Der Isenheimer Altar

und seine Botschaft


Zurück-Button Das Visitationsprotokoll aus dem Jahre 1628

Bei der Visitation im Jahre 1628 wurde ein Protokoll angefertigt, das folgendermaßen beginnt.

"Reliquiarium sesquipedale argenteum optime elaboratum, in quibusdam partibus deauratum, aptum ad reponendum sacratissimum Eucharistiae sacramentum, ornatum etiam duabus campanulis deauratis, in quo repertus est fasciculus sericeus ceulei coloris sic inscriptus: De ligno sanctae crucis item sanctorum apostolorum Pauli, Bartholomei, Jacobi minoris; item de capite sancti Antonij; item de brachio et osse sancti Stephani ... Crux semipedalis in forma figurae T. in qua pendet cum catenula argentea minus T argenteum, in qua sunt reliquae incertae." ⋅1⋅

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Der Tabernakel mit dem Reliquiar.

Rekonstruktion: Jörg Sieger

Hier wird ein eineinhalb Fuß hoher Silber­ta­ber­nakel be­schrie­ben, der zwar Re­liquiar ge­nannt wird, des­sen Be­stimmung aber ein­deutig an­ders an­gegeben wird: Auf­bewahrung des Sakramentes der Eucharistie.

Dies also war ursprünglich ein­mal der Ort zur Auf­bewahrung der Hostien, die nicht zuletzt für die Kranken und Ster­benden hier ver­wahrt wurden.

An diesem "bestens gearbeiteten, silberenen und zum Teil vergoldeten" Gehäuse hingen zwei ebenfalls silberne und vergoldete Glöckchen, die wohl beim Sanctus sowie, beim Erheben von Hostie und Kelch nach der Wandlung geläutet wurden, als akustisches Zeichen für die Gläubigen, die an den meisten Plätzen der Kirchenschiffe keine optische Verbindung zum Geschehen am Choraltar hatten. Dies war etwa seit 1200 in der Liturgie üblicher Brauch.

Die Form des alten Tabernakels lässt sich ebenfalls erschließen. Es scheint noch 1793 vorhanden gewesen sein. Das damals erstellte "Inventaire estimatif" erwähnt nämlich ein

"reliquiaire en forme des piramide d'argent d'ore en partie" ⋅2⋅

das mit dem 1628 erwähnten identisch sein dürfte. Die Angabe "en forme de piramide" lässt an ein Gebilde denken, dass dem aus der Mitte des 13. Jahrhunderts stammenden Tabernakel aus Limoges ähneln könnte. Dieser Tabernakel befindet sich heute im Louvre in Paris.

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Das Reliquienkreuz.

Rekonstruktion: Jörg Sieger

In solchen Behältnissen wurden nicht selten auch Reliquien aufbewahrt. In Isenheim hütete man einen besonderen Schatz. Es waren die wertvollen Reliquien der Apostel Paulus, Bartholomäus, Jakobus des Jüngeren, des Heiligen Stephanus und insbesondere ein Partikel des Hauptes des Heiligen Antonius sowie des Kreuzes Christi - nicht zuletzt solche Heiltümer machten damals die Bedeutung eines Klosters bzw. einer Kirche aus.

Im Tabernakel selbst findet sich nach dem Bericht des Visitationsprotokolls allerdings lediglich ein blaues seidenes Band mit den darauf aufgeschriebenen Reliquien-Bezeichnungen. Dies dürfte eine Art informelle Reliquienurkunde gewesen sein. Die Reliquien selbst wurden in dem erwähnten kleinen Kreuz aufbewahrt, dass in Form eines Antoniterskreuzes gestaltet war.

Emil Spath vermutet, dass dieser Tabernakel ursprünglich auf dem Altar der Antoniterkirche in Isenheim stand. Vielleicht wurde er anfangs einfach von dem kleinen Reliquienkreuz überhöht.

Als das Visitationsprotokoll im Jahre 1628 entstand kann dies allerdings schon nicht mehr der Fall gewesen sein. Auf dem Altar stand damals bereits der große hölzerne Altarschrein. Möglicherweise wurde erst durch das neue Altarretabel die Anschaffung einer neuen Aufhängung für das alte Reliquienkreuzes notwendig. Das Protokoll von 1628 erwähnt ein 15 cm hohes T-Silberkreuz, an dem mit einer silbernen - wahrscheinlich ebenfalls vergoldeten - Kette das kleine Reliquienkreuz hing.

Nachdem der altehrwürdige Tabernakel nicht mehr einfach auf dem Altar stehen konnte, war vielleicht nötig geworden, eine andere Möglichkeit für die Präsentation der wertvollen Reliquien zu schaffen. Mittels dieses eigenartigen Doppelkreuzes, das im Visitationsprotokoll belegt ist, könnte eine solche Möglichkeit geschaffen worden sein.

Zurück-Button Literaturhinweis

Vergleiche hierzu:
Emil Spath, Isenheim - Der Kern des Altarretabels - Die Antoniterkirche (Freiburg 1997) Band I, 17-22.

Anmerkungen

1 Zitiert nach: Emil Spath, Isenheim - Der Kern des Altarretabels - Die Antoniterkirche (Freiburg 1997) Band I, 18. Zur Anmerkung Button

2 Zitiert nach: Emil Spath, Isenheim - Der Kern des Altarretabels - Die Antoniterkirche (Freiburg 1997) Band I, 45. Zur Anmerkung Button