Der Isenheimer Altar
und seine Botschaft
Birgitta von Schweden, Sermo angelicus - Der englische Lobgesang von der Vortrefflichkeit der Jungfrau Maria
Kapitel VII.
In den folgenden drei Lektionen handelt der Engel von der Buße Adams und von dem Troste, den er aus dem Vorherwissen der künftigen Erschaffung der seligen Jungfrau und deren großen Demut und Würde schöpfte. Wie Abraham, der Patriarch, und Isaak und Jakob, ingleichen alle Propheten durch die bevorstehende Geburt der verehrungswürdigen Mutter Gottes getröstet worden.
Am Dienstage. Erste Lektion
Absolution.
Vor dem bösen Feinde beschütze uns die liebevolle Jungfrau! Amen.
"Die heilige Schrift bezeugt, daß Adam, da er in der Seligkeit des Paradieses lebte, das Gebot Gottes übertreten, sie erwähnt aber nicht, daß er auch dann, nachdem er ins Elend gekommen wider den Willen Gottes ungehorsam gewesen. Daß Adam Gott von ganzem Herzen geliebt, geht in der That besonders daraus hervor, daß er, nachdem sein Sohn an seinem Bruder den Totschlag begangen, die fleischliche Genossenschaft seines Weibes mied und erst als er den Befehl Gottes vernommen, trat er mit seinem Weibe wieder in eheliche Verbindung. Es that ihm mehr leid, seinen Schöpfer beleidigt, als sich selbst in die Marter der schwersten Pein gestürzt zu haben. Es ist daraus zu erkennen, wie es nicht ungerecht gewesen sein möchte, daß, gleichwie der Zorn Gottes wegen seines Stolzes über ihn kam, da er in seinem Glücke Gott beleidigt hatte, - ihm nun auch in seinem Elende deshalb großer Trost gewährt wurde, weil er in gar schwerer Buße und wahrer Demut tief seufzte, daß er einen so gütigen Schöpfer zum Zorne gereizt hatte. Adam hätte aber durchaus keinen größeren Trost empfangen können, als da er die Versicherung erhielt, Gott wolle sich herablassen, von seinem Geschlechte geboren zu werden, um mit Demut und Liebe diejenigen Seelen zu erlösen, welche Adam, durch des Teufels Neid verderbt, aus dem ewigen Leben verstoßen hatte. Wie es aber allen Weisen unmöglich erscheinen würde, wie es denn auch ist, daß Gott, dem nur die allerehrbarste Geburt geziemen würde, einen menschlichen leib aus fleischlicher Begierlichkeit annehmen sollte, wie andere Kinder, so hat auch Adam dieses für noch unmöglicher gehalten, weil er selber ohne Lust des Fleisches geschaffen worden. Adam erkannte auch, daß es dem Schöpfer aller Dinger nicht gefallen würde, für sich auf die nämliche Weise einen menschlichen Leib zu erschaffen, wie er seinen und Evas leib erschaffen; darum glaubte er, daß Gott aus einer Person welche dem Leibe nach Eva ähnlich wäre, die aber über alle, die von einem Manne und Weibe geboren worden und geboren werden sollten, in Vollkommenheit und Tugenden hervorblühen sollte, das menschliche Fleisch annehmen, und von ihr, ohne Versehrung ihrer Jungfräulichkeit, mit der Gottheit und Menschheit auf die ehrbarste Weise geboren werden wollte. Deshalb ist dann zu erkennen, wie es auch ohne allen Zweifel geglaubt werden muß, daß, wie Adam, als er die wiederkehrende Zuneigung Gottes erkannte, über die Worte, welche Eva aus der Unterredung mit dem Teufel gelernt, großen Schmerz empfand, er auch in ähnlicher Weise, nachdem er in Schmerz und Leid geraten, über die Worte, welche Du, Maria, Du Hoffnung aller, dem Engel antworten solltest, große Freude und Trost empfand. Adam schmerzte es auch, daß Evas aus seinem eigenen Leibe erschaffener Leib ihn betrüglicherweise in den ewigen Tod der Hölle gezogen, er freute sich aber, weil er vorher wußte, daß aus Deinem Leibe, o ehrbarste der Jungfrauen, jener ehrwürdige Leib geboren werden sollte, welcher ihn und seine Nachkommenschaft mächtig zum himmlischen leben zurückführen sollte. Adam war auch betrübt, daß Eva, seine geliebte Genossin, aus übergroßer Hoffart ihrem Schöpfer ungehorsam zu werden angefangen; er war aber voll Jubel, weil er voraussah, daß Du, o Maria, seine liebste Tochter, Gott in allen Stücken gehorchen wolltest. Adam war betrübt, weil Eva aus Hoffart in Ihrem Herzen gesprochen, daß sie Gott gewissermaßen gleich sein wolle, weshalb sie zu großem Ärgernisse vor dem Angesichte Gottes und der Engel gefallen ist; er freute sich aber, weil in jenem Vorherwissen Dein Wort, in welchem Du Dich demütiglich als eine Dienerin Gottes bekennen solltest, zu Deiner großen Ehre leuchtend erglänzte. Adam war auch betrübt, weil Evas Wort Gott, ihm und seinen Nachkommen zur Verdammnis, erzürnt hatte; er jubelte aber, weil Dein Wort auf Dich und alle, die durch Evas Wort verdammt waren, Gottes Liebe zu großem Troste herabziehen sollte, denn Evas Wort hat sie und ihren Mann zu großem Schmerze aus der Herrlichkeit verstoßen, und des Himmels Pforten ihnen und ihren Kindern verschlossen, Dein gebenedeites Wort aber, o Mutter der Weisheit, hat Dich zu großeer Freude geführt und allen, welche dort eintreten wollen, die Thore des Himmels geöffnet. Wie daher die Engel des Himmels sich darüber freuten, dass sie vor der Welt Anfang voraussahen, wie du solltest geboren werden, so hatte auch Adam aus dem Vorherwissen Diener Geburt große Freude und Frohlocken.
Du aber, Herr, u. s. w."
Kapitel VIII. Am Dienstage. Zweite Lektion
Absolution.
Hilf uns, o liebenswerte Jungfrau, in den grausamen Gefahren dieser Welt! Amen.
Nachdem nun Adam aus dem Paradiese verstoßen war, erfuhr er die Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes an sich selber, so daß er Gott fürchtete wegen der Gerechtigkeit und ihn liebte alle Zeit seines Lebens wegen seiner Barmherzigkeit auf das innigste. Die Welt war ohne Zweifel in gutem zustande, solange seine Nachkommenschaft das Gleiche that. Als aber die Menschen aufhörten, die Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes in Betracht zu ziehen, vergaßen viele unter ihnen ihres Schöpfers; denn die Menschen glaubten, was ihnen gefiel, und brachten ihre Zeit abscheulich hin in der Schandbarkeit der Fleicheslust. Gott, welcher davor einen großen Abscheu hatte, tötete alle Bewohner der Welt durch eine Sündflut; diejenigen ausgenommen, welche er mittels der Arche Noahs durch seine Vorherbestimmung zur Erneuerung der Welt rettete. Nachdem sich nun das Menschenvolk aufs neue vermehrt hatte, fiel es, auf Anstiften des bösen Geistes, vom Dienste des wahren Gottes durch den Götzendienst ab, indem es sich ein Gesetz machte, das dem göttlichen Willen zuwider war. Aber Gott, durch seine barmherzige väterliche Liebe bewogen, suchte Abraham, den wahren Eiferer für seinen Glauben, heim, und macht mit ihm und seiner Nachkommenschaft einen Bund. Auch erfüllte Gott das Verlangen Abrahams und schenkte ihm seinen Sohn Isaak, aus dessen Geschlechte er seinen Sohn Jesum Christum geboren werden zu lassen verhieß. Hiernach dürfte wohl als glaublich zu erachten sein, wie dem Abraham zugleich auf göttliche Weise gezeigt worden, aß eine von den Töchtern seines Stammes eine fleckenlose Jungfrau, den Sohn Gottes gebären würde. Man glaubt auch, Abraham habe sich über diese künftige Tochter mehr gefreut, als über seinen Sohn Isaak, dieselbe auch mit größerer Liebe, als seinen Sohn Isaak umfaßt. Man soll auch erkennen, wie Abraham, der Freund Gottes, nicht aus Hoffart oder Begierlichkeit zeitliche Güter erworben, noch auch den Sohn zu leiblichem Trost begehrt habe; denn er war wie ein guter Gärtner, welcher seinem Herrn getreulich diente, einen Rebzweig in sein Land pflanzte und wohl wußte, wie zahllose Weinstöcke davon gepflanzt und ein auserlesener Weinberg daraus würde, und deshalb sammelte er Dünger, damit die Weinstöcke dadurch fett geworden, nicht welk, sondern tragbar zu guter Frucht werden möchten. Dieser Gärtner freute sich, als er zum voraus erkannte, daß aus seinen Zweigen ein so hoher und luftiger Baum sich erheben würde, daß er dem Herrn die Höchste Freude machen sollte, um der Schönheit jenes Baumes willen in den Wienberge zu lustwandeln, und daß eben dieser Herr von seinen süßen Früchten kosten und unter seinem Schatten mit Luft sitzen und ruhen würde. Unter diesem Gärtner wird Abraham verstanden, unter dem Weinrebzweige sein Sohn Isaak. Die vielen Weinstöcke, welche davon gepflanzt werden sollten, bedeuten seine ganze Nachkommenschaft. Unter dem Dünger wird der weltliche Reichtum verstanden, welchen der von Gott geliebte Abraham nur zur Unterhaltung des Volkes Gottes begehrte. Unter dem gar schönen Baume wird die Jungfrau Maria verstanden, unter dem Herrn Gott der Allmächtige, welcher nicht eher in den Weinberg, d. h. in das Geschlecht Abrahams, zu kommen beschloß, bevor der hohe Baum hervorgewachsen, d. h. die glorwürdige Jungfrau Maria, seine teuerste Mutter, zum gebärenden Alter gelangt sein würde. Ihr gar unschuldiges Leben wird verglichen mit der Schönheit, deren Anschauen Gott Vergnügen machte; ihre Gott höchlich gefallenen Werke werden unter den süßen Früchten verstanden, unter dem Schatten aber ihr jungfräulicher Leib, welchen die Kraft des Höchsten überschattete. Weil nun Abraham vorherwußte, daß diese Jungfrau, welche Gott gebären sollte, aus seinem Geschlechte hervorgehen würde, ward er durch sie mehr getröstet, als durch die heilige Hoffnung der künftigen Geburt Gottes, aus der Nachkommenschaft desselben Abraham, hinterließ der nämliche Abraham mit großem Glauben seinem Sohne Isaak als Erbteil, wie daraus erweislich hervorgeht, daß er seinen Knecht, den er nach einem Weibe für seinen Sohn aussendete, auf seine Lenden schwören ließ, d. h. auf denjenigen, welcher künftig aus seinen Lenden hervorgehen sollte, indem er dadurch zu verstehen gab daß der Sohn Gottes aus seiner Nachkommenschaft hervorgehen würde. Auch Isaak hinterließ seinem Sohne Jakob, wie man aus dem Segen ersieht, welchen er ihm erteilte, dasselbe Erbteil, das ist, den obengedachten Glauben und die Hoffnung. Als aber Jakob seine zwölf Söhne, einen nach dem anderen segnete, unterließ er nicht, seinen Sohn Juda mit der nämlichen Erbschaft zu trösten. Hierdurch wird in der That erwiesen, wie er selber, bevor etwas erschaffen ward, sich ihrer höchlichst erfreute, er ebenso auch seinen Freunden damit, daß sie geboren werden sollte, großen Trost mitteilte. So ist also, wie zuerst den Engeln und dann dem ersten Menschen, auch nachmals den Erzvätern durch die künftige Geburt der Mutter Gottes eine große Freude gewährt worden.
Du aber, Herr, u. s. w." ⋅1⋅
Anmerkung