Der Isenheimer Altar
und seine Botschaft
Guido Guersi
- Die schriftlichen Zeugnisse
- Das Wappen Guido Guersis
- Das Wappen auf dem Antonius-und-Paulus-Bild des Isenheimer Altares
- Ein Porträt Guido Guersis?
Der Heilige Antonius im Gespräch mit dem
Einsiedler Paulus - Detail des geöffneten Altares
Es gibt nur wenige schriftliche Zeugnisse, die uns über Guido Guersi informieren. Emil Spath hat sie zusammengetragen. ⋅1⋅
Die schriftlichen Zeugnisse ⋅2⋅
Erstmals wird Guido Guersi in einer Isenheimer Schenkungsurkunde von 1471 als Zeuge erwähnt. Belegt ist hier die Herkunft des "Bruder Guido Guersi" aus der Dauphiné:
"... Frater Guido Guersi de Delphinato..." ⋅3⋅
Das zweitemal erscheint sein Name in der am 11. April 1480 ausgestellten Urkunde. Es geht hierbei um eine Messe, die Präzeptor Jean d'Orlier gestiftet hatte. Jetzt wird Guido Guersi mit seiner Amtsbezeichnung, nämlich als Sakristan, bezeichnet:
"...Guidoni Guersii sacriste..." ⋅4⋅
Der Sakristan folgte 1490 Jean d'Orlier, der aus unbekannten Gründen auf das Amt verzichtete, als Vorsteher der Isenheimer Niederlassung nach. Am 9. Juli 1490 wurde durch Papst Innozenz VIII. das Präzeptorenamt Guido Guersis bestätigt. Dies ist die dritte Erwähnung, die uns überliefert ist.
"dilecto filio Guidoni Guersi, preceptori domus sancti Antonii de Ysenhem ..." ⋅5⋅
Emil Spath führt des weiteren folgende Notiz an, die Guido Guersi mit einer Margerethen-Kapelle in Verbindung bringt.:
"En 1493, Guido Guersi avait renouvelé la fondation de la chapellenie Sainte-Marguerite de l'église d'Issenheim..." ⋅6⋅
Noch einmal wird Guido Guersi im Zusammenhang mit einer spätestens 1505 getätigten Jahrtagsmesse-Stiftung erwähnt:
"... anniversarium Joannis Beck procuratoris, qui obiit anno M. quingentesimo 5to die decima sexta Aprilis, qui ob remedium animae suae suorumque praedecessorum de licentia reverendi patris et domini Guidonis Guersi, pro tunc praeceptoris, legavit fratribus et conventui in Ysenheim ..." ⋅7⋅
Aus der Zeit nach Guido Guersis Tod haben wir einige weitere Zeugnisse. So findet sich in einer Gebweiler Chronik, die der Dominikaner Hans Stoltz um 1540 verfasst hat, folgender Vermerk:
"Taussend fünf hundert sechzehen Jar auf Zinstag vor St. Matheysztag starb der Zepter zu St. Themgen zu Ißenheim, er was ein frommer man. Und ließ bauwen den glocken thurn, den hohen gabel die gewelb in der Kürchen unnd die Thaffel auf dem From Altar, er hett St. Theny groß ehr erbotten." ⋅8⋅
Dieser Hinweis ist schon deshalb wichtig, weil er belegt, dass unter Guido Guersi der Turm und die Giebelfront der Kirche errichtet, die Gewölbe - sind damit die Gewölbe im Kirchenschiff gemeint? - eingezogen und die Tafeln für den Altar beschafft wurden.
Im Präzeptorenverzeichnis des Jahres 1574 wird Guido Guersi als "Vater" bezeichnet. Diese Ehrenbezeichnung wird ansonsten nur noch Jean Bertonneau zuteil. Ausdrücklich wird er Wohltäter des Hauses genannt und sein Begräbnisplatz vor dem Altar der Heiligen Magdalena und des Heiligen Bartholomäus angegeben:
"Item reverendus pater et dominus Guydo Guersi preceptor fuit anno domini MVCXVI, XX. vero die februarii; quiquidem fuit benefactor, amator et restaurator huius domus. Sepultus est ante altare sanctae Magdalene et sancti Bartholomei ..." ⋅9⋅
Ein weiteres Präzeptorenverzeichnis, das nach 1670 entstanden ist, gibt folgende Auskunft:
ehemaliges Grabmal für Jean d'Orlier und Guido Guersi.
Foto: Jörg Sieger, Juli 2003
"1493 - Guido Guersi ecclesiam mirifice illustravit edificiis ornamentis, auctor est iconis ad altare maius, sedilium in choro, sacristiae, omnium fere vestium sacerdotalium, ecclesiam ampliavit navi et collateralibus inchoatis et fere perfectis, ut ex eius insignibus undique micantibus lucet in Isenheim, mortuus 19. februarii - 1516" ⋅10⋅
Hier wird der heute noch erhaltene Chor-Doppelstuhl erwähnt, der im Jahre 1493 unter Guido Guersi geschaffen wurde. Auch dass er Messgewänder und liturgische Geräte angeschafft die Kirche fertiggestellt und an vielen Stellen sein Wappen angebracht hat.
Um 1600 errichtete dann der Isenheimer Administrator Franciscus Beer ein Grabmal für die beiden Präzeptoren Jean d'Orlier und Guido Guersi. Es ist heute noch, im Nachfolgebau der 1831 abgebrannten Isenheimer Kirche fragmentarisch erhalten. Die Figurengruppe, die ursprünglich die beiden Antoniterpräzeptoren unter dem Kreuz darstellte, wurde allerdings von den Jesuiten in ihrem Sinne uminterpretiert.
Heinrich Alfred Schmid überliefert die zugehörige Inschrift:
"AD LAUDEM DEI OPT. MAX:
FAVORE CUIUS EX VETUSTATE · HANC · D: ANTONII AEDEM · M ·
RELIGIOSI DD : JOHANNES DE ORLIACO ET GUIDO GUERSI
AMBO SIBI SUCCEDENTES HUIUS DOMUS PRAECEPTORES · AD
NITIDIOREM FACIEM · OPERE CULTUQ SPLENDIDIOREM
NON TANTUM REDUXERUNT · SED ET MULTIS DONIS SPECIALI EX
ZELO SUO · POSTERIS IN EXEMPLUM AUXERUNT
BONIS PROPRIIS IN EUM · M RARO EXEMPLO : COLLATIS : HINC
AETERNIT ATI FAUTOR EORUNDEM HAEC COMMENDARE STUDENS
RELICTO HOC MONUMENTO MERITIS (LI)CET IMPARI SUMPTU
F. F. ANNO UT SUPRA. " ⋅11⋅
Das Wappen Guido Guersis
Schlussstein aus der Isenheimer Porterie.
Foto: Jörg Sieger, Juli 2003
Neben diesen schriftlichen Dokumenten und dem bereits erwähnten Chor-Doppelstuhl mit der Jahreszahl 1493 gibt es noch weitere Hinweise auf die Tätigkeit des Isenheimer Präzeptors. An den Conventsgebäude der Commanderie de Saint-Antoine de Froideval pres Belfort, einer Einrichtigung, die zur Generalpräzeptorei Isenheim gehörte, prangten die Wappen des Guido Guersi. Sie waren dort, zusammen mit der Jahreszahl 1496, angebracht und belegen das Wirken des Präzeptors auch außerhalb seines Isenheimer Hauses. ⋅12⋅
Solch ein Wappenstein hat sich auch Isenheim selbst erhalten. Im Torgebeäude, dem einzigen heute noch erhaltenen Teil der alten Anlage, findet sich ein Schlussstein, am Scheitelpunkt eines niedrigen Gewölbes, der vermutlich angibt, das unter Guersis Amtszeit dieser Teil der Anlage mit einem Gewölbe versehen wurde. ⋅13⋅
Dieser Schlussstein zeigt ein sehr reich ausgestaltetes Wappen, das einige Fragen aufweist. Vor allem die Lilien verlangen nach einer Erklärung. Die Lilien der Krone Frankreichs und ihrer Nebenlinien durfte nur führen, wem sie ausdrücklich verliehen wurden. Dass Guido Guersi selbst die französischen goldenen Königslilien erhalten hatte, ist höchst unwahrscheinlich. Vermutlich waren sie bereits Grundbestandteil des Wappens der Familie, entweder aufgrund einer blutsmäßigen Verbindung mit dem Königsgeschlecht der Capetinger, das von 987 an in direkter Sohnesfolge und ab 1328 in der Nebenlinie der Valois regierte, oder aber durch Einheirat in diese Familie. Natürlich bleibt auch die Möglichkeit, dass einem der Vorfahren Guido Guersis diese Lilien aus uns unbekanntem Grund verliehen wurden. ⋅14⋅
Schlussstein aus der
Isenheimer Antoniterkirche -
heute im Unterlindenmuseum
in Colmar.
Foto: Jörg Sieger, Januar 2007
Zwei Spuren gilt es hier zu verfolgen: Guido Guersi stammte aus der Dauphiné. Dies bringt die Familie in eine gewisse Nähe zu den Valois. Der spätere Karl V. hatte 1349 die Dauphiné erworben und in der Folge zur Apanage der französischen Dauphins gemacht. Die Herkunft aus der Dauphiné könnte ein Hinweis auf eine Verbindung zu den Valois sein. ⋅15⋅
Das Schrägkreuz hingegen weist in die Richtung der Familie Anjou. Karl, der 1220 geborene Bruder des französischen Königs Ludwig IX., war seit 1246 Graf von Anjou und Herr der Provence. Von 1265 bis 1285 war er zudem König von Sizilien. Er fügte die schrägkreuzartigen Balken in das Wappen der Anjou ein. So könnte das Schrägkreuz zusammen mit den Lilien von den Anjou her in das Wappen der Guersis Eingang gefunden haben. ⋅16⋅
Die fünf Muscheln wären dann ein eigenes Wappensymbol der Familie.
Guido Guersi hat nun als Präzeptor der Antoniterniederlassung in Isenheim dieses Wappen durch das T-Kreuz der Antoniter, das er im Zentrum einfügte, erweitert. ⋅17⋅
Wappendarstellung auf einem
der Katharina- und
Laurentiusaltarflügel - heute im
Unterlindenmuseum in Colmar.
Foto: Jörg Sieger, April 2006
An einer weiteren Stelle fand sich das Wappen des Antoniterpräzeptors in Isenheim. Er fand sich - nach Emil Spath - ursprünglich wohl am Schlussstein des vierten, hintersten Jochs der Kirche. Heute wird dieser Stein im Unterlindenmuseum in Colmar verwahrt. Da dieses Wappen zudem die Jahreszahl 1510 trägt, ist es für Spath ein Hinweis darauf, dass um dieses Jahr herum der hinterste Teil des Kirchenschiffes eingewölbt worden ist - also etwa sechs Jahre vor dem Tod des Präzeptors Guersi und wohl zwei Jahre bevor Mathis Gothart Nithart in Isenheim den Retabelbilderzyklus zu malen angefangen hat. ⋅18⋅
Im Vergleich zur oben erwähnten Fassung am Isenheimer Torgebäude, bei der der Wappenschild in Tartschenform mit zwölf goldenen Lilien in der königsblauen Grundfläche wiedergegeben ist, fallen hier einige Veränderungen auf.
Die Schildfläche ist hier azurblau und die Zahl der goldenen Lilien ist - egal ob ganz oder in ihrer Form zerteilt dargestellt - insgesamt stark vermehrt. Alles zusammengenommen sind hier siebzehn ganze oder teilweise dargestellte Lilien zu finden. ⋅19⋅
Noch einmal anders ist das Wappen auf den im Unterlindenmuseum aufbewahrten Flügeln des Katharina- und Laurentius-Retabels abgebildet.
Reste der Wappendarstellung auf
einem Marienaltarflügel - heute
im Unterlindenmuseum in Colmar.
Foto: Jörg Sieger, September 2004
Diese gemalte Fassung des Wappens zeigt insgesamt sechzehn Lilien. Auch hier sind wieder einige ganz, andere aber nur in Teilen abgebildet. Ansonsten entspricht das Wappen in etwa der Form des Schildes, der auf dem Schlussstein der Antoniterkirche dargestellt ist. ⋅20⋅
Diesem ähnlich ist auch die Wappendarstellung, die Guido Guersi nachträglich auf einem der Schongauer-Flügel des Marienretabels hatte anbringen lassen. Das Wappen seines Vorgängers, Jean d'Orlier war - dem Stifter des Altares entsprechend - zu Füßen der Antoniusfigur dargestellt worden. Guido Guersi ließ seinen Wappenschild auf dem gegenüberliegenden Flügel aufmalen. Allerdings wurde diese Darstellung zwischenzeitlich wieder entfernt. Sie ist nur noch schwach zu erkennen und deshalb hier auch nur mit Vorbehalt in die Aufzählung der Wappendarstellungen einzureihen. Sichtbar ist aber immer noch, dass das Wappen in dieser Form zwölf Lilien aufweist. ⋅21⋅
Und noch eine weitere Wappendarstellung ist uns erhalten geblieben. Sie findet sich auf den Flügeln des Isenheimer-Altares und dies in einer ganz eigenen Form.
Das Wappen auf dem Antonius-und-Paulus-Bild des Isenheimer Altares
Dies ist die eigenartigste Fassung des Präzeptorenwappens. Die Wappenschildform ist völlig anders, als die der anderen Wappendarstellungen. Für die Grundfläche ist ein tiefdunkles Blau gewählt und die Zahl und Anordnung der Lilien unterscheidet sich. Seltsam muten die zwei senkrecht halbierten Lilien im Wappenstamm an. Unter der mittleren Muschel auf der roten X-Figur findet sich hier auch kein Antoniterkreuz. Diese Muschel steht zudem nicht mehr aufrecht, sondern erscheint nach links - vom Betrachter aus nach rechts - gedreht. ⋅22⋅
Sind diese gravierenden Änderungen zufällig? Emil Spath vermutet hinter ihnen eine tiefe Symbolik. Im Zusammenhang mit der Deutung der Bildtafeln des Isenheimer Altares werden wir auf diese Frage zurückkommen.
Ein Porträt Guido Guersis?
Der Wappenschild
des Guido Guersi auf dem
Antonius-und-Paulus-Bild
des Isenheimer Altares.
Wichtig ist in unserem Zusammenhang vor allem, dass dieses Wappen zu Füßen des Heiligen Antonius dargestellt ist. Auf der betreffenden Tafel des Isenheimer Altares wird ja eine Szene aus der Antoniuslegende beschrieben:
Antonius besucht den Eremiten Paulus in dessen hundertdreizehntem Lebensjahr, nachdem ihm dies im Traum geboten worden war. Zu Füßen des sitzenden Heiligen lehnt nun der Maler diesen Wappenschild an den Stein. Von daher wurde und wird immer wieder vermutet, dass der Maler der Altarflügel der sitzenden Antoniusgestalt die Züge des Antoniterpräzeptors Guido Guersi verliehen hat. Im Bild des Heiligen Antonius hätten wir demnach ein Bild des Präzeptors vor uns, der zur Zeit der Entstehung der Altarflügel die Isenheimer Niederlassung leitete.
Wäre dies der Fall, dann wäre, obschon die Biographie dieses Mannes so viele weiße Seiten enthält, zumindest ein Bild des Guido Guersi der Nachwelt überliefert.
Der Legende nach - und diese Szene liegt der betreffenden Bildtafel des Isenheimer Altares zugrunde - war Antonius zur Zeit seines Besuches beim Einsiedler Paulus ein Greis von 90 Jahren. Demnach liegt die Vermutung nahe, dass der Maler die Züge des Antoniterpräzeptors gealtert wiedergibt. Stellte Mathis Nithart Gothart Guido Guersi tatsächlich nicht nach der Natur, sondern - der dargestellten Szene entsprechend - weitaus älter dar? Sollte dies der Fall sein, wirft das eine weitere Frage auf.
Es gibt nämlich noch eine weitere Antoniusdarstellung auf den Tafeln des Isenheimer-Altares. Auf einem der Standflügel ist ein etwas anderer Antonius abgebildet. Auf dem ersten Blick hat er mit dem Antonius auf dem Antonius-und-Paulus-Bild wenig gemein. Viele Erklärer der Bildwerke sprechen davon, dass der Mathias Grünewald genannte Maler sich nie wiederholte und deshalb den Gesichtern auch der jeweils gleichen Personen immer wieder unterschiedliche Züge verlieh.
Der Heilige Antonius im Gespräch
mit dem Einsiedler Paulus - Detail
des Isenheimer Altares (geöffneter Altar).
Der Heilige Antonius - Detail
eines der Standflügel des Isenheimer
Altares (geschlossener Altar).
Andererseits gibt es bei den beiden Gesichtern - so unterschiedlich sie auch sein mögen - durchaus Übereinstimmungen. Es ist nicht nur die grundsätzlich ähnliche Form des Bartes, auch die Unterlippe und die Nase weisen durchaus Ähnlichkeit auf. Hinzu kommt, dass manche Unterschiede durch die ganz andere Perspektive herrühren könnten.
Wenn nun Mathias Grünewald den Präzeptor auf dem Antonius-und-Paulus-Bild im fiktiven Alter von 90 Jahren dargestellt hätte, dann muss man durchaus mit der Möglichkeit rechnen, dass der Antonius auf dem Standflügel ein Porträt des Präzeptors aus den Jahren der Entstehung des Altares ist - und zwar im damals tatsächlichen Alter des Guido Guersi. Da derselbe am 19. Februar 1516 starb, würde es sich hier um eine Darstellung aus den letzten Lebensjahren des Antoniterprezeptors handeln.
Literaturhinweise
Die wichtigsten Informationen über Guido Guersi bietet
Adalbert Mischlewski, Die Antoniter und Isenheim, in: Max Seidel, Mathis Gothart Nithart Grünewald, Der Isenheimer Altar (Stuttgart 1973) 265, 287-288.
sowie
Emil Spath, Isenheim - Der Kern des Altarretabels - Die Antoniterkirche (Freiburg 1997) Band I, 435-452.
Grundsätzliches bei
Adalbert Mischlewski, Grundzüge der Geschichte des Antoniterordens bis zum Ausgang des 15. Jahrhunderts (Unter besonderer Berücksichtigung von Leben und Wirken des Petrus Mitte de Capraris). (= Bonner Beiträge zur Kirchengeschichte 8) (Köln, Wien 1976).
Anmerkungen