigt. Auch der Mund stand offen und die Zunge war hinausgezogen durch die Nasenlöcher und hing herab auf die 24 Lippen. Die Zähne aber waren wie eiserne durch den Gaumen geschlagene Nägel. Die Arme waren so lang, daß sie bis auf die Füße herabreichten. Beide Hände schienen wie Pech brennendes Fett zu halten und zusammenzudrücken. Die Haut, welche über der Seele zu sehen war, schien die Gestalt der Haut über dem Leibe zu haben und war wie ein leinenes, mit Zeugungssamen beflecktes Kleid. Dieses Kleid war so kalt, daß ein jeglicher, der es ansah, zu beben begann, und von demselben floß es wie Eiter aus einem Geschwür mit verdorbenem Blute und so üblem Gestanke, daß es keinem noch so argen Gestanke in der Welt verglichen werden könnte. Als nun diese Trübsal gesehen worden, ward eine Stimme aus jener Seele hervor vernommen, welche fünfmal Weh rief unter Thränen und aus allen Kräften. Erstens rief sie: Weh mir, daß ich Gott wegen seiner Vollkommenheiten und für die mir gewährte Gnade so wenig geliebt habe! Zweitens: Weh mir, daß ich Gottes Gerechtigkeit nicht, wie ich gesollt hätte, gefürchtet habe! Drittens: Weh mir, daß ich die Lust meines Leibes und meiner sündigen Seele geliebt habe! Viertens: Weh mir um des Reichtums der Welt willen und meiner Hoffart! Fünftens: Weh mir, daß ich euch, Ludwig und Johanna, jemals gesehen habe! und hierauf sagte ein Engel zu mir: "Ich will Dir dieses Gesicht auslegen. Der Palast, den Du gesehen, ist ein Gleichnis des Himmels. Die Menge derer, welche, mit weißen und leuchtenden Kleidern angethan, auf den Sitzen waren, sind die Engel und die Seelen der Heiligen. Die Sonne aber bedeutet Christum in seiner Gottheit; das Weib die Jungfrau, welche Gott geboren; der Mohr den Teufel, welcher die Seele anklagt; der Krieger den Engel, welcher die guten Werke der Seele meldet, Der Ofen bedeutet die Hölle, die innen so glühend ist, daß, wenn die Welt mit allem, was darinnen ist, brennte, sie der großen Glut in jenem Ofen nicht ähnlich würde, In diesem Ofen werden verschiedene Stimmen vernommen, welche alle wider Gott reden und alle ihre Rufe mit Weh! beginnen und ihn ähnlicher Weise endigen; und die Seelen erscheinen wie Personen, deren Gijeder auf eine untröstliche Weise auseinandergezerrt werden, und welche nimmer Ruhe haben. Wisse auch, daß das Feuer, welches Dir im Ofen erschien, in der ewigen Finsternis brennt, die in demselben brennenden Seelen aber 25 nicht alle gleiche Pein haben. Die Finsternis, welche sich um den Ofen her zeigte, heißt die Vorhölle, und kommt von der Finsternis her, welche im Ofen ist, beide jedoch sind nur Ein Ort und Eine Hölle; jeder, der dorthin kommt, wird nimmer eine Wohnung bei Gott erhalten. Über dieser Finsternis aber ist die größte Pein des Fegfeuers, welche Seelen erleiden können. Jenseits dieses Ortes aber ist eine andere Stätte, wo die Pein geringer ist, und nur in dem Mangel an Kräften, Schönheit und ähnlichem besteht, wie ich durch ein Gleichnis deutlich machen will. Es ist, wie wenn jemand krank gewesen wäre, und er, wenn seine Krankheit und Pein aufhörte, keine Kräfte hätte, bis er dieselben allmählich wieder erlangte. Der dritte Ort aber ist oberhalb, und daselbst keine andere Pein, als das Verlangen, zu Gott zu kommen. Und damit Du es in Deinem Gewissen noch besser erkennen mögest, so sage ich Dir's durch ein Gleichnis: Es ist, als wenn Erz gemischt würde und im heißesten Feuer mit Gold brennte, und solange geläutert werden müßte, bis das Erz verzehrt worden und das reine Gold zurückbleibt. Je stärker und dichter das Gold wäre, eines so heißeren Feuers würde es bedürfen, bis das Gold wie laufendes Wasser und ganz brennend wäre. Danach bringt der Meister das Gold in eine andere Stätte, wo es die beste Form erhält, um sich sehen und greifen zu lassen; dann legt er es an einen dritten Ort, wo es bewahrt und dem Besitzer zugestellt wird. So verhält es sich auch auf geistliche Weise. Am ersten Orte, über der Finsternis, ist die größte Pein des Fegfeuers, wo Du die erwähnte Seele hast reinigen sehen. Hier quälen die Teufel; hier erscheinen die Gestalten giftigen Gewürms und wilder Tiere; hier ist Hitze und Kälte; hier Finsternis und Verwirrung, welche aus der Pein hervorkommen, die in der Hölle ist. Hier haben einige Seelen eine geringere Pein, andere eine größere, je nachdem die Sünden in der Zeit, wo die Seele noch beim Leibe war, gebessert waren oder nicht. Dann bringt der Meister, d. h. die Gerechtigieit Gottes, das Gold, d. h. die Seelen, an andere Orte, wo nichts anderes ist, als Mangel an Kräften. Hier werden die Seelen so lange weilen, bis sie entweder durch ihre besonderen Freunde, oder durch die unaufhörlichen Werke der heiligen Kirche Erquickung erlangt haben werden. Denn je größere Hilfe die Seele durch ihre Freunde hat, um so schneller 26 gesundet sie und wird aus diesem Orte befreit. Hiernach wird die Seele an einen dritten Ort gebracht, wo keine andere Pein, als das Verlangen herrscht, in die Gegenwart Gottes und sein seliges Anschauen zu gelangen. An diesem Orte weilen viele und gar lange neben denen, welche in der Welt, solange sie lebten, kein vollkommenes Verlangen hatten, in die Gegenwart und Anschauung Gottes zu kommen. Du sollst auch wissen, daß viele in der Welt so gerecht und unschuldig sterben, daß sie sogleich in die Gegenwart und zur Anschauung Gottes gelangen. Einige auch haben durch ihre guten Werke ihre Sünden wieder so gut gemacht, daß ihre Seelen keine Pein empfinden. Wenige aber sind ihrer, welche nicht an diesen Ort kommen, wo das Verlangen herrscht, zu Gott zu kommen. Deshalb werden alle Seelen, welche an diesen drei Orten wohnen, des Gebetes der heiligen Kirche und der guten Werke, welche in der Welt geschehen, teilhaftig, derer besonders, welche sie vollbracht haben, solange sie lebten, und derer, welche nach ihrem Tode durch ihre Freunde gethan werden. Wisse auch, daß, wie die Sünden vielgestaltig und mannigfaltig sind, so auch die Peinen vielfach und verschiedenartig sind. Wie daher der Hungernde sich der Speise freut, die an seinen Mund kommt, der Dürstende des Trankes, der Trauernde der Freude, der Nackte der Kleidung, der Kranke, wenn er ins Bett gebracht wird, so freuen sich die Seelen und nehmen an dem Guten teil, das für sie in der Welt gethan wird." Daraus setzte der Engel hinzu: "Gebenedeit sei der, welcher in der Welt den Seelen mit Gebet, guten Werken und mittels der Arbeit seines Leibes hilft, weil die Gerechtigkeit Gottes nicht lügen kann, welche sagt, daß die Seelen entweder nach dem Tode durch die Strafe des Fegfeuers, oder durch die guten Werke der Freunde schneller erlöst werden." Hierauf wurden viele Stimmen aus dem Fegfeuer gehört, welche sprachen: "O Herr Jesu Christe, gerechter Richter, sende Deine Liebe denen, welche geistlicherweise Gewalt haben in der Welt, dann werden wir besser als jetzt an ihrem Lesen, Singen, Opfern teilhaben." Oberhalb des Raumes, aus welchem dieses Rufen vernommen ward, zeigte sich ein Haus, in welchem viele Stimmen sich hören ließen, welche sprachen: "Lohn sei denen von Gott, welche uns Hilfe senden für unsere Fehler"' In diesem Hause ging auch, wie es schien, eine Morgen- 27 röte auf; unter der Morgenröte zeigte sich eine Wolke, welche nichts vom Lichte der Morgenröte hatte; aus derselben tönte eine starke Stimme hervor und sprach: "O Herr Gott, belohne aus Deiner unbegreiflichen Macht alle diejenigen in der Welt, welche uns mit guten Werken in das Licht Deiner Gottheit und das Anschauen Deines Antlitzes hinaufheben."
Kapitel VIII.
Worte des Engels zur Braut von der großen Pein einer Seele.
Weiter redete der Engel und sprach: "Jene Seele, deren Zustand Du gesehen, deren Gericht Du vernommen, ist in der größten Pein des Feuers wegen ihrer Ungewißheit, ob sie nach der Läuterung zur Ruhe kommen oder verdammt werden wird. ⋅1⋅ Und dies ist die Gerechtigkeit Gottes. Denn ihr Besitzer hat eine große Gabe der Unterscheidung gehabt, deren er sich leiblicherweise der Welt gegenüber bedient, nicht aber geistlicherweise für die Seele, da er Gott gar zu sehr vergessen und vernachlässigt hat, während er lebte. Deshalb leidet seine Seele jetzt Hitze vom Feuer und erbebt vor Frost. Sie ist blind vor Finsternis und furchtsam vor dem Anblicke der bösen Geister, taub vom Geschrei des Teufels, inwendig hungernd und dürstend und auswendig mit Schande bekleidet; doch hat ihr Gott eine Gnade nach dem Tode gewährt, daß sie von den Teufeln keine Qual erleide, weil sie allein um der Ehre Gottes willen ihren Feinden vergeben, ihnen ihre schweren Beleidigungen verziehen und mit seinem ärgsten Feinde Freundschaft geschlossen hat. Wisse auch, daß alles, was sie Gutes gethan und was sie versprochen und von dem wohlerworbenen Reichtume abgegeben hat, und vorzüglich die Gebete der Freunde Gottes ihre Pein vermindern und erleichtern, wie es auch in der Gerechtigkeit Gottes beschlossen worden ist. Andere Güter aber, die minder gut erworben worden, und die sie weggegeben hat, nützen geistlicher- oder körperlicherweise denen, welche sie vorher mit Recht besessen, wenn sie es nach dem Ratschlusse Gottes wert sind." 28
Kapitel IX.
Worte des Engels zur Braut vom Gerichte der göttlichen Gerechtigkeit wider die obengedachte Seele, und von der Genugthuung, welche in diesem Leben für sie im Fegfeuer geschehen soll.
Weiter redete der Engel: "Du hast vorher gehört, wie jener Mensch wegen der Bitten der Freunde Gottes kurz vor seinem Tode die Reue aus Liebe zu Gott wegen der Liebe zu den Sündern erlangt, und wie diese Reue ihn von der Hölle geschieden hat. Darum hat nach dem Tode die Gerechtigkeit Gottes geurteilt, daß er im Fegfeuer die sechs Alter hindurch brennen sollte, welche er von der Stunde an gehabt hat, wo er zuerst wissentlich eine Todsünde begangen, bis er aus Liebe zu Gott in fruchtbarer Weise Buße gethan, es wäre denn, daß er von der Welt und den Freunden Gottes früher Hilfe erlangte. Das erste Alter war, da er Gott nicht geliebt wegen des Todes seines edlen Leibes und wegen seiner vielfältigen Widerwärtigkeiten, welche Christus selber aus keiner anderen Ursache ausgestanden, als um des Heiles der Seelen willen. Das zweite Alter war, daß er nicht seine eigene Seele geliebt, wie ein Christ es thun sollte, noch Gott für seine Taufe, noch dafür gedankt hat, daß er kein Jude und kein Heide gewesen. Das dritte Alter ist gewesen, daß er wohl gewußt hat, was Gott zu thun befohlen, und solches zu vollbringen schlechte Lust gehabt hat. Das vierte Alter war, daß er wohl gewußt, was Gott denen verboten, die zum Himmel gehen wollen, aber frech dawider gehandelt hat, indem er nicht den Stacheln des Gewissens, sondern seiner fleischlichen Neigung und seinem Gelüsten gefolgt ist. Das fünfte Alter war, daß er niemals die Gnade und Beicht gebraucht hat, wie es ihm geziemte, da er so lange Zeit dazu hatte. Das sechste Alter war, daß er den Leib Christi wenig geachtet, da er denselben nicht oft empfangen wollen, weil er sich der Sünde nicht enthalten mochte, noch die Liebe gehabt hat, den Leib Christi vor dem Ende seines Lebens zu empfangen." - Hierauf erschien ein Mann, dessen Kleider weiß und leuchtend waren, wie die Albe eines Priesters; umgürtet war er mit einem leinenen Gürtel, mit einer roten Stola am Halse 29 und unter seinem Arme, welcher also zu reden anhob: "Du, die Du dieses siehst, habe acht, merke und überantworte Deinem Gedächtnisse, was Du siehst und was Dir gesagt wird. Ihr fürwahr, die ihr in der Welt lebt, vermögt nicht, auf die Weise Gottes Macht zu erkennen, wie wir, die wir bei ihm sind, denn was bei Gott in einem Augenblicke geschieht, das kann bei euch nur mit Worten und durch Gleichnisse nach der Weltordnung begriffen werden. Wohlan denn, ich bin einer von denen, welchen dieser zum Fegfeuer verurteilte Mann mit seinen Geschenken während seines Lebens geehrt hat. Darum hat Gott mir aus seiner Gnade geoffenbart, daß, wenn jemand nach meinen Worten thun würde, die Seele dieses Mannes an einen erhabeneren Ort emporgetragen werden könnte, wo sie ihre rechte Gestalt erhielte, und keine andere Pein empfände, als derjenige leiden würde, welcher nach einer überstandenen schweren Krankheit ohne Schmerzen und ohne Kraft daliegt, aber sich freut, da er für gewiß weiß, daß er zum Leben gelangen werde. Deshalb, wie Du gehört hast, daß seine Seele fünfmal Weh rief, sage ich Dir fünf Tröstungen. Das erste Weh war, daß er den Herrn wenig liebte. Damit er nun von demselben befreit werde, müssen für seine Seele dreißig Kelche dargebracht werden, worin das Blut Gottes geopfert und Gott selbst mehr geehrt werden soll. Das zweite Weh war, daß er Gott nicht gefürchtet hat; darum sollen, um ihn davon zu erlösen, dreißig, nach dem Urteile der Menschen fromme Priester auserwählt werden, deren jeder dreißig Messen lesen soll, wo möglich neun von den Märtyrern, neun von den Bekennern und neun von allen Heiligen, die achtundzwanzigste von den Engeln, die neunundzwanzigste von Maria, der Jungfrau, und die dreißigste von der heiligen Dreifaltigkeit. Und alle sollen andächtig für seine Seele bitten, auf daß Gottes Zorn besänftigt und seine Gerechtigkeit zur Barmherzigkeit bewegt werde. Das dritte Weh war für seine Hoffart und Begierlichkeit. Um dieses zu beseitigen, soll man dreißig Arme nehmen, deren Füße in Demut gewaschen werden müssen. Auch soll man denselben Speisen, Geld und Kleider reichen, damit sie getröstet werden. Ein jeglicher von ihnen, sowohl der da wäscht, als der da gewaschen wird, soll Gott demütig bitten, daß er um seiner Erniedrigung und seines bitteren Leidens willen der Seele die Sün- 30 den ihrer Hoffart erlassen möge. Das vierte Weh war für die Unkeuschheit seines Fleisches. Wer daher nach den drei von Gott eingesetzten Ständen eine Jungfrau, desgleichen eine Witwe ins Kloster und ein Mädchen in eine wahre Ehe geben möchte, und ihnen soviel von seinen Gütern mitgäbe, daß sie davon genügend in Nahrung und Kleidung bestehen könnten, dem wird Gott die Fleischessünden dieser Seele nachlassen. Das fünfte Weh galt seiner Sünde, wodurch er zur Betrübnis vieler alle Kräfte darangesetzt, daß jene beiden vorgenannten Blutsverwandten (Ludwig und Johanna) in eine Ehe zusammenkämen. Und diese Verbindung hat er mehr seiner selbst wegen betrieben, als um des Reiches willen, ohne Ansuchen beim Papste und wider die löbliche Anordnung der heiligen Kirche. Für diese That sind viele zu Märtyrern geworden, damit dergleichen wider Gott und die heilige Kirche oder christliche Sitte nicht möge geduldet werden. Wenn jemand solche Sünde austilgen will, muß er zum Papste gehen und sprechen: Es hat jemand (wobei er die Person nicht zu nennen braucht) eine solche Sünde begangen, jedoch am Ende Reue gehabt und die Absolution erhalten, ohne die Sünde wieder gutgemacht zu haben. Leget mir deshalb eine Buße auf, welche ihr wollet, und die ich auszuhalten vermag; denn ich bin bereit, für jenen diese Sünde wieder gutzumachen. Wahrlich, wenn diesem auch keine größere Buße auferlegt wäre, als ein einziges Vaterunser, so würde sie jener Seele zur Minderung ihrer Pein im Fegfeuer dienen."
Kapitel X.
Klagende Worte Christi an die Braut über die Römer, und von dem grausamen Urteile, das Christus über sie fällen wird, wenn sie in ihren Sünden dahinsterben.
Der Sohn Gottes redete folgende Worte und sprach: "O Rom, du vergiltst mir die vielen Wohlthaten mit üblem Lohne. Ich bin der Gott, welcher alles erschaffen und seine große Liebe durch den überaus harten Tod seines Leibes geoffenbart hat, den ich aus eigenem Willen für das Heil der Seelen ausgestanden habe. Es sind 31 drei Wege, auf denen ich zu dir kommen wollte, du aber hast mich fürwahr auf allen verleugnen wollen. Auf dem ersten Wege hast du einen großen Stein über meinem Haupte aufgehangen, der mich erschlagen sollte; auf dem zweiten hast du einen scharfen Speer gestellt, der mich nicht zu dir kommen lassen sollte; auf dem dritten Wege hast du mir eine Grube gegraben, damit ich, unversehens hineingeraten, ersticken möge. Was ich jetzt sage, muß nicht auf leibliche, sondern auf geistliche Weise verstanden werden, und was ich sage, betrifft jene Einwohner der Stadt Rom, welche also thun, nicht aber meine Freunde, welche deren Werken nicht nachfolgen. Der erste Weg also, auf welchem ich zum Herzen der Menschen zu kommen pflege, ist die wahre Furcht Gottes, über welche der Mensch einen großen Stein schweben läßt, d. i. die große Vermessenheit eines harten Herzens; er fürchtet den Richter nicht, dem niemand widerstehen kann, sondern spricht in seinem Herzen also: Kommt zu mir die Furcht Gottes, so wird meines Herzens Vermessenheit dieselbe zermalmen. Der zweite Weg, auf welchem ich komme, ist die Eingießung des göttlichen Rates, welcher auch sehr häufig in Predigten und Lehren kommt. Es stellt nun der Mensch auf diesem Wege einen Spieß gegen mich, wenn er mit Lust sündigt wider meine Gebote, und sich vornimmt, fest in seinem Bösen zu verharren, bis er keinen Gebrauch mehr davon zu machen vermag. Das ist fürwahr jener Spieß, welcher nicht zuläßt, daß die Gnade Gottes an ihn herankommt. Der dritte Weg aber ist die Erleuchtung des heiligen Geistes in jedes Menschen Herzen, mittels deren der Mensch erkennen und ermessen kann, was und wie Großes ich für ihn gethan, und wie ich für ihn an mir selber gelitten habe. Auf diesem Wege gräbt er mir eine tiefe Grube, indem er also in seinem Herzen spricht: Alles, was mir gefällt, ist mir lieber, als seine Liebe; denn ich habe schon genug, wenn ich an das denke, was mich in diesem Leben zu denken erfreut; und so wird die göttliche Liebe zugleich mit meinen Werken wie in einer tiefen Grube von ihm erstickt. Wahrlich, die Bewohner der Stadt Rom thun mir dieses alles und zeigen es mir in Wort und That. Meine Worte und Werke achten sie für nichts, und fluchen mir und meiner Mutter und meinen Heiligen im Ernste wie im Scherze, in der Freude wie im Zorne, und bringen uns Schimpf, statt Dank- 32 sagungen dar. Sie leben ja nicht nach der Christen Brauche, wie die heilige Kirche vorschreibt, weil sie keine größere Liebe zu mir haben, als die Teufel, welche lieber ewig ihr Elend tragen und ihre Bosheit beibehalten, als mich sehen und mir in der ewigen Herrlichkeit anhangen wollen. So sind fürwahr jene, welche meinen Leib nicht empfangen wollen, der auf dem Altare aus dem Brote, wie ich selber eingesetzt, geweiht wird, und dessen Empfang hauptsächlich wider die teuflische Versuchung hilft. Ach! wie elend sind diejenigen, welche, solange sie gesund sind, eine solche Hilfe mehr wie ein Gift ausspeien und verabscheuen, weil sie sich von ihren Sünden nicht enthalten wollen. Daher will ich denn auf einem anderen, ihnen unbekannten Wege mit der Macht meiner Gottheit zu ihnen kommen und Rache üben an den Verächtern meiner Menschheit. Und wie sie mir dreierlei Hindernisse auf ihren Wegen, damit ich dieselben nicht betreten könne, bereitet haben, so werde auch ich ihnen drei andere bereiten, deren Bitterkeit sie lebendig und tot empfinden und schmecken werden. Mein Stein also ist ein plötzlicher und unerwarteter Tod, welcher sie also zermalmen wird, daß alles, was sie zu ihrer Lust haben, hier bleiben, und allein ihre Seele vor mein Gericht zu kommen gezwungen werden wird. Mein Spieß aber ist meine Gerechtigkeit, welche sie von mir also entfernen wird, daß sie niemals meine Güte kosten, obwohl ich sie losgekauft habe, und nimmer meine Schönheit sehen werden, obwohl ich sie erschaffen habe. Meine Grube aber ist die finstere Dunkelheit der Hölle, in welche sie hineinfallen werden, um darin im ewigen Elende zu leben. Alle meine Engel im Himmel und alle meine Heiligen werden sie verdammen, und alle bösen Geister und alle Seelen in der Hölle werden ihnen fluchen. Ich meine aber diejenigen und spreche von denen, welche so beschaffen sind, wie droben gesagt worden, mögen sie Ordensgeistliche oder Weltgeistliche, Laien oder Weiber, oder deren Söhne oder Töchter sein, welche zu solchem Alter gelangt sind, daß sie erkennen, wie Gott alle Sünden verboten habe, die sich aber dennoch in Sünden einlassen, sich freiwillig ausschließen von der Liebe Gottes und seine Furcht gering schätzen. Gleichwohl habe ich noch denselben Willen, den ich hatte, als ich am Kreuze hing, denn ich bin jetzt derselbe, welcher ich damals war, als ich dem Schächer, welcher um Barm- 33 herzigkeit bat, alle Sünden erließ und die Pforten des Himmels öffnete. Dem anderen Schächer, welcher mich verachtete, habe ich die Verschlüsse der Hölle geöffnet, in welcher er für seine Sünden ewig gemartert wird."
Kapitel XI.
Worte der heiligen Agnes zur glorwürdigen Jungfrau, welche dieselbe preisen und benedeien, und wie sie die Jungfrau für die Tochter bittet. Von der süßen und trostreichen Antwort des Herrn und der Jungfrau an die Braut, und wie diese Welt durch einen Topf bedeutet wird.
Agnes sprach: "O Maria, Mutter und Jungfrau aller Jungfrauen, Du kannst mit Recht die Morgenröte genannt werden, welche Christus, die wahre Sonne, erleuchtet hat. Nenne ich Dich aber Morgenröte wegen Deiner königlichen Abkunft, oder wegen Deines Reichtums und Deiner Ehren? Keineswegs; sondern mit Recht wirst Du wegen Deiner Demut, wegen der Erleuchtung Deines Glaubens, wegen Deines besonderen Gelübdes der Keuschheit eine Morgenröte genannt. Du hast verkündigt und hervorgeführt die wahre Sonne, Du bist die Freude der Gerechten, der Schrecken der Teufel, der Trost der Sünder. Also bitte ich Dich um der Hochzeit willen, welche Gott mit Dir zu jener Zeit gehalten hat, daß Deine Tochter möge verharren können in der Vermählung und Liebe Deines Sohnes." Die Mutter antwortete: "Wie verstehst Du diese Hochzeit? Sage es um derer willen, welche hier zuhört." Agnes antwortete: "Du bist fürwahr beides, Mutter und Jungfrau. Die schönste Hochzeit ist an Dir zu der Stunde vollzogen worden, als Gott ohne Vermischung und Minderung seiner Gottheit in Dir sich mit dem Menschen vereinigte. Jungfräulichkeit und Mütterlichkeit sind in Dir ohne Versehrung der jungfräulichen Scham verbunden, und Du bist zugleich Mutter und Tochter Deines Schöpfers geworden, denn Du hast Heute denjenigen in die Zeit geboren, welcher, vom Vater ewig gezeugt, alles mit dem Vater gewirkt hat. Der heilige Geist war in Dir und außer Dir und um und mit Dir, und hat Dich befruchtet, als Du dem Boten Gottes Deine Einwilligung gabst. 34 Und der Sohn Gottes selber, welcher Heute von Dir geboren worden, war auch in Dir, bevor sein Verkünder zu Dir kam; thue deshalb Barmherzigkeit an Deiner Tochter. Denn sie gleicht jenem armen Weiblein, welches, in einem Thale wohnend, nichts hatte außer wenigem Lebendigen, nämlich: eine Henne oder Gans, das aber dem Herrn, welcher auf dem Berge des Thales wohnte, so sehr ergeben war, daß es alles, was es Lebendiges hatte, dem Herrn auf dem Berge aus Liebe darbrachte. Diesem Weibe antwortete der Herr: Ich habe Überfluß an allen Dingen und bedarf des Deinigen nicht; vielleicht aber bringst du geringes dar, damit dir Größeres zu teil werde. Darauf das Weib: Nicht darum biete ich dir dieses dar, weil du es nötig hättest, sondern weil du mich, ein so geringes Weib; an deinem Berge hast wohnen lassen und ich von deinen Dienern geehrt worden bin. Darum biet' ich dir dieses wenige an, damit du überzeugt werdest, daß ich Größeres bringen würde, wenn ich es vermöchte, und damit ich nicht undankbar gegen deine Gnade erscheinen möge. Der Herr antwortete: Weil du mich mit solcher Liebe liebst, werde ich dich auf meinen Berg erheben und dir und den Deinigen Kleider und jährlichen Unterhalt gewähren. Ebenso steht es auch mit Deiner Tochter; alles, was sie Lebendiges gehabt, d. i. die Liebe zur Welt und ihren Kindern, hat sie für Dich verlassen; deshalb kommt es Deiner Liebe zu, für sie zu sorgen." Die Mutter antwortete der Braut des Sohnes und sprach: "Tochter, stehe fest. Ich werde meinen Sohn bitten, welcher Dir jährlichen Unterhalt gewähren, und Dir auf dem Berge einen Sitz geben wird, wo tausendmal tausend Engel ihn bedienen; denn, wenn auch alle Menschen gezählt werden, welche geboren sind von Adam an bis auf den letzten, welcher am Ende der Welt geboren werden wird, so werden mehr als zehn Engel auf einen Menschen kommen. Die Welt ist nichts anderes, als ein Topf. Das Feuer unter dem Topfe und die Asche sind die Freunde der Welt; die Freunde Gottes aber sind gleich der besten Speise in einem Topfe. Wenn nun der Tisch bereitet sein wird, dann wird dem Herrn süße Speise aufgetragen werden und er wird sich daran erfreuen, der Topf aber wird zerbrochen, das Feuer jedoch nicht ausgelöscht werden." 35
Kapitel XII.
Worte der jungfräulichen Mutter zur Tochter von der Heimsuchung der Freunde Gottes in dieser Welt bald durch geistliche Trübsal, bald durch Tröstungen. Was geistliche Trübsal und Tröstung ist, und wie die Freunde Gottes sich zeitlich freuen und trösten sollen.
Die Mutter sprach: "Die Freunde Gottes sollen sagen: Ich habe in der Welt bald in geistlicher Trübsal, bald in geistlicher Tröstung gelebt. Der geistliche Trost kommt aus der Eingießung des heiligen Geistes, der Betrachtung der großen Werke Gottes, der Bewunderung seiner Langmut, und aus der freudigen Erfüllung des göttlichen Willens. Geistliche Trübsal aber findet statt, wenn wider den Willen unreine und lästige Gedanken die Seele beunruhigen, wenn das Gemüt Angst empfindet bei der Verunehrung Gottes und beim Untergange der Seelen, wenn der Geist aus vernünftiger Ursache genötigt wird, sich in zeitliche Sorgen zu verwickeln. So können auch die Freunde Gottes zuweilen durch zeitlichen Trost Tröstung empfangen, z. B. durch erbauliche Worte, durch ein ehrbares Spiel oder durch andere Werke, in denen nichts Erniedrigendes oder Unehrbares ist, wie Du an einem Beispiele erkennen magst. Wenn nämlich die Faust immer geschlossen gehalten wird, werden entweder die Nerven zusammengezogen, oder es wird die Hand geschwächt werden. So ist es auch im Geistlichen. Wenn der Geist stets in der Verzückung begriffen wäre, so würde er, sich selbst vergessend, in Hoffart zusammenschwinden, so daß die Krone seiner Herrlichkeit müßte vermindert werden. Darum werden die Freunde Gottes zuweilen durch Eingießung des heiligen Geistes getröstet, zuweilen aber auch nach Gottes Verheißung durch Trübsale heimgesucht, weil durch Trübsale die Wurzeln der Sünden vertilgt werden und die Früchte der Gerechtigkeit Wurzel treiben. Doch mäßigt Gott, welcher die Herzen sieht und alles erkennt, die Versuchungen seiner Freunde, daß sie ihnen zum Vorteile gereichen, weil er alles gerecht in Maß und Gewicht thut und zuläßt. Da Du nun erwählt bist, den Geist Gottes zu haben, so beunruhige Du Dich nicht über die Langmütigkeit Gottes; denn es steht geschrieben, daß niemand zu Gott komme, den der Vater nicht gezogen 36 hat. Wenn der Hirte mit einem Blumenstrauße die Schafe ins Haus zieht und lockt und nachher das Haus sorgfältig verschließt, werden die Schafe, obgleich sie in dessen Räumen hin und wieder laufen, doch keinen Ausgang haben, weil das Haus durch Wände bewahrt und das Dach hoch ist, die Thüren aber verschlossen sind. Deshalb gewöhnen sich die Schafe, das Heu zu fressen, bis sie zahm werden und das Heu auch aus der Hand des Hirten fressen. Also ist es auch mit Dir geschehen; denn was Dir vorher schwer und unerträglich schien, ist jetzt dergestalt Dir leicht geworden, daß Dich nun nichts so erfreut, wie Gott."
Kapitel XIII.
Worte Christi zur Braut darüber, welche Thränen Gott angenehm sind und welche nicht, und wovon den Armen ein Almosen gemacht und gegeben werden soll für die Seelen der Verstorbenen, und von dem Ratschlusse und der Leitung Christi hinsichtlich der Braut.
Der Sohn sprach: "Du wunderst Dich, weshalb ich denjenigen nicht höre, welchen Du viele Thränen vergießen und den Armen sehr vieles zu meiner Ehre spenden siehst." Ich antworte Dir aufs erste: "Wenn zwei Quellen zusammenfließen, von denen die eine rein, die andere trüb und schmutzig ist, so wird die trübe Quelle das Wasser der reinen beschmutzen und wer wird dieses Wasser trinken können? So ist es auch mit den Thränen vieler Menschen; bei dem einen kommen sie zuweilen aus einer Demütigung der natürlichen Neigung, zuweilen von der Trübsal der Welt und aus der Furcht vor der Hölle; solche Thränen sind schmutzig und stinkend, weil sie nicht aus der Liebe Gottes hervorgehen. Aber die Thränen sind süß für mich, welche aus der Betrachtung der Wohlthaten Gottes, aus der Betrachtung der eigenen Sünden und aus der Liebe zu Gott hervorgehen. Solche Thränen erheben die Seele vom Irdischen zum Himmel und lassen den Menschen zum ewigen Leben wieder geboren werden. Es giebt eine zweifache Zeugung, eine fleischliche und eine geistliche. Was fleischlich gezeugt ist, beweint den Schaden des Fleisches und trägt mit Freuden die Mühsalen der Welt. Der Sohn solcher Zeugung ist nicht der Sohn der Thränen, weil durch 37 solche Thränen das ewige Leben nicht erworben wird, die geistliche Zeugung aber bringt den Sohn der Thränen hervor, da sie das Verderben der Seele beweint und besorgt ist, daß der Sohn Gott nicht beleidige. Eine solche Mutter ist dem Sohne näher, als die ihn fleischlich gebiert, weil durch solche Geburt das selige Leben gewonnen wird. Wegen des anderen, daß er den Armen Almosen spendet, antworte ich Dir: Wenn Du Deinem Sohne vom Gelde Deines Dieners einen Rock kauftest, gehörte dann nicht von Rechts wegen der Rock dem, welcher das Geld besaß? Freilich gehörte er ihm! So ist es auch auf geistliche Weise; denn wer seine Untergebenen oder Nächsten beschwert, um mittelst ihres Geldes den Seelen seiner Lieben zu Hilfe zu kommen, reizt mich mehr zum Zorn, als daß er denselben besänftigt, und das mit Unrecht hinweg Genommene wird denen zu statten kommen, welche das Gut vorher rechtmäßig besaßen, nicht aber denen, für welche es ausgegeben wird. Gleichwohl aber mußt Du dem, welcher Dir wohlgethan, auch wieder Gutes thun, sowohl geistlicher- als leiblicherweise; geistlicherweise, indem man für ihn Gebete an Gott richtet; denn niemand kann glauben, wie sehr Gott die Gebete der Demütigen gefallen, wie ich Dir an einem Beispiele zeigen werde. Wenn jemand einem Könige ein großes Gewicht an Silber anbieten wollte, so würde von den Anwesenden gesagt werden: Das ist ein großes Geschenk. Wenn er aber für den König ein Vaterunser betete, würde er verlacht werden. Bei Gott ist es gerade entgegengesetzt. Denn wenn jemand für eines andern Seele ein Vaterunser darbringt, so ist das Gott lieber, als eine schwere Last Goldes. Also war es an jenem guten Gregor zu sehen, welcher durch sein Gebet selbst einen ungläubigen Kaiser zu einer höheren Stufe erhoben hat. ⋅1⋅ Zweitens. sage ihm folgende Worte: "Weil Du mir Gutes erwiesen, bitte ich Gott, den Allesvergelter, daß er Dir nach seiner Gnade erstatten wolle." Ferner sprich zu ihm also: "Mein Liebster, eins rate ich Dir, um eins bitte ich Dich. Ich rate Dir, die Augen Deines Herzens zu öffnen, indem Du die Unbeständigkeit und Eitelkeit der Welt betrachtest, indem Du wiederholt erwägst, wie sehr die Liebe Gottes in Deinem 38 Herzen erkaltet ist, und wie schwer die Strafe und das entsetzliche künftige Gericht sein werden; ziehe deshalb die Liebe Gottes in Dein Herz herab, indem Du alle Deine Zeiten, Werke, Neigungen und Gedanken zur Ehre Gottes ordnest. Auch Deine Kinder übergieb der Fügung und Anordnung Gottes, ohne ihretwegen an der Liebe Gottes etwas zu mindern. Zweitens bitte Dich ich, Du wollest mit Deinen Gaben zu erlangen trachten, daß Gott, welcher alles vermag, Dir Geduld schenke und Dein Herz mit seiner gebenedeiten Liebe erfülle."
Kapitel XIV.
Trostworte Christi zur Braut, als sie in Furcht war, sie solle sich vor dem nicht fürchten, was sie gesehen und gehört, weil es vom heiligen Geiste sei. Und wie der Teufel durch eine Schlange und einen Löwen, der Trost des heiligen Geistes durch eine Zunge bedeutet wird, und wie man dem Teufel zu widerstehen hat.
Der Sohn sprach: "Weshalb hast Du Furcht und Besorgnis davor, daß der Teufel etliches unter die Worte des heiligen Geistes mische? Hast Du etwa jemals gehört, daß derjenige seine Zunge unversehrt erhalte, welcher dieselbe zwischen eines grimmigen Löwen Zähne legt? Oder hat wohl jemals einer aus dem Schwanze einer Schlange süßen Honig gesogen? Mit nichten! Allein, wer anders ist der Löwe, wer die Schlange, als der Teufel? Der Löwe wegen seiner Bösartigkeit, die Schlange wegen ihrer List. Was anders aber ist die Zunge, denn der Trost des heiligen Geistes? Was anders aber bedeutet es, die Zunge zwischen des Löwen Zähne legen, als die Worte des heiligen Geistes, welcher in Gestalt einer Zunge erschien, um menschlicher Gunst und Lobes willen zu mißbrauchen? Wer das Lob Gottes den Menschen zu Gefallen redet, der wird fürwahr vom Teufel betrogen, weil jene Worte, wenn dieselben auch Gottes sind, nicht hervorgehen aus dem Munde der Liebe Gottes, und die Zunge, d. h. des heiligen Geistes Tröstung, wird von ihm genommen werden. Wer aber nichts begehrt, als Gott, und wem alles Weltliche beschwerlich ist, wessen Leib nichts zu sehen und zu hören verlangt, als was Gottes ist; und wessen Seele sich freut in der Eingießung des heiligen Geistes, ein solcher kann nicht betrogen 39 werden, weil der böse Geist dem guten Geiste weicht und nicht wagt, ihm zu nahen. Was anders aber bedeutet es, Honig aus dem Schwanze der Schlange zu saugen, als den Trost des heiligen Geistes von den Eingebungen des Teufels hoffen, was doch nicht geschehen kann, weil der Teufel sich eher tausendmal töten ließe, als daß er der Seele, wenn deren Leben sich seinem Ende zuneigt, ein Wort des Trostes gäbe? Fürchte daher nichts! Denn Gott, welcher das Gute bei Dir anfing, wird dasselbe zum guten Ziele vollenden. Wisse aber, daß der Teufel wie ein von der Koppel losgelassener Jagdhund ist, der, wenn er sieht, daß Dir der heilige Geist nicht eingegossen worden, mit seinen Einflüsterungen und Versicherungen hinter Dir herläuft. Hältst Du ihm aber etwas Hartes entgegen, daß ihn seine Zähne etwa schmerzen oder stumpf werden, so wird er bald von Dir weichen und Dir nicht schaden. Was ist aber das Harte, das man dem Teufel entgegenhalten soll, anders, als die göttliche Liebe und der Gehorsam gegen die Gebote Gottes? Erblickt der Teufel diese auf vollkommene Weise an Dir, so werden seine Zähne, d. h. seine Unternehmungen und sein Wille, sogleich wirkungslos, weil er in Betracht zieht, daß Du lieber alles Widrige zu erdulden geneigt bist, als den Geboten Gottes zuwider zu handeln."
Kapitel XV.
Worte Christi zur Braut, weshalb die Guten in diesem Leben Trübsale erleiden, die Bösen aber Glück haben, und wie Gott durch ein Beispiel darthut, daß er zuweilen Zeitliches verheißt, worunter das Geistliche verstanden wird, und wie Gott das einzelne nicht bis auf die gewissen Stunden vorhergesagt hat, da ihm alle Stunden und Augenblicke bekannt sind.
Der Sohn Gottes sprach: "Du wunderst Dich, wenn Du hörst, daß ein Freund Gottes, welcher geehrt werden sollte, Trübsale erleidet, der Feind Gottes aber, von dem Du glaubtest, er müsse gegeißelt werben, geehrt wird. Ich antworte Dir: Meine Worte müssen auf geistliche und auf körperliche Weise verstanden werden. Denn was ist die Trübsal der Welt anders, als eine Vorbereitung und Erhebung zur Krone? Was aber ist das Glück der Welt für einen Menschen, welcher die Gnade mißbraucht, anders, als ein 40 Niedersteigen zum Verderben? In der Welt Trübsale haben, ist also eine wahre Erhebung zum Leben; in der Welt Glück haben aber ist für einen ungerechten Menschen ein wahres Niedersteigen zur Hölle. Um nun Deine Geduld in den Worten Gottes zu unterweisen, so sage ich Dir ein Beispiel. Gesetzt, es sei eine Mutter, welche zwei Söhne hätte; der eine wäre in einem finsteren Kerker geboren und wüßte und hörte von nichts, als von Finsternis und seiner Mutter Milch; der andere aber ist in einer kleinen Hüte geboren und hat menschliche Nahrung, Ruhe im Bette und Bedienung durch eine Magd. Zu dem, welcher im Kerker geboren war, sprach die Mutter: O mein Sohn, wolltest Du hinausgehen aus der Finsternis, so würdest Du eine zartere Speise, menschliche Nahrung, ein weicheres Lager und eine sichere Stätte haben. Als der Sohn solches vernommen, ging er hinaus. Hätte die Mutter Höheres versprochen, z. B. rennende Pferde, elfenbeinerne Häuser oder zahlreiches Hausgesinde, so würde er's nicht geglaubt haben, weil er nichts kannte, als Finsternis und Muttermilch. So verheißt auch Gott zuweilen geringes, um darunter Höheres zu verstehen, auf daß der Mensch lernen möge, unter dem Zeitlichen sich das Himmlische vorstellen. Zum anderen Sohne aber sprach die Mutter: O mein Sohn, was nützt Dir's, in dieser schlechten Hütte zu wohnen? Vernimm also meinen Rat, der Dir von Nutzen sein wird. Ich kenne zwei Städte. Die Einwohner der ersten leben in endloser, unaussprechlicher Freude und in Ehren ohne Ende. In der zweiten finden Übungen der Kämpfer statt, und alle, welche kämpfen, werden Könige, und alle, welche besiegt werden, siegen. Als der Sohn solches vernahm, ging er hinaus auf die Kampfstätte, kam zurück und sagte zur Mutter: Ich habe auf dem Kampfplatze ein wunderbares Spiel gesehen. Einige wurden niedergeworfen und mit Füßen getreten, andere wurden entblößt und getötet; alle jedoch schwiegen, alle kämpften, und keiner erhob wider diejenigen, welche ihn niederwarfen, Haupt oder Hand. Die Mutter entgegnete: Die Stadt, welche Du gesehen, ist nichts anderes, als eine Vorstadt der Stadt der Herrlichkeit. In dieser Vorstadt will der Herr diejenigen prüfen, welche geschickt sein mögen, einzugehen in die Stadt der Herrlichkeit. Diejenigen, welche sich im Kampfe besonders hervorgethan haben, wird er höher krönen in der Herrlichkeit. Wenn Du 41 aber die Niedergeworfenen hast entkleidet, gegeißelt werden und schweigen sehen, so war das darum, weil unsere Kleider von der Finsternis unserer Hütte befleckt waren und weil großer Kampf und Arbeit vonnöten ist, damit sie rein werden. Der Sohn antwortete: Es ist aber schwer, sich mit Füßen treten zu lassen und zu schweigen und ich halte es für besser, in meine Hütte zurückzukehren. Ihm antwortete die Mutter und sprach: Wenn Du in unserer Hütte bleibst, so werden aus unserer Finsternis und unserem Gestanke Würmer und Schlangen entstehen, vor deren Anhören Deine Ohren sich entsetzen werden, durch deren Biß Deine ganze Kraft erstarren wird, so daß Du lieber nicht möchtest geboren, als in ihrer Gesellschaft sein. Auf dieses hin, was er von seiner Mutter, welche unter dem leiblichen Gute das geistliche verstand, gehört hatte, wurde der junge Mensch mutiger und strebte eifriger nach der Krone. Also macht es auch Gott. Denn bisweilen verheißt und giebt er Zeitliches, bisweilen verheißt er Fleischliches, worunter er Geistliches versteht, damit der Geist durch die empfangenen Gaben zum Eifer Gottes angeregt und durch das geistliche Verständnis gedemütigt werde, so daß er nicht auf sich selbst stolz werde, wie Gott auch mit Israel gethan. Denn zuerst verhieß und gab er ihnen Zeitliches und verrichtete an ihnen Wunder, damit sie durch dieselben zum Unsichtbaren und Geistlichen erzogen werden möchten. Als hierauf in ihrem Verstande die Erkenntnis Gottes größer geworden war, redete Gott mit den Propheten dunkle und schwer verständliche Worte, indem er einiges Tröstliche und Freudige einmischte, namentlich, als er dem Volke die Heimkehr in dessen Vaterland, immerwährenden Frieden und Wiederaufbau in allem, das dem Einsturze drohte, verhieß. Obwohl das fleischliche Volk alle diese Verheißungen fleischlich verstand und erfüllt haben wollte, so hat doch Gott zuvor gewußt und geordnet, daß einiges auf fleischliche, anderes auf geistliche Weise in Erfüllung gehen sollte. Nun möchtest Du aber fragen: Warum hat denn Gott, dem alle Stunden und Augenblicke bekannt sind, das einzelne nicht deutlich und auf die einzelnen Stunden vorausgesagt, oder weshalb hat er ein anderes gesagt und ein anderes gemeint? Ich antworte Dir: Israel war fleischlich und begehrte allein Fleischliches und konnte das Unsichtbare nur mittelst des Sichtbaren begreifen. Deshalb gefiel es Gott, sein Volk auf vielerlei Weise zu erziehen, damit 42 diejenigen, welche an die Verheißungen Gottes glaubten, ihres Glaubens wegen höher gekrönt würden, damit diejenigen, welche im Guten zunehmen, desto inbrünstiger werden, damit die Übertreter ablassen möchten, ungescheut zu sündigen, damit die mit Trübsal heimgesuchten ihr Elend desto geduldiger trügen, damit die Arbeitenden desto freudiger anhielten, und damit die Harrenden mittelst der dunkeln Verheißung desto höher gekrönt würden; denn, wenn Gott den Fleischlichen bloß das Geistliche verheißen hätte, so würden alle lau geworden sein in der Liebe der himmlischen Dinge. Hätte er aber nur das Fleischliche verheißen, welcher Unterschied fände denn alsdann statt zwischen dem Menschen und dem Viehe? Aber damit der Mensch, als einer, der da sterben soll, in Gerechtigkeit seinen Leib beherrsche, hat der liebreiche und weise Gott ihm das Leibliche gegeben; damit er aber das Himmlische begehre, hat er ihm himmlische Wohlthaten und Wunder gezeigt, auf daß er Furcht haben möge, zu sündigen, hat er ihm die schrecklichen Gerichte gezeigt, desgleichen die Angriffe durch böse Engel, und damit er, der das Dunkel der Verheißungen erhellt und Weisheit verleiht, erwartet und begehrt werden möge, ward Dunkles und Zweifelhaftes mit Tröstlichem vermischt. Also zeigt auch noch heute Gott durch leibliche Gleichnisse geistliche Bedeutungen an, und wenn er von leiblicher Ehre redet, meint er die geistliche, damit Gott allein alle Meisterschaft zugeschrieben werde; denn was ist die Ehre der Welt anders, als Wind und Beschwerde und eine Minderung des göttlichen Trostes? Was aber ist Trübsal anders, als eine Vorbereitung der Tugenden? Ist es also nicht, wenn man einem Gerechten die Ehre der Welt verspricht, ein Raub am geistlichen Vorteile? Aber Trübsale der Welt verheißen, was ist es anders, als eine Arznei und ein Gegengift gegen große Schwäche? Darum, meine Tochter, können die Worte Gottes vielfältig verstanden werden, ohne daß deshalb an irgend eine Wandelbarkeit in Gott zu denken, sondern seine Weisheit zu bewundern und zu fürchten ist. Denn wie ich in den Propheten leiblicherweise viele Dinge gesagt habe, welche auch leiblicherweise vollendet worden, so habe ich auch vieles leiblicherweise gesagt, das in geistlicher Weise vollzogen oder verstanden worden. Also thue ich auch jetzt, und wenn dieses geschieht, will ich Dir die Ursache davon zu wissen thun." 43
Kapitel XVI.
Worte der Jungfrau zur Tochter, wie der Teufel oft listig unter dem Gewande der Andacht auch einige unter den Dienern Gottes führt, damit er sie beunruhige. Welchen der Ablaß gegeben wird, und wie die Anordnung der Kirche durch eine Gans und Gott durch eine Henne bedeutet wird. Wer würdig ist, Küchlein Gottes genannt zu werden.
Die Mutter redete zur Braut Christi: ,;Warum habt ihr diesen Mann aufgenommen, dessen Zunge große Worte redet, dessen Leben aber unbekannt ist, dessen Sitten weltlich sind?" Sie antwortete und sprach: "Weil er für fromm gehalten wurde, und damit er nicht zu Schanden werden möchte, wenn er als Landsmann verschmäht würde. Hätte ich aber zuvor gewußt, daß es Gott mißfiele, so würde ich ihn ebensowenig, als eine Schlange, aufgenommen haben." Darauf sprach die Mutter zu ihr: "Dieser Dein guter Wille hat seine Zunge und sein Herz bewahrt und im Zaume gehalten, daß er euch nicht beunruhigte und außer Fassung brachte, aber der listige Teufel hat euch einen Wolf im Schafpelze zugeführt, um Gelegenheit zu finden; euch Kummer zu bereiten und euch ins Geschwätz zu bringen." Sie antwortete: "Uns kommt es vor, als sei er andächtig und reumütig, und als besuchte er die Heiligen und sagte, er wolle sich der Sünde enthalten." Die Mutter entgegnete: "Wo eine Gans mit Federn ist, sage an, wird da das Fleisch oder werden die Federn gegessen? Sind nicht die Federn abscheulich für den Magen, während das Fleisch speist und stärkt? Also ist auf geistliche Weise die Anordnung und Satzung der heiligen Kirche. Sie ist wie eine Gans, woran der Leib Christi das frische Fleisch, die Sakramente die inneren Teile der Gans, die Flügel aber die Tugenden und Thaten der Märtyrer und Bekenner bedeuten. Die Flaumfedern stellen die Liebe und Geduld der Heiligen, die Schwingfedern dagegen den Ablaß dar, welchen heilige Männer gewährt und verdient haben. Jeder also, der zum Ablaß in der Absicht kommt, von seinen früheren Sünden freigesprochen zu werden, dabei aber in der früheren lasterhaften Gewohnheit verharren möchte, der hat zwar die 44 Schwingfedern der Gans, aber die Seele wird durch sie weder gespeist, noch gestärkt, sondern, wenn sie genommen werden, gereichen sie zur Verwerfung. Wer aber in der Meinung zum Ablasse kommt, die Sünden fortan abzuwerfen, das unrecht Hinweggenommene wieder zu erstatten, den ungerecht Verletzten Genugthuung zu gewähren, nicht einen einzigen Heller mit schändlichem Gewinne zu erwerben, nicht einen Tag anders, als nach Gottes Willen leben zu wollen, in Widerwärtigkeit wie im Glück Gott seinen Willen zu unterwerfen, der Welt Ehren und deren Freundschaften zu fliehen, ein solcher wird Verzeihung der Sünden erlangen und vor Gottes Antlitze ähnlich sein einem Engel Gottes." Auf die Worte der Braut: "O Mutter der Barmherzigkeit, bitte für jenen, daß er Gnade finden möge vor den Augen Deines Sohnes ," antwortete die Mutter: "Der heilige Geist sucht ihn heim, aber etwas, wie ein Stein, liegt vor seinem Herzen und verhindert den Eintritt der Gnade Gottes. Denn Gott ist wie eine Henne, welche ihre Eier warm hält, aus denen lebendige Junge werden sollen. Alle Eier, welche unter der Henne liegen, empfangen ihre Wärme, nicht aber andere Dinge, welche in der Nähe umher sich befinden. Auch bricht nicht die Mutter die Eierschale, in welcher das Junge empfangen wird, sondern das Junge selbst bemüht sich, dieselbe mit seinem Schnabel zu durchbrechen. Wenn dieses die Mutter sieht, bereitet sie dem Küchlein einen wärmeren Ort, wo es bestehen kann. Also sucht Gott mit seiner Gnade alle heim. Diejenigen nun, welche also denken und sprechen: Wir wollen uns der Sünde enthalten und, soviel wir vermögen, nach der Vollkommenheit trachten, besucht der heilige Geist häufiger, auf daß sie es vollkommener vermögen; jene aber, welche ihren ganzen Willen Gott befehlen und auch nicht das mindeste wider die Liebe Gottes thun mögen, vielmehr denen folgen, welche sie nach dem Vollkommeneren streben sehen, auch dem Rate demütiger Menschen gehorchen und klüglich den Regungen ihres Fleisches widerstreben, diese nimmt Gott wie eine Henne ihre Jungen unter sich, indem er ihnen sein Joch leicht macht und sie in ihren schwierigen Lagen tröstet. Diejenigen dagegen, welche ihrem eigenen Willen folgen, und da denken, das wenige Gute, das sie thun, sei des Lohnes bei Gott wert, und welche auch nicht nach einer größeren Vollkommenheit trachten, sondern auf dem beharren, 45 was das Herz erfreut, und ihre Gebrechlichkeit mit dem Beispiele anderer entschuldigen und ihre Schuld durch die Verkehrtheiten der anderen leichter zu machen suchen, solche werden keine Küchlein Gottes, denn sie haben nicht den Willen, die Härte und Eitelkeit ihres Herzens zu brechen, sondern, wenn sie könnten, möchten sie gern länger leben, um in der Sünde lange verharren zu können. Also thaten nicht der gute Zachäus, noch Magdalena, sondern, weil sie in allen Gliedern Gott beleidigt hatten, gaben sie ihm alle Glieder, um für die Beleidigungen genug zu thun. Und weil sie zu weltlicher Ehre, die ihnen zum Tode gereichte, hinaufgestiegen waren, stiegen sie in Demut herab zu ihrer Verachtung, weil es schwer ist, Gott und die Welt zugleich zu lieben, wenn man nicht ist, wie jenes Tier, welches vorn und hinten Augen hatte; gleichwohl wird ein solcher, wie sorgfältig er auch sein mag, Trübsale leiden. Diejenigen aber, welche solche sind, wie dieser Zachäus und Magdalena, haben den sicherern Teil erwählt."
Erklärung.
Dieser war ein Schirmvogt aus Ostgotland und kam zum Jubeljahre, von welchem Christus in Rom redet, mehr aus Furcht, denn aus Liebe. Ein jeglicher, der einer Gefahr entronnen ist, muß sich ein wenig hüten, daß er nicht in seinen vorigen Zustand zurückfällt; denn auch die Schiffer im Hafen, welche ein zu großes Vertrauen haben, kommen in Gefahr. Darum soll jener sich hüten, daß er wieder in den früheren Stand seines Amtes gerate. Sonst, wenn er sich nicht hütet, wird er verlieren, was erfreulich ist. Das Gesammelte wird an Fremde kommen. Die Kinder werden nicht die Erbschaft erhalten und er selber wird nicht ohne Schmerz unter Fremden sterben. Als er heimgekehrt war, ward er wieder ein Steuerbeitreiber und alles geschah also. 46
Kapitel XVII.
Eine sehr gute Unterweisung der heiligen Agnes für die Tochter, gut und löblich zu leben und sich vor einem bösen und gegen Gott undankbaren Leben zu hüten. Hierbei werden die Stärke und Geduld durch einen Wagen und durch die vier Räder folgende vier Tugenden bedeutet: Alles um Gottes willen vollkommen aufzugeben, Demut, und Gott weislich zu lieben und das Fleisch klüglich im Zaume zu halten. Es wird auch einiges andere für Ordensgeistliche hinzugefügt.
Agnes redete zur Braut Christi und sprach: "Sahest Du heute die hoffärtige Frau auf dem Wagen der Hoffart?" Die Braut antwortete ihr: "Ich sah sie und verging, weil Fleisch und Blut, Staub und Kot dort gelobt werden wollen, wo sie sich von Rechts wegen demütigen sollten. Denn was ist eine solche Pracht, als eine verschwenderische Aufzehrung der Gaben Gottes, ein Ärgernis des gemeinen Volkes, eine Betrübung der Gerechten, eine Verheerung der Armen, eine Hervorrufung des Zornes Gottes, eine Vergessenheit seiner selbst, ein schwereres Urteil für das künftige Gericht und ein Verlust der Seelen?" Agnes entgegnete: "Freue Dich, meine Tochter, daß Du solchem entzogen worden, deshalb will ich Dir einen Wagen beschreiben, worauf Du sicher sitzen magst. Der Wagen, worauf Du sicher sitzen sollst, ist die Stärke und die Geduld in Trübsalen. Wenn der Mensch das Fleisch zu bezähmen und seinen ganzen Willen Gott zu überlassen begonnen hat, dann schleicht sich gern die Hoffart in sein Herz, welche den Menschen von und über sich erhebt, als ob er Gott oder den gerechten Menschen ähnlich wäre, oder es überfällt ihn die Ungeduld oder Unbescheidenheit, daß er entweder wiederkehrt zu seinen alten Gewohnheiten, oder abnimmt an Eifer, wodurch er ungeschickt wird zur Arbeit Gottes. Deshalb bedarf es einer bescheidenen Geduld, auf daß er weder ungeduldig zurückweiche, noch unbescheiden verharre, sondern sich nach den Kräften und Zeiten richte. Das erste Rad an diesem Wagen aber ist der vollkommene Wille, alles um Gottes willen zu verlassen und nichts zu begehren, als Gott. Denn es giebt viele, welche das Zeitliche zu dem Ende verlassen, um den 47 Widerwärtigkeiten zu entgehen, ohne daß ihnen gleichwohl etwas zum Nutzen und Vergnügen fehlen darf. Das Rad dieser Leute läßt sich nicht führen, noch umwenden. Wenn sie die Armut belästiget, begehren sie Wohlstand, beschwert sie das Unglück, so verlangen sie Glück; versucht sie die Verachtung, so murren sie über die göttliche Fügung und streben nach Ehren. Wird ihnen etwas geboten, das ihnen zuwider ist, so suchen sie sich eigene Freiheiten. Darum gefällt Gott der Wille, welcher weder im Glücke, noch Unglücke begehrt, etwas von dem Seinigen zu haben. Das zweite Rad ist die Demut, mittels deren der Mensch sich alles Guten unwert achtet, indem er zu jeglicher Stunde sich seine Sünden vor Augen hält und sich vor dem Antlitze Gottes für schuldig erachtet. Das dritte Rad ist, Gott weislich lieb haben. Derjenige fürwahr hat Gott weislich lieb, welcher, wenn er an sich selber herumblickt, seine Fehler hasset, welcher bekümmert ist um der Sünden seiner Nächsten und Verwandten willen, sich dagegen ihres geistlichen Fortschrittes zu Gott freut, welcher nicht wünscht, daß sein Freund ihm zu Nutzen und Vorteil lebe, sondern um Gott zu dienen, und mehr sein Emporkommen in der Welt fürchte, damit er Gott nicht beleidigen möge. Eine solche Liebe ist eine weise, wenn man die Laster haßt und dieselben nicht um der Gunst und Ehren willen nährt, und indem man diejenigen am meisten liebt, welche man in der Liebe Gottes am eifrigsten sieht. Das vierte Rad ist die kluge Abtötung des Fleisches. Wer im Ehestande ist und denkt also: Siehe, das Fleisch lockt mich auf unordentliche Weise; werde ich nach dem Fleische leben, so weiß ich auf das Gewisseste, daß der Schöpfer des Fleisches zürnt, der schlagen und schwächen kann, welcher töten und richten wird; deshalb will ich um der Liebe Gottes willen mein Fleisch gutwillig im Zaume halten, leben auf gebührende und zur Ehre Gottes eingerichtete Weise. Wer also denkt und Gott um Hilfe bittet, dessen Rad wird Gott angenehm sein. Wenn einer Ordensgeistlicher ist und denkt also: Siehe, mein Fleisch lockt mich zur Wollust; es bieten sich Ort, Zeit, Güter und alles dar, um der Lust zu pflegen, gleichwohl will ich unter Gottes Beistand meiner heiligen Gelübdeablegung wegen um einer flüchtigen Lust willen nicht sündigen, denn es ist ein großes Gut, das ich Gott gelobt habe; arm bin ich eingetreten, noch ärmer will ich hinaus- 48 gehen; über alles muß ich Rechenschaft ablegen, deshalb will ich, um meinen Gott nicht zu erzürnen, um meinem Nächsten kein Ärgernis zu geben und mich selber nicht zum Meineidigen zu machen, enthaltsam sein. Eine solche Enthaltsamkeit ist großen Lohnes wert. Wenn jemand in Ehren und Wohlleben ist und denkt also: Siehe, ich habe Überfluß an allen Dingen, dem Armen aber gebricht's, und doch haben wir alle Einen Gott. Was nun habe ich verdient, und was hat jener verschuldet? Was aber ist das Fleisch anderes, als eine Speise der Würmer? Was sind so viele Wollüste, als ekelhafte Krankheiten und Ursachen der Entkräftung, ein Zeitverderb und eine Anleitung zur Sünde? Also will ich mein Fleisch im Zaume halten, damit die Würmer nicht ihren Mutwillen daran auslassen, damit ich kein schweres Gericht zu bestehen habe, damit ich die Zeit der Buße nicht unnütz vergeude, und wenn vielleicht das verzärtelte Fleisch nicht leicht wird zur Abhärtung bewogen werden können, so will ich ihm doch allmählich einiges von dem allzu Zarten entziehen, so daß es noch wohl bestehen kann und das Notwendige habe, aber keinen Überfluß. Wer daher so denkt und in seinem Thun leistet, was er vermag, der kann ebenfalls ein Bekenner und Märtyrer geheißen werden, weil es eine Art von Martertum genannt werden kann, Lüste zu haben und Lüsten nicht nachzugehen, in Ehren stehen und die Ehre verachten, groß sein bei den Menschen, selbst aber von sich das wenigste halten, ein solches Rad gefällt Gott wohl. Siehe, meine Tochter, ich habe Dir einen Wagen gezeichnet, dessen Lenker Dein Engel ist, wofern Du seinen Zaum und das Joch von Deinem Halse nicht abschüttelst, d. h. wenn Du seine heilsamen Eingebungen nicht ausschlägst, auch Deinem Herzen und Deinen Sinnen nicht den Zügel schießen lässest nach dem Eitlen und Possenhaften. Nun will ich Dir auch jenen Wagen auslegen, auf welchem die gedachte Frau gesessen hat. Fürwahr, der Wagen ist ihre Ungeduld, nämlich gegen Gott, gegen den Nächsten und gegen sich selbst; wider Gott, indem sie seine geheimen Ratschlüsse ihrem Urteile unterwirft, wenn es ihr nicht nach Wunsch geht; wider den Nächsten, indem sie Übles an ihm thut, weil sie seine Güter nicht erlangt; wider sich selbst ist sie voll Ungeduld, die heimlichen Wünsche ihres Herzens zu offenbaren. Dieses Wagens erstes Rad ist der Stolz, weil sie sich anderen vor- 49 zieht und andere richtet, die Demütigen verachtet und nach Ehren ringt. Das zweite Rad ist der Ungehorsam gegen die Gebote Gottes, welcher in ihr Herz die Entschuldigung mit ihrer Schwachheit, die Geringachtung ihrer Schuld, den Dünkel des Herzens und die Verteidigung der Bosheit einführt. Das dritte Rad ist die Begierde nach weltlichen Dingen, welche bei ihr die Vergeudung im Ausgeben, die Vernachlässigung und Vergessenheit ihrer selbst, die Angst des Herzens vor der Zukunft, die Lauigkeit in der Liebe Gottes erzeugt. Das vierte Rad ist die Liebe ihrer selbst, durch welche sie sich von der Ehrerbietung und Furcht ihres Gottes ausschließt und auf ihr Ende und Gericht nicht acht hat. Der Lenker dieses Wagens ist der Teufel, welcher sie zu allem, was er in ihr Herz schickt, fröhlich und kühn macht. Die beiden Rosse, welche den Wagen ziehen, sind die Hoffnung eines langen Lebens und der Wille, bis ans Ende zu sündigen. Der Zügel ist die Scheu vor der Beicht. Diese Scheu führt durch die Hoffnung eines langen Lebens und den Willen, in der Sünde zu verharren, die Seele vom rechten Pfade hinweg, und beschwert sie in der Sünde also, daß sie weder durch Schrecken, noch durch Scham, noch durch-Ermahnung zum Aufstehen vermocht werden kann, sondern, wenn sie fest zu stehen meint, sinkt sie, wofern nicht Gottes Gnade hilft, in die Tiefe hinab."
Zusatz.
Weiter redete Christus von derselben Frau und sprach: "Diese ist eine Natter, welche die Zunge einer Hure hat, im Herzen Drachengalle und im Fleische bitterstes Gift. Darum werden ihre Eier giftig sein. Glücklich die, welche ihre Last nicht erfahren werden." 50
Kapitel XVIII.
Lobesworte der Tochter zur glorwürdigen Jungfrau und liebliche Antwort der Jungfrau an die Tochter, in welcher der Tochter durch die Jungfrau von ihr, den Aposteln und Heiligen sehr viele Gnaden gewährt werden und vieles andere Gute.
"O süße Maria," sprach die Braut. "Gebenedeit seist Du mit ewigem Segen, weil Du eine Jungfrau bist vor der Geburt, eine Jungfrau nach der Geburt, eine Jungfrau beim Gemahle und wahrhaft eine unzweifelhafte Jungfrau, als der Gemahl zweifelte. Deshalb seist Du gebenedeit, weil Du Mutter und Jungfrau, weil Du allein Gott die Teuerste, weil Du vor allen Engeln die Reinste, weil Du allein mit den Aposteln im Glauben die Vollkommenste, weil Du allein im Herzeleid die am bittersten Heimgesuchte, weil Du vor den Bekennern in der Enthaltsamkeit die am hellsten Leuchtende, weil Du vor allen Jungfrauen in der Keuschheit die ausgezeichnetste bist. Darum soll Dich segnen alles, was unten und was oben ist, weil Gott, der Schöpfer, durch Dich Mensch geworden ist. Durch Dich findet der Gerechte Gnade, der Sünder Vergebung, der Tote Leben, der Verbannte Heimkehr in sein Vaterland." Die Jungfrau entgegnete: "Es steht geschrieben, daß, als Petrus meinem Sohne Zeugnis gegeben, daß er der Sohn Gottes sei, ihm geantwortet worden ist: Selig bist Du, Simon; denn Fleisch und Blut haben Dir das nicht geoffenbart. Also sage ich jetzt: Diesen Gruß hat Dir nicht Deine fleischliche Seele geoffenbart, sondern der, welcher ohne Anfang war und ohne Ende ist. Deshalb sei Du demütig, ich werde barmherzig gegen Dich sein. Johannes der Täufer, wie er versprochen, wird Dir süß sein; Petrus wird Dir sanftmütig sein, Paulus aber stark wie ein Riese. Johannes wird Dir sagen: Tochter, setze Dich aus das Knie; Petrus dagegen: O Tochter, öffne den Mund, und ich werde Dich speisen mit der Speise der Süßigkeit; Paulus wird Dich bekleiden und mit den Waffen der Liebe bewaffnen. Ich aber, die ich Mutter bin, werde Dich meinem Sohne darstellen. Gleichwohl, meine Tochter, kannst Du dieses auch im geistlichen Sinne verstehen. 51 Durch Johannes, welcher verdolmetscht wird als Gnade Gottes, wird nämlich der wahre Gehorsam bedeutet; denn Johannes war und ist süß, den Eltern süß wegen der wunderbaren Gnade, den Menschen süß wegen seiner gar besonderen Predigt, Gott süß wegen der Heiligkeit seines Lebens und seines Gehorsams; denn er gehorchte in seiner Jugend, war gehorsam im Glücke wie unter Widerwärtigkeiten, er gehorchte und blieb niedrig, obwohl er geehrt werden konnte; er war auch gehorsam im Tode. Der Gehorsam also spricht: Setze Dich auf das Knie, d. h. steige zum Niedrigen herab, und Du wirst das Hohe haben; verlaß das Bittere und Du wirst das Süße haben; laß fahren den eigenen Willen, wenn Du klein sein willst; verachte das Irdische und Du wirst himmlisch werden; verachte das Überflüssige und Du wirst einen geistlichen Überfluß haben. Unter Petrus aber wird der Glaube der heiligen Kirche verstanden. Wie Petrus beständig blieb bis an sein Ende, so wird auch der Glaube der heiligen Kirche beständig bleiben ohne Ende. Petrus also, d. h. der heilige Glaube, spricht: Öffne den Mund und Du wirst die beste Speise empfangen, d. h. öffne die Erkenntnis Deiner Seele und Du wirst in der heiligen Kirche die süßeste Speise finden, d. h. den Leib des Herrn im Sakramente des Altars, desgleichen das Alte und das Neue Gesetz, die Auslegungen der Lehrer, die Geduld der Märtyrer, die Demut der Bekenner, die Keuschheit der Jungfrauen und die Grundlage aller Tugenden. Deshalb suche den heiligen Glauben in der Kirche des heiligen Petrus, behalte den gefundenen im Gedächtnisse und vollende denselben in Deinen Werken. Unter Paulus wird dagegen die Geduld verstanden. Derselbe war eifrig wider die Anfechter des heiligen Glaubens, fröhlich in Trübsalen, langmütig in der Hoffnung, geduldig in den Krankheiten, mitleidig gegen Traurige, demütig in den Tugenden, gastfrei gegen die Armen, barmherzig gegen die Sünder, Meister und Lehrer aller und bis ans Ende ausharrend in der Liebe Gottes. Paulus also, d. h. die Geduld, wird Dich rüsten mit den Waffen der Tugenden, weil die wahre Geduld in den Vorbildern und der Geduld Christi und seiner Heiligen begründet und befestigt ist. Sie entzündet die Liebe im Herzen, sie regt den Geist an zu tapferen Thaten, macht den Menschen demütig, sanft, mitleidig, eifrig für das Himmlische, besorgt 52
für sich selber, beharrlich in dem, was er angefangen hat. Jeden Menschen also, den der Gehorsam auf dem Knie der Demut erzieht, speiset der Glaube mit der Speise der Süßigkeit, bekleidet die Geduld mit der Rüstung der Tugenden. Einen solchen führe ich, die Mutter der Barmherzigkeit, ein bei meinem Sohne, welcher ihn krönen wird mit der Krone seiner Süßigkeit. Denn in ihm ist eine unerdenkliche Stärke, eine unvergleichliche Weisheit, unaussprechliche Tapferkeit, bewunderungswürdige Liebe. Obwohl ich nun, meine Tochter, nur mit Dir rede, so verstehe ich gleichwohl unter Dir alle, welche durch Werke der Liebe dem heiligen Glauben folgen; denn wie unter einem einzelnen Menschen die Israeliten verstanden werden, so werden durch Dich alle wahren Gläubigen bedeutet."
Kapitel XIX.
Erhabenes Lob der jungfräulichen Schönheit der Mutter Gottes und wie der Sohn Gottes seine Mutter einem Goldschmiede vergleicht.
"O süße Maria, neue Schönheit, Du hellglänzende Schönheit, komm' Du mir zu Hilfe, damit meine Häßlichkeit schön und meine Liebe entzündet werde. Drei Vorzüge giebt Deine Schönheit dem Haupte. Sie reinigt erstens das Gedächtnis, so daß die Worte Gottes lieblich hineingehen; zweitens, daß man das Vernommene mit Lust behält; drittens, daß man es mit glühendem Eifer an den Nächsten ausbreitet. Drei Vorzüge auch gewährt Deine Schönheit dem Herzen. Erstens nimmt sie die schwere Last der trägen Verdrossenheit hinweg, wenn Deine Liebe und Demut betrachtet wird; zweitens giebt sie den Augen Thränen, wenn man auf Deine Armut und Geduld den Blick richtet; drittens giebt sie dem Herzen die innere Gunst der Süßigkeit, wenn man aufrichtig das Gedächtnis Deiner liebreichen Güte pflegt. Fürwahr, Frau, Du bist die allerköstlichste Schönheit, die begehrteste Schönheit, weil Du den Schwachen als Hilfe, den Betrübten zum Troste, allen zur Vermittlerin gegeben worden. Daher können alle, welche vernahmen, Du würdest geboren werden, und diejenigen, welche wissen, daß Du schon geboren worden, wohl ausrufen: Komm', Du hell- 53 leuchtende Schönheit, erleuchte unsere Finsternis; komm', Du köstlichste Schönheit, und nimm unsere Schande hinweg; komm', lieblichste Schönheit, und mildere unsere Bitternis; komm', mächtigste Schönheit, und löse unsere Gefangenschaft; komm', Du ehrwürdigste Schönheit, und tilge unsere Häßlichkeit. Gebenedeit und verehrungswürdig sei daher eine so beschaffene, eine so große Schönheit, welche alle Patriarchen zu sehen wünschten, von der alle Propheten sangen, über welche alle Auserwählten sich freuen." Die Mutter antwortete: "Gebenedeit sei Gott, der meine Schönheit ist und Dir solche Worte zu reden gegeben. Deshalb sage ich Dir, daß die allerälteste, ewige und allerschönste Schönheit, welche mich gemacht und geschaffen hat, Dich stärken wird, die allerälteste und neue Schönheit, welche alles erneuert, und die in mir war und von mir ausging, wird Dich Wunderbares lehren, die allerbegehrteste Schönheit, welche alles ergötzt und erfreut, wird Deine Seele mit ihrer Liebe entzünden. Deshalb vertraue auf Gott; denn, wenn die himmlische Schönheit erschienen sein wird, wird alle irdische Schönheit beschämt und für Kot erachtet werden." Dann sprach der Sohn Gottes zur Mutter: "O gebenedeite Mutter, Du bist einem Goldschmiede ähnlich, welcher ein schönes Werk zurüstet. Alle, welche es sehen, freuen sich, und bieten Gold und kostbare Steine dar, auf daß das Werk seine Vollendung erreiche. Also gewährst Du, geliebte Mutter, jeglichem, welcher sich bemüht, sich zu Gott zu erheben, Deine Hilfe und lässest niemand leer von Deinem Troste. Deshalb wirst Du recht wohl das Blut meines Herzens genannt werden können; denn wie durch das Blut alle Glieder des Leibes belebt und gestärkt werden, so werden durch Dich alle lebendig gemacht aus der Sünde und desto fruchtbarer werden für Gott." 54
Kapitel XX.
Unterweisung der heiligen Agnes an die Tochter, daß sie weder rückwärts weichen, noch mehr, als sich gebührt, vorwärts schreiten soll. Über die Art, welche beim und nach dem Anfange der Enthaltungen zu beobachten ist, und welche Enthaltsamkeit Gott angenehm ist.
Agnes sprach: "Sei beständig, Tochter, und weiche nicht rückwärts, weil der Giftzahn der Schlange Deiner Ferse nachstellt. Gehe aber auch nicht über Gebühr vorwärts, weil die Spitze der scharfen Lanze vor Dir steht, von welcher Du verwundet werden wirst, wenn Du weiter, als recht ist, vorwärts gehst. Was aber ist rückwärtsschreiten anderes, als bei den Anfechtungen es sich gereuen zu lassen, Herbes, aber Heilsames, auf sich genommen zu haben, zu den alten Gewohnheiten wiederkehren zu wollen und im Herzen an schmutzigen Gedanken sich zu weiden? Wenn solche Dinge dem Gemüte behagen, verdunkeln sie alles Gute und ziehen dasselbe allmählich ab von allem Guten. Auch vorwärtsschreiten darfst Du nicht über die Gebühr, d. h. Dich nicht über Deine Kräfte peinigen, oder andere über Deine Natur hinaus in guten Werken nachahmen, weil Gott von Ewigkeit her geordnet hat, daß für die Werke der Liebe und der Demut den Sündern der Himmel soll eröffnet werden, wenn man in allen Dingen Maß und Bescheidenheit bewahrt hat. Nun aber beredet der neidische Teufel den unvollkommenen Menschen, daß er über seine Kräfte fastet, Ungewöhnliches und Unerträgliches verspricht und Vollkommenes nachthun will, ohne seine Kräfte und seine Schwachheit in Betracht zu ziehen, so daß, wenn die Kraft abnimmt, der Mensch das übel Begonnene entweder mehr aus Scham vor den Menschen, als vor Gott, fortsetzt, oder desto schneller infolge seiner Unklugheit und Schwäche erliegt. Du mußt Dich deshalb ganz nach Dir selber abmessen, d. h. nach Deiner Schwäche oder Deiner Stärke, weil einige von Natur schwächer, andere stärker, einige durch die Gnade Gottes eifriger, andere durch gute Gewohnheit fröhlicher sind zum Wirken. So richte denn Dein Leben ein nach dem Rate derer, welche Gott fürchten, damit Dich nicht bei Deiner Unachtsamkeit die Schlange oder die Spitze des vergifteten 55 Spießes verwunde, d. h. die überaus giftige Einflüsterung des Teufels Dein Herz betrüge, so daß Du entweder für etwas gehalten werden willst, das Du nicht bist, oder zu sein begehrst, was über Deine Kräfte und Tauglichkeit hinausgeht. Es giebt solche, welche da glauben, durch ihre Verdienste den Himmel erlangen zu können. Andere giebt es, welche Gott durch gute Werke für ihre Ausschreitungen genugthun zu können vermeinen. Alle diese sind im Irrtum; denn wenn auch der Mensch, er sei, wer er wolle, hundertmal seinen Leib tötete, so würde er doch Gott auf Tausend nicht Eins antworten können. Dieser giebt ja das Können wie das Wollen; er giebt Zeiten und Gesundheit; er erfüllt in den Guten das Verlangen; er giebt Reichtum und Herrlichkeit; er ist's, der da tötet und lebendig macht, erhöht und erniedrigt, und alles ist in seiner Hand. Deshalb ist ihm allein alle Ehre zu erweisen, und keinerlei Verdienste der Menschen kommen bei Gott in irgend einen Betracht. Daß Du Dich aber über jene Frau gewundert, welche zum Ablaß gekommen und sich hat entehren lassen, darauf antworte ich Dir: Es sind etliche Weiber, welche in Enthaltsamkeit leben, ohne sie zu lieben, deren Sinneslust nicht groß und deren Anfechtung nicht heftig ist, welche, wenn ihnen eine ehrenvolle Vermählung angeboten würde, dieselbe zwar annehmen möchten, weil aber Vornehmes ihnen nicht angetragen wird, Niedriges verachten. Und so entsteht aus der Enthaltsamkeit zuweilen Dünkel und Überhebung, aus deren Veranlassung, wie Du bereits gehört hast, es sich nach Gottes Zulassung begiebt, daß sie fallen. Wenn aber eine also gesinnt ist, daß sie um der ganzen Welt willen, wenn sie ihr dargeboten würde, auch nicht einmal befleckt werden möchte, so ist es nicht möglich, daß solche sich der Schande hingäbe. Wenn jedoch Gott vermöge seiner geheimen Gerechtigkeit zuließe, daß eine solche fiele, so geschähe es ihr mehr zur Erlangung der Krone, als zur Sünde, wofern es nur wider ihren Willen war. Deshalb sollst Du für gewiß wissen, daß Gott wie ein Adler ist, welcher von seiner Höhe das Tiefste schaut. Sieht dieser nun etwas aufsteigen von der Erde, so wirft er es wie mittels einer Schleuder hinab. Erblickt er aber etwas Giftiges, das ihm zuwider ist, so schlägt er wie ein Pfeil hindurch, Träuft aber etwas Unreines nieder, so schüttelt er es stark von sich ab und entfernt es. Also thut auch Gott. Wenn er sieht, daß die Herzen der Menschen 56 aus Gebrechlichkeit des Fleisches oder durch die Anfechtungen des Teufels, dem Willen des Geistes entgegen, sich wider Gott erheben, so vernichtet er dieses sogleich wie durch eine Schleuder mittelst Eingebung der Reue und des Leids, und macht, daß der Mensch zu Gott und zu sich selber zurückkehrt. Wenn aber das Gift der Begierde des Fleisches oder Reichtums in das Herz eingegangen ist, so durchschlägt Gott das Herz mit dem Pfeile seiner Liebe, damit der Mensch nicht im Verharren auf der Sünde von Gott sich trenne. Befleckt die Seele etwas Unreines von Hoffart oder der Kot der Unzucht, so wirft er dasselbe gleich durch die Beständigkeit des Glaubens und der Hoffnung hinweg, damit der Geist nicht in Lastern verhärte, oder die mit Gott verbundene Seele zu ihrem Schaden befleckt werde. Darum, meine Tochter, bedenke bei allen Deinen Neigungen und Werken die Barmherzigkeit Gottes und habe acht auf die Gerechtigkeit und das Ende."
Kapitel XXI.
Worte der Braut zu Gott über seine Kraft und Herrlichkeit und die Antwort der Jungfrau an die Tochter, welche dieselbe stärkt. Wie die Guten und die Diener Gottes nicht aufhören sollen, zu predigen und die Heiden zu ermahnen, dieselben mögen bekehrt werden oder nicht, was durch ein Beispiel bewiesen wird.
"Gebenedeit seist Du, mein Gott, der Du dreieinig und Einer bist, dreifältig in den Personen und Einer im Wesen. Du bist die Güte und die Weisheit und die Schönheit selber und die Macht. Du bist die Gerechtigkeit und die Wahrheit selbst, durch welche alles ist, lebt und besteht. Du gleichest fürwahr einer Blume, die auf dem Felde herrlich wächst, von der alle, welche ihr nahe kommen, Süßigkeit im Geschmack, eine Erleichterung im Gehirn, Ergötzen für das Auge und Stärkung in den übrigen Gliedern erhalten. So werden alle, welche sich Dir nahen, dadurch schöner, daß sie die Sünde verlassen, sie werden weiser dadurch, daß sie deinen Willen, aber nicht den des Fleisches befolgen, sie werden gerechter, indem sie den Nutzen der Seele und die Ehre Gottes verfolgen. Deshalb, o Du liebreichster Gott, gewähre mir, daß ich das liebe, was Dich 57 erfreut: den Versuchungen mannhaft zu widerstehen, alles Weltliche zu verachten und Dich beständig in meinem Gedächtnisse zu behalten." Die Mutter antwortete: "Diesen Ruf hat Dir jener gute Hieronymus verdient, welcher die falsche Weisheit fahren ließ und die wahre Weisheit fand, welcher die irdische Ehre verachtete und Gott selber gewann. Glücklich dieser Hieronymus, glücklich die, welche seiner Lehre und seinem Leben folgen; er liebte die Witwen, war ein Spiegel derer, welche Fortschritte machen, und ein Lehrer der ganzen Wahrheit und Reinheit. Aber sprich, meine Tochter, was macht Dir Bekümmernis in Deinem Herzen?" Und sie sprach: "Es kömmt mir ein Gedanke bei, welcher sagt: Wenn Du gut bist, so hast Du an Deiner Güte genug. Was geht es Dich an, andere zu richten und die Besseren zu belehren? Das ist weder Deines Amtes, noch Standes. Durch diesen Gedanken wird mir das Gemüt so verhärtet, daß es seiner selbst vergißt und ganz erkaltet in der Liebe Gottes." Die Mutter antwortete: "Dieser Gedanke zieht viele von Gott ab, die in der Tugend schon fortgeschritten sind; denn es ist Sache des Teufels, daß er die Guten verhindert, durch Belehrung die Bösen zur Buße zu bewegen und die schon Guten zu einer nach und nach höheren Stufe der Vollkommenheit zu bringen. So wäre jener Verschnittene, welcher den Jsaias las in die Hölle, wenn auch zu einer geringeren Strafe, gekommen, aber Philippus kam ihm entgegen, lehrte ihn den kurzen Weg zum Himmel und erhob ihn zu einer glücklichen Stätte. Also ward auch Petrus zum Cornelius gesandt. Wäre Cornelius vorher gestorben, so würde er zwar seines Glaubens halber zur Erquickung gelangt sein, aber Petrus kam und drängte ihn gewaltsam an die Thüre des Lebens. Auf ähnliche Weise kam auch Paulus zu Dionysius und führte ihn zur seligen Belohnung. Deshalb sollen die Freunde Gottes nicht verdrießlich werden im Dienste Gottes, sondern arbeiten, daß der böse Mensch sich bessere und der gute Mensch zu höherer Vollkommenheit gelange. Wer den Willen hätte, allen Vorübergehenden zu predigen, daß Jesus Christus wahrhaft der Sohn Gottes wäre, und danach trachtete, so gut er es vermöchte, an der Bekehrung anderer zu arbeiten, würde, wenn auch niemand oder nur wenige bekehrt werden möchten, nichtsdestoweniger dieselbe Gnade erlangen, als wenn alle bekehrt worden wären. Also sage ich Dir 58 als Beispiel: Wenn zwei Lohnarbeiter auf Befehl des Herrn einen überaus harten Berg durchgrüben, und der eine fände auserlesenes Gold, der andere aber nichts, so würden beide wegen ihrer Arbeit und ihres Willens gleichen Lohnes würdig sein. Also auch Paulus, welcher mehr bekehrt hat, als die übrigen Apostel, welche wenigere bekehrten. Alle waren eines Willens, allein die göttliche Spende ist verborgen. Deshalb soll man nicht ablassen, wenn auch nur wenige die Worte Gottes annehmen oder niemand es thut. Denn wie der Dorn die Rose bewahrt und der Esel seinen Herrn trägt, so nützt der Teufel durch den Dorn der Sünde mittels der Trübsal den Auserwählten wie Rosen und wie ein Esel trägt er sie zum Troste Gottes und einer größeren Belohnung.
Kapitel XXII.
Wie in neueren Zeiten die Bosheit der Menschen die Arglist des Teufels übertrifft, und wie die Menschen jetzt bereitwilliger sind, zu sündigen, als der Teufel zum Versuchen. Vom Urteile, das wider solche gefällt wird. Wie die Freunde Gottes durch Predigen mannhaft und rasch arbeiten sollen, und von der Eingießung der Wissenschaft in seine Freunde.
Der Sohn sprach: "Wenn ich beunruhigt werden könnte, möchte ich jetzt mit Recht sagen können: Es gereut mich, den Menschen geschaffen zu haben. Der Mensch ist jetzt wie ein Tier, das freiwillig in die Netze läuft, wie sehr er auch gewarnt wird, gleichwohl folget er der Neigung seines Willens. Man kann dem Teufel durchaus nicht beimessen, daß er den Menschen mit Gewalt ziehe, sondern der Mensch selber kommt seiner Bosheit zuvor. Wie Jagdhunde, welche zuerst an Koppeln geführt werden, nachdem sie daran gewöhnt sind, Tiere zu fangen und zu fressen, in der Eile auf die Beute selbst dem Führer zuvorkommen, so ist auch jetzt der Mensch, welcher an die Sünde gewöhnt und von ihr bezaubert worden, bereitwilliger, zu sündigen, als der Teufel zum Versuchen. Das ist auch kein Wunder; denn es ist lange her, daß der apostolische Stuhl, das Haupt der Welt, Gott durch Heiligkeit des Lebens und sein Vorbild, wie er zum Anfang gethan, besänftigt hat, und darum sind die übrigen Glieder schwach und matt geworden. Es wird 59 auch nicht in Betracht gezogen, weshalb der reiche Gott jetzt dürftig und arm geworden ist, zu lehren, daß das Vergängliche zu verachten, das Himmlische aber zu lieben sei, denn weil der von Natur arme Mensch reich geworden ist an trügerischem Reichtum, giebt es viele, die nur danach mehr trachten, und wenige, die ihn geringschätzen. Deshalb wird ein Pflüger kommen, den der Allmächtige sendet und der Allweise stärkt und dieser sucht nicht Länder und Schönheit der Leiber, scheut nicht die Stärke der Starken, fürchtet nicht die Drohungen der Fürsten, auch sieht er nicht an die Person der Menschen; er wird säen das Fleisch der Menschen und zerstören die Häuser der Geister; die Leiber wird er den Würmern überliefern und die Seelen denen übergeben, denen sie gedient haben. Darum sollen meine Freunde, zu denen ich Dich senden werde, tapfer und rasch arbeiten, weil, was ich sage, nicht in den letzten Tagen. sondern, wie ich vorhin gesagt, in diesen Tagen sein wird. Und die Augen vieler, die jetzt leben, werden es sehen, damit erfüllt werde, was geschrieben ist: Ihre Weiber müssen Witwen und ihre Kinder Waisen werden, und alles, was dem Menschen wünschenswert ist, soll hinweggenommen werden. Diejenigen aber, welche mit Demut zu mir kommen, die will ich, der barmherzige Gott, aufnehmen, jenen, welche die Frucht der Gerechtigkeit mit Werken erfüllt haben, werde ich mich selbst geben, weil es recht ist, daß das Haus gereinigt werde, in welches der König einziehen will, daß das Glas gesäubert werde, damit der Trank klar erscheine, daß man ferner das Korn stark zerreibe, damit es von der Ähre sich sondere, und dasjenige, was in die Form eingeschlossen wird, fest gedrückt werde, bis es die Ähnlichkeit der Form erhält. Wie jedoch nach dem Winter der Sommer kommt, so werde ich nach der Trübsal Trost gewähren denen namentlich, welche klein zu sein begehren, und welche das Himmlische höher schätzen, als das Irdische. Wie jedoch der Mensch nicht zu einer und derselben Zeit geboren wird und stirbt, so wird alles jetzt zu seiner Zeit erfüllt werden. Du sollst auch wissen, daß ich mit etlichen nach dem gemeinen Sprichworte thun will: Schlag' ihn an den Hals und er wird laufen, und der Schmerz zwingt, zu eilen. Mit anderen werde ich thun, wie geschrieben steht: Offne deinen Mund, ich will denselben füllen. Zu den dritten aber werde ich durch Tröstung und Eingebung 60 sprechen: Kommt, ihr Ungelehrten und Einfältigen, ich will euch Mund und Weisheit geben, denen die Schwätzer nicht werden widerstehen können. Also habe ich schon gethan in diesen Tagen, ich habe die Einfältigen mit Weisheit erfüllt, und sie widerstehen den Gelehrten; ich habe die Großmäuler und Mächtigen gerupft, und sie sind plötzlich gestorben. Und das ist kein Wunder; denn ich habe den Weisen befohlen, sie sollten den Schlangen die Zungen ausschneiden, wie Du gehört hast, und sie haben nicht gewollt. Auch die Mutter, welche eine Jungfrau war, hat die Zungen der Gemeinde nicht vertilgen wollen, um das Feuer der Begierlichkeit zu löschen, das in den Herzen der Kinder, wie ich gemahnt habe, entzündet war. Darum habe ich ihnen zur Zeit, da sie im Glücke schwelgten, ihre Zungen abgeschnitten."
Kapitel XXIII.
Worte Johannis, des Evangelisten, zur glorwürdigen Jungfrau von einem ganz boshaften Heuchler, und die Antwort der Jungfrau, wie ein solcher beschaffen sei. Von des Teufels Verspottungen desselben, und wie aus sieben Zeichen der gute und aus eben so vielen der böse Geist erkannt wird.
Der Evangelist Johannes sprach zur Mutter Gottes: "Vernimm, Du, Jungfrau und Mutter Eines Sohnes, aber nicht mehrerer Söhne, Du Mutter des eingeborenen Sohnes Gottes, des Schöpfers und Erlösers aller, vernimm, sage ich, wie sehr dieser Mann vom Teufel betrogen worden, wie sehr er sich bemüht, das Unmögliche zu erlangen, wie sehr und in wie vielen Dingen er vom Geiste der Lüge sich hat unterweisen lassen, und wie weit er sich auch bei seiner Lammesmiene mit seinem Löwenherzen von Gott entfernt. Ich habe gelehrt, daß ihrer drei sind, welche Zeugnis geben im Himmel und auf Erden: der Vater, der Sohn und der heilige Geist. Diesem nun giebt der böse Geist das Zeugnis einer erheuchelten Heiligkeit, der Vater aber stärkt ihn nicht mit seiner Macht und der Sohn sucht ihn nicht auf in seiner Weisheit; der heilige Geist entflammt ihn nicht mit seiner Liebe. Kein Wunder; denn er trachtet nach einer Macht wider die Macht des Vaters; er will auch weise sein wider die 61 Weisheit des Sohnes; er ist entflammt, aber ganz anders, als wie der heilige Geist entzündet. Deshalb bitte Deinen Sohn, daß er entweder recht bald hinweggenommen werde, damit nicht noch mehrere verloren gehen, oder daß er für seine Sünde bald gedemütigt werde." Maria antwortete ihm: "Höre, Jungfrau in Mannesgestalt, Du bist es, den mit dem leichtesten Tode aus der Welt abzuberufen Gott gefallen hat, gleich mir, die ich bei der Trennung der Seele und des Leibes gleichsam eingeschlafen und zu ewiger Freude erwacht bin. Und kein Wunder! Denn ich habe mehr als alle anderen bei meines Sohnes Tode gar bitteren Schmerz empfunden, und deshalb gefiel es Gott, mich durch den schmerzlosesten Tod von der Welt abzutrennen. Du aber warst unter den Aposteln am meisten in meiner Nähe und hast größere Zeichen der Liebe erfahren als die anderen, und das Leiden meines Sohnes ist Dir bitterer geworden, da Du vor den übrigen der nächste Zeuge warst, und weil Du vor Deinen übrigen Brüdern länger gelebt hast, bist Du gleichsam in ihrer aller Tod ein Märtyrer gewesen; deshalb gefiel es Gott, auch Dich durch den leichtesten Tod nach mir aus der Welt zu rufen, weil die Jungfrau einer Jungfrau empfohlen worden war. Deshalb wird geschehen, was Du gebeten hast, und nicht hinausgeschoben werden. Jedoch will ich meiner Tochter zeigen, wie derjenige, von welchem wir reden, beschaffen ist. Er ist fürwahr wie der Diener eines Münzers, d. h. des Teufels, der seine Münze schmilzt und schlägt, nämlich den, welcher nach seinen Eingebungen und Versuchungen ihm dient, bis er ihn nach seinem Willen vollendet hat. Wenn er den Willen des Menschen verderbt und zur Lust des Fleisches und zur Liebe der Welt geneigt gemacht hat, drückt er ihm alsbald eine Form und Aufschrift ein, aus welch äußerlichen Zeichen zu erkennen ist, wen er von ganzem Herzen liebt. Wenn dann der Mensch die Begierde seines Herzens durch die That erfüllt und sich mehr in die Welt versenkt, als sein Stand es erfordert, dann wird er sich als echte Münze des Teufels erweisen. Wisse aber, daß eine andere die Münze Gottes, eine andere die Münze des Teufels ist. Die Münze Gottes ist eine goldene d. i. glänzende, schmeidige und kostbare. Also ist jede Seele, welche das Gepräge Gottes trägt, leuchtend in göttlicher Liebe, schmeidig in Geduld, köstlich in der Fortsetzung des guten Werkes. So wird 62 denn eine gute Seele geschmolzen durch die Kraft Gottes und bewährt durch viele Versuchungen, durch welche die Seele bei Betrachtung ihres Ursprunges, ihrer Gebrechen und der göttlichen Liebe und Langmut Gott desto kostbarer wird, je demütiger, geduldiger und sorgsamer für ihr Heil sie sich finden läßt. Die Münze des Teufels aber ist von Kupfer oder Blei; von Kupfer, weil sie mit dem Golde Ähnlichkeit besitzt. Auch sie hat Härte und Dehnbarkeit, jedoch nicht wie das Gold. Also die Seele des Ungerechten; denn sie will gerecht erscheinen, richtet aber andere und zieht das Ihrige allem vor. Sie ist unbrauchbar zu Werken der Demut, weich in ihrem Thun, schwer abzubringen von ihren Einfällen, angestaunt von der Welt, vor Gott aber verachtet. Die Münze des Teufels ist auch bleiern; denn sie ist mißgestaltet, weich, biegsam und schwer. So ist des Ungerechten Seele mißgestaltet durch wollüstige Neigungen, voll weichlicher Begierlichkeit der Welt, wie ein Rohr biegsam zu allem, was der Teufel dem Herzen eingiebt, ja zuweilen williger zum Handeln, als der Teufel zum Versuchen. Also ist auch der gedachte Diener des Münzers beschaffen, welchem es überdrüssig geworden, in der Beobachtung der Regel zu verharren, zu welcher er sich durch Gelübde verpflichtet hatte; er hat auf Wege gesonnen, wie er den Menschen durch eine erheuchelte Heiligkeit gefallen möge, um sein Fleisch desto besser pflegen zu können. Und alsbald betrog ihn der Teufel durch schwarze Lügen, daß er Unmögliches zu erreichen glaubte, was nicht in Erfüllung gehen wird. Sein Leben aber wird abgekürzt werden, und er wird die Ehre, welche er begehrt, nicht empfangen. Wo aber eine neue Münze gefunden wird, soll man sie gleich zu einem weisen Manne schicken, welcher eine genügende Kenntnis des Gewichtes und der Form hat. Allein wo werden wir ihn finden? Und wenn er auch gefunden sein wird, so kümmert er sich wenig, ja gar nicht darum, ob die Münze eine echte oder unechte ist. Deshalb giebt es unter solchen Umständen nur Einen Rat, den ich Dir durch ein Beispiel angeben will. Wenn man einem Hunde einen Gulden vorhielte, würde er gar nicht darauf achten, noch ihn annehmen; wäre derselbe aber stark mit Fett überzogen, dann würde er solchen ohne Zweifel annehmen. Also ist es auch jetzt. Kommt man zu einem Weisen und spricht: Der und der ist ein 63 Ketzer, dann wird nicht darauf geachtet, weil die Liebe Gottes völlig erkaltet ist. Hieße es aber: Er hat viele Gulden, alsdann würden alle zugleich herbeieilen. Deshalb wird alsbald geschehen, was Paulus spricht: Ich will die Weisheit der Weisen zu nichte machen und will sie erniedrigen; die Niedrigen aber will ich erhöhen. Doch kannst Du, meine Tochter, den heiligen und den unreinen Geist aus sieben Merkmalen erkennen. Zuerst läßt der Geist Gottes dem Menschen die Welt gering erscheinen, deren Ehre im Herzen wie Luft geachtet wird; zweitens macht er Gott der Seele angenehm und alle Lust des Fleisches erkalten; drittens giebt er Geduld ein und daß man sich Gottes allein rühme; viertens regt er das Herz zur Liebe des Nächsten und selbst zur Barmherzigkeit gegen die Feinde an; fünftens begeistert er zur Keuschheit in allen Dingen, ja selbst in den erlaubten; sechstens bewirkt er Vertrauen auf Gott in allen Trübsalen und Kraft, sich derselben zu rühmen; siebentens schenkt er das Verlangen, aufgelöst zu werden und lieber bei Christo zu sein, als in der Welt Glück zu haben und befleckt zu werden. Der böse Geist dagegen hat sieben andere Dinge im Gefolge: Erstens läßt er die Welt lieblich erscheinen und Ekel am Himmlischen entstehen; zweitens bewirkt er, daß man Ehre begehrt und sich selber vergißt; drittens erregt er im Herzen Haß und Ungeduld; viertens macht er kühn gegen Gott und halsstarrig in den Anschlägen seines Gemütes; fünftens läßt er die Sünden leicht erachten und entschuldigen; sechstens aber giebt er Leichtfertigteit des Geistes und alle Unreinheit des Fleisches ein; siebentens bläst er die Hoffnung, lange zu leben, und Scheu vor der Beicht ein. Sei deshalb besorgt um Deine Gedanken, auf daß Du von jenem Geiste nicht betrogen werdest."
Erklärung.
Dieser war ein Priester des Cistercienserordens, welcher nach achtzehnjähriger Abtrünnigkeit Reue empfand und ins Kloster zurückkehrte. Er hatte gesagt, es sei unmöglich, daß jemand verdammt werde, auch rede Gott mit niemand in dieser Welt, und niemand könne das Angesicht Gottes vor dem Gerichte Gottes sehen. Als Frau Brigitta dieses vernommen, sprach der heilige Geist zu ihr: "Gehe zu jenem Bruder und sage zu ihm: O mein Bruder, Du siehst nicht, wie ich es schaue, daß der Teufel noch in Deinem Alter Dein 64 Herz inne hat und Deine Zunge gebunden hält; Gott ist ewig und ewig ist auch seine Vergeltung. Wende Dich daher schnell mit vollkommenem Herzen wieder zu Gott Und dem wahren Glauben, weil Du ohne Zweifel von diesem Lager nicht wieder aufstehen, sondern gewißlich sterben wirst. Wenn Du glauben wirst, wirst Du ein Gefäß sein zur Ehre Gottes." In Thränen aufgelöst, dankte jener der Frau Brigitta und besserte sein Leben so vollkommen, daß er in der Stunde seines Todes seine Brüder zusammenrufen ließ und zu ihnen sprach: "O meine Brüder, ich bin versichert, daß der barmherzige Gott meine Reue angenommen hat und mir Vergebung gewähren wird. Betet für mich; denn ich glaube alles, was die heilige Kirche glaubt." So entschlief er, nachdem er die Sakramente Gottes empfangen hatte.
Kapitel XXIV.
Worte der Jungfrau zur Tochter von der Weise, wie sich die Diener Gottes gegen die Ungeduldigen zu verhalten haben, und wie die Hoffart durch ein Faß bedeutet wird.
Die Mutter sprach: "Wenn in einem Fasse der Wein warm wird und anschwellend überläuft, so steigen Dünste und Schaum auf, bisweilen größer und bisweilen kleiner, und nehmen dann plötzlich wieder ab. Alle, welche das Faß umstehen, ziehen in Betracht, wie jene Ausdünstungen bald wieder niedersinken, und daß diese Aufwallungen von der Stärke des Weines herrühren und dessen Hitze andeuten, weshalb sie geduldig das Ende und die Vervollkommnung des Biers oder Weins erwarten. Allen aber, welche um das Faß stehen und die Nasen der Hitze des Fasses allzusehr nähern, werden entweder ein starkes Niesen oder im Gehirn großen Andrang leiden. So ist es auch geistlicherweise. Es begiebt sich zuweilen, daß die Herzen der Menschen von den Regungen der Hoffart oder der Ungeduld anschwellen; nehmen nun tugendhafte Menschen diese Aufgeblasenheit wahr, so beachten sie, daß solches entweder aus der Unbeständigkeit des Gemütes oder einer Regung der Fleischlichkeit herkommt. Sie ertragen deshalb die Worte, die aus solchen Herzen kommen, geduldig und warten des Endes, da sie wissen, daß nach dem Ungewitter Ruhe eintritt, und daß die Geduld stärker ist, als einer, welcher Städte erobert (Sprichw. XVI.), weil sie den Menschen in sich selber besiegt, was sehr schwer ist. Diejenigen aber, welche gar zu ungeduldig sind und dem entspre- 65 chende Worte hören lassen, auch des herrlichen Lohnes der Geduld nicht achten, noch darauf, wie verächtlich die weltliche Ehre ist, diese verfallen mit ihren Versuchungen ihrer Ungeduld halber in Schwachheit des Herzens, weil sie die Nasen dem aufgeregten Fasse zu nahe bringen, d. h. Worte, welche nichts weiter als Luft sind, ihrem Herzen zu sehr nähern. Wenn ihr daher seht, daß einige ungeduldig sind, so hütet mit Gottes Beistande eueren Mund und lasset um ungeduldiger Worte willen das Gute, das ihr angefangen, nicht fahren, sondern stellt euch, soweit es recht ist, als wüßtet ihr das Gehörte ebensowenig, als ob ihr's nicht gehört hättet, bis diejenigen, welche Gelegenheit finden wollen, mit dem Worte alles aussprechen, was sie im Herzen bemerken."
Kapitel XXV.
Ermahnende Worte der Mutter zur Tochter, daß der Mensch keine Sorge auf die Lüste des Fleisches verwenden, sondern den Leib in mäßiger Notdurft erquicken, und wie der Mensch neben, aber nicht in seinem Leibe stehen soll.
Die Mutter sprach: "Du sollst sein wie eine Braut, welche vor einem Vorhange steht, und die alsbald, sowie der Bräutigam gerufen haben wird, bereit ist zum Willen des Bräutigams. Dieser Vorhang ist der Leib, welcher die Seele umhüllt, und welcher stets gewaschen, bewährt und versucht werden muß Denn der Leib ist wie ein Esel, der mäßiger Speise bedarf, damit er nicht geil, bescheidener Arbeit, damit er nicht übermütig, oder einer beständigen Geißel, daß er nicht faul werde. Stehe deshalb neben dem Vorhange, d. h. neben dem Leibe, nicht im Leibe, wo Du in den Lüsten den Leib besorgst, sondern erquicke den Leib mit mäßigem Unterhalt. Derjenige steht neben dem Leibe und nicht im Leibe, der seinen Leib im Zaume hält gegen die Lust der Speisen, ohne sich das Notwendige zu versagen. Stehe auch hinter dem Vorhange, indem Du die Wollust des Fleisches verachtest, die Ehre Gottes wirst und Dich gänzlich für Gott hingiebst. So standen jene, welche ihre Leiber gleichsam wie Kleider vor Gott niederwarfen, die zu jeder Stunde bereit waren, auf den Willen Gottes zu achten, wenn es Gott gefallen würde, sie zu rufen; denn sie hatten keine 66 weite Reise zu dem, welchen sie immer gegenwärtig hatten; auch drückten keine schweren Lasten ihre Nacken nieder, weil sie alles verachteten und mit dem Leibe allein in der Welt waren. Deshalb entflogen sie frei ohne Hindernis zum Himmel, weil sie nichts verhinderte, als eine dürre, gezüchtigte Hülle, nach deren Ablegung sie erhielten, was sie wünschten. Also ist dieser gefährlich gefallen, aber weislich wieder aufgestanden, hat sich mannhaft verteidigt, standhaft gekämpft und ist beharrlich gestanden. Deshalb wird er jetzt für ewig gekrönt werden und ist vor dem Angesichte Gottes."
Kapitel XXVI.
Ermahnende Worte der Jungfrau zur Tochter, welche tugendhaften Werke das ewige Leben verdienen und welche nicht, und von dem gar großen Verdienste des Gehorsams.
"An einem Baume sind viele Blüten; es kommen jedoch nicht alle zur Vollendung. So giebt es viele tugendhafte Werke; es verdienen jedoch nicht alle die himmlische Belohnung, wofern sie nicht bescheidentlich vollbracht werden. Denn Fasten, Beten, Besuch der Stätten der Heiligen sind tugendhafte Werke; wenn dieselben aber nicht in der Gesinnung geschehen, daß der Mensch glaubt, er erobere nur durch Demut den Himmel, sei in allen Dingen ein unnützer Knecht und brauche zu allem Bescheidenheit, so nützen dieselben für das Ewige wenig. Wohlan, Du siehst zwei Menschen; einer ist unter dem Gehorsam, der andere in freier Gewalt. Wenn derjenige, welcher frei ist, fastet, wird er einfachen Lohn haben. Wenn aber derjenige, welcher unter dem Gehorsam ist, am Fasttage auf Verordnung der Regel und aus Gehorsam Fleisch ißt, möchte jedoch lieber fasten, wenn der Gehorsam ihn nicht daran hinderte, so wird er einen doppelten Lohn haben, einen für seinen Gehorsam, den anderen wegen Verleugnung seines Willens und Geduld in Nichterfüllung seines Wunsches. Deshalb sollst Du wie eine Braut sein, welche das Brautgemach zurüstet, ehe der Bräutigam kommt; zweitens wie eine Mutter, welche die Kleider vorbereitet, bevor das Kind geboren wird; drittens wie ein Baum, 67 welcher erst Blüten trägt, bevor die Früchte kommen; viertens sollst Du sein wie ein reines Gefäß, das geeignet ist, den Trank aufzunehmen, bevor er hineingegossen wird."
Kapitel XXVII.
Klageworte der Jungfrau zur Tochter über einen falschen Frömmling, den sie mit einem im leiblichen Kriege übel bewaffneten Kämpfer vergleicht.
Die Mutter sprach: "Es ist einer, der da spricht, er habe mich lieb, aber er wendet mir den Rücken, wenn er mir dienen soll. Rede ich mit ihm, so spricht er: Was sagst Du? Und er wendet seine Augen hinweg von mir und schaut nach dem, was ihn mehr ergötzt. Er ist auf eine wunderbare Art bewaffnet, wie ein Mann, der in den Krieg zieht, dessen Helmlöcher aber am Hinterhaupte wären, dessen Schild, welcher an den Arm gelegt werden sollte, auf den Schultern hinge, der sein Schwert weggeworfen und die leere Scheide behalten hätte, dessen Mantel, welcher Leib und Brust schützen sollte, unter ihm auf dem Sattel läge, dessen Riemen um das Pferd aufgelöst wären. Ebenso ist dieser Gewaffnete geistlicherweise vor Gott. Und deshalb weiß er zwischen Freund und Feind nicht zu unterscheiden, auch dem Feinde keinen Schaden beizubringen. Der Geist aber, welcher mit ihm ficht, ist wie jener Schlaue, welcher also denkt: Ich will im Kampfe bei den letzten sein, damit ich das Dickicht aufsuchen kann, wenn die ersten den Kampf verlieren sollten; sollten sie aber gewinnen, dann will ich so schnell vorwärts gehen, daß ich zu den ersten gerechnet werde. Also hat der, welcher in den Kampf ging, nach der fleischlichen Weisheit, nicht aber aus Liebe gehandelt."
Kapitel XXVIII.
Worte der Jungfrau zur Tochter von dreierlei Trübsal, welche durch dreierlei Brot bedeutet wird.
Die Mutter spricht: "Wo ein Teig ist, muß derselbe stark geknetet und bearbeitet werden. Dem Herrn setzt man Weizenbrot, 68 dem gemeinen Mann aber schlechteres Brot vor, das dritte, noch schlechtere Brot wird den Hunden gegeben. Unter dem Kneten wird die Trübsal verstanden, wo der geistliche Mensch dadurch am meisten betrübt wird, daß Gott keine Ehre von seinem Geschöpfe hat, und daß in demselben nur eine geringe Liebe ist. Alle diejenigen nun, welche auf diese Weise betrübt werden, sind jener Weizen, dessen sich Gott und das gesamte himmlische Heer freut; alle aber, welche durch die Widerwärtigkeit der Welt betrübt werden, sind gleichsam das schlechtere Brot; jedoch nützt es vielen, um den Himmel zu erlangen; diejenigen endlich, welche darum betrübt werden, daß sie nicht all das Böse thun können, was sie möchten, sind das Brot der Hunde, welche in der Hölle sind."
Kapitel XXIX.
Worte der Mutter Maria zur Tochter, wie gewisse Teufel die Menschen in Todsünden stürzen, andere sie vom Guten abhalten, andere sie in der Enthaltsamkeit versuchen wollen, und von der Art, welche wider diese Trübsal zu beobachten ist.
Die Mutter sprach: "Alle diejenigen, welche Du um mich her stehen siehst, sind euere geistlichen Feinde, nämlich die Geister des Teufels. Die, welche Stäbe haben, an denen man Stricke bemerkt, sind diejenigen, welche euch in Todsünden stürzen wollen. Die, welche Du mit Haken in den Händen erblickst, sind diejenigen, welche euch im Dienste Gottes aufzuhalten begehren, damit ihr träge werden sollt zum Guten. Die aber, welche gezahnte Werkzeuge wie Gabeln haben, um das herbeizuziehen, was der Mensch begehrt, sind diejenigen, welche euch versuchen, daß ihr einiges Gute über euere Kräfte auf euch nehmen sollt, namentlich im Wachen, Fasten, Beten und Arbeiten, oder in unvernünftiger Verteilung eueres Geldes. Weil nun also diese Geister so begierig sind, euch zu schaden, so haltet ihr den Willen, Gott nicht zu beleidigen, fest, und bittet um die Hilfe Gottes wider ihre Grausamkeit, und dann werden euch ihre Drohungen nichts schaden." 69
Kapitel XXX.
Worte der Jungfrau zur Tochter, wie zu kostbare und zu schöne Dinge der Welt den Dienern Gottes nicht schaden, wenn sie sich deren bedienen, wofern es nur zur Ehre Gottes und zwar nach dem Vorbilde des Paulus geschieht.
Es wird geschrieben: "Der gute Apostel Paulus habe gesagt, er wäre ein weiser Mann vor jenem Fürsten, der den Petrus gefangen genommen, und den Petrus habe er einen wahren Armen genannt. Und Paulus hat hierin nicht gesündigt; denn seine Worte waren zur Ehre Gottes. Also ist es auch mit jenen, welche da wünschen und begehren, Gottes Wort zu verkünden und wenn sie nicht anders eingehen können zu dem vornehmen Herrn, als daß sie geziemende Kleider angethan, so sündigen sie nicht, wenn sie dieselben anlegen, wenn sie nur das Gold, die Kleider und die Edelsteine nicht köstlicher im Willen und Herzen tragen, als die gewohnten alten Kleider, weil alles, was köstlich erscheint, Erde ist."
Kapitel XXXI.
Worte der Jungfrau zur Tochter in einem Beispiele, welche beweisen, daß die Prediger und Freunde Gottes, obschon die Heiden nach ihrer Predigt, wenn dieselbe in rechter Absicht erfolgt war, nicht bekehrt worden, nicht minder vor Gottes Angesicht gekrönt werden, als wenn sie dieselben bekehrt hätten.
Die Mutter Gottes sprach: "Wer einen Taglöhner zum Arbeiten bringt, indem er ihm sagt: Trage den Sand vom Ufer hinweg, und forsche in jeglicher Tracht nach, ob du darin etwa ein Körnlein Goldes zu finden vermöchtest, so wird sein Lohn nicht geringer sein. wenn er nur wenig fände, als wenn er viel fände. Also ist es auch mit dem, welcher mit Wort und That aus göttlicher Liebe zur Förderung der Seelen wirkt; denn sein Lohn wird, wenn er keinen bekehrt, nicht geringer sein, als wenn er viele bekehrt hätte. Dazu führte ein Lehrmeister ein Beispiel an. Ein Kriegsmann, sprach er, welcher auf seines Herrn Geheiß, mit dem Willen, tapfer zu streiten, hinauszöge in den Krieg, aber verwundet zurückkehrte, ohne einen 70 Gefangenen zu haben, würde nach verlorener Schlacht wegen seines guten Willens nicht geringeren Lohn erhalten, als wenn er den Sieg erlangt hätte. So ist es auch mit den Freunden Gottes. Denn für jedes Wort und Werk, das sie um Gottes willen, und damit die Seelen gebessert werden, verrichten, und auch für jede Stunde Trübsal, welche sie um Gottes willen leiden, werden sie gekrönt werden, mögen nun viele oder keiner bekehrt werden."
Kapitel XXXII.
Worte der Mutter zur Tochter von ihrer unendlichen Barmherzigkeit gegen die Sünder, und auch gegen die, welche sie preisen und ehren.
Die Mutter sprach: "Niemand ist ein so großer Sünder in der Welt, zu dem ich, wenn er im Herzen spricht, daß mein Sohn, der Schöpfer und Erlöser aller, ihm der Liebste und Innerste im Herzen sei, nicht sogleich zu kommen bereit wäre, wie eine liebreiche Mutter zu ihrem Sohne, die ihn umarmt und spricht: Was willst Du, mein Sohn? Hätte dieser nun auch der Hölle tiefste Strafe verdient, aber dabei den Willen, sich weder um die Ehren der Welt, noch um die Wollust des Fleisches, welche die Kirche verabscheut, zu kümmern, und der nichts begehrte, als seinen bloßen Lebensunterhalt, dann würden er und ich sogleich einig miteinander. Und wenn einer mir Lob- und Preisgesang darbringt, nicht seines Lobes und Lohnes halber, sondern um des Lobes dessen willen, welcher wegen aller seiner Werke jeglichen Lobes wert ist, zu einem solchen sage, daß, wie die Fürsten der Welt ihren Lobpreisern den weltlichen Lohn spenden, auch ich ihn geistlicherweise belohnen werde. Ja, wie eine Silbe viele Noten über sich hat, so gefällt es Gott, jenem im Himmel für jede Silbe, welche im Gesange ist, Kronen zu gewähren, und man wird von ihm sagen: Siehe, da kömmt der Sänger, welcher nicht um zeitlichen Gutes willen den Gesang angegeben hat, sondern allein um Gottes willen."
Erklärung.
Durch Zweifel über die heilige Dreifaltigkeit versucht, fiel dieser in eine Ekstase und hatte ein Gesicht von drei Frauen. Die erste sprach: "Ich bin bei 71 vielen Hochzeiten gewesen, nirgends aber erblickte ich einen Dreifältigen und Einen;" die zweite entgegnete: "Wenn Drei sind und Einer, so ist notwendig der eine voran, der andere hinter ihm, oder beide in Einem;" und die dritte fügte hinzu: "Sie konnten sich selbst nicht machen, wer hat sie denn gemacht?" Da sprach der heilige Geist offenkundig: "Wir wollen zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen." Und als er wieder zu sich kam, war er von der Versuchung frei. Hierauf sprach Christus zur Frau Brigitta: "Ich bin der Dreifältige und Eine. Ich will Dir zeigen, was die Macht des Vaters, was die Weisheit des Sohnes, was die Kraft des heiligen Geistes ist." Und diese Offenbarung ist erfüllt worden, als sie vom Redepulte sprach. Ferner sprach Christus: "Sage diesem, daß er mehr bei mir durch Krankheit, als durch Gesundheit verdienen wird. Denn Lazarus ist herrlicher geworden durch den Schmerz und Job mehr geliebt durch seine Geduld. Gleichwohl mißfallen mir meine Auserwählten, welche die Gesundheit haben, nicht, weil ihr Herz allezeit bei mir ist. Und ihr Leib befindet sich stets in kluger Enthaltung und gottesfürchtiger Thätigkeit."
Kapitel XXXIII.
Bemerkenswerte Klageworte der Braut über die Stadt Rom, welche vom Troste, der Andacht und Regelmäßigkeit der Römer, sowohl der Geistlichen, als Weltleute von alters her, reden, und wie das alles in Trostlosigkeit, Abscheu und Regellosigkeit verkehrt worden, und wie unglücklich sie leiblicher- und geistlicherweise sei.
"Ehrwürdiger Herr! Unter anderen Mitteilungen möge man dem Herrn Papste zu verstehen geben, wie kläglich der Zustand der Stadt ist, welche einst geistlicher- wie leiblicherweise glücklich war. Allein jetzt ist sie leiblich wie geistlich unglücklich; leiblicherweise, weil ihre weltlichen Fürsten, welche ihre Verteidiger sein müßten, ihre grausamsten Räuber geworden sind. Deshalb sind ihre Häuser zerstört und viele Kirchen völlig verwüstet, in welchen die gesegneten Gebeine der Heiligen enthalten sind, die mit herrlichen Wunderzeichen leuchten, und deren Seelen im Reiche Gottes auf erhabene Weise gekrönt werden. Auch sind ihre Tempel, nachdem die Dächer zerstört und die Schlösser hinweggenommen worden, in Aborte der Menschen, Hunde und Bestien verwandelt worden. Auf geistliche Weise aber ist die Stadt unglücklich, weil viele Satzungen, welche heilige Päpste aus Eingebung des heiligen Geistes zum Preise Gottes 72 und zum Heile der Seelen in der Kirche aufrichteten, nun vertilgt sind. Dafür sind leider! viele neue Mißbräuche aus Eingebung des bösen Geistes zur Verunehrung Gottes und zum Verderben der Seelen entstanden. Eine Satzung der heiligen Kirche z. B. war es, daß die Geistlichen in heilige Orden sich begeben, ein seliges Leben führen, Gott anhaltend und voll Andacht dienen und anderen den Weg zum himmlischen Vaterlande durch gute Werke zeigen. Solchen gab man die Einkünfte der Kirche. Allein wider diese Gewohnheit der Kirche entstand ein schwerer Mißbrauch damit, daß man den Laien die Kirchengüter schenkte, welche, weil sie Kanoniker genannt werden, keine Ehefrauen nehmen, aber schamlos den Tag über in ihren Häusern, nachts über in ihren Betten Beischläferinnen haben und dreist sprechen: Uns wird nicht verstattet, in der Ehe zu leben, weil wir Stiftsherren sind. Auch die Priester, die Diakonen und Subdiakonen verabscheuten einst die Schande eines unreinen Lebens gar sehr. Nun aber freuen sich manche von ihnen öffentlich darüber, daß sie ihre Beischläferinnen mit dickem Bauche unter anderen Frauen dahinwandeln sehen. Sie schämen sich auch nicht, wenn ihnen von ihren Freunden gesagt wird: Seht, Herr, es wird Euch bald ein Sohn, eine Tochter geboren werden. Daher mögen sie mit besserm Rechte Teufelskuppler, als geweihte Geistliche des höchsten Gottes genannt werden. Die heiligen Väter Benediktus und andere haben mit Erlaubnis der höchsten Bischöfe Regeln aufgestellt und Klöster erbaut, in welchen die Äbte mit den Brüdern zu wohnen pflegten, die Nacht- und Tageszeiten andächtig feierten und die Mönche sorgfältig im guten Leben unterwiesen. Da war es fürwahr eine Lust, die Klöster zu besuchen, als bei Tage und bei Nacht Gott im Gesange der Mönche geehrt und verherrlicht ward, und die Sünder durch deren schönes Leben bekehrt wurden. Auch die Guten wurden durch die göttliche Unterweisung der geistlichen Vorsteher gestärkt. Ja, selbst die Seelen im Fegfeuer erlangten um ihrer andächtigen Gebete willen die selige Ruhe. Damals ward auch der Mönch in höchsten Ehren gehalten, welcher seine Regel am besten beobachtete, und war vor Gott und Menschen geehrt. Wer sich aber nicht um Haltung der Regel kümmerte, wußte unzweifelhaft, daß er in Schaden kommen und Ärgerniß geben würde. Damals konnte auch jedermann am Kleide unterscheiden und erkennen, wer 73 ein Mönch sei, Allein gegen diese höchst ehrbare Satzung ist ein abscheulicher Mißbrauch bei sehr vielen entstanden. Die Äbte halten sich gar häufig auf ihren Schlössern und wo es ihnen beliebt, in und außer der Stadt auf. Und so ist es gegenwärtig etwas Schmerzliches, die Klöster zu besuchen, denn die wenigsten Mönche sieht man jetzt um die Zeit der Horen im Chore anwesend, und zuweilen gar keine. Es wird dort auch wenig gelesen und zu Zeiten gar nicht gesungen, auch werden an vielen Tagen keine Messen gelesen. Die Guten fühlen sich durch den schlimmen Ruf dieser Mönche beschwert, und die Schlechten werden durch ihren üblen Wandel noch weit schlimmer. Es ist auch zu fürchten, daß nur wenige Seelen aus den Gebeten solcher Leute in ihren Peinen einigen Trost erlangen. Viele Mönche haben ihre Wohnungen in der Stadt; jeder hat ein Haus für sich; und einige unter ihnen herzen, wenn Freunde zu ihnen kommen, ihre Kinder, und sprechen voll Freude: Seht, das ist mein Sohn! Jetzt läßt sich ein Mönch kaum an seiner Kleidung erkennen. Denn der Talar, welcher vor Zeiten die Füße zu berühren pflegte, vermag jetzt kaum die Kniee zu bedecken. Ihre Ärmel sind jetzt eng und glatt, während sie sonst ganz anständig und weit zu sein pflegten. Anstatt eines Griffels und Schreibtäfelchens hängt ihnen ein Schwert an der Seite. Und kaum findet sich an ihnen ein Kleidungsstück, an welchem der Mönch erkannt werden könnte, ein Skapulier ausgenommen, das oft so versteckt wird, daß niemand es sehen kann, als ob es ein Ärgernis sei, irgend ein mönchisches Kleidungsstück zu tragen. Einige schämen sich auch nicht, einen Panzer und andere Waffenstücke unter ihren Röcken zu haben, um nach Sonnenuntergang zu thun, was ihnen gefällt. Ehedem hat es Heilige gegeben, welche großen Reichtum aufgaben und die Regeln mit Armut begonnen haben, welche alle Begehrlichkeit verachteten und deshalb etwas Eigenes nicht haben mochten; sie verabscheuten allen Selbstdünkel und die Pracht der Welt, bedeckten sich mit den armseligsten Kleidern und trugen aus allen Kräften Abscheu vor der Begierde des Fleisches, und deshalb führten sie ein reines Leben. Sie und ihre Brüder werden deshalb Bettelmönche genannt, und ihre Regeln haben die Päpste bestätigt, indem sie sich freuten, daß sie zur Ehre Gottes und zum Besten der Seelen ein solches Leben gern übernahmen. Nun aber ist es etwas Trauriges, zu sehen, wie ihre 74 Regeln so in abscheuliche Mißbräuche umgewandelt und durchaus nicht gehalten werden, wie Augustinus, Dominikus und Franziskus aus Eingebung des heiligen Geistes dieselben verordnet, und wie viele Reiche und Leute von hohem Stande sie lange Zeit hindurch aufs beste befolgt haben. Es werden freilich auch jetzt viele Menschen gefunden, die man Reiche nennt, die aber trotz Kleinodien und Geld ärmer sind, als diejenigen, welche sich zur Armut bekannt haben, von denen viele Eigentum besitzen, obwohl ihre Regeln es verboten haben, und sich des verabscheuungswürdigen Eigentums mehr freuen, als der heiligen und glorwürdigen Armut. Sie rühmen sich auch, daß sie zu ihrer Kleidung Tuch haben, das eben so teuer und kostbar ist, als dasjenige zu den Kleidern reicher Bischöfe. Ferner sind auch einige Klöster durch den seligen Gregorius und andere Heilige für weibliche Personen erbaut worden, worin sie zu so strenger Klausur verpflichtet waren, daß sie selbst am Tage nicht gesehen werden konnten. Nun aber enthalten dieselben einen großen Mißbrauch dadurch in sich, daß die Pforten ohne Unterschied für Geistliche wie Weltleute, denen die Schwestern Einlaß zu geben belieben, auch selbst während der Nacht geöffnet sind. Deshalb gleichen solche Orte mehr gemeinen Frauenhäusern, als heiligen Klöstern. Es war auch eine Satzung der Kirche, daß niemand für das Beichthören Geld annehmen sollte. Für schriftliche Ausfertigungen sollte aber, wie billig, von Personen, welche der Ausstellung schriftlicher Zeugnisse bedürften, den Beichtvätern Geld anzunehmen wohl erlaubt sein. Dagegen findet jetzt ein Mißbrauch derart statt, daß reiche Personen nach verrichteter Beichte anbieten, soviel ihnen beliebt. Die Armen dagegen werden genötigt, mit dem Beichtiger, ehe er sie hört, einen Vertrag zu machen, und fürwahr, während die Beichtväter mit dem Munde die Absolution aussprechen, schämen sie sich nicht, mit den Händen sich das Geld in den Beutel zu schieben. Ebenso war in der Kirche festgesetzt, daß jede Person ihre Sünden beichten und mindestens einmal im Jahre den Leib Christi empfangen müsse, und zwar soll dies die Laien angehen, denn die Geistlichen und Klosterleute thun es öfter im Jahre. Eine zweite Verordnung war, daß diejenigen, welche nicht enthaltsam zu sein vermöchten, in der Ehe leben sollten. Drittens sollten alle Christen in der Quadragefimalzeit, an den Quatembern und anderen Festvorabenden fasten, was 75 fast allen noch wohl bekannt geblieben ist; nur diejenigen waren davon frei, welche in schwerer Krankheit oder großer Not sich befinden möchten. Eine vierte Satzung war, daß sich an Festtagen ein jeglicher aller weltlichen Arbeit enthalten soll. Eine fünfte Verordnung gebot, es soll kein Christ Geld oder etwas anderes dergleichen durch Zinswucher an sich bringen. Gegen die eben genannten fünf vortrefflichen Satzungen haben sich fünf schmähliche und schweren Schaden bringende Mißbräuche eingestellt. Der erste besteht darin, daß auf eine Person, welche gebeichtet und den Leib Christi empfangen, mit Ausnahme der Priester, Ordensgeistlichen und einiger Frauen, in Rom wohl hundert Personen, welche zu den Jahren des Verstandes gekommen sind, sterben, ohne jemals gebeichtet, den Leib Christi empfangen zu haben, als wären sie Heiden. Der zweite Mißbrauch ist, daß viele rechtmäßige Ehefrauen nehmen, und, wenn sie mit den Weibern uneins werden, dieselben verlassen, solange es ihnen beliebt, ohne daß sie die Kirchengewalt dabei im mindesten in Anspruch nehmen; statt der Ehefrauen nehmen sie sich Ehebrecherinnen und ehren und lieben dieselben. Einige haben auch keinen Abscheu dagegen, die Ehebrecherin samt der Ehefrau im nämlichen Hanse zu haben, und freuen sich, wenn sie dieselben zugleich in einem und demselben Hause in Kindsnöten kommen sehen. Der dritte Mißbrauch ist, daß viele gesunde Personen in der Fastenzeit Fleisch essen, und in dem großen Haufen sind wenige, welche sich mit Einer Mahlzeit im Tage begnügen. Auch findet man manche, welche den Tag über sich des Fleisches enthalten und Fastenspeisen zu sich nehmen, aber sich in heimlichen Wirtshäusern mit Fleisch sättigen. Fürwahr, die Geistlichen treiben dieses zuweilen zugleich mit den Laien und sind den Saracenen ähnlich, welche tags über fasten, nachts aber sich in Fleisch sättigen. Der vierte Mißbrauch besteht darin, daß, wenn auch etliche Handwerksleute sich an Festtagen der Arbeit enthalten, einige Reiche dagegen nicht anstehen, ihre Taglöhner zum Arbeiten in die Weinberge, zum Pflügen auf das Feld, zum Hauen des Holzes in den Wald, um letzteres demnächst nach Hause zu tragen, an Festtagen auszusenden, und haben daher die Armen an den Festtagen sich keiner größern Ruhe zu erfreuen, als an den Werktagen. Der fünfte Mißbrauch ist, daß Christen Zinswucher treiben gleich den Juden, und fürwahr 76 die christlichen Wucherer noch gewissenloser sind, als die jüdischen. Ferner war es eine Satzung der Kirche, solche Menschen, wie die bisher aufgezählten, durch den Bann in Zaum zu halten. Viele scheuen aber den Fluch nicht mehr und suchen, wenn sie auch wissen, daß sie öffentlich in den Bann gethan worden, weder die Kirche, noch den Verkehr und die Unterredung mit den Leuten zu vermeiden und es giebt wenige Priester, welche den im Banne Befindlichen den Eintritt in die Kirche verweigern. Wenige haben auch einen Abscheu vor dem Verkehr und der Unterredung mit den Exkommunizirten, sobald sie mit denselben durch eine Art Freundschaft verbunden sind. Auch wird den Exkommunizirten, wenn dieselben reich sind, das kirchliche Begräbnis nicht verweigert. Darum verwundert euch nicht, Herr, wenn ich um solcher und vieler anderer Mißbräuche willen, welche kirchlichen Satzungen schwer zuwiderlaufen, Rom eine unglückliche Stadt nannte. Es ist deshalb zu besorgen, der katholische Glaube werde binnen kurzem untergehen, wenn nicht einer kömmt, welcher mit ungeheucheltem Glauben Gott über alles und seinen Nächsten wie sich selber liebt und alle Mißbräuche abschafft. Habt deshalb Erbarmen mit der Kirche und ihrer Geistlichkeit, welche Gott mit ganzem Herzen liebt und alle übeln Gewohnheiten verabscheut, welche durch die Abwesenheit des Papstes gleichsam verwaist, dennoch wie treue Söhne des Vaters Sitz verteidigt hat, den Verrätern kräftig widerstand und unter den vielen Trübsalen standhaft geblieben ist."
Kapitel XXXIV.
Ein Gesicht der Braut von verschiedenen Strafen, welche einer Seele bereitet worden, die noch im Körper weilte, und wie alle jene Arten von Strafen, wenn die Seele sich vor dem Tode bekehrt haben würde, in die höchste Ehre und Herrlichkeit sich verwandeln sollten.
Es deuchte mir, ich sähe Leute stehen, welche Stricke verfertigten, andere rüsteten Pferde zu, andere machten Zangen zurecht, noch andere bauten einen Galgen auf. Und während ich dieses schaute, erschien eine Jungfrau wie betrübt und fragte, ob ich dieses verstände. Als ich es verneinte, erwiderte sie: "Das alles, was 77 Du hier siehst, ist eine geistliche Strafe, welche für die Seele dessen bereitet wird, den Du kennst. Die Stricke sind bestimmt, das Pferd zu binden, das seine Seele ziehen soll, die Zangen aber sollen Nasen, Ohren, Augen, Lippen zerreißen und am Galgen aufhängen." Als ich hierüber bestürzt ward, antwortete die Jungfrau: "Beunruhige Dich nicht; denn noch ist es Zeit, und er wird, wenn er will, die Stricke zerreißen, die Pferde umkehren, die Zangen wie Wachs weich machen und den Galgen entfernen können. Dazu wird er eine so brennende Liebe gegen Gott haben können, daß jene Strafzeichen ihm zur größten Ehre gereichen werden, und zwar so weit, daß die Stricke, mit denen er auf verächtliche Weise gebunden werden sollte, sich ihm in goldene Gürtel verwandeln werden. Statt der Pferde, durch die er über die Gassen geschleift werden sollte, werden ihm Engel gesendet werden, welche ihn vor das Antlitz Gottes führen sollen. Für die Zangen aber, mit denen er auf schmähliche Weise zerrissen werden sollte, wird seiner Nase ein besserer Wohlgeruch, seinem Munde ein besserer Geschmack, seinen Augen der schönste Anblick, seinen Ohren die lieblichste Melodie zugeführt werden."
Erklärung.
Dieser war des Königs Marschall, welcher nach Rom kam, und so verdemütigt und zerknirscht ward, daß er unbedeckten Hauptes häufig die Stationen durchging und Gott bat und bitten ließ, daß er ihn nicht in sein Vaterland zurückkommen lassen wolle, falls er in die früheren Sünden zurückfallen sollte. Sein Rufen erhörte Gott. Denn als er nach seiner Abreise von Rom nach Montefiascone gekommen war, erkrankte er dort und starb, worüber eine andere Offenbarung erfolgte. "Siehe, Tochter, was die Barmherzigkeit Gottes wirkt, was der gute Wille Jene Seele war im Rachen des Löwen, allein ihr guter Wille riß sie aus den Zähnen des Löwen, und nun ist sie auf dem Wege in ihre Heimat und wird alles Guten teilhaftig werden, das in der Kirche Gottes geschieht." 78
Kapitel XXXV.
Worte der Braut zu Jesu Christo vom Verlangen nach der Errettung der Seelen und der ihr im heiligen Geiste gewordenen Antwort, daß die Ausschweifungen und der Überfluß an Trank und Speise bei den Menschen den Heimsuchungen des heiligen Geistes, die ihnen gesendet werden, widerstehen.
"O süßester Jesu, Schöpfer alles dessen, was erschaffen worden. Würden doch diese Seelen die Wärme Deines heiligen Geistes sehen und erkennen! denn alsdann würden sie mehr nach dem Himmlischen trachten und das Irdische eifriger verabscheuen." Und alsbald ward mir im Geiste geantwortet: "Ihre Ausschweifungen und ihr Überfluß widerstehen den Heimsuchungen des heiligen Geistes; denn das Übermaß in Speise und Trank mit eingeladenen Freunden verhindert, daß der heilige Geist ihnen süß ist und sie Überdruß erlangen an den Freuden der Welt. Der Überfluß aber an Gold und Silber, an Geschirren und Kleidern und an Einkünften verhindert, daß der Geist meiner Liebe ihre Herzen entflammt und entzündet. Auch der Überfluß an Dienern und Pferden und Tieren ist der Annäherung des heiligen Geistes an sie im Wege; ja, ihre Diener, meine Engel, entfernen sich von ihnen und es treten verräterische Teufel heran. Deshalb kennen sie jene Süße und die Heimsuchung nicht, mittels derer ich, der ich Gott bin, die heiligen Seelen und meine Freunde besuche."
Kapitel XXXVI.
Worte Gottes zur Braut, wie religiöse Menschen vor alten Zeiten aus Furcht und göttlicher Liebe in die Klöster gingen, daß aber nun die Feinde Gottes, d. h. die falschen Religiosen, hinausgehen in die Welt um der Hoffart und der ungerechten Begierde halber; desgleichen von den Kriegern in ihrem Dienste.
"Vernimm nun, was meine Feinde wider dasjenige thun, was meine Freunde ehemals gethan. Meine Freunde gingen aus kluger Besorgnis und göttlicher Liebe in die Klöster. Diejenigen aber, 79 welche sich jetzt in den Klöstern befinden, gehen aus Begierlichkeit und Hoffart in die Welt hinaus, pflegen ihres eigenen Willens und vollbringen die Lüste ihres Leibes. Das Gericht derer, welche in einer solchen Willensverfassung starben, besteht darin, daß sie die himmlische Freude weder empfinden, noch erlangen, vielmehr nur eine endlose Strafe in der Hölle. Wisse auch, daß die Klosterleute, welche wider ihren eigenen Willen genötigt werden, aus göttlicher Liebe geistliche Vorsteher zu werden, nicht unter dieselbe Zahl zu rechnen sind. Auch die Kriegsleute, welche einst die Waffen trugen, waren bereit, ihr Leben für die Gerechtigkeit dahinzugeben, und um des heiligen Glaubens willen ihr Blut zu vergießen. Sie halfen den Bedürftigen zur Gerechtigkeit und wirkten, daß die Bösen unterdrückt und gedemütigt wurden. Nun aber höre, wie sie sich verkehrt haben. Jetzt gefällt es ihnen auf Eingebungen des Teufels hin mehr, im Kriege für die Hoffart, die Genußsucht und den Neid zu sterben, als nach meinen Geboten zu leben, um die ewige Freude zu erlangen. Allen, welche in solchem Willen dahinsterben, wird daher der Lohn nach dem Urteile der Gerechtigkeit zugeteilt, d. h. sie werden den Teufeln zur ewigen Verbindung mit ihnen in Sold gegeben werden. Diejenigen aber, welche mir dienen, sollen den Sold mit dem himmlischen Heere ohne Ende haben."
Kapitel XXXVII.
Worte Christi zur Braut, worin er dieselbe fragt, wie es um die Welt steht. Und von der Antwort der Braut, nämlich: daß sie wie ein ausgespannter Sack sei, in welchen alle unklug hineinrennen. Vom grausamen, aber gerechten Urteile wider solche.
Der Sohn sprach: "Wie steht es jetzt um die Welt, meine Tochter?" Und sie (entgegnete): "Sie ist wie ein ausgespannter Sack, in welchen alle hineinrennen, und wie ein Mensch, der da läuft, ohne sich darum zu bekümmern, was da folgt." Der Herr sprach: "Darum erheischt die Gerechtigkeit, daß ich mit meinem Pfluge über die Welt, über Heiden und Christen gehe, und weder des Greises, noch des Jünglings, nicht des Armen, noch des Reichen schone, sondern ein jeglicher wird gerichtet werden, nach seinem 80 Rechte und jeglicher wird in seiner Sünde sterben, und es werden die Häuser samt den Inwohnern verlassen werden, gleichwohl will ich noch kein Ende machen." Und jene sprach: "O Herr, zürne nicht, wenn ich rede. Sende einige von Deinen Freunden, welche sie vor ihrer Gefahr warnen und sicherstellen." Und der Herr sprach: "Es sieht geschrieben, wie der Reiche in der Hölle in Verzweiflung an seinem eigenen Heile gebeten, es möge jemand gesandt werden, seine Brüder zu mahnen, auf daß sie nicht in ähnlicher Weise umkämen. Und es ward ihm geantwortet: Mit nichten wird das geschehen; denn sie haben Moses und die Propheten, von denen sie sich belehren lassen können. So sage ich jetzt, sie haben die Evangelien und die Aussprüche der Propheten, sie haben die Beispiele und Worte der Lehrer, sie haben Vernunft und Einsicht; mögen sie also dieselben gebrauchen und sie werden gerettet werden. Wenn ich auch Dich gesendet habe, so kannst Du nicht so laut rufen, daß Du gehört würdest und sende ich meine Freunde, so sind ihrer wenige und würden, wenn sie rufen, kaum vernommen werden. Gleichwohl will ich meine Freunde zu denen senden, zu denen mir's gefällt, und sie werden Gott den Weg bahnen."
Kapitel XXXVIII.
Worte Christi zur Braut, daß man Träumen nicht glauben, sondern sich vor denselben hüten soll, wie fröhlich oder traurig dieselben auch sein mögen, und wie der Teufel in solchen Dingen Falsches mit Wahrem vermischt, weshalb in der Welt viele Irrtümer aufsteigen. Und wie die Propheten aus dem Grunde nicht irrten, weil sie Gott über alles wahrhaft liebten.
Der Sohn sprach: "Warum üben fröhliche Träume eine solche Erhebung über Dich aus? Weshalb drücken Dich traurige so nieder? Habe ich Dir nicht gesagt, daß der Teufel neidisch ist, und daß er ohne Zulassung Gottes nicht mehr thun kann, als das Stroh zu Deinen Füßen? Ich habe Dir auch gesagt, daß er der Vater und Erfinder der Lüge ist, und daß er allen seinen Lügen Wahrheit beimischt. Darum sage ich auch, daß der Teufel nicht schläft, sondern umhergeht, um eine Gelegenheit wider Dich zu finden. Deshalb sollst Du Dich vorsehen, daß der Teufel, welcher durch sein 81 durchdringendes Wissen und aus den äußerlichen Bewegungen das Innere erkennt, Dich nicht betrüge. Zuweilen sendet er Dir Fröhliches ins Herz, damit Du eine eitle Freude haben mögest, zuweilen Trauriges, damit Du bei Deinen Klagen manches Gute unterlassen mögest, das Du hättest thun können, und damit Dein Elend Dich traurig und kummervoll mache. Zuweilen täuscht der Teufel die Herzen, welche der Welt gefallen wollen, durch viele Lügen, wie ein falscher Prophet, der die Menschen hintergeht. Solches begegnet dem Menschen, welcher anderes mehr liebt, als Gott selber. Daher kömmt es, daß unter vielen falschen Worten viele wahre gefunden werden, weil der Teufel nimmer würde betrügen können, wenn er nicht dem Falschen Wahres beimischte, wie an jenem Besessenen zu schauen gewesen, den Du gesehen hast, welcher, obwohl er einen Gott bekannte, dennoch durch unzüchtige Gebärden und fremdartige Äußerungen erkennen ließ, daß der Teufel in ihm Besitzer und Einwohner war. Nun wirst Du aber fragen können, weshalb ich dem Teufel zu lügen verstatte? Ich antworte: Dieses habe ich erlaubt und erlaube es um der Sünden des Volkes und der Geistlichen willen, welche das wissen wollten, was Gott sie nicht wissen lassen wollte, und da Glück haben wollten, wo Gott sah, daß es zu ihrem Heile nichts nütze. Deshalb läßt Gott vieles um der Sünde willen zu, was nicht geschehen würde, wenn der Mensch nicht mit der Gnade und Vernunft Mißbrauch triebe. Die Propheten aber, welche nichts begehrten, als Gott, und Gottes Worte nur um Gottes willen reden wollten, wurden nicht betrogen, sondern sprachen und liebten die Worte der Wahrheit. Wie nun aber nicht alle Träume anzunehmen sind, so sind auch nicht alle zu verachten; denn Gott giebt auch den Bösen zuweilen Gutes ein und läßt es erfüllt werden, damit sie von ihren Sünden wieder zur Besinnung kommen; zuweilen giebt er auch den Guten Gutes im Schlafe ein, damit sie noch stärker zunehmen in Gott. Wann und so oft Dir daher solches begegnet, soll es Dein Herz nicht beschweren, sondern erwäge und besprich es mit Deinen weisen geistlichen Freunden, oder laß und schließe dasselbe aus Deinem Herzen aus, als sei es nicht gesehen worden, weil, wer an solchen Dingen seine Freude hat, gar häufig getäuscht und beunruhigt wird. Deshalb sei standhaft im Glauben an die heilige Dreifaltigkeit und liebe Gott von ganzem 82 Herzen; bleibe gehorsam bei Widerwärtigkeit wie im Glück; ziehe Dich in Deinen Gedanken niemand vor, sondern habe auch bei dem Guten, das Du thust, Furcht; halte Deine Meinungen nicht für besser, als die Meinung anderer, und stelle Deinen Willen gänzlich Gott anheim; bereite Dich vor zu allem, was Gott wollen mag, dann hast Du Dich vor Träumen nicht zu fürchten; sind dieselben fröhlich, so glaube ihnen nicht und begehre sie nicht, wofern nicht Gottes Ehre dabei erwogen wird; waren sie aber traurig, so laß Dich nicht betrüben, sondern setze Dich ganz auf Gott." - Hierauf sprach die Mutter: "Ich bin die Mutter der Barmherzigkeit und bereite meiner Tochter, während dieselbe schläft, Kleider, während sie sich ankleidet, bereite ich ihr Speise, während sie arbeitet, bereite ich ihr die Krone und alles Gute."
Kapitel XXXIX.
Worte der Mutter zum Sohne von der Braut und Christi Antwort an die Mutter. Ferner Worte der Mutter, was durch den Löwen und das Lamm bedeutet wird, und wie Gott wegen Undankbarkeit und Ungeduld der Menschen ihnen begegnen läßt, was sonst sich nicht ereignen würde.
Die Mutter redete zu ihrem Sohne Jesus und sprach: "Unsere Tochter ist gleichsam ein Lamm, das seinen Kopf dem Löwen in den Rachen steckt." Der Sohn antwortete ihr: "Es ist besser, daß das Lamm seinen Kopf dem Löwen in den Rachen steckt, so daß es mit dem Löwen Ein Fleisch wird und Ein Blut, als daß das Lamm Blut aussauge aus dem Fleische des Löwen; denn darüber möchte der Löwe ergrimmen und das Lamm, dessen Nahrung Heu ist, krank werden. Nun aber, teuerste Mutter, die Du alle Weisheit und die Fülle der gesamten Klugheit in Deinem Leibe getragen, hilf ihr erkennen, was der Löwe sei und was das Lamm." Die Mutter antwortete: "Gebenedeit seist Du, mein Sohn, der Du in Ewigkeit beim Vater bleibend herabgestiegen bist, Dich aber gleichwohl nie vom Vater getrennt hast. Da bist der Löwe, aber vom Stamme Juda; Du das Lamm ohne Flecken, auf welches Johannes hindeutete. Der nun steckt sein Haupt in des Löwen Rachen, der allen seinen Willen Gott anheimstellt, und denselben, auch wenn er 83 könnte, nicht vollbringen möchte, wofern er nicht wüßte, daß es Dir gefiele. Der aber saugt des Löwen Blut, der über Deine Gerechtigkeit und Fügung ungeduldige Wünsche hegt, und sich bemüht, anderes zu erlangen, als Du ihm bestimmt hattest, auch in einem anderen Stande sein möchte, als Dir gefällt und ihm selber nützlich wäre. Durch dergleichen wird Gott nicht besänftigt, sondern erzürnt. Denn wie des Lammes Speise Heu ist, so soll sich der Mensch mit niedrigen Dingen und einem geringen Stande begnügen. Deshalb auch läßt Gott wegen der Undankbarkeit und Ungeduld der Menschen vieles zu, was dem Heile der Menschen, wenn sie geduldig wären, nicht widerführe. Deshalb, meine Tochter, übergieb Deinen Willen Gott, und solltest Du einmal weniger geduldig sein, so erhebe Dich durch die Buße; denn die Buße ist wie eine Wäscherin, welche die Flecken gut auswäscht, die Reue aber ist eine treffliche Bleicherin."
Kapitel XL.
Worte Christi zur Braut, welche erklären, was ein christlicher Tod ist. Wie der Mensch übel oder gut stirbt, und wie die Freunde Gottes sich nicht betrüben sollen, wenn sie die Diener Gottes leiblich und auf grausame Weise sterben sehen.
Der Sohn Gottes sprach: "Fürchte nicht, meine Tochter! diese Kranke wird nicht sterben, weil mir ihre Werke gefallen." und als sie gleichwohl gestorben war, sprach der Sohn Gottes wieder: "Siehe, meine Tochter, wahr ist, was ich Dir gesagt: Sie ist nicht tot, denn ihre Herrlichkeit ist groß; die Trennung der Seele von dem Leibe ist bei den Gerechten nur wie ein Traum, weil sie im ewigen Leben erwachen. Das aber ist ein Tod zu nennen, wenn eine vom Leibe gesonderte Seele im ewigen Tode lebt. Viele, welche der Zukunft nicht achten, wünschen eines christlichen Todes zu sterben. Was aber ist ein christlicher Tod, als sterben, wie ich gestorben bin, unschuldig, freiwillig und geduldig? Bin ich etwa darum zu verachten, weil mein Tod verächtlich und hart war? Oder sind meine Auserwählten deshalb Thoren, weil sie Verächtliches erduldeten, oder hat das Schicksal oder der Lauf der Sterne solches herbei- 84 geführt? Mit nichten! Sondern darum litten ich und meine Auserwählten Hartes, um durch Wort und Vorbild zu zeigen, daß der Weg zum Himmel hart ist, und damit es den Bösen offenbar werde, welcher Reinheit sie bedürfen, wenn schon die Auserwählten und Unschuldigen so Hartes haben erleiden müssen. Darum wisse, wie derjenige schmählich und übel stirbt, welcher ungebunden lebt und im Tode noch den Willen hat, zu sündigen, welcher, wenn er in der Welt im Wohlstand lebt, länger zu leben wünscht und Gott keinen Dank weiß. Wer aber Gott von ganzem Herzen liebt und unschuldig durch einen verächtlichen Tod betrübt, oder durch eine lange Krankheit beschwert wird, der lebt und stirbt glücklich, weil ein harter Tod sowohl die Sünde, als die Strafe der Sünde mindert, die Krone aber vergrößert. Siehe, ich bringe Dir ihrer zwei vor das Gedächtnis, welche nach der Menschen Urteil einen verächtlichen und bitteren Tod starben, und welche, wenn sie nicht nach meiner großen Gerechtigkeit einen solchen Tod erlangt hätten, nicht gerettet worden wären. Weil aber der Herr die, welche zerknirschten Herzens sind, nicht zweimal straft, kamen sie zur Krone. Deshalb sollen die Diener Gottes sich nicht betrüben, wenn sie zeitlich gegeißelt werden, oder wenn sie eines bitteren Todes sterben, weil es das größte Glück ist, eine Stunde lang zu trauern und in der Welt durch Trübsal heimgesucht zu werden, damit man nicht in ein schwereres Fegfeuer komme, aus welchem keine Flucht, wo keine Zeit zu arbeiten mehr sein wird."
Kapitel XLI.
Worte der Mutter zur Tochter, daß die Priester, welche auf rechte Weise das Amt erlangt haben, loszusprechen, wie große Sünder sie auch sein mögen, von den Sünden freisprechen können, desgleichen vom Sakramente der Eucharistie.
Die Mutter sprach: "Gehe hin zu dem, welcher das Amt hat, loszusprechen; denn wie aussätzig ein Pförtner auch sein möge, er vermag, wenn er die Schlüssel hat, nichtsdestominder die Thür aufzumachen wie ein Gesunder. Also ist es auch mit der Lossprechung und dem Sakramente des Altars; denn der Diener (des Herrn) mag sein, wie er will, wenn er nur das Amt der Los- 85 sprechung auf rechte Weise empfing, kann er von den Sünden lossprechen. Deshalb darf man keinen verachten. Doch warne ich ihn in zwei Stücken. Eins ist, daß er dasjenige, was er fleischlich liebt und wünscht, nicht haben wird; das andere ist, daß sein Leben gar bald wird gekürzt werden. Und wie eine Ameise, welche Tag und Nacht das Körnlein trägt, bisweilen, wenn sie der Öffnung nahe kommt, hinfällt und im Eingange stirbt, das Körnlein aber draußen bleibt, also wird er, wenn er beginnen wird, zur Frucht seiner Arbeit zu gelangen, sterben und für seine vergebliche Arbeit zu Schanden und gestraft werden."
Kapitel XLII.
Worte der Mutter zur Tochter, wie die guten Sitten und die Werke der Gerechtigkeit an den Freunden Gottes durch Thürpfosten bedeutet werden. Und wie die Diener sich vor üblen Rachreden hüten sollen.
Die Mutter sprach: "Man sagt, die Freunde Gottes seien wie zwei Thürpfosten, durch welche andere eingehen sollen. Deshalb soll man sich sorgfältig hüten, daß denen, welche hineingehen, nichts Rauhes oder Hartes, oder anderes im Wege sei, wodurch sie abgehalten werden möchten. Was bedeuten nun die Pfosten anderes, als züchtige Sitten, Werke der Gerechtigkeit und erbauliche Reden, welche an den Freunden Gottes täglich zum Vorscheine kommen sollen? Deshalb soll man sich aufmerksam hüten, daß nichts Hartes, d. h. keine üble Nachrede enthaltendes oder leichtfertiges Wort im Munde der Freunde Gottes gefunden werde; auch darf in ihren Werten nichts Weltliches wahrgenommen werden, vor welchem diejenigen, welche eingehen wollen, zurückfliehen, und wovon sie einen Abscheu vor dem Eintreten bekommen." 86
Kapitel XLIII.
Worte der Mutter zur Tochter, wie die bösen Hirten einem Wurme verglichen werden, der die Wurzeln eines Baumes zernagt.
Die Mutter sprach: "Gleichwie ein Wurm, welcher beim Anblicke einer guten Saat nichts danach frägt, wie viel Frucht zu Grunde gehe oder abfalle, wenn er nur die Wurzeln, oder was der Erde am nächsten ist, abnagen kann, so fragen auch diese geistlichen Hirten nicht danach, ob die Seelen untergehen, wofern nur sie ihren Gewinn und ihr zeitliches Gut erlangen. Deshalb wird meines Sohnes Gerechtigkeit über sie kommen, und sie werden gar schnell hinweggezogen werden." Die Tochter antwortete: "Alle Zeit ist vor Gott nicht mehr, als gleichsam der Ausschlag einer Wage, wie lang dieselbe für uns auch sein möge; es ist aber groß die Geduld Deines Sohnes, auch mit den Bösen." Die Mutter antwortete: "Wahrlich, ich sage Dir, ihr Gericht wird nicht verschoben werden, sondern es wird schrecklich über sie kommen, und sie werden aus ihren Lüsten hinweggerissen werden in die Schande."
Kapitel XLIV.
Worte Christi zur Braut, wie der Leib durch ein Schiff, die Welt durch ein Meer bedeutet wird, und wie der Wille die Freiheit hat, die Seelen in den Himmel oder in die Hölle zu führen. Wie die irdische Schönheit dem Glase vergleichbar ist.
Der Sohn Gottes sprach: "Höre, die Du aus den Stürmen der Welt in den Hafen der Ruhe gelangen willst, daß ein jeglicher, der auf dem Meere ist, nichts fürchten darf, wenn der ihm zur Seite steht, der den Winden zu wehen verbieten kann, welcher allem Leiblichen, das da schaden will, zu weichen heißt, und gebietet, daß die Felsen erweichen, und der den Stürmen gebieten kann, daß sie das Schiff in einen sicheren Hafen führen. Also sind leiblicherweise in der Welt einige wie ein Schiff, das den Leib hinüberführt über die Wasser der Welt, einigen zum Troste, anderen zur Trüb- 87 sal, weil der Wille des Menschen frei ist, und einige Seelen in den Himmel, andere in die Tiefe der Hölle führt. Daher gefällt Gott derjenige Wille, welcher nichts eifriger zu hören wünscht, als die Ehre Gottes, noch für etwas anderes zu leben verlangt, als damit er Gott dienen könne; denn in einem solchen Willen wohnt Gott gern, mildert alle Gefahren der Seele, und besänftigt die Felsen, an denen die Seele vielmals in Gefahr ist. Was aber sind die Felsen anderes, als die böse Begierde? Denn es ist anmutig, zu sehen, was die Welt besitzt, und es selber zu besitzen, sich über seines Leibes Ehre zu freuen, und alles zu kosten, was das Fleisch erfreut. In solchen Dingen steht die Seele oft in Gefahr. Wenn Gott aber im Schiffe ist, verliert alles seine Härte, und die Seele verachtet alle jene Dinge, weil alle leibliche und irdische Schönheit dem Glase gleicht, das außen bemalt, inwendig aber voll Erde ist. Wenn das Glas aber zerbrochen ist, hat es nicht mehr Nutzen, als schwarze Erde, die allerdings zu keinem anderen Zwecke erschaffen ist, als um damit den Himmel zu erkaufen. Es kann daher jeder Mensch seiner Ruhe pflegen und einst mit Freuden erwachen, wenn er die Ehre der Welt ebenso flieht, wie eine giftige Luft und die Wollust des Fleisches verabscheut, weil Gott in jeglicher Stunde bei ihm ist."
Kapitel XLV.
Klageworte der Braut vor der kaiserlichen Majestät ⋅1⋅ darüber, daß die vier Schwestern, die Töchter des Königs Jesu Christi, nämlich: die Demut, die Enthaltsamkeit, die Genügsamkeit, die Liebe, jetzt leider vernichtet sind, die Töchter des Königs Teufel dagegen: Hoffart, Lust, Überfluß und Simonie, vornehme Frauen genannt werden.
Ich beklage mich nicht bloß meinesteils, sondern von seiten vieler Auserwählten Gottes vor Euer kaiserlichen Majestät, wie vier Schwestern gewesen, Töchter eines mächtigen Königs, davon jede einen Sitz und Gewalt hatte in ihrem väterlichen Erbe. Diejenigen, welche die Schönheit dieser Schwestern ansehen wollten, 88 empfingen Trost durch ihre Schönheit und gute Beispiele aus ihrer Andacht. Die erste Schwester hieß Demut in Anordnung aller auszuführenden Dinge. Die zweite Schwester hieß Enthaltsamkeit von allem befleckten Wandel. Die dritte Schwester war genannt Genügsamkeit ohne allen Überfluß. Die vierte Schwester hieß Liebe bei der Trübsal des Nächsten. Diese vier Schwestern sind jetzt in ihrem väterlichen Erbe vernichtet, und werden gewissermaßen von männiglich verachtet. Ihre Sitze haben vier andere uneheliche Schwestern eingenommen, welche von einem Hurer erzeugt worden, und sich vornehme Frauen nennen lassen. Die erste heißt Frau Hoffart, welche der Welt zu Gefallen ist. Die zweite heißt Frau Lust nach dem Gelüsten alles Fleisches. Die dritte heißt Frau Ungenügsamkeit mit dem Notwendigen. Die vierte heißt Frau Simonie, vor deren Trug sich fast niemand hüten kann; denn ob, was sie nimmt, auf gerechte oder ungerechte Weise erworben worden sein mag, nimmt sie alles mit Begierde an. Diese vier Frauen aber reden wider die Gebote Gottes, wollen dieselben vernichten, und geben vielen Seelen Anlaß zu ewiger Verdammnis. Seid daher thätig, Herr, um der Liebe willen, welche Gott gegen Euch gehabt, und helfet jenen vier Schwestern, welche Tugenden genannt werden, und ausgegangen sind von der Tugend Jesu Christi, vom höchsten Könige selber. Denn sie sind jetzt in der heiligen Kirche, welche das Erbe Christi ist, unterdrückt, auf daß sie bald erhöht werden mögen, und damit die Laster, welche sich vornehme Frauen in der Welt nennen lassen, unterdrückt werden, weil sie Verräterinnen an den Seelen, weil sie vom Laster selber, dem Verräter Teufel, gezeugt sind.
Kapitel XLVI.
Mahnende Worte der Braut an einen Herrn wegen Zurückerstattung des widerrechtlich Erworbenen. und von der Stimme eines Engels, welcher ein grausames Urteil wider ihn spricht.
"Herr, ich warne Euch vor der Gefahr, die Euerer Seele droht, indem ich Euch ins Gedächtnis zurückrufe, wie man im Alten Testamente liest, daß ein König eines Mannes Weinberg begehrt 89 und für den Weinberg den vollen Wert angeboten habe. Weil es aber dem Besitzer nicht gefiel, denselben zu verkaufen, ward der König unwillig und brachte den Weinberg durch Ungerechtigkeit und Gewalt an sich. Zu ihm sprach nachher der heilige Geist durch den Mund eines Propheten, und fällte über den König und die Königin das Urteil, daß sie dieser Ungerechtigkeit halber des schmählichsten Todes sterben müßten. Dasselbe ward auch an ihnen vollzogen und ihre Kinder haben sich des Besitzes jenes Weinberges nimmer erfreut. Weil Ihr denn nun ein Christ seid, und auf unversehrte Weise den Glauben habt, und auf das zuverlässigste wisset, daß Gott noch derselbe ist, welcher er damals war, und so mächtig und gerecht, wie damals, so könnet Ihr auf zweifellose Weise erkennen, daß Euch derselbe Gott ein gerechter Richter und mächtiger Rächer sein wird, wenn Ihr etwas auf unrechtmäßige Weise oder auch dadurch zu besitzen verlanget, daß Ihr den Eigentümer wider seinen Willen zum Verkaufe zwingen oder ihm einen beliebigen Preis dafür gewähren wollet. Ihr habt auch mit Schmerzen zu besorgen, daß ein solches Gericht über Euch kommen werde, wie man liest, daß es über jene Königin gekommen ist, und daß Euere Kinder durch das übel Gewonnene nicht reich, sondern durch Mangel nur desto mehr heimgesucht werden. Ich ermahne Dich also, um des Leidens Jesu Christi willen, der Deine Seele mit seinem kostbaren Blute erkauft hat, und warne Dich, Du wollest Deine Seele um einiger vergänglicher Dinge willen nicht selbst verscherzen, sondern allen, welche von Dir oder um Deinetwillen auf ungerechte Art beschädigt sind, volle Genüge thun, und alles, was Du ungerechterweise erworben, denen zum Troste wieder erstatten, welche jetzt Schmerzen leiden, und anderen zum Vorbilde, wofern Du Dir die Freundschaft Gottes erhalten willst. Gott ist mein Zeuge, daßt [sic!] ich Dir dieses nicht aus mir selbst schreibe, weil ich Dich nicht kenne, sondern was einer gewissen Person widerfahren ist, hat mich genötigt, Gegenwärtiges, unter göttlichem Mitleid mit Deiner Seele zu schreiben. Jene Person nämlich hörte, nicht im Schlafe, sondern wachend, während ihrer Gebete, eines Engels Stimme, welcher sprach: O Bär, o Bär, der Du wider Gott und die Gerechtigkeit zu kühn bist, Dein Wille hat in Dir Dein Gewissen überwältigt, so daß es gänzlich schweigt, und Dein Wille redet und 90 thut. Deshalb wirst Du bald vor Gericht kommen, vor das Gericht Gottes, wo Dein Wille stillschweigen, Dein Gewissen aber reden, und Dich nach dem rechten Urteile der Gerechtigkeit selber verdammen wird."
Kapitel XLVII.
Worte des Sohnes zur Braut, wie wir uns vor des Teufels Versuchungen zu hüten haben. Wie der Teufel durch einen Feind, Gott durch eine Henne, seine Macht und Weisheit durch die Flügel, seine Barmherzigkeit durch die Federn und die Menschen durch die Jungen bedeutet werden.
Der Sohn sprach: "Wenn der Feind an die Thüre klopft, so müsset ihr nicht sein wie die Ziegen, welche an die Mauer laufen, auch nicht wie die Widder, welche die Vorderfüße aufheben und sich einander mit den Hörnern stoßen; sondern ihr sollet sein wie die Küchlein, welche, wenn sie einen Vogel, der ihnen schadet, in der Luft fliegen sehen, um sich zu verbergen, unter die Flügel der Mutter fliehen. Wenn sie auch nicht mehr als eine Feder der Mutter zu ergreifen imstande sind, freuen sie sich, wenn sie sich auch nur mit dieser bedecken können. Wer anders aber ist euer Feind, als der Teufel, welcher neidisch ist auf alle guten Werke, dessen Geschäft es ist, mit Versuchungen an die Seele des Menschen zu klopfen und dieselbe zu erregen? Er klopft bisweilen an durch den Zorn, durch üble Nachrede, bisweilen durch Ungeduld und Beurteilung der Ratschlüsse Gottes, wenn nicht alles nach Wunsch geht; er klopft auch gar häufig an und beunruhigt euch durch zahllose Gedanken, damit ihr euch dem Dienste Gottes entziehen möget und euere guten Werke bei Gott verdunkelt werden. Welcher Art nun aber auch euere Gedanken sein mögen, so dürfet ihr eueren Ort nicht verlassen, noch wie Ziegen sein, welche an die Mauer laufen, d. h. Herzenshärtigkeit hegen oder anderer Werke in eueren Herzen beurteilen; denn sehr oft ist, wer heute böse war, morgen gut. Ihr sollt vielmehr euere Hörner niederbeugen, stehen bleiben und hören, d. h. euch erniedrigen und Furcht haben, indem ihr Geduld behaltet und Gott bittet, daß böse Begonnenes in Gutes umgewandelt werde. Auch dürfet ihr nicht 91 sein wie die Widder, welche mit den Hörnern stoßen, d. h. Worte mit Worten erwidern und Unfug häufen auf Unfug, sondern ihr sollet beharrlich feststehen auf den Füßen und schweigen, d. h. tapfer die Neigungen des Fleisches bekämpfen, so daß ihr beim Sprechen und Antworten Vorbedacht übet und in der Geduld euch Gewalt anthut, weil es eines gerechten Mannes Pflicht ist, sich selbst zu besiegen und auch der erlaubten Rede, um Geschwätzigkeit und Beleidigung zu vermeiden, sich zu enthalten. Denn wer in der Erregung des Gemütes seine Gefühle allzusehr offenbart, der hat gewissermaßen den Anschein, als habe er sich selber gerächt, und die Empfindlichkeit seines Gemütes zu erkennen gegeben; er wird deshalb der Krone ledig bleiben, weil er nicht eine Zeit lang hat Geduld haben mögen, durch welche Geduld er seinen verletzenden Bruder gewonnen, sich selbst aber zu einer wertvolleren Krone vorbereitet haben würde. Was anders aber sind die Flügel der Henne als die göttliche Macht und Weisheit? Ich bin also wie eine Henne, und schütze meine Jungen, welche auf meinen Ruf herbeieilen, d. h. die Beschattung mit meinen Flügeln begehren, mächtiglich vor den Fallstricken des Teufels, und locke dieselben durch meine Eingebungen weislich zum Heile. Was sind nun aber die Federn anders, als meine Barmherzigkeit? Und kann der, welcher dieselbe erlangt hat, nicht sicher sein, wie das Junge, das unter der Mutter Flügeln sich wärmt? Seid deshalb wie Küchlein und eilt herbei auf meinen Willen, und sprechet bei allen Versuchungen und Widerwätigkeiten mit Worten und Werken: Der Wille Gottes geschehe, weil ich die, welche mir vertrauen, mit meiner Macht verteidige. Ich erquicke sie durch meine Barmherzigkeit, halte sie in meiner Macht, suche sie heim mit meinem Troste und erleuchte sie mit meiner Weisheit. Mit meiner Liebe lohne ich ihnen tausendfältig." 92
Kapitel XLVIII.
Worte des Sohnes zur Braut von einem gewissen Könige, wie er Gottes Ehre und Liebe zu den Seelen mehren soll, und von dem Urteile wider ihn, wofern er's nicht gethan haben würde.
Der Sohn Gottes sprach: "Wenn jener König euch ehren wollte, so würde er meine Unehre mindern und meine Ehre mehren; meine Unehre besteht darin, daß meine Gebote, die ich erlassen, und die Worte, welche ich in Person geredet habe, verachtet und von den meisten gleichsam wie nichts geachtet werden. Will er mich also lieben, so trage er fortan eine größere Liebe zu den Seelen aller, für welche ich mit dem Blute meines Herzens den Himmel eröffnet habe. Sucht er aber mehr die Ruhe in Gott zu erlangen, als sein väterliches Erbe zu erweitern, so wird er gewiß mehr Freude und Hilfe von Gott haben, jene Stätte, Jerusalem, wo mein gestorbener Leib gelegen, wieder zu erobern. Sage Du, die Du dieses hörest, noch dazu: Ich, Gott, habe erlaubt, daß er gekrönt werde. Deshalb kommt es ihm zu, daß er meinen Willen mehr befolge und mich über alles ehre und liebe; wofern er dies nicht thut, so werden seine Tage gekürzt werden. Auch diejenigen, welche ihn fleischlich lieben, werden unter Trübsal von ihm getrennt, und sein Reich wird in mehrere Teile zerteilt werden."
Kapitel XLIX.
Ein Gesicht der Braut unter der Gestalt der Kirche und von dessen Auslegung, welche die Art und Stellung enthält, wonach der Papst in Rücksicht auf sich selber, auf die Kardinäle und andere Prälaten der heiligen Mutter Kirche - und so sehr als möglich in der Demut sich verhalten soll.
Einer Person kam es vor, als befinde sie sich wie in einem weiten Chore. Und es erschien eine große und leuchtende Sonne, auch waren zwei Sitze wie Predigtstühle im Chore, einer zur Rechten, der andere zur Linken, welche von der Sonne in weitem Abstande und Zwischenraume sich befanden. Von der Sonne aber gingen 93 zwei Strahlen nach den Stühlen hin aus. Darauf ward eine Stimme von dem Stuhle her vernommen, welcher zur Linken stand. Dieselbe sprach: Sei gegrüßt in Ewigkeit, König, Schöpfer, Erlöser und gerechter Richter. Siehe! Dein Statthalter, welcher auf Deinem Stuhle in der Welt sitzt, hat seinen Sitz bereits auf seinen frühern alten Standort zurückgebracht, wo der erste Papst Petrus gesessen, welcher der Fürst unter den Aposteln war. Eine Stimme antwortete von dem Stuhle zur Rechten und sprach: Wie wird er eingehen können in die heilige Kirche, an welcher die Öffnungen der Thürangeln voll Rost und Erde sind? Es neigen sich deshalb auch die Pfosten erdwärts, weil an den Angeln keine Stelle ist, an welcher die Haken haften, um die Pfosten zu halten. Die Haken sind auch vollständig gerade gestreckt und haben ihre Krümmung verloren, um die Pfosten zu halten. Der Estrich ist ganzlich zerwühlt und in tiefe Gruben verwandelt, nach Art überaus tiefer Brunnen, welche ganz und gar keinen Grund haben. Das Dach aber ist mit Pech bestrichen und steht im Brande von Feuer und Schwefel, welcher wie ein dichter Nebel herniederträuft und der schwarze und dicke Rauch, welcher aus dem brennenden Dache aufsteigt, hat alle Wände mit Ruß erfüllt. Geziemt es also dem Freunde Gottes, in einem solchen Tempel seine Wohnung zu haben? Die Stimme vom Stuhle zur Linken antwortete: Lege geistlich aus, was du leiblich gesagt hast. Darauf sprach die Stimme: Unter dem Pfosten wird der Papst und unter der Angel die Demut verstanden, welche jede Hoffart ausschließt, so daß an ihr nichts erscheinen darf, als was zu dem demütigen Amte eines Bischofs gehört und daß auch die Öffnung vom# Roste ganz frei sein muß. Jetzt aber sind die Öffnungen, welche die Demut bezeichnen, angefüllt mit Überflüssigkeiten, Reichtum und Vermögen, und alle Demut ist in weltliche Pracht umgewandelt, was so zu verstehen ist, daß der Papst, welcher mit den Pfosten verglichen wird, sich dem Roste und Kote der weltlichen Dinge zuneigt. Darum soll der Papst in der wahren Demut bei sich selber beginnen, zuerst in seiner häuslichen Einrichtung, an den Kleidern, am Golde, Silber und silbernem Geräte, Pferden und anderen Gebrauchsgegenständen, indem er das Überflüssige von dem Notwendigen absondert und es den Armen überantwortet, namentlich denen, welche er als Freunde Gottes hat 94 kennen lernen. Dann soll er sein Hausgesinde bescheidentlich ordnen, nur die notwendigen Diener behalten, welche sein Leben hüten, weil, wenn es auch in der Hand Gottes steht, wann ihn derselbe zum Gerichte rufen will, es doch recht ist, daß er Diener habe, die Gerechtigkeit zu stärken, und daß er diejenigen, welche sich wider Gott und der heiligen Kirche Gewohnheit erheben, zu demütigen vermöge. Unter den Haken aber, welche den Pfosten angefügt werden, sind die Kardinäle zu verstehen, welche, soweit sie's vermögen, zu jeglicher Hoffart, Begierlichkeit und Fleischeslust sich ausgestreckt haben. Deshalb soll der Papst Hammer und Zange in die Hand nehmen, und die Angeln biegen nach seinem Willen, indem er ihnen nicht mehr an Kleidern, Hausgesinde und Geräte zu halten gestattet, als was sie zu ihrem Lebensunterhalte notwendig haben. Er soll sie biegen mit der Zange, d. h. mit sanften Worten, mit göttlichem Rate und väterlicher Liebe. Wollen sie nicht gehorchen, so nehme er den Hammer, d. h. zeige ihnen seine Strenge, und thue, was er vermag, ohne in etwas wider die Gerechtigkeit zu handeln, bis sie sich beugen nach seinem Willen. Unter dem Estrich sind die Bischöfe und Weltgeistlichen zu verstehen, deren Begierlichkeit keinen Boden hat, aus deren Hoffart und üppigem Leben ein Rauch aufsteigt, den alle Engel im Himmel und Freunde Gottes auf Erden verfluchen. Dieses kann der Papst in vielen Stücken bessern, wenn er einem jeglichen das Notwendige zu haben erlaubt, aber keinen Überfluß; auch einem jeglichen Bischofe befiehlt, acht zu geben auf das Leben seiner Geistlichen, und daß jedem, welcher sein Leben nicht bessern und in Enthaltsamkeit verharren wollte, seine Pfründe gänzlich entzogen wird, weil es Gott lieber ist, wenn an einem solchen Orte gar keine Messe gelesen wird, als wenn unzüchtige Hände den Leib Gottes berühren. 95
Kapitel L.
Ein unbegreifliches Gesicht der Braut vom Gerichte vieler noch lebenden Personen, in welchem sie die Worte vernahm: "Bessern die Menschen ihre Sünden, so will auch ich mein Gericht mildern."
"Es deuchte mir, als ob ein König auf einem Richterstuhle säße und jedwede lebende Person sich vor ihn stellen müsse; jede Person aber hatte zwei neben ihr stehen, von denen die eine die äußere Erscheinung eines bewaffneten Kriegers darstellte, die andere aber sich wie ein schwarzer Mohr zeigte. Vor dem Gerichte aber stand ein Pult, auf welchem ein Buch lag, welches in der Weise eingerichtet war, wie ich es früher geschaut, als ich die drei Könige vor ihm stehen sah (nämlich im XLVIII. Kapitel des 8. Buches). Ich sah auch, wie gleichsam die ganze Welt vor dem Pulte stand, und hörte, wie der Richter zu dem bewaffneten Krieger sprach: Rufe mir die vor das Gericht, denen Du mit Liebe gedient hast! und alsbald fielen diejenigen, welche genannt wurden, nieder. Einige von ihnen blieben längere, andere kürzere Zeit liegen, bevor die Seelen sich von den Leibern gelöst hatten. Ich vermag aber nicht alles, was ich sah und hörte, zu begreifen, weil ich die Urteile über viele noch Lebende hörte, die bald gerufen werden sollen. Doch ward mir vom Richter folgendes gesagt: Wenn die Menschen ihren Wandel zum Bessern wenden, will ich mein Gericht mildern. Ich sah damals auch viele verurteilt werden, einige zum Fegfeuer, andere zum ewigen Wehe."
Kapitel LI.
Ein wunderbares und schreckliches Gesicht der Braut von einer Seele, welche vor den Richter gestellt ward. Von den Vorwürfen Gottes und des Gerichtsbuches wider jene Seele. Von den Antworten der Seele wider sich selber, und den verschiedenartigen erstaunlichen Peinen, die bei ihr zur Reinigung angewendet worden.
"Ich sah ferner, wie eine Seele durch den Krieger und den Mohren, welche ich vorhin gesehen hatte, vor den Richter gestellt 96 wurde. Und es ward mir gesagt: Was Du jetzt siehst, ist alles mit dieser Seele zu der Zeit geschehen, als dieselbe vom Leibe abgelöst ward, - Als die Seele dem Richter dargestellt war, stand dieselbe allein, denn noch war sie nicht in den Händen der beiden, welche sie vorstellten; sie stand nackt und klagte, denn sie wußte nicht, wohin sie kommen würde. Sodann kam es mir vor, als wenn ein jedes Wort in dem Buche für sich selber auf alles antwortete, was die Seele redete. Vor dem Ohr des Richters und aller seiner Heerscharen sprach der bewaffnete Krieger zuerst also: Es ist nicht recht, daß man zur Schande dieser Seele ihr die Sünden vorrückt, welche durch die Beicht getilgt sind. - Gleichwohl habe ich, die ich dieses Gesicht hatte, damals ganz wohl und vollständig erkannt, daß jener Krieger, welcher redete, alles in Gott wußte, aber nur redete, auf daß ich das Verständnis haben möchte. Darauf kam aus dem Buche der Gerechtigkeit die Antwort: Diese Seele hat wohl Buße gethan, aber ihre Reue war ihren Sünden nicht angemessen, auch die Genugthuung war nicht aufrichtig. Deshalb muß sie jetzt Schmerzen leiden für das, was sie damals, als sie es vermochte, nicht gebessert hat. Noch diesen Worten begann die Seele so heftig zu weinen, daß sie fast ganz verging. Doch sah man nur Thränen, vernahm aber keine Stimme. Darauf redete der König zur Seele und sprach: Dein Gewissen möge nun diejenigen Sünden darlegen, auf welche keine würdige Genugthuung gefolgt ist. Darauf erhob die Seele ihre Stimme so hoch, daß sie fast über die ganze Welt gehört werden konnte, und sprach: Wehe mir, daß ich nicht gethan habe nach den Geboten Gottes, welche ich gehört und gekannt habe! und sich selber anschuldigend fügte sie hinzu: Ich habe das Gericht Gottes nicht gefürchtet. - Aus dem Buche ward ihr geantwortet: Deshalb mußt du den Teufel fürchten, und sogleich erwiderte die Seele voll Furcht und zitternd, als wenn sie völlig aufgelöst würde: Ich habe fast gar keine Liebe zu Gott gehabt; deshalb hab' ich nur wenig Gutes gethan. Sofort ward ihr aus dem Buche geantwortet: Deshalb erfordert es Gerechtigkeit, daß du dem Teufel näher kommest, als Gott, weil der Teufel dich mit seinen Versuchungen angelockt und an sich gezogen hat. Die Seele antwortete und sprach: Ich erkenne nun, wie alles, was ich gethan, nach den Eingebungen des Teufels 97 geschehen ist. Aus dem Buche ward geantwortet: Die Gerechtigkeit erklärt, daß es das Recht des Teufels ist, dir nach Maßgabe dessen, was du gethan hast, durch Strafe und Trübsal zu vergelten. Die Seele sprach: Von meinem Scheitel bis zu meiner Ferse ist nichts gewesen, das ich nicht mit Hoffart umkleidet hätte; denn etliche eitle und hoffärtige Trachten habe ich in Person neu erfunden, andere aber habe ich nach der Mode meines Landes getragen; ich habe auch Hände und Gesicht gewaschen, nicht allein damit sie rein, sondern als schön von den Menschen gelobt werden möchten. Es ward aus dem Buche geantwortet. Die Gerechtigkeit spricht: Dem Teufel steht zu, dir nach Verdienst zu vergelten, daß du dich geschmückt und geziert hast, wie er es dir eingab und vorschrieb. Weiter sprach die Seele: Mein Mund öffnete sich oft zu leichtfertigen Worten, wodurch ich anderen gefallen wollte, und mein Herz verlangte alles, was vor der Welt keine Schande und kein Spott war. Aus dem Buche ward geantwortet: Deshalb muß deine Zunge herausgestreckt und gezerrt werden, deine Zähne müssen krumm gezogen, und es muß dir alles dasjenige vorgesetzt werden, was dir höchlich mißfällt, hinweggenommen dagegen alles, was dir gefällt. Die Seele sprach: Ich hatte große Freude daran, daß viele aus meinem Beispiel Anlaß nahmen, es mir gleichzuthun, meine Sitten nachzuahmen. Aus dem Buche ward geantwortet: Deshalb ist es Gerechtigkeit, daß jeglicher, der in solcher Sünde überführt wird, wegen deren du bestraft wirst, auch die nämliche Strafe erleide und daß er dir beigesellt werde, damit, wenn er zu dir kommt, deine Pein vermehrt werde. Nach diesen Worten kam es mir vor, als würde der Seele ein Band wie eine Krone um das Haupt gebunden und so fest zusammengezogen, daß Hinterhaupt und Stirn zusammenkamen. Die Augen fielen aus ihren Höhlen und hingen an ihren Wurzeln über die Wangen hinab. Die Haare verdorrten wie vom Feuer verbrannt. Das Gehirn aber riß auseinander und floß durch Nase und Ohren hervor, die Zunge ward herausgerissen und die Zähne wurden krumm gedreht. Die Knochen in den Armen wurden zerbrochen und wie Seile umeinandergewunden. Die Hände wurden enthäutet und an den Hals gebunden. Brust und Bauch aber wurden so fest an den Rücken gepreßt, daß die Rippen zerknickten und das Herz samt den Eingeweiden herausbrach und zer- 98 platzte. Die Schenkel hingen hinab und die zerbrochenen Gebeine wurden herausgezogen auf eine Weise, wie ein dünner Faden in ein Knäuel zusammengewickelt wird. Nachdem ich dieses gesehen, entgegnete der Mohr: O Richter! die Sünden der Seele sind bereits nach der Gerechtigkeit offen gelegt, verbinde uns daher beide, mich und die Seele, so daß wir nimmer wieder getrennt werden. Der bewaffnete Krieger aber sprach: Höre, o Richter, der Du alles weißt, Dir kömmt es nun auch zu, den letzten Gedanken und die letzte Neigung zu hören, welche diese Seele am Ende ihres Lebens gehabt. Sie dachte im letzten Augenblicke also: Ach, wenn Gott mir das Leben fristen wollte, so wollte ich ja gern meine Sünden bessern und ihm in jeglicher Zeit meines Lebens dienen, auch ihn niemals wieder beleidigen. Dergleichen, o Richter! dachte und wollte sie. Gedenke auch, o Herr! wie diese Seele nicht so lange gelebt, daß sie den Zustand. ihres Gewissens vollständig erkannt hätte; gedenke deshalb ihrer Jugend und laß ihr Barmherzigkeit widerfahren. - Nun aber erfolgte aus dem Buche der Gerechtigkeit folgende Antwort: Solchen Gedanken am Ende gebührt die Hölle nicht. Und der Richter sprach weiter: um meines Leidens willen wird der Seele der Himmel eröffnet werden, wenn sie zuvor eine ihren Sünden angemessene Reinigung erlangt hat, es sei denn, daß sie durch die guten Werke der Lebenden noch eher Hilfe erlange."
Erklärung.
Dieses Weib hatte die Jungfräulichkeit in die Hand eines Priesters gelobt, verheiratete sich aber nachmals, geriet alsdann bei der Geburt in Gefahr und starb.
Kapitel LII.
Erschreckliches Gesicht der Braut von einem Manne und einer Frau. Von der Auslegung des Gesichtes der Braut, wie solche durch einen Engel gemacht worden, in welcher vielerlei Wunderbares enthalten ist.
"Es erschien mir ein Mann. Demselben waren die Augen ausgerissen. Sie hingen aber an zwei Nerven über die Wangen 99 herab. Er hatte Ohren wie ein Hund, eine Nase wie ein Pferd, sein Mund glich dem Rachen eines wilden Wolfes. Die Hände waren nach Art eines großen Stieres, seine Füße wie die eines Geiers. Mir erschien auch ein Weib, das neben ihm stand, deren Haare wie Dornen waren. Die Augen befanden sich am Hinterhaupte. Die Ohren waren abgerissen und die Nasenlöcher voll faulenden Eiters. Die Lippen waren wie Schlangenzähne. An der Zunge befand sich ein vergifteter Stachel. Die Hände waren wie zwei Fuchsschwänze, die Füße wie zwei Skorpione. Während ich, wachend und nicht schlafend, dieses sah, sprach ich: Was ist das? Sofort redete eine lieblich tönende Stimme zu mir, welche so tröstlich war, daß jeder Schrecken von mir wich. Sie sprach: Wofür hältst Du wohl das, was Du siehst? Ich antwortete: Ich weiß nicht, ob diejenigen, welche ich schaue, Teufel sind, oder wilde Tiere, von garstig tierischer Art geboren, oder von Gott also gebildete Menschen? Die Stimme antwortete mir darauf: Sie sind weder Teufel, denn diese haben keine Leiber wie Du an jenen wahrnimmst, noch sind sie von tierischem Geschlechte, weil sie aus Adams Stamme geboren worden. Auch sind sie so von Gott nicht geschaffen, sondern sie erscheinen vor Gott in ihren Seelen von den Teufeln also verunstaltet, wie es Dir in einem leiblichen Bilde erscheint. Ich will Dir nun zeigen, was es geistlicherweise bedeutet. Jenes Mannes Augen erscheinen Dir wie herausgerissen; sie hängen an zwei Nerven herab. Unter diesen beiden Nerven magst Du den Glauben verstehen, den er hatte, erstens, daß Gott ewiglich lebe, zweitens, daß seine Seele nach des Leibes Tode ewig entweder im Bösen oder im Guten leben werde. Unter den beiden Augen wirst Du verstehen, erstens, daß er hätte betrachten sollen, wie er die Sünde vermeiden könne, zweitens, wie er gute Werke zu verrichten vermöchte. Die beiden Augen sind deshalb ausgerissen, weil er nicht in Maßgabe des himmlischen Verlangens nach Herrlichkeit gute Werke verrichtet, noch aus Furcht vor der Strafe der Hölle die Sünden geflohen hat. Er hat auch Hundeohren. Denn wie ein Hund weder auf seines Herrn noch irgend eines anderen Namen so viel achtet, als auf seinen eigenen Namen, wenn er diesen rufen hört, so hat auch dieser sich nicht so sehr um die Ehre des Namens Gottes gekümmert, als um die Ehre seines eigenen Namens. Er 100 hat auch Nasenlöcher wie ein Pferd. Denn wie ein ungezäumtes Pferd an dem Gestanke seines ausgeworfenen Mistes Wohlgefallen hat, so denkt auch dieser mit Wohlbehagen an seine vollbrachten Sünden, welche vor Gott wie Mist erachtet werden. Er hat auch einen Rachen wie ein wilder Wolf, welcher, nachdem er Wanst und Rachen mit dem gefüllt, was er gesehen, auch noch anderes Lebendiges, was er sich regen hört, zu verschlingen trachtet. Also würde auch dieser, wenn er alles besäße, was er mit den Augen gesehen, noch dasjenige zu besitzen begehren, wovon er hört, daß andere es besitzen. Er hat auch Hände nach Art der Füße eines starken Stieres, welcher, wenn er zornig wird, das Tier, welches er überwältigt, in der Heftigkeit seines Zornes mit seinen Füßen zerreißt, ohne sich um Eingeweide oder Fleisch zu bekümmern, wenn er ihm nur das Leben nehmen kann. Auf ähnliche Art jener; denn wenn er im Zorne ist, kümmert es ihn nicht, ob seines Feindes Seele in die Hölle hinabsteigt, noch wie sein Leib tödlich gemartert wird, wenn er ihm nur das Leben nehmen könnte. Er hat auch Füße wie ein Geier; denn wie ein Geier seine Füße so stark auf die Beute setzt, welche er verschlingen will, bis seine Kräfte ermatten und seine Krallen die Beute müssen fallen lassen, - so will auch dieser alles, was er auf ungerechte Weise erworben hat, bis zum Tode behalten, während er, wenn alle Kräfte ihn verlassen, genötigt sein wird, es fahren zu lassen. Die Haare der Frau waren anzusehen wie Dornen. Unter den Haaren aber, ist, da dieselben sich oben auf dem Kopfe befinden, und das Antlitz des Menschen schmücken, der Wille verstanden, , welcher dem höchsten Gott vor allem zu gefallen begehrt; denn solch ein Wille schmückt die Seele vor Gott. Weil dieses Weibes Wille hauptsächlich dieser Welt, und zwar mehr als dem höchsten Gott, zu gefallen trachtet, so erscheinen ihre Haare wie Dornen. Die Augen aber zeigen sich am Hinterhaupte, weil sie ihres Herzens Augen von demjenigen abgewendet, was Gottes Güte für sie gethan, indem er sie erschuf, sie erlöste und in verschiedener Weise nützlich für sie sorgte. Auf dasjenige dagegen, was vergänglich ist, richtet sie gespannt ihre Aufmerksamkeit, obwohl es ihr täglich entweicht, bis es aus ihrem Anblicke gänzlich verschwindet. Die Ohren erscheinen geistlicherweise abgeschnitten, denn sie kümmert sich gar wenig, die Lehre 101 oder die Predigt des heiligen Evangeliums zu hören. Die Nasenlöcher dagegen sind voll stinkenden Eiters; denn gleichwie der Geruch durch die Nasenlöcher in das Gehirn steigt, um, wenn er süß ist, dasselbe zu stärken, - so sucht dieses Weib ihre Stärke in jenen sündhaften Neigungen zu den faulen Freuden der Welt, welche ihr ins Gehirn steigen. Ihre Lippen aber erscheinen wie Schlangenzähne, und an der Zunge befindet sich ein giftiger Stachel. Denn obgleich die Schlange die Zähne gar stark zusammendrückt, um den Stachel zu schützen, damit derselbe nicht etwa durch einen Zufall zerbrochen werde, so fließt doch zwischen den Zähnen, wo sie Lücken haben, der Geifer hervor. In ähnlicher Weise schließt diese ihre Lippen vor der wahren Beicht, damit der Sünde Lust nicht gebrochen werde, welche für ihre Seele der giftige Stachel ist; doch erscheint der Geifer ihrer Sünde deutlich vor Gott und seinen Heiligen." - "Du hast die Hände des eben gedachten Weibes wie Fuchsschwänze und ihre Füße wie Skorpionen gesehen. Dies ist darum, weil sie in allen Gliedern und Gebärden so ungeordnet war, daß sie durch ihrer Hände Leichtfertigkeit und den Gang der Füße fleischliche Begierden hervorrief und des Mannes Seele schwerer stach, als ein Skorpion. Habe ich Dir von dem Gerichte und von der Verwerfung dieses Ehepaares gesagt, das wider die Satzungen der Kirche eine Ehe eingegangen hatte, so will ich Dir jetzt näheren Bericht darüber geben. Und siehe! im nämlichen Augenblicke erschien der Mohr; er hielt in der Hand einen Dreizack, und hatte am einen Fuße drei überaus scharfe Krallen; derselbe rief und sprach: O Richter! meine Stunde ist bereits vorhanden. Ich habe gewartet und geschwiegen. Nun ist es Zeit, zu handeln. Und sofort erschien mir, während der Richter samt den zahllosen Heerscharen Platz genommen, der Mann und das Weib, welche nackt waren. Und der Richter sprach zu ihnen: Saget, obwohl ich alles weiß, was ihr gethan habt. Der Mann antwortete: Wir haben vom Bande gehört und gewußt, das die Kirche knüpft, desselben aber nicht geachtet, ja es sogar verachtet. Der Richter antwortete: Weil ihr dem Herrn nicht habt folgen wollen, so ist es Gerechtigkeit, daß ihr die Bosheit des Henkers empfindet. und alsbald schlug der Mohr in die Herzen beider eine Kralle, und drückte sie so fest, daß sie wie in eine Presse gebracht erschienen. 102 und der Richter sprach: Siehe, meine Tochter, solches verdienen diejenigen, welche sich von ihrem Schöpfer wissentlich um des Geschöpfes willen entfernen. Der Richter sprach dann zu den beiden: Ich habe euch einen Sack gegeben, um die Frucht meines Wohlgefallens zu sammeln; was bringt ihr mir nun? Das Weib antwortete: O Richter, wir haben gesucht des Bauches Lüste, aber nichts davongetragen, als Schande. Darauf sprach der Richter zum Henker: Gieb, was recht ist. Und sofort heftete dieser seine zweite Kralle in die Bäuche beider, und verwundete sie so mächtig, daß es schien, als wären alle Eingeweide durchbohrt. und der Richter sprach: Siehe, solches verdienen diejenigen, welche das Gesetz übertreten, und statt nach Arznei noch dem Gifte dürsten. Weiter sprach der Richter zu beiden: Wo ist mein Schatz, den ich euch gegen Zins geliehen habe? Beide antworteten: Wir haben denselben unter unsere Füße gelegt; denn wir haben den irdischen, aber nicht den ewigen Schatz gesucht. Darauf sprach der Richter zum Henker: Gieb, was Du weißt und schuldig bist. Derselbe schlug sofort seine dritte Kralle in ihre Herzen, Bäuche und Füße, so daß alles miteinander wie ein Knäuel erschien. Und der Mohr sprach: Herr, wohin soll ich mit ihnen gehen? Der Richter entgegnete: Es steht Dir nicht zu, hinaufzusteigen und Dich zu freuen. Nachdem dieses gesagt worden, verschwanden Mann und Frau seufzend augenblicklich vor dem Angesichte des Richters. Weiter sprach derselbe: Freue Dich, Tochter, daß Du von solchen getrennt bist."
Kapitel LIII.
Worte der Jungfrau zur Braut, wie sie bereit ist, alle Mütter, Witwen und Jungfrauen zu schützen, von welchen sie steht, daß sie im rechten Vorsatze verharren und ihren Sohn über alles lieben.
"Höre," sprach die Mutter Gottes, "die Du mit ganzem Herzen Gott bittest, dass Deine Kinder Gott gefallen mögen. Wahrlich, ein solches Gebet ist Gott angenehm. Denn es ist keine Mutter, welche meinen Sohn über alles liebt und um dieses für ihre Kinder bittet, der ich nicht sofort zu helfen bereit wäre, ihre Bitte zu erfüllen. Auch ist keine Witwe, welche Gott standhaft um Hilfe bittet, 103 bis an ihren Tod zu Gottes Ehre im Witwenstande zu verharren, deren Willen zu erfüllen ich nicht sogleich bereit wäre; denn auch ich bin wie eine Witwe gewesen, da ich einen Sohn auf Erden gehabt, der keinen fleischlichen Vater hatte. Es ist auch keine Jungfrau . welche ihre Jungfräulichkeit bis an ihren Tod Gott zu bewahren begehrt, welche zu schützen und zu stärken ich nicht bereit wäre; denn ich bin wahrhaft selber Jungfrau. Auch sollst Du Dich nicht wundern, weshalb ich solcherlei rede. Denn es steht geschrieben, David habe die Tochter Sauls begehrt, als sie noch Jungfrau war. Er bekam sie aber erst, nachdem sie eine Witwe geworden war. ⋅1⋅ Dazu auch hat er noch die Gemahlin des Urias gehabt, während ihr Gemahl noch lebte und er war deshalb nicht ohne Sünde. Die geistliche Lust meines Sohnes aber, welcher der Herr Davids ist, ist ohne alle Sünde. Wie also nun jenes dreifache Leben, nämlich der Jungfräulichkeit, des Witwenstandes und der Ehe, David leiblicherweise gefielen, so gefällt es meinem Sohne, dasselbe in seiner keuschesten Lust geistlicherweise zu haben. Deshalb ist es nicht wunderbar, daß ich helfe."
Kapitel LIV.
Worte der Mutter zur Tochter von der glücklichen, geistlichen Geburt eines gewissen Mannes, der in den übelsten Sünden erzogen war, und wie er diese Geburt durch die Bitten und Thränen der Diener Gottes erlangt hat.
Schaue den Sohn der Thränen, welcher jetzt neuerlich aus der Welt geistlicherweise geboren ist, und der zuvor von seiner Mutter fleischlicherweise hineingeboren. war in die Welt. Denn wie die Hebamme, welche ein Kind hervorholt aus seiner Mutter Leibe, zuerst den Kopf holt, dann die Hände und zuletzt den ganzen Leib, bis es auf die Erde fällt, so habe ich ihm gethan wegen der Bitten und Thränen meiner Freunde. Denn ich habe ihn aus der Welt insoweit gezogen, daß er jetzt geistlicherweise wie ein neugeborenes Kind ist. Deshalb muß er erzogen werden sowohl leibl- 104 licher-, als geistlicherweise. Derjenige, zu welchem ich Dich gesandt hatte, soll ihn mit seinem Gebete erziehen und mit seinen guten Werken und Ratschlägen behüten; die Frau aber, von welcher Dir gesagt worden, soll für ihn bitten und ihn geistlicherweise bewahren, indem sie auch acht darauf giebt, daß er leiblicherweise seine Nahrung habe, weil er so tief in Todsünden gefallen war, daß alle Teufel in der Hölle von ihm sagten: Lasset uns den Mund aufsperren, ob er vielleicht kommt, damit wir ihn mit unseren Zähnen quetschen und verschlingen. Auch die Hände lasset uns ausgestreckt halten, um ihn zu zerbrechen und zu zerreißen; auch die Füße lasset uns in Bereitschaft haben, um ihn zu zertreten und zu zerstampfen. Dir ist deshalb gesagt worden, daß er jetzt geistlicherweise geboren worden, weil er nun von der Macht der Teufel befreit worden, wie Du recht gut aus den Worten abnehmen kannst, welche Du vernommen, daß er Gott mit dem Herzen und Leibe über alles liebt.
Kapitel LV.
Worte der Mutter zur Tochter von einem Knaben, den sie lieben und mit geistlichen Waffen ausrüsten will.
Gedenke, wie von Moses geschrieben wird, daß des Königs Tochter ihn auf dem Wasser fand und ihn lieb gewann wie ihren eigenen Sohn. Es wird auch in den Geschichten der Schule geschrieben, wie der nämliche Moses das Land durch Vögel überwand, welche die vergifteten Schlangen verzehrten. Ich bin die Königstochter aus dem Stamme Davids, und will jenen Knaben lieb haben, den ich in den Sturmfluten der Thränen gefunden habe, die für das Heil seiner Seele vergossen sind, die eingeschlossen ist in der Arche seines Leibes. Diejenigen, von denen ich gesprochen, sollen ihn erziehen, bis er zu dem Alter gelangt sein wird, in welchem ich ihn bewaffnen und senden will, um das Land des Himmelskönigs zu überwältigen. Wie solches geschieht, ist Dir zwar unbekannt, mir aber bekannt. Denn ich werde ihn also ausrüsten, daß man von ihm sagen wird: Er hat gelebt wie ein Mann, ist gestorben wie ein Riese und zu Gericht gekommen wie ein guter Kriegsmann. 105
Zusatz.
Der Sohn Gottes sprach: "Wenn ein hungriges Tier von seiner Beute hinweggejagt worden, wartet es von weitem, bis es Zeit findet, zur Beute zurückzukehren, wo nicht, so geht es in seine Höhle. So habe ich dem Fürsten dieses Landes gethan. Ich habe ihn ermahnt durch meine Wohlthaten; ich habe ihn ermahnt mit Worten und Streichen, allein er ist um so undankbarer und vergeßlicher geworden, je sanfter ich mich gegen ihn gezeigt. Deshalb werde ich jetzt die Krone von ihm nehmen und ihn zu meinem Fußschemel setzen, weil er nicht treu zu seiner Krone stand. Auch werde ich über ihn und seine Schmeichler eine unbarmherzige Schlange, welche von einer Natter und einem listigen Fuchse geboren worden, senden, welche das Land und die Einwohner beunruhigen und die Einfältigen berupfen, welche auf die Gipfel des Landes hinaufsteigen und die Ruhmredigen hinabstürzen und niedertreten wird. Den Knaben aber, welchen meine Freunde ernährt haben, werde ich auf einem anderen Wege führen, bis er zu einer rühmlicheren Stätte gelangen wird."
Ferner sprach der Sohn Gottes: "Noch wird man von diesem Knaben sagen: Er hat gelebt wie ein Mann, gestritten wie ein tapferer Krieger; er wird gekrönt werden als ein Freund Gottes. O meine Tochter! was meinen die Weiber, welche sich rühmen, daß ihre Kinder dahingehen in Hoffart? Das ist kein Ruhm, sondern eine Schande, weil sie den König der Hoffart nachahmen. Aber das ist Ehre und der ein Kriegsmann des Ruhmes, welcher sich dessen rühmt, daß er die Ehre Gottes wirkt, soviel er kann, und nach Höherem trachtet. Auch ist er bereit, zu leiden, was Gott ihn leiden lassen will. Ein solcher ist ein Streiter Gottes und wird mit den Kriegsmännern des Himmels gekrönt werden." 106
Kapitel LVI.
Worte der Mutter zur Tochter von einem, der sich nicht um des Tadels willen betrüben soll.
Die Mutter sprach: "Weshalb ist jener in Unruhe? Der Vater schlägt ja bisweilen den Sohn mit weichen Halmen. Deshalb soll er sich nicht betrüben."
Kapitel LVII.
Worte der Mutter zur Tochter, wie Rom vom Unkraute, erstlich mit schwerem Eisen, zweitens mit Feuer, drittens durch ein Gespann Ochsen gereinigt werden soll.
Die Mutter sprach: "Rom ist wie ein Acker, auf welchem das Unkraut aufwuchs. Deshalb muß es zuerst gereinigt werden durch scharfes Eisen, sodann gereinigt durch Feuer, hernach umgepflügt durch ein Gespann Ochsen. Darum will ich mit euch thun wie jemand, welcher Pflanzen an einen anderen Ort versetzt. Jener Stadt bereitet sich eine solche Strafe vor, als ob der Richter spräche: Schinde die ganze Haut ab; ziehe alles Blut aus dem Fleische heraus; haue alles Fleisch in Stücken und zerbrich ihm die Knochen, so daß alles Mark hinausfließt."
Kapitel LVIII.
Worte Christi zur Braut unter einem Bilde, welche auseinandersetzen, wie Christus einen Herrn, welcher wallfahrtet, sein Leib einen Schatz, die Kirche ein Haus vorstellt, die Priester aber durch Hüter bedeutet werden, welche Priester er wie ein wahrer Herr mit siebenfacher Ehre geehrt hat. Wie Gott sich beklagt, daß die ungerechten Priester ihn durch siebenfache Unehre verunehren, und wie sie die sieben Kleider, nämlich die sieben Tugenden, welche sie haben sollten, in sieben Laster verwandeln.
Der Sohn sprach: "Ich bin wie ein Herr, welcher getreulich kämpfte im Lande seiner Pilgerfahrt, und mit Freuden heimkehrte 107 in das Land seiner Geburt. Dieser Herr besaß einen gar kostbaren Schatz, bei dessen Anblick triefende Augen verklärt, die Traurigen getröstet, die Kranken gesund und die Toten auferweckt wurden. Damit aber dieser Schatz ehrlich und sicher bewahrt werden möge, ward in Herrlichkeit und Ehren ein Haus erbaut und vollendet, das eine anständige Höhe hatte, nebst sieben Stufen, über welche man zum Hause und zum Schatze hinaufstieg. Diesen Schatz nun übergab der Herr seinen Dienern, um danach zu sehen, denselben zu verwenden und getreulich und unversehrt zu behüten, so daß sowohl die Liebe des Herrn zu seinen Dienern sich erweisen, als die Treue der Diener gegen ihren Herrn sichtbar werden möchte. Im Fortgange der Zeit begann der Schatz in Verachtung zu geraten. Selten war das Haus besucht, die Hüter wurden lässig und die Liebe zum Herrn ward gemindert. Als hierauf der Herr seine Freunde um Rat fragte, was bei einer solchen Undankbarkeit zu thun sei, antwortete einer von ihnen und sprach: Es steht geschrieben, daß der Befehl bestehe, es sollten nachlässige Richter und Hüter des Volkes an der Sonne aufgeknüpft werden; allein Dein ist die Barmherzigkeit und das Gericht; Du schonest aller, weil alles Dein ist und Du Dich aller erbarmst. - Ich bin im Abbild jener Herr; denn ich erschien in meiner Menschheit wie ein Pilger auf Erden, während ich doch im Himmel wie auf Erden kraft meiner Gottheit mächtig war. Auf Erden habe ich einen so mächtigen Kampf gehabt, daß alle Nerven meiner Hände und meiner Füße wegen meines Eifers um der Seelen Heil zerrissen wurden. Da ich dann die Welt verlassen und zum Himmel aufsteigen wollte, von welchem ich übrigens meiner Gottheit nach nie entfernt war, hinterließ ich der Welt ein köstliches Denkzeichen, nämlich meinen heiligsten Leib, so daß, wie das Alte Gesetz sich der Lade, des Manna, der Tafeln des Testamentes und anderer geheimen Gebräuche rühmte, also der neue Mensch sich des Neuen Gesetzes erfreuen möge, aber nicht wie ehemals des Schattens, sondern der Wahrheit, nämlich meines gekreuzigten Leibes, der im Alten Gesetz vorgebildet war. Damit aber mein Leib in Herrlichkeit und Ehre bleibe, habe ich das Haus der heiligen Kirche aufgerichtet, auf daß er darin bewahrt und berührt würde. Die Priester sind die besonderen Hüter desselben, welche gewissermaßen dem Amte nach über den Engeln 108
stehen, weil die Priester denjenigen, welchen selbst die Engel in ehrerbietiger Furcht sich zu berühren scheuen, mit Hand und Mund berühren. Ich habe auch die Priester durch eine siebenfache, gleichsam stufenweise Ehre geehrt. Erstlich sollen sie meine Fahnenträger und besonderen Freunde sein durch Reinheit der Seele und des Leibes; denn Reinheit ist die erste Stufe zu Gott, den nichts berührt, dem nichts gebührt, das unrein ist. Wenn auch den Priestern des Gesetzes zu der Zeit, wo sie nicht opferten, der Umgang mit ihren Weibern gestattet wurde, so war solches kein Wunder, weil sie nur die Schale, nicht den Kern trugen. Jetzt aber, da die Wahrheit gekommen, das Bild jedoch zurückgetreten ist, soll man sich der Reinigkeit aufs höchste befleißen, und zwar um so mehr, je süßer der Kern als die Schale ist. Und zum Zeichen einer solchen Enthaltsamkeit werden zunächst die Haare geschoren, auf daß die Lust weder im Geiste, noch im Fleische herrschen möge. Auf der zweiten Stufe sind die Geistlichen eingesetzt, daß sie durch alle Demut englische Männer seien, weil mittels der Demut des Geistes und Körpers der Himmel durchdrungen und der hoffärtige Teufel überwunden wird. Und zum Zeichen dieser Stufe werden die Geistlichen angestellt, um die Teufel auszutreiben, weil der demütige Mensch in den Himmel erhoben wird, aus welchem infolge seiner Überhebung der Teufel durch Hoffart herabstürzte. Auf die dritte Stufe werden die Geistlichen gestellt, damit sie durch beständiges Lesen der heiligen Schrift Jünger Gottes seien, denen auch deshalb von den Bischöfen, wie den Soldaten das Schwert, ein Buch in die Hand gegeben wird, auf daß sie wissen, was zu thun sei, und mit Gebet und Nachdenken sich bemühen, den Zorn Gottes für das Volk Gottes zu besänftigen. Auf die vierte Stufe werden die Geistlichen als die Hüter des Tempels und die Beschauer der Seelen hingestellt, auf daß sie besorgt sein mögen um das Heil der Brüder, und sie durch Wort und Vorbild fördern und die Schwachen zu größerer Vollkommenheit anregen. Auf die fünfte Stufe werden die Spender und Besorger des Altars und die Verächter der weltlichen Dinge gestellt, so daß, während sie dem Altar dienen, sie vom Altare leben, und durchaus nicht mit irdischen Dingen, ausgenommen soweit, als ihre Stufe es erfordert, sich beschäftigen. Auf die sechste Stufe werden sie gestellt, auf daß sie apostolische 109 Männer seien durch die Predigt der evangelischen Wahrheit, und sich in ihrem Wandel nach ihrer Predigt richten. Auf die siebente Stufe finden sie sich gestellt, weil sie mittels der Opferung meines Leibes Vermittler sein sollen zwischen Gott und dem Menschen. Auf dieser Stufe stehen die Priester gewissermaßen an Würde über den Engeln. Nun aber beklage ich mich, daß diese Stufen zerschlagen sind, weil die Hoffart vor der Demut geliebt wird; Unreinigkeit wird statt der Reinheit gepflegt; Vernachlässigung wird sichtbar an den Altären; die Weisheit Gottes wird für Thorheit erachtet; um das Heil der Seelen wird keine Sorge getragen. Aber das ist ihnen noch nicht genug, sondern sie werfen auch noch meine Kleider hinweg und verachten meine Waffen. Ich habe dem Moses auf dem Berge die Kleider gezeigt, deren sich die Priester des Gesetzes bedienen sollen; nicht, daß in Gottes himmlischer Wohnung etwas Leibliches sein sollte, sondern weil das Geistliche nicht anders, als durch körperliche Gleichnisse gefaßt werden kann. Deshalb habe ich das Geistliche durch das Leibliche gezeigt, damit man wissen möge, welche Ehrerbietung und Reinigkeit diejenigen nötig haben, welche die Wahrheit selber, d. h. meinen Leib besitzen, wenn diejenigen solche Reinheit und Ehrfurcht haben mußten, welche nur den Schatten und das Abbild besaßen. Weshalb aber habe ich dem Moses eine so große Schönheit in materiellen Gewändern gezeigt, als daß dadurch der Schmuck und die Schönheit der Seele erkannt und angedeutet würde? Denn wie der Priester sieben Gewänder hat, so muß die zum Leibe des Herrn herantretende Seele sieben Tugenden besitzen, ohne welche kein Heil ist. Das erste Gewand der Seele ist die Reue und die Beicht, dasselbe bedeckt das Haupt; das zweite ist die Neigung zu Gott und die Liebe zur Keuschheit; das dritte ist die Bemühung um die Ehre Gottes und die Geduld in Widerwärtigkeiten; das vierte besteht darin, daß man kein Augenmerk hat auf das Lob und die Schmähungen der Menschen, sondern allein auf die Ehre Gottes; das fünfte ist die Enthaltsamkeit des Fleisches bei wahrer Demut; das sechste ist die wiederholte Erwägung der Wohlthaten Gottes und die Furcht vor seinen Gerichten; das siebente ist die Liebe Gottes über alles, und das Verharren im Guten, das man angefangen.
Jetzt aber sind diese Gewänder verwandelt und verachtet; 110 denn man liebt statt der Beichte die Entschuldigung und Geringhaltung der Schuld, für die Keuschheit immerwährende Leichtfertigkeit, statt der Bemühung für das Heil der Seele die Arbeit zum Nutzen des Leibes, statt der Ehre und Liebe Gottes den Ehrgeiz der Welt und die Hoffart, statt einer löblichen Enthaltsamkeit Überfluß in allen Dingen, statt der Furcht Gottes die Vermessenheit und die Beurteilung der Gerichte Gottes, statt der Liebe Gottes über alles die Kälte und Undankbarkeit gegen alle seine Wohlthaten. Darum will ich, wie ich durch den Propheten gesagt habe, kommen im Zorne, und die Strafe wird ihnen Verstand geben." (Isaias XXVIII.)
Die Mutter der Barmherzigkeit war hierbei zugegen und antwortete: "Gebenedeit seist Du, mein Sohn, für Deine Gerechtigkeit. Ich rede zu Dir, obwohl Du alles weißt, um jener Braut willen, welche Deinem Willen zufolge Einsicht in geistliche Dinge haben soll, die aber doch das Geistliche nur durch Gleichnisse zu begreifen vermag. Fürwahr, Du hast in Deiner Gottheit, bevor Du die Menschheit von mir angenommen hattest, gesagt, daß, wenn zehn gerechte Männer in der Stadt Sodoma gefunden würden, Du Dich der ganzen Stadt um dieser zehn willen erbarmen wolltest. Nun aber sind noch unzählig viele Priester, welche Dich durch Opferung Deines Leibes besänftigen. Also erbarme Dich um ihrer willen derer, welche wenig Gutes haben; um dieses bitte ich, die ich Dich der Menschheit nach geboren habe, das bitten alle Deine Auserwählten mit mir." Der Sohn antwortete: "Gebenedeit seist Du, gebenedeit sei das Wort Deines Mundes! Du siehst, daß ich dreifältig verschone wegen eines dreifachen Gutes in der Darbringung meines Leibes. Wie durch die Vermessenheit des Judas dreierlei Gutes an mir offenbar geworden ist, also kommt durch Darbringung dieses Opfers ein dreifach Gutes in die Seelen. Erstlich wird meine Geduld gelobt, daß ich, obwohl ich wußte, Judas sei ein Verräter doch den Verkehr mit ihm nicht zurückgewiesen habe; zweitens, daß, als der Verräter mit den Seinigen dastand, alle auf ein einziges Wort von mir zu Boden fielen, wodurch meine Macht sich kund that; drittens, daß ich alle seine und des Teufels Bosheit zum Heile der Seelen umgewendet habe, wodurch die göttliche Weisheit und Liebe offenbar wurden. So geht auch aus der Opferung der Priester dreierlei Gutes hervor. Erstens wird vom ganzen himm- 111 lischen Heere meine Geduld gepriesen, weil ich der nämliche bin in den Händen des guten wie des bösen Priesters, und bei mir kein Ansehen der Person gilt, auch nicht die Verdienste der Menschen dieses Sakrament bewirken, sondern meine Worte; zweitens, weil diese Darbringung allen nützt, von welchem Priester immer sie dargebracht sein mag; drittens, weil sie auch den Opfernden selber, wie böse sie sein mögen, nützt; denn wie nach einem Worte: Ich bin's! das ich gesprochen, meine Feinde leiblich zu Boden stürzten, so weichen nach Aussprechung meines Wortes: Das ist mein Leib! die bösen Geister, und lassen ab, die Seelen der Darbringenden zu versuchen; auch würden sie nicht wagen, mit solcher Kühnheit zu denselben zurückzukehren, wenn die Lust, zu sündigen, nicht hernach wiederum folgte. Deshalb, wenn auch die Gerechtigkeit Rache verlangt, verschont doch meine Barmherzigkeit alle und duldet alle. Aber wenn ich auch täglich rufe, antworten nur wenige, wie Du täglich siehst. Gleichwohl will ich noch einmal senden die Worte meines Mundes; diejenigen, welche hören, werden ihre Tage in Freude erfüllen, welche vor Süßigkeit weder ausgesprochen, noch gedacht werden kann. . Denjenigen, welche sie nicht hören, werden, wie geschrieben steht (Apokal. XV.), sieben Plagen in die Seele und sieben in den Leib kommen; sie werden dieselben finden, wenn sie das betrachten und lesen, was geschehen ist, damit sie nicht erzittern, wenn sie es erfahren."
Kapitel LIX.
Worte Christi zur Braut, wie der Priester drei Dinge nötig hat: Erstens den Leib Christi konsekrieren; zweitens Reinheit des Fleisches und des Geistes; drittens Besorgung seiner Pfarrei. Er soll auch haben ein Buch und Öl; und wie der Priester ein Engel Gottes, ja, wie sein Amt größer ist, als eines Engels.
Der Sohn sprach: "Ein Priester hat drei Dinge nötig. Erstlich muß er den Leib Gottes konsekrieren; zweitens soll er Reinigkeit des Fleisches und der Seele haben; drittens hat er seine Pfarrei zu versehen. Du kannst aber fragen: Was hilft es, eine Kirche haben, wenn er keine Pfarrei hat? Ich antworte Dir: Ein Priester, 112 welcher den Willen hat, allen zu nützen, und um der Liebe Gottes willen zu predigen, hat eine so weite Pfarrei, als ob er die ganze Welt hätte, weil, wenn er mit der ganzen Welt reden könnte, er mit nichten seine Mühe sparen würde. Deshalb wird ihm der gute Wille angerechnet für die That. Denn Gott verschont wegen der. Undankbarkeit der Hörenden sehr häufig seine Auserwählten mit der Mühe, zu predigen; gleichwohl werden sie ihres guten Willens halber um ihren Lohn nicht betrogen. Ein Priester muß auch ein Buch und Öl haben; das Buch zur Unterweisung der Unvollkommenen; das heilige Öl, um die Kranken zu salben. Denn wie in dem Buche die leibliche und geistliche Lehre enthalten ist so soll im Priester ein weises Verhalten gegen sich selber sein, daß er sein Fleisch beherrsche, damit es nicht durch die Unmäßigkeit, woran die Pfarrkinder ein Ärgernis nehmen, zerstört werde, daß er die Begierlichkeit der Welt, wodurch die Würde der Kirche in Geringachtung kommt, fliehe, und daß er die Sitten der Weltleute, durch welche die geistliche Würde geschändet wird, vermeide. Die geistliche Wissenschaft aber ist, die Unweisen unterrichten, die Leichtfertigen strafen, die Fortschreitenden anregen. Durch das Öl aber werden die Süßigkeit des Gebetes und die guten Vorbilder bezeichnet. Denn wie das Öl fetter ist, als Brot, so sind das Gebet der Liebe und die Vorbilder eines guten Lebens wirksamer, die Menschen zu ziehen, und schmeidiger, Gott zu besänftigen. Wahrlich, ich sage Dir, Tochter, daß der Name des Priesters groß ist, weil er ein Engel des Herrn, ein Vermittler ist. Noch größer aber ist sein Amt, weil er den unbegreiflichen Gott berührt, und in seiner Hand das Himmlische sich erniedriget."
Kapitel LX.
Worte der Braut zu Gott von einer angenehmen Weise, seine Bitten vor Gott auszugießen.
"Gebenedeit seist Du, mein Schöpfer und Erlöser. Zürne nicht, wenn ich zu Dir rede wie ein Verwundeter zum Arzte, wie ein Betrübter zum Tröster, wie ein Armer zu einem, der reich ist und alles vollauf hat; denn der Verwundete spricht: O Arzt, habe keinen 113 Abscheu vor mir Verwundeten, weil du mein Bruder bist. Der Betrübte spricht: O gütigster Tröster, verachte mich nicht, weil ich in Ängsten bin, sondern gieb meinem Herzen Ruhe und meinen Gefühlen Trost. Der Arme aber sagt: O du Reicher, der du an nichts Mangel hast, blicke auf mich, weil ich gefährdet werde vom Hunger; siehe mich an, weil ich nackt bin, und gieb mir Kleider, mit denen ich mich wärmen kann. So sage auch ich: O Du allmächtigster und gütigster Herr, ich betrachte die Wunden meiner Sünden, welche ich seit meiner Jugend an erhalten habe, und seufze, daß die Zeit ungenützt verstrichen ist. Die Kräfte reichen nicht aus zur Arbeit, weil sie in Eitelkeiten erschöpft worden. Darum, und weil Du die Quelle aller Güte und Barmherzigkeit bist, bitte ich Dich, erbarme Dich meiner. Berühre mein Herz mit der Hand meiner Liebe, weil Du der beste Arzt bist; tröste meine Seele, weil Du ein guter Tröster bist."
Kapitel LXI.
Wie der Teufel bei der Erhebung des Leibes Christi der Braut erschien, mit ihr geredet und durch Gründe ihr darthun wollte, daß dasjenige, was aufgehoben wurde, nicht der Leib Christi sei. Es erschien ihr aber sogleich ein Engel des Herrn und tröstete sie. Wie Christus erschien und den Teufel gezwungen hat, vor der Tochter die Wahrheit zu sagen. Und daß der Leib Christi wie von den Guten, so auch von den Bösen empfangen wird; und von einem bequemen Mittel in Versuchungen gegen die leibliche Gegenwart Christi.
Es erschien während der Erhebung des Leibes Christi einer, der ganz schwarz war, und sprach: "Glaubst Du denn, o Närrin, daß dieses Stücklein Brot Gott ist? Er wäre bereits längst verzehrt, und wenn er auch der Berg der Berge gewesen wäre. Keiner unter den weisen Juden, denen von Gott die Weisheit gegeben worden, glaubt dieses. Es soll auch niemand glauben, daß Gott sich gefallen lassen werde, von einem ganz unreinen Priester, der ein hündisches Herz hat, sich berühren und lieben zu lassen. Du sollst auch bestätigen, was ich sage. Dieser Priester ist mein; ich kann denselben, wenn ich will, zu mir nehmen." Sofort erschien ein guter Engel und sprach: "Meine Tochter, antworte dem Thoren 114 nicht nach seiner Thorheit; denn er, der Dir erschien, ist der Vater der Lüge; halte Dich aber bereit, denn unser Bräutigam ist nahe." Dieser Bräutigam, Jesus, kam und sprach zum Teufel: "Weshalb beunruhigst du meine Tochter und Braut? Tochter nenne ich sie deshalb, weil ich sie erschaffen habe; Braut darum, weil ich sie erlöst und sie mir mittels meiner Liebe verbunden habe." Der Teufel antwortete: "Ich rede darum, weil es mir verstattet worden, und damit sie erkalte in Deinem Dienste." Und der Herr sprach: "Das hat sie in dieser Nacht erfahren, als du ihr die Augen und die übrigen Glieder gedrückt hast. Du hättest auch noch Größeres gethan, wäre es dir verstattet gewesen; so oft sie jedoch deinen Eingebungen widerstanden hat, so oft wird ihre Krone verdoppelt. Doch du, Teufel, weil du gesagt, ich würde längst aufgegessen sein, auch wenn ich ein Berg gewesen wäre, antworte mir vor den Ohren meiner Tochter, welche leiblich ist. Die Schrift erzählt, daß, als das Volk zu Grunde ging, eine eherne Schlange erhöht ward, durch deren Anblick jeder, welcher von den Schlangen verwundet war, geheilt ward. Ist nun diese heilende Kraft von der Stärke des Erzes, oder von dem Bilde der Schlange, oder von der Güte Mosis, oder von einer verborgenen göttlichen Kraft ausgegangen?" Der Teufel antwortete: "Diese heilende Kraft ist von nichts anderem, als von der eigentümlichen, alleinigen Kraft Gottes und dem Glauben des gehorsamen Volkes hervorgegangen, daß Gott, welcher alles aus Nichts hervorgebracht, auch alles machen könne, das zuvor nicht gewesen." Weiter sprach Gott: "Sage an, Teufel, ob der Stab auf Mosis Gebot oder auf den Befehl Gottes eine Schlange geworden ist? Ob, weil Moses heilig war, oder weil Gottes Wort also redete?" Ihm entgegnete der Teufel: "Was war Moses sonst, als ein aus sich schwacher Mann, aber gerecht aus Gott, auf dessen Wort, das Gott geheißen und hatte hervorgehen lassen, der Stab eine Schlange ward, indem Gott wahrhaft gebot und Moses als ein Diener gehorchte. Denn vor dem Geheiß und Worte Gottes war der Stab ein Stab, als Gott aber befahl, wurde der Stab wirklich eine Schlange, so daß selbst Moses sich fürchtete." Nun sprach der Herr zur Braut, die dieses sah: "Also ist es jetzt auch auf dem Altare; denn vor dem Sakramentsworte ist das auf den Altar gelegte Brot nur Brot, nachdem aber das Wort: Dies ist 115 mein Leib, gesprochen worden, wird es der Leib Christi, welchen Gute wie Böse nehmen und berühren, und zwar einer wie tausende mit gleicher Wahrheit, aber nicht mit gleicher Wirkung, der Gute zum Leben, der Böse aber sich zum Gerichte. Wenn aber der Teufel gesagt hat, Gott werde durch die Unreinigkeit des Priesters besudelt, so ist dieses fürwahr ganz unrichtig. Wenn ein aussätziger Diener seinem Herrn in einer Schüssel eine Speise, oder ein Kranker ein Gericht von starken Kräutern darreicht, so wird es dem Herrn nicht schaden, weil, wer immer der Darreichende ist, die Kraft dieselbe bleibt und ebenso wird auch Gott durch die Bosheit eines schlechten Dieners nicht schlecht, noch durch einen guten besser, weil er immer unveränderlich und stets derselbe bleibt. Wenn aber der Teufel von diesem Priester gesagt hat, er werde gar bald sterben, so weiß er solches vermöge der seinen Beschaffenheit seines Wesens und aus äußerlichen Ursachen hinwegnehmen aber wird er ihn nicht können, außer wenn ich es gestatte. Doch ist dieser Priester sein eigen, wofern derselbe sich nicht bessert, und zwar aus drei Ursachen. Darum eben hat der Teufel gesagt, er habe stinkende Glieder und ein Hundeherz, indem er wahrhaft stinkt und fiebert, von außen warm, von innen kalt ist, unerträglichen Durst, Schlaffheit der Glieder, Ekel vor Brot und Abscheu vor aller Süßigkeit hat. Er ist warm für die Welt und frostig gegen Gott; er dürstet nach Fleischeslust und hat einen Ekel vor der Schönheit der Tugenden; er findet keinen Geschmack an den Geboten Gottes, und glüht für alles, was des Fleisches ist. Man darf sich deshalb nicht wundern, wenn ihm mein Leib nicht anders schmeckt, als in einem Backofen gebackenes Brot; denn er denkt an kein geistliches Werk und es schmeckt ihm auch dasselbe nicht, sondern nur das fleischliche. Wenn daher das Agnus gesprochen und mein Leib in seinen Leib genommen worden, so weicht von ihm des Vaters Macht und des Sohnes süßeste Gegenwart und mit den heiligen Gewändern entweicht des heiligen Geistes Güte von ihm, welcher da ist das Band der Vereinigung, und nur die Gestalt und das Gedächtnis des Brotes bleibt ihm. Wenn aber der Teufel sagt, keiner unter den weisen Juden wolle dies glauben, so antworte ich: Es geht den Juden gleich denjenigen, welche das rechte Auge verloren haben, deshalb hinken sie auf beiden geistlichen Füßen; darum eben sind 116 sie thöricht und werden es bis an ihr Ende bleiben. Es ist also kein Wunder, daß der Teufel ihre Herzen blendet und verhärtet, und ihnen zu dem rät, was schamlos und wider den Glauben ist. So oft daher irgend ein solcher Gedanke in Bezug auf den Leib Christi in Dein Herz kommt, bringe denselben vor Deine geistlichen Freunde und bleibe im Glauben standhaft, weil Du für gewiß weißt, daß dieser Leib, den ich vom Fleische der Jungfrau angenommen, welcher gekreuzigt worden und im Himmel regiert, derselbe auf dem Altare ist, und diesen Böse wie Gute empfangen. Wie ich mich meinen Jüngern, welche nach Emmaus gingen, in einer fremden Gestalt zeigte, während ich doch wahrer Mensch und Gott war und zu den Jüngern bei verschlossenen Thüren eintrat, also zeige ich mich auch den Priestern in fremder Gestalt, damit der Glaube ein Verdienst habe und die Undankbarkeit der Menschen offenbar werde. Es ist auch kein Wunder. Denn ich bin jetzt noch eben derselbe, der die Macht meiner Gottheit durch schreckliche Zeichen dargethan hat, und doch sprechen die Menschen noch: Lasset uns Götter machen, welche uns vorangehen. (Exodus XXXII.) Ich habe auch den Juden meine wahre Niedrigkeit gezeigt, und sie haben dieselbe gekreuzigt. Ich, eben derselbe, bin täglich auf dem Altare, aber man spricht: Wir haben Ekel und Widerwillen gegen diese Speise. Was für eine größere Undankbarkeit kann es nun aber geben, als wenn man durch die Vernunft Gott begreifen und seine verborgenen Ratschlüsse und Geheimnisse, die er in seiner Hand hat, zu richten wagen will? Deshalb will ich den Ungelehrten und Demütigen mittels unsichtbarer Wirkung und in sichtbarer Gestalt zeigen, was die sichtbare Gestalt ohne die Substanz und was die Substanz in der Gestalt sei und weshalb ich solche Niedrigkeit und Ungestalt an meinem Leibe leide, damit sowohl die Demütigen erhöht, als die Hoffärtigen zu Schanden werden." 117
Kapitel LXII.
Strafende Worte des Herrn zu einem Priester, der einen begrub, welcher in Geduld im Beisein der Braut gestorben war. Wie Christus mit sieben leiblichen und sieben geistlichen Plagen zu den ungerechten Priestern kommen wird, und wie jener wegen seiner Geduld alle Herrlichkeit erlangt hat.
Als ein Priester einen Toten begrub, welcher drei und ein halbes Jahr bettlägerig gewesen war, vernahm die Braut, wie der Geist sprach: "Freund, was thust Du, was unterstehst Du Dich, den Toten zu berühren, da Deine Hände blutig sind? Weshalb rufst Du für ihn zu dem Allmächtigen, da Deine Stimme wie die der Frösche ist? Was unterstehst Du Dich, für ihn den Richter versöhnen zu wollen, da Deine Gebärden und Sitten mehr eines Gauklers, als eines frommen Priesters zu sein scheinen? Deshalb wird die Kraft meiner Worte, nicht aber Dein Werk dem Toten förderlich sein, und sein Glaube und seine lange Geduld werden ihn hinführen zur Krone." Ferner sprach der Geist zur Braut: "Blutig sind die Hände dieses Priesters, weil alle seine Werke fleischlich sind; er vermag mit denselben den Toten nicht anzugreifen; denn er wird ihm nicht helfen können durch seine Verdienste, sondern durch die Würde des Sakramentes. Die guten Priester nützen den Seelen auf eine doppelte Weise; einmal durch die Kraft des Leibes des Herrn, sodann durch die eigene Liebe, in welcher sie brennen. Seine Stimme ist wie die der Frösche; denn sie ist gänzlich irdischen Werken und der Wollust des Fleisches gewidmet; deshalb steigt sie nicht auf zu Gott, welcher durch die Stimme einer demütigen Beicht und Reue besänftigt werden will. Auch sind seine Sitten wie die eines Gauklers; denn was thut ein Gaukler anderes, als daß er sich nach den Sitten der Weltleute richtet? Was anderes aber singt er, als: Lasset uns essen und trinken und in diesem Leben der Lust genießen? Ebenso macht es dieser; denn er richtet sich in Kleidung und Benehmen nach allen, um allen zu gefallen, und reizt alle durch sein Beispiel und seine Ausschweifung zur Verschwendung an, indem er spricht: Lasset uns essen und trinken, denn daran hat der Herr Freude; 118 es soll uns genügen, an die Pforte der Herrlichkeit zu gelangen, und obwohl er mir den Eingang verwehrt, bin ich zufrieden, daß ich neben der Pforte sitze, ich will nicht vollkommen sein. Das ist eine gefährliche Sprache und ein strafbares Leben, weil niemand an die Pforte der Herrlichkeit gelangen wird, als wer vollkommen ist oder vollkommen gereinigt worden, und niemand wird die Vollkommenheit erlangen, wenn er nicht vollkommen danach verlangt oder nicht vollkommen sich darum bemüht, wenn er kann. Gleichwohl gehe ich, der Herr aller Dinge, zu diesem Priester ein, werde aber nicht eingeschlossen, noch befleckt. Ich gehe ein wie ein Bräutigam, und gehe aus als ein Richter, der da richten wird, wenn der Empfangende ihn verachtet. Darum werde ich, wie ich gesagt habe, die Priester mit sieben Plagen heimsuchen. Sie werden alles dessen beraubt werden, das sie geliebt haben; sie werden verstoßen werden vom Angesichte Gottes, verurteilt in seinem Zorne; sie werden den Teufeln überliefert werden und leiden ohne Ruhe, von allen verachtet sein, an allem Guten Mangel und an allem Bösen Überfluß haben. Ähnlicherweise werden sie auch mit anderen sieben leiblichen Plagen heimgesucht werden wie die Kinder Israel. Darum sollst Du Dich nicht wundern, wenn ich die Bösen dulde, oder wenn an meinem Sakramente sich etwas Unwürdiges zeigt; denn ich leide bis ans Ende, um meine Geduld und die Undankbarkeit der Menschen an den Tag zu bringen." Überdies sprach der Geist zur Seele des Toten: "O Seele, freue dich und juble; denn dein Glauben hat dich losgemacht vom Teufel; deine Einfalt wird dir den langen Weg des Fegfeuers verkürzen; deine Geduld hat dich hingeführt an die Pforte der Herrlichkeit; meine Barmherzigkeit wird dich hineinführen und dich krönen." 119
Kapitel LXIII.
Wie der Teufel der Braut erschienen und dieselbe durch scheinbare Gründe im Sakramente des Leibes Christi hat betrügen wollen, wie aber Christus der Braut zur Hilfe kam und den Teufel nötigte, die Wahrheit vor der Braut zu sagen. Von der Gleichförmigkeit mit einer sehr nützlichen Unterweisung Christi an die Braut über seinen verherrlichten Leib im Sakramente.
Weiter erschien der Braut ein böser Geist mit einem langen Bauche und sprach: "Was glaubst Du, Weib, und was Großes denkst Du? Ich weiß auch viel und will mit klaren Gründen Dir meine Worte beweisen; ich rate Dir aber, abzulassen davon, Unglaubliches zu denken, glaube vielmehr Deinen Sinnen. Siehst Du nicht mit den Augen, hörst Du nicht mit den Ohren Deines Fleisches das Brechen der Hostie aus materiellem Brote? Hast Du nicht gesehen, wie es zerbrochen, berührt und unehrbar auf die Erde geworfen und so manches damit gethan wird, was ich an mir, nicht dulden würde? Wenn es nun aber auch möglich sein möchte, daß Gott im Munde des Gerechten sich befände, wie wird derselbe hinabsteigen zu den Ungerechten, deren Geiz bodenlos und maßlos ist?" Nun erschien die Menschheit Christi der Braut und diese sprach zu ihr: "O Herr Jesu Christe, ich danke Dir für alles, namentlich aber für drei Gnaden. Erstens, daß Du meine Seele kleidest, indem Du ihr Buße und Reue einflößest, wodurch alle Sünde, wie schwer sie auch sein möge, abgewaschen wird; zweitens speisest Du die Seele, indem Du ihr Deine Liebe und das Gedächtnis Deines Leidens eingießest, wodurch die Seele wie mit der besten Speise erquickt wird; drittens tröstest Du alle, welche Dich in der Trübsal anrufen. Darum, Herr, erbarme Dich meiner und hilf meinem Glauben; denn, obwohl ich verdiene, den Verspottungen des Teufels hingegeben zu werden, so glaube ich doch, daß er ohne Deine Zulassung nichts vermag, und auch Deine Zulassung ist nicht ohne Trost." Hierauf sprach Christus zum Teufel: "Weshalb redest du mit meiner neuen Braut?" Der Teufel antwortete ihm: "Weil sie mir verbunden war, und ich hoffe, sie noch in mein Netz zu verwickeln; sie aber war mir verbunden, da sie mehr mir und 120 meinen Ratschlägen zu gefallen sich befliß, als Dir, ihrem Schöpfer. Ich habe ihre Wege bewacht, und dieselben waren meinem Gedächtnisse noch nicht entfallen." Der Herr antwortete: "So bist du denn ein Gewinnsucher und Späher aller Wege?" Ihm entgegnete der Teufel: "Ein Späher bin ich fürwahr, aber im Finstern, weil Du mich finster gemacht hast." Und der Herr sprach: "Wann hast du denn gesehen, und wie bist du finster geworden?" "Ich bin," sprach der Teufel, "sehend gewesen, als Du mich geschaffen hattest in höchster Schönheit; weil ich aber vermessen hineinstürzte in Deinen Glanz, bin ich von ihm wie ein Basilisk verblendet worden. Ich habe Dich gesehen, als mich nach Deiner Schönheit gelüstete; ich habe Dich gesehen in meinem Gewissen und erkannt, als Du mich heruntergestürzt hattest; ich habe Dich auch in dem angenommenen Fleische erkannt, und gethan, was Du mir gestattet hast; ich habe Dich erkannt, als Du durch Deine Auferstehung mich Deiner Gefangenen beraubtest. Ich erkenne täglich Deine Macht, mittels der Du meiner spottest und mich zu Schanden machst." Und der Herr sprach: Wenn du mich kennst und von mir die Wahrheit weißt, warum lügst du dann meinen Auserwählten, da du doch die Wahrheit von mir weißt? Habe ich nicht gesagt, daß, wer mein Fleisch ißt, in Ewigkeit leben wird? Du aber sagst, es sei eine Lüge, und niemand esse mein Fleisch. Also ist mein Volk ein größerer Götzendiener, als der, welcher Steine und Götzen anbetet. Wenn ich nun freilich auch alles weiß, so antworte mir doch, so daß es jene, die hier steht, hört, da sie das Geistliche nur durch Gleichnisse zu verstehen vermag. Als Thomas mich nach meiner Auferstehung betastete, war da der Leib, den er berührte, ein geistlicher, oder ein leiblicher? und wenn ein leiblicher, wie ging er dann ein durch die verschlossenen Thüren? Wenn aber ein geistlicher, wie war er den leiblichen Augen sichtbar?" Der Teufel antwortete: "Schwer ist es, allhier zu reden, wo der Redende allen verdächtig ist, und wider Willen die Wahrheit zu sagen genötigt wird. Doch will ich, gezwungen, sagen, daß Du in der Aufestehung sowohl geistlich wie leiblich warst, und darum gehst Du wegen der ewigen Kraft der Gottheit und des geistlichen Vorzugs des verherrlichten Fleisches überall ein und kannst überall sein." Gott sprach ferner: "Als der Stab Mosis in eine Schlange ver- 121 wandelt ward, sage mir, war er da nur das Bild einer Schlange, oder ward er durch und durch, außen wie innen, eine Schlange, und sage, ob jene Brotkörbe oder Brotstücke ganz wahres Brot waren, oder nur Bild von Brot?" Der Teufel erwiderte: "Der Stab war ganz Schlange, das in den Körben ganz Brot, und alles ist durch Deine Kraft und Deine Macht geschehen." Und der Herr sprach: "Soll es mir jetzt etwa schwerer werden, als damals, ein ähnliches oder ein noch größeres Wunder zu wirken, wenn es mir gefällt? Oder wenn das Fleisch, seitdem dasselbe verherrlicht worden, durch die verschlossenen Thüren hineingelangen konnte zu den Aposteln, weshalb soll es jetzt nicht in den Händen der Priester zu sein vermögen? Oder ist es etwa für meine Gottheit beschwerlich, das Niederste mit dem Höchsten, das Himmlische mit dem Irdischen zu verbinden? Mit nichten! Aber du bist wahrlich ein Vater der Lügen; wie deine Bosheit überaus groß ist, so ist es auch meine Liebe, und sie wird über allen sein. Wenn es nun auch einem scheinen möchte, er sähe jenes Sakrament verbrennen, dem anderen, es werde unter die Füße getreten, so weiß ich allein doch den Glauben Aller und ordne alles in Maß und Geduld, der ich aus Nichts Etwas und aus dem Unsichtbaren das Sichtbare mache, der ich mit der Gestalt etwas Sichtbares zeige, was aber wahrhaft etwas anderes ist, als es scheint." Der Teufel antwortete: "Daß dieses wahr ist, erfahre ich alle Tage, wenn die Menschen, meine Freunde, sich von mir entfernen und Deine Freunde werden. Aber was soll ich weiter sagen? Ein Sklave, der sich selber überlassen ist, zeigt durch seinen Willen genugsam, was er in der That ausführen möchte, wenn es ihm gestattet wÜrde." - Darauf entgegnete der Sohn Gottes: "Glaube mir, meine Tochter, daß ich, Christus, ein Wiederbringer des Lebens und kein Verräter bin, wahrhaft und die Wahrheit selber, aber kein Lügner, und die ewige Macht, ohne welche nichts war und nichts sein wird. Denn wenn Du den Glauben hättest, daß ich in des Priesters Händen bin, so bin ich, auch wenn der Priester zweifelte, dennoch wegen des Glaubens der Gläubigen und Anwesenden, und wegen des Wortes, das ich selber persönlich eingesetzt und gesprochen habe, wahrhaftig in seinen Händen. Jeder, der mich empfängt, empfängt meine Gottheit und meine Menschheit und die Gestalt des Brotes. Was ist Gott, als 122 Leben und Süßigkeit, erleuchtendes Licht, erfreuende Güte, eine richtende Gerechtigkeit und eine errettende Barmherzigkeit? Und was ist meine Menschheit, als das subtilste Fleisch, eine Verbindung zwischen Gott und Mensch, das Haupt aller Christen? Also empfängt jeglicher, welcher an Gott glaubt und meinen Leib empfängt, selber die Gottheit, weil er das Leben empfängt; er empfängt auch die Menschheit, mittels deren Gott und Mensch verbunden werden; er empfängt auch die Gestalt des Brotes, weil derjenige in einer fremden Gestalt genommen wird, welcher unter der Gestalt zur Vermehrung des Glaubens verborgen ist. Ähnlicherweise empfängt auch der Böse die nämliche Gottheit, aber nicht die milde, sondern die strafende; er empfängt auch die Menschheit, aber sie ist ihm minder gnädig; er nimmt auch die Gestalt des Brotes, weil er unter der sichtbaren Gestalt die verborgene Wahrheit empfängt, ohne daß ihm aber die Süßigkeit süß wird. Denn wenn er mich seinem Munde und seinen Zähnen nähert, so entweiche ich nach dem Empfange des Sakraments mit der Gottheit und Menschheit, und es bleibt ihm nur die Gestalt des Brotes. Nicht, daß ich nicht wahrhaft dort wäre bei den Bösen sowohl wie bei den Guten um der Einsetzung des Sakramentes willen, sondern weil Gute und Böse nicht gleiche Wirkung empfangen. Endlich wird in der Hostie dem Menschen das Leben dargereicht, nämlich Gott selber, und das Leben geht in ihn ein, bleibt aber bei den Bösen nicht, weil sie vom Bösen nicht lassen, und deshalb bleibt ihren Sinnen allein die Gestalt des Brotes, welche in ihnen ohne Wirkung ist, weil sie beim Empfange nicht anders denken, als sähen sie und nähmen sie nur die Gestalt des Brotes und Weines wahr, wie wenn ein mächtiger Herr zu einem Menschen einginge in sein Haus, dessen Person zwar gesehen, dessen Güte aber nicht empfunden wird." 123
Kapitel LXIV.
Worte der Mutter zur Tochter, wie ihr Sohn einem armen Bauern verglichen wird, und wie die Guten und Bösen Trübsale und Verfolgung treffen, die Guten zur Reinigung und Krönung, die Bösen zur Verdammnis.
Die Mutter sprach: Mein Sohn ist wie ein armer Bauer, welcher, da er keinen Stier und keinen Esel besaß, in Person das Holz aus dem Walde herbeischleppte, um andere Werkzeuge, die er zu seinen Arbeiten nötig hatte, zu vollenden. Unter anderen Werkzeugen trug er auch kleine Ruten, welche nötig sind, um einen ungehorsamen Sohn zu züchtigen und die Kalten zu erwärmen. So ist auch mein Sohn, der Herr und Schöpfer aller Dinge, ganz arm geworden, um alle mit ewigem, nicht mit vergänglichem Reichtume zu bereichern; er trug auf seinem Rücken die schwere Last, nämlich das bittere Kreuz, und reinigte und tilgte mit seinem Blute die Sünden aller. Während seines übrigen Wirkens erwählte er sich Werkzeuge der Tugenden, d. h. tugendhafte Männer, welche unter Mitwirkung des Geistes Gottes vieler Herzen zur Liebe Gottes entzünden und den Weg der Wahrheit offenbaren. Er wählte sich auch Ruten aus, die da sind die Liebhaber der Welt, durch welche die Kinder und Freunde Gottes gezüchtigt werden, um dieselben zu erziehen, zu reinigen zu deren größeren Sicherheit und Belohnung. Die Ruten machen die kalten Kinder warm, und wenn sie feurig geworden sind für Gott, erwärmt sich auch das Herz Gottes für sie. Aber wie? Ohne Zweifel, wenn die Weltleute den Freunden Gottes und denjenigen, welche nur aus Furcht vor der Strafe Gott lieben, Trübsale bereiten. Diese wenden sich dann desto eifriger zu Gott, nachdem sie die Eitelkeit der Welt betrachtet haben, und Gott hat Barmherzigkeit bei ihrer Trübsal und sendet ihnen Trost und Liebe. Aber was wird dann aus den Ruten, wenn die Kinder damit gestrichen sind? Gewiß, sie werden ins Feuer geworfen und verbrannt werden; denn Gott verachtet sein Volk nicht, wenn er es den Händen der Gottlosen überläßt, sondern wie ein Vater den Sohn erzieht, also bedient sich Gott der Bosheit der Gottlosen zur Krönung der Seinigen" 124
Kapitel LXV.
Mahnende Worte zur Braut, welche durch ein Beispiel darthun, wie die Freunde Gottes der Arbeit der Predigt nicht überdrüssig werden, noch von derselben ablassen sollen, und vom großen Lohne solcher.
Die Mutter sprach: "Du sollst sein wie ein leeres Gefäß, das geeignet ist, gefüllt zu werden, das nicht zu weit ist für seine Füllung, aber auch nicht so tief, daß es keinen Boden habe. Dieses Gefäß nun ist Dein Leib, welcher alsdann leer ist, wenn er frei ist von wollüstigen Begierden. Er ist nicht zu weit, wenn das Fleisch bescheiden kasteit wird, so daß die Seele geschickt sei, das Geistliche zu verstehen, und der Leib stark, um zu arbeiten. Ohne Boden aber ist das Gefäß alsdann, wenn das Fleisch durch keinerlei Abstinenz im Zaume gehalten wird, und wenn dem Leibe nichts versagt wird, was der Geist begehrt. Aber nun höre, was ich sage. Mein Diener hatte ein leichtfertiges Wort ausgestoßen, indem er sagte: Was soll ich von demjenigen reden, was meinen Stand nicht berührt? Ein solches Wort ziemt einem Diener Gottes nicht; denn ein jeglicher, welcher die Wahrheit hört und weiß und verschweigt dieselbe, der versündigt sich und verdient alle Verachtung. - Es war nun einmal ein Herr, der besaß ein festes Schloß, in welchem er einen vierfachen Schatz hinterlegt hatte, nämlich: eine unverwesliche Speise, welche allen Hunger stillt; ein heilsames Wasser, das allen Durst löscht; einen wohlduftenden Geruch, der alles Giftige vertreibt, und notwendige Waffen, welche jeden Feind schwächen. Während nun der Herr anderswo beschäftigt war, ward das Schloß belagert und als er dieses vernahm, sprach er zu seinem Diener, dem Herolde: Gehe und rufe mit lauter Stimme meine Kriegsleute und sage ihnen meine Worte: Ich, der Herr, will meinem Schlosse Entsatz bringen; wer immer mir folgt mit gutem Willen, der wird mit mir in der Herrlichkeit und mir an Ehre ähnlich sein; wer aber im Kampfe fällt, den will ich zu einem Leben erwecken, worin es keinen Mangel und keine Angst giebt, und ich werde ihm immerwährende Ehre und nie mangelnden Reichtum geben. Als der Diener also den 125 Befehl empfangen, rief er; allein er war im Rufen nicht eifrig genug, so daß der Ruf nicht an den tapfersten der Kriegsleute gelangte und derselbe am Kampfe sich nicht beteiligen konnte. Was wird nun der Herr mit dem Kriegsmanne thun, welcher wohl gern kämpfen wollte, aber des Herolds Stimme nicht vernahm? Ohne Zweifel wird er ihn belohnen nach seinem Willen, aber der faule Herold wird nicht straflos bleiben. Dieses Schloß nun stellt die heilige, durch das Blut meines Sohnes gegründete Kirche dar, in welcher sein Leib, der allen Hunger stillt, das Wasser der evangelischen Weisheit, der Geruch der Vorbilder seiner Heiligen und die Waffen seines Leidens sich befinden. Es ist aber jetzt von Feinden belagert, weil in der heiligen Kirche sich viele finden, welche mit der Stimme meinen Sohn predigen, in ihren Sitten aber nicht mit ihm übereinstimmen. Ja, wenn sie auch mit dem Worte dem Herrn zusagen, so widersprechen sie doch mit dem Willen und kümmern sich nicht um ihr himmlisches Vaterland, wenn sie nur ihre Sinnlichkeit befriedigen können. Damit also die Feinde Gottes sich mindern, sollen die Freunde Gottes nicht lässig werden, weil die Vergeltung nicht eine zeitliche, sondern eine solche ist, welche kein Ende weiß."
Kapitel LXVI.
Worte der Mutter zur Tochter, wie die zeitlichen Güter, wenn man dieselben mit Bescheidenheit besitzt, nicht schaden, wenn nicht die Begierde zu deren Besitze eine ungeordnete ist.
Die Mutter sprach: "Was schadet es, wenn jemand mit einer Nadel oder einem Degen in den Mantel gestochen wird, wofern nur das Fleisch nicht verletzt wird? Also schaden auch die zeitlichen Güter nicht, wenn man dieselben bescheiden besitzt und die Neigung zum Besitze nicht eine ungeordnete ist. Gieb darum acht auf Dein Herz, auf daß Deine Absicht eine gute sei, weil durch Dich die Worte Gottes unter anderen ausgegossen werden sollen. Denn wie das Schutzbrett an einem Mühlengraben das Wasser aufhält und wieder laufen läßt, so oft es gut ist, so mußt Du, wenn mannigfache Gedanken und Versuchungen auf Dich einströmen, 126 sorgfältig acht geben, daß das, was eitel und weltlich ist, hingegeben werde. Was aber göttlich ist, soll fortwährend im Gedächtnisse behalten werden, wie geschrieben steht (Jos. III.), daß die unteren Wasser abliefen, die oberen aber standen wie eine Mauer. Die unteren Wasser sind die Gedanken des Fleisches und unnützen Begierden, welche ablaufen und nicht beachtet werden müssen; die oberen Wasser aber sind die Eingebungen Gottes und die Worte der Heiligen; diese sollen stehen bleiben im Herzen wie eine Mauer, so daß sie durch keine Versuchungen aus dem Herzen weggerissen werden können."
Kapitel LXVII.
Worte Christi zur Braut, welche seine Herrlichkeit darlegen, und wie alles nach seiner Ordnung bleibt mit Ausnahme der elenden Seele des Sünders, und wie der Wille in den Werken gehütet werden soll.
Der Sohn sprach zur Braut: "Ich bin mit dem Vater und dem heiligen Geiste Ein Gott. In der Vorsehung meiner Gottheit ist alles vom Anfange an und vor aller Zeit vorhergesehen und festgestellt worden. Alles, Leibliches wie Geistliches, folgt einer gewissen Fügung und Ordnung, und alles steht oder läuft dem gemäß, was in meinem Vorwissen geordnet und vorgewußt ist. Das kannst Du aus drei Beispielen sehen. Erstlich an dem Leben, das vom Weibe kommt und nicht vom Manne; zweitens an den Bäumen, denn Süßes trägt süße Frucht und Bitteres seine Frucht; drittens an den Gestirnen, denn Sonne, Mond und alle Himmelskörper verrichten ihren Lauf demgemäß, was in meiner Gottheit vorbestimmt ist; so sind auch die vernünftigen Seelen in meiner Gottheit vorgewußt und vorher erkannt, wie sie werden sollen; mein Vorherwissen war für sie aber in keiner Art hinderlich und ist es auch noch nicht; denn ich habe ihnen die freie Regung des Willens gegeben, d. h. die freie Willkür und Macht, zu wählen, was sie gelüstet. Wie nun die Frau gebärt, aber nicht der Mann, so muß auch die Seele, als Gott vermählt, mit der Hilfe Gottes gebären, weil die Seele dazu erschaffen worden, daß sie in den Tugenden zunehme und fruchtbar wachse durch den Samen der Tugenden 127 und komme in die Arme der göttlichen Liebe. Die Seele aber, welche abartet von ihrem Ursprunge und ihrem Schöpfer, und demselben keine Frucht bringt, handelt wider die Anordnung Gottes, und ist deshalb der Süßigkeit Gottes unwürdig. Zweitens zeigt sich die unwandelbare Anordnung Gottes an den Bäumen; denn süße Bäume tragen Süßes, und im Gegenteil diejenigen, welche bitter sind, Bitteres; in der Dattel ist beides: Süßigkeit und ein bitterer Kern. Ebenso ist von Ewigkeit her vorhergesehen, daß, wo der heilige Geist Einwohner ist, alle weltliche Lust verächtlich, alle weltliche Ehre lästig ist. In solchem Herzen sind auch die Stärke des Geistes Gottes und seine Festigkeit so groß, daß es durch keine Ungeduld gebrochen, durch keine Widerwärtigkeit niedergeworfen, durch kein Glück über sich erhoben wird. So ist auch von Ewigkeit her vorgesehen, daß, wo des Teufels Dorn ist, äußerlich die Frucht rot, inwendig aber Fülle der Unreinigkeit und Stacheln ist. Auch in der Freude des Teufels ist eine augenblickliche und scheinbare Süßigkeit; allein sie ist mit Dornen und Trübsalen gefüllt und je mehr sich jemand hineinflicht in die Welt, mit einer desto schwereren Last der Verantwortung beladet er sich. Wie daher jeglicher Baum solche Frucht hervorbringt, wie der Stamm und die Wurzel sind, so wird ein jeglicher Mensch nach der Absicht seines Thuns gerichtet. Drittens, alle Elemente bleiben in ihrer Ordnung und Bewegung, wie es von Ewigkeit her vorgesehen worden, und bewegen sich nach dem Willen des Schöpfers. So soll denn auch jedes vernünftige Geschöpf bereit sein, sich nach der Einrichtung des Schöpfers zu bewegen. Wenn es aber das Gegenteil thut, so ist klar, daß es seinen freien Willen mißbraucht, und während die unvernünftigen Geschöpfe ihre Schranken innehalten, artet der vernünftige Mensch aus und zieht sich ein schweres Gericht zu, weil er die Vernunft nicht gebraucht. Darum muß des Menschen Wille sich in Hut halten, weil ich dem Teufel ebensowenig unrecht thue, als meinen Engeln, weil, wie Gott von seiner keuschen Braut jene unaussprechliche Süßigkeit verlangt, so der Teufel bei seiner Braut Dornen und Stacheln sucht. Doch wird der Teufel in niemand die Oberhand gewinnen, wenn der Wille nicht verderbt war." 128
Kapitel LXVIII.
Worte der Mutter zur Braut von einem Fuchse. Wie der listige Teufel einem Fuchse gleich durch verschiedene und mannigfache Arten der Versuchungen die Menschen betrügt und zu betrügen bemüht, diejenigen vorzugsweise, welche er im Guten zunehmen sieht.
Die Mutter sprach: "Es giebt ein kleines Tier, man nennt es Fuchs; dasselbe ist sorgsam und aller List voll, um sich alle seine Bedürfnisse zu verschaffen. Es stellt sich zuweilen, als schliefe es und wäre gleichsam tot, damit es die Vögel, welche sich auf ihm niederlassen, desto freier fangen und verschlingen möge, je unbehutsamer sie sich auf ihm niederließen. Der Fuchs giebt auch auf den Flug der Vögel acht, und diejenigen, welche er vor Ermattung auf der Erde oder unter einem Baume sich niederlassen sieht, raubt und verzehrt er; diejenigen aber, welche auf ihren beiden Flügeln davonfliegen, beschämen ihn und vereiteln seine Bemühungen.
Dieser Fuchs ist der Teufel, welcher die Freunde Gottes beständig verfolgt, und besonders diejenigen, welche die Galle seiner Bosheit und das Gift seiner Nichtswürdigkeit nicht haben. Er stellt sich auch gleichsam, als schliefe er und sei tot; denn bisweilen läßt er den Menschen frei von schwereren Versuchungen, um ihn, wenn er im geringsten nicht auf der Hut ist, desto freier zu betrügen und zu verwickeln. Zuweilen auch läßt er das Laster eine Tugend scheinen und im Gegenteile die Tugend ein Laster, damit er den Menschen in Verwirrung bringe, und wenn ihm vorsichtige Klugheit nicht hilft, zu Grunde richte. Du wirst dies durch ein Beispiel verstehen lernen. Die Barmherzigkeit ist zuweilen ein Laster, nämlich, wenn sie, um den Menschen zu gefallen, geübt wird. Die kräftige Übung der Gerechtigkeit ist Ungerechtigkeit, wenn sie aus Eigennutz und Ungeduld erfolgt. Die Demut aber ist Hoffart, wenn sie aus Prunksucht und um von den Menschen bemerkt zu werden, hervortritt. Die Tugend der Geduld kann sich zeigen, ohne es wirklich zu sein, wenn sie, wofern es sein könnte, sich wegen erlittenen Unrechtes rächen möchte, dasselbe aber duldet, weil eine zur Rache geeignete Zeit sich nicht findet. Zu- 129 weilen auch läßt der Teufel Trübsale und Sorgen hereinbrechen, damit der Mensch im Übermaße der Traurigkeit aufgelöst werde; zuweilen auch schüttet der Teufel Ängsten und Sorgen ins Herz, damit der Mensch lau werde im Dienste Gottes, oder damit der Mensch, wenn er unbehutsam im kleinsten ist, in größeres verfalle. So ist der, von dem ich rede, vom Fuchse hintergangen. Als er im Alter alles nach Wunsch hatte und schon sagte, er sei glücklich und wünsche zu leben, ward er hinweggerissen, ohne Sakramente und ohne Rechenschaft gegeben zu haben über seine Werke und sein Vermögen, denn er hatte wie eine Ameise Tag und Nacht gesammelt, aber nicht in die Scheuer des Herrn, und als er sein Vorratshaus eröffnete, um seine Körner einzuführen, starb er und hinterließ anderen die Frucht seiner Mühe. Denn wer zur Zeit der Ernte nicht auf fruchtbare Weise sammelt, wird sich des Samens nicht erfreuen. Deshalb sind die Vögel des Herrn glücklich, welche nicht schlafen unter den Bäumen der Lüste der Welt, sondern auf den Bäumen des himmlischen Verlangens, und wenn sie die Versuchung des Fuchses, des ungerechten Teufels, erfaßt, gar schnell auf beidenn Flügeln, nämlich: der Demut in der Beicht und der Hoffnung der himmlischen Hilfe, davonfliegen."
Erklärung.
Christus, der Sohn Gottes, sprach: "Dieser Propst hat die Anlage zu einem Bischofe. Wer also den Baum der süßen Frucht ersteigen und süße Früchte abnehmen will, muß leicht und ohne Last sein, umgürtet und stark, zu sammeln, und muß ein reines Gefäß haben, um die Früchte hineinzulegen. So muß auch dieser sich von nun an befleißigen, seinen Leib mit Tugenden zu schmücken, indem er demselben das Notwendige, nicht aber das Überflüssige reicht, die Gelegenheit der Unenthaltsamkeit und Begehrlichkeit flieht, sich als einen reinen Spiegel zeigt und für die unvollkommenen Menschen als ein Vorbild. Sonst wird ihn ein furchtbares Ende, jäher Fall und der Schlag meiner Hand treffen." - Also ist das alles auch eingetroffen. 130
Kapitel LXIX.
Worte Christi zur Braut, wie der gute Wandel und die guten Werke der Geistlichen durch klare Gewässer, und der üble Wandel und die bösen Werke durch häßliches und trübes Gewässer bedeutet wird.
Der Sohn sprach: "Aus dreierlei Gründen läßt sich abnehmen, wenn das Wasser eines Quells nicht gut ist. Erstens, wenn dasselbe nicht die gehörige Farbe hat; zweitens, wenn es schmutzig ist; drittens, wenn das Wasser beständig steht, nicht in Bewegung ist und allen hineinkommenden Schmutz aufnimmt, ohne denselben wieder auszuwerfen. Unter diesem Wasser verstehe ich den Wandel und die Herzen der Geistlichen, welche wie Quellen, um getrunken zu werden, in der Lieblichkeit des Wandels süß, auch wider allen Schmutz des Lasters verschlossen sein müssen. Darum ist die eigentümliche Farbe des Geistlichen wahre Demut, so daß er sich in Gedanken und Werken um so mehr demütigt, je mehr er die Verpflichtung an sich erkennt, für Gott arbeiten zu müssen. Die Hoffart aber ist die Farbe des Teufels. Und wie die Hand eines Aussätzigen, wenn sie aus einem Quell Wasser schöpft, das Wasser für die, welche es sehen, ekelhaft macht, so giebt die Hoffart eines Geistlichen zu erkennen, daß seine Werke befleckt sind. Schmutzig aber ist das Wasser alsdann, wenn der Geistliche genußsüchtig ist und sich mit dem Notdürftigen nicht begnügt; dieser ist, wie er sich selber unnütz ist und keine Ruhe hat, so auch anderen durch das Beispiel seiner Begierlichkeit schädlich. Drittens ist das Wasser unrein, wenn es den Schmutz aufnimmt, aber nicht auswirft; das geschieht, wenn es keinen Auslauf und Mangel an Bewegung hat. So ist der Geistliche unrein, welcher die Wollust des Fleisches im Herzen und am Leibe liebt, und durch wahre Reue nicht alles Unreine von sich auswirft, das ihm begegnet. Denn wie ein Flecken am Leibe überall häßlich ist, hauptsächlich aber im Gesichte, so soll die Unreinigkeit allen verhaßt sein, vorzüglich aber denen, welche zu etwas Herrlicherem berufen sind. So sollen denn diejenigen Geistlichen zu meinem Werke auserlesen werden, welche nicht einen Überfluß an wortreicher Wissenschaft haben, sondern an Demut 131 und Reinheit, welche sich selber geistlich leben und andere durch Wort und Beispiel erziehen; denn auch eine aussätzige Hand ist nützlich für mein Werk, wenn nur die Gesinnung gut ist und die geistliche Hand nicht mangelt."
Kapitel LXX.
Worte der Mutter zur Tochter, in welchen sie das Leiden ihres gebenedeiten Sohnes nach der Ordnung erzählt, und von der Gestalt und der Schönheit des Leibes ihres gedachten Sohnes.
Die Mutter sprach: "Als sich das Leiden meines Sohnes nahte, standen in der Furcht vor dem Leiden Thränen in seinen Augen, Schweiß auf seinem Leibe; bald ward er meinem Anblicke entzogen, und ich sah ihn nicht mehr, bis er zur Geißelung geführt ward. Hier aber war er an der Erde dahingeschleift und so grausam gestoßen und niedergeworfen, daß das Haupt erschüttert ward und die Zähne zusammenschlugen, und so heftig war der Schlag an den Hals und auf die Wange, daß der Ton bis zu meinem Ohre drang. Darauf zog er auf Befehl des Henkers sich selbst die Kleider ab, umarmte freiwillig die Säule, ward fest daran gebunden und sein ganzer Leib mit spitzigen Geißeln, deren Spitzen hineingeschlagen und zurückgezogen wurden, zerfurcht und zerfleischt. Auf den ersten Schlag kam ich, wie ins Herz geschlagen, von Sinnen und erblickte, nach einiger Zeit erwacht, seinen Leib zerrissen; denn er war am ganzen Leibe entblößt, als er gegeißelt ward. Da sprach seiner Feinde einer zu den dastehenden Henkern: Wollet ihr diesen Menschen ohne Urteil töten und die Schuld seines Todes auf euch nehmen? Bei diesen Worten zerschnitt er die Bande. Nachdem mein Sohn von der Säule losgemacht worden, wendete er sich zuerst nach seinen Kleidern, doch gestattete man ihm keine Zeit, dieselben anzulegen, sondern während er weiter geschleppt ward, steckte er erst die Arme in die Ärmel. Seine Fußstapfen waren, seitdem er an der Säule gestanden, voll Blut, so daß ich alle Tritte, die er beim Gehen gemacht hatte, an den Blutspuren zu erkennen imstande war; das von seinem Gesichte herabfließende Blut trocknete er mit seinem Rocke ab. Nach seiner 132 Verurteilung wurde er, sein Kreuz tragend, hinausgeführt; aber unterwegs ward ihm ein anderer als Träger beigegeben. Nachdem man an den Ort der Kreuzigung gekommen war, siehe! da waren ein Hammer und vier spitzige Nägel bereit; er that auf Geheiß alsbald seine Kleider von sich und umband seine Blöße mit einem kleinen leinenen Tuche, und ging nun wie getröstet hin, um sich binden zu lassen. Die Gestalt des Kreuzes war so, daß die Kreuzesarme in die Höhe ragten, so daß die Schultern meines Sohnes an die Stelle zu liegen kamen, wo die Kreuzesarme mit dem geraden Kreuzesbalken sich verbanden und das Kreuz dem Haupte nirgends eine Stütze bot. Die Tafel mit dem Titel war an die beiden Kreuzarme, die sich über das Haupt emporhoben, angeheftet. Als es ihm nun also geheißen ward, legte er sich mit seinem Rücken auf das Kreuz und streckte zuerst den rechten Arm aus; hierauf wurde die andere Hand, da sie bis zum andern Flügel nicht hinreichte, herangezerrt. In ähnlicher Weise wurden auch die Füße bis zu den Nagellöchern hinab- und von den Schienbeinen abwärts auseinandergezogen und mit zwei Nägeln durch den festen Knochen, wie es auch an den Händen geschehen war, ans Kreuz geheftet. Beim ersten Hammerschlag kam ich vor Schmerzen außer mir, und erblickte, nachdem ich wieder erwacht war, meinen Sohn gekreuzigt, hörte auch die Menschen untereinander, den einen zum anderen, sagen: Was hat dieser begangen, einen Diebstahl, einen Raub, eine Lüge? Einige antworteten, er sei ein Lügner. Und nun ward die Dornenkrone, welche bis zur Hälfte der Stirn herabreichte, ihm so fest auf das Haupt gedrückt, daß das Blut ihm über das Gesicht hinabrann und Augen, Haare und Bart anfüllte, so daß das Ganze fast nur wie ein Blutstrom aussah und er mich nicht zu sehen vermochte, wie ich am Kreuze stand, wenn er nicht durch Zusammendrücken der Augenlider das Blut hinauspreßte. Nachdem er mich dann seinem Jünger empfohlen hatte, schrie er mit aus der Tiefe der Brust hervordringender Stimme, erhobenem Haupte und gen Himmel gerichteten und mit Thränen gefüllten Augen und rief: Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen? Diesen Ruf habe ich bis zu meiner Auffahrt in den Himmel nimmer vergessen können, doch hat er denselben mehr aus Mitleid gegen mich, als aus eigenem Leide erschallen lassen. Dann trat die Totenfarbe 133 auf die Teile, welche das Blut noch sehen ließ, und die Wangen hingen über die Zähne herab. Die Rippen waren gemagert und konnten gezählt werden. Der Unterleib drängte sich, nachdem die Feuchtigkeiten verzehrt waren, nach dem Rücken zurück, die Nase war spitz und dünn, und als das Herz nahe am Brechen war, erzitterte sein ganzer Leib; sein Bart legte sich auf die Brust. Entseelt stürzte ich zu Boden. Nachdem sich, sobald er verschieden war, der Mund geöffnet hatte, konnten die Zunge, die Zähne, das Blut im Munde von den Zuschauern gesehen werden; die halbverschlossenen Augen waren abwärts gekehrt, und der bereits tote Leib hing niederwärts. Die Kniee hatten sich nach der einen Seite gebogen, die Füße um die Nägel wie um Thürangeln herum nach der anderen Seite gewendet. Unterdessen sprachen einige Leute, welche zugegen waren, wie zum Spotte: O Maria, nun ist Dein Sohn tot ! Andere, welche ein tieferes Gefühl hatten, sprachen: O Frau, nun hat sich die Qual Deines Sohnes aufgelöst in die ewige Herrlichkeit. Kurze Zeit darauf ward die Seite geöffnet, und nachdem die Lanze herausgezogen war, erschien das Blut an der Spitze wie bräunlich, damit hieraus erkannt werden möchte, wie das Herz durchbohrt worden. Dieser Stich durchdrang auch mein Herz, und es war ein Wunder, daß dieses selbst nicht brach. - Als nun die übrigen sich zurückzogen, vermochte ich nicht wegzugehen. Aber ich war nun wie getröstet, daß ich seinen jetzt vom Kreuze abgenommenen Leib berühren und in meinen Schoß nehmen, seine Wunden untersuchen und das Blut abtrocknen konnte. Meine Finger schlossen ihm den Mund, und ebenso drückte ich ihm die Augen zu. Die starr gewordenen Arme vermochte ich jedoch nicht zu beugen, um dieselben über der Brust zusammenzulegen, nur über den Bauch konnte ich sie bringen. Auch die Kniee konnten nicht gerade gestreckt werden, sondern standen empor, wie sie am Kreuze starr geworden waren." - Weiter sprach die Mutter: "Meinen Sohn, wie derselbe im Himmel ist, vermagst Du nicht zu sehen; wie er aber dem Leibe nach in der Welt war, das vernimm. Von Gesicht war er so schön, daß niemand ihm ins Antlitz schaute, den sein Anblick nicht tröstlich erfreut hätte, auch wenn er von Herzen betrübt war. Die Gerechten aber wurden durch geistlichen Trost gestärkt. Ja, auch die Bösen wurden während der Zeit, wo sie ihn sahen, von der 134 Traurigkeit der Welt frei, weshalb auch die Trauernden zu sagen pflegten: Lasset uns gehen und den Sohn Mariens sehen, daß wir wenigstens solange ohne Trauer sind. Im zwanzigsten Jahre seines Alters war er in männlicher Größe und Stärke vollendet. Unter den Leuten mittlerer Größe in gegenwärtiger Zeit groß, war er nicht fleischig, aber muskelstark, von kräftigem Knochenbau. Seine Haare, seine Augenbraunen und sein Bart waren bräunlich; die Länge des Bartes war eine Hand breit; seine Stirn war weder hervorragend noch eingedrückt, sondern erhob sich aufrecht; seine Nase war ebenmäßig, weder klein, noch zu groß; seine Augen aber waren so rein, daß auch seine Feinde eine Freude daran hatten, ihn anzusehen; seine Lippen waren nicht dick, aber von hellem Rot; das Kinn trat nicht hervor, war auch nicht zu lang, sondern lieblich in schönem Ebenmaße; seine Wangen zeigten eine mäßige Fleischesfülle, ihre Farbe war hellweiß mit frischem Rote gemischt; seine Haltung aufrecht und an seinem ganzen Leibe kein Flecken, wie auch diejenigen bezeugten, welche ihn ganz entblößt gesehen hatten, und ihn, als er an die Säule gebunden war, geißelten."
Kapitel LXXI.
Anmutige Fragen, welche von Christo der Braut vorgelegt worden, und demütige Antworten der Braut an Christum, und wie Christus der Braut drei löbliche Stände zur Auswahl hinstellt, nämlich: den jungfräulichen, den ehelichen und den Witwenstand.
Der Sohn Gottes sprach zur Braut: "Antworte mir auf vier Fragen. Wenn jemand einem Freunde einen fruchtbaren Weinstock gäbe, welchen er aber bei seinem Hause behalten wollte, weil er durch den Anblick und den Geruch desselben erfreut würde, was müßte er dem Beschenkten sagen, wenn dieser den Weinstock forderte, um denselben auf eine andere Stelle zu pflanzen, wo er reichlichere Frucht tragen könnte?" Die Braut antwortete: "Wenn er aus Liebe gegeben hat und seinem Freunde Gutes wünscht, so würde er gewiß dem Freunde gestatten, mit dem Weinstocke zu machen, was er wollte, indem er zu ihm spräche: O mein Freund, obwohl ich den Weinstock gerne in meiner Nähe hätte, so freue ich mich, 135 da ich seine Frucht nicht genießen kann, doch darüber, daß du denselben, wenn du willst, an einen fruchtbareren Ort versetzen kannst." - Der Herr fragte zweitens: "Wenn Eltern einem Jünglinge ihre Tochter, eine Jungfrau, gegeben, und die Jungfrau dem Jünglinge ihre Einwilligung erklärt hätte, der Jüngling nun aber, von seinen Eltern gefragt, ob er die Jungfrau haben wolle oder nicht, ihnen keine Antwort gäbe, wäre da die Jungfrau ihm verlobt oder nicht?" Jene antwortete: "Wie mir scheint, ist die Jungfrau, weil der Mann seinen Willen nicht ausgedrückt hat, nicht verlobt." Der Herr sprach drittens: "Ein edler Jüngling stand zwischen drei Jungfrauen und machte ihnen den Vorschlag, daß diejenigen von ihnen, welche ihn durch ihre Worte zur heißesten Liebe entflammen würde, dasjenige erhalten soll, was er am inbrünstigsten liebe. Hierauf sagte die erste: Ich liebe diesen jungen Mann so heiß, daß ich, ehe ich mich mit einem anderen beflecken ließe, lieber sterben wollte. Die zweite sprach: Bevor ich ein einziges Wort redete wider seinen Willen, oder zu seiner Beleidigung, würde ich lieber alle Pein leiden. Die dritte sagte: Ehe ich seine geringste Verachtung oder seinen Schaden sehen möchte, wollte ich lieber selber mir allen Schaden und Pein zu leiden wünschen. Sage mir also nun, sprach der Herr, welche unter den drei Jungfrauen hat den Jüngling am meisten geliebt, und welcher gebührt der Vorzug in seiner Liebe?" Jene antwortete: "Wie mich dünkt, haben alle gleich heiß geliebt, weil alle Eines Herzens gegen ihn waren, und deshalb waren sie alle gleich würdig, seine Liebe zu haben." Der Herr sprach viertens: "Es war einmal ein Freund, welcher einen anderen um Rat fragte; ich habe, sprach er, ein sehr fruchtbares Weizenkorn; wird dasselbe in die Erde eingesäet, so wird eine große Saat daraus. Nun bin ich aber sehr hungrig, was scheint dir geratener, wenn ich das Korn verzehre, oder aussäe in die Erde? Der Freund antwortete: Dieser Hunger kann auf andere Weise gestillt werden, es nützt dir aber besser, wenn es in die Erde gesäet wird." Der Herr setzte hinzu: "Dünkt es Dich nicht ebenso, meine Tochter, daß der, welcher Hunger leidet. denselben ertragen müsse, das Korn dagegen, das vielen nützen wird, gesäet werde?"
Weiter sprach der Herr: "Diese vier Sprüche gehen Dich an; denn Deine Tochter ist wie ein Weinstock, welchen Du mir zuge- 136 sagt und geschenkt hast. Jetzt aber, wo ich einen angenehmeren Ort für denselben weiß, will ich die Umpflanzung vornehmen, wo es mir gefällt. Du darfst Dich aber darum nicht kümmern, weil Du in die Verpflanzung gewilligt hast." Noch weiter sprach der Herr: "Du hast mir Deine Tochter gegeben, aber ich habe Dir noch nicht eröffnet, was mir angenehmer ist, ihr Verharren im jungfräulichen Stande, oder ihre Vermählung, noch ob mir Dein Opfer gefallen hat, oder nicht. Nachdem ich nun die Gewißheit erkannt habe, kann das, was in der Ungewißheit geschehen ist, verbessert und abgeändert werden." Ferner sprach der Herr: "Die Jungfräulichkeit ist gut und das Höchste, weil sie den Engeln ähnlich macht, wofern sie vernünftig und ehrbar bewahrt wird. Ist aber eines ohne das andere, nämlich die Jungfräulichkeit des Fleisches ohne die Jungfräulichkeit des Herzens, so ist es eine mißbildete Jungfräulichkeit. Eine demütige und fromme Verehelichte ist mir angenehmer, als eine hochmütige und schamlose Jungfrau. Eine eingezogen und nach ihrem Stande in der Furcht des Herrn lebende Verehelichte kann von gleichem Verdienste sein, wie eine keusche und demütige Jungfrau. Wenn es auch etwas Großes ist, im Feuer der Bewährung sein und nicht brennen, so ist es doch ebenso groß, außerhalb des Feuers eines Ordens sein, und lieber wollen im Feuer sein und mit einer größeren Inbrunst für Gott brennen außerhalb des Feuers, als der da ist im Feuer. Siehe, ich will Dir ein dreifaches Beispiel vorlegen. Es waren drei Frauen: Susanna, Judith und Thekla. Die erste war eine Ehefrau, die andere eine Witwe und die dritte eine Jungfrau. Diese hatten ein nicht gleiches Leben und eine nicht gleiche Absicht, gleichwohl aber sind sie nach dem Verdienste ihres Wandels einander gleich. Susanna wollte zuletzt, als sie von den Ältesten versucht und fälschlich angeklagt wurde, aus göttlicher Liebe lieber sterben, als sich wider ihre Pflicht beflecken lassen und weil sie mich als den überall Gegenwärtigen gefürchtet hat, deshalb verdiente sie erlöst und nach der Erlösung verherrlicht zu werden. Als Judith meine Mißachtung und den, Schaden ihres Volkes wahrgenommen, ward sie dermaßen betrübt, daß sie aus göttlicher Liebe nicht allein der Schande und dem Schaden sich aussetzte, sondern auch bereit war, Pein für mich zu leiden. Thekla aber, welche eine Jungfrau 137 war, hat lieber bitteres Leiden erdulden mögen, als auch nur ein Wort wider mich reden. Diese drei kommen, obwohl sie nicht einerlei Wandel geführt haben, überein im Verdienste. Ehefrau, Jungfrau oder Witwe, alle werden mir auf gleiche Weise gefallen können, wenn nur ihr ganzes Verlangen nach mir steht und das Leben gut ist."
Außerdem sprach der Herr noch: "Mag Deine Tochter nun im jungfräulichen Stande bleiben, oder sich vermählen, so ist es mir gleich angenehm, wenn sie sich nur in meinen Willen fügt. Denn was nützte es ihr, wenn sie vielleicht mit dem Leibe eingeschlossen würde, mit dem Sinne aber draußen wäre? Oder was ist rühmlicher, sich selber leben oder anderen nützen? Ich aber, der ich alles weiß und voraussehe, thue nichts ohne Ursache; deshalb wird sie nicht mit der ersten Frucht an den bestimmten Ort kommen, wenn sie aus Furcht handelte, noch mit der zweiten, wenn sie in Lauigkeit lebte, sondern sie wird in die Mitte kommen, nach dem Maße der Wärme in der Liebe und der Frucht der Ehrbarkeit. Derjenige aber, der sie bekommen wird, muß drei Stücke haben: ein Haus, Kleider und Nahrung, damit er sie empfange."
Erklärung.
Der Sohn sprach: "Du wunderst Dich, weshalb diese Jungfrau nicht auf diese Weise zur Verehelichung gelangt ist, wie Du gehofft hattest. Ich antworte Dir mittels eines Gleichnisses. Einer von Adel beschloß, seine Tochter einem armen Manne zur Ehe zu geben. Als dieser Arme nun zur Vermählung mit der Jungfrau kommen sollte, übertrat er die Gesetze der Stadt und ward deshalb mit Schanden von den Bürgern verstoßen, erhielt auch die Jungfrau nicht, welche er begehrte. Also habe ich es mit dem Herrn dieses Landes gemacht; ich hatte ihm verheißen, große Dinge zu thun, er hing aber meinen Feinden zu fest an und ist deshalb nicht zu dem gelangt, was ich ihm verheißen hatte. Du möchtest aber fragen, ob ich denn nicht das Zukünftige vorausgeschaut hätte? Freilich habe ich das gethan, wie auch von Moses und seinem Volke zu leben ist; aber deshalb habe ich vieles eröffnet und eröffne vieles, damit die Menschen sich zum Guten rüsten mögen, auch wissen, was zu thun sei, und geduldig warten. Doch sollst Du wissen, daß ein Weh vorüber ist, das zweite aber kommen wird über die Undankbaren dieses Landes. Danach wird kommen mein Segen über die Demütigen, welche um meine Barmherzigkeit bitten werden, Wisse auch, wie es dieser Jungfrau nützlich 138 sein würde, wenn sie meinem und der Weisen Rate folgen wollte." - Diese Jungfrau ist, wie man glaubt, Cäcilia, die Tochter der heiligen Brigitta, gewesen.
Kapitel LXXII.
Worte Christi zur Braut von den beiden Schwestern und Lazarus, dem Auf- erweckten. Und wie die Braut und ihre Tochter durch die Schwestern, die Seele durch den Bruder Lazarus bedeutet werden, und wie ihnen Gott größere Barmherzigkeit geübt, als den Schwestern des Lazarus. Wie diejenigen, welche vieles zu sprechen, aber wenig zu thun wissen, sich über die, welche gut handeln, erzürnen."
Der Sohn sprach zur Braut: "Es waren zwei Schwestern, Martha und Maria. Diese hatten einen Bruder, den Lazarus, den ich ihnen vom Tode erweckte; er diente mir nach seiner Auferweckung noch eifriger, als vorher; ebenso thaten die Schwestern, obwohl dieselben auch vor des Bruders Auferweckung freundlich und mir zu dienen emsig waren. Sie ließen sich nachher jedoch viel emsiger und andächtiger finden. Auf ähnliche Art habe ich jetzt geistlicherweise mit euch gethan; denn ich habe euch eueren Bruder, d. h. euere Seele auferweckt, welche vier Tage hindurch tot und stinkend sich mir durch Übertretung meiner Gebote und durch böse Begierde und Freude an der Sünde entfremdet hatte. Es waren aber vier Ursachen, welche mich zur Auferweckung des Lazarus bewogen. Erstens, weil er, so lange er lebte, mein Freund war; zweitens die Liebe seiner Schwestern; drittens, weil die Demut Mariens, als sie meine Füße wusch, sich ein solches Verdienst erworben hat, daß, wie sie sich im Angesichte der Tischgäste um meinetwillen erniedrigt hatte, sie also vor dem Angesichte vieler erfreut und geehrt werden mußte; viertens, damit die Herrlichkeit meiner Menschheit offenbar würde. Diese vier Stücke sind aber an euch nicht gewesen, weil ihr die Welt mehr liebt, als Lazarus und seine Schwestern. Deshalb ist meine Barmherzigkeit gegen euch, die ihr durch keine Verdienste mein Mitleid verdient habt, größer, als gegen jene Schwestern, und zwar gerade um so viel größer, als der geistliche Tod gefährlicher ist, denn der leibliche, und die Auferstehung der Seele herrlicher, als die leibliche. 139 Weil nun also meine Barmherzigkeit eueren Werken vorausgegangen ist, so nehmet mich wie jene Schwestern mit der inbrünstigsten Liebe in das Haus eueres Gemütes auf, indem ihr nichts so liebt, als mich, und euer ganzes Vertrauen auf mich setzet, euch demütigt mit Maria und täglich euere Sünden beweint. Schämet euch niemals, unter Hoffärtigen demütig und enthaltsam unter Unenthaltsamen zu leben, und zeiget äußerlich, wie sehr ihr mich innerlich liebt. Ihr sollet auch Eine Seele und Ein Herz sein wie jene Schwestern, stark in der Verachtung der Welt und wacker zum Lobe Gottes. Und wenn ihr also werdet gethan haben, dann will ich, da ich eueren Bruder, d. h. die Seele, auferweckte, dieselbe verteidigen, damit sie von den Juden nicht getötet werde. Denn was hätte es dem Lazarus genützt, vom gegenwärtigen Tode auferstanden zu sein, wenn er nicht infolge eines ehrbareren Wandels im gegenwärtigen Leben herrlicher zum zweiten und bleibenden Leben auferstanden wäre? Wer aber sind die Juden, welche den Lazarus zu töten suchen, anders, als diejenigen, welche unwillig darüber sind, daß ihr besser lebt, welche hohe Dinge reden und geringe zu thun gelernt haben, welche nach des Menschen Gunst streben und mit um so größerer Verachtung die Thaten ihrer Vorgänger verachten, je weniger sie sich herbeilassen, Wahres und Höheres zu erkennen? Es giebt ihrer viele, welche über Tugenden zu disputieren, aber nicht dieselben durch einen tugendhaften Wandel zu bewahren wissen. Deshalb laufen aber auch ihre Seelen Gefahr, weil es gar viele Worte giebt, aber Thaten nicht zum Vorscheine kommen. Haben meine Prediger etwa so gehandelt? Keineswegs. Sie ermahnten fürwahr die Sünder nicht in hochtrabenden, sondern mit wenigen und liebevollen Worten, indem sie bereit waren, ihre Seelen für die Seelen aus Liebe hinzugeben. Denn das Feuer des Lehrers unterrichtete besser, als Worte den Geist des Hörers. Nun aber reden sehr viele von mir schwere und hohe Dinge, allein es folgt keine Frucht, denn das Blasen allein entzündet nicht das Holz, wenn nicht ein Fünklein kleinen Feuers mitwirkt. Vor diesen Juden nun will ich euch beschützen und behüten, damit ihr nicht durch ihre Worte und Thaten von mir abfallt; aber nicht so will ich euch verteidigen, daß ihr nichts leiden sollt, sondern daß ihr nicht unterliegt in Ungeduld. Ihr sollet den 140 Willen gebrauchen, und ich werde mit meiner Liebe euer Wollen entzünden."
Kapitel LXXIII.
Worte der Jungfrau zur Braut, daß sie sich nicht bekümmern soll um einen Kriegsmann, der totgesagt und ihr um Hilfe bittend angezeigt wurde.
Ein Kriegsmann, welcher noch lebte, ward tot gesagt. Derselbe ward auch der Braut in einem geistlichen Gesichte als tot und Hilfe bittend gezeigt. Als die Braut über den Tod desselben betrübt war, sprach die Mutter der Barmherzigkeit zu ihr: "Meine Tochter, ob dieser Kriegsmann tot sei oder nicht, wirst Du zu seiner Zeit erfahren, wir aber wollen dahin wirken, daß er besser leben möge."
Kapitel LXXIV.
Worte Christi zur Braut und Johannes des Täufers zu Christo, worin er ihn preist und vor seinem Angesichte für die Christen bittet, hauptsächlich für einen Krieger. Auf seine Bitten wird der Kriegsmann durch seine eigenen und von der glorwürdigen Jungfrau und Petri und Pauli Händen mit geistlichen Waffen, d. i. mit Tugenden, gerüstet und geehrt. Was durch jede körperliche Waffe insbesondere bedeutet wird, und vom guten Gebete.
Der Sohn Gottes redete zur Braut und sprach: "Du hast heute geschrieben, es sei besser, selber zuvorzukommen, als sich zuvorkommen zu lassen. So bin ich Dir denn zuvorgekommen mit der Süße meiner Gnade, damit der Teufel Deine Seele nicht beherrsche." Alsbald erschien Johannes der Täufer und sprach: "Gebenedeit seist Du, Gott, der Du vor allen Dingen bist, neben welchem nie ein anderer Gott gewesen, und außer welchem kein anderer ist und sein wird; denn Du bist und warst ewiglich Ein Gott. Du bist die von den Propheten verheißene Wahrheit, über welche ich, als ich noch nicht geboren war, freudig aufhüpfte, und die ich, indem ich auf sie wies, vollständiger erkannte. Du bist unsere Freude und unsere Herrlichkeit. Du bist unsere Lust und 141 unser Genuß. Denn Dich anschauen, füllt uns mit unaussprechlicher Lieblichkeit, welche niemand erkennt, als wer sie kostet. Du bist auch allein unsere Liebe. Auch ist es kein Wunder, daß wir Dich lieben, weil, da Du die Liebe selbst bist, Du nicht allein diejenigen liebst, welche Dich lieben, sondern, da Du der Schöpfer aller Dinge bist, auch Deine Liebe denen erweisest, welche Dich zu erkennen verschmähen. Nun aber, mein Herr, weil wir reich sind von Dir und in Dir, bitten wir Dich, Du wollest von diesem unserem geistlichen Reichtume denen mitteilen, welche keinen Reichtum haben, so daß, wie wir uns in Dir unserer Verdienste freuen, auch diese teilhaftig werden unserer Güter." Christus antwortete: "Fürwahr, Du bist das höchste Glied nach und neben dem Haupte; doch ist der Hals noch näher und trefflicher. Bin ich das Haupt aller, so ist meine Mutter gleichsam der Hals, danach kommen die Engel, Du aber und meine Apostel sind gleichsam die Rückgratsgelenke, weil ihr mich nicht allein liebt, sondern auch diejenigen, welche mich lieben, ehrt und fördert. Deshalb besteht fest, was ich gesagt habe: Die Werke, welche ich thue werdet auch ihr thun (Joh. XIV.), und euer Wille ist mein Wille. Denn wie das leibliche Haupt sich nicht bewegt ohne die Glieder, also kömmt es auch in euerer geistlichen Verbindung und Vereinigung nicht vor, daß das Wollen ohne Können sei; sondern alles ist Können, was ein jeglicher unter euch will, deshalb soll auch geschehen, was Du begehrst." Nach diesen Worten brachte Johannes einen Kriegsmann hervor, der wie halbtot war, und sprach: "Siehe, Herr! Siehe, der hier steht, hatte Dir seinen Kriegsdienst gelobt. Er bemüht sich auch, zu kämpfen, aber vermag nicht obzusiegen, weil er unbewaffnet und schwach ist. Ich aber bin aus doppeltem Grunde verpflichtet, ihm zu helfen, teils wegen der Verdienste seiner Eltern, teils um der Liebe willen, welche ihn für meine Ehre beseelt. Um Deiner selbst willen also gieb ihm Kleider zum Kriegsdienste, damit nicht die Schande seiner Entblößung offenbar werde." Der Herr antwortete: "Gieb ihm, was Du willst, und kleide ihn, wie es Dir gefällt." Darauf sprach Johannes: "Komm', mein Sohn, und empfange von mir das erste Kleid Deines Kriegsdienstes; nachdem Du dieses erlangt, wirst Du leichter die übrigen Kriegsgewänder empfangen und tragen können. Nun steht es einem Kriegs- 142 manne zu, zunächst auf dem Leibe das zu haben, was weich ist, nämlich den weichen Doppelmantel. Diesen werde ich Dir anlegen, weil es Gott also gefällt. Denn wie ein leiblicher Mantel der Art weich und linde ist, so ist es auch der geistliche, süß in der Wirkung, nämlich: Gott in der Seele lieb zu haben und die Süßigkeit kommt aus zwei Dingen her, nämlich aus der Betrachtung der Wohlthaten Gottes und aus der Erinnerung an die begangenen Sünden. Dies beides hatte ich, da ich noch ein Knabe war. Denn ich habe betrachtet, mit welcher Gnade mir Gott zuvorgekommen, als ich noch nicht geboren war, mit welchem Segen er mich nach meiner Geburt gesegnet. Bei dieser Betrachtung seufzte ich darüber, wie ich meinem Gott würdig wieder vergelten möchte. Auch über die Unbeständigkeit der Welt habe ich meine Betrachtungen gehabt und mich deshalb eilends in die Wüste begeben, wo mir mein Herr Jesus so süß ward, daß mir alle Lust der Welt zum Ekel und lästig zu begehren war, wenn ich daran dachte. Komm' darum, o Kriegsmann, und bekleide Dich mit diesem Doppelmantel; das übrige wird Dir zu seiner Zeit gegeben werden." Darauf erschien der selige Apostel Petrus und sprach: "Jobannes gab Dir ein Doppelgewand, ich aber, der ich schwer gefallen, jedoch mannhaft wieder aufgestanden bin, werde für Dich einen Panzer erlangen, d. h. die göttliche Liebe. Wie ein aus vielen eisernen Ringen bestehender Panzer beschirmt diese Liebe wider des Feindes Geschosse und macht den Menschen gleichmütiger, einbrechende Übel zu ertragen. Sie macht ihn behender für die Ehre Gottes und eifriger zur göttlichen Arbeit, unbesiegt in Widerwärtigkeiten, langmütig in der Hoffnung, beharrlich in Unternehmungen. Dieser Panzer muß leuchten wie Gold und stark sein wie Feuerstein und Eisen; denn ein jeglicher Mensch, welcher die Liebe hat, muß sich ziehen lassen wie das Gold durch die Geduld wider Unfälle; er soll auch leuchten durch Weisheit und Klugheit, damit er nicht eine Ketzerei annehme statt des unversehrten Glaubens und Zweifelhaftes für Gewisses. Der Panzer muß auch stark sein wie Eisen, daß, wie das Eisen alles bezwingt, also auch der Mensch, welcher sich der Liebe befleißigt, sich beeifern soll, diejenigen zu demütigen, welche dem Glauben und den guten Sitten widerstehen. Er soll nicht zurückweichen vor den Widerreden; er soll sich nicht beugen lassen durch 143 die Rücksicht auf Freunde; er soll nicht lau werden ob des zeitlichen Nutzens, und sich nicht um der Ruhe des Fleisches willen verstellen. Er soll sich nicht fürchten vor dem Tode, weil niemand das Leben nehmen kann, wenn Gott es nicht erlaubt. Wenn aber nun auch der Panzer aus vielen Ringen besteht, so sind es doch vorzüglich zwei Ringe, durch welche der Panzer der Liebe zusammengehalten wird. Der erste Liebesring ist die Erkenntnis Gottes und die häufige Betrachtung der göttlichen Wohlthaten und Gebote, damit der Mensch wisse, was er Gott, was dem Nächsten und was er der Welt zu gewähren habe. Der andere Ring ist die Zügelung des eigenen Willens um Gottes willen; denn jeglicher, der Gott vollkommen und aufrichtig liebt, behält von seinem eigenen Willen nichts, was wider Gott ist. Siehe, Sohn, diesen Panzer giebt Dir Gott, und ich habe Dir denselben verdient, indem ich Dir durch die Gnade Gottes zuvorkam." - Hierauf erschien der heilige Paulus und sprach: "O mein Sohn, der oberste Hirte der Schafe, Petrus, gab Dir einen Panzer; ich aber werde Dir aus Liebe Gottes einen Harnisch geben, welcher die Liebe zu dem Nächsten ist, d. h. die Bereitwilligkeit, unter Mitwirkung der Gnade Gottes zum Heile des Nächsten gern zu sterben. Wie an einem Harnisch viele Blechstücke verbunden und mit Nägeln zusammengefügt sind, so kommen in der Liebe des Nächsten viele Tugenden zusammen. Ein jeglicher, welcher seinen Nächsten liebt, ist schuldig, Schmerz darüber zu empfinden, daß alle, welche durch das Blut Jesu Christi erlöst worden, Gott mit Liebe nicht vergelten; daß die heilige Kirche, die Braut Gottes, nicht in ihrer löblichen Ordnung beharrt; daß sehr wenige sind, welche sich in bitterer Trauer und Liebe des Leidens Gottes erinnern; er ist schuldig, acht zu geben, daß man seinen Nächsten nicht durch sein übles Beispiel verderbe, daß man seinem Nächsten mit Freuden sein Gutes gebe und Gott für ihn bitte, daß er in jeglichem Guten zunehme und vollendet werde. Die Nägel, welche die Blechstücke verbinden, sind die Worte Gottes. Wenn ein nach diesen Worten mit Liebe erfüllter Mensch seinen Nächsten in Trübsal erblickt, soll er ihn mit liebreichen Worten trösten, den wider Recht Angegriffenen soll er beschützen, die Kranken besuchen, die Gefangenen auslösen, der Armen sich nicht schämen, allezeit die Wahrheit lieben, nichts über die Liebe Gottes setzen, 144 von der Gerechtigkeit sich nie entfernen. Mit diesem Harnisch war ich angethan, der ich schwach war mit den Schwachen, der ich vor dem Angesichte von Königen und Fürsten mich nicht schämte, die Wahrheit zu sagen, auch bereit war, für das Heil des Nächsten zu sterben."
Hierauf erschien die Mutter und sprach zu dem Kriegsmanne: "Mein Sohn, was mangelt Dir noch?" Er sprach: "Mein Haupt hat keinen Helm." Darauf sprach die Mutter der Barmherzigkeit zum Schutzengel seiner Seele: "Was hat seiner Seele Dein Schutz genützt, oder was hast Du unserem Herrn anzubieten?" Der Engel antwortete: "Ich habe einiges, wiewohl es wenig ist. Zuweilen hat er Almosen gespendet und aus Liebe zu Gott etliche Gebete gelesen, zuweilen auch den eigenen Willen um Gottes willen aufgegeben; er hat Gott aufrichtig gebeten, er möge ihm die Welt verächtlich werden lassen, und Gott möge ihm über alles teuer sein." Die Mutter antwortete: "Es ist gut, daß Du solches für ihn bringen kannst und so wollen wir thun, wie es ein guter Goldschmied macht, welcher, wenn er ein großes Werk von Gold ausführen will, aber in Not ist und an Gold Mangel hat, bei reichen Freunden Hilfe sucht. Alle, die Gold haben, helfen ihm, damit sein Werk vollendet werde. Wer wird aber einem, der ein Werk ans Lehm ausführt, von seinem Golde geben, da der Lehm nicht wert ist, unter das Gold gemischt zu werden? Wohlan, alle Heiligen, welche reich sind an Gold, werden Dir mit mir den Helm verdienen, den Du haben wirst. Dieser Helm aber ist der Wille, Gott allein zu gefallen; denn wie der Helm das Haupt vor Wurfgeschossen und Schlägen schirmt, so beschützt der gute, allein auf Gott gerichtete Wille die Seele, daß keine teuflische Versuchungen sie überwältigen, er führt Gott in die Seele ein. Diesen Helm haben der gute Georg und Mauritius und mehrere andere, ja sogar der am Kreuze hängende Schächer gehabt; ohne denselben wird niemand einen guten Grund legen, noch zur Krone gelangen. In diesem Helme müssen auch zwei Öffnungen vor den Augen sein, durch welche man sich vor dem, was da naht, vorsehen mag. Diese sind die Klugheit in dem, was man zu thun, und Vorsicht in dem, was man zu unterlassen hat, weil ohne Klugheit und Vorbedacht vieles am Ende übel ist, was im Anfange gut zu sein schien." 145 Ferner sprach die Mutter zum Kriegsmanne: "Was fehlt Dir nun noch, mein Sohn?" Er antwortete: "Meine Hände sind noch entblößt und haben keine Wehr." Die Mutter entgegnete ihm: "Ich werde Dir behilflich sein, daß die Hände nicht entblößt bleiben. Wie es zwei Hände von Fleisch giebt, so giebt es auch zwei geistliche Hände. Die rechte Hand, womit das Schwert gehalten werden soll, bedeutet das Werk der Gerechtigkeit, an welchem fünf Tugenden sein sollen wie fünf Finger. Die erste, daß ein jeglicher Gerechter für sich selbst gerecht sei, indem er sich hütet, im Reden, Thun oder Vorbilde etwas sehen zu lassen, das den Nächsten beleidigen könnte, damit er nicht, was er aus Gerechtigkeit an anderen tadelt, oder sie lehrt, durch ungeordneten eigenen Wandel zerstöre; die zweite ist die Gerechtigkeit oder die Werke der Gerechtigkeit, nicht aus Menschengunst oder Liebe zur Welt, sondern aus Liebe zum einigen Gott zu vollbringen; die dritte ist, niemand fürchten wider die Gerechtigkeit, auch nichts aus Freundschaft verschweigen, und für Arme und Reiche, für Freund oder Feind sich nicht abbringen lassen von der Gerechtigkeit; die vierte ist, auch gern sterben wollen für die Gerechtigkeit; die fünfte ist, nicht allein die Gerechtigkeit thun, sondern auch dieselbe weislich lieben, damit im Gerichte auch Barmherzigkeit und Gerechtigkeit sei und anders gestraft werde, wer weniger, und anders, wer schwerer sündigt, anders, wer aus Unwissenheit, und anders, wer mit Fleiß oder aus Bosheit sündigt. Wer aber diese fünf Finger hat, soll sich hüten, daß er das Schwert nicht schärfe in Ungeduld, noch daß die weltliche Lust dasselbe abstumpfe, oder Unvorsichtigkeit dasselbe zerbreche, noch Leichtfertigkeit der Gesinnung dasselbe mit Rost anlaufen lasse.
Die linke Hand aber ist das göttliche Gebet, das ebenfalls fünf Finger haben soll. Der erste ist, fest an die Artikel des Glaubens von der Gottheit und Menschheit, und wirklich und in der That alles glauben, was die heilige Kirche, die Braut Christi, bekennt; der zweite ist, nicht wissentlich sündigen wollen wider Gott, und alle begangenen Sünden durch Reue und Genugthuung bessern wollen; der dritte, Gott bitten, daß die Liebe des Fleisches sich in geistliche Liebe wandle; der vierte, zu nichts anderem in der Welt leben wollen, als um Gott zu ehren und die Sünden zu vermindern; der fünfte ist, nicht auf sich selbst vermessentlich vertrauen, 146 sondern allezeit Gott fürchten und des Todes in jeglicher Stunde gewärtig sein. Siehe, mein Sohn, das sind die beiden Hände, welche Du haben mußt: die rechte, womit das Schwert der Gerechtigkeit wider die Angreifer derselben geschwungen werden muß, die linke aber des Gebetes, mit welcher von Gott Hilfe erbeten werden soll, auf daß Du Dich niemals auf Deine Gerechtigkeit verlassen mögest, noch Dich stolz erbeben wollest wider Deinen Gott."
Abermal erschien die selige Maria und sprach zu dem Kriegsmanne: "Was fehlt Dir noch, mein Sohn?" Er antwortete: "Die Bewehrung der Füße;" und jene sprach: "Vernimm Du, einst ein Kriegsmann der Welt, jetzt aber der meine, alles, was im Himmel und auf Erden ist, hat Gott erschaffen. Unter allem was hienieden ist, ist das würdigste und schönste Geschöpf die Seele, deren Gedanken von dem guten Willen regiert werden. Denn wie von einem Baume viele Schößlinge ausgehen, so geht aus der geistlichen Übung und Thätigkeit der Seele alle Deine Vollkommenheit hervor. Damit nun die geistliche Bewehrung der Füße erlangt werde, muß unter dem Beistande der Gnade Gottes der gute Wille den Anfang machen. Derselbe muß eine doppelte Betrachtung enthalten wie zwei Füße auf goldenen Grundlagen. Der erste Fuß einer vollkommenen Seele nun ist eine Betrachtung dieser Art, daß er nicht wider Gott sündigen wolle, auch wenn keine Strafe darauf folgte; der zweite Fuß ist die Verrichtung guter Werke, wegen der großen Geduld und Liebe Gottes, selbst wenn man wüßte, daß man verdammt werden soll. Die Kniee der Seele aber sind die Fröhlichkeit und die Stärke eines guten Willens. Wie die Kniee beim Gebrauche der Füße gekrümmt werden und sich beugen, so muß der Wille der Seele sich der Vernunft gemäß nach dem Willen Gottes beugen und zügeln, denn es steht geschrieben, daß Fleisch und Geist einander entgegen sind. Deshalb spricht Paulus (Galat, V.): Ich thue nicht das Gute, was ich will; als wollte er sagen: Der Seele nach will ich mancherlei Gutes, allein ich vermag es nicht wegen der Schwäche des Fleisches, und wenn ich es auch zuweilen zu thun vermag, so kann ich's doch nicht mit Fröhlichkeit. Wie also nun? Ist etwa der Apostel deshalb des Lohnes verlustig geworden, weil er wohl wollte, aber nicht konnte? oder weil er zwar Gutes vollbrachte, aber nicht mit Fröhlichkeit? Mit nichten, sondern die Krone wird 147 ihm vielmehr doppelt gemehrt; erstlich vom äußeren Menschen, denn es war ihm wegen des Widerstandes des Fleisches gegen das Gute beschwerlich, zu arbeiten; zweitens vom inneren Menschen, weil er nicht immer geistlichen Trost hatte. Darum mühen sich viele Weltmenschen zeitlicherweise ab, aber werden dafür nicht gekrönt, weil sie auf Anregung des Fleisches arbeiteten; denn wäre dieses Arbeiten ein Gebot Gottes, so würden sie beim Arbeiten nicht so heißen Eifer zeigen. Diese beiden Füße der Seele also, nämlich: nicht sündigen wollen gegen Gott und gute Werke verrichten wollen, selbst wenn Verdammnis folgen sollte, müssen mit doppelter Wehr bewaffnet werden, nämlich: mit klugem Gebrauche des Zeitlichen und mit dem klüglichen Verlangen und Streben nach dem Himmlischen. Der kluge Gebrauch der zeitlichen Dinge besteht aber darin, Güter zu seinem mäßigen Unterhalte, aber nicht zum Überflusse zu haben. Ein klügliches Verlangen nach dem Himmlischen ist vorhanden, wenn man das Himmlische durch gute Werke und Arbeit verdienen will, denn weil der Mensch sich durch Undankbarkeit und Lässigkeit abgewendet hat von Gott, so muß er deshalb durch Mühen und Demut zu Gott zurückkehren. Weil Du denn, mein Sohn, das nicht gehabt hast, so wollen wir die heiligen Märtyrer und Bekenner, welche an solchem Reichtume Überfluß haben, bitten, daß sie Dir helfen mögen."
Alsbald erschienen die Heiligen und sprachen: "O gebenedeite Frau, Du hast den Herrn in Dir getragen, und Du bist die Gebieterin von allem; was giebt es, das Du nicht vermöchtest? Denn was Du willst, das ist geschehen. Dein Wille ist stets unser Wille. Du bist mit Recht die Mutter der Liebe, weil Du männiglich heimsuchest mit Liebe."
Abermals erschien die Mutter und sprach zum Kriegsmanne: "Mein Sohn, es fehlt uns noch ein Schild. Zu einem Schilde gehört nun zweierlei: nämlich Tapferkeit und das Zeichen des Herrn, unter dem Du streitest. Der geistliche Schild bedeutet die Betrachtung des bitteren Leidens Gottes. Dieser muß am linken Arme nahe beim Herzen sein, daß, so oft die Seele an des Fleisches Lust Freude empfindet, die Wunden Christi betrachtet werden sollen. So oft aber die Verachtung und Widerwärtigkeit der Welt das Gemüt beunruhigt und betrübt, soll man sich der Armut und Schmach 148 Christi erinnern. So oft aber die Ehre und langes Leben des Fleisches vergnügen will, soll man des bitteren Todes und des Leidens Christi gedenken. Ein solcher Schild muß die Stärke der Beharrlichkeit im Guten und die Breite der Liebe haben. Das Zeichen des Schildes hat aus zwei Farben zu bestehen, weil nichts deutlicher und weiter gesehen wird, als was aus zwei schimmernden Farben zusammengesetzt worden. Die beiden Farben aber, mit denen der Schild der Betrachtung des göttlichen Leidens geschmückt wird, sind die Enthaltsamkeit von ungeordneten Neigungen und die Reinheit und Zügelung der Regungen des Fleisches. Durch dies beides wird der Himmel erleuchtet, und die Engel, welche es sehen, freuen sich, jubeln und sprechen: Seht das Zeichen der Reinheit und unserer Genossenschaft; wir sind schuldig, diesem Kriegsmanne zu helfen. Die Teufel aber, welche den Kriegsmann mit diesem Zeichen des Schildes geschmückt sehen, werden rufen: Was sollen wir thun, o Gesellen? Dieser Kriegsmann ist schrecklich im Streite, zierlich in den Waffen. An seiner Seite hat er die Waffen der Tugenden, hinter sich die Heerlager der Engel. Zur Linken hat er einen sehr wachsamen Hüter, nämlich Gott; ringsum ist er voll Augen, mit denen er unsere Bosheit anschaut. Angreifen können wir ihn zwar, allein zu unserer Schande, weil wir ihn durchaus nicht überwältigen können. Ach, wie glücklich ist so ein Kriegsmann, den die Engel ehren und in dessen Furcht die Teufel erzittern? Weil Du nun aber, mein Sohn, diesen Schild noch nicht erlangt hast, so wollen wir die heiligen Engel, welche leuchten in geistlicher Reinheit, bitten, daß sie Dir helfen mögen."
Weiter sprach die Mutter: "Sohn, noch fehlt uns ein Schwert. Zu einem Schwerte gehört zweierlei: Erstens muß es zwei Schneiden haben; zweitens muß dasselbe wohl geschärft sein. Das geistliche Schwert aber ist das Vertrauen auf Gott im Kampfe für die Gerechtigkeit. Dieses Vertrauen muß zwei Schneiden haben, nämlich die aufrichtige Gerechtigkeit gleichsam auf der rechten Seite und die Danksagung im Unglücke gleichsam auf der linken Seite. Ein solches Schwert führte der fromme Job, der im Glücke Opfer dar- brachte für seine Kinder, welcher ein Vater der Armen, und dessen Thür dem Wanderer geöffnet war, der nicht wandelte in Eitelkeit und nicht Fremdes begehrte, sondern Gott fürchtete, wie wenn er 149 säße auf den Wellen des Meeres. (Job XXXI.) Er hat auch im Unglücke Danksagung dargebracht, als er nach Verlust seiner Kinder und Güter, geschmäht von seinem Weibe und geplagt mit übelstem Geschwür, geduldig aushielt und sprach: Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, er sei gepriesen. Dieses Schwert muß auch wohl geschärft sein, um, wie Moses und David, diejenigen aufzureiben, welche die Gerechtigkeit angreifen, und um den Eifer des Gesetzes zu haben wie Phinees, um standhaft zu reden wie Elias und Johannes. O, wie Vieler Schwert ist jetzt über die Maßen stumpf, die, wenn sie mit dem Worte reden, den Finger nicht regen, weil sie die Freundschaft der Menschen suchen, die Herrlichkeit Gottes aber nicht beachten! Weil Du denn ein solches Schwert nicht gehabt hast, so wollen wir die Patriarchen und Propheten bitten, welche ein solches Vertrauen gehabt haben, und es wird uns ohne Sorge gegeben werden."
Abermals erschien die Mutter und sprach zu dem Kriegsmanne: "Mein Sohn, Du bedarfst noch einer Bedeckung über Deine Waffen, welche die Waffen gegen den Rost und vor der Befleckung durch Regen schützt. Diese Bedeckung ist die Liebe, in welcher man für Gott sterben, auch wofern es, ohne Gott zu beleidigen, möglich wäre, um des Heiles der Brüder willen sich von Gott scheiden lassen möchte. Diese Liebe bedeckt alle Sünden, erhält die Tugenden, besänftigt den Zorn Gottes, macht alles möglich, schreckt die bösen Geister ab, ist die Freude der Engel. Diese Decke aber muß inwendig weiß, außen jedoch leuchtend sein wie Gold. Denn wo der Eifer der göttlichen Liebe ist, da wird beiderlei Reinheit nicht vernachlässigt. An dieser Liebe hatten die Apostel Überfluß, und deshalb müssen sie angerufen werten, daß sie Dir helfen."
Wiederum erschien die Mutter und sprach: "Mein Sohn, Du bedarfst noch eines Rosses und Sattels. Unter dem Rosse wird geistlicherweise die Taufe verstanden. Denn wie das Pferd den Menschen fortschafft, wenn er einen Weg zurücklegen will, und wie es vier Füße hat, so führt die Taufe, welche unter dem Rosse verstanden wird, den Menschen vor das Antlitz Gottes und hat vier geistliche Wirkungen. Die erste besteht darin, daß die Getauften von den bösen Geistern befreit und zu den Geboten und dem Dienste Gottes verpflichtet werden; die zweite ist, daß sie von der 150 Erbsünde gereinigt werden; die dritte ist, daß sie Kinder Gottes und Miterben Gottes werden; die vierte ist, daß ihnen der Himmel aufgethan wird. Aber ach, es sind viele, welche, wenn sie zu den Jahren des Verstandes kommen, dem Rosse, der Taufe, die Zügel anlegen und dasselbe auf einem falschen Wege von dannen führen. Der Weg der Taufe ist dann der richtige und wird richtig innegehalten, wenn der Mensch vor den Jahren des Verstandes unterwiesen und in den guten Sitten erhalten wird, und wenn der, Mensch, zu den Jahren der Unterscheidung gekommen, eifrig darüber nachdenkt, was am Taufborne versprochen worden, auch den Glauben und die Liebe Gottes unverletzt erhält. Abgeführt vom rechten Wege wird es und ein Zaum alsdann ihm angelegt, wenn Welt und Fleisch Gott vorgezogen werden. Der Sattel des Rosses, d. h. der Taufe, ist die Wirkung des bitteren Leidens und Todes Jesu Christi, durch welchen die Taufe ihre Kraft bekommen hat. Das Wasser der Taufe ist nur das Eine Element; nachdem aber das Blut Gottes vergossen worden, ist zum Elemente des Wassers das Wort Gottes und die Kraft des vergossenen Blutes Gottes hinzugekommen, und so ist das Wasser der Taufe durch Gottes Wort die Versöhnung Gottes mit den Menschen, die Pforte der Barmherzigkeit, die Austreibung der bösen Geister, der Weg zum Himmel, die Verzeihung der Sünden geworden. Wer sich also der Kraft der Taufe rühmen will, soll zuerst die Bitterkeit der Einsetzung der Taufwirkung bedenken, so daß, wenn das menschliche Herz sich aufbläht wider Gott, der Mensch daran denke, wie bitter er erlöst worden, wie oft er auch das Taufgelübde übertreten, und was er für so viele Rückfälle verdient hat. Damit nun ferner der Mensch fest im Sattel der Taufwirkung sitzen möge, sind zwei Striegeln nötig, d. h. eine zweifache Betrachtung im Gebete. Erstens soll er also beten: O Herr, allmächtiger Gott, gesegnet seist Du, weil Du mich erschaffen und erlöst hast, und, während ich der Verdammnis würdig war, in meinen Sünden geduldet und zur Buße geführt hast. Ich erkenne, Herr, vor Deiner Majestät, daß ich alle Güter, welche Du mir zum Heile gegeben, unnütz und auf verdammliche Weise verschwendet, nämlich die Zeit meiner Buße in Eitelkeit, den Leib in Überfluß, die Taufgnade in Hoffart. Ünd alles habe ich mehr geliebt, als Dich, meinen Schöpfer, Erlöser, 151 Nährer und Erhalter; und deshalb bitte ich um Deine Barmherzigkeit, weil ich von mir selber elend bin, und weil ich Deine gütige Geduld gegen mich nicht anerkannt habe. Ich habe Deine schreckliche Gerechtigkeit nicht gefürchtet. Ich habe nicht beachtet, wie ich Dir Dein unzählbares Gute wieder vergelten möchte, sondern habe vielmehr von Tag zu Tag durch meine Bosheit Dich zum Zorne gereizt; deshalb habe ich denn nichts, als ein Wort zu Dir, nämlich: Erbarme Dich meiner, Gott, nach Deiner großen Barmherzigkeit!
Das andere Gebet dagegen soll also lauten: O Gott, allmächtiger Gott, ich weiß, daß ich alles von Dir habe, daß nichts von mir ist, ich auch nichts vermag, als allein das, was ich selber gemacht habe nach meiner Sünde. Deshalb bitte ich demütig Deine Liebe, Du wollest nicht an mir thun nach meinen Sünden, sondern nach Deiner großen Barmherzigkeit. Sende mir auch Deinen heiligen Geist, daß er mein Herz erleuchte oder auf dem Wege Deiner Gebote befestige, auf daß ich in dem, was ich kraft Deiner Eingebung erkannt, zu verharren vermöge, und durch keinerlei Versuchungen von Dir getrennt werde.
Wohlan, mein Sohn, weil Dir dieses noch abgeht, so laß uns diejenigen bitten, welche das Leiden Gottes bitterer in ihr Herz gefestigt haben, daß sie Dir von ihrer Liebe mitteilen." Nach diesen kam eine Erscheinung wie ein Pferd, gerüstet mit goldenem Schmucke. Und die Mutter sprach: "Dieser Schmuck des Pferdes bedeutet die Gaben des heiligen Geistes, welche in der Taufe gespendet werden. Denn in der Taufe, mag dieselbe nun durch einen guten oder bösen Diener verrichtet werden, wird die Erbsünde erlassen, die Gnade vermehrt und alle Sünde nachgelassen. Es werden gegeben der heilige Geist zum Unterpfande, die Engel zu Hütern, der Himmel zum Erbe. Siehe, mein Sohn, das ist der Schmuck eines geistlichen Kriegsmannes! Wer damit bekleidet ist, wird jenen unaussprechlichen Sold empfangen, mit welchem die ewige Freude, die ehrenvollste Ruhe, ewiger Überfluß, ein Leben ohne Ende erkauft werden." - (Dieser Kriegsmann war Herr Karl, der Sohn der heiligen Brigitta.) 152
Kapitel LXXV.
Gebetsworte der Braut an Christum und zur Jungfrau, worin sie das beste Lob anstimmt. Tröstliche Antwort der Jungfrau an die Tochter, worin sie durch Beispiele darthut, daß Gott mittels eines gerechten Ratschlusses häufig die Lüge des Teufels zuläßt, damit die Kraft Gottes desto offenbarer werde, und wie die Trübsale Anleitung zu geistlichen Gütern geben.
"Gebenedeit seist Du, mein Gott, mein Schöpfer und Erlöser. Du bist das Lösegeld, mit welchem wir aus der Gefangenschaft losgekauft sind, durch welchen wir zu allem Heil geleitet, durch den wir der Einheit und Dreifaltigkeit zugesellt werden. Daher freue ich mich, obwohl ich meiner Häßlichkeit mich schäme, gleichwohl, daß Du, der Du Einmal für unser Heil gestorben bist, nie wieder sterben wirst. Denn Du bist fürwahr derjenige, welcher auch vor der Welt gewesen. Du allein bist gut und gerecht, Du allein allmächtig und furchtbar. Deshalb seist Du gesegnet in Ewigkeit. Aber was soll ich von Dir sagen, gebenedeite Maria, Du ganzes Heil der Welt? Du bist demjenigen ähnlich, welcher dem Freunde, welcher betrübt war um den Verlust einer Sache, das Verlorene wieder sehen ließ, wodurch der Schmerz gelindert ward, die Freude wuchs und das ganze Herz entzündete. Also hast Du, süßeste Mutter, der Welt ihren Gott, den die Menschen verloren hatten, gezeigt, und hast den in die Zeit geboren, welcher vor aller Zeit gezeugt war, und über dessen Geburt sich erfreute, was im Himmel und auf Erden war. Deshalb, süßeste Mutter, bitte ich Dich, stehe mir bei, auf daß mein Feind sich nicht freue über mich, noch mit seinen Arglisten mich überwältige." Die Mutter antwortete: "Ich werde Dir helfen. Aber weshalb bist Du betrübt, daß Du Leibliches, was Du gehört hattest, in geistlicher Weise gesehen hast, da Dir jener Kriegsmann, welcher dem Leibe nach lebt, als geistlich tot und geistlicher Hilfe bedürftig gezeigt wurde? Vernimm aber nun die Gewißheit der Auslegung. Alle Wahrheit ist von Gott und jegliche Lüge vom Teufel, weil dieser der Vater der Lüge ist. Obwohl nun also die Wahrheit aus Gott ist, wird doch durch des Teufels Bosheit und Lüge, welche Gott bisweilen nach einem ge- 153 heimen Ratschlusse zuläßt, die Kraft Gottes desto offenbarer, wie ich Dir durch ein Beispiel von einer gewissen Jungfrau zeigen werde. Dieselbe liebte ihren Bräutigam gar zärtlich und er hinwiederum sie in ähnlicher Weise. Durch ihre Liebe ward Gott herrlich geehrt, und es freuten sich die beiderseitigen Eltern darüber. Als ihr Feind solches betrachtete, dachte er also: Ich weiß, daß der Bräutigam und die Braut auf dreifache Art sich einander nähern: durch Briefe, durch wechselseitige Gespräche oder körperliche Vereinigung. Damit nun die Boten und Briefträger keinen Zugang haben mögen, werde ich alle Wege mit Pfählen, Dornen und Widerhaken anfüllen; damit sie sich ferner einander nicht zum Wechselgespräche nähern, will ich ein Geräusch verursachen, wodurch sie im Reden gestört werden. Damit sie aber nicht zur Vereinigung im Fleische zusammenkommen, will ich Wächter bestellen, welche eine jede Ritze beobachten sollen, damit sie keine Gelegenheit finden, zu einander zu gelangen. Als nun der Bräutigam, welcher klüger war, als der Feind, dies erkannte, sprach er zu seinen Dienern: Mein Feind stellt mir in dem und dem nach. Gebt ihr acht an jenen Orten, und wenn ihr es also befindet, so lasset ihn arbeiten, bis er die Schlingen gelegt hat. Nachher erhebet euch, tötet ihn aber nicht, sondern spottet seiner und rufet ihn an, daß euere Mitdiener, wenn sie des Feindes Arglist erkennen, achtsamer im Wachen und in der Hut sein mögen. Auf ähnliche Weise verhält stch's auch in geistlichen Dingen. Die Briefe, mittels deren der Bräutigam und die Braut, d. i. Gott und die gute Seele, einander sich nähern, sind nichts anderes, als die Gebete und Seufzer der Frommen; denn wie ein leidlicher Brief die Neigung und den Willen dessen anzeigt, der denselben abschickt, so gehen die Gebete der Frommen zum Herzen Gottes und verbinden die Seele mit Gott in ein Band der Liebe. Allein der Teufel verhindert zuweilen die Herzen der Menschen, daß sie nicht um das bitten, was zum Heile der Seele gereicht, oder der fleischlichen Lust entgegen ist. Er verhindert es auch, daß sie, wenn sie für andere Sünder bitten, erhört werden. weil diese Sünder für sich nicht um das bitten, was der Seele zum ewigen Nutzen gereicht. Was aber sind die Wechselgespräche, mittels deren Bräutigam und Braut Ein Herz und Eine Seele werden, anderes, als Buße und Reue? Bei denselben aber erhebt der Teufel 154 bisweilen ein so großes Geräusch, daß sie sich gegenseitig nicht hören. Das sind seine bösen Eingebungen, welche dem Herzen, das auf fruchtbare Weise Buße thun will, einflüstern und zu ihm sprechen: O du zarte Seele, es ist hart, Ungewohntes und Ungewöhnliches anzugreifen! Können denn alle vollkommen sein? Es genügt dir, zu sein, wie viele andere; was unternimmst du mehr? Weshalb thust du, was niemand thut? Du kannst es ja nicht ausdauernd durchführen, du wirst von allen verspottet, wenn du dich zu sehr demütigst und erniedrigst. Durch solche Eingebungen wird die Seele hintergangen und denkt bei sich: Es hält schwer, aufzugeben, was man gewohnt ist; deshalb will ich das Vergangene beichten, aber dann genügt es für mich, den Weg der Mehrzahl zu verfolgen; ich vermag nicht, vollkommen zu sein; Gott ist ja barmherzig, und er würde uns nicht erlöst haben, wenn er wollte, daß wir zu Grunde gingen. Durch solches Geräusch verhindert der Teufel die Seele, damit Gott sie nicht höre; nicht, als ob Gott nicht alles hörte, sondern weil Gott, wenn er dergleichen hört, keine Freude hat, wenn die Seele lieber ihrer Versuchung, als der eigenen Vernunft zustimmt. Die fleischliche Vereinigung des Bräutigams und der Braut bedeutet die innige Vereinigung der Seele mit Gott durch das himmlische Verlangen und die reine Liebe, in denen die Seele brennen soll alle Stunde. Allein diese Liebe wird auf vierfache Weise verhindert. Zuerst giebt der Teufel der Seele ein, etwas wider Gott zu thun, wodurch die Seele, wenn sie daran Vergnügen hat und es wenig beachtet, sich die Feindschaft Gottes zuzieht. Zweitens giebt der Teufel der Seele ein, etwas Gutes zu thun, um sich den Menschen gefällig zu bezeigen, auch zuweilen Gutes, das sie thun könnte, um der Ehre und der Furcht der Welt willen zu unterlassen. Drittens läßt der Teufel die Seele auf das Gute vergessen und Ekel daran empfinden, wodurch das Gemüt fortgerissen und überdrüssig wird, Gutes zu thun. Viertens regt der Teufel die Seele auf durch Sorge für weltliche Dinge oder durch Freude, durch überflüssigen Schmerz oder schädliche Furcht. Durch dergleichen werden die Briefe und die Gebete der Gerechten, sowie die Wechselgespräche des Bräutigams und seiner Braut verhindert. Obwohl aber der Teufel listig ist, ist Gott doch noch weiser und stärker und zerreißt die Stricke des Feindes, damit die abgesandten 155 Briefe an den Bräutigam gelangen können. Die Fallstricke zerreißen aber alsdann, wenn Gott der Seele eingiebt, das Gute zu verlangen und im Herzen den Willen zu haben, zu fliehen, was böse ist, und zu thun, was Gott gefällt. Das Geräusch, das der Feind verursacht, wird hintertrieben, wenn die Seele bescheidentlich Buße thut und den Willen hat, in die gebeichteten Sünden nicht mehr zurückzufallen. Wisse auch, wie der Teufel nicht allein die Feinde Gottes mit Geschrei und Lärmen überfällt, sondern auch Gottes Freunde, wie Du an einem Beispiele wirst erkennen lernen. Gesetzt, es sei da eine Jungfrau, die mit einem Manne ein Gespräch führt. Vor ihr ist ein Vorhang, den zwar der Mann sah, die Jungfrau aber nicht. Nachdem ihr Gespräch beendet war, schlug die Jungfrau die Augen auf, erblickte den Vorhang und dachte furchtsam bei sich selber: Möge Gott verhüten, daß ich nicht etwa durch die Fallstricke des Feindes hintergangen sei. Als der Mann die Jungfrau betrübt sah, zog er den Vorhang hinweg und zeigte ihr die ganze Wahrheit. Also werden auch vollkommene Menschen heimgesucht durch göttliche Eingebungen; der Teufel verwirrt sie dann durch ein Blendwerk; daß sie entweder in plötzlicher Hoffart sich erheben, oder durch zu große Furcht daniedergeworfen werden, oder durch ungeordnete Nachsicht die Sünden anderer dulden, oder im Übermaß von Freude oder Leid vergehen.
In ähnlicher Weise ist es mit Dir geschehen. Denn der Teufel hat etliche angeregt, Dir zu schreiben, daß jener Kriegsmann, obwohl er noch lebte, tot sei, wovon Du schweren Schmerz empfangen. Gott aber zeigte Dir seinen geistlichen Tod, so daß das, was die Schreiber leiblicherweise falsch berichtet, von Gott Dir geistlicherweise zum Troste als wahr gezeigt ward. Es ist also wahr, wenn es heißt, die Trübsale führen zu geistlichen Gütern. Denn wenn Du aus Anlaß der gehörten Lügen nicht betrübt worden wärest, wäre Dir eine so große Kraft und Schönheit der Seele nicht gezeigt worden. Deshalb war, damit Du die geheime Absicht Gottes erkennen möchtest, ein gewisser Vorhang zwischen Deiner Seele und Gott, als er redete, sowohl, weil die Seele in der Gestalt eines Hilfsbedürftigen erschien, als auch, weil Gott in aller seiner Rede Dir zu sagen vorbehielt, daß Du zu seiner Zeit erfahren werdest, 156 ob er tot sei oder lebe. Nachdem Dir aber die Schönheit der Seele und ihr Schmuck gezeigt worden, womit die Seele für den Eintritt in den Himmel ausgerüstet sein muß, ist der Vorhang hinweggethan und die Wahrheit gezeigt worden, nämlich, daß jener Mensch leiblich lebte und geistlich tot war, und mit solchen Tugenden muß ein jeglicher sich waffnen, welcher in sein himmlisches Vaterland eingehen will. Des Teufels Absicht ging aber nun dahin, Dich durch die Lügen zu prüfen und zu beunruhigen, um Dich durch den Schmerz über die Hinwegnahme eines so teuren Freundes von der Liebe Gottes hinwegzuziehen. Nachdem Du aber gesagt: Möge Gott verhüten, daß dies nicht etwa eine Täuschung sei, auch gesagt hast: Gott, hilf mir! da ist die Decke hinweggenommen und Dir von Gott sowohl die leibliche, als geistliche Wahrheit gezeigt worden. Siehe, wie auch dem Teufel verstattet wird, die Gerechten in Betrübnis zu versetzen, damit ihre Krone möge erhöht werden."
Kapitel LXXVI.
Worte der Jungfrau zur Tochter, welche sie belehren, wer die Freunde Gottes sind, und wie wenige derselben in der neueren Zeit gefunden werden, wenn man jeglichen Stand, sowohl den der Laien, als der Geistlichen, durchforscht. Was die Ursache ist, weshalb der reiche Gott die Armut geliebt, und wie er die Armen und nicht die Reichen auserwählt hat, und zu welchem Ende der Reichtum der Kirche verliehen worden.
Die Mutter sprach zur Braut Christi: "Warum bist Du bekümmert, meine Tochter?" "Weil ich," antwortete sie, "fürchte, zu den Verhärteten gesendet zu werden." Die Mutter entgegnete: "Woran erkennst Du die Verhärteten oder die Freunde Gottes?" Und sie sprach: "Ich weiß sie nicht zu unterscheiden, wage auch nicht, über irgend einen zu urteilen, weil mir zuvor zwei Menschen gezeigt sind, deren einer nach der Menschen Urteile sehr demütig und ganz heilig sich darstellte, der andere aber freigebig und ehrgeizig. Doch waren ihre Absicht und ihr Wille mit ihrer That nicht in Übereinstimmung, was meinen Verstand heftig erschreckt hat." Die Mutter antwortete: "Über das Böse, welches sich öffentlich zeigt, ist es erlaubt zu urteilen, wenn man nämlich die Absicht 157 hat, den Bösen zu bemitleiden und zu bessern. Über Zweifelhaftes aber, wovon nicht gewiß ist, in welcher Absicht es geschieht, ist es sicher, nicht zu urteilen. Darum will ich Dir zeigen, welche Leute Freunde Gottes sind.
Wisse also, diejenigen sind Freunde Gottes, welche, wenn sie von Gott Gaben empfangen haben, besorgt sind, Gott dafür zu jeder Stunde zu danken, nichts Überflüssiges zu begehren, und mit dem, was ihnen gegeben worden, zufrieden zu sein. - Allein wo werden solche Leute gefunden? Lasset uns zuerst in der Gemeinde nachsuchen. Wer ist es, der da sagen möchte: Es ist genug; ich suche nichts Größeres? Lasset uns suchen unter den Kriegsleuten und anderen Herren. Wer unter denselben denkt also: Die Güter, welche ich besitze, habe ich durch Erbschaft erworben; hievon verlange ich meinen mäßigen Unterhalt nach meinem Stande, wie er Gott und den Menschen entsprechend ist, das übrige will ich Gott und den Armen mitteilen. Sollte ich aber erfahren, daß diese ererbten Güter übel erworben seien, so würde ich dieselben entweder erstatten, oder auf den Rat auserwählter geistlicher Diener Gottes fahren lassen. O Tochter, ein solcher Gedanken ist selten auf Erden. Wir wollen auch suchen unter den Königen und Heerführern, wer von ihnen in seinem löblichen Stande verharrt. Wo ist jener König, der in seinem Wandel wie Job, in seiner Demut wie David, im Eifer fürs Gesetz wie Phinees und wie Moses in der Sanftmut und Langmut ist? Wo ist jener Heerführer, welcher des Königs Heer regiert und dasselbe zum Kriege unterweist, der Vertrauen zu Gott und Furcht hat wie Josua, der mehr seines Herrn Nutzen, als seinen eigenen sucht wie Joab, welcher den Eifer des Gesetzes und den Vorteil des Nächsten liebt wie Judas Machabäus? Ein solcher Heerführer ist dem Einhorne ähnlich, das ein spitziges Horn auf der Stirne hat und unter demselben einen kostbaren Stein. Was anders aber ist des Heerführers Horn, als ein männliches Herz, tapfer zu streiten und die Feinde des Glaubens zu schlagen? Der Stein unter des Heerführers Horn aber ist die göttliche Liebe, welche, wenn sie fortwährend im Herzen bleibt, dasselbe behende und unbesieglich macht in allen Dingen. Jetzt aber sind die Heerführer mehr mutwilligen Böcken ähnlich, als den Einhörnern; denn überall streiten sie für das Fleisch, nicht für die Seele, noch für 158 Gott. Sehen wir uns unter den Königen um! Wer unter ihnen beschwert seine Unterthanen nicht um seiner Hoffart willen? Wer bemißt seinen Stand nach den Einkünften der Krone? Wer erstattet zurück, was die Krone ungerecht festhält? Wer ist es, der sich anderer Thätigkeit begiebt, um die Gerechtigkeit um Gottes willen zu thun? Wollte Gott, meine Tochter, daß in der Welt solche Könige zum Vorschein kämen, damit Gott verherrlicht würde!
Laß uns ferner suchen unter den Geistlichen, deren Pflicht es mit sich bringt, die Enthaltsamkeit, die Armut und Andacht zu lieben; fürwahr, auch diese sind vom Wege abgewichen. Was anders sind die Geistlichen, als Arme und Almosenempfänger Gottes? Sie sollen von dem Gott Dargebrachten leben, um desto demütiger und eifriger für Gott zu sein, je weiter entfernt von den Sorgen der Welt sie sich halten müßten. Deshalb hat sie auch zuerst die Kirche aus Trübsal und Armut erhoben, damit Gott ihre Erbschaft wäre, und sie sich nicht der Welt und des Fleisches, sondern Gottes rühmen möchten. Aber, meine Tochter, hätte er nicht Könige und Heerführer zu Aposteln wählen können, damit durch sie die Kirche durch irdische Erbschaft bereichert worden wäre? Gekonnt hätte er es wohl. Aber der reiche Gott kam arm in die Welt, um durch sein Beispiel zu beweisen, wie das Irdische vergänglich sei, und damit der Mensch seines Herrn Armut lernen und sich ihrer nicht schämen, sondern dem wahren und himmlischen Reichtume sich eilends zuwenden möchte. Deshalb bediente er sich bei der überaus schönen Einsetzung der Kirche eines armen Fischers und setzte denselben an seine Stelle, damit er vom Anteile des Herrn, nicht aber von der Erbschaft in dieser Welt leben sollte. Aus drei guten Dingen also nahm die Kirche ihren Ursprung; erstens von dem Eifer im Glauben; zweitens von der Armut; drittens aus der Wirksamkeit der Tugenden und Wunder. Diese drei Dinge waren auch beim heiligen Petrus. Er besaß Glaubenseifer, als er mit freier Stimme seinen Gott bekannte, und kein Bedenken trug, für ihn zu sterben; die Armut hat er gehabt, als er umherzog und um Almosen ansprach und von seiner Hände Arbeit sich nährte. Er war aber gleichwohl reich an geistlichen Gütern, was das Größere ist, als er z. B. den Lahmen, dem er nicht Gold und Silber geben konnte, gehend machte, was keiner unter den Fürsten vermocht hätte. 159 Sollte aber Petrus, der einen Toten auferweckte, nicht auch haben Gold erlangen können, wenn er gewollt hätte? Allerdings; allein er hatte die Bürde des Reichtums abgeworfen, um leicht in den Himmel einzugehen, und um, als Meister der Schafe, den Schafen ein Beispiel der Demut zu geben, weil Demut und Armut, geistliche wie leibliche, der Eingang zum Himmel ist. Drittens hatte er die Kraft, Wunder zu wirken, weil, abgesehen von den höheren Wundern, auch durch den Schatten Petri die Kranken geheilt sind. Weil er denn nun die Vollkommenheit der Tugenden besaß, welche darin besteht, sich mit dem Notwendigen zu begnügen, so ist auch seine Zunge deshalb der Schlüssel zum Himmel geworden und sein Name im Himmel und auf Erden gesegnet. Diejenigen aber, welche ihre Namen berühmt gemacht haben auf Erden, und den Kot, d. h. das Irdische, liebten, werden auf Erden verachtet und stehen im Buche der göttlichen Gerechtigkeit auf schreckliche Weise geschrieben.
Gleichwohl aber wollte Gott zu erkennen geben, daß die Armut Petri und der anderen Heiligen keine erzwungene, sondern eine freiwillige war. Deshalb regte er die Herzen vieler an, ihnen reichlich zu spenden. Sie rühmten sich aber mehr der Armut, als der Dornen des Reichtums. Deshalb vermehrte sich auch, je größeren Überfluß an Armut sie hatten, desto reichlicher ihre Andacht. Was Wunder? Denn wie wird Gott denen fern sein können, die ihn zu ihrem Teil und ihrer Freude gesetzt haben? Wie kann aber denen, welche nach der Lust der Welt verlangten, Gott süß sein? Er war ja ein Fremdling in ihren Augen. Inzwischen aber sind im Fortgange der Zeit, damit die Freunde Gottes um so eifriger und bereitwilliger sein möchten, das Wort Gottes zu predigen, und damit man wissen möge, wie Reichtümer nicht böse sind, sondern nur deren Mißbrauch, unter Sylvester und anderen, der Kirche zeitliche Güter gegeben worden, welche heilige Männer in einer langen Zeit nur zum Unterhalte der Kirche und der Freunde Gottes und der Armen gespendet haben. Solche, wisse denn, sind Freunde Gottes, welche sich der Fügung Gottes freuen. Sind sie Dir auch nicht bekannt, so sieht sie doch mein Sohn. Denn in einem zarten Metalle wird oftmals Gold gefunden und aus einem harten Kieselstein wird häufig ein Feuerfunken herausgezogen. Gehe denn 160 also sicher dahin; denn man soll zuerst rufen und hernach handeln, da auch nicht einmal mein Sohn, während er im Fleische weilte, das ganze Judäa zugleich bekehrte, noch die Apostel zugleich und auf einmal das Heidentum, sondern man muß längere Zeit haben, um die Werke Gottes zu vollenden."
Kapitel LXXVII.
Worte der Braut zu Christo, welche die Barmherzigkeit, die Christus an ihr offenbarte, preisen. Worte Christi zur Braut, welche dieselbe Gerechtigkeit an der Braut bestätigen, und wie er sie zu einem Gefäße erwählt hat, das mit Wein gefüllt werden soll, den sie selber den Dienern Gottes zuzutrinken hat, und von einer lieblichen und demütigen Frage der Braut an Christum.
"Ehre sei dem allmächtigen Gott für alles, was erschaffen worden. Schmuck und Dienst werde ihm wiedervergolten für alle seine Liebe. Ich unwürdige Person, die ich von meiner Jugend auf vieles wider Dich, meinen Gott, gesündigt hatte, ich danke Dir, mein süßester Gott, am meisten aber dafür, daß keiner so lasterhaft ist, daß Du ihm Deine Barmherzigkeit versagtest, wenn er mit Liebe und wahrer Demut Barmherzigkeit von Dir fordert, und sich dabei vornimmt, sich zu bessern. O Du liebster, vor allen süßester Gott! wunderbar ist allen, die es hören, was Du an mir gethan hast. Denn wenn es Dir gefällt, schläferst Du meinen Körper ein, jedoch nicht mit einem leiblichen Schlafe, sondern mit einer geistlichen Ruhe. Meine Seele erweckst Du dann aber gleichsam vom Schlafe auf, um auf geistliche Weise zu sehen, zu hören und zu empfinden. O Herr Gott! wie süß sind die Worte Deines Mundes! Mich dünkt aber, daß, so oft ich Deines Geistes Worte vernehme, meine Seele dieselben mit einer gewissen Empfindung unaussprechlicher Süße in sich verschlingt, wie die lieblichste Speise, welche zu großer Freude und unaussprechlichem Troste in das Herz meines Leibes zu fallen scheint. Wunderbar aber scheint zu sein, daß, während ich Deine Worte höre, ich gesättigt sowohl, als hungrig, werde; gesättigt deshalb, weil mir dann nichts anderes gefällt, als jene Worte, hungrig aber darum, weil stets meine Begierde danach sich 161 vermehrt. Sei darum gebenedeit, mein Gott Jesu Christe und gieb mir, o Herr, Deine Hilfe, daß ich an allen Tagen meines Lebens zu vollbringen vermöge, was Dir gefällig ist."
Christus aber antwortete und sprach: "Ich bin ohne Anfang und ohne Ende, und alles ist durch meine Macht erschaffen und durch meine Weisheit geordnet; alles auch wird nach meinem Ratschlusse regiert, nichts ist mir unmöglich, und fürwahr, alle meine Werke sind mit Liebe geordnet. Deshalb ist jenes Herz gar zu hart, das mich nicht lieben, noch mich fürchten will, da ich doch beides bin, nämlich aller Menschen Ernährer und Richter. Sie thun aber den Willen des Teufels, welcher mein Henker und ihr Verräter ist, denn er hat der Welt ein so verderbliches Gift vorgesetzt, daß die Seele, welche davon mit Wohlgefallen gekostet, nicht leben kann, sondern tot in die Hölle hinabsinkt, um ewig in Jammer zu leben. Dieses Gift aber ist die Sünde; diese schmeckt freilich vielen süß . wird jedoch am Ende auf schreckliche Weise bitter. Fürwahr, dieses Gift aus des Teufels Hand wird mit Lust stündlich getrunken. Wer hat jemals dergleichen oder noch Wunderbareres vernommen? Denn den Menschen wird das Leben dargereicht, sie jedoch wählen und umfangen freiwillig den Tod. Ich aber, der ich mächtig bin über alles, habe Mitleid mit ihrem Elende und ihrer großen Bedrängnis. Ich habe gethan wie ein reicher und liebevoller König, welcher seinen vertrauten Dienern in einem Gefäße einen kostbaren Wein sandte und sagte: Setzt den Wein auch noch mehreren, als euch allein, vor, weil derselbe sehr heilsam ist; er giebt Kranken ihre Gesundheit wieder, gewährt den Traurigen Trost und den gesunden Menschen ein männliches Herz. Also habe auch ich meinen Dienern meine Worte gesendet, welche mit sehr gutem Weine verglichen werden, und sie sollen dieselben anderen geben, weil sie heilsam sind. Mit dem Gefäße aber meine ich Dich, die Du meine Worte hörst; denn Du hast beides gethan, und die Worte sowohl gehört, als weiter verkündigt; Du bist ja mein eigenes Gefäß, das ich fülle, wenn ich will, und aus dem ich schöpfe, so lange es mir gefällt. Deshalb wird mein Geist Dir zeigen, wohin Du geben und was Du reden, auch wie Du niemand fürchten sollst, außer mir. Freudig aber mußt Du gehen, wohin ich Dich senden werde, und unverzagt sagen, was ich Dir 162 auftragen werde, weil mir niemand widerstehen kann und ich bei Dir bleiben will."
Darauf redete die Braut: "Ich," sprach sie, "die ich diese Stimme vernommen, habe mit Thränen also geantwortet: O mein Herr, Gott, die ich, gleichsam der geringste Wurm, in Deiner Gewalt bin, bitte Dich, daß Du mir Erlaubnis giebst, Dir zu antworten." Die Stimme aber antwortete und sprach: "Ich habe Deine Antwort früher gewußt, als Du dieselbe gedacht hast, Gleichwohl erteile ich Dir die Erlaubnis, zu reden." Darauf sprach die Braut: "Ich frage, warum Du, o König aller Herrlichkeit, und der Du alle Weisheit eingießest und alle Tugenden wirkst und selber die Tugend bist, mich zu diesem Dienste annehmen willst, die ich meinen Leib verzehrt hatte in der Sünde, die ich an Weisheit einem Esel ähnlich und mangelhaft bin zur Übung von Tugenden? Zürne mir nicht darob, mein süßester Gott Jesu Christe, daß ich Dich also gefragt habe; denn man soll sich nicht über Dich verwundern, weil Du alles thun kannst, was Du willst; über mich aber verwundere ich mich gänzlich, weil ich Dich in vielem beleidigt, mich jedoch gar wenig gebessert habe." Die Stimme antwortete und sprach: "Ich will Dir durch ein Gleichnis antworten. Einem reichen und mächtigen Könige wurden verschiedene Münzen dargeboten; der König ließ solche nachher schmelzen und daraus machen, was ihm beliebte, z. B. Kronen und Ringe aus der goldenen Münze, Schüsseln und Trinkgefäße aus der silbernen Münze, Kessel und Pfannen aus der kupfernen Münze, und der König bediente sich derselben aller zu seiner Gemächlichkeit und Ehre. Wie Du Dich nun darüber nicht verwunderst, so mußt Du Dich nun auch ebensowenig wundern, daß ich meiner Freunde Herzen, welche mir von ihnen selber dargebracht sind, gern annehme und daraus mache, was mir gefällt. Und wenn auch etliche einen größeren Verstand, andere einen geringeren haben, so gebrauche ich doch, indem sie mir ihre Herzen schenken, einige zu dem einen und andere zum andern, alle aber zu meiner Herrlichkeit und Ehre, weil das Herz des Gerechten eine Münze ist, welche mir höchlichst gefällt; und darum kann ich über dasjenige, was mein ist, verfügen, wie ich will, und weil Du mein bist, sollst Du Dich über das nicht wundern, was ich mit Dir vornehmen will. Sei aber nur beständig und standhaft im Erdulden, 163 und willig, alles zu thun was ich Dir befehlen werde. Denn ich bin allerorten mächtig, Dir zu geben, was Du bedarfst."
[Anmerkungen]