Der Isenheimer Altar

und seine Botschaft


Zurück-Button Anfänge im Dunkeln

Wann genau das Isenheimer Haus gegründet wurde, ist recht umstritten.

Am 5. Februar 1313 erwarben die Antoniter durch den damaligen Präzepten Humbert de Brina von der in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen Benediktinerabtei Murbach den Dinghof in Isenheim sowie Höfe in (Nieder-)Burnhaupt und Saint-Amarin, dazu noch Güter in Wattweiler. Insgesamt 800 Silbermark - also über 5300 rheinische Gulden - kosteten die Liegenschaften. Unter den zugehörigen Rechten befand sich auch das Patronatsrecht über die Isenheimer Pfarrkirche, die dem Apostel Andreas geweiht war und die der Basler Bischof noch im gleichen Jahr der Präzeptorei inkorporierte.

Für Emil Spath ist dieser Vorgang der eigentliche Beginn der Geschichte der Antoniter in Isenheim.

Gründung vor 1290?

Dem scheint die Notiz aus dem relativ zuverlässigen Anniversarium des Isenheimer Antoniters und Pfarrherrn Johann Jakob Bergler aus dem Jahre 1629 zu widersprechen. Unter dem 30. Dezember vermerkt Bergler:

"Die 30 obiit dominus Joannes primus praeceptor"
übersetzt:
"Am 30. starb Bruder Johannes, der erste Präzeptor." ⋅1⋅

Seit dem Jahre 1290 wird als Präzeptor allerdings stets Humbert de Brina genannt. Ein solcher Bruder Johannes müsste demnach vor 1290 Präzept von Isenheim gewesen sein.

Daher wird meist allgemein "gegen Ende des 13. Jahrhunderts" als Gründungszeit angegeben - das Jahr 1298, das häufiger genannt wird, kann in dieser undifferenzierten Form kaum stimmen. Medard Barth äußert daher die Vermutung, dass das Haus bereits um einiges früher gegründet worden sei.

"... da dieses Haus das Mutterkloster des 1277 durch Urkunde bezeugten Antoniterspitals in Straßburg war, muß für ersteres begreiflicherweise ein höheres Alter angenommen werden. Das Gründungsdatum für Isenheim kann schwerlich nach 1250 liegen." ⋅2⋅

Adalbert Mischlewski geht sogar davon aus, dass mit einem noch weiter zurückliegenden Gründungsdatum zu rechnen sei. Er weist darauf hin, dass die um 1200 existierende Straßburger St.-Antonius-Kapelle mit großer Wahrscheinlichkeit schon zu dieser Zeit in Beziehung zu den Antonitern gestanden habe. Ähnliches gelte für die Antoniterniederlassung in BaseI, die wohl auch bereits gegen Beginn des 13. Jahrhunderts errichtet wurde und wie die Straßburger Kapelle stets eine Isenheimer Dependance gewesen sei.

Mischlewski schreibt:

"Wer die Zähigkeit berücksichtigt, mit der die Antoniter an einmal gewählten Plätzen und an der bestehenden Unter- und Überordnung festhielten, wird sich der Annahme wohl kaum verschließen können, daß wahrscheinlich den bereits zu Anfang des 13. Jahrhunderts bestehenden Niederlassungen in Straßburg und Basel eine andere übergeordnet war. Diese befand sich vielleicht schon in Isenheim." ⋅3⋅

Eine Niederlassung in Colmar

Die Spannungen in den einzelnen Überlieferungen versucht Emil Spath mit der Anfang des 13. Jahrhunderts errichteten Niederlassung in Colmar zu erklären. Spath geht davon aus, dass die Straßburger und Basler Niederlassungen jener unterstand. Erster Präzept des Colmarer Hauses sei dann der von Johann Jakob Bergler genannte 'Bruder Johannes' gewesen.

1247 war die Gemeinschaft der "Fratres hospitales", die nach der Augustinusregel lebte Gemeinschaft durch Papst Innozenz IV. zu einem selbständigen Orden erhoben worden. Gerade im deutschen Südwesten sind in der Folge die Bemühungen, Niederlassungen fester zu organisieren und neue zu gründen, deutlich zu spüren. Noch vor 1290 wurde beispielsweise die Generalpräzeptorei Freiburg errichtet.

Sollte nun auch die Colmarer Niederlassung zur Generalpräzeptorei ausgebaut werden?

Spath vermutet Spannungen mit dem Colmarer St. Martin-Kapitel, das 1237 vom Basler Bischof gestiftet worden war. Die Dominikaner waren belegtermaßen 1260 gegen den Willen der Stiftsherren von St. Martin nach Colmar berufen worden und auch die Franziskaner hatten sich vor allem auf Wunsch der Bürgerschaft zur selben Zeit dort niedergelassen. Eine Errichtung einer Antoniter-Generalpräzeptorei mit üblicherweise acht Chorherren wäre nicht ohne finanzielle Einbußen für die Chorherren, deren Zahl von Papst Innozenz IV. im Jahre 1245 auf sechzehn festgelegt worden war, möglich gewesen.

Möglicherweise gingen die Antoniter ständigen Spannungen und andauerndem Streit mit den Colmarer Chorherren aus dem Weg, in dem sie schon 1290 mit Blick auf eine Verlegung ihres Hauses die ersten Grundstücke in Isenheim von den Deutschherren in Gebweiler erwarben. Weitere systematische Käufe folgten.

Verlegung nach Isenheim?

Deshalb plädiert Emil Spath für das Jahr 1313 als Gründungsjahr für die elsässische Generalpräzeptorei bezogen auf den Standort Isenheim. Durch den Kauf des Dinghofes von der in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen Benediktinerabtei Murbach waren die Voraussetzungen für eine Verlegung der Niederlassung von Colmar nach Isenheim gegeben.

Spath lässt dabei unberücksichtigt, dass König Albrecht I. bereits am 30. April 1302 in seinem Schutzprivileg das Haus in Isenheim ausdrücklich erwähnt. ⋅4⋅ Sollte sich diese Erwähnung lediglich auf die bereits dort erworbenen Grundstücke beziehen? Rechnung tragen Spaths Überlegungen auf jeden Fall dem Präzeptorenverzeichnis von 1574, das Humbert de Brina als ersten Präzeptor Isenheims führt:

"1. Primo dominus Humbertus de Bryna fuit preceptor anno domini Mo IICo LXXXXIo hic emit decimam et curiam prae(...)bitici in Ysenheim..., itemque claustrum et ecclesiam edificavit." ⋅5⋅

Der Hinweis, dass er Kloster und Kirche gebaut habe, wäre dann so zu verstehen, dass er durch den Kauf des Dinghofes die Voraussetzungen dazu geschaffen und auch die Pläne dafür entwickelt hätte. Nur 264 Tage nach dem Isenheimer Dinghofkauf und ganze 56 Tage vor der Übertragung des Isenheimer Pfarrpatronatsrechtes ist Humbert de Brina nämlich am 27. Oktober 1313 gestorben.

Die Kaufurkunde des Dinghofes in Isenheim haben übrigens der Basler und der Straßburger Bischof mitunterschrieben. Wenn dieser Umstand nicht einfach damit zu erklären ist, dass Isenheim im Einflussbereich des Basler Bistum liegt und Besitzungen im Straßburger Sprengel hatte, ist dies ein Sachverhalt, der nach einer Begründung verlangt. Spath vermutet  ein regelrechtes Tauziehen zwischen dem Balser und dem Straßburger Bischof. Vielleicht hatte das Bistum Straßburg Interesse daran, mehr Einfluss auf die Antoniterniederlassung zu bekommen, gar eine Verlegung nach Straßburg betrieben. Oder sollte mit dieser Unterschrift wirklich nur dokumentiert werden, dass der Straßburger Bischof auch in Isenheim, obschon sich die Verlegung von Colmar an den neuen Ort einzig innerhalb des Bistums Basel abspielte, 'seinen Fuß  noch in der Tür hatte'?

Die Geschichte zeigt auf jeden Fall, dass sich die Isenheimer Generalpräzeptorei im Spannungsfeld zwischen den Polen Basel und Straßburg entwickelte. Präzeptor Jean Bertonneau hatte 1446 die Antoniterkirche in Straßburg neu bauen und das Spital instand setzen lassen. Es war eines der größten des ganzen Ordens. Auch dass sich die Präzeptoren gerne "Präzeptoren von Isenheim und Straßburg" nennen ließen, zeigt eine Bevorzugung Straßburgs anzuzeigen. Bis zur Reformation hatten alle Isenheimer Präzeptoren im übrigen auch das Straßburger Bürgerrecht inne.

Die ersten Präzeptoren

Humbert de Brina kann daher durchaus als erster Präzeptor der Isenheimer Niederlassung gelten, zumindest was den Standort Isenheim angeht. Wenn das Präzeptorenverzeichnis von 1670 mit dem Eintrag beginnt:

"Praecptoria Isenheimensis ante annos quadringentos fundata praecptores habuit. Saltem quorum nomina inventa sunt. f. Conradus Huechlin, qui agebat in humanis anno 1298. f. Humbertus de Brina emit curiam in Isenheim ... 1313." ⋅6⋅

könnte mit Conrad Huechlin der letzte Präzeptor der elsässischen Hauptniederlassung bezogen auf den Standort Colmar  überliefert sein. Der von Johann Jakob Bergler erwähnte "Bruder Johannes" wäre nichtsdestoweniger der erste Praezept, der Antoniterniederlassung, wenn man die Häuser Colmar und Isenheim miteinander identifiziert. Die Anfänge in Colmar hätten dann ihre Fortführung in Isenheim gefunden, das keine Neugründung wäre, sondern lediglich als von Colmar nach Isenheim verlegte Niederlassung zu betrachten sei.

Zur Einordnung der Antoniterniederlassung in Isenheim

Die neuerrichtete Generalpräzeptorei in Isenheim ist dabei eine Antoniterniederlassung neben anderen im deutschen Bereich. Der erste Ordensgeschichtsschreiber der Antoniter, Aymar Falco, wurde häufig falsch interpretiert. Er überliefert folgenden Hinweis:

"Anno millesimo trecentesimo quartodecirno per abbatem et monachos Morbacensis monasterij, Basiliensis diocesis, accedente Romani pontificis autoritate (!), translata est in hanc Antonianarn religionern celebris domus in Isenhem, que in generalem apud Germanos preceptoriam fuit erecta." ⋅7⋅

Dies bedeutet, dass im Jahre 1314  vom Klosters Murbach das berühmte Haus in Isenheirn an den Antoniterorden übertragen und zu einer deutschen Generalpräzeptorei gemacht worden sei. Ausgehend von der sprachlich nicht geforderten Übersetzung "zu der deutschen Generalpräzeptorei gemacht worden", hat man da und dort schon eine 'deutsche Ordensprovinz' annehmen wollen - eine willkürliche Konstruktion, die in den Quellen nicht eine einzige Stütze findet. Einzig richtig ist von "einer deutschen Generalpräzeptorei" zu sprechen, allein schon in Anbetracht der fünf anderen deutschen Generalpräzeptoreien Roßdorf, Grünberg, Memmingen, Lichtenburg und Freiburg. ⋅8⋅

Nichtsdestoweniger war Isenheim ein bedeutendes Haus. Das ihm übertragene Gebiet war ein schlauchartiges Gebilde, das von Basel im Süden - dem für den Ort zuständigen Bistum -, die Diözesen Straßburg, Speyer, Worms, Würzburg und Bamberg umfasste. Die Niederlassungen in Basel, Straßburg, Bruchsal, Würzburg, Bamberg, Eicha - ein Ortsteil der thüringischen Gemeinde Gleichamberg - und das elsässische Drei-Ähren waren Isenheim unterstellt. ⋅9⋅

Mischlewski denkt sogar daran, dass das Gebiet des Bistums Konstanz, das erst vor 1290 in einer eigenen Generalpräzeptorei mit Sitz in Freiburg organisiert worden war, vor dieser Neuordnung von Isenheim aus betreut worden war. Er geht dabei davon aus, dass das Haus in Isenheim zu dieser Zeit schon bestand und vermutet, dass die Grundstückskäufe und auch der Kauf des Dinghofes nicht so sehr im Zusammenhang mit einer Verlegung sondern mit einer sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Neuordnung der Zuständigkeiten in diesem Gebiet standen. ⋅10⋅

Zurück-Button Literaturhinweise

Die wichtigsten Informationen über die Geschichte der Antoniter finden sich bei
Adalbert Mischlewski, Grundzüge der Geschichte des Antoniterordens bis zum Ausgang des 15. Jahrhunderts (Unter besonderer Berücksichtigung von Leben und Wirken des Petrus Mitte de Capraris). (= Bonner Beiträge zur Kirchengeschichte 8) (Köln, Wien 1976).
Die wichtigsten Informationen über das Spital in Isemheim bietet

Adalbert Mischlewski, Die Antoniter und Isenheim, in: Max Seidel, Mathis Gothart Nithart Grünewald, Der Isenheimer Altar (Stuttgart 1973) 256-266, 281-288
sowie
Medard Barth, Heiltumführer und Almosensammler des Mittelalters, in: Freiburger Diözesan Archiv (74/1954) 100-131.
Äußerst instruktiv ist der Exkurs zur Gründung der Antoniter-Generalpräzeptorei Isenheim in:
Emil Spath, Isenheim - Der Kern des Altarretabels - Die Antoniterkirche (Freiburg 1997) Band I, 420-422.

Anmerkung

1 Johann Jakob Bergler, zitiert nach: Emil Spath, Isenheim - Der Kern des Altarretabels - Die Antoniterkirche (Freiburg 1997) Band I, 422. Zur Anmerkung Button

2 Medard Barth, Heiltumführer und Almosensammler des Mittelalters, in: Freiburger Diözesan Archiv (74/1954) 113. Zur Anmerkung Button

3 Adalbert Mischlewski, Die Antoniter und Isenheim, in: Max Seidel, Mathis Gothart Nithart Grünewald, Der Isenheimer Altar, (Stuttgart 1973) 261. Zur Anmerkung Button

4 Vgl.: A. Hessel, Elsässische Urkunden, vornehmlich des 13. Jahrhunderts (Straßburg 1915) 55, Nr. 50. Zur Anmerkung Button

5 Zitiert nach: Emil Spath, Isenheim - Der Kern des Altarretabels - Die Antoniterkirche (Freiburg 1997) Band I, 422. Zur Anmerkung Button

6 Zitiert nach: Emil Spath, Isenheim - Der Kern des Altarretabels - Die Antoniterkirche (Freiburg 1997) Band I, 422. Zur Anmerkung Button

7 Aymar Falco, Antonianae histroriae compendium ex variis iisdemque gravissimis ecclesiasticis scriptoribus nec non rerum gstarum monumentis collectum, una cum externis rebus quamplurimis scitu memoratuque dignissimis. Lyon 1534, fol. 80r-80v; zitiert nach: Adalbert Mischlewski, Die Antoniter und Isenheim, in: Max Seidel, Mathis Gothart Nithart Grünewald, Der Isenheimer Altar (Stuttgart 1973) 283. Zur Anmerkung Button

8 Vgl.: Adalbert Mischlewski, Die Antoniter und Isenheim, in: Max Seidel, Mathis Gothart Nithart Grünewald, Der Isenheimer Altar (Stuttgart 1973) 260. Zur Anmerkung Button

9 Vgl.: Adalbert Mischlewski, Die Antoniter und Isenheim, in: Max Seidel, Mathis Gothart Nithart Grünewald, Der Isenheimer Altar (Stuttgart 1973) 261. Zur Anmerkung Button

10 Vgl.: Adalbert Mischlewski, Die Antoniter und Isenheim, in: Max Seidel, Mathis Gothart Nithart Grünewald, Der Isenheimer Altar (Stuttgart 1973) 260-261. Zur Anmerkung Button