Der Isenheimer Altar
und seine Botschaft
Joachim von Sandrart im Wortlaut
Teutsche Academie der edlen Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste
I. Teil - Nürnberg 1675
XXXVII. Matthaeus Grünewald von Aschaffenburg/ Mahler.
MAtthaeus Grünewald/ sonst Matthaeus von Aschaffenburg genant/ dörf unter allen den bästen Geistern der alten Teutschen in der edlen Zeichen- und Mahl-Kunst keinem weichen/ oder etwas nachgeben/ sondern er ist in der Warheit den fürtreflichsten und bästen/ wo nicht mehrer/ doch gleich zu schätzen. Es ist aber zu bedauren/ daß dieser ausbündige Mann dermassen mit seinen Werken in Vergessenheit gerahten/ daß ich nicht einen Menschen mehr bey Leben weiß/ der von seinem Thun nur eine geringe Schrift oder mündliche Nachricht geben könte; Damit jedoch seine Würdigkeit an Tag gebracht werde/ will ich mit besonderm Fleiß/ so viel mir bewust/ anziehen/ ohne welches ich glaube/ daß diese schöne Gedächtnis in wenig Jahren ganz völlig erlöschen würde.
Es sind bereits 50. Jahr verflossen/ daß ein sehr alter aber kunstreicher Mahler zu Frankfurt/ Namens Philipp Uffenbach/ gelebet/ der vormals ein Lehrjung des berühmten Teutschen Mahlers/ Grimers/ gewesen; dieser Grimer hat bey ermeldtem Matthaeus von Aschaffenburg gelernet/ und alles/ was er von ihme können zusammen tragen/ fleissig aufgehoben/ absonderlich hat er/ nach seines Lehrmeisters Tod/ von desselben Wittib allerhand herrliche Handrisse/ meistens mit schwarzer Kreid und theils fast Lebens-Grösse gezeichnet/ bekommen/ welche alle/ nach dieses Grimers Ableiben/ obgedachter Philipp Uffenbach/ als ein nachsinnlicher berühmter Mann/ an sich gebracht/ damals gienge ich unweit seiner Behausung zu Frankfurt in die Schul/ und wartete ihme offtmals auf/ da er mir dann/ wann er in gutem humor ware/ diese in ein Buch zusammen gesamlete edle Handrisse des Matthaeus von Aschaffenburg/ als dessen Ort er fleissig nachstudirte/ gezeigt/ und derselben löbliche qualitäten und Wolstand entdecket. Dieses ganze Buch ist nach gedachten Uffenbachs Tod von seiner Wittfrauen dem berühmten Kunstlieber/ Herrn Abraham Schelkens/ zu Frankfurt theur verkauft/ und von demselben/ neben vielen anderen herrlichen Kunst stücken/ von den bästen alten und modernen Gemählden/ raren Büchern und Kupferstichen/ die viel zu lang zu erzehlen fallen würden/ in sein berühmt Kunst-Cabinet/ zu ewiger Gedächtnis dieser ruhmwürdigen Hand/ und allen Kunstliebenden süsser Vergnügung/ gestellet worden/ wohin ich also den günstigen Leser will gewiesen haben.
Dieser fürtrefliche Künstler hat zur Zeit Albert Dürers ungefehr Anno 1505. gelebet/ welches an dem Altar von der Himmelfahrt Mariae/ in der Prediger Closter zu Frankfurt von Albrecht Dürer gefärtiget/abzunehmen/ als andessen vier Flügel von aussenher/ wann der Altar zugeschlossen wird/ dieser Matthaeus von Aschaffenburg mit liecht in grau und schwarz diese Bilder gemahlt/ auf einem ist S. Lorenz mit dem Rost/ auf den andern eine S. Elisabeth/ auf dem dritten ein S. Stephan/ und auf dem vierdten ein ander Bild/ so mir entfallen/ sehr zierlich gestellet/ wie es noch allda zu Frankfurt zu sehen. Absonderlich aber ist sehr preiswürdig die von ihme mit Wasserfarben gebildete Verklärung Christi auf dem Berg Thabor/ als worinnen zuvorderst eine verwunderlich-schöne Wolke/ darinnen Moyses und Elias erscheinen/ samt denen auf der Erden knienden Apostlen/ von Invention, Colorit und allen Zierlichkeiten so fürtrefllich gebildet/ daß es Selzamkeit halber von nichts übertroffen wird/ ja es ist in Manier und Eigenschaft unvergleichlich/ und eine Mutter aller Gratien.
Ferner waren von dieser edlen Hand zu Maynz in dem Domm auf der linken Seiten des Chors/ in drey unterschiedlichen Capellen/ drey Altar-Blätter/ jedes mit zweyen Flügeln in- und auswendig gemahlt/ gewesen/ deren erstes war unsere liebe Frau mit dem Christkindlein in der Wolke/ unten zur Erden warten viele Heiligen in sonderbarer Zierlichkeit auf/ als S. Catharina/ S. Barbara/ Caecilia/ Elisabetha/ Apollonia und Ursula/ alle dermassen adelich/ natürlich/ holdselig und correct gezeichnet/ auch so wol colorirt/ daß sie mehr im Himmel/ als auf Erden zu seyn scheinen. Auf ein anderes war gebildet ein blinder Einsidler Blat/ der mit seinem Leitbuben/ über den zugefrornen Rheinstrom gehend/ auf dem Eiß von zween Mördern überfallen/ und zu todt geschlagen wird/ und auf seinem schreyenden Knaben ligt/ an Affecten und Ausbildung mit verwunderlich natürlichen wahren Gedanken gleichsam überhäuft anzusehen; das dritte Blat war etwas imperfecter/ als vorige zwey/ und sind sie zusammen Anno 1631. oder 32. in damaligem wilden Krieg weggenommen/ und in einem Schiff nach Schweden versandt worden/ aber neben vielen andern dergleichen Kunststücken durch Schiffbruch in dem Meer zu Grund gegangen.
Joachim von Sandrart, angebliches Porträt
des "Mattheus Grünewald" in jüngeren Jahren,
Teutsche Akademie (1675) II, Buch 3
niederländische und deutsche Künstler
Tafel CC, nach Seite 214.
Lizenz: Sandrart, Joachim von,
L' Academia Todesca della Architectura, Scultura & Pittura:
Oder Teutsche Academie der edlen Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste,
Dritter Theil, Von der alt- und neu-berühmten Egyptischen,
Griechischen, Römischen, Italiänischen, Hoch- und Nider-Teutschen
Bau-, Bild- und Mahlerey-Künstlere Lob und Leben. Nürnberg: 1675
Universiätsbibliothek Heidelberg,
als gemeinfrei gekennzeichnet.
Es soll auch noch ein Altar-Blat in Eysenach von dieser Hand seyn/ und darinnen ein verwunderlicher S. Antonio, worinnen die Gespenster hinter den Fenstern gar artig aus gebildet seyn sollen; Ferner haben Ihre Fürstl. Durchl. Herzog Wilhelm in Bayern hochseligsten Andenkens/ als vernünftiger Urtheiler und Liebhaber der edlen Kunst ein klein Crucifix mit unser lieben Frauen und S. Johann/ samt einer niderknienden und andächtigbetenden Maria Magdalena/ so fleißig gemahlt von dieser Hand gehabt/ auch sehr geliebt/ ohne daß sie gewust/ von wem es sey/ selbiges ist/ wegen des verwunderlichen Christus am Creutz/ so ganz abhenkend auf den Füssen ruhet/ sehr seltsam/ daß es das wahre Leben nicht anderst thun könte; und gewiß über alle Crucifix natürlich wahr und eigentlich ist/ wann ihm mit vernünftiger Gedult lang nachgesonnen wird/ solches ist deswegen halb-Bogen groß/ auf gnädigen Befehl hochgedachten Herzogs/ Anno 1605. von Raphael Sadler in Kupfer gestochen worden/ und erfreute sich hernachmalen Ihre Churfürstl. Durchl. Maximilian seligster Gedächtnis höchlich/ da ich des Meisters Namen geoffenbaret.
Wiederum gehet in Holzschnitt aus die Offenbarung des heiligen Johannes/ ist aber übel zu bekommen/ und solle auch von dieser Hand seyn/ gleichfals ist zu meiner Zeit in Rom ein heiliger Johannes mit zusammen geschlagnen Händen/ das Angesicht übersich/ ob er Christum am Creutz anschauete/ gewesen/ überaus andächtig und beweglich/ in Lebens-Grösse/ mit herrlicher gratia, so aestimirt/ und auch hoch für Albert Dürers Arbeit geschäzt worden; da ich aber/ von wem es wäre/ erkandt/ und den Unterschied der Manier gezeigt/ habe ich gleich hintenher mit Oelfarbe (womit ich eben damals des Papsts Contrafät machte) dessen Namen also setzen müssen: Matthaeus Grünwald Alemann fecit. Und das ist es nun/ was von dieses fürtreflichen Teutschen Kunst-Stucken mir bewust/ ausser daß er sich meistens zu Maynz aufgehalten/ und ein eingezogenes melancholisches Leben geführt/ und übel verheiratet gewesen; wo und wann er gestorben/ ist mir unbekandt/ halte doch darfür/ daß es um An. 1510. geschehen/ sein Contrafät zeiget die Kupferblatte Cc.
XXXVIII. Hans Grünewald/ Mahler
Hans Grünewald/ Mahler. ZUr selbigen Zeit war noch ein anderer fürtreflicher Mann/ genant Hans Grünewald/ von deme eben so wenig/ als von erzehltem Matthaeus von Aschaffenburg bekandt/ ausser/ daß die obgemeldte Altar-Flügel auf des Albrecht Dürers Tafel/ welche auswendig Matthaeus von Aschaffenburg gemahlt/ inwendig von Hans Grünewald kunstreich und fleißig gemacht worden. Mehr hat man etliche Zeichnungen von seiner Hand/ wie ingleichen in Holzschnitt etliche feiste sitzende nackende Weiber bey dem Feuer mit einem Schmierhafen/ Ofengabel und Geißböcken/ als ob sie jezt auf ihre Hexen-Tänze fahren wolten/ und noch viele dergleichen Sachen. Ein mehrers ist mir von dieses Künstlers Leben und Tod nicht bewust/ gleichwol hab ich ihn würdig geschäzt/ daß er andern berühmten Meistern beygesezt/ und also dem Zahn neidiger Zeiten entzogen/ hingegen sein Kunst- und Tugend-Gerüchte/ durch den löblichen Trompeten-Schall der dienstbaren Fama, wiederum erwecket und herfür gebracht werden möchte. ⋅1⋅
II. Teil - Nürnberg 1679
Joachim von Sandrart, angebliches Porträt
des "Mattheus Grünewald" in älteren Jahren ,
Teutsche Akademie (1679) III (Malerei), Tafel 4, nach S. 68.
Lizenz: Sandrart, Joachim von,
L' Academia Todesca della architectura,
scultura & pittura oder Teutsche Academie der edlen
Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste (Bd. 2,3): ...
Der Edlen Mahler-Kunst rechten Grund,
Eigenschafften und Geheimnisse... erörtert. Nürnberg 1679.,
Universiätsbibliothek Heidelberg,
als gemeinfrei gekennzeichnet.
VOn diesem vortrefflichen hochgestiegenen Geist und verwunderlichen Meister/ haben wir in unserm vorigen Buch am 236. Blat/ seiner überfliegenden Erfahrenheit/ zum Nachruhm/ weitläufftige Meldungen gethan; Was er nemlich für herrliche Wercke/ zu Franckfurt/ bey den Prediger-München/ gemahlt: als/ zum Exempel/ auf ein Altar-blat die seelige Elisabeth/ S. Stephan/ S. Lorentz/ und N. oberhalb dessen auch die Verklärung unsers seligmachers Jesu Christi/ auf dem Berge Thabor/ da Ihme Moses und Elias in den Wolcken erschienen/ imgleichen auch unten an dem Berge die in Furcht gantz verzuckte Apostel/ wie nicht weniger die zu Mayntz im Thum gestandene/ von den Schweden aber hinweg genommene Altäre; und was sonst von ihme/ der berühmte Vatter aller Künste/ Herr Peter Spiring von Nordtholm/ im Gravenhaag in seinen berühmten Händen gehabt. Massen hiervon/ bey Herrn Abraham Schelkens zu Franckfurt/ die meiste von seiner eigenen Hand aufs allervollkommenste gezeichnete Modelle/ annoch zu ersehen geben/ was dieser für ein ungemeiner Meister gewest/ bey dem Natur und Geist Wunder gethan. Ich meines Theils/ habe so viel hiervon Bericht gethan/ als ich erfahren können/ und auch dem vorigen Theil/ sein Contrafait/ mit eingefügt: welches Albrecht Dürrer nach ihme damals/ wie sie Jacob Kellers Altar/ in obgedachter Prediger-Münch-Kirchen zu Franckfurt ausgericht/ verfertigt. Wie in der Platte CC. zusehen. Weil aber selbiges/ nach seiner damaligen Jugend/ gebildet ist; und seit dem der curiöse Hr. Philipp Jacob Stromer/ ein Herr des Raths hiesiger hochlöbl. Reichsstadt/ in seinem berühmten Kunst-Cabinet/ ein noch älters und perfecters Contrafeyt von gedachtem Meister mir gezeiget: als habe ich billich solches/ diesem hochgestiegnem teutschen Correggio zu Ehren/ hie in der Platt. 4. beyfügen/ und theilhafftig machen wollen. ⋅2⋅
Anmerkungen