Der Isenheimer Altar

und seine Botschaft


Zurück-Button Das "Hôtel-Dieu" in Beaune

"Ich, Nicolas Rolin, Ritter, Bürger der Stadt Autun, Lehensherr von Authume in der Dilzese von Besançon, Kanzler von Burgund, lass an dieem Tage, dem 4.ten August 1443, alle menschlichen Besorgnisse beiseite und denke bloss an mein Seelenheil. In dem Bestreben, die mir vom Wohlwollen Gottes gegebenen irdischen Güter gegen die himmlichen Güter zu vertauschen und zwar durch eine glückliche Transaktion, gründe, errichte und erbaue für immer und unwiderruflich in der Stadt Beaune in der Diözese von Autun ein Krankenhaus für die Armen und Kranken mit einer Kapelle zu Ehren Gotes und seiner Mutter, der heiligen Jungfrau, und zum Gedächtnis St. Antons, dem es geweiht sein wird. Zu diesem zweck gebe ich alle die mir von Gott gewährten Güter" ⋅1⋅

Ein Blick in die Geschichte

Mit diesen Worten beschreibt Kanzler Nicolas Rolin seine Motivation und die Gründung des Hospitals in Beaune. Mit Unterstützung seines Herren, des Herzogs Philipp des Guten, errichtet er das Spital bei den herzoglichen Hallen,

"... von denen es nur durch eine Straße getrennt war, außerdem bei dem Obstgarten der Franziskaner, wobei das Grundstück des Hôtel-Dieu den Fluß Bouzaise einschloß." ⋅2⋅

Mit 1000 Tourainer Pfund jährlicher Rente, die den Einnahmen  aus der "Grossen Saline von Salins" entstammten, stattete er die Stiftung reich aus.

Die Leitung der Einrichtung oblag einem maître der einer Gemeinschaft von "frommen Frauen", den "Béguines venues de Malines", vorstand. Die Ordensregel dieser Gemeinschaft stammt aus dem Jahre 1459.

Zwei Kaplänen wurde die Ordnung des geistlichen Lebens anvertraut während Kanzler Rolin höchstpersönlich die Weiterentwicklung des "Hôtel-Dieu" überwachte. Nach seinem Tode im Jahre 1461 wurde seine Gemahlin, Guigone de Salins, mit der Sorge für das weitere Wohl des Hospiz betraut.

Dank der Großzügigkeit vieler Bewohner der Region erhielt das Spital im Laufe der Zeit eindrucksvollen Grundbesitz vermacht. Zusätzlich hat die im 17. Jahrhundert erfolgte Zuweisung von Vermögen umliegender kleinerer Krankenanstalten und des Spitals von Meursault die finanzielle Ausstattung des Hospiz weiter verbessert.

Bis 1958 war das "Hôtel-Dieu", in Betrieb. Durch all die Jahrhunderte hindurch hielt man sich an die von Kanzler Rolin anlässlich der Einweihung verfügte Grundregel: Arme, Schwache und Kranke werden auf Kosten des Hospiz aufgenommen, ernährt und gepflegt.

Die Gebäude sind einer aufwendigen Restaurierungs- und Instandhaltungsarbeit unterzogen worden. Für uns sind sie deshalb so wichtig, weil sich hier ein mittelalterliches Spital weitestgehend im Originalzustand erhalten hat.

Zur Konzeption der Anlage

Je nach ihrer Bestimmung sind der aus dem 15. Jahrhundert stammende Nord- und der Südflügel des "Hôtel Dieu" unterschiedlich konzipiert. Möglicherweise hat sich der Architekt dieser Hauptgebäude, Jacques Wiscrère, vom Spital "Saint-Jacques" in Valenciennes inspierieren lassen. Im 17. und 18. Jahrhundert wurden weitere Seitenflügel errichtet, die sich ins Gesamt der Anlage recht harmonisch einfügen und nun gemeinsam mit den mittelalterlichen Bauten ein Viereck mit einem Innenhof bilden.

Der Nordflügel vereinte die Wohn- und Schlafräume der Ordensschwestern mit den verschiedensten Versorgungseinrichtungen. Alles in allem entstand hier eine originelle, "luftige" Architektur, die unter anderem durch der Fassade vorgesetzte Galerien und das Aufsetzen von "Lukarnen" auf das Dach erreicht wurde.

Ganz anders der große Krankensaal. Er befindet sich im Südflügel, einem imposanten Bau der durch den schlanken Turm und ein Vordach betont wird, und besticht durch seine Nüchternheit und Geschlossenheit. Dies entspricht den Vorgaben der Mediziner der damaligen Zeit.

Die am meisten gefürchteten Geißeln der Menschheit zur Zeit Nicolas Rolins waren - neben den Kriegen - die Pest-, Masern und Grippeepidemien. Man ging davon aus, dass sich diese Krankheiten besonders gut in schlechter Luft ausbreiten konnten. Giftige Ausdünstungen verbreiteten nach damaliger Auffassung diese Krankheiten. Deshalb musste ein Krankensaal vor der von außen eindringenden unreinen Luft abgeschottet werden. Nur wenige und auch nur kleine Öffnungen waren zugelassen. Da sich die Luftmasse im Inneren dadurch nur langsam austauschen konnte, hat man versucht, sie durch aromatische Duftstoffe und Kräuterauszüge wie Weihrauch und Kampfer oder Ähnliches zu reinigen.

Die Proportionen und die Einrichtung dieses Krankensaales sind mit denen des Spitals in Tonnere zu vergleichen. Der Grundriss beträgt 72 x 14 m und die Höhe 20 m. Ein in Kastanienholz paneeliertes Tonnengewölbe bildet die Decke und wird durch bemalte Stützbalken gegliedert. Diese Stützbalken scheinen geradezu aus den Rachen mittelalterlicher Fabelwesen herauszuwachsen.

Jeweils 15 Betten stehen an den Längsseiten aneinander gereiht. Sie sind durch Zwischenwände und Vorhänge voneinander getrennt. Zog man die Vorhänge auf, konnten die Kranken vom Bett aus die Messe am Altar an der Stirnseite des Saales verfolgen.

Erwähnt sei hier nur der Vollständigkeit halber, dass das Hospiz im 17. Jahrhundert auf 160 Betten erweitert wurde. Mit großem finanziellem Aufwand schuf man weiteren Raum zur Unterbringung der Bedürftigen. Um 1645 wurde der Saal 'Saint-Hugues' mit seinen 12 Betten eingerichtet. Ermöglicht wurde dies durch eine Spende des Vorsitzenden der Finanzabteilung im Parlament von Paris, dem gebürtigen Beauner Hugues Bétault. Im Jahre 1658 stellte der junge Ludwig XIV. die notwendigen Mittel zur Verfügung, um im Saal 'Saint-Nicolas' "die Pflegestation der armen dem Tode geweihten Kranken zu erweitern und eine Trennung von weiblichen und männlichen Patienten zu ermöglichen. Drei Jahre später kam der Saal 'Saint-Louis' hinzu.

Rogier van der Weydens "Jüngstes Gericht"

Von besonderer Bedeutung in unserem Zusammenhang ist der Umstand, dass auch für dieses Spital ein großes Altarwerk geschaffen wurde. Rogier van der Weyden malte um 1444-1449 einen Flügelaltar der auf der Innenseite eine Darstellung des "Jüngsten Gerichts" enthält - ein Gemälde, das in seinem Aufbau ganz eng verwandt ist mit dem Gerichtsgemälde Martin Schongauers im Breisacher Münster.

Zur noch ganz mittelalterlich streng symmetrischer Komposition stehen die plastisch modellierten Figuren und die Akte, denen man im 19. Jahrhundert übrigens - mittlerweile wieder entfernte - Hosen malte, in einigem Kontrast.

Gesamtansicht des Polyptychons

Rogier van der Weyden: "Jüngstes Gericht"

Lizenz: Rogier van der Weyden artist QS:P170,Q68631,
Beaune-Hôtel Dieu-Salle Saint Louis-Jugement Dernier-2016029, CC BY-SA 4.0

Die in leuchtenden Farben gehaltene Szene ist auf ein dreiteiliges Mittelteil und sechs Flügel verteilt. In der Mitte ist der Erzengel Michael dargestellt, der die Menschen mit seiner Waage wiegt. Begleitet wird er von vier Trompetenengeln, die zum Gericht blasen. Über Michael thront Jesus auf einem Regenbogen, von je zwei Engeln, die die Marterwerkzeuge tragen, flankiert. Maria und Johannes der Täufer halten Fürbitte. Die Apostel und andere ihnen vom Künstler zur Seite gestellte Personen - darunter ein Papst, der Herzog von Burgund und einige noble Damen und Würdeträger - heben sich vom prachtvollen goldenen Untergrund ab. Im unteren Bereich des Altarbildes sieht man, wie die Toten aus ihren Gräbern auferstehen. Nachdem sie entsprechend der Schwere ihrer Sünden oder ihrer Tugenden gewogen wurden, ziehen sie, je nach dem Ausschlag des Züngleins an der Waage, in Richtung der flammenden Hölle oder der Himmelspforte, die übrigens einige Ähnlichkeit mit dem Portal des Hôtel-Dieu aufweist.

Ansicht des geschlossenen Altares

Rogier van der Weyden: "Jüngstes Gericht" - Geschlossener Altar.

Lizenz: Daniel VILLAFRUELA, Beaune-Hôtel Dieu-Salle Saint Louis-Revers du Jugement Dernier-2016029,
zugeschnitten von Jörg Sieger, (CC BY-SA 4.0)

Im Gegensatz zu diesem wahren Feuerwerk der Farben ist der geschlossene Altar in wesentlich gedeckteren Farbtönen gehalten. Er zeigt unter anderem die Porträts des Kanzlers Nicolas Rolin und seiner Gemahlin Guigone de Salins.

Zurück-Button Literaturhinweise

Raymond Oursel, Hostel Dieu de Beaune 1443 (Lyon 1968),
Barbara Stephan, Stiftung und Stifter im 15. Jahrhundert. Das Hôtel-Dieu in Beaune und das St. Nikolaus-Hospital in Cues, Tübingen 1999 (Masterarbeit 1999 - Historisches Seminar Tübingen) 31 = http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-opus-7372 (abgerufen am 22. April 2020).

Anmerkungen

1 Nicolas Rolin, Stiftungsurkunde, zitiert nach: Raymond Oursel, Hostel Dieu de Beaune 1443 (Lyon 1968) 3, Original wiedergegeben in; Barbara Stephan, Stiftung und Stifter im 15. Jahrhundert. Das Hôtel-Dieu in Beaune und das St. Nikolaus-Hospital in Cues, Tübingen 1999 (Masterarbeit 1999 - Historisches Seminar Tübingen) 30 = http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-opus-7372 (abgerufen am 22. April 2020). Zur Anmerkung Button

2 Barbara Stephan, Stiftung und Stifter im 15. Jahrhundert. Das Hôtel-Dieu in Beaune und das St. Nikolaus-Hospital in Cues, Tübingen 1999 (Masterarbeit 1999 - Historisches Seminar Tübingen) 31 = http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-opus-7372 (abgerufen am 22. April 2020). Zur Anmerkung Button