Der Isenheimer Altar
und seine Botschaft
Leben und Offenbarungen der heiligen Brigitta
Nach der Übersetzung von Ludwig Clarus (1888) digitalisiert und bearbeitet von Gertrud Willy
Drittes Buch der himmlischen Offenbarungen der heiligen Brigitta.
- Kapitel I. - Ermahnung und Unterweisung an einen Bischof von der Weise, welche in Speise, Kleidung und Gebet zu beobachten ist, und wie er sich in allem vor, bei und nach Tische und wie beim Schlafen verhalten, und wie er in allen Dingen das bischöfliche Amt wahrnehmen soll.
- Kapitel II. - Worte der Jungfrau zur Braut von einem geeigneten Mittel wider die Schwierigkeit, welche dem Bischofe auf dem engen Wege begegnete, und wie die Geduld durch die Kleider, und die zehn Gebote durch die zehn Finger, und das Verlangen nach dem Ewigen und der Ekel am Weltlichen durch die beiden Füße bedeutet werden. Von drei Feinden auf dem Wege, welche wider den Bischof sind.
- Kapitel III. - Vollständige Erklärung der Jungfrau an einen Bischof, wie er das bischöfliche Amt verrichten soll, damit Gott durch ihn geehrt werde. Von der zweifachen Frucht, welche der wahren Würde folgt, und von der zweifachen Schande, welche die falsche Würde begleitet. Wie Christus und alle Heiligen einem wahren und rechten Bischofe entgegenkommen.
- Kapitel IV. - Worte der Mutter zur Tochter von der Begehrlichkeit böser Bischöfe, und wie wegen ihres guten Willens viele die geistliche Würde erlangen, welche von schlechten Bischöfen, die irdischerweise zum Amte kommen, verachtet werden. Dies wird durch ein weitläufiges Beispiel erläutert.
- Kapitel V. - Die Worte des Ambrosius zur Braut vom Gebete der Frommen für das Volk, und wie durch die Steuerleute die Herren der Welt und der Kirche, durch die Stürme die Hoffart u. s. w. und durch den Hafen der Eingang zur Wahrheit bedeutet wird, und von der Berufung der Braut im Geiste.
- Kapitel VI. - Worte desselben Ambrosius zur Braut, welche ein Gleichnis von einem Manne, einer Frau und einer Magd darlegen, und wie unter dem Ehebrecher ein böser Bischof, unter dem Weibe die Kirche, unter der Magd die Weltliebe zu verstehen ist. Von dem überaus grausamen Urteile wider diejenigen, welche der Welt mehr als der Kirche anhängen.
- Kapitel VII. - Worte der Jungfrau zur Braut, wie ein Bischof, welcher die Welt liebt, einem mit Wind gefüllten Blasebalge und einer im Schlamme liegenden Schildkröte zu vergleichen ist, und wie ein solcher dem Bischofe Ambrosius entgegengestellt wird.
- Kapitel VIII. - Worte der Jungfrau zur Braut von ihrer eigenen Vollkommenheit und Vortrefflichkeit und von der Ungeordneten Neigung der neueren Lehrer; von ihrer falschen Antwort, welche sie auf die von der glorwürdigen Jungfrau selbst ihnen vorgelegte Frage erteilt haben.
- Kapitel IX. - Worte der Jungfrau von den Blinden, welche die Klarheit der Sonne nicht sehen, von den Tauben, die nicht hören, und von den Toten, welche keinen Geschmack haben.
- Kapitel X. - Die Jungfrau redet zur Braut über die Gewißheit der Worte, welche sie zu ihr gesprochen, sowie über die Gefahr und den nahenden Verfall der Kirche, und wie die Verwalter der Kirche jetzt leider ihr Auge auf das Hurenleben, den Geldgeiz und auf die hochmütige Verschwendung der Kirchengüter gerichtet haben, und vom Zorn Gottes, welcher gegen solche Leute erweckt wird.
- Kapitel XI. - Glaubensworte der Braut zu Christo. und wie Johannes der Täufer die Braut von der Gewißheit überzeugt, daß Christus mit ihr rede; von dem Glücke eines frommen Reichen und wie ein unbescheidener Bischof wegen seiner Thorheit und bösen Lebens mit einem Affen verglichen wird.
- Kapitel XII. - Die Braut redet mit Christo und läßt für den benannten Bischof Bitten er- gehen; von den Antworten Christi, der Jungfrau und der heiligen Agnes, welche der Braut erteilt worden.
- Kapitel XIII. - Worte der Mutter zur Tochter, wie die Worte und Werke Christi durch einen Schatz, seine Gottheit durch eine Burg, die Sünden durch Schlösser, die Tugenden durch Mauern und die Schönheit der Welt und die Lust an Freunden auf wunderbare Weise durch zwei Gräben bedeutet werden; es wird auseinandergesetzt, wie der Bischof sich in Bezug auf die Seelsorge verhalten soll.
- Kapitel XIV. - Die Worte der Mutter zur Tochter in einem wunderbaren Bilde von einem Bischofe, wie nämlich ein Bischof durch einen Schmetterling, die Demut und Hoffart des Bischofs durch die zwei Flügel und die drei Arten des Bischofs, Böses zu bemänteln, durch die drei Farben, des Bischofs Werke durch die Dichtigkeit der Farbe, der zweifache Wille durch die beiden Fühlhörner des Schmetterlings, die Begierde durch den Mund und die geringe Liebe durch den kleinen Leib bedeutet und erklärt werden.
- Kapitel XV. - Worte der Mutter zur Tochter in dem Bilde eines anderen Bischofs, und wie dieser Bischof unter einem Käfer, die schwatzhafte Wohlredenheit unter dessen Ausflug, die beiden Gedanken unter zwei Flügeln, die schmeichelnden Worte der Welt unter dem Bisse verstanden werden. Von der Jungfrau Verwunderung über das Leben dieser beiden Bischöfe und von den Predigern.
- Kapitel XVI. - Worte des Sohnes zur Braut, daß Gott keinen Gefallen habe an der Seelen Verdammnis, und von den wunderbaren Fragen eines jungen Bischofs an einen alten und von den Antworten des alten an den jungen Mann.
- Kapitel XVII. - Worte der Jungfrau zur Tochter, welche das Leben und den Orden des heiligen Dominikus empfehlen, und wie derselbe zur Zeit seines Todes sich im Gebete an die Jungfrau wendete, wie aber in neuerer Zeit wenige unter seinen Brüdern dem Zeichen des Leidens Christi folgen, das ihnen durch Dominikus gegeben worden, wogegen viele dem Zeichen des Einschnittes am Ohre folgen, das ihnen der Teufel angeboten hatte.
- Kapitel XVIII. - Worte der Mutter zur Tochter, daß jetzt die Brüder eher die Stimme des Teufels hören, als ihres Vaters Dominikus; wie jetzt nur wenige in dessen Fußstapfen treten, und wie diejenigen, welche um der weltlichen Ehre, ihrer Ruhe und Freiheit willen Bistümer begehren, nicht von der Regel des heiligen Dominikus sind; von dem schrecklichen Urteile wider solche, und wie man für ein solches Bistum die Verdammnis erfährt.
- Kapitel XIX. - Antwort der Braut an Christum, wie sie durch verschiedene und unnütze Gedanken heimgesucht werde, und wie sie außer stande sei, dieselben zu entfernen. Christi Antwort an die Braut, weshalb Gott solches zuläßt, und wie solche Gedanken eine Krone erwerben, wenn sie verabscheut und gefürchtet werden, und daß die läßliche Sünde nicht verachtet werden soll, damit sie nicht in Todsünde führe.
- Kapitel XX. - Worte der Mutter zur Tochter, wie durch die Talente die Gaben des heiligen Geistes bedeutet werden, und wie der heilige Benedikt die ihm gewährte Gabe des heiligen Geistes vermehrt hat, und wodurch der heilige Geist oder der Geist des Menschen eingeht in den Menschen.
- Kapitel XXI. - Worte der Mutter Gottes zur Tochter, worin die Herrlichkeit und Vollkommenheit des heiligen Benedikt durch ein Beispiel dargethan wird, und wie eine Seele, welche für die Welt Frucht bringt, durch einen unfruchtbaren Baum, die Hoffart des Herzens durch einen Kieselstein, eine kaIte Seele aber durch einen Krystall bedeutet wird, Von den drei Fünklein, welche gar wohl zu bemerken sind, die aus jenen drei Dingen, nämlich dem Krystalle, dem Kieselsteine und dem Holze, hervorgehen.
- Kapitel XXII. - Worte der Mutter zur Tochter von einem Mönche, welcher in sich ein Hurenherz hatte, und wie er durch eigenen Willen und Begierlichkeit und die Abkehr vom englischen Leben von Gott abgefallen ist.
- Kapitel XXIII. - Antwort Gottes des Vaters auf das Gebet der Braut für die Sünder, und daß ihrer drei sind, welche Zeugnis geben auf Erden, gleichwie drei im Himmel, und wie die ganze Dreifaltigkeit der Braut Zeugnis giebt, daß die Braut ihr angehört durch den Glauben, sowie alle, welche dem rechten Glauben der heiligen Kirche folgen.
- Kapitel XXIV. - Antwort Jesu Christi auf der Braut Gebet für die Ungläubigen, daß Gott aus Anlaß der Bosheit böser Menschen geehrt wird, wenn auch nicht durch ihre Tugend und ihren Willen. Dies beweist er ihr durch ein Beispiel, worin die Kirche oder Seele durch eine Jungfrau und die neun Ordnungen der Engel durch neun Brüder der Jungfrau, Christus durch einen König und die drei Stände der Menschen durch die drei Söhne des Königs dargestellt werden.
- Kapitel XXV. - Klageworte der Mutter zur Tochter, wie das unschuldigste Lamm Jesus Christus in neuerer Zeit von seinen Geschöpfen vernachlässigt wird.
- Kapitel XXVI. - Christi Worte zur Braut, welche das Geheimnis der unaussprechlichen Dreifaltigkeit erklären, und wie teuflische Sünder durch Reue und den Willen, sich zu bessern, Gottes Barmherzigkeit erlangen. Von der Antwort Christi, wie er sich aller erbarmt, sowohl der Juden, als der Heiden, und von dem zweifachen Gerichte der zur Verdammnis und der zur Errettung Bestimmten.
- Kapitel XXVII. - Das Gebet der Braut zur Frau für Rom und die zahllose Menge der heiligen Märtyrer, welche zu Rom ruhen, und von den drei Stufen der Vollkommenheit der Christen. Von einem Gesichte der Braut und wie ihr Christus erschienen und das gedachte Gesicht ihr auslegt und erläutert.
- Kapitel XXVIII. - Lehre der Jungfrau für die Braut von der Weise, wie man zu lieben wissen soll, und von den vier Städten, in denen viererlei Arten der Liebe gefunden werden, und welche derselben Liebe genannt zu werden verdient.
- Kapitel XXIX. - Lob der Jungfrau durch die Braut, das eine Vergleichung mit dem Tempel Salomos in sich enthält, sowie die unaussprechliche Wahrheit von der Einheit der Gottheit mit der Menschheit und wie die Tempel der Priester mit Eitelkeit gemalt sind.
- Kapitel XXX. - Worte der heiligen Agnes zur Braut von der unter dem Bilde einer Blume dargestellten Liebe, welche die Braut zur Jungfrau haben soll. Wie die glorwürdige Jungfrau in ihrer Rede die unermeßliche und ewige göttliche Güte gegen unsere Gottlosigkeit und Undankbarkeit erklärt, und wie die Freunde Gottes in Trübsalen sich nicht beunruhigen lassen.
- Kapitel XXXI. - Worte Christi zur Braut, welche ein sehr gutes Beispiel von einem Arzte und einem Könige enthalten, und wie Christus unter diesem Arzte zu verstehen. Wie häufig solche gerettet werden, welche nach menschlichem Ermessen verdammt werden müßten, diejenigen aber verdammt werden, die nach Ansicht der Menschen und der Welt hätten gerettet werden müssen.
- Kapitel XXXII. - Worte der Jungfrau zur Braut, welche unter einem Bilde darstellen, wie Gott der Vater sie unter den übrigen Heiligen zu seiner Mutter und zum Port auserwählt.
- Kapitel XXXIII. - Worte des Sohnes zur Braut, und wie er durch zweier Menschen Beispiel darthut, daß er nach dem Inneren, nicht aber nach dem Äußeren richte.
- Kapitel XXXIV. - Worte der Mutter zur Tochter unter einem Bilde, in welchem die Seele unter einem Ringe, der Leib unter einem Tuche verstanden wird, und wie die Seele durch Bescheidenheit gesäubert und der Leib durch Enthaltsamkeit gereinigt, aber nicht getötet werden soll.
Drittes Buch der himmlischen Offenbarungen der heiligen Brigitta.
Kapitel I.
Ermahnung und Unterweisung an einen Bischof von der Weise, welche in Speise, Kleidung und Gebet zu beobachten ist, und wie er sich in allem vor, bei und nach Tische und wie beim Schlafen verhalten, und wie er in allen Dingen das bischöfliche Amt wahrnehmen soll.
Jesus Christus, Gott und Mensch, welcher zur Erde gekommen ist, die Menschheit anzunehmen und die Seele mit seinem Blute zu öffnen, der da erleuchtet hat den wahren Weg und geöffnet die Pforte zum Himmel, er hat mich zu euch geschickt. Höre Du, dem gegeben worden, Geistliches zu vernehmen. Wenn dieser Bischof sich vorgenommen hat, den engen Weg zu gehen, auf welchem wenige wandeln und einer von diesen wenigen zu sein, so soll er sich zuerst der Last erledigen, welche ihn beschwert, d. i. die Begierlichkeit der Welt, indem er sich der Welt bloß für seine Bedürfnisse bedient nach Maßgabe des geringen Unterhaltes, den ein Bischof bedarf. So that jener fromme Matthäus, welcher, vom Herrn gerufen, die schwere Last der Welt verließ und eine leichte Bürde fand. Sodann soll er sich reisefertig machen, wie die Schrift 398 spricht (Tobias V.), daß Tobias, als er wegfertig war, einen Engel fand, der aufgeschürzt dastand. Was bedeutet das, daß der Engel aufgeschürzt war, anderes, als daß jeder Bischof mit dem Gürtel der Gerechtigkeit und der göttlichen Liebe umgürtet sein soll, bereit, den Weg zu gehen, welchen der gegangen, der da sagte: "Ich bin der gute Hirte, der ich mein Leben gebe für meine Schafe," bereit, mit Worten die Wahrheit zu reden, bereit, mit Werken die Gerechtigkeit zu thun, sowohl an sich selbst, als an anderen, so daß er weder wegen Drohungen noch Schmachreden, weder aus falscher Freundschaft, noch aus eitler Furcht von der Gerechtigkeit abweicht. Jeder Bischof nun, welcher also aufgeschürzt erscheint, zu dem wird ein Tobias kommen, d. h. gerechte Menschen, welche seinen Weg gehen werden. Endlich muß er Brot und Wasser genießen, bevor er seine Reise antritt. So liest man vom Elias, daß er, vom Schlafe erweckt, neben seinem Haupte Brot und Wasser fand. Was ist dieses dem Propheten gegebene Brot anderes, als ein leibliches und geistiges Brot, das ihm gereicht wurde? In der Wüste ward ihm leibliches Brot zu einem Vorbilde bereitet, denn obgleich Gott den Propheten ohne leibliche Speise hätte erhalten können, wollte er doch, daß ihm leibliches Brot bereitet würde, damit der Mensch einsehen lerne, wie er sich zum Wohlgefallen Gottes seiner guten Gaben zum Troste des Fleisches mäßig bedienen könne. Aber auch eine geistliche Stärkung wurde dem Propheten eingegossen, daß er in Kraft dieser Speise einen Weg von vierzig Tagen gehen konnte; wäre ihm nicht irgend eine innere Gnadensalbung eingehaucht worden, würde er der vierzigtägigen Beschwerde erlegen sein, weil er an sich ein schwacher Mensch war, aber stark durch Gott, eine so große Reise zu vollenden. Weil nun also der Mensch aus jeglichem Worte Gottes lebt, so ermahnen wir den Bischof, einen Bissen Brotes zu nehmen, d. i. Gott über alles zu lieben. Diesen Bissen wird er neben seinem Haupte finden, d. i. weil seine Vernunft ihm sagen wird, daß man Gott vor allem und über alles lieben muß, sowohl wegen der Schöpfung und Erlösung, als wegen seiner langen Geduld und Güte. Wir bitten ihn auch, ein wenig Wasser zu trinken, d. h. innig über die Bitterkeit des Leidens Christi nachzudenken. Denn wer kann auf würdige Weise genugsam an die Angst der Mensch- 399 heit Christi denken, welche sie damals litt, als er bat, daß der Leidenskelch an ihm vorübergehen möge, und als die Blutstropfen von ihm zur Erde herniederrannen? Der Bischof soll also dieses Wasser samt dem Brote der Liebe genießen, und dann wird er sich gestärkt finden, um auf Jesu Christi Wege vorwärts zu wandeln. Nachdem er nun den Weg des Heiles begonnen, ist es dem Bischofe, wenn er weiter vorschreiten will, nützlich, daß er von der ersten Stunde des Tages an Gott von ganzem Herzen danke, sorgfältig seine Werke erwäge und Hilfe erbitte von Gott, um seinen Willen thun zu können. Wenn er seine Kleider anlegt, soll er in folgender Weise beten: "Asche muß bei Asche sein und Erde bei Erde. Doch weil ich aus Gottes Vorsehung Bischof bin, lege ich dir, meinem Leibe, Kleider an, welche von Erde sind, nicht um ihrer Schönheit willen, noch aus Hoffart, sondern der Bedeckung halber, damit deine Blöße nicht sichtbar werde. Ich kümmere mich auch nicht darum, ob dein Kleid etwas besser oder schlechter sei, sondern nur darum, daß zu Ehren Gottes das bischöfliche Gewand anerkannt und an der Tracht die bischöfliche Würde unterschieden werde, um andere zu bessern und zu unterweisen. Deshalb bitte ich Dich, Du gütigster Gott, Du wollest mir Beständigkeit ins Herz geben, daß ich nicht stolz werde auf den Wert von Asche und Erde, noch mich vergeblich rühme der Farbe des Staubes. Verleihe vielmehr Stärke, damit, wie das bischöfliche Kleid, um des göttlichen Ansehens willen, verschieden und geehrt vor anderen ist, also das Kleid meiner Seele angesehen werde bei Gott, auf daß ich nicht, weil ich die Gewalt unbescheiden und unwürdig trage, tiefer erniedrigt werde, oder damit ich, weil ich das Kleid der Ehre vergeblich trage, nicht um so schmählicher zu meiner Verdammnis entblößt werde." Hierauf soll er die Tageszeiten lesen oder singen, denn eine je höhere Stufe der Mensch erstiegen hat, desto größere Ehre hat er Gott zu erweisen. Doch gefällt Gott ein reines Herz im Schweigen wie im Gesange, wenn der Mensch sich nur mit anderen gerechten und nützlichen Dingen beschäftigt. Nachdem er die Messe gelesen, soll er sein bischöfliches Amt verwalten und sich sorgfältig hüten, auf das Leibliche mehr zu achten, als auf das Geistliche. Wenn er dann zu Tische geht, soll er folgenden Gedanken haben: "O Herr Jesu Christe, der Du geheißen hast, 400 den sterblichen Leib mit leiblicher Speise zu erhalten, hilf mir, meinem Leibe so das Notwendige zu reichen, daß bei überflüssiger Nahrung das Fleisch sich nicht stolz und boshaft wider die Seele erhebe, auch nicht aus Kargheit lässig werde in Deinem Dienste, sondern gieb mir ein angemessenes Maßhalten, daß, wenn die Erde durch Irdisches erhalten wird, der Heer der Erde von seiner Erde nicht zum Zorn gereizt werden möge." Bei Tische soll ihm mäßiger Trost und Unterhaltung gestattet sein, wobei jedoch leichtfertige und eitle Reden vermieden werden müssen, es soll auch nichts geredet oder gehört werden, was den Hörenden Anlaß giebt, zu sündigen, sondern alles soll ehrbar und heilsam sein; denn wie an einem leiblichen Tische, wenn es, an Brot und Wein mangelt, alles unschmackhaft ist, so ist an eines Bischofs Tische, wenn es an guter geistlicher Lehre und Ermahnung mangelt, alles Ausgesetzte für die Seele unschmackhaft. Damit deshalb die Gelegenheit zu Eitelkeiten vermieden werde, soll bei Tische eine geistliche Lesung vorgenommen werden, wodurch die Gäste erbaut werden. Ist die Mahlzeit zu Ende und der Danksegen gesprochen, so soll er nachdenken, womit er sich jetzt zu beschäftigen hat, oder Bücher lesen, durch welche er zur Seelenvollkommenheit hingeführt werden kann. Nach dem Abendessen aber kann er mit seinen Hausgenossen sich erfreuen. Allein, wie die Mutter, welche ihr Kind entwöhnt, die Brust mit Asche einreibt oder etwas Bitteres darauf streicht, bis das Kind sich der Milch entwöhnt hat und festere Speisen gewohnt ist, also soll der Bischof seine Hausgenossen mit solchen Worten zu Gott ziehen, durch welche sie Gott fürchten und lieben lernen, auf daß er ihr Vater werde durch das göttliche Ansehen, und ihre Mutter durch geistliche Erziehung. Wenn er aber weiß, daß einer seiner Hausgenossen wissentlich zum Tode der Seele sündigt, und nach den vernommenen Ermahnungen sich nicht bessert, soll er denselben von sich entfernen. Hat er ihn eines Vorteiles oder eines weltlichen Trostes wegen behalten, so wird er von seiner Sünde nicht frei sein. Begiebt er sich endlich in sein Bett, soll er seine Handlungen und Neigungen vom verflossenen Tage sorgfältig prüfen und also denken: "O Gott, Schöpfer meines Leibes und meiner Seele, schaue mich an mit Deiner Barmherzigkeit und gewähre Deine Gnade, damit ich durch den Überfluß an Schlaf nicht lässig werde in Deinem 401 Dienste, auch nicht durch Unruhe des Schlafes erliege in Deinem Dienste; mäßige vielmehr meinen Schlaf zu Deiner Ehre, den Du zur Erhaltung des Leibes zu halten befohlen hast. Und gieb mir Stärke, auf daß der Feind, der Teufel, mich nicht beunruhige, noch abziehe von der kindlichen Liebe zu Dir." Wenn er aber vom Lager sich erhebt, so reinige er sich durch die Beicht, wenn dem Fleische Schwachheiten zugestoßen sind, damit nicht der Schlaf der folgenden Nacht mit den Sünden der vorigen beginne.
Kapitel II.
Worte der Jungfrau zur Braut von einem geeigneten Mittel wider die Schwierigkeit, welche dem Bischofe auf dem engen Wege begegnete, und wie die Geduld durch die Kleider, und die zehn Gebote durch die zehn Finger, und das Verlangen nach dem Ewigen und der Ekel am Weltlichen durch die beiden Füße bedeutet werden. Von drei Feinden auf dem Wege, welche wider den Bischof sind.
Ferner sprach die Mutter Gottes: "Sage dem Bischofe, daß er, wenn er auf dem gedachten Wege einherwandelt, mit dreierlei Schwierigkeiten zu kämpfen hat: Erstlich, daß der Weg enge ist; zweitens, daß an demselben stechende Dornen sind; drittens, daß der Weg steinig und uneben ist. Wider diese drei Übelstände gebe ich Dir für ihn drei Ratschläge. Der erste ist, daß der Bischof starke und gutgenähte Kleider anthue, um auf dem engen Wege sicher gehen zu können; zweitens, daß er seine zehn Finger wie ein Gitter vor seinen Augen habe, um die Dornen in acht zu haben, daß sie ihn nicht stechen; der dritte ist, daß er seine Füße vorsichtig setze und bei jedem Schritte acht gebe, ob der hingesetzte Fuß fest stehe; auch soll er nicht jählings beide Füße auf einmal setzen, wenn er nicht zuvor von der Beschaffenheit des Weges sichere Kenntnis erlangt hat. Was aber bedeutet der enge Weg anderes, als die Bosheit der schlechten Menschen gegen die Gerechten, über deren Werke sie lachen, deren Wege sie verdächtigen, deren Ermahnungen zur Demut und Gottesfurcht sie verachten? Wider solche Menschen soll der Bischof das starke und gutgenähte Gewand der Geduld und Beständigkeit anlegen, weil die Geduld alles Schwierige angenehm 402 macht und bewirkt, daß man zugefügte Schmach freudig erdulde. Was aber bedeuten die Dornen anderes, als die Widerwärtigkeiten der Welt; diesen sind die Finger der zehn Gebote Gottes und seine Ratschläge entgegenzuhalten, so daß, wenn ein Dorn der Widerwärtigkeit und Armut sticht, man sich des Leidens und der Armut Christi erinnert, oder wenn der Dorn des Zornes und Neides sticht, daß man an die Liebe Gottes denkt, die er uns zu bewahren geboten; denn die wahre Liebe sucht nicht das Ihrige, sondern giebt sich ganz an die Ehre Gottes und den Nutzen des Nächsten hin. Da ich sagte, daß er mit den Füßen vorsichtig auftreten soll, so bedeutet dieses die vernünftige Furcht, die ihre Bahn ebnen soll, und von den beiden Füßen des frommen Menschen bedeutet der erste das Verlangen nach dem Ewigen, der andere den Ekel vor der Welt. Dem Verlangen nach dem Ewigen muß Bescheidenheit zugesellt sein, damit man das Ewige nicht für sich allein begehre, als ob man's verdiene, sondern sein ganzes Verlangen, seinen Willen und Vergeltung in die Hände Gottes lege. Dem Ekel an der Welt soll Vorsicht und Furcht innewohnen, damit er nicht eine Folge der Widwärtigkeiten der Welt oder der Ungeduld des Lebens sei, noch eine Folge zu großen Ruhe des zeitlichen Lebens und der Entlastung von jener Arbeit, die anderen nützlich ist; sondern er soll allein hervorgebracht werden durch den Abscheu vor der Sünde und das Verlangen nach dem ewigen Leben. Wenn er diese Schwierigkeiten des Lebens überwunden; warne ich den Bischof noch vor drei Feinden, die sich auf seinem Wege befinden. Der erste Feind ist bemühet, ihm durch seine Einflüsterungen das Gehör zu verstopfen; der zweite, ihm die Augen zu blenden; der dritte hat einen Strick in der Hand, um ihn die Füße zu verstricken, wenn er dieselben von der Erde aufhebt, Der erste Feind sind die Menschen, oder die Eingebungen, welche dahin trachten, den Bischof vom rechten Wege abzuziehen, und die da sprechen: Was nimmst du eine so große Mühe auf dich, und wandelst auf einem so engen Wege? Wende dich lieber auf den mit Blumen besetzten Weg, auf welchem die meisten wandeln. Was geht es dich an, wie diese oder jene leben? Warum willst du diejenigen tadeln und hart verurteilen, von denen du geliebt und geehrt werden könntest? Wenn sie dich und die Deinigen nicht beleidigen, was kümmert es dich dann, wie 403
sie leben und ob sie Gott beleidigen? Wenn du nur selber gut bist, was geht es dich an, über andere zu urteilen? Gieb und empfange lieber Geschenke, benutze die Freundschaft der Menschen, auf daß du gelobt und gut genannt werdest in deinem Leben. - Der zweite Feind möchte ihn blenden, wie die Philister den Samson, indem er ihm Schönheit, Besitz der Welt, Überfluß an Kleidern, Vorrat verschiedener Dinge, menschliche Ehren und Gönner anbietet und sobald diese Dinge den Augen gefallen, wird die Vernunft geblendet, die Liebe zu Gottes Geboten lau, die Sünde sorglos begangen und, wenn sie begangen worden, für nichts erachtet; der Bischof soll sich deshalb mit seinem bescheidenen Lebensunterhalte begnügen; denn gar viele finden eine größere Süßigkeit im Schoße der Delila, als in der oberhirtlichen, kanonisch angeordneten Sorge für die Kirche. Der dritte Feind hält einen Strick in der Hand und spricht: Weshalb gehest du so vorsichtig, und mit vorgebeugtem Haupte umher? Weshalb erniedrigst du dich selbst so sehr, da du doch von sehr vielen geehrt werden müßtest und könntest? Sei lieber ein Priester, der neben den ersten sitzt, ein Bischof, der von vielen geehrt wird; suche höhere Würden, damit du besser bedient wirst und eine größere Ruhe genießest; sammle Schätze, auf daß du dir und anderen damit helfest, und von anderen getröstet werden und überall fröhlich sein magst. Und sobald nun das Gemüt solchen Einflüsterungen sich zuneigt, erhebt sich alsbald die Neigung, wie auf einem Fuße böser Lust und irdischer Begierlichkeit zu stehen, wodurch sie so in die Schlinge der weltlichen Sorge verstrickt wird, daß die Seele zur Betrachtung ihres Elendes und der ewigen Belohnungen und Strafen sich nicht mehr zu erheben vermag. Und es ist kein Wunder, denn wenn die Schrift spricht: Wenn jemand ein Bischofsamt verlangt, so verlangt er ein gutes Werk (I. Timoth. 3, 1) zu Ehren Gottes, so begehren jetzt viele die Ehre und fliehen die Arbeit, in welcher der Seele ewiges Heil besteht. Deshalb soll dieser Bischof bleiben auf der Stufe, auf welcher er steht, und keine höhere begehren, bis es Gott gefällt, anders für ihn zu sorgen." 404
Kapitel III.
Vollständige Erklärung der Jungfrau an einen Bischof, wie er das bischöfliche Amt verrichten soll, damit Gott durch ihn geehrt werde. Von der zweifachen Frucht, welche der wahren Würde folgt, und von der zweifachen Schande, welche die falsche Würde begleitet. Wie Christus und alle Heiligen einem wahren und rechten Bischofe entgegenkommen.
Die Mutter Gottes sprach: "Ich will dem Bischofe auseinandersetzen, was er Gott zu leisten schuldig, und was die Ehre Gottes von ihm verlangt. Ein jeder Bischof soll die Inful in seiner Hand wohl verwahrt haben, dieselbe aber nicht für Geld verkaufen, sie auch anderen nicht aus Nachlässigkeit und Lauheit überlassen. Was bedeutet aber die bischöfliche Inful anderes, als die Würde und Macht des Bischofs, nämlich: die Priester zu weihen, das Chrisma zu bereiten, die Irrenden zu bessern und durch sein Vorbild die Nachlässigen anzuspornen? Daß er aber die Inful wohl verwahrt in seiner Hand haben soll, bedeutet, daß er eifrig darüber nachzudenken hat, auf welche Weise er die bischöfliche Macht empfangen, wie er sie führt, was ihre Frucht und ihr Ende sei. Wenn der Bischof acht darauf geben will, wie er seine Gewalt empfangen, soll er zuerst erwägen, ob er die Bischofswürde um seinetwillen, oder um Gottes willen begehrt hat. That er's um seinetwillen, so war sein Verlangen ohne Zweifel ein fleischliches; hat er sie aber um Gottes willen, d. h. um Gott Ehre zu erweisen, begehrt, dann war sein Verlangen verdienstlich und geistlich. Hierauf soll der Bischof bedenken, wozu er das Bischofsamt übernommen, gewiß, damit er ein Vater der Armen, ein Tröster und Mittler der Seelen sei, denn die bischöflichen Güter sind die Güter der Seelen. Werden diese fruchtlos verzehrt und verschwenderisch vergeudet, so werden jene Seelen Rache rufen über den ungerechten Ausspender. Was aber wird die Frucht der bischöflichen Würde sein? Das will ich Dir sagen; dieselbe wird eine zweifache sein, wie Paulus spricht, eine leibliche und eine geistliche. Eine leibliche, weil er auf Erden ein Statthalter Gottes ist und deshalb um der Ehre Gottes willen wie Gott von den Menschen geehrt wird. Im 405 Himmel wird sie leiblich und geistlich sein wegen der Verherrlichung des Leibes wie der Seele, indem dort der Diener mit dem Herrn sein wird, sowohl wegen des bischöflichen Wandels, den er auf Erden geführt, als wegen des Beispieles der Demut, wodurch er andere mit ihm zur Herrlichkeit geleitet hat. Jeglicher aber, der das bischöfliche Kleid und die bischöfliche Würde trägt, aber das bischöfliche Leben flieht, wird zwiefältiger Schande würdig sein. Daß die bischöfliche Gewalt nicht verkauft werden soll, bedeutet, daß ein Bischof nicht wissentlich Pfründen verkaufen, noch sein Amt um Geld oder Menschengunst verrichten soll; er darf auch diejenigen nicht um der Bitten der Menschen willen befördern, von denen er weiß, daß sie von schlechtem Lebenswandel sind; daß die Inful anderen nicht um der Menschen Freundschaft willen überlassen werden soll, bedeutet, daß der Bischof den Nachlässigen ihre Sünden nicht nachsehen, noch diejenigen ungestraft lassen soll, die er strafen kann, sondern daß er sie bessern soll. Er darf der Freunde Sünden um der fleischlichen Freundschaft willen nicht verschweigen, noch soll er die Sünden seiner Untergebenen auf seinen Rücken laden; denn er ist ein Wächter Gottes. Daß aber der Bischof seine Inful nicht aus Nachlässigkeit verlieren soll, bedeutet, daß der Bischof nicht anderen zu thun auftragen soll, was er in Person zu thun verpflichtet ist, auch mit besserem Erfolge thun kann; ferner darf er nicht um der fleischlichen Ruhe willen anderen überlassen, was er selbst in größerer Vollkommenheit verrichten könnte, weil das Bischofsamt kein Amt der Ruhe, sondern der Arbeit ist. Desgleichen soll ein Bischof nicht unbekannt sein mit dem Leben und den Sitten derer, denen er seine Ämter anvertraut; auch soll er wissen und sich erkundigen, wie sie die Gerechtigkeit bewahren, und ob sie sich klüglich und ohne Eigennutz in ihren Verrichtungen benahmen.
Nun will ich Dir zeigen, wie der Bischof, der die Stelle eines Hirten einnimmt, einen Blumenstrauß in seinen Händen zu tragen hat, durch welchen die Schafe, sie mögen nahe oder fern sein, angelockt werden und voll Freuden dem Dufte desselben nacheilen. Dieser Blumenstrauß bedeutet die göttliche Predigt, welche der Bischof halten soll. Die beiden Hände aber, an welche der Blumenstrauß der göttlichen Predigt sich lehnt, sind zweierlei Werke, welche für den Bischof nötig sind, nämlich: gute Werke öffentlich und 406 gute Werke im Verborgenen, damit die Schafe, wenn sie in seinem Bistume ihm nahe sind und die Liebe des Bischofs in den Werken wahrnehmen und in Worten hören, Gott in dem Bischofe preisen, die in der Ferne lebenden Schafe aber, wenn sie des Bischofes Ruhm vernehmen, mit allem Eifer ihm nachfolgen. Ein gar lieblicher Strauß ist, sich der Wahrheit und Demut gegen Gott nicht zu schämen, Gutes zu lehren und das Gute, das man lehrt, auch zu thun, demütig in der Ehre und fromm bei der Verachtung zu bleiben. Wenn nun der Bischof diesen Weg zurückgelegt hat und an der Pforte angelangt ist, muß er ein Gefäß in der Hand haben, das er dem höchsten Könige darreicht; dieses Gefäß ist sein Herz, daran er Tag und Nacht gearbeitet hat, um es leer von jeglicher Wollust oder Streben nach vergänglichem Lobe zu erhalten. Und wenn nun ein solcher Bischof ins Reich der Herrlichkeit eingeführt werden soll, wird ihm Jesus Christus, wahrer Gott und Mensch, mit dem ganzen Heere der Heiligen entgegenkommen. Dann wird er die Engel sagen hören: O unser Gott, unsere Freude und jegliches Gute! Dieser Bischof war rein im Fleische, männlich im Wirken; es geziemt sich also, daß wir ihn Dir vorstellen, denn er verlangte täglich nach unserer Gesellschaft; deshalb erfülle sein Verlangen und vermehre durch seinen Eingang unsere Freude. Dann werden auch die übrigen Heiligen sagen: O Gott, unsere Freude kommt von Dir und ist in Dir, und wir bedürfen keines anderen; gleichwohl wird unsere Freude erhöht von der Freude der Seele dieses Bischofes, welche, solange sie konnte, nach Dir verlangte. Er trug gar liebliche Blumen in seinem Munde, durch welche er unsere Zahl vermehrte; er hat sie in den Werken getragen, mit denen er die nahe und ferne Wohnenden erquickte; daher verleihe ihm, sich mit uns zu freuen, und Du freue Dich seiner in ähnlicher Weise, den Du, indem Du für ihn starbst, so sehr begehrt hast. Zuletzt wird der König der Herrlichkeit zu ihm sprechen: O Freund, Du bist gekommen, mir das Gefäß Deines Herzens zu überreichen, das Du von Dir selbst und Deinem eigenen Willen entleert hast; deshalb will ich Dich erfüllen mit meiner Lust und meiner Herrlichkeit; meine Freude wird die Deinige sein und Deine Herrlichkeit nimmer enden in mir." 407
Kapitel IV.
Worte der Mutter zur Tochter von der Begehrlichkeit böser Bischöfe, und wie wegen ihres guten Willens viele die geistliche Würde erlangen, welche von schlechten Bischöfen, die irdischerweise zum Amte kommen, verachtet werden. Dies wird durch ein weitläufiges Beispiel erläutert.
Die Mutter Gottes redete zur Braut des Sohnes und sprach: "Du beklagst es, daß, während die Liebe Gottes zum Menschen so groß ist, im Gegenteil des Menschen Liebe zu Gott so gering ist. In der That, so ist es. Wo ist ein Herr oder Bischof, der nicht nach Eigentum und Ehre vor der Welt, oder nach Reichtum größeres Verlangen hat, als danach, mit eigenen Händen den Armen beizustehen? und darum werden, weil Herren und Bischöfe nicht zu der allen, im Himmel bereiteten Hochzeit kommen wollen, die Armen und Kranken dahin gehen, wie ich Dir an einem Beispiele zeigen will. In einer Stadt war ein Bischof. Derselbe war gelehrt und wegen seiner Schönheit und seines Reichtums gepriesen; allein er zeigte sich gegen Gott, der ihm doch die Weisheit gegeben hatte, keineswegs dankbar. Um der Welt Gunst zu erlangen, gab er vieles von seinem Reichtum hin und er begehrte, noch weit mehr zu haben, um noch reichlicher spenden zu können und noch höher geehrt zu werden. Dieser Bischof hatte in seinem Sprengel einen angesehenen Kanonikus, welcher also bei sich dachte: Dieser Bischof liebt Gott weniger, als sich's gebührt. Sein ganzes Leben strebt nach dem Weltlichen. Wenn es daher Gott gefiele, möchte ich gern nach dem Bistum Verlangen tragen, um Gott die Ehre erweisen zu können. Ich wünsche es aber nicht um der Welt halber, weil der Welt Ehre nichts anderes ist, als Wind; auch nicht um des Reichtums willen, weil derselbe schwerer ist, als die schwerste Last; ebensowenig der Ruhe des Fleisches und eigenen Vorteils halber; denn ich darf nur einer vernünftigen Ruhe pflegen, damit der Leib im Dienste Gottes bestehen möge, sondern ich wünsche es nur um Gottes willen. Und obwohl ich der Ehre ganz unwürdig bin, möchte ich doch gern die Last des Bischofsamtes übernehmen, um Gott noch mehrere zu gewinnen, mehreren durch Wort und Beispiel nützen und mehrere 408 von den Gütern der Kirche unterhalten zu können. Denn Gott weiß, wie mir ein harter Tod lieber und eine bittere Strafe süßer zu ertragen wäre, als die bischöfliche Würde. Wenn ich auch dem Leiden ausgesetzt bin wie andere, so weiß ich doch, daß, wer ein Bistum begehrt, ein gutes Werk begehrt (1. Timoth. 3). Darum begehre ich gern die Ehre des Bischofs mit der Last des Bischofs, und zwar die Ehre wegen des Heiles vieler, die Last aber zu meinem eigenen Heile, der Liebe Gottes und der Seelen wegen, einzig zu dem Zwecke, um die Güter der Kirche reichlicher an die Armen ausspenden, die Seelen freier unterrichten, die Irrenden getroster anweisen, mein Fleisch desto reichlicher peinigen, mich selbst aber sorgfältiger zum Beispiele anderer beherrschen zu können. Dieser Kanonikus nun machte seinem Bischofe insgeheim, aber bescheidenen Vorhalt. Der Bischof aber nahm ihm seine Rede übel, beschämte den Geistlichen öffentlich und auf unkluge Weise, und redete demselben so viel Übles nach, daß er als Lügner und Narr verachtet, der Bischof aber für einen gerechten, umsichtigen Herrn gehalten ward. Der Kanonikus dagegen beweinte die Ausschweifungen des Bischofs und ertrug mit großer Geduld alles, was ihm derselbe zufügte. Im Verlaufe der Zeit gingen der Bischof und der Stiftsherr heim und wurden vor das Gericht Gottes gerufen. Vor seinem Angesichte und in Gegenwart der Engel sah man einen goldenen Stuhl, und vor dem Stuhle lag eine bischöfliche Inful und ein vollständiger Ornat. Viele böse Geister umgaben die Seele des Kanonikus, um an ihr etwas Verdammliches zu finden; denn des Bischofs waren sie so gewiß, wie der Walfisch seiner Jungen, welche er bei Stürmen in seinem Bauche lebendig erhält. Als aber wider den Bischof viele Klagen vorgebracht worden, z. B. warum und mit welcher Absicht er das Bistum angenommen, warum er der Güter seines Geistes sich hoffärtig überhoben, wie er die ihm anvertrauten Seelen regiert, wie er Gott für die ihm gewährte Gnade dankbar gewesen, und der Bischof auf die ihm vorgelegten Fragen sich nicht verantworten konnte, entgegnete der Richter: Auf das Haupt des Bischofs soll statt der Inful Hefen gelegt werden; statt der Handschuhe soll ihm Pech in die Hand gegeben; statt der Sandalen Kot um die Füße gelegt werden; statt des Chorhemdes und der bischöflichen Albe empfange er ein Hurentuch; statt der 409 Ehre Schande; für das zahlreiche Hausgesinde soll ihm eine Schar wütender Teufel beigegeben werden. Dagegen soll auf das Haupt des Kanonikus eine wie die Sonne glänzende Krone gesetzt werden, an seinen Händen soll er vergoldete Handschuhe haben, legt ihm Bundschuhe an die Füße, außerdem soll ihm mit allen Ehren das Bischofskleid angethan werden. Er ward sogleich mit dem bischöflichen Gewande bekleidet und von dem gesamten himmlischen Heere dem Richter unter Ehrenbezeigungen als Bischof dargestellt; den Bischof aber sah man hinabsteigen, mit einem Stricke um den Hals, wie ein Dieb; von seinem Anblicke wandte der Richter die Augen seines Mitleids hinweg und mit ihm alle Heiligen. Siehe, wie viele wegen ihres guten Willens auf geistliche Weise eine Würde erhalten, welche von denjenigen verachtet werden, die leiblich zu derselben berufen sind! Alles dieses geschah in einem Augenblicke vor Gott, Deinetwegen aber ist es in Worten ausgedehnt worden, weil tausend Jahre vor Gott wie eine Stunde sind. Täglich begiebt es sich auch, daß, seitdem die Bischöfe und Herren ihres Amtes nicht warten wollen, wozu sie berufen worden, Gott sich arme Priester erwählt, welche nach ihrem besten Gewissen zu Ehren Gottes leben und gern den Seelen behilflich wären, wenn sie könnten, auch thun, was sie vermögen, weshalb sie an die für die Bischöfe bereit gehaltenen Stellen gelangen. Denn Gott ist ähnlich demjenigen, welcher vor der Thür eine goldene Krone aufgehangen hatte und den Vorübergehenden zurief: Ein jeglicher, wessen Standes er immer sei, kann diese Krone verdienen, und jeder, welcher sich am edelsten mit Tugenden bekleidet hat, wird dieselbe erhalten. Allein wisse, daß, wenn die Bischöfe und Herren gar weise sind in fleischlicher Weisheit, Gott weiser ist, als sie, und zwar geistlicherweise; denn er erhöht die Demütigen und giebt den Hoffärtigen seinen Beifall nicht. Wisse auch, daß der belobte Kanonikus nicht selber persönlich sein Pferd zu besorgen brauchte, wenn er predigte oder sonst an sein Amt ging; auch heizte er nicht selbst seinen Herd, wenn er essen wollte, sondern er hatte Hausgesinde und das Nötige zu seinem angemessenen Unterhalte; auch Geld hatte er, aber nicht aus Habsucht. Denn, wenn ihm auch der Überfluß der ganzen Welt zugeströmt wäre, so hätte er doch keinen Heller dafür gegeben, daß er Bischof würde; auch würde er um die ganze Welt nicht das 410 Bistum verlassen haben, wenn es Gott nicht gefallen hätte, sondern er setzte seinen ganzen Willen auf Gott und war bereit, sich ehren zu lassen um der Ehre Gottes willen, ebenso wie bereit, aus Liebe und Furcht Gottes sich verwerfen zu lassen.
Kapitel V.
Die Worte des Ambrosius zur Braut vom Gebete der Frommen für das Volk, und wie durch die Steuerleute die Herren der Welt und der Kirche, durch die Stürme die Hoffart u. s. w. und durch den Hafen der Eingang zur Wahrheit bedeutet wird, und von der Berufung der Braut im Geiste.
Es steht geschrieben, wie die Freunde Gottes einst gerufen und Gott gebeten haben, daß er den Himmel zerreißen und herabsteigen möge, um sein Volk Israel zu befreien, Auf ähnliche Weise rufen auch die Freunde Gottes in diesen Zeiten und sprechen: O gütigster Gott, wir sehen, wie zahlloses Volk in gefahrvollen Stürmen untergeht, weil die Steuerleute habsüchtig sind und immer da anlanden wollen, wo sie größeren Gewinn für sich erwarten. So führen sie sich selber und die Leute dahin, wo sich die Wogen am entsetzlichsten aufwerfen, ohne daß die Leute den sichern Hafen wissen, und deshalb wird eine unzählige Menge von Menschen auf erbärmliche Weise in Gefahr gebracht und gar wenige gelangen zu einem guten Hafen. Darum bitten wir Dich, den König aller Herrlichkeit, Du wollest Dich herablassen, den Hafen zu beleuchten, damit das Volk seine Gefahren zu vermeiden imstande sei und ungerechten Steuerleuten nicht gehorchen müsse, sondern von Deinem gesegneten Lichte in den rechten Hafen eingeführt werde. Unter jenen Steuerleuten verstehe ich aber alle, welche auf leibliche oder geistliche Weise in der Welt Macht haben. Sehr viele unter ihnen lieben den eigenen Willen so sehr, daß sie auf den Nutzen der Seelen und ihrer Untergebenen nicht acht geben, indem sie sich in die wildesten Stürme der Welt, der Hoffart, der Augenlust und Fleischeslust, freiwillig hineinstürzen; die arme Gemeinde folgt ihnen nach, indem sie glaubt, auf dieser Bahn den rechten Weg inne zu halten; und so kommen sie und ihre Untergebenen miteinander um, indem sie jeglichem Hange ihres Willens nachgeben. Unter dem Hafen verstehe ich den Ein- 411 gang in die Wahrheit, welche jetzt vor vielen so verdunkelt ist, daß, wenn jemand vom Wege zum himmlischen Vaterlande, dem heiligsten Evangelium Jesu Christi, redet, sie ihn der Lüge bezichtigen und lieber denen nachfolgen, welche sich in Sünden jeglicher Art stürzen, als daß sie den Worten derer glaubten, welche die evangelische Wahrheit predigen. Unter dem Lichte, um das die Freunde Gottes baten, verstehe ich eine göttliche Offenbarung, welche in der Welt zu dem Ende geschehen soll, daß die Liebe Gottes im Herzen der Menschen erneuert zu werden vermöge und seine Gerechtigkeit weder vergessen, noch vernachlässigt werde. Und deshalb gefiel es Gott wegen seiner Barmherzigkeit und um der Bitten seiner Freunde willen, Dich in dem heiligen Geist zu erwählen, um geistlich zu sehen, zu hören und zu erkennen zu dem Ende, daß Du das, was Du im Geiste gehört hast, anderen nach Gottes Willen offenbaren mögest.
Kapitel VI.
Worte desselben Ambrosius zur Braut, welche ein Gleichnis von einem Manne, einer Frau und einer Magd darlegen, und wie unter dem Ehebrecher ein böser Bischof, unter dem Weibe die Kirche, unter der Magd die Weltliebe zu verstehen ist. Von dem überaus grausamen Urteile wider diejenigen, welche der Welt mehr als der Kirche anhängen.
Ich bin der Bischof Ambrosius, der Dir erscheint und mit Dir durch ein Gleichnis redet, weil Dein Herz das Verständnis der geistlichen Dinge ohne ein der Körperlichkeit entnommenes Gleichnis nicht zu fassen vermag. Es war einmal ein Mann, der hatte eine rechtmäßige Ehefrau, welche sehr anmutig und klug war. Seine Magd war ihm jedoch lieber, als seine Frau, und dies zeigte er auf dreifache Weise. Erstens, daß ihn die Worte und Gebärden der Magd mehr erfreuten, als die seiner Frau; zweitens, daß er die Magd mit den köstlichsten Gewändern bekleidete und sich nicht darum kümmerte, daß die Frau in zerrissenem Gewande einherging oder sich in gemeines Tuch kleidete; drittens, daß er neun Stunden bei der Magd zuzubringen pflegte und nur die zehnte bei seiner Frau. Die erste Stunde wachte er bei der Magd und er- 412 götzte sich an dem Anblicke ihrer Schönheit; die zweite Stunde schlief er in ihren Armen; die dritte Stunde über hielt er mit Freuden für die Magd körperliche Beschwerden aus; die vierte Stunde pflegte er mit ihr nach der Anstrengung des Körpers der leiblichen Ruhe; die fünfte Stunde hindurch hatte er Unruhe im Gemüte, indem ihn die stete Sorge über ihren Unterhalt quälte; in der sechsten Stunde gab er sich mit ihr der Ruhe des Gemütes hin, da er sich überzeugte, daß er ihr mit dem ihr gewährten Unterhalte schon ganz gefalle; in der siebenten Stunde entbrannte in ihm die Glut der fleischlichen Lust; in der achten Stunde erfüllte er mit ihr seine wollüstige Begierde; in der neunten Stunde unterließ er, etwas zu thun, wozu es ihn gelüstete; in der zehnten Stunde aber that er einiges, was zu thun er Abneigung hatte. So blieb er denn nur eine Stunde bei der Frau. Es kam aber einer der Verwandten der Frau zu dem Ehebrecher, schalt ihn heftig und sprach: "Kehre zu Deiner rechtmäßigen Frau zurück, liebe sie wieder, kleide sie, wie sich's gebührt, bringe neun Stunden bei ihr zu und nur die zehnte bei der Magd, sonst sollst Du wissen, daß Du den schlimmsten Tod zu erwarten hast." Unter diesem Ehebrecher verstehe ich den Vorsteher dieser Kirche, der zwar das bischöfliche Amt bekleidet, aber ein ehebrecherisches Leben führt. Er ist mit der heiligen Kirche dergestalt durch ein geistliches Band verbunden, daß sie seine geliebteste Gattin sein müßte; er hat aber seine Liebe abgezogen von ihr und liebt weit mehr die freche Welt, als seine so vortreffliche Gebieterin und Braut, und dies zeigt er auf dreifache Weise. Erstens freut er sich der trügerischen Schmeichelei der Welt mehr, als der liebevollen Willfährigkeit der Kirche; zweitens liebt er allen Schmuck der Welt, kümmert sich aber wenig um den Mangel des leiblichen und geistlichen Schmuckes der Kirche; drittens widmet er neun Stunden der Welt und nur die zehnte der heiligen Kirche. Die erste Stunde verwacht er fröhlich mit der Welt und betrachtet sich freudig deren Schönheit; die zweite Stunde schläft er süß in den Armen der Welt, welche da sind die Höhe seiner Mauern und die Wachsamkeit seiner Söldner, wobei er die glückliche Zuversicht hegt, daß seines Leibes Sicherheit hierdurch gewahrt werde; in der dritten Stünde erträgt er für die Welt und ihre Freuden gern körperliche Mühen; in der vierten Stunde überläßt er sich nach der körperlichen 413 Arbeit der Ruhe des Leibes; in der fünften Stunde verursacht ihm die Sorge für weltliche Dinge viel Gemütsunruhe; in der sechsten Stunde tröstet ihn die Erkenntnis, daß sein weltlicher Sinn den Leuten gefalle; in der siebenten Stunde entbrennt sein Herz in sündhafter Lust und setzt ihr Feuer seinen ganzen Willen in Flammen; in der achten Stunde vollbringt er in der That, was er vorher brünstig gewünscht hatte; in der neunten Stunde unterläßt er unnützerweise der Welt halber einiges, das ihm gefällt, damit er nicht diejenigen zu beleidigen scheine, die er fleischlich lieb hat; in der zehnten Stunde vollbringt er einiges Gute, aber nicht mit Freude, sondern aus Furcht, auf eine verächtliche Weise für ehrlos gehalten und erbärmlich beurteilt zu werden, wenn er dasselbe aus irgend einem Grunde ganz unterlassen hätte, und so pflegt er nur in der zehnten Stunde bei der heiligen Kirche zu bleiben. Das Gute, das er vollbringt, thut er nicht aus Liebe, sondern aus Furcht vor der Strafe des höllischen Feuers; könnte er mit gesundem Leibe im Überflusse weltlicher Dinge ewig leben, er würde sich um den Mangel der Seligkeit droben nicht kümmern. Deshalb versichere ich als ganz gewiß und schwöre, indem ich bei Gott schwöre, der ohne Anfang ist und ohne Ende sein wird, wenn er sich nicht bald zur heiligen Kirche wenden und ihr nicht neun Stunden widmen wird, der Magd aber, d. i. der Welt, nur eine, jedoch so, daß er, ohne ite zu lieben, ihre Reichtümer und Ehren nur nach Erfordernis des bischöflichen Amtes besitzt und alles zur Ehre Gottes und in Demut auf vernünftige Weise anwendet, so wird er an seiner Seele einen so schweren geistlichen Schlag erhalten, wie derjenige (um in einem leiblichen Bilde zu reden), welcher so schrecklich auf den Kopf geschlagen würde, daß die Fußsohle samt dem ganzen Fleische des Leibes auseinanderfiele, die Adern und Nerven zerrissen, die Knochen zerbrächen und das Mark auf klägliche Weise überall hervorflöße. Wie nun das Herz eines solchen Leibes aufs bitterste würde gepeinigt zu werden scheinen, wenn der Scheitel und die demselben näheren Glieder geschlagen würden, da sogar die Sohle des ganz entfernten Fußes den schmerzlichen Schlag empfindet, so wird auch, wie man glauben muß, die Seele, wenn sie der Schlag des göttlichen Gerichtes treffen will, aufs bitterste gepeinigt, und überall in unleidlicher Weise verwundet sein. 414
Kapitel VII.
Worte der Jungfrau zur Braut, wie ein Bischof, welcher die Welt liebt, einem mit Wind gefüllten Blasebalge und einer im Schlamme liegenden Schildkröte zu vergleichen ist, und wie ein solcher dem Bischofe Ambrosius entgegengestellt wird.
Die Schrift sagt: "Wer seine Seele lieb hat in dieser Welt, wird dieselbe verlieren." (Joh. XII.) Dieser Bischof aber liebt seine Seele ganz nach seinem Vergnügen, und in seinem Herzen ist keine geistliche Freude. Deshald kann er füglich verglichen werden mit einem mit Wind gefüllten Blasebalge vor einem Schmelzofen. Denn wie, wenn die Kohlen verzehrt sind und das feurige Erz ausfließt, noch Wind in dem Blasebalge zurückbleibt, also bleibt auch bei ihm, obwohl er seiner Natur alles zukommen läßt, was sie begehrt, und seine Zeit unnütz hinbringt, dieselbe Lust, wie der Wind im Blasebalge. Denn sein Sinn ist gerichtet auf Hoffart und Begierlichkeit der Welt; dadurch giebt er den im Herzen Verhärteten Gelegenheit und Vorbild, zu sündigen, worauf sie dann in Sünden verzehrt zur Hölle hinabfahren. Also war es nicht um den guten Bischof Ambrosius bestellt. Sein Herz war ganz erfüllt mit dem göttlichen Willen. Seine Speise und sein Schlaf waren gemessen. Er blies die Lust der Sünde von sich und brachte seine Zeit nützlich und ehrbar hin; so kann er füglich ein Blasebalg der Tugenden genannt werden. Er heilte die Wunden der Sünde mit den Worten der Wahrheit, entzündete die Kalten mit göttlicher Liebe und dem Beispiele seiner guten Werke, und diejenigen, welche entflammt waren in der Wollust der Sünde, erkalteten darin vor seinem reinen Leben. Und so hat er vielen geholfen, daß sie nicht hinabstürzten in den Tod der Hölle, weil die göttliche Lust in ihm verblieb, so lange er lebte. Jener andere Bischof aber ist einer Schildkröte ähnlich, welche in ihrem angeborenen Schmutze liegt und ihr Haupt auf der Erde hinschleift. So liegt er, belustigt sich am Greuel der Sünde und schleift sein Herz nach dem Irdischen, nicht zu dem Ewigen. Er soll sich aber zu Gemüte führen, erstens, wie er es mit seinem priesterlichen Amte gehalten habe; 415 zweitens . was das Wort des Evangeliums: "Ihre Kleider sind wie Schafskleider, inwendig aber sind sie reißende Wölfe," bedeute; drittens, warum das, was zeitlich ist, so sehr brennt in seinem Herzen, der Schöpfer aller Dinge aber darin nur Kälte findet.
Kapitel VIII.
Worte der Jungfrau zur Braut von ihrer eigenen Vollkommenheit und Vortrefflichkeit und von der Ungeordneten Neigung der neueren Lehrer; von ihrer falschen Antwort, welche sie auf die von der glorwürdigen Jungfrau selbst ihnen vorgelegte Frage erteilt haben.
Die Mutter sprach: "Ich bin diejenige, welche von Ewigkeit her in der Liebe Gottes war, und der heilige Geist war von meiner Kindheit an vollkommen bei mir. Nimm ein Beispiel an der Nuß. Während die äußere Schale sich erweitert, wächst auch der innere Kern, so daß die Nuß immer voll und nichts Leeres darin ist, was irgend etwas Äußeres aufnehmen könnte. So war auch ich ähnlicherweise von meiner Kindheit an des heiligen Geistes voll, und nach Maßgabe des Wachstums meines Leibes und Alters erfüllte mich mit seinem Überflusse der heilige Geist ganz, so daß nichts in mir leer blieb, um irgend einer Sünde den Eingang zu gewähren. Darum bin ich auch diejenige, die niemals eine läßliche oder Todsünde beging. Ich war in der Liebe Gottes so inbrünstig, daß mir nichts gefiel, als den Willen Gottes zu vollbringen, so sehr brannte in meinem Herzen das Feuer der göttlichen Liebe. So hat denn auch der über alles gebenedeite Gott, welcher mich in seiner Macht erschuf und mit der Kraft des heiligen Geistes erfüllte, eine feurige Liebe zu mir gehabt. Und aus dieser Liebesinbrunst hat er seinen Boten an mich gesendet und mich seinen Willen erkennen lassen, daß ich die Mutter Gottes werden solle. Als ich erkannt hatte, wie dieses Gottes Wille sei, ging sogleich, vermöge des Feuers der Liebe, die ich in meinem Herzen zu Gott hatte, aus meinem Munde das Wort des wahren Gehorsams hervor, womit ich dem Boten antwortete: Mir geschehe nach Deinem Worte. Und in demselben Augenblicke ist in mir 416 das Wort Fleisch und Gottes Sohn mein Sohn geworden, und so hatten wir beide Einen Sohn, welcher beides ist, Gott und Mensch, ähnlich, wie ich Jungfrau und Mutter bin. Während nun dieser mein Sohn, welcher der weiseste Mensch und wahrer Gott ist, Jesus Christus, unter meinem Herzen lag, habe ich von ihm solche Weisheit überkommen, daß ich nicht allein vermögend bin, die Weisheit der Doktoren zu verstehen, sondern auch in ihre Herzen sehe, ob ihre Worte aus göttlicher Liebe oder nur aus erlerntem Wissen hervorgehen. Deshalb melde Du, welche Du die Worte vernimmst, jenem Doktor, daß ich ihm drei Fragen vorlege: ob ihn nach der weltlichen Gunst und Freundschaft des Bischofs mehr verlange, als nach dem geistlichen Gewinne seiner Seele für Gott; ob ihn der eigene und besondere Besitz vielen Geldes mehr freue, als der gänzliche Mangel desselben; drittens, was ihm von diesen beiden am meisten gefalle, ob nämlich: ein Doktor genannt zu werden und um weltlicher Ehre willen unter den ersten der Geehrten zu sitzen, oder ob ein einfacher Bruder zu heißen und unter den letzten zu sitzen. Diese drei Dinge soll er fleißig erwägen. Denn, wenn er den Bischof mehr auf leibliche, als auf geistliche Weise liebt, dann folgt daraus, daß er ihm mehr das sagt, was ihm angenehm zu hören ist, als daß er seine Sinnlichkeit bekämpft, die er so gern pflegt. Wenn er sich aber über vielen Geldes mehr freut, als über den Mangel desselben, dann liebt er den Reichtum mehr, als die Armut, und es hat den Anschein, er werde seinen Freunden raten, sie sollen nur alles, was sie bekommen können, behalten, statt desjenigen sich zu entledigen, was sie leicht entbehren könnten. Hat er aber Freude am Namen Doktor um der weltlichen Ehre willen und daran, unter den Geehrten seinen Platz zu nehmen, dann liebt er die Hoffart mehr, als die Demut; und erscheint deshalb vor Gott ähnlicher einem Esel, als einem Magister; denn alsdann kaut er leeres Stroh, welches dem gelehrten Wissen ohne Liebe vergleichbar ist, wobei der gute Weizen fehlt, welcher mit der Liebe zu vergleichen ist. Diese göttliche Liebe kann in einem hoffärtigen Herzen niemals sich befestigen. Auf des Doktors Entschuldigung aber, welcher sich verteidigte und sagte, er hege das größte Verlangen, der Seele des Bischofs um Gottes willen zu dienen, er habe am Gelde gar keinen Gefallen und kümmere sich drittens nicht 417 um den Namen Doktor, antwortete die Mutter wiederum: Ich bin diejenige, welche aus des Engels Gabriel Munde die Wahrheit vernahm und unzweifelhaft glaubte, weshalb auch die Wahrheit Fleisch und Blut annahm aus meinem Leibe und in mir blieb. Diese nämliche Wahrheit habe ich auch aus mir geboren; dieselbe ist beides, Gott und Mensch, aus sich. Und weil die Wahrheit, welche Gottes Sohn ist, zu mir kommen, in mir wohnen und von mir geboren werden wollte, deshalb erkenne ich auf die vollste Weise, ob im Munde der Menschen Wahrheit ist oder nicht. Ich habe dem Doktor drei Fragen vorgelegt und ich würde ihn gelobt haben, daß er gut geantwortet hätte, wenn in seinen Worten Wahrheit gewesen wäre; da aber dieselbe in seinen Worten nicht war, so warne ich ihn vor drei anderen Dingen: Erstens, daß es etliche Dinge giebt, welche er leiblich begehrt und liebt; diese wird er aber in keinerlei Weise erlangen; das zweite ist, daß er das, was er jetzt hat, samt der weltlichen Freude gar bald verlieren wird; das dritte ist, daß die Kleinen werden eingehen zum Himmel, die Großen aber draußen stehen werden, weil die Pforte zu eng ist."
Kapitel IX.
Worte der Jungfrau von den Blinden, welche die Klarheit der Sonne nicht sehen, von den Tauben, die nicht hören, und von den Toten, welche keinen Geschmack haben.
Die Sonne leuchtet, aber der Blinde sieht sie nicht und stürzt beim Glanze ihrer Klarheit und Schönheit in den Abgrund; die aber ein helles Auge haben, sehen die Klarheit der Sonne und wünschen sich Glück, wenn sie die Gefahren der Reise überwunden haben. Der Taube hört nicht, wenn der Waldbach mit tosendem Ungestüm aus der Höhe auf ihn herabfällt; derjenige aber, der es hören kann, flieht an einen sicheren Ort, und während der Tote ohne Geschmack ist und im Grabe verwest, hat der Lebende süßen Geschmack an einem guten Trunke, an dem er sich im Herzen erfreut und zu jeder männlichen That kühn gemacht wird. 418
Kapitel X.
Die Jungfrau redet zur Braut über die Gewißheit der Worte, welche sie zu ihr gesprochen, sowie über die Gefahr und den nahenden Verfall der Kirche, und wie die Verwalter der Kirche jetzt leider ihr Auge auf das Hurenleben, den Geldgeiz und auf die hochmütige Verschwendung der Kirchengüter gerichtet haben, und vom Zorn Gottes, welcher gegen solche Leute erweckt wird.
Die Mutter sprach: "Fürchte Dich nicht vor dem, was Du jetzt sehen wirst, und glaube nicht, daß es vom bösen Geiste herrühre; denn wie mit dem Nahen der Sonne Licht und Wärme kommen, welche einen dunkeln Schatten nicht ertragen, so werden mit der Ankunft des heiligen Geistes Dein Herz die Glut der göttlichen Liebe und die vollkommene Erleuchtung des heiligen Glaubens erfüllen - und diese beiden können mit dem Teufel nicht beisammen sein, wie das Licht nicht mit dem Schatten. Sende also an den, welchen ich Dir genannt habe, meinen Boten, denn, obwohl ich sein Herz und seine Antwort und das schnelle Ende seines Lebens kenne, sollst Du ihm doch folgendes zukommen lassen: Ich lasse ihn wissen, wie aus der rechten Seite der heiligen Kirche die Grundmauer derselben so arg eingefallen ist, daß die Decke des Gewölbes mehrere Risse hat und gefährliche Herabstürze veranlaßt, so daß mehrere, welche darunter hinweggehen, das Leben verlieren, und mehrere Säulen, welche in die Höhe streben sollten, sich bis zur Erde beugen. Auch das ganze Pflaster ist so untergraben, daß die Blinden, welche hineingehen, auf gefährliche Weise fallen. Es begiebt sich aber auch zuweilen, daß hell Sehende zugleich mit den Blinden wegen der gefährlichen Löcher im Pflaster schweren Fall thun. Aus diesen Gründen nun hat die Kirche Gottes einen gefährlichen Stand, so daß ihr nichts näher steht, als der Einsturz. Fürwahr, ich sage Dir, daß, wenn die Risse nicht ausgebessert werden, ihr Fall so groß sein wird, daß man denselben durch die ganze Christenheit vernimmt. Ich aber bin die Jungfrau, in deren Schoß Gottes Sohn durch eine jungfräuliche Empfängnis zu kommen sich hat gefallen lassen und er, der Sohn Gottes selber, ist zu meinem größten Troste und ohne irgend einen Schmerz aus 419 meinem verschlossenen Schoße hervorgegangen, Ich stand auch neben dem Kreuze, als er mit seiner Geduld die Hölle siegreich überwand und durch seines Herzens Blut den Himmel öffnete. Ich war ferner auf dem Berge, als Gottes Sohn, der auch mein Sohn ist, gen Himmel fuhr. Ich habe auch den ganzen katholischen Glauben auf das deutlichste erkannt, den er, die frohe Botschaft verkündigend, alle lehrte, die in den Himmel eingehen wollten. Ich nun, dieselbe, stehe über der Welt unter beständigem Gebete, wie ein Regenbogen über der Wolke, der sich auf die Erde hinabzuneigen und dieselbe mit beiden Enden zu berühren scheint. unter dem Regenbogen verstehe ich mich selber, da ich mich hinabneige zu den Bewohnern der Welt, indem ich Böse wie Gute mit meinem Gebete berühre; zu den Guten nämlich neige ich mich, damit sie in allem, was die heilige Kirche gebietet, standhaft werden; zu den Bösen aber, damit sie nicht fortschreiten in ihrer Bosheit, noch weniger, daß sie darin zunehmen. Ich mache also demjenigen, den ich Dir genannt habe, bekannt, daß auf der einen Seite der Erde schreckliche Wolken sich erheben wider die Klarheit des Regenbogens. Unter diesen Wolken verstehe ich diejenigen, welche im Fleische ein unkeusches Leben führen, gleich der Tiefe des Meeres in der Geldgier unersättlich sind und ihre Güter unvernünftig und verschwenderisch zum Dienste ihrer Hoffart vergeuden, wie ein Gießbach ungestüm seine Wasser hinschleudert. Dieser drei Laster machen sich die Vorsteher der Kirche schuldig und ich sehe, wie dieselben erschrecklich hinaufsteigen vor das Angesicht Gottes wider mein Gebet, wie die häßlich schwarzen Wolken gegen die Klarheit des Himmelsbogens. So erregen die, welche mit mir den Zorn Gottes besänftigen sollten, Gottes Zorn wider sich, was doch wirklich in der Kirche Gottes unerhört sein soll. Wenn also jemand seine Sorge darauf verwenden will, daß der gebenedeite Weinberg, den Gott mit seinem Blute gründete, erneuert werde, und wenn er sich für unvermögend erkennt, so will ich, die Königin der Himmel, ihm mit allen meinen Engeln zu Hilfe kommen, die verdorbenen Wurzeln ausreißen, die unfruchtbaren Bäume ins Feuer werfen und an deren Stelle fruchttragende Reiser einsetzen. Unter dem Weinberge verstehe ich die Kirche Gottes, worin die Demut und die göttliche Liebe erneuert werden müssen." 420
Es folgt ein Zusatz.
Der Sohn Gottes redete von des Papstes Gesandten: "Ihr seid in die Gesellschaft der Höheren gekommen und werdet noch höher hinaufsteigen. Deshalb erwirbt sich derjenige das größte Verdienst, welcher sich dahin bemüht, daß die Demut erhöht werde, weil die Hoffart schon gar zu hoch gestiegen war. Die größte Ehre wird auch derjenige haben, welcher Liebe zu den Seelen hat; denn der Ehrgeiz und die Simonie herrschen jetzt in den meisten. Glücklich wird auch derjenige sein, welcher nach Vermögen dahin strebt, daß die Laster aus der Welt vertilgt werden, weil dieselben schon weit mächtiger geworden sind, als zuvor. Es ist auch gar nützlich, Geduld zu haben und zu erbitten; denn in den Tagen vieler, welche jetzt leben, wird die Sonne sich zerteilen, die Sterne werden verwirrt und die Weisheit wird bethört werden. Die Demütigen auf Erden werden seufzen und die Kühnen werden die Oberhand haben. Dies zu erkennen und zu erklären, liegt den Weisen ob, da sie das Rauhe zu ebnen und das Zukünftige vorherzusehen wissen."
Vorstehende Offenbarung ist dem Kardinale Albani, welcher damals Prior war, zu teil geworden.
Kapitel XI.
Glaubensworte der Braut zu Christo. und wie Johannes der Täufer die Braut von der Gewißheit überzeugt, daß Christus mit ihr rede; von dem Glücke eines frommen Reichen und wie ein unbescheidener Bischof wegen seiner Thorheit und bösen Lebens mit einem Affen verglichen wird.
Die Braut redete mit Christo im Gebete und sprach demütig: "O mein Herr Jesu Christe! ich glaube so fest an Dich, daß, wenn auch eine Schlange vor meinem Munde lüge, ich doch nicht glauben würde, daß sie anders hineinkommen könne, als wenn Du es zu meinem Heile erlaubtest." Johannes der Täufer antwortete: "Derjenige, welcher Dir erscheint, ist wirklich Gottes Sohn, welchem der Vater vor meinen Ohren Zeugnis gab, indem er sprach: Dies ist mein Sohn. Er ist es, von dem der heilige Geist ausgegangen, welcher, während ich die Taufe vollzog, in Gestalt einer 421 Taube erschien. Derselbe ist nach dem Fleische wahrer Sohn der Jungfrau, dessen Leib ich mit meinen Händen berührt habe. Glaube ihm daher fest und wandle seinen Weg. Er ist es, welcher den rechten Weg zum Himmel wies, auf welchem der Arme und der Reiche zum Himmel gelangen können. Du möchtest aber fragen: Wie muß ein Reicher beschaffen sein, welcher in den Himmel eingehen will, da Gott in Person gesagt hat, es sei leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als daß ein Reicher in den Himmel komme? Hierauf antworte ich Dir: Ein solcher Reicher muß so beschaffen sein, daß er Furcht hat, er möge etwas auf üble Art gewonnen haben; er muß besorgt sein, daß er seine Güter nicht unnütz und wider Gott anwende; er muß wider Willen besitzen und von Besitz und Ehre der Welt sich gern geschieden sehen und nur betrübt sein über den Verlust der Seelen und die Verunehrung Gottes. Und obwohl er nach göttlicher Anordnung in gewisser Weise die Welt haben muß, so gehe doch sein einziges Bestreben nach dem Besitze der Liebe Gottes. Ein solcher Reicher ist ein fruchtbarer und seliger Reicher und Gott teuer. Solch ein Reicher ist aber jener Bischof nicht; denn er ist einem Affen ähnlich, welcher vier Eigentümlichkeiten hat. Die erste ist, daß er mit Haaren bekleidet ist, welche den ganzen Oberteil bedecken und bis auf die Füße reichen, die Schamglieder aber nackt lassen; die zweite Eigenschaft ist, daß er mit seinen Fingern allen Unflat anfaßt und an den Mund hält; die dritte ist, daß er zwar ein den Menschen ähnliches Gesicht hat, aber an Farbe und übriger Gestalt ein Tier ist; die vierte ist, daß er mit Händen und Füßen im Kot wühlt. Einem Affen gleich ist dieser thörichte Bischof, in seinem vorwitzigen Trachten nach der Eitelkeit der Welt und in seiner Unfähigkeit zu einer gedeihlichen Wirksamkeit; er hat zwar Kleider, d.. h. die bischöflichen Weihen, welche sehr ehrwürdig und bei Gott kostbar sind, allein seine Scham erscheint entblößt, wodurch er die Leichtfertigkeit seines Wandels und seine fleischliche Neigung zum Verderben der Seelen offenbart. Der Affe ist ferner ein unreinliches Tier, das den Unflat liebt, den er mit seinen Fingern an den Mund führt und daran riecht. Den Finger gebraucht der Mensch, um auf eine Sache hinzuweisen, die er bezeichnen will, wie auch ich, als ich Gott in seiner Menschheit sah, mit dem Finger auf ihn zeigte mit den 422 Worten: Siehe, das Lamm Gottes. Unter den Fingern dieses Bischofs verstehe ich die einem Bischofe zustehenden Tugenden, womit er auf die Gerechtigkeit Gottes und seine Liebe hinweisen soll; - dieser aber streckt seine Finger nur nach Unflat aus, denn er ist reich, weltklug und ein Geldverschwender, und rühmt sich des Fleisches, seines großen Hausgesindes und seines aufgeblasenen Beutels. Der Affe hat auch ein den Menschen ähnliches Antlitz, aber eine übrigens tierische Gestalt. So hat jener zwar eine mit dem Siegel Gottes gezeichnete Seele, welche aber durch ihre eigene Begierlichkeit verunstaltet ist. Viertens, gleichwie der Affe mit Händen und Füßen im Kote wühlt, so strebt jener mit Neigung und That dem Irdischen zu, indem er sein Antlitz vom Himmlischen abwendet und es dem Irdischen zuneigt wie ein unvernünftiges Tier. Besänftigt ein solcher den Zorn Gottes? Mit nichten! Sondern er ruft vielmehr die Gerechtigkeit Gottes wider sich auf."
Zusatz.
Diese Offenbarung ist in Bezug auf einen Kardinallegaten im Jahre des Jubiläums geschehen. Der Sohn Gottes sprach: "O Du hoffärtiger Zungendrescher, wo ist Deine Pracht, wo sind Deine Pferde in Bereitschaft? Du hast nicht erkennen wollen, als Du in Ehren saßest; deshalb bist Du jetzt verunehrt. Sage daher, wiewohl ich alles weiß, so daß es meine neue Braut hört, dasjenige, um was ich Dich frage." Und sogleich ließ sich eine zitternde und nackte Person sehen, welche auf eine wunderbare Art verunstaltet erschien. Zu derselben sprach der Richter: "O Seele, Du hast die Welt und ihre Reichtümer verachten gelehrt, weshalb gehst Du ihnen also nach?" Die Seele antwortete: "Weil mir der garstigste Gestank süßer schmeckte, als der lieblichste Duft." Sobald dies Wort ausgesprochen war, ward durch einen Mohren der Seele ein Gefäß voll Schwefel und Gift eingegossen. Sodann sprach der Richter: "O Seele, Du bist den Völkern zu einem Leuchter des Lichtes gesetzt gewesen, warum leuchtetest Du nicht durch Wort und Vorbild?" Die Seele entgegnete: "Weil Deine Liebe aus meinem Herzen ausgetilgt war. Ich ging wie ein Mensch ohne Gedächtnis und wie ein Mann, der sich umhertreibt und weder auf die Gegenwart Rücksicht nimmt, noch auf die Zukunft acht hat." Nach diesen 423 Worten ward die Seele der Augen beraubt. Und ein Mohr, welcher danebenstehend sich zeigte, sprach: "O Richter, diese Seele ist mein, was soll ich thun?" Der Richter antwortete: "Reinige sie und prüfe sie wie unter einer Presse, bis die Ratsversammlung kömmt, worin über die Aussagen der Feinde und Freunde Erörterung gepflogen werden wird."
Kapitel XII.
Die Braut redet mit Christo und läßt für den benannten Bischof Bitten er- gehen; von den Antworten Christi, der Jungfrau und der heiligen Agnes, welche der Braut erteilt worden.
O mein Herr, ich weiß, daß niemand in den Himmel eingeht, den der Vater nicht gezogen hat. Deshalb, o liebreichster Vater, ziehe jenen kranken Bischof zu Dir, Du aber, Sohn Gottes, hilf seinem Bemühen, und Du, heiliger Geist, erfülle ihn mit Deiner Liebe. Darauf antwortete ihr der Vater: "Dieser Bischof gleicht einem Manne, welcher in der Herberge stehend bei sich erwägt, welchen Weg er einschlagen soll." Die Braut antwortete: "O mein Herr, steht nicht geschrieben, daß niemand beständig beharrt in diesem Leben, sondern er geht entweder zu Besserem oder Schlimmerem über?" Der Vater entgegnete: "Beides läßt sich sagen; denn er steht gleichsam zwischen zwei Wegen, nämlich: dem der Freude und dem des Schmerzes. Er wird beunruhigt durch den Schrecken der ewigen Strafe; er strebt danach, die himmlische Freude zu erlangen, allein es erscheint ihm doch schwierig, den Weg, welcher zur Freude führt, vollkommen zu wandeln, er wird aber den Weg verfolgen, auf den ein heißeres Verlangen ihn führen wird." Desgleichen sprach die selige Agnes: "Dieser Bischof ist einem Manne gleich, der auf zwei Wegen steht, von deren einem er weiß, daß er im Anfange eng, am Ende aber freudenreich ist, vom anderen, daß derselbe eine Zeit lang ergötzlich ist, aber an seinem Ende einen unersättlich tiefen und schmerzlichen Abgrund hat. Während nun der Wanderer beim Nachdenken über diese Wege vor dem unergründlichen Abgrunde des einen sich fürchtete, schien er doch an seinem ergötzlichen Anfange Gefallen zu finden, 424 und er dachte bei sich: Neben diesem ergötzlichen Wege befindet sich ein kürzerer Seitenpfad; finde ich diesen zuletzt, so kann ich auf dem ersten Wege lange in Sicherheit wandeln, und wenn ich mich dem Ende und der Tiefe genähert haben werde, werde ich mich durch den Seitenpfad noch retten können. Er wandelte nun sicher des Weges dahin, als er aber an den Abgrund gelangt war, stürzte er jämmerlich hinein, weil er den Seitenpfad nicht, wie er dachte, gefunden hatte. Männer, welche in dieser Art denken, giebt es heutzutage viele, Diese sprechen also bei sich: Es ist beschwerlich, auf dem engen Pfade zu wandeln, und hart, den eigenen Willen und die Ehre aufzugeben; deshalb machen sie sich eine falsche und gefährliche Hoffnung. Unser Weg, sagen sie, ist lang, Gottes Barmherzigkeit sehr groß, diese Welt ist gar ergötzlich und zur Freude erschaffen; deshalb ist mir nichts im Wege, wenn ich eine Zeit lang die Welt gebrauche nach meinem Willen, am Ende meines Lebens will ich ja Gott folgen und den Seitenpfad einschlagen neben dem Wege dieser Welt, d. i. die Reue und die Beicht; wenn ich diese haben und verrichten werde, so werde ich gerettet sein. Ein solcher Gedanke, nämlich sündigen wollen bis ans Ende und dann beichten, gewährt ihnen gar schwache Hoffnung, weil sie zuvor nicht wissen, wann man fällt. Es wird sie auch im letzten Augenblicke zuweilen ein so großer Schmerz überfallen und das Ende sich so plötzlich einstellen, daß sie in keinerlei Weise eine fruchtbare Reue werden finden können. Und mit Recht; denn sie haben das künftige Übel nicht voraussehen mögen, obwohl sie konnten, sondern sie haben die Barmherzigkeit Gottes in den Kreis ihrer Willkür und Beschränkung ziehen wollen. Sie haben auch mit der Sünde nicht eher ein Ende machen wollen, als bis die Sünde sie nicht mehr ergötzen konnte. In ähnlicher Weise stand jener Bischof zwischen den beiden gedachten Wegen und da er sich dem ergötzlichen Wege des Fleisches zuwendete, sah er vor sich drei beschriebene Blätter. Das erste Blatt liest er mit Vergnügen und anhaltend; das zweite mit Unterbrechung und ohne Vergnügen; das dritte selten und mit Schmerz. Das erste Blatt zeigt ihm Reichtum und Ehren, die ihn ergötzen; das zweite die Furcht vor der Hölle und dem künftigen Gerichte, welche ihn beunruhigt; das dritte die Liebe und die kindliche Furcht, welche selten gelesen wird. Denn wenn er acht gäbe, 425 was Gott für ihn gethan und aufgewendet hat, so würde in seinem Herzen niemals die Liebe Gottes erlöschen." Die Braut antwortete: "O Gebieterin, bitte für ihn!" Und hierauf sprach die selige Agnes: "Was bewirkt die Gerechtigkeit anders, als das Gericht? und was die Barmherzigkeit, als daß sie anlockt?" Die Mutter Gottes sprach: "Dem Bischofe soll gesagt werden: Obwohl Gott alles thun kann, muß gleichwohl der Mensch persönlich mitwirken, damit die Sünde geflohen und die göttliche Liebe erlangt werde. Drei Dinge sind es, welche dazu bewegen, die Sünde zu fliehen, und drei Mittel giebt es, die göttliche Liebe zu erlangen. Die drei Dinge, mittels deren man die Sünde flieht, sind: Erstens vollkommene Buße; zweitens das Bestreben, dieselbe nicht wieder zu begehen; drittens, sich nach den Beispielen derer zu richten, welche man die Welt hat verachten sehen. Die drei Dinge, welche mitwirken, um die Gnade zu erlangen, sind: Demut, Barmherzigkeit und die Arbeit der Liebe. Wer auch nur ein einziges Vaterunser andächtig betete, um die Liebe zu erhalten, der würde gar schnell von der Liebe erwärmt werden.
Von dem anderen Bischofe, den ich Dir früher zeigte, wirst Du Dich überzeugen, daß auf dem Wege, den er geht, die Gräben ihm viel zu breit erscheinen, um hinüberzuspringen, die Mauern zu hoch, um hinüberzusteigen, die Schlösser zu stark, um erbrochen zu werden; deshalb stehe ich und warte auf ihn. Er hat aber sein Haupt umgewendet und blickt auf drei Haufen von Menschen, deren Beschäftigung ihn ergötzt. Der erste Haufe tanzt, und er spricht zu ihnen: "Ich sehe euch gern zu, wartet auf mich; der zweite steht nachdenklich da, und er spricht zu ihnen: Was ihr sehet, möchte auch ich sehen, denn es scheint mir etwas Angenehmes zu sein; der dritte ruht und ist guter Dinge, und bei ihnen läßt er sich nieder, um zu ruhen. Mit den Tänzern will er von einer Freude zur anderen eilen, mit den Nachdenklichen seinen Sinn auf Erwerb zeitlicher Güter richten, mit denen, welche sich der Ruhe überlassen, der Ruhe des Fleisches pflegen. Um meine Worte aber, ,die ihm hinterbracht worden sind, kümmert er sich nicht, daß, wenn er sein mir gegebenes Versprechen halten werde, auch ich das meinige halten werde." Die Braut antwortete: "O gütigste Mutter, weiche nicht von ihm." "Ich weiche nicht von ihm," entgegnete die Mutter, "bis 426 die Erde die Erde aufnimmt, ich werde ihm dienen wie eine Magd und helfen wie eine Mutter. Wie die Erde Kräuter und Blumen von verschiedener Art und Gattung hervorbringt, so würden, wenn alle Menschen vom Anbeginne der Welt in ihrem ursprünglichen Zustande geblieben wären, alle ausgezeichneten Lohn empfangen haben; denn ein jeder, der in Gott ist, geht von einer Freude zur anderen über, ohne daß er derselben überdrüssig wird, sondern seine Freude wird sich beständig erneuern und vermehren."
Erklärung.
Dieser war Bischof zu Wexiö. Als er sich zu Rom befand und wegen seiner Rückkehr sehr in Ängsten war, vernahm Brigitta im Geiste: "Sage dem Bischofe, daß sein Bleiben nützlicher ist, als das Eilen, und diejenigen von seinem Gefolge, welche ihm vorausgegangen waren, werden ihm folgen. Wenn er nun nach seinem Vaterlande zurückgekehrt ist, wird er meine Worte wahr finden." So geschah dann auch alles. Denn bei seiner Rückkehr fand er den König gefangen und das ganze Reich in Unruhe. Auch diejenigen aus seinem Gefolge, welche vorausgesandt waren, wurden unterwegs verhindert und folgten ihm weit nach. - "Wisse auch, daß jene Frau, welche sich in des Bischofs Gefolge befindet, gesund heimkehren wird. Sie wird aber auch nicht im Vaterlande sterben." Und so geschah es. Denn sie zog zum anderen Male nach Rom und ist daselbst gestorben und begraben.
Noch von demselben Bischofe.
Als die Frau Brigitta vom Berge Gargano herabgekommen war zu der Stadt Manfredonia im Reiche Apulien, war eben dieser Bischof in ihrem Gefolge. Durch einen ihm auf dem Berge begegnenden Unfall stürzte er so hart vom Pferde, daß ihm zwei Rippen zerbrachen. Am Morgen früh, als die Frau sich auf die Reise zum heiligen Nikolaus von Bari machen wollte, ließ er sie zu sich rufen und sprach: "O Frau, es fällt mir schwer, ohne Euere Gegenwart hier zu bleiben, aber auch Euch ist es beschwerlich, Euch meinethalben aufzuhalten, namentlich wegen jener umherstreifenden Leute. Ich bitte Euch um der Liebe Jesu Christi willen, bittet Gott für mich und berührt meine Schmerzensseite; denn ich hoffe, daß durch die Berührung Euerer Hand mein Schmerz besänftigt werde." Vom Mitleid zu Thränen gerührt, sprach sie: "O mein Herr, ich werde für etwas gehalten, das ich nicht bin; denn ich bin die größte Sünderin vor Gottes Angesicht; aber wir alle wollen Gott bitten und derselbe wird Euerem Glauben entsprechen." Sie verrichtete ein Gebet und berührte, nachdem sie sich wieder erhoben, die Seite des Bischofs und 427 sprach: "Der Herr Jesus Christus möge Dich heilen!" Sofort verschwand der Schmerz; der Bischof stand auf und folgte der Frau auf ihrer ganzen Reise, bis sie nach Rom zurückkehrte.
Kapitel XIII.
Worte der Mutter zur Tochter, wie die Worte und Werke Christi durch einen Schatz, seine Gottheit durch eine Burg, die Sünden durch Schlösser, die Tugenden durch Mauern und die Schönheit der Welt und die Lust an Freunden auf wunderbare Weise durch zwei Gräben bedeutet werden; es wird auseinandergesetzt, wie der Bischof sich in Bezug auf die Seelsorge verhalten soll.
Die Mutter Gottes redete zur Braut des Sohnes und sprach: "Jener Bischof hat großes Verlangen nach meiner Liebe; deshalb hat er das zu thun, was mir am liebsten ist. Ich weiß einen Schatz, dessen Besitzer nie arm sein wird. Wer denselben sieht, den werden niemals Trübsal und Tod schmerzen. Wer denselben begehrt, wird alles mit Freuden haben. Dieser Schatz ist aber in einer festen Burg mit vier Schlössern verschlossen. Die Burg hat nach außen hin hohe, dicke und starke Mauern und diese sind von zwei tiefen und breiten Gräben umgeben. Über diese Gräben soll er mit Einem Sprunge hinwegsetzen, mit Einem Satze erklettere er die Mauern, zerbreche mit Einem Schlage alle Schlösser und bringe mir so den köstlichen Schatz. Nun aber will ich Dir sagen, was das bedeutet. Schatz ist bei euch eine Sache, die man selten benützt und in Bewegung setzt. Dieser Schatz sind die Worte meines teuersten Sohnes und seine gar köstlichen Werke, welche er in und vor seinem Leiden that; desgleichen auch die wunderbaren Werke, die er vollbrachte, als das Wort Fleisch ward in meinem Leibe und wenn noch täglich auf dem Altare auf das Wort Gottes das Brot zu seinem Fleische wird. Alle diese Dinge sind ein gar köstlicher Schatz, aber jetzt so vernachlässigt und vergessen, daß deren nur sehr wenige sind, die sich ihrer erinnern, obwohl sie dieselben zu ihrem Besten gebrauchen sollen. Jener herrliche Leib des Sohnes Gottes liegt in einer befestigten Burg, d. i. in der Kraft der Gottheit; denn wie eine Burg wider die Feinde schützt, so beschützt die Gottheit meines Sohnes den Leib seiner Menschheit, daß kein Feind ihm schadet. Die vier Schlösser aber sind die vier Sünden, durch 428 welche viele von der Teilnahme und der Güte der Kraft des Leibes Christi ausgeschlossen werden. Die erste ist die Hoffart und die Begierde nach weltlichen Ehren; die zweite ist die Begierde nach Besitz der Welt;. die dritte ist die unersättliche und abscheuliche Wollust des Leibes; die vierte sind der Zorn, der Neid und die Vernachlässigung des eigenen Heiles. Das sind die vier Schlösser, welche vielen den Eingang in der Burg versperren und weit von Gott entfernen; denn sie sehen wohl den Leib Gottes und empfangen denselben, allein ihre Seele ist so weit weg von Gott wie Diebe, welche den Schatz zu stehlen verlangen, aber wegen der festen Schlösser sich ihm nicht nähern können. Deshalb habe ich gesagt, er soll mit Einem Schlage die Schlösser erbrechen. Der Schlag aber bedeutet den Eifer der Seelen, womit der Bischof selber die Sünden durch Werke der Gerechtigkeit aus göttlicher Liebe brechen soll, damit der Sünder, nachdem die Schlösser seiner Missethaten aufgebrochen sind, zu diesem kostbaren Schatze zu gelangen vermöge. Und wenn er auch nicht alle Sünder zu erschüttern vermag, so soll er doch thun, wie er schuldig ist, was er kann, und zwar denen zuvor, welche unter seiner Hand stehen, indem er weder des Kleinen, noch des Großen, weder des Nächsten, noch des Verwandten, weder des Feindes, noch des Freundes schont. So that jener heilige Thomas von England, welcher viele Trübsale um der Gerechtigkeit willen litt und zuletzt einem harten Tode erlag, weil er sich nicht gescheut hatte, die Leiber in Kraft der kirchlichen Gerechtigkeit zu dem Ende zu schlagen, daß die Seele geringere Strafe erleiden möchte (1. Kor. 5, 5). Ihn soll auch dieser Bischof nachahmen, damit alle, welche es vernehmen, erkennen mögen, daß er eigene und fremde Sünde haßt, und der Ruf solch göttlichen Eifers wird durch alle Himmel hin und vor dem Angesichte Gottes und der Engel gehört werden, und viele werden bekehrt werden, sich bessern und sagen: Er hasset nicht uns, sondern unsere Sünden; lasset uns daher weise werden und wir werden Freunde Gottes und die Seinen werden. Die drei Mauern aber, welche die Burg umgeben, sind drei Tugenden. Die erste besteht darin, den Freuden des Fleisches zu entsagen und den Willen Gottes zu thun; die zweite ist, lieber Schande und Nachteil um der Wahrheit und Gerechtigkeit willen zu leiden, als Ehre und Besitzungen der Welt dadurch 429 zu haben, daß man die Wahrheit verheimlicht; die dritte ist, sein Leben und seine Güter nicht zu schonen, wenn es das Heil irgend einer Seele gilt. Nun merke aber auf, was der Mensch thut. Es dünkt ihn nämlich, die gedachten Mauern seien so hoch, daß er dieselben in keinerlei Weise übersteigen könne. Die Menschen unterlassen es deshalb, dem glorwürdigsten Leibe meines Sohnes mit ausdauernder Großmut sich zu nahen, und in ihrer Feigheit gestatten sie nicht ihren Seelen den Zutritt zu Gott. Ich habe meinem Freunde befohlen, er solle mit Einem Schritte die Mauern überschreiten. Ein Schritt wird das bei euch genannt, wenn man die Füße weit auseinandersetzt, um den Körper schnell fortzutragen, und es ist ein geistiger Schritt, daß man, wenn der Leib auf Erden und die Liebe des Herzens im Himmel ist, die drei Mauern überspringt, indem man durch die Betrachtung der himmlischen Dinge, seinem eigenen Willen entsagt, Verachtung und Verfolgung um der Gerechtigkeit willen leidet und um der Ehre Gottes willen gern zu sterben verlangt. Die beiden Gräben draußen vor der Mauer sind die Schönheit und der Genuß der Welt und die Freude an den Freunden der Welt. In diesen Gräben möchten viele gern ruhen und sich nie darum kümmern, Gott im Himmel zu sehen. Darum sind jene Gräben breit und tief. Breit, weil solcher Menschen Wille weit und breit von Gott entfernt ist; tief auch sind dieselben, weil sie sehr viele in der höllischen Tiefe festhalten. Deshalb müssen jene Gräben mit Einem Sprunge überschritten werden. Was aber ist ein geistiger Sprung anderes, als die Trennung seines ganzen Herzens von allem, was eitel ist, und aus dem Irdischen in das Himmelreich hinüberzuspringen? Siehe, so habe ich Dir gezeigt, wie man die Schlösser zu erbrechen und die Mauern zu überspringen hat; nun will ich Dir zeigen, wie dieser Bischof die köstlichste Sache, die jemals gewesen, darbieten soll. Die Gottheit ist gewesen und ist von Ewigkeit und ohne Anfang, weil an ihr kein Anfang und kein Ende zu finden ist. Die Menschheit aber war in meinem Leibe und hat von mir Blut und Fleisch angenommen. Deshalb ist sie die allerköstlichste Sache, welche jemals war und ist. Wenn daher die Seele des Gerechten mit Liebe den Leib Christi in sich aufnimmt und der Leib Gottes die Seele erfüllt, dann ist darin der allerköstlichste Gegenstand, welcher jemals gewesen ist und noch ist. 430 Denn, wiewohl die Gottheit in den drei Personen ohne Anfang und ohne Ende in sich ist, nahm er doch, als der Vater seinen Sohn mit der Gottheit und dem heiligen Geiste an mich gesandt hatte, seinen gebenedeiten Leib von mir. Wo nun immer der Freund Gottes einen Sünder antreffen mag, in dessen Rede die Liebe Gottes klein, die zur Welt ober groß und die Seele leer von Gott ist, da soll der Freund Gottes seine Liebe zu Gott dadurch erweisen, daß er klagt, wie eine durch des Schöpfers Blut erlöste Seele eine Feindin Gottes geworden ist. Er soll Mitleid haben mit der armen Seele und sich zuerst an Gott wenden, daß er sich der Seele erbarme, und dann an die Seele, daß er ihr die Gefahr zeige, worin sie sich befindet. Wenn er aber jene beiden, nämlich Gott und die Seele, in Einigkeit bringt, dann soll er mit den Händen seiner Liebe Gott den köstlichsten Gegenstand darbieten. Den Leib Gottes, welcher in mir war, und die von Gott geschaffene Seele zu einer Freundschaft vereinigt zu sehen, ist mir der lieblichste Anblick. Es ist auch kein Wunder. Denn ich war zugegen, als der herrliche Streiter, mein Sohn, aus Jerusalem auszog, um den Kampf zu bestehen, welcher so mächtig und hart war, daß alle Nerven an seinen Armen ausgespannt, sein Rücken mit Blut unterlaufen und übergossen, seine Hände und Füße mit Nägeln durchbohrt, Augen und Ohren voll Blut waren. Als er sein Haupt geneigt und seinen Geist aufgegeben hatte, durchbohrten sie sein Herz mit einer Lanze, und so hat er mit dem höchsten Schmerze die Seelen gewonnen, er, der nunmehr sitzt in der Herrlichkeit und seinen Arm gegen die Menschen ausstreckt, unter denen aber nur wenige sich finden, welche ihm die Seele, seine Braut, entgegenbringen. Deshalb soll der Freund Gottes sein Leben und seine Güter nicht schonen, um mit sich selber auch anderen zu helfen und dieselben meinem Sohne zu gewinnen. Demselben Bischofe sage auch noch, daß, weil er mich zu seiner lieben Freundin begehrt, ich ihm deshalb mein Vertrauen gewähren und ihn mit mir durch Ein Band verknüpfen will, denn der Leib Gottes, der in mir gewesen, wird seine Seele mit großer Liebe in sich aufnehmen, so daß, wie der Vater mit dem Sohne in mir gewesen, und wie der heilige Geist, welcher im Vater und im Sohne ist, überall mit mir war, auch mein Diener mit demselben Geiste verbunden sein wird; 431 ja, wenn er das Leiden Gottes liebt und seinen glorreichen Leib von ganzem Herzen liebt, dann wird er auch die Menschheit haben, welche in sich und außer sich die Gottheit hat, und Gott ist in ihm und er in Gott, wie Gott in mir ist und ich in Gott bin. Wenn aber mein Diener und ich Einen Gott haben, dann werden wir auch Ein Band der Liebe haben und den heiligen Geist, welcher mit dem Vater und dem Sohn Ein Gott ist. Füge noch ein Wort hinzu. Hält dieser Bischof sein mir gegebenes Versprechen, so werde ich ihm helfen, solange er lebt; am Ende seines Lebens aber will ich ihm dienen und bei ihm stehen, indem ich seine Seele Gott vorstelle und also spreche: O mein Gott, dieser hat Dir gedient und mir gehorcht; deshalb empfehle ich Dir seine Seele. O Tochter, was denkt der Mensch, der seine Seele verachtet? Sollte wohl Gott, der Vater, mit seiner unbegreiflichen Gottheit seinen schuldlosen Sohn in seiner Menschheit so harte Pein haben leiden lassen, wenn ihn nicht jene göttliche Liebe und Freude dazu bewogen hätte, die er zu und an den Seelen hat, und jene ewige Herrlichkeit, welche er ihnen bereitet hat?" - Diese Offenbarung ist geschehen in Bezug auf den Bischof von Linköping, welcher nachher Erzbischof geworden.
Von ihm ist noch im XXII. Kapitel des sechsten Buches die Rede, welches anfängt: Jener Prälat.
Über denselben noch ein Zusatz.
Der Bischof, um den Du weinst, ist in ein leichtes Fegfeuer gekommen. Wisse deshalb für gewiß, daß, obwohl er in der Welt viele Gegner gehabt hat, dieselben ihr Gericht bereits empfangen haben; er aber wird seines Glaubens und seiner Reinheit halber mit mir verherrlicht werden. 432
Kapitel XIV.
Die Worte der Mutter zur Tochter in einem wunderbaren Bilde von einem Bischofe, wie nämlich ein Bischof durch einen Schmetterling, die Demut und Hoffart des Bischofs durch die zwei Flügel und die drei Arten des Bischofs, Böses zu bemänteln, durch die drei Farben, des Bischofs Werke durch die Dichtigkeit der Farbe, der zweifache Wille durch die beiden Fühlhörner des Schmetterlings, die Begierde durch den Mund und die geringe Liebe durch den kleinen Leib bedeutet und erklärt werden.
Die Mutter redete zur Braut und sprach: "Du bist ein Gefäß, das der Besitzer anfüllt und der Meister ausleert. Derjenige, welcher anfüllt und ausleert, ist aber einer und derselbe. Denn wie der, welcher in ein Gefäß zugleich Wein, Milch und Wasser gösse, ein Meister genannt werden würde, wenn er eine jegliche dieser zusammengeronnenen Substanzen wieder sondern und auf ihre frühere Natur zurückführen könnte, so habe ich, die Mutter und Meisterin aller, mit Dir gethan und thue es noch; denn vor einem Jahre und einem Monate sind Dir viele Geschäfte angekündigt worden und alle rinnen in Deiner Seele gleichsam zusammen. Würden dieselben auf einmal ausgeschüttet, so würden sie einen verwirrenden Anblick darbieten, weil man nicht wüßte, zu welchem Zwecke ein jedes derselben Dir aufgetragen wurde. Deshalb sondere ich sie auseinander, wie es mir gefällt. Erinnerst Du Dich nicht, wie ich Dich zu einem gewissen Bischofe geschickt habe, den ich meinen Diener nannte? Diesen wollen wir nun mit einem Schmetterlinge vergleichen, welcher breite, mit weißer, roter und blauer Farbe besprengte Flügel hat; werden dieselben berührt, so bleibt die dicke Farbe an den Fingern kleben wie Asche; bei einem kleinen Körper hat derselbe einen großen Mund, zwei Hörner vor der Stirn und eine verborgene Stelle am Leibe, durch welche die Unreinigkeit des Leibes ausgeworfen wird. Ist der Schmetterling ein Bild des Bischofs, so bedeuten seine Flügel dessen Demut und Hoffart. Die Demut läßt er sehen außen in Worten und Gebärden; sie erscheint in seinen Kleidern und Handlungen; aber inwendig ist die Hoffart, mittels deren er groß ist in seinen Augen, aufgedunsen von Ehre, 433 geizend nach der Gunst der Menschen, anmaßend, indem er das Seine dem Fremden vorzieht und das Fremde verurteilt. Mit diesen beiden Flügeln fliegt er auf der scheinbaren Demut vor den Menschen, um dem einzelnen zu gefallen und im Munde aller zu sein, auf der wahren Hoffart aber, indem er sich heiliger schätzt, als viele. Die drei Flügelfarben aber sind dreierlei Arten, sein Böses zu bemänteln. Die rote Farbe bedeutet, daß er stets vom Leiden Christi und den Wundern der Heiligen schwätzt, um selber heilig genannt zu werden; aber sie sind von seinem Herzen weit und gar wenig nach seinem Geschmacke. Die blaue Farbe bedeutet, daß er äußerlich um weltliche Dinge sich nicht zu bekümmern, sondern für die Welt tot und ganz himmlisch zu sein scheint, wie der Himmel einen blauen Anblick gewährt; aber wahrlich, diese zweite Farbe hat vor Gott keine größere Beständigkeit und bringt keine größere Frucht, als jene erste. Die weiße Farbe soll seine äußerliche Gottesfurcht und Reinheit des Lebenswandels anzeigen, hat aber so wenig wahren Wert, wie die beiden ersten. Wie ferner von den Flügeln, wenn sie berührt werden, eine dicke Farbe sich ablöst und an den Fingern klebend der Asche gleicht, so erscheinen seine Werke auch groß und bewunderungswürdig, sind aber leer und unfruchtbar, weil er nur seinen eigenen Nutzen sucht und nicht aufrichtig liebt, was er lieben soll. - Die beiden Hörner sind sein zweifacher Wille, wodurch er in dieser Welt ein Leben ohne Ungemach, nach dem Tode aber das ewige Leben haben, in der Welt keiner Ehre verlustig sein und im Himmel eine vollkommene Krone erlangen will. Dieser Bischof ist auch dadurch einem Schmetterlinge in seinen Fühlhörnern sehr ähnlich, weil er meint, auf seinem einen Horne den Himmel und auf dem anderen die Erde zu tragen, während er doch, wenn er könnte, nicht das geringste zu Gottes Ehre würde tragen mögen. und so glaubt er, der Kirche Gottes durch sein Wort und Beispiel zu nützen, als ob sie ohne ihn nicht zu wachsen vermöchte, und er bildet sich ein, daß die Menschen durch feine Verdienste allein im geistlichen Leben zunehmen. Dabei liebt er die Bequemlichkeit und denkt sich: Wenn ich fromm und demütig genannt werde, weshalb soll ich mein Leben noch stärker beschränken? Wenn ich mir auch gewisse Annehmlichkeiten, ohne welche ich nicht leben könnte, erlaube und dadurch sündige, so wer- 434 den meine größeren Verdienste und Werke mich entschuldigen, denn, da der Himmel auch durch einen Trunk kalten Wassers erlangt werden kann, wozu ist es dann nötig, über das Maß hinaus zu arbeiten? - Der Schmetterling hat auch einen weiten, gierigen Mund, daß, wenn er alle Fliegen auffräße bis auf eine, er auch noch diese eine begehren und verschlingen würde; und ebenso hat dieser Bischof einen so unersättlich weiten Mund, daß, wenn er alle Groschen bis auf den letzten auf verborgene Weise bekommen könnte, seine Habsucht doch ohne Befriedigung bleiben würde. - Der Schmetterling hat auch einen geheimen Ausgang für seine Unreinlichkeit. Also stößt dieser böslich seinen Zorn und seine Ungeduld aus, wodurch seine Heimlichkeiten auch anderen offenbar werden müssen. - Wie endlich der Schmetterling einen kleinen Leib hat, also hat dieser eine geringe Liebe; deshalb will er, was ihm abgeht an der Größe der Liebe, ganz durch seine großen Flügel ersetzen."
Die Braut antwortete: "Wenn er ein Fünklein Liebe hat, ist immer Hoffnung des Lebens und Heiles." Und die Mutter: "Eine solche Liebe hat Judas gehabt, als er den Herrn verriet und dann sprach: Ich habe gesündigt, daß ich unschuldiges Blut vergossen habe. (Matth. XXVII, 4.) Er wollte nämlich den Anschein der Liebe haben, hatte sie selber aber nicht."
Kapitel XV.
Worte der Mutter zur Tochter in dem Bilde eines anderen Bischofs, und wie dieser Bischof unter einem Käfer, die schwatzhafte Wohlredenheit unter dessen Ausflug, die beiden Gedanken unter zwei Flügeln, die schmeichelnden Worte der Welt unter dem Bisse verstanden werden. Von der Jungfrau Verwunderung über das Leben dieser beiden Bischöfe und von den Predigern.
Weiter redete die Mutter zur Braut und sprach: " Ich habe Dir einen anderen Bischof gezeigt, den ich einen Hirten der Herde genannt habe. Diesen vergleichen wir einem Käfer, welcher erdfarben ist und mit großem Getöse dahinfliegt, und überall, wo er sich niedergelassen, beißt er unerträglich und schmerzhaft. So trägt jener Hirt auch die Farbe der Erde, weil er, während er zur Armut berufen ist, lieber reich, als arm zu sein begehrt, lieber be- 435 fehlen, als gehorchen, lieber seinen eigenen Willen haben, als durch die Unterwerfung unter andere sich leiten lassen will. Er fliegt auch mit großem Getöse dahin; denn anstatt der göttlichen Reden pflegt er eine geschwätzige Beredsamkeit; anstatt über die geistliche Lehre disputiert er über weltliche Eitelkeit, und statt der heiligen Einfalt seines Ordens lobt und ahmt er nach die Eitelkeit der Welt. Er hat ferner zwei Flügel, d. h. zwei Gedanken. Der erste ist, daß er allen schöne und gefällige Worte geben möchte, um von allen geehrt zu werden; der zweite besteht darin, daß er wünscht, alle möchten sich vor ihm beugen und ihm gehorchen. Ferner beißt der Käfer jämmerlich, so beißt auch jener schädlich an der Seele. Während er der Arzt der Seele ist, entdeckt er denen, welche zu ihm kommen, nicht ihre Gefahr und Krankheit, braucht auch nicht das Schneideeisen., sondern redet zu ihnen, was sie gern hören, damit sie ihn einen gefälligen Mann nennen. An diesen beiden Bischöfen kannst Du eine merkwürdige Sache beobachten. Der eine erscheint äußerlich arm, einsam, demütig, um geistlich gesinnt genannt zu werden; der andere möchte die Welt besitzen, um barmherzig und freigebig genannt zu werden. Der erste wiederum will nichts zu besitzen scheinen und begehrt insgeheim doch alles zu besitzen; der andere will sehr vieles öffentlich besitzen, um viel zu spenden und dadurch sehr geehrt zu werden. Weil sie mir also dergestalt dienen, daß ich, weil sie meine Mißbilligung kennen, es nicht sehen sollte, so will ich sie ebenso lohnen, daß sie es nicht sehen werden, Du wunderst Dich, weshalb sie als Prediger gelobt werden? Ich antworte Dir: Bisweilen redet ein Böser zu den Frommen, und es wird ihnen Gottes guter Geist eingegossen, jedoch nicht wegen der Frömmigkeit des Lehrers, sondern wegen der Worte des Lehrers, in welchen der Geist Gottes zum Frommen der Zuhörer ist; bisweilen redet ein Frommer zu Bösen, welche fromm werden sowohl vom Hören, als wegen des guten Geistes Gottes; zuweilen auch redet ein Kalter zu den Kalten so, daß, wenn die kalten Zuhörer das Vernommene den abwesenden Eifrigen mitteilen, diese dadurch noch eifriger werden. Deshalb laß Dich von denen, zu denen Du gesendet wirst, nicht betrüben; denn Gott ist wunderbar; er legt das Gold unter die Füße und dem Kote weist er seinen Platz zwischen den Strahlen der Sonne an." 436
Kapitel XVI.
Worte des Sohnes zur Braut, daß Gott keinen Gefallen habe an der Seelen Verdammnis, und von den wunderbaren Fragen eines jungen Bischofs an einen alten und von den Antworten des alten an den jungen Mann.
Der Sohn redete zur Braut und sprach: "Weshalb, glaubst Du, werden Dir diese beiden gezeigt? Etwa, weil Gott an ihrem Tadel und Verderben Wohlgefallen hat? Mit nichten! Sondern deshalb geschieht's, damit die Geduld und Ehre Gottes offenbar werden und diejenigen, welche es hören, Gottes Gericht fürchten mögen. Aber komm' und höre etwas Wunderbares! Siehe! Ein junger Bischof fragte einen älteren und sprach: Höre, Bruder, und antworte mir. Weshalb hast Du, zum Joche des Gehorsams verpflichtet, dasselbe verlassen? Warum hast Du, der sich die Armut und den Orden gewählt, dieselben aufgegeben? Weshalb hast Du, der sich durch den Eintritt in den Orden der Welt abgestorben gezeigt hat, die Bischofswürde verlangt? Der alte erwiderte: Die Bürde, die mir den Gehorsam auferlegte, war mir lästig, deshalb habe ich nach der Freiheit gestrebt; das Joch, das Gott süß nennt, war für mich bitter, deshalb suchte und erwählte ich des Leibes Ruhe. Die Demut war an mir erheuchelt, weil ich Ehre suchte, und weil es besser ist, anzutreiben, als selbst zu ziehen, deshalb begehrte ich ein Bistum. Der jüngere fragte ferner: Weshalb hast Du aber Deinen Stuhl nicht mit der Ehre der Welt umgeben? Warum hast Du nicht mittels weltlicher Weisheit Reichtum gesucht? Warum hast Du nicht das, was Du besaßest, ausgeteilt um der Ehre der Welt willen? Weshalb hast Du Dich äußerlich so sehr erniedrigt und bist nicht lieber dem weltlichen Ehrgeize entsprechend vorgegangen? Der ältere antwortete: Ich habe meinen Stuhl deshalb nicht mit weltlicher Ehre geziert, weil ich höher geehrt zu werden hoffte, wenn ich mich demütig und geistlich zeigte, als wenn ich weltlich erschiene, um von den Weltmenschen gelobt zu werden, nahm ich den Anschein an, alles zu verachten, und um von den geistlich Gesinnten geliebt zu werden, schien ich demütig und andächtig. Reichtum habe ich mittels weltlicher Weisheit deshalb 437 nicht erworben, damit mich geistlich gesinnte Männer nicht tadelten und mich um des Weltlichen willen verachteten. Geschenke habe ich deshalb nicht reichlich gespendet, weil es mir meiner Ruhe halber besser gefiel, mit wenigen, als mit vielen zu verkehren, und es machte mir größere Freude, etwas im Kasten zu haben, als mit meiner Hand etwas auszuspenden. Der jüngere fragte weiter: Sprich, weshalb gabst Du dem Esel den süßen und angenehmen Trank aus unreinem Gefäße? Warum reichtest Du dem Bischofe Trebern aus dem Schweinstalle? Weshalb hast Du Deine Krone unter die Füße geworfen? Warum hast Du den Weizen ausgespieen und das Unkraut gekaut? Warum hast Du anderen die Bande gelöst, Dich selbst aber durch Fesseln gebunden? Warum hast Du für die Wunden anderer Heilmittel angewendet und auf Deine eigenen tötende Mittel gelegt? Der ältere antwortete: Ich habe dem Esel deshalb süßen Trank aus unreinem und verachtetem Gefäße gegeben, weil er gebildet war und es mir deshalb besser gefiel, um der Weltehre willen die göttlichen Sakramente des Altars zu verwalten, als weltlicher Sorge obzuliegen. Und weil meine Heimlichkeiten den Menschen unbekannt, Gott aber bekannt waren, so habe ich mich zu sehr vermessen und die schwere Gerechtigkeit des göttlichen Gerichts gegen mich vermehrt. Auf das andere sage ich, daß ich dem Bischofe Trebern aus meinem Schweinstall deshalb habe geben lassen, weil ich nicht enthaltsam war und die Stacheln des Fleisches durch Befleckung des Leibes abstumpfen wollte. Zum dritten: Die bischöfliche Krone habe ich deshalb unter die Füße gethan, weil es mir besser gefiel, Barmherzigkeit zu üben um der Gunst der Menschen willen, als Gerechtigkeit um der Ehre und Liebe Gottes willen. Zum vierten: Darum habe ich den Weizen ausgespieen und Stroh gekaut, weil ich die Worte Gottes nicht aus Liebe Gottes redete, noch weil es mir Freude machte, dasjenige zu thun, was ich anderen zu thun empfahl. Zum fünften: Ich löste andere und band mich selber; denn ich absolvierte diejenigen, welche mit Zerknirschung zu mir kamen; das aber, was sie unter Thränen bereuten und nun zu hassen versprachen, selber zu thun, war meine Freude. Zum sechsten: Darum habe ich andere mit dem heilenden Balsame gesalbt, der für mich selber tödlich war, weil ich durch meine Lehren anderen die Reinheit des Lebens em- 438 pfahl, selber aber schlechter wurde, denn das, was ich anderen vorschrieb, das mochte ich nicht einmal mit dem Finger berühren. Und wo ich andere zunehmen sah, da nahm ich selber ab und verdorrte, weil es mich mehr erfreute, den begangenen Sünden eine neue Last hinzuzufügen, als dieselbe durch meine Besserung leichter zu machen. Hierauf ward eine Stimme vernommen, die da sprach: Danke Gott, daß Du Dich nicht unter diesen vergifteten Gefäßen befindest, welche, wenn sie vernichtet werden, noch giftiger werden." Und also ward sogleich Botschaft gebracht, daß einer von ihnen gestorben sei.
Kapitel XVII.
Worte der Jungfrau zur Tochter, welche das Leben und den Orden des heiligen Dominikus empfehlen, und wie derselbe zur Zeit seines Todes sich im Gebete an die Jungfrau wendete, wie aber in neuerer Zeit wenige unter seinen Brüdern dem Zeichen des Leidens Christi folgen, das ihnen durch Dominikus gegeben worden, wogegen viele dem Zeichen des Einschnittes am Ohre folgen, das ihnen der Teufel angeboten hatte.
Ferner redete die Mutter Gottes zur Braut und sprach: "Ich habe Dir jüngst von zweien erzählt, welche von der Regel des heiligen Dominikus waren. Fürwahr, Dominikus selber hatte meinen Sohn zu seinem liebsten Herrn und liebte mich, die Mutter desselben, mehr, als sein eigenes Herz. Diesem Heiligen gab mein Sohn zu erkennen, wie ihm drei Dinge in der Welt mißfallen, nämlich: Hoffart, Habgier und Fleischeslust. Diese drei Dinge zu mindern, hat der heilige Dominikus nach langem Seufzen Hilfe und Mittel erhalten. Gott erbarmte sich seiner Thränen und gab ihm ein Gesetz und eine Regel, in welchen der Heilige den drei Übeln der Welt dreierlei Heilmittel entgegenstellte. Wider das Laster der Habgier ordnete er an, nichts besitzen zu dürfen, wenn der Prior es nicht erlaubte; wider die Hoffart verordnete er das Tragen einer demütigen und einfachen Kleidung; wider die unersättliche Begierde des Fleisches ordnete er die Enthaltsamkeit an und setzte eine bestimmte Zeit für die leibliche Erquickung. Er gab seinen Brüdern auch einen Vorgesetzten zur Bewahrung des Friedens 439 und der Einheit. In der Absicht, seinen Brüdern ein geistliches Zeichen zu geben, drückte er ihnen durch seine Lehre und die Wirksamkeit seines Beispiels ein gleichsam geistliches Kreuz von roter Farbe auf den linken Arm neben das Herz, als er sie lehrte und ermahnte, sie sollten stets an das Leiden des Herrn denken, eifrig Gottes Wort predigen, aber nicht um der Welt willen, sondern aus Liebe zu Gott und den Seelen. Er lehrte sie außerdem, lieber Untergebener, als Vorgesetzter sein zu wollen, den eigenen Willen zu hassen, zugefügte Schmach geduldig zu ertragen, nichts zu verlangen, als Nahrung und Kleidung, die Wahrheit von Herzen zu lieben und mit dem Munde zu verkünden, kein eigenes Lob zu suchen, sondern allezeit göttliche Worte im Munde zu führen und zu lehren, dieselben auch nicht aus Furcht zu verschweigen oder um der Menschengunst willen zu versüßen. Als die Zeit seiner Auflösung bevorstand, welche ihm mein Sohn im Geiste gezeigt hatte, begab er sich zu mir, seiner Mutter, und sprach unter Thränen: O Maria, Königin des Himmels, welche Gott selber sich voraus erwählte zur Verbindung der Menschheit mit der Gottheit; Du bist jene ausgesonderte Jungfrau und auf besondere Art würdigste Mutter. Du bist die Mächtigste, von der alle Macht ausging, höre mich, der ich Dich bitte und auf Dich mein Vertrauen setze. Nimm meine Brüder auf, die ich erzogen und unter meinem engen Skapulier gepflegt habe, und beschirme sie unter Deinem weiten Mantel. Leite sie und nimm Dich ihrer an, daß der alte Feind über sie nicht die Oberhand gewinne und den neuen Weinberg nicht verheere, den die Rechte Deines Sohnes gepflanzt hat. Was anders aber, o Frau, will ich durch das enge Skapulier, dessen einen Streifen man vorn auf der Brust, wie den anderen auf dem Rücken hat, andeuten, als die zweifache Betrachtung, welche ich in Bezug auf meine Brüder gehabt? Denn ich war Tag und Nacht ihretwegen in Sorge, wie sie im vernünftigen und lobwürdigen Maße Gott dienen möchten. Ich betete auch für sie, daß sie nichts von der Welt begehren möchten, das entweder Gott beleidigen oder ihren guten Ruf der Demut und Frömmigkeit unter den Menschen verdunkeln könnte. Nun aber, wo die Zeit meiner Belohnung nahe ist, überweise ich Dir meine Glieder. Lehre sie also wie Söhne und trage sie wie eine Mutter. Unter diesen und anderen Worten ward Dominikus in 440 die Herrlichkeit Gottes berufen. Ich antwortete ihm, indem ich durch ein Gleichnis redete, also: O mein geliebter Freund Dominikus, weil Du mich mehr geliebt hast, als Dich selber, werde ich mit meinem weiten Mantel Dich beschirmen und Deine Söhne leiten; auch sollen alle, welche in Deiner Regel ausharren, gerettet werden. Mein weiter Mantel aber ist meine Barmherzigkeit, welche ich keinem, der das Glück hat, darum zu bitten, versage. Alle, die danach suchen, werden im Schoße meiner Barmherzigkeit beschützt. Was glaubst Du aber wohl, meine Tochter, ist die Regel des Dominikus? Fürwahr Demut, Enthaltsamkeit und Verachtung der Welt. Alle, welche diese drei Stücke annehmen und beharrlich lieben, werden nimmer verdammt werden, und sie sind es, welche die Regel des seligen Dominikus festhalten. Aber höre und staune! Dominikus hat seine Söhne unter meinen weiten Mantel gewiesen, und doch unter meinem weiten Mantel sind jetzt weit weniger, als damals unter seinem engen Skapuliere sich befanden, obwohl damals nicht alle die Heiligkeit des Dominikus besaßen, wie ich Dir besser durch ein Beispiel zeigen will. Stiege Dominikus herab von seiner himmlischen Höhe, auf welcher er sich befindet, und sähe einen Räuber Schafe aus einer Herde herausreißen, um sie zu schlachten, und spräche zu ihm: Warum führst Du meine Schafe hinweg, welche ich an den augenscheinlichsten Zeichen als die meinen erkenne? so könnte der Dieb ihm antworten: Und Du, Dominikus, warum eignest Du Dir zu, was nicht Dein ist? Denn es ist eine gewaltsame Entwendung, Fremdes sich anzumaßen. Wollte nun Dominikus antworten, er habe die Schafe aufgezogen und genährt, sei ihnen vorangegangen und habe sie gelehrt, so würde der Dieb sagen: Wenn Du sie aufgezogen und genährt, und mit Sanftmut und milder Strenge sie behandelt hast, dann habe ich mit süßen Schmeichelworten sie an mich gelockt und ihnen noch vieles Schöneres, was Herz und Augen ergötzt, sehen lassen, und siehe! die meisten laufen meiner Stimme und Weide nach, und deshalb erkenne ich die Schafe, welche mir eifriger nachfolgen, für die meinen an, weil sie mit freiem Willen meiner Lockstimme gefolgt sind. Wollte Dominikus weiter entgegnen, daß seine Schafe mit einem roten Zeichen im Herzen gezeichnet seien, so wird der Dieb sagen: Meine Schafe tragen mein Zeichen, das Zeichen des Einschnittes im rechten Ohre; 441 weil mein Zeichen augenfälliger und deutlicher ist, als das Deinige, so erkenne ich sie als meine Schafe. Dieser Räuber ist der Teufel, der von des Dominikus Schafen sich viele einverleibt hat, welche am rechten Ohre verschnitten sind, weil sie die Worte des Lebens nicht hören, das da spricht: Eng ist der Pfad zum Himmel, sondern nur das thun wollen, was ihre Ohren kitzelt und angenehm zu hören ist. Es sind unter den Schafen des Dominikus nur wenige, die ein rotes Zeichen im Herzen haben, weil sie das Andenken an das Leiden Gottes mit Liebe feiern, das Wort Gottes eifrig predigen, ein seliges Leben führen in aller Keuschheit und Armut; denn dieses ist die Regel des Dominikus, daß man sein ganzes Eigentum auf dem Rücken tragen könne, nichts besitzen wolle, als was die Regel erlaubt; nicht allein das Überflüssige von sich thue, sondern auch im Erlaubten und Notwendigen der Regungen des Fleisches halber sich mäßige."
Kapitel XVIII.
Worte der Mutter zur Tochter, daß jetzt die Brüder eher die Stimme des Teufels hören, als ihres Vaters Dominikus; wie jetzt nur wenige in dessen Fußstapfen treten, und wie diejenigen, welche um der weltlichen Ehre, ihrer Ruhe und Freiheit willen Bistümer begehren, nicht von der Regel des heiligen Dominikus sind; von dem schrecklichen Urteile wider solche, und wie man für ein solches Bistum die Verdammnis erfährt.
Die Mutter redete mit der Braut und sprach: "Ich habe Dir gesagt, daß alle, welche nach der Regel des Dominikus leben, unter meinem Mantel sind. Jetzt sollst Du hören, wie viele deren sind. Wenn Dominikus herabstiege von der Stätte seiner Freuden, wo er wahrhaftig und selig sich befindet, und riefe also: O meine geliebtesten Brüder, folget mir; denn euch sind vier Güter aufbewahrt, nämlich: Ehre für die Demut, beständiger Reichtum für die Armut. Sättigung ohne Überdruß für die Enthaltsamkeit, ewiges Leben für die Verachtung der Welt, so würde er kaum gehört werden. Es möchte aber stracks der Teufel aus seiner Tiefe heraufsteigen und zu ihnen sagen: Dominikus hat euch vier Güter verheißen. Nun höret mich, der ich euch jetzt Güter zeige, die viel 442 begehrlicher sind. Wohlan, Ehre biete ich euch, Reichtum habe ich auf meiner Hand, Wollust ist bereit, die Welt wird lieblich sein, zu genießen. Nehmet daher hin, was ich euch biete, gebraucht, was euch gewiß ist, lebt mit Freuden, damit ihr euch auch nach dem Tode freuen möget. - Diese beiden Anforderungen werden in der Welt vernommen, und leider! folgen mehrere dem Rufe des Mörders, des Teufels, als dem Rufe meines so herrlichen Dominikus. Und was soll ich von des Dominikus Brüdern sagen? Fürwahr, sehr wenige sind ihrer, die nach seiner Regel leben, und noch wenigere sind die, welche durch Nachahmung in seine Fußstapfen treten. Nicht alle hören die Eine Stimme, weil nicht alle von Einem Geschlechte sind, nicht, daß sie nicht alle von Gott wären, und nicht, daß nicht alle gerettet werden könnten, wenn sie wollen, nein, sondern weil nicht alle die Stimme des Sohnes Gottes hören, der da spricht: Kommt zu mir und ich will euch erquicken, indem ich mich selbst euch gebe. Allein, was soll ich von den Brüdern sagen, welche um der Welt willen Bistümer begehren? Sind sie noch unter der Regel des Dominikus? Mit nichten! Wohl, wenn sie aus einem vernünftigen Grunde ein Bistum annehmen, sind sie keineswegs von der Regel des Dominikus ausgeschlossen. Der heilige Augustinus hatte ja auch, ehe er Bischof . ward, nach einer Regel gelebt, allein auch im Bistum verließ er sein Leben nach der Regel nicht, obwohl er zu höheren Ehren hinaufgestiegen war. Er nahm die Ehre wider Willen an, nicht um der Ruhe, sondern fürwahr um der größeren Beschwerde willen. Weil er sah, daß er den Seelen nützen könne, gab er gern um Gottes Willen seinen eigenen und die Ruhe des Fleisches auf, um seinem Gott desto mehrere zu gewinnen. Darum sind diejenigen, welche solches Verlangen tragen und das Bistum annehmen, um den Seelen desto mehr zu nützen, von selbst noch unter der Regel des Dominikus, und ihr Lohn wird verdoppelt werden sowohl wegen der Süßigkeit der Regel, der sie entzogen, als wegen der Last der Bischofswürde, zu der sie berufen sind. Deshalb schwöre ich bei Gott, bei welchem die Propheten geschworen haben, welche Gott zur Bezeugung ihrer Worte aufriefen, bei dem nämlichen Gott schwöre ich, daß über die Brüder, welche die Regel des Dominikus verachtet haben, ein Jäger mit losgelassenen Hunden kommen wird, 443 und ein Knecht wird zu seinem Herrn sagen: Viele Schafe sind in deinen Garten eingedrungen, deren Fleisch verdorben ist; ihre Felle sind von Schmutz zusammengeklebt und ihre Milch ist abgestanden. Laß sie absondern, damit es nicht den guten Schafen an Weide fehle und durch den Mutwillen der schlimmen kein Schaden zustoße. Und der Herr wird ihm antworten: Schließe die Öffnungen, damit keine anderen hineinkommen, als diejenigen, welche ich aufzuziehen und zu weiden habe, und welche friedfertig und ehrsam sind. Sodann wird wegen der bösen Schafe ein Jäger mit seinen Hunden kommen, seine Pfeile werden ihre Felle verwunden, seine Hunde ihre Körper zerfleischen und ihrem Leben ein Ende machen, und Wächter für die guten Schafe werden kommen, welche fleißig acht geben und aufmerken werden, von welcher Art die Schafe sind, welche zur Weide des Herrn eingelassen werden." - Die Braut antwortete und sprach: "O Frau, zürne nicht, wenn ich Dich frage. Sind sie denn, nachdem der Papst ihnen die Strenge ihrer Regel gemildert hat, etwa zu tadeln, wenn sie Fleisch und anderes, das ihnen vorgesetzt wird, genießen?" Die Mutter antwortete: "In Betracht der Schwachheit der menschlichen Natur hat ihnen der Papst vernünftigerweise erlaubt, Fleisch zu essen, damit sie geschickter und eifriger im Predigen und Arbeiten sein möchten, nicht aber, damit sie träger und nachlässiger in der Beobachtung der Regel werden, und deshalb entschuldigen wir den Papst wegen dieser Erlaubnis." Die Braut fuhr fort: "Dominikus verordnete, man solle Kleider tragen, die weder aus dem besten, noch vom schlechtesten Tuche gemacht werden, sondern eben vom mittelmäßigen und gemischten. Sind sie nun nicht zu tadeln, wenn sie sich weichere Kleider anlegen?" Die Mutter antwortete: "Dominikus, welcher die Regel aus dem Geiste meines Sohnes erlassen, befahl, man solle Kleider nicht von den weichsten und kostbarsten Stoffen tragen, damit sie nicht etwa wegen schöner und köstlicher Kleidung beschuldigt und getadelt, auch dadurch nicht übermütig würden; er ordnete auch an, daß sie nicht Kleider aus geringstem und härtestem Stoffe tragen sollen, damit sie durch des Kleides Härte nicht zu sehr belästigt würden, wenn sie nach der Arbeit schlafen wollen, und deshalb hat er das Tragen mittelmäßiger und notwendiger Kleidung angeordnet, auf welche sie nicht stolz sein und keine Ursache zu 444 Eitelkeit haben sollten, sondern die nur geeignet wäre, den Leib vor der Kälte zu schützen und ihnen zum steten Fortschritte in der Tugend zu dienen. Wir loben deshalb den Dominikus wegen seiner Einrichtung, tadeln aber seine Brüder, diejenigen insbesondere, welche sein Kleid zur Eitelkeit, nicht aber zu ihrem Nutzen gebrauchen." Die Braut redete weiter: "Sind denn etwa die Brüder zu tadeln, welche Deinem Sohne prächtige hohe Kirchen erbauen, oder sind dieselben zu tadeln und zu verurteilen, wenn sie das Geld zu solchen Gebäuden erbetteln?" Die Mutter erwiderte: "Wenn die Kirche so geräumig ist, daß sie die Eintretenden faßt; wenn die Mauern so hoch hinaufgeführt sind, daß sie die nicht beengen, welche eingetreten sind; wenn die Dicke der Mauern so stark ist, daß sie nicht vor jedem Winde zerfällt; wenn das Dach so fest zusammengefügt ist, daß es nicht hindurchtropft, so haben sie genug gebaut; denn Gott gefällt ein demütiges Herz in einer niedrigen Kirche besser, als hohe Mauern, bei denen die Leiber drinnen, die Herzen aber außen sind. Deshalb haben sie nicht nötig, die Kasten mit Gold und Silber zu den Bauten anzufüllen; denn auch Salomo half es nichts, so prachtvolle Gebäude aufgeführt zu haben, seitdem er denjenigen zu lieben versäumte, um dessenwillen sie errichtet waren." Nachdem dieses gesprochen und vernommen worden, rief sofort der alte Bischof, dessen Tod eben gemeldet worden, und sprach: Ach, ach, die Inful ist dahin, und siehe! es erscheint, was darunter verborgen war. Wo ist jetzt der ehrwürdige Bischof, der verehrungswürdige Priester, der arme Bruder? Fürwahr, der Bischof ist dahin, welcher für das Apostelamt und die Lebensreinigkeit mit Öl gesalbt worden; und zurückgeblieben ist der mit dem Fette des Mistes besudelte Knecht. Dahin ist auch der mit heiligen Worten zur Verwandlung des Brotes in den lebendigen Gott geweihte Priester und zurückblieb dagegen der trügerische Verräter, welcher aus Habsucht denjenigen verkaufte, welcher alle aus Liebe losgekauft hat. Dahin ist auch der arme Bruder, welcher durch einen Eid die Welt abschwur, und ich bin nun für meine Hoffart und Ruhmbegierde gerichtet worden. Jetzt aber werde ich getrieben, die Wahrheit zu sagen, .daß der gerechte Richter, welcher mich verurteilt hat, mich von einem so bitteren Tode hat befreien wollen, als er selber damals erlitt, da er am Holze des Kreuzes 445 hing, allein die Gerechtigkeit, wider welche er nicht auftreten konnte, sprach dawider, als weil ich im Leben so gewesen bin, wie ich nun gerichtet zu werden erfahren muß."
Kapitel XIX.
Antwort der Braut an Christum, wie sie durch verschiedene und unnütze Gedanken heimgesucht werde, und wie sie außer stande sei, dieselben zu entfernen. Christi Antwort an die Braut, weshalb Gott solches zuläßt, und wie solche Gedanken eine Krone erwerben, wenn sie verabscheut und gefürchtet werden, und daß die läßliche Sünde nicht verachtet werden soll, damit sie nicht in Todsünde führe.
Der Sohn sprach zur Braut: "Was beunruhigt Dich und macht Dich besorgt, meine Tochter?" Jene antwortete: "Weil ich durch verschiedene und unnütze Gedanken geplagt bin, die ich nicht hinwegzuweisen vermag; auch beunruhigt mich das Vernehmen Deines erschrecklichen Gerichts." Der Sohn entgegnete: "Dieses ist die wahre Gerechtigkeit; denn gleichwie Du früher an den Neigungen der Welt wider meinen Willen einen Gefallen fandest, so werden Dir jetzt verschiedene Gedanken wider Dein Wollen gestattet. Aber fürchte auch mit Bescheidenheit und vertraue fest auf mich, Deinen Gott; denn Du weißt für gewiß, daß, wenn das Herz sich an sündlichen Gedanken nicht erfreut, sondern denselben widersteht und sie verabscheut, solche eine Reinigung und Krone der Seelen sind. Wolltest Du aber leichthin eine geringe Sünde, obwohl Du sie als Sünde erkennst, in anmaßender Hoffnung auf die Gnade Gottes begehen und unbußfertig bleiben, so mußt Du wissen, daß daraus eine Todsünde werden kann. Deshalb habe, wenn Dir irgend welche Freude an der Sünde ins Herz kommt, acht darauf, wohin sie ziele, und thue Buße; denn, nachdem die Natur des Menschen geschwächt worden, geht aus der Schwäche derselben nur zu oft die Sünde hervor und es giebt keinen Menschen, der nicht sündigte, wenigstens auf läßliche Weise. Allein der barmherzige Gott gab dem Menschen ein Mittel, nämlich die Empfindung des Schmerzes über jegliche Sünde, auch über die bereits gebesserten, insofern sie etwa nicht gut gebessert sind; denn nichts haßt Gott so sehr, als 446 wenn man die Sünde kennt und sich darüber nicht bekümmert und aus einigen Verdiensten die Anmaßung herleitet, als ob deshalb Gott irgend eine Deiner Sünden dulden müsse, als ob er ohne Dich nicht geehrt werden könnte, oder es Dir freistellte, etwas Böses zu begehen, weil Du einiges Gute gethan hast, während es doch, wenn Du auch für eine jede Sünde mehr als hundertmal Gutes gethan hättest, nicht zureichen würde, Gott seine Liebe und Güte zu vergelten. Deshalb fürchte auf vernünftige Weise, und wenn Du die Gedanken nicht abhalten kannst, so trage sie wenigstens geduldig und leiste ihnen mit Deinem Willen kräftigen Widerstand. Du wirst um derselben willen nicht verdammt, wenn sie Dich anfallen, weil es nicht in Deiner Gewalt steht, sie abzuhalten, wofern Du Dich nicht daran ergötzest. Fürchte jedoch, auch wenn Du den Gedanken Deine Zustimmung nicht giebst, daß Du nicht etwa aus Hoffart zu Falle kommen mögest; denn jeglicher, der da steht, steht allein durch die Kraft Gottes. Deshalb ist die Furcht eine Pforte zum Himmel; denn viele sind darum in den Abgrund und in den eigenen Tod gestürzt, weil sie die göttliche Furcht abgeworfen und sich geschämt haben, vor den Menschen zu beichten, während sie sich nicht scheuten, vor Gott zu sündigen. Wer daher nicht dafür sorgt, auch für eine kleine Sünde um Verzeihung zu bitten, den werde auch ich nicht wert achten, ihm die Sünde zu verzeihen. Würde die läßliche Sünde schnell bereut, so könnte sie leicht Verzeihung finden; wenn aber die Sünde zur Gewohnheit und die Reue vernachlässigt wird, so ist es schwer, Verzeihung zu finden, wie Du an dieser bereits gerichteten Seele wirst ermessen können. Nachdem sie zuerst läßliche Sünden begangen, ist ihr die Sünde zur Gewohnheit geworden, indem sie sich auf einige gute Werke verließ, als wenn ihre Sünde nun geringer wäre, ohne zu beachten, daß ich richten würde. Und so wurde diese Seele, welche der Freude an der Sünde nicht widerstand, durch die Gewohnheit in das Netz der ungeordneten Lust verstrickt, bis das Gericht vor der Thür war und der letzte Augenblick sich nahete. Als daher das Ende herankam, ward plötzlich ihr Gewissen auf jämmerliche Weise verwirrt und sie jammerte, daß sie so bald sterben müsse, wobei sie sich fürchtete, von dem wenigen Zeitlichen getrennt zu werden, das sie liebte. Gott trägt den Menschen bis zum letzten 447 Augenblicke und wartet, ob der sündige Mensch seinen ganzen, noch freien Willen abwenden möge von der Ausführung der Sünde. Weil aber der Wille sich nicht bessert, so wird die Seele endlos verstrickt, da der Teufel, welcher weiß, daß ein jeglicher nach seinem Gewissen und Willen wird beurteilt werden, besonders am Ende thätig ist, die Seele zu betrügen und von der rechten Richtung abzuwenden, was Gott auch geschehen läßt, weil die Seele, da sie wachen sollte, dieses abgelehnt hat. Überdies vertraue und glaube nicht zuviel, wenn ich jemand meinen Freund und Diener nenne, wie ich jenen zuvor genannt habe, weil ja auch Judas Freund und Nabuchodonosor Diener genannt ist. Denn wie ich gesagt habe: Ihr seid meine Freunde, wenn ihr thut, was ich euch gebiete (Joh. XV.), so sage ich jetzt, meine Freunde sind sie, wenn sie mich nachahmen; sie sind aber meine Feinde, wenn sie mich durch Verachtung meiner Gebote verfolgen. Hat nicht David, nachdem ich ihn einen Mann nach meinem Herzen genannt hatte, gesündigt durch Totschlag? Salomo, dem so Wunderbares gegeben und verheißen worden, wich vom Guten ab, und die Verheißung ward wegen seiner Undankbarkeit nicht an ihm, sondern an mir, dem Sohne Gottes, erfüllt. Deshalb sage ich: Wenn jemand meinen Willen gethan und seine Erbschaft verlassen hat, wird er das ewige Leben erhalten; wer aber gehört hat und nicht beständig danach handelt, wird wie ein unnützer und undankbarer Knecht sein. Du mußt aber auch nicht sogleich Mißtrauen haben, wenn ich jemand meinen Feind nenne, weil er, sobald er seinen bösen Willen in einen guten umgewandelt hat, ein Freund Gottes sein wird. War nicht auch Judas von den Zwölfen einer, als ich sprach: Ihr seid meine Freunde, die ihr mir nachgefolgt seid, und werdet sitzen auf den zwölf Stühlen? Damals folgte mir Judas freilich nach, gleichwohl aber wird er nicht sitzen unter den Zwölfen. Wie also sind nun die Reden Gottes erfüllt? Ich antworte Dir: Gott, der die Herzen und Willen der Menschen sieht, richtet nach denselben und lohnt, was er in ihren Herzen sieht, der Mensch aber urteilt nach dem, was er vor Augen hat. Deshalb berief, auf daß der Gute nicht hoffärtig und der Böse nicht verzagt werden möchte, Gott zu dem Apostelamt Gute wie Böse, wie er noch heute täglich Gute und Böse zu Würden beruft, auf daß ein jeder, welcher ein Amt 448 hat mit Mühe im Leben, sich rühmen möge im ewigen Leben; wer aber die Ehre hat ohne eine Last, sich rühme eine Zeit lang, um ewig zu verderben. Weil nun also Judas mir nicht mit vollkommenem Herzen folgte, so bezog sich das Wort: "die ihr mir gefolgt seid," nicht mehr auf ihn, weil er nicht ausharrte bis zur Vergeltung, sondern auf diejenigen, welche damals, jetzt und immer beständig bleiben würden. Denn der Herr, vor dessen Augen alles ist, redet zuweilen in der gegenwärtigen Zeit von dem, was auf das Zukünftige sich bezieht, und von dem, was erst geschehen soll, als wäre es bereits geschehen. Zuweilen vermischt er auch das Vergangene und Zukünftige und bedient sich der Vergangenheit für die Zukunft, damit niemand sich vermessen soll, den unabänderlichen Ratschluß der Dreifaltigkeit zu ergründen. Vernimm noch ein Wort: Viele sind berufen, aber wenige auserwählt. So ward jener zur Bischofswürde berufen, aber nicht auserwählt, weil er undankbar war gegen die Gnade Gottes. Daher ist er dem Namen nach ein Bischof, durch sein Verdienst jedoch entartete er und wird denen beigezählt, welche niedersteigen, aber nicht hinauf."
Zusatz.
Gottes Sohn redete und sprach: "Du wunderst Dich, meine Tochter, weshalb der eine Bischof ein so schönes, der andere ein so schreckliches Ende gehabt; denn eine Wand stürzte ein und zerschmetterte ihn gänzlich; er lebte nur noch eine kurze Weile und diese Weile unter ungeheuren Schmerzen. Ich antworte Dir: Die Schrift sagt, ja, ich selber habe es gesagt, daß der Gerechte, er sterbe welchen Todes er wolle, vor Gott gerecht ist; allein die Menschen der Welt halten den für gerecht, welcher ein schönes Ende nimmt ohne Schmerzen und Schande. Gott aber unterscheidet den als Gerechten, welcher durch tägliche Enthaltsamkeit bewährt ist, oder der um der Gerechtigkeit willen Trübsale erduldet, weil die Freunde Gottes in dieser Welt gleichsam getrübsalt werden, entweder zur Verringerung der künftigen Strafe, oder zur Verherrlichung der Krone im Himmel. Petrus und Paulus starben für die Gerechtigkeit, aber Petrus auf eine härtere Weise, als Paulus. Weil er das Fleisch mehr geliebt hat, als Paulus, und weil er meiner Kirche höchste Würde empfangen, so hat er auch durch einen 449
härteren Tod sich mir gleich machen müssen. Paulus aber, weil er die Enthaltsamkeit in einem höheren Grade liebte, weil er mehr arbeitete, erhielt wie ein trefflicher Streiter das Schwert, weil ich alles nach dem Verdienste und dem Maße ordne. Deshalb krönt oder verdammt beim Gerichte Gottes nicht das Ende oder ein verächtlicher Tod, sondern das Streben und der Wille der Menschen und die Ursache. Ähnlich verhält sich's mit diesen beiden Bischöfen; denn der eine erlitt eine bittere Pein und eine Verachtung im Tode; das hat seine Strafe verringert, wiewohl es nicht zu seiner Verherrlichung gereichte, weil er nicht mit gutem Willen litt. Wenn aber der andere ein herrliches Ende empfing, so war dies eine Folge meiner verborgenen Gerechtigkeit, gereicht ihm aber nicht zur ewigen Belohnung, weil er seinen Willen nicht besserte, so lange er lebte."
Kapitel XX.
Worte der Mutter zur Tochter, wie durch die Talente die Gaben des heiligen Geistes bedeutet werden, und wie der heilige Benedikt die ihm gewährte Gabe des heiligen Geistes vermehrt hat, und wodurch der heilige Geist oder der Geist des Menschen eingeht in den Menschen.
Die Mutter sprach: "Meine Tochter, es steht geschrieben, daß wer fünf Talente empfangen hatte, andere fünf gewann. Was ist aber ein Talent anderes, als die Gabe des heiligen Geistes? Denn einige empfangen Wissenschaft, andere Reichtum, andere Gastfreundschaft von Reichen; und gleichwohl sollen alle ihrem Herrn doppelten Gewinn einbringen, nämlich von dem Wissen, daß sie dasselbe zu ihrem Heile verwenden und andere unterweisen; von dem Reichtum und den übrigen Gaben, daß man sie vernünftig gebrauche und anderen mitleidsvoll zu Hilfe komme. So hat jener fromme Abt Benedikt die Gnadengabe, welche er empfangen, vervielfältigt, als er alles verachtete, was vergänglich war, als er sein Fleisch zwang, der Seele dienstbar zu sein, als er nichts der göttlichen Liebe vorziehen wollte, der auch obenein aus Furcht, die Ohren möchten befleckt werden durch Anhören eiteln Geschwätzes und die Augen durch den Anblick lieblicher Dinge, in die Wüste floh und 450 den nachahmte, welcher, bevor er geboren war, unter dem Herzen seiner Mutter aufhüpfte und dadurch die Ankunft seines liebreichsten Erlösers zu erkennen gab. Benedikt würde freilich auch ohne die Wüste den Himmel erlangt haben, weil er der Welt abgestorben und sein Herz mit Gott ganz erfüllt war. Allein es gefiel Gott, den Benedikt auf einen Berg zu berufen, damit er vielen sichtbar werde und viele nach seinem Vorbilde zur Vervollkommnung ihres Lebens angeregt werden möchten. Der Leib dieses seligen Mannes war wie ein Gefäß aus Erde, in welchem das Feuer des heiligen Geistes verschlossen war, das von seinem Herzen des Teufels Feuer ausschloß. Denn wie das leibliche Feuer durch Luft und Anblasen seitens des Menschen angezündet wird, so fährt der heilige Geist in die Seele des Menschen, indem er entweder durch seinen persönlichen Anhauch und seine göttliche Einsprechung, oder durch irgend eine menschliche Einwirkung den Geist zu Gott erweckt. Auf ähnliche Weise sucht des Teufels Geist die Seinigen heim, allein beide sind unvergleichlich verschieden. Während der heilige Geist die Seele erwärmt, daß sie Gott suche, aber nicht fleischlich in Flammen setzt, durch die Reinheit seines Feuers die Seele erleuchtet, aber nicht arglistig verdunkelt, - entzündet der nichtswürdige Geist die Seele für das Fleischliche, und verdunkelt sie auf arglistige Weise durch die Verheißung irdischen Genusses. Damit nun das gute Feuer, welches in Benedikt war, viele entzünden möge, berief Gott den Benedikt auf den Berg, wo er viele Fünklein an sich zog und aus denselben durch Gottes heiligen Geist einen großen Scheiterhaufen errichtete. Er verfaßte ihnen eine Regel nach dem Geiste Gottes, durch welche viele vollkommen geworden sind wie Benedikt. Jetzt aber sind viele Brandscheite hinweggeworfen vom Scheiterhaufen des heiligen Benedikt; sie liegen überall zerstreut umher und haben statt der Wärme Kälte und Finsternis statt des Lichts; lägen sie zusammengehäuft im Feuer, so würden sie nach allen Seiten hin Flammen und Hitze von sich geben." 451
Kapitel XXI.
Worte der Mutter Gottes zur Tochter, worin die Herrlichkeit und Vollkommenheit des heiligen Benedikt durch ein Beispiel dargethan wird, und wie eine Seele, welche für die Welt Frucht bringt, durch einen unfruchtbaren Baum, die Hoffart des Herzens durch einen Kieselstein, eine kaIte Seele aber durch einen Krystall bedeutet wird, Von den drei Fünklein, welche gar wohl zu bemerken sind, die aus jenen drei Dingen, nämlich dem Krystalle, dem Kieselsteine und dem Holze, hervorgehen.
Die Mutter sprach: "Ich habe Dir vorher gesagt, daß der Leib des heiligen Benedikt wie ein Gefäß gewesen, welches in der Zucht gehalten und regiert wird, aber nicht selbst regiert. Seine Seele war wie ein Engel, welcher große Hitze und Flammen von sich gab und viele entzündete, wie ich Dir an einem von drei Feuern zeige, deren erstes, mit Myrrhen angezündet, einen süßen Duft von sich gab; das andere war entzündet aus trockenem Holze, welches glühende Kohlen erzeugte und leuchtenden Glanz von sich gab; das dritte ward angezündet von Oliven und gab Flamme, Licht und Wärme von sich. Unter diesen drei Feuern verstehe ich drei Personen, und unter den drei Personen drei Stände in der Welt. Den ersten Stand bilden diejenigen, welche, nachdem sie die Liebe Gottes in ihrem Herzen aufgenommen, ihren eigenen Willen aufgegeben und in die Hände anderer gelegt, statt der Eitelkeit und der Hoffart der Welt sich Armut und Verachtung erwählt und statt der Unmäßigkeit Enthaltsamkeit und Reinheit geliebt haben. Diese hatten das Feuer von Myrrhen; denn wie die Myrrhe bitter ist, aber die bösen Geister vertreibt und den Durst löscht, so war auch ihre Enthaltsamkeit bitter für den Leib, löschte aber die ungeordnete Begierlichkeit und machte alle Gewalt der bösen Geister zu nichte. Der zweite Stand begreift diejenigen, welche bei sich also dachten: Warum lieben wir die Ehre der Welt, da sie doch nichts anderes ist, als Luft, welche an die Ohren schlägt? warum Gold, da es doch nur rote Erde ist? Was ist das Ende des Fleisches, als Verwesung und Staub? Was nützt es uns nun, Irdisches zu begehren, wenn alles eitel ist? Deshalb wollen wir nur darum leben und arbeiten, 452 daß Gott in uns geehrt werde und andere durch unser Wort und Beispiel für Gott entzündet werden. Ihr Feuer ist aus dürrem Holze entzündet, weil die Liebe der Welt in ihnen abgestorben war und jeglicher von ihnen feurige Kohlen der Gerechtigkeit und den Glanz der göttlichen Predigt aus sich erzeugte. Der dritte Stand enthält diejenigen, welche, in der Liebe zu Christi Leiden glühend, mit ganzem Verlangen sich danach sehnten, für Christum zu sterben. Ihr Feuer war mit Oliven angezündet; denn, wie die Olive Öl in sich enthält, und, wenn sie angebrannt wird, heiße Glut verbreitet, so sind auch sie mit dem Öle göttlicher Gnade gesalbt worden, daß sie die Glut brennender Liebe von sich geben und die Kraft des ehrbaren Wandels zeigen. Diese drei Feuer haben sich weithin ausgebreitet. Das erste ward angezündet in den Einsiedlern und Mönchen, wie es Hieronymus beschreibt, welcher ihr Leben, vom heiligen Geiste angeweht, wunderbar und mit Recht nachahmungswürdig fand; das zweite Feuer glühte in den Bekennern und Lehrern; das dritte in den Märtyrern, welche ihr Fleisch um Gottes willen verachteten; auch andere würden es verachtet haben, hätten sie Hilfe von Gott empfangen. Zu diesen drei Feuern ward der selige Benedikt gesandt, der sie in eines vereinigte, und zwar dergestalt, daß diejenigen, welche thöricht waren, erleuchtet, die, welche kalt waren, entflammt und die Erglühten noch stärker erglüht wurden. Und so begann mit diesen Feuern der Orden Benedikts, welcher einen jeglichen nach seiner Anlage und der Fassungskraft seines Geistes auf dem Weg des Heiles und des ewigen Glückes leitete. Nachdem aber aus dem Gefäße des seligen Benedikt viele Süßigkeit des heiligen Geistes hervorduftete, und eine große Anzahl von Klöstern entstanden war, entwich bei vielen seiner Brüder der heilige Geist, weil das Feuer in der Asche erlosch und die Brände zerstreut umherliegen und weder Wärme, noch Glanz, sondern den Qualm der Unreinigkeit und Begierlichkeit von sich geben. Allein zum Troste vieler ließ Gott noch drei Fünklein übrig. Das erste ist durch die Hitze und den Glanz der Sonne aus einem Krystall gezogen, aus welchem ein großes Feuer entstehen soll; der zweite Funken ist aus hartem Kieselstein gezogen; der dritte aus unfruchtbarem Holze, das mit seinen Wurzeln wuchs und seine Blätter ausbreitete. Durch den Krystall aber, welcher ein kalter Stein ist, wird die Seele be- 453 deutet, welche, obwohl sie kalt ist in der Liebe Gottes, doch mit Willen und Neigung nach Vollkommenheit strebt und Gott um Hilfe für sich bittet. Deshalb trägt sie dieser Wille zu Gott und verdient ihr, daß sie gegen böse Versuchungen sich standhaft wehrt, bis Gott ihr Herz erwärmt und die von der Weltlust gereinigte Seele nur mehr zur Ehre Gottes lieben will. Unter dem Kieselsteine wird die Hoffart verstanden; denn, was giebt es Härteres, als die Hoffart einer Seele, welche das Lob aller begehrt und doch demütig genannt sein und für andächtig angesehen sein will; was ist abscheulicher, als jene Seele, welche in Gedanken sich allen vorzieht und von niemand gestraft, noch belehrt sein will? Gleichwohl begehren viele, die so hoffärtig sind, demütiglich von Gott, daß aus ihrem Herzen Hoffart und Ehrgeiz hinweggenommen werden möge. Darum nimmt Gott unter Mitwirkung ihres guten Willens von ihrem Herzen hinweg, was widerwärtig, und zuweilen auch, was weich ist, wodurch sie sowohl vom Weltlichen abgezogen, als auch zum Himmlischen angeregt werden. unter dem unfruchtbaren Baume wird die Seele verstanden, welche, in Hoffart genährt, für die Welt Frucht bringt und die Welt und alle ihre Ehre zu haben begehrt. Weil sie jedoch den ewigen Tod fürchtet, so reißt sie die Wurzeln vieler Sünden aus, welche sie ohne diese Furcht begehen würde. Deshalb nahet sich Gott um dieser Furcht willen der Seele und giebt ihr seine Gnade, wie ein unfruchtbarer Baum fruchtbar wird. Mit solchen Funken muß der Orden des heiligen Benedikt erneuert werden, welcher jetzt vielen verödet und verworfen erscheint."
Kapitel XXII.
Worte der Mutter zur Tochter von einem Mönche, welcher in sich ein Hurenherz hatte, und wie er durch eigenen Willen und Begierlichkeit und die Abkehr vom englischen Leben von Gott abgefallen ist.
Weiter sprach die Mutter zur Braut: "Was siehst Du Sträfliches an diesem, der hier steht?" Jene antwortete: "Daß er gar selten die Messe liest." Die Mutter entgegnete: "Nicht darum ist er zu richten. Denn es giebt viele, welche, ihrer Thaten eingedenk, sich dessen vernünftigerweise enthalten und mir darum nicht minder 454 angenehm sind. Aber was siehst Du noch anderes an ihm?" Und jene sprach: "Daß er nicht die vom seligen Benedikt angeordneten Kleider trägt." Die Mutter entgegnete: "Es geschieht gar oft, daß irgend eine Gewohnheit angefangen ist; auch sind alle, die da wissen, daß dieselbe böse ist, derselben aber doch folgen, zu tadeln. Gleichwohl aber dürfen diejenigen, welche löbliche Satzungen nicht kennen und gern mit Schlechterem zufrieden wären, wenn nicht eine lange Gewohnheit im Schwunge wäre, nicht leichthin und sträflich gerichtet werden. Aber höre! ich will Dir zeigen, wie er in drei anderen Stücken zu tadeln ist. Erstens, daß sein Herz, in welchem Gott ruhen sollte, im Herzen der Huren ist. Zweitens, daß er sein weniges aufgegeben hat und vieles Fremde begehrt. Er versprach, sich selbst zu verleugnen, und folgt gänzlich seinem eigenen Willen. Drittens hat Gott seine Seele schön erschaffen wie einen Engel, und deshalb müßte er ein englisches Leben führen, nun aber trägt seine Seele das Bild des Engels, welcher durch seine Hoffart abfiel von Gott. Derselbe ist groß vor den Menschen, wie er aber vor Gott ist, weiß Gott. Denn Gott ist wie einer, der etwas in der Hand verschlossen hält und solches vor anderen verbirgt, bis er die Hand öffnet. So wählt Gott diejenigen, welche schwach sind, und verbirgt ihre Kronen für jetzt, bis er einem jeden geben wird nach seinen Werken."
Erklärung.
Dieser ist ein gar weltlicher Abt gewesen. Er kümmerte sich nicht um die Seelen und starb plötzlich ohne Sakramente. Von ihm sprach der heilige Geist: "O Seele, du hast die Erde geliebt und nun hat dich die Erde aufgenommen. Du bist gestorben durch dein Leben und wirst nun mein Leben nicht haben, noch meiner teilhaftig sein, weil du die Genossenschaft dessen geliebt hast, welcher durch Hoffart von mir abgefallen ist und die wahre Demut verachtet hat." 455
Kapitel XXIII.
Antwort Gottes des Vaters auf das Gebet der Braut für die Sünder, und daß ihrer drei sind, welche Zeugnis geben auf Erden, gleichwie drei im Himmel, und wie die ganze Dreifaltigkeit der Braut Zeugnis giebt, daß die Braut ihr angehört durch den Glauben, sowie alle, welche dem rechten Glauben der heiligen Kirche folgen.
"O mein süßester Gott, ich bitte Dich für die Sünder, in deren Gesellschaft ich bin, daß Du Dich ihrer erbarmen wollest." Gott der Vater antwortete: "Ich höre und weiß Deinen Willen, deshalb wird das Gebet Deiner Liebe vollbracht werden. Wie deshalb Johannes in seiner Epistel heute sagt, oder vielmehr ich durch Johannes sage: Drei sind, welche Zeugnis geben auf Erden: Wasser, Geist und Blut, und Drei im Himmel: der Vater, Sohn und heilige Geist, so geben auch Dir diese Drei Zeugnis. Der Geist, der Dich erhalten unter Deiner Mutter Herzen, bezeugt Deiner Seele, daß Du Gottes bist durch den Glauben der Taufe, welchen Deine Eltern für Dich bekannt haben; Zeugnis giebt Dir das Wasser der Taufe, daß Du eine Tochter der Menschheit Christi bist durch die Sühne und Genugthuung der ersten Übertretung; Zeugnis auch gewährt Dir das Blut Jesu Christi, mit welchem Du erkauft worden, daß Du der Gottheit Tochter und durch die Sakramente der Kirche von der Macht des Teufels befreit bist. Wir, der Vater, der Sohn und der heilige Geist, drei den Personen nach, aber Einer im Wesen und in der Macht, geben Dir Zeugnis, daß Du die unsrige durch den Glauben bist und das sind in gleicher Weise alle, welche dem rechten Glauben der heiligen Kirche folgen. Zum Zeugnisse, daß Du unseren Willen thun wollest, tritt heran und empfange aus der Hand des Priesters den Leib und das Blut der Menschheit Christi, damit der Sohn Dir bezeuge, daß Du sein bist, dessen Leib Du zur Stärkung Deiner Seele nimmst. Zeugnis mag auch der Vater Dir geben, welcher im Sohne ist, daß Du des Vaters und des Sohnes bist; Zeugnis gebe Dir auch der heilige Geist, welcher im Sohne und in dem Vater ist, wie der Geist in beiden, daß Du den Dreien wie dem Einen durch wahren Glauben und wahre Liebe angehörst." 456
Kapitel XXIV.
Antwort Jesu Christi auf der Braut Gebet für die Ungläubigen, daß Gott aus Anlaß der Bosheit böser Menschen geehrt wird, wenn auch nicht durch ihre Tugend und ihren Willen. Dies beweist er ihr durch ein Beispiel, worin die Kirche oder Seele durch eine Jungfrau und die neun Ordnungen der Engel durch neun Brüder der Jungfrau, Christus durch einen König und die drei Stände der Menschen durch die drei Söhne des Königs dargestellt werden.
"O mein Herr Jesu Christe! Ich bitte Dich, daß Dein Glaube sich ausbreite unter den Ungläubigen, daß die Guten noch mehr entzündet werden mögen durch Deine Liebe, die Bösen aber gebessert werden." Der Sohn antwortete: "Du betrübst Dich deshalb, weil Gott zu wenig Ehre erhält, und Du wünschest von ganzem Herzen, daß Gottes Ehre vollkommen werde. Darum will ich Dir durch ein Beispiel zeigen, wie Gott auch durch die Bosheit der Bösen geehrt wird, wenn auch nicht mit ihrem Willen. Es war eine Jungfrau, weise, schön, reich und sittsam. Dieselbe hatte neun Brüder, deren jeder seine Schwester wie sein Herz liebte, und das Herz eines jeden war gleichsam in ihr. In dem Königreiche aber, wo die Jungfrau lebte, bestand die Verordnung, daß der, der Ehre erwies, geehrt werden sollte, wer raubte, wieder beraubt werden mußte, wer aber Mädchen schwächte, sollte den Kopf verlieren. Der König dieses Reiches hatte drei Söhne. Der erste unter ihnen liebte die Jungfrau und verehrte derselben vergoldete Schuhe, einen goldenen Gürtel, einen Ring an die Hand und eine Krone auf das Haupt; der zweite wünschte sich das Besitztum der Jungfrau und beraubte dieselbe; der dritte aber begehrte die Jungfräulichkeit des Mädchens und trachtete danach, wie er sie entehren möchte. Diese drei Söhne des Königs aber wurden von den neun Brüdern der Jungfrau gefangen genommen und dem Könige vorgestellt. Die Brüder sprachen zu ihm: Deine Söhne haben unsere Schwester begehrt. Der erste hat sie geehrt und von ganzem Herzen geliebt; der zweite aber hat sie beraubt; der dritte hätte gern sein Leben daran gegeben, wenn er sie hätte entehren können. 457 Sie wurden nun in dem Augenblicke ergriffen, wo sie den vollständigen Willen hatten, ihre Absichten zu erfüllen. Nachdem er dieses vernommen, antwortete der König und sprach: Alle sind meine Söhne und zu allen ist meine Liebe gleich; allein wider die Gerechtigkeit kann und will ich nicht handeln, sondern ich beabsichtige, meine Söhne ebenso zu richten, wie meine Diener. Darum Du, mein Sohn, der Du die Jungfrau geehrt hast, komm' und empfange Ehre und Krone mit Deinem Vater. Du aber, mein Sohn, der Du die Habe der Jungfrau begehrt und geraubt hast, wirst so lange ins Gefängnis gehen, bis Du das Genommene erstattet haben wirst. Ich habe ein Zeugnis für Dich vernommen, Du hättest Reue empfunden über Deine That und das Geraubte zurückgeben wollen; weil Du aber, von der Anschuldigung und dem Gerichte überrascht, dies nicht ausgeführt hast, wirst Du eingekerkert bleiben, bis der letzte Heller erstattet worden. Du endlich, mein Sohn, der Du, um die Jungfrau zu schänden, alle Vorkehrungen getroffen, auch Deine That nicht bereut hast; Deine Strafe soll auf so vielerlei Weise erschwert werden, als Du Mittel angewandt hast, die Jungfrau zu entehren. Alle Brüder der Jungfrau antworteten: Preis sei Dir, Richter, für Dein gerechtes Urteil, denn wäre nicht Kraft in Dir und Billigkeit in Deiner Gerechtigkeit gewesen, in Deiner Billigkeit aber Liebe, so hättest Du nimmer ein solches Urteil gesprochen. - Die Jungfrau nun bedeutet die von der Allmacht Gottes erschaffene menschliche Seele und die heilige Kirche, welche vortrefflich geordnet ist im Glauben, schön in den sieben Sakramenten, Iobwürdig in ihren Sitten und Tugenden, lieblich in der Frucht, weil sie den wahren Weg zur Ewigkeit weist. Diese heilige Kirche hat gleichsam drei Söhne. Unter dem ersten verstehe ich diejenigen, welche Gott von ganzem Herzen lieben; unter dem zweiten jene, welche das Weltliche zu ihrer eigenen Ehre lieben; unter dem dritten jene, welche ihren eigenen Willen Gott vorziehen. Der erste Sohn bringt vergoldete Schuhe dar, wenn er für die Vernachlässigungen und Fehler, welche er sich zu schulden kommen lassen, Zerknirschung empfindet; Kleider aber bringt er dar, wenn er die Vorschriften des Gesetzes beachtet, wenn er die evangelischen Ratschläge befolgt, soweit er vermag; den Gürtel bringt er, wenn er sich fest vornimmt, in der Enthaltsamkeit und Keuschheit zu ver- 458 harren; den Ring legt er an die Hand, wenn er fest glaubt, was die heilige katholische Kirche vorschreibt, nämlich das künftige Gericht und das ewige Leben. Der Stein im Ringe aber ist die Hoffnung, welche standhaft hofft, daß keine Sünde so abscheulich ist, welche nicht durch Reue und Willen der Besserung getilgt werden könnte. Die Krone aber setzt er aufs Haupt, wenn er die wahre Liebe hat. Wie nun verschiedene Steine in der Krone sind, so enthält auch die Liebe verschiedene Tugenden. Das Haupt der Seele oder der Kirche aber ist mein Leib. Ein jeglicher, welcher diesen liebt und ehrt, wird mit Recht ein Sohn Gottes genannt. Wer also auf solche Weise die heilige Kirche und seine Seele liebt, der hat neun Brüder, d. h. neun Ordnungen von Engeln, weil er im ewigen Leben deren Teilnehmer und Genosse sein wird. Die Engel nämlich umfassen die heilige Kirche und die menschliche Seele und beide zugleich, weil nicht Steine und Wände, sondern die Seelen der Gerechten die heilige Kirche sind, und deshalb freuen sich die Engel ihrer Ehre und ihres Fortschrittes, wie über ihre eigenen. - Der zweite Bruder oder Sohn bedeutet diejenigen, welche die Satzung der heiligen Kirche verachten und nach der Ehre der Welt und der Liebe des Fleisches leben, welche die Schönheit der Tugend verunstalten und nach ihrem Willen leben, jedoch gegen das Ende hin Reue empfinden und über das begangene Böse zerknirscht sind. Diesen gebührt eine Läuterung, bis sie durch die Werke und Gebete der Kirche mit Gott wieder vereinigt werden. Der dritte Sohn bedeutet die, welche ihre Seele ärgern und sich nicht darum kümmern, ob sie ewig verderben, wenn sie nur ihre Lust befriedigen können. Über solche begehren die neun Ordnungen der Engel Gerechtigkeit, weil sie die Buße verachtet haben, und sie loben Gott wegen seiner Güte in der Gerechtigkeit, sie freuen sich über seine Kraft, daß er sich auch der Bösen zu seiner Ehre bedient. Gott, welcher nichts Böses will, weil er der Schöpfer aller Dinge und wahrhaftig aus sich der allein Gute ist, läßt als gerechtester Richter gleichwohl vieles zu, um dessenwillen er im Himmel wie auf Erden für seine Gerechtigkeit und verborgene Güte geehrt wird." 459
Kapitel XXV.
Klageworte der Mutter zur Tochter, wie das unschuldigste Lamm Jesus Christus in neuerer Zeit von seinen Geschöpfen vernachlässigt wird.
Die Mutter redete und sprach: "Es schmerzt mich, daß das unschuldigste Lamm heute getragen ward, das auf das beste zu gehen verstand. Heute schwieg der Knabe, welcher am besten zu reden wußte. Heute ist der unschuldigste Knabe beschnitten worden, welcher niemals gesündigt hat, und deshalb, obwohl ich nicht in Zorn zu geraten vermag, erscheine ich erzürnt, daß der höchste Herr, welcher ein kleines Kind geworden, von seinem Geschöpfe vernachlässigt und vergessen wird."
Kapitel XXVI.
Christi Worte zur Braut, welche das Geheimnis der unaussprechlichen Dreifaltigkeit erklären, und wie teuflische Sünder durch Reue und den Willen, sich zu bessern, Gottes Barmherzigkeit erlangen. Von der Antwort Christi, wie er sich aller erbarmt, sowohl der Juden, als der Heiden, und von dem zweifachen Gerichte der zur Verdammnis und der zur Errettung Bestimmten.
Der Sohn sprach: "Ich bin der Schöpfer Himmels und der Erde, Einer mit dem Vater und dem heiligen Geiste, wahrer Gott; weil Vater, Sohn und heiliger Geist Gott ist, sind es nicht drei Götter, sondern drei Personen und Ein Gott. Nun aber magst Du fragen wollen: Wenn drei Personen, warum nicht drei Götter? Ich antworte Dir: Weil kein anderer Gott ist, als die Macht, die Weisheit, die Güte selbst, von welcher herrührt alle Macht unter dem Himmel und über demselben, sowie alle Weisheit und Frömmigkeit, welche gedacht werden kann. Deshalb ist Gott dreifaltig und Einer, dreifaltig in den Personen, Einer im Wesen. Denn die Macht und die Weisheit sind der Vater, von welchem alles ist und welcher vor allem ist, nirgend anders her mächtig, als von sich selber und von Ewigkeit her. Die Weisheit und die Macht sind auch der Sohn, welcher dem Vater gleicht, aber nicht mächtig von 460 sich selber, sondern vom Vater mächtiglich und unaussprechlich geboren, der Anfang vom Anfange und vom Vater niemals gesondert ist. Die Macht und Weisheit sind auch der heilige Geist, der ausgeht vom Vater und vom Sohne, ewig ist mit dem Vater und dem Sohne und ihnen gleich an Majestät und Macht. Es ist deshalb Ein Gott und sind drei Personen, weil die drei Ein Wesen, Eine Kraft, Einen Willen, Eine Glorie und Macht haben und so Eins im Wesen sind, wie sie auch unterschieden durch die Eigentümlichkeit der Personen sind. Denn der ganze Vater ist im Sohne und im Geiste und der Sohn im Vater und im Geiste und der Geist in beiden in Einem Wesen der Gottheit, nicht wie früher und später, sondern auf unaussprechliche Weise. Da ist nichts eher und nichts später, keines größer oder kleiner, als das andere, sondern das Ganze unaussprechlich und gleich. Deshalb steht mit Recht geschrieben, daß Gott wunderbar und gar sehr zu preisen ist. Jetzt aber kann ich mich beklagen, daß ich gar wenig gepriesen werde und vielen unbekannt bin, weil alle ihren eigenen Willen suchen, wenige aber den meinigen. Du jedoch sei beständig und demütig und überhebe Dich nicht im Gedanken, wenn ich Dir die Gefahren anderer zeige; offenbare auch nicht die Namen derselben, wenn es Dir nicht befohlen wird; denn ihre Gefahren werden Dir nicht gezeigt, um sie zu beschämen, sondern damit sie bekehrt werden und die Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes erkennen. Du sollst sie aber auch nicht meiden wie Verurteilte; denn wenn ich Dir auch heute gesagt haben werde, einer sei der Schlechteste, so bin ich doch, wenn er mich morgen mit Zerknirschung aus dem Willen, sich zu bessern, anruft, bereit, ihm Nachsicht zu schenken. Und den ich gestern den Schlechtesten genannt, den nenne ich heute meinen liebsten Freund um seiner Reue willen, und zwar so sehr, daß, wenn die Reue beständig ist, ich ihm nicht allein die Sünde, sondern auch die Strafe der Sünde erlasse, wie Du an einem Beispiele erkennen magst. Wie bei zwei Quecksilberkugeln, welche, wenn sie beide schnell aufeinander zu rollen, zu ihrer Vereinigung nur noch ein Pünktlein voneinander entfernt wären, Gott gleichwohl noch bewirken könnte, daß sie nicht zusammenkämen, so könnte ein Sünder, wenn er noch so tief in teuflische Werke eingewurzelt wäre und dicht vor dem Augenblicke seines Verderbens stände, noch Verzeihung 461 und Erbarmen erhalten, wenn er Gott mit Reue und unter dem Vorsatze der Besserung anrufen würde. Da ich nun aber so barmherzig bin, wirst Du fragen können, weshalb ich mich der Juden und Heiden nicht erbarme, deren mehrere, wenn sie im rechten Glauben unterwiesen würden, gern für Gott sterben möchten. Ich antworte Dir, daß ich allen Barmherzigkeit erweise, sowohl den Heiden, als den Juden. Keine einzige Kreatur bleibt ohne mein Erbarmen. Denn wenn sie vernehmen, daß ihr Glaube nicht der wahre ist und inbrünstig nach dem wahren Glauben verlangen, oder wenn sie ihren Glauben für den wahren halten, weil ihnen anderes nicht gepredigt wurde und nach bestem Wissen und Gewissen leben, so werden sie durch meine Barmherzigkeit ein gnädiges Gericht erhalten; denn das Gericht derer, welche verdammt, und derer, welche gerettet werden sollen, ist ein zweifaches. Das Gericht über die Christen, welche verdammt werden sollen, wird ohne Barmherzigkeit sein; ihre Verdammnis und Finsternis werden ewig sein und ihr Wille verstockt wider Gott. Diejenigen, welche gerettet werden sollen, haben Gottes Anschauen, ihre Herrlichkeit in Gott und wollen Gutes in Gott. Von diesen ausgeschlossen sind mit den bösen und falschen Christen auch die Juden und Heiden; hatten diese auch keinen rechten Glauben, so hatten sie doch ihr Gewissen zum Richter, indem sie denjenigen, den sie als ihre Gottheit verehrten, gleichwohl beleidigt haben; diejenigen aber, deren Wille und Werk war und ist nach der Gerechtigkeit und wider die Sünde, werden mit den minder bösen Christen das Gericht der Barmherzigkeit bei ihrer Bestrafung haben wegen ihrer Liebe der Gerechtigkeit und ihres Hasses der Sünde; allein sie werden keinen Trost haben im Genusse der Herrlichkeit und des Anschauens Gottes, den sie als Ungetaufte nicht schauen werden; denn ein zeitlicher und verborgener Ratschluß Gottes hat sie abgehalten, das Heil auf fruchtbare Weise zu suchen und zu erhalten. Hat sie aber nichts verhindert, den wahren Gott zu suchen und getauft zu werden, weder Furcht, noch Mühe, noch Hingabe ihrer Güter und Ehren, sondern nur ein Hindernis, das die menschliche Schwachheit überstieg, so weiß ich, der ich den Kornelius und den Hauptmann vor ihrer Taufe angesehen habe, nach dem Maße ihres Verlangens und Glaubens sie zu belohnen; in anderer Weise sehe ich an die Unwissenheit aus bösem Willen und 462 in anderer Weise die unüberwindliche Schwierigkeit und den guten Willen der Gottesfurcht. Auf gleiche Weise ist eine andere die Taufe mit Wasser und eine andere die des Blutes, eine andere die des vollkommenen Willens. Das alles weiß Gott zu vergelten, der aller Herzen kennt, Deshalb weiß ich, der ich ohne Anfang geboren bin, ewiglich vom Anfange an, und der ich auch ferner am Ende der Zeit geboren bin zeitlicherweise, vom Anfange an die Verdienste der einzelnen zu belohnen, und gebe einem jeglichen nach seinem Verdienste. Auch nicht das geringste Gute, das zur Ehre Gottes geschieht, wird unvergolten vorübergehen, Deshalb bist Du gar sehr verpflichtet, Gott zu danken, daß Du von Christen und in der Zeit des Heils geboren worden, weil viele gewünscht haben, dieses zu erlangen und zu sehen, was den Christen angeboten wird, haben es aber nicht erlangt."
Kapitel XXVII.
Das Gebet der Braut zur Frau für Rom und die zahllose Menge der heiligen Märtyrer, welche zu Rom ruhen, und von den drei Stufen der Vollkommenheit der Christen. Von einem Gesichte der Braut und wie ihr Christus erschienen und das gedachte Gesicht ihr auslegt und erläutert.
"O Maria, obwohl ich ohne Milde gewesen, rufe ich Dich doch zu meiner Hilfe an und bitte Dich, daß Du beten wollest für die ganz ausgezeichnete und heiligste Stadt Rom. Ich sehe leiblicherweise, daß einige Kirchen, in welchen Gebeine von Heiligen ruhen, verwüstet sind; einige sind zwar bewohnt, allein die Herzen und Sitten ihrer Vorsteher sind weit von Gott. Erlange also Liebe für sie; denn ich habe aus Schriften vernommen, daß in Rom jeglicher Tag im Jahr siebentausend Märtyrer enthält. Deshalb bitte ich, obwohl ihre Seelen nicht mindere Ehre im Himmel erlangen, wenn auch ihre Gebeine auf Erden verachtet werden, Dich, daß Deinen Heiligen und den Überresten Deiner Heiligen eine größere Ehre auf Erden möge erwiesen und so die Andacht des Volkes erweckt werden." Die Mutter antwortete: "Wenn Du die Erde mäßest hundert Fuß in der Länge und ebensoviel in der Breite und besäetest dieselbe vollständig mit reinen Weizenkörnern so dicht, 463 daß zwischen Korn und Korn kein weiterer Raum bliebe, als die Breite eines Fingers, jedes Korn aber hundertfältige Frucht brächte, so wäre doch die Zahl der Märtyrer und Bekenner zu Rom von der Zeit an, wo Petrus demutsvoll dahinkam, bis Cölestin abtrat vom Stuhle der Hoffart und zu seinem einsamen Leben zurückkehrte, noch viel größer. Das sind jene Märtyrer und Bekenner, welche den wahren Glauben wider den Unglauben und die Demut wider die Hoffart predigten und für die Wahrheit des Glaubens gestorben sind, oder zu sterben bereit waren. Petrus und mehrere andere waren so feurig und eifrig in Verkündigung des Wortes Gottes, daß, wenn sie für einen jeglichen Menschen hätten sterben können, sie solches gern gethan haben würden. Da sie aber das Heil der Seelen mehr liebten als ihr Leben und befürchteten, von denen, welche sie durch Worte des Trostes und der Predigt erquickten, durch den Martertod getrennt zu werden, so waren sie vorsichtig und hielten sich während der Verfolgung verborgen, um viel Seelen zu gewinnen und zu sammeln." Nun aber redete die Braut und sprach: "Mich dünkt, als sähe ich viele Gärten auf der Erde und in den Gärten erblickte ich Rosen und Lilien. An einer geräumigeren Stelle der Erde sah ich einen Acker von hundert Fuß in der Länge und ebensoviel in der Breite; auf jeden Fuß breit aber waren sieben Weizenkörner gesäet und jedes Weizenkorn gab hundertfältige Frucht. Dann hörte ich eine Stimme, welche sprach: O Rom, o Rom, deine Mauern sind zertrümmert, deine Thore ohne Wache; deine Gefäße werden verkauft, deine Altäre verödet; das lebendige Opfer und der Morgenweihrauch ist verbrannt und vom Allerheiligsten geht deshalb kein heiliger, süßester Duft mehr aus." Alsbald erschien der Sohn Gottes und sprach zur Braut: "Das Verständnis dessen, was Du gesehen, werde ich Dir deuten. Das Land, welches Du gesehen hast, bedeutet alle Orte, an denen jetzt der christliche Glaube herrscht, die Gärten aber bedeuten die Orte, wo die Heiligen Gottes ihre Kronen empfingen. Das Feld von hundert Fuß Breite und hundert Fuß Länge bedeutet Rom und auf diesem Felde ist die Zahl der Märtyrer so groß, wie in allen Gärten der Welt, denn es ist ein erkorener Ort der Liebe Gottes. Der Weizen, welchen Du fußweise gesäet erblicktest, bedeutet diejenigen, welche durch Abtötung des Fleisches und Reue, sowie durch 464 unschuldiges Leben zum Himmel eingegangen sind; die Rosen sind die Märtyrer, gerötet durch die Vergießung ihres Blutes an verschiedenen Orten; die Lilien sind die Bekenner, welche den heiligen Glauben durch Worte und Werke gepredigt und bestätigt haben. Nun aber kann ich von Rom sprechen wie der Prophet von Jerusalem. Vor Zeiten, spricht er, wohnte Gerechtigkeit darinnen und ihre Fürsten waren Friedensfürsten, nun aber ist sie in Schlacken gewandelt und ihre Fürsten sind Mörder. Ach, wenn du deine Tage erkennen möchtest, o Rom, so würdest du fürwahr weinen und dich nicht freuen! Rom war vor alten Zeiten wie ein Tuch gefärbt in den schönsten Farben und gewebt aus den edelsten Faden. Auch seine Erde war mit rotem Blute gefärbt, d. h. mit dem Blute der Märtyrer, und zusammengewebt, d. h. vermischt mit den Gebeinen der Heiligen. Jetzt aber sind seine Thore verödet, weil die Verteidiger und Hüter derselben in Sinnenlust versunken sind. Seine Mauern sind niedergeworfen und ohne Wache, weil man sich nicht kümmert um den Schaden der Seelen, sondern Geistlichkeit und Volk, welche die Mauern Gottes sein sollten, haben sich zerstreut, um dem Fleische zu dienen. Die göttlichen Gefäße werden auf verächtliche Weise verkauft, weil die Sakramente Gottes für Geld und weltliche Gunst gespendet werden. Die Altäre aber sind verödet, weil diejenigen, die den lebendigen Gott in ihren Händen haben, ohne Liebe sind, weil ihre Augen auf Geschenke gerichtet und ihre Herzen voll sind aller irdischen Eitelkeit. Das Allerheiligste ist im Vorhofe, weil das erhabene Opfer verweltlichet und zu Unmäßigkeit und Eitelkeit verkehrt ist, statt daß aus demselben der Duft und Wohlgeruch der Heiligkeit aufsteigen soll. So ist es in der Stadt Rom, in welcher viele Altäre verwüstet sind und das Opfer entehrt wird in den Schenken, weil diejenigen, welche das Opfer darbringen, nicht dem Herrn, sondern der Welt dienen. Gleichwohl sollst Du wissen, daß von der Zeit Petrus' des Demütigen bis dahin, wo Bonifacius den Stuhl der Hoffart bestiegen, unzählbare Seelen hinaufgegangen sind gen Himmel und auch jetzt noch ist Rom nicht ohne Freunde Gottes, welche, wofern sie Hilfe hätten, zum Herrn rufen würden und er würde sich ihrer erbarmen." 465
Kapitel XXVIII.
Lehre der Jungfrau für die Braut von der Weise, wie man zu lieben wissen soll, und von den vier Städten, in denen viererlei Arten der Liebe gefunden werden, und welche derselben Liebe genannt zu werden verdient.
Die Mutter redete zur Braut und sprach: "Liebst Du mich, meine Tochter?" Diese antwortete: "Lehre mich lieben, Gebieterin, denn meine Seele ist noch von eitler Liebe vergiftet, so daß sie in der wahren Liebe nicht erstarken kann." Und die Mutter sprach: "Ich will Dich lehren. Es sind vier Städte, in denen vier Arten von Liebe gefunden werden, wenn sie doch einmal alle Liebe genannt werden müssen, da eigentlich der Name Liebe nur da gebraucht werden kann, wo Gott und die Seele zu wahrer Seeleneinheit sich verbünden. Die erste Stadt ist die Stadt der Prüfung. Diese ist die Welt, in welche der Mensch hineingesetzt wird, um geprüft zu werden, ob er Gott liebe oder nicht, und sich jene Tugenden zu erwerben, die ihn zur Herrlichkeit zurückführen, um sich auf der Erde zu läutern und desto glorreicher im Himmel gekrönt zu werden. In dieser Stadt wird die ungeordnete Liebe angetroffen, indem das Fleisch mehr geliebt wird, als die Seele, das Zeitliche eifriger gewünscht wird, als das Geistliche, dem Laster gefröhnt und die Tugend verachtet wird, die Fremde süßer schmeckt, als das Vaterland, wo das sterbliche Menschenkind mehr gefürchtet und geehrt wird, als Gott, der ewig Regierende. Die zweite Stadt ist die Stadt der Reinigung, in welcher der Schmutz der Seele abgewaschen wird. Es hat Gott gefallen, einen solchen Ort zu bestimmen, an welchem derjenige, welcher gekrönt werden soll, gereinigt wird, da er in der Freiheit nachlässig und stolz ward. Freilich ist da noch die Furcht und darum findet man in dieser Stadt noch eine unvollkommene Liebe, weil Gott mehr aus Furcht der Pein und im Verlangen, aus dem Gefängnisse befreit zu werden, geliebt wird, als im Verlangen, durch die Bitterkeit der Schmerzen für die Schuld genugzuthun. Die dritte Stadt ist die Stadt der Schmerzen, und da ist die Hölle. In dieser wird die Liebe zu aller Bosheit, zum Neide und zur Verhärtung angetroffen. Auch 466 in dieser Stadt herrscht Gott durch seine geordnete Gerechtigkeit, durch das gebührende Maß der Strafe, durch die Zügelung der Bosheit, durch die nach eines jeden Verdiensten abgewogene Billigkeit; denn wie einige von denen, welche verdammt werden sollen, mehr sündigen, andere weniger, so sind auch für die Strafe und entsprechende Vergeltung Ziele gesteckt, und wenn auch alle, welche verdammt werden sollen, in Finsternis eingeschlossen werden, so geschieht es doch nicht bei allen auf einerlei Weise. Finsternis unterscheidet sich von Finsternis, Entsetzen von Entsetzen, Hitze von Hitze. Überall ordnet Gott mit Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, selbst in der Hölle, so daß diejenigen eine andere Strafe erhalten, welche mit Fleiß gesündigt haben, eine andere diejenigen, welche aus Schwäche fehlten, und eine andere diejenigen, welche nur mit der Schuld der Erbsünde behaftet waren. Wenn die Pein dieser auch in der Entbehrung des Anblickes Gottes und des Lichtes der Auserwählten besteht, so kommen sie doch der Barmherzigkeit und Freude dadurch nahe, daß sie nicht zum Schrecken der Strafe gelangen, weil sie ihre bösen Werke nicht vollführten. Ordnete Gott nicht in Zahl und Maß, so würde der Teufel nimmer ein Maß haben im Strafen. Die vierte Stadt ist die Stadt der Herrlichkeit. In dieser ist vollkommene und geordnete Liebe, mittels deren nichts begehrt wird, als Gott und um Gottes willen. Willst Du nun zur Vollkommenheit dieser Stadt gelangen, so mußt Du eine vierfache Liebe haben, nämlich: eine geordnete, ganz reine, wahre und vollkommene. Eine geordnete Liebe ist diejenige, mittels deren das Fleisch um seiner Ernährung willen, die Welt nicht bis zum Überflusse, der Nächste um Gottes willen, der Freund der Reinheit seines Lebens halber, der Feind um der Vergeltung willen geliebt wird. Die reine Liebe aber ist diejenige, welche mit der Tugend nicht auch die Sünde liebt, welche die böse Gewohnheit flieht und keine einzige Sünde für leicht erachtet. Wahr aber ist die Liebe, wenn Gott mit ganzer Lust und von Herzen geliebt wird, wenn die Ehre und die Furcht Gottes alle Handlungen im voraus regiert, wenn auch nicht die mindeste Sünde im Vertrauen auf schon vollbrachte gute Werke begangen wird, wenn man sich selber weise beherrscht, daß man weder aus Übereifer erliege, noch aus Kleinmut und Unkunde der Versuchungen zur Sünde sich abwende. Vollkommen dagegen 467 ist die Liebe, wenn dem Menschen nichts so süß ist, wie Gott. Diese Liebe wird in der Gegenwart angefangen, aber im Himmel . vollendet. Liebe daher diese vollkommene und wahre Liebe, weil ein jeglicher, der dieselbe nicht hat, gereinigt werden muß, vorausgesetzt, daß er gläubig, inbrünstig, klein, wiedergeboren ist; außerdem wird er zur Stadt des Schreckens wandern. Denn wie Ein Gott ist, so ist Ein Glaube in der Kirche Petri, Eine Taufe, Eine Herrlichkeit und Vollkommenheit der Vergeltung. Deshalb muß der, welcher zum einigen Gott zu gelangen begehrt, mit diesem einigen Gott Einen Willen und Eine Liebe haben. Es sind auch diejenigen unglücklich, welche also sprechen: Es ist genug, wenn ich im Himmel der geringste bin; ich will nicht vollkommen sein. O wahnsinniger Gedanke! Wie wird dort ein unvollkommener sein, wo alle vollkommen sind, einige durch Unschuld des Lebens, andere durch Unschuld der Kindheit, andere durch Reinigung, andere durch Glauben und guten Willen?"
Kapitel XXIX.
Lob der Jungfrau durch die Braut, das eine Vergleichung mit dem Tempel Salomos in sich enthält, sowie die unaussprechliche Wahrheit von der Einheit der Gottheit mit der Menschheit und wie die Tempel der Priester mit Eitelkeit gemalt sind.
"Gebenedeit seist Du, Maria, Du Mutter Gottes. Dem Tempel Salomos, dessen Wände vergoldet waren, dessen Dach glänzte, dessen Estrich aus den kostbarsten Steinen gepflastert, dessen ganzer Bau strahlend, dessen Inneres ganz mit Duft erfüllt und lieblich anzuschauen war, diesem Tempel Salomos gleichest Du, in welcher der wahre Salomo geweilt und gesessen, in welchen er eingebracht die Lade der Herrlichkeit und den Leuchter zur Erleuchtung. So bist Du, gebenedeite Jungfrau, der Tempel des Salomo, welcher Frieden gemacht hat zwischen Gott und den Menschen, der die Schuldigen versöhnt, den Toten das Leben gegeben und die Armen von ihrem Quäler befreit hat. Denn Dein Leib und Deine Seele sind der Tempel der Gottheit geworden; über denselben war das Dach der göttlichen Liebe, unter welchem der Sohn Gottes, der zu 468 Dir vom Vater ausgegangen ist, voll Freude mit Dir gewohnt hat. Der Estrich des Tempels war Dein züchtiges Leben und der Tugenden stete Übung; an keiner Ehrbarkeit hat Dir's gemangelt, weil an Dir alles beständig, alles demütig, alles andächtig und das Ganze vollkommen war. Die Wände des Tempels bildeten ein vollkommenes Viereck, weil Du von keiner Schmach beunruhigt, über keine Ehre höffärtig, von keiner Ungeduld gequält wurdest und nach weiter nichts strebtest, als nach der Ehre und Liebe Gottes. Die Gemälde Deines Tempels waren die beständige Flamme des heiligen Geistes, welche Deine Seele so hoch erhoben hat, daß es keine Tugend gab, welche nicht an Dir größer und vollkommener gewesen wäre, als an irgend einem anderen Geschöpfe. In diesem Tempel nun nahm Gott seinen Aufenthalt, als er Deinen Gliedern die Süßigkeit seiner Heimsuchung eingegossen, in ihm ruhte er, als die Gottheit sich der Menschheit zugesellte. Gebenedeit also seist Du, seligste Jungfrau, in welcher der große Gott ein kleiner Knabe, der älteste Herr ein ganz junger Sohn, der ewige Gott und unsichtbare Schöpfer ein sichtbares Geschöpf geworden. Weil Du nun die liebreichste und mächtigste Gebieterin bist, bitte ich Dich, blicke mich an und erbarme Dich meiner; denn Du bist die Mutter Salomos, nicht dessen, welcher der Sohn Davids war, sondern dessen, welcher der Vater Davids war und der Herr Salomos, der jenen wundervollen Tempel baute, welcher Dich wahrhaft vorgebildet; denn der Sohn wird die Mutter erhören, eine solche, eine so große Mutter. Erwirke nun, daß der Knabe Salomo, welcher gleichsam in Dir geschlafen, mit mir wache, auf daß keiner Sünde Lust mich versehre, sondern die Reue über die begangenen beständig sei, die Liebe der Welt mir absterbe, die Geduld ausharre, die Reue Frucht bringe. Ich habe keinerlei Tugend für mich, als das Eine Wort: Maria, erbarme Dich meiner, weil mein Tempel dem Deinigen gänzlich zuwider ist; denn er ist finster durch Laster, schmutzig durch Wollust, verdorben durch das Gewürm der Begierlichkeit, wandelbar durch Hoffart, hinfällig durch weltliche Eitelkeit." Die Mutter antwortete: "Gebenedeit sei Gott, welcher Deinem Herzen eingegeben, diesen Gruß auszusprechen, auf daß Du verstehen möchtest, welch eine große Güte und welche Süßigkeit in Gott sei. Aber warum vergleichest Du mich mit 469 Salomo und dem Tempel Salomos, da ich die Mutter dessen bin, dessen Geschlecht keinen Anfang hat und kein Ende, sowie dessen, von dem gelesen wird, er habe weder Vater, noch Mutter gehabt, wie Melchisedek, von dem geschrieben steht, er sei ein Priester gewesen. Zum Priester aber gehört der Tempel Gottes, und deshalb bin ich die Mutter des höchsten Priesters und Jungfrau. Wahrlich, ich sage Dir, ich bin beides: die Mutter des Königs Salomo und die Mutter des friedestiftenden Priesters. Der Sohn Gottes, welcher mein Sohn ist, ist beides: Priester und König der Könige. In meinem Tempel hat er sich auf geistliche Weise das priesterliche Gewand angelegt, in dem er das Opfer für die Welt darbrachte, in der königlichen Stadt ward er mit der königlichen, aber harten Krone gekrönt, draußen aber hat er, ein gar starker Kämpfer, das Feld behauptet und den Streit vollendet. Jetzt aber kann ich mich beklagen, daß dieser mein Sohn von den Priestern und Königen vergessen und vernachlässigt worden. Die Könige rühmen sich ihrer Paläste, ihres Heeres, ihres Aufzuges und der Ehre der Welt, die Priester aber treiben Hoffart mit den weltlichen Gütern und Handel mit den Seelen. Wie Du gesagt hast, der Tempel sei mit Gold gemalt, so sind die Tempel der Priester gemalt mit Eitelkeit und weltlichem Vorwitz; denn die Simonie herrscht am Haupte, die Bundeslade ist hinweggenommen, die Leuchter der Tugenden sind ausgelöscht, der Tisch der Andacht steht verödet." - Die Braut antwortete: "O Mutter der Barmherzigkeit, erbarme Dich ihrer, bete für sie!" Ihr antwortete die Mutter: "Gott liebte vom Anfange an die Seinigen also, daß dieselben nicht nur in ihren Gebeten für sich erhört werden, sondern auch andere durch sie den Erfolg ihrer Bitten empfinden; damit aber Gebete für andere erhört werden, ist erforderlich: Erstens der Wille, die Sünde zu verlassen, und zweitens der Wille, im Guten fortzuschreiten. Allen, welche diesen Willen haben, werden meine Gebete helfen." 470
Kapitel XXX.
Worte der heiligen Agnes zur Braut von der unter dem Bilde einer Blume dargestellten Liebe, welche die Braut zur Jungfrau haben soll. Wie die glorwürdige Jungfrau in ihrer Rede die unermeßliche und ewige göttliche Güte gegen unsere Gottlosigkeit und Undankbarkeit erklärt, und wie die Freunde Gottes in Trübsalen sich nicht beunruhigen lassen.
Die selige Agnes redete zur Braut und sprach: "Tochter, liebe die Mutter der Barmherzigkeit; sie gleicht einer Blume, nämlich einer Lilie, deren Gestalt einem Schwerte ähnlich ist und zwei scharfe Seiten und eine dünne Spitze hat. An Höhe und Breite überragt sie die anderen Blumen. Also ist auch Maria der Blumen Blume, die Blume, welche im Thale wuchs, über alle Berge hinaus erhaben, die Blume, welche in Nazareth wuchs und am Libanon sich ausgebreitet hat, von über alles hinausragender Höhe, weil die gebenedeite Königin des Himmels an Würde und Macht jegliche andere Kreatur übertrifft. Auch Maria hatte zwei Schneiden oder gar scharfe Seiten, nämlich: die Trübsal über ihres Sohnes Leiden im Herzen und die Standhaftigkeit im Kampfe wider des Teufels Anläufe, weil sie niemals in eine Sünde willigte. Wahr hatte ihr jener Greis prophezeit, der da gesprochen: Deine Seele wird ein Schwert durchbohren. Denn sie erhielt geistlicherweise gleichsam so viele Schläge, als sie Schläge und Wunden an ihrem Sohne voraussah und wirklich erblickte. Auch eine große Breite hat diese Blume durch ihre Barmherzigkeit; denn so fromm und mitleidig war und ist Maria, daß sie lieber alle Trübsale erdulden, als leiden wollte, daß die Seelen nicht erlöst würden. Jetzt auch in Vereinigung mit ihrem Sohne vergißt sie ihrer angeborenen Güte nicht, sondern breitet ihre Barmherzigkeit aus über alle, auch über die Schlechtesten, und wie, was im Himmel und auf Erden ist, durch die Sonne erleuchtet und entflammt wird, so ist auch niemand, der, wenn er sie anruft, aus ihrer Milde keine Süßigkeit empfände. Die dünne Spitze, in welche die Blume ausläuft, bedeutet die Demut, durch welche sie Gott gefiel, da sie dem Engel antwortete, sie sei eine Magd des Herrn, und welche 471 sie zur Würde einer Frau erhob. Durch diese Demut empfing sie den Sohn Gottes, weil sie den Hoffärtigen der Welt nicht gefallen wollte, und durch sie stieg sie zum Throne empor, weil sie nichts liebte, als Gott. Tritt deshalb hervor, Du Menschenkind, und grüße die Mutter der Barmherzigkeit; denn siehe! sie kommt schon." Maria erschien und sprach: "Komm', Du Menschenkind, und höre mich. Du klagst darüber, daß die Rede unter den Leuten geht: Lasset uns leben nach unserem Belieben, weil Gott sich leicht besänftigen läßt. Lasset uns die Welt und ihre Ehre gebrauchen, solange wir können; denn um des Menschen willen ist die Welt gemacht worden. Fürwahr, meine Tochter, solche Rede geht nicht aus von der Liebe Gottes, noch strebt und zieht sie zu derselben; doch vergißt deshalb Gott seiner Liebe noch nicht, sondern zeigt stündlich seine Güte für die Undankbarkeit dieser Leute. Er ist gleich einem Schmied, welcher ein herrliches Werk arbeitet und bisweilen das Eisen heiß, bisweilen kalt macht. So hat Gott, der beste Künstler, welcher die Welt aus nichts gemacht, seine Liebe dem Adam und seinen Nachkommen bezeigt. Allein die Menschen erkalteten dergestalt, daß sie Gott gleichsam für nichts achteten und viele entsetzliche Verbrechen begingen. Deshalb zeigte Gott, nachdem er seine Barmherzigkeit erwiesen und milde Mahnung hatte vorausgehen lassen, seine Gerechtigkeit durch die Sündflut. Nach der Sündflut errichtete Gott seinen Bund mit Abraham und gab ihm die Zeugnisse seiner Liebe und führte seine Nachkommen unter großen Zeichen und Wundern hinaus. Er gab mit seinem eigenen Munde dem Volke das Gesetz und bestätigte seine Worte und Vorschriften durch die augenscheinlichsten Zeichen. Als aber nach und nach das Volk und die ganze Welt erkaltete und in solchen Wahnsinn verfiel, daß sie Götzenbilder verehrte, wollte der gütige Gott die Kalten wieder in Feuer bringen und sandte der Welt seinen eigenen Sohn, welcher den wahren Weg zum Himmel lehrte, und zeigte, wie man der wahren Demut folgen müsse. Aber auch jetzt, obwohl er wieder von vielen gar sehr vergessen und vernachlässigt ist, offenbart er die Worte seiner Barmherzigkeit. Wollte aber jemand denken, warum Gott sein Volk durch Trübsale heimsuche, oder warum eine Pein ewig sein solle, da doch das Leben zum Sündigen nicht ewig währen könne, so würde das eine große Kühn- 472 heit sein, sowie auch derjenige vermessen wäre, der durch seine Vernunft begreifen wollte, wie Gott ewig sei; Gott ist ewig und unbegreiflich, in ihm ist ewige Gerechtigkeit und Vergeltung und unergründliche Barmherzigkeit. Wie könnte man, wenn Gott seine Gerechtigkeit nicht an den ersten Engeln hätte sehen lassen, die Gerechtigkeit dessen wissen, der alles nach der Billigkeit richtet? Und hätte er nicht wiederum seine Gerechtigkeit an dem Menschen gethan, indem er ihn schuf und befreite durch zahllose Wunder, wie würde man seine so große Güte, seine so unermeßliche und vollkommene Liebe wissen? Weil nun Gott ewig ist, so ist an ihm auch die Gerechtigkeit ewig, zu welcher nichts hingethan und von der nichts hinweggenommen werden kann, wie beim Menschen, welcher vorher denkt, sein Werk auf die und die Weise und an dem und dem Tage vorzunehmen. Wenn aber Gott seine Gerechtigkeit und seine Barmherzigkeit übt, offenbart er dieselbe, wenn er sie vollzieht; denn das Gegenwärtige, das Vergangene und Zukünftige sind bei ihm. Deshalb sollen die Freunde Gottes geduldig verharren in der Liebe Gottes und sich nicht beunruhigen, wenn sie auch sehen sollten, daß die Weltleute Glück haben. Gott ist wie die beste Wäscherin; sie steckt das unreine Tuch in die Sturmwellen, damit dasselbe durch des Wassers Bewegung reiner und blendender werde; sie bewahrt es aber sorgsam vor dem Wogenschlage, daß es nicht versinke. So setzt Gott gegenwärtig seine Freunde in die Sturmwogen der Armut und Trübsal, auf daß sie dadurch zum ewigen Leben gereinigt werden sollen; auch hütet er sie sorgsam, daß sie nicht entweder in zu große Traurigkeit, noch in unerträgliche Trübsal versinken."
Kapitel XXXI.
Worte Christi zur Braut, welche ein sehr gutes Beispiel von einem Arzte und einem Könige enthalten, und wie Christus unter diesem Arzte zu verstehen. Wie häufig solche gerettet werden, welche nach menschlichem Ermessen verdammt werden müßten, diejenigen aber verdammt werden, die nach Ansicht der Menschen und der Welt hätten gerettet werden müssen.
Der Sohn Gottes redete zur Braut und sprach: "Ein Arzt kam in eine entfernte und unbekannte Gegend, worin der König 473 nicht regierte, sondern regiert ward, weil er ein Hasenherz hatte. Auf dem Throne sitzend, erschien er daher wie ein gekrönter Esel. Sein Volk aber gab sich Schmausereien hin, vergaß Ehrbarkeit und Sitte, und haßte alle, welche um die künftigen Güter Sorge trugen. Als nun der Arzt sich dem Könige vorstellte, und demselben mitteilte, daß er aus dem Lande der Freude wäre, auch versicherte, er sei gekommen, um die Krankheiten der Menschen kennen zu lernen, wunderte sich der König über einen solchen Menschen und dessen Rede, und antwortete: Ich habe zwei Menschen im Gefängnisse, welche morgen enthauptet werden sollen; der eine von ihnen vermag kaum noch zu atmen, der andere aber ist jetzt stärker und beleibter, als bevor er ins Gefängnis gekommen. Gehe zu ihnen hinein und untersuche sie, wer von ihnen von besserer Gesundheit ist. Als nun der Arzt eingetreten war und sie gesehen hatte, sprach er zum Könige: Der Mensch, welchen Ihr stark nennt, ist dem Tode sehr nahe und wird nicht leben können; für den anderen ist gute Hoffnung vorhanden. Darauf fragte ihn der König: Woher weißt Du dieses? Und der Arzt sprach: Weil der erste mit schädlichen Feuchtigkeiten angefüllt ist, wird er nicht geheilt werden können; der andere aber, welcher beinahe schon ohne Leben ist, wird in einem milden Klima leicht geheilt werden können. Der König sprach nun: Ich werde meine Weisen zusammenberufen, damit Du, nachdem sie Deine Weisheit und Geschicklichkeit gesehen, in ihren Augen
ruhmwürdig erscheinen mögest. Ihm antwortete der Arzt und sagte: Das sollst Du keineswegs thun, Du weißt ja, wie Dein Volk auf Ruhm neidisch ist, und wen es nicht thätlich verfolgen kann, den verfolgt und lästert es mit dem Worte. Aber gieb jene beiden Menschen in meine Gewalt, und ich werde dieselben an die Grenzen Deines Reiches führen, wo die Luft zuträglicher ist, und Du wirst sehen, wie viel die Thaten und wie viel die Worte vermögen. Der König sprach: So nimm sie zu Dir, wirst Du etwas Großes, Bewunderungswürdiges an ihnen erweisen, so werden wir Dich loben und Deinen Ruhm verkünden lassen. Nachdem die Männer vom Arzte übernommen und in ein milderes Klima gebracht worden waren, starb der eine, der andere aber erholte sich in der milden Luft und ward wieder gesund. Dieser Arzt bin ich; mit dem Verlangen, die Menschen zu heilen, habe ich meine Worte 474 durch Dich der Welt gesandt. Obwohl ich die Krankheiten vieler Menschen kenne, habe ich Dir doch nur zwei gezeigt, an denen Du meine Gerechtigkeit und Barmherzigkeit hast bewundern können. Den einen, welchen ich Dir gezeigt, hatte der Teufel heimlich in Besitz, aber er wird ewig bestraft werden, denn seine ungerechten Werke wurden von den Menschen für gerecht angesehen und gepriesen. Den anderen, den ich Dir zeigte, beherrschte der Teufel offenkundig, aber er wird zu seiner Zeit geheilt werden, wiewohl nicht vor den Menschen öffentlich. Denn die göttliche Gerechtigkeit erforderte, daß, wie der böse Geist in ihm allmählich zu herrschen angefangen, er eben so allmählich von ihm entweiche, wie er denn auch herausgefahren ist, als die Seele vom Fleische abgelöst worden und er mit ihr vor das Gericht kam. Da sprach der Richter zu ihm: Du hast sie gereinigt und gesichtet wie Weizen; nun aber steht es mir zu, sie für ihr doppeltes Bekenntnis mit einer zweifachen Krone zu krönen. Weiche also von ihr, die Du so lange Zeit gereinigt hast. Und zur Seele sprach er: Komm', o Du glückliche Seele, und schaue mit Deinen geistlichen Sinnen meine Herrlichkeit und meine Lieblichkeit. Zur anderen Seele aber sprach er: Weil der Glaube in Dir nicht wahr gewesen, Du Dich aber dennoch rühmtest, als wärest Du gläubig, und Dich also loben ließest, und weil die Werke der Gerechten nicht vollkommen erfunden sind an Dir, deshalb wird der Lohn der Gläubigen nicht in Dir sein. Du hast auch in Deinem Leben gefragt, weshalb ich für Dich habe sterben und mich für Dich so habe demütigen wollen; deshalb antworte ich Dir nun jetzt, daß der Glaube der heiligen Kirche wahr ist und die Seelen emporzieht; mein Leiden und mein Blut aber führen sie ein in den Himmel. Darum werden Dein Unglaube und Deine eitle Liebe Dich zum Nichts herabdrücken, und Du wirst dem, was ewig und geistlich ist, gegenüber ein Nichts sein." 475
Kapitel XXXII.
Worte der Jungfrau zur Braut, welche unter einem Bidde darstellen, wie Gott der Vater sie unter den übrigen Heiligen zu seiner Mutter und zum Port auserwählt.
Die Mutter redete zur Braut und sprach: "Einer, der Steine suchte, fand einen Magnet, den er mit eigener Hand aufhob und in seinem Schatze verwahrte. Mittels desselben führte er sein Schiff in den sichern Hafen. So erkor mein Sohn, als er viele Steine der Heiligen suchte, mich ganz besonders zu seiner Mutter, auf daß durch mich die Menschen zum Port des Himmels zurückgeführt werden möchten. Wie nun also der Magnet das Eisen an sich zieht, so ziehe ich Gott die harten Herzen an. Dadurch sollst Du Dich nicht beunruhigen, wenn zuweilen Dein Herz sich verhärtet, weil das eine größere Krone einträgt."
Kapitel XXXIII.
Worte des Sohnes zur Braut, und wie er durch zweier Menschen Beispiel darthut, daß er nach dem Inneren, nicht aber nach dem Äußeren richte.
Der Sohn Gottes sprach zur Braut: "Du wunderst Dich über zwei Menschen, von denen einer ist wie ein Quaderstein, der andere wie ein Jerusalemspilger. Allein keiner gelangte zu dem, was Du hofftest. Der erste, zu dem Du gesendet worden, war in seiner Gesinnung fast wie ein Quaderstein, aber doch wie Thomas ein gottesfürchtiger Zweifler. Da aber für die Bosheit der Menschen die Zeit noch nicht reif war, so hat er Wein geprobt, aber nicht getrunken. Von dem zweiten sagte ich, daß er ein Jerusalemspilger sei, ein Mitgenosse auf der Reise, und dieses darum, damit Du den Stand dessen erfahrest, den der Ruf einen Gerechten und Heiligen genannt hatte. Er ist freilich dem Kleide nach ein Ordensgeistlicher und durch Profeß ein Mönch, aber seinem Lebenswandel nach ein Abtrünniger, der Würde nach ein Priester, ein Knecht der Sünde, ein Fremdling dem Gerüchte nach, aber seiner Absicht nach 476
ein Landstreicher, ein Jerusalemer der Meinung nach, in der That aber mehr ein Babylonier. Außerdem ist er wider den Gehorsam und die apostolischen Satzungen ausgeschritten und ist gänzlich angesteckt von Ketzerei, so daß er sich für den künftigen Papst hält, der alles wieder herstellen wird und dessen Bücher auch dieses bezeugen. Darum wird er plötzlich sterben und wenn er sich nicht vorsieht, wird er dem Vater der Lügen zugesellt werden. Du darfst Dich also nicht beunruhigen, wenn einiges dunkel gesagt worden, oder wenn das Vorgedachte nicht nach Deinem Gedanken eintrifft, weil Gottes Worte auf verschiedene Weise verstanden werden können. Und so oft dieses geschieht, werde ich die Wahrheit dessen andeuten. Nun aber bin ich, Gott, ein wahrer Jerusalemer. Darum will ich selber Dir ein Gefährte auf Deiner Reise sein."
Zusatz.
Der Geist Gottes redete: "Du hast gehört, daß derjenige gestorben, von dem ich Dir gesagt, er sei ein Quaderstein und frommer Zweifler gewesen. Wisse nun, wie er nicht unter der Zahl derer sein wird, welche Gott in der Wüste versuchten, noch bei denen, welche ein Zeichen begehrten, wie Jonas des Propheten; auch nicht bei denen, welche Verfolgung wider mich anstellten, sondern er wird mit denen sein, welche den Eifer und die Liebe hatten, aber noch nicht vollkommen."
Kapitel XXXIV.
Worte der Mutter zur Tochter unter einem Bilde, in welchem die Seele unter einem Ringe, der Leib unter einem Tuche verstanden wird, und wie die Seele durch Bescheidenheit gesäubert und der Leib durch Enthaltsamkeit gereinigt, aber nicht getötet werden soll.
Die Mutter Gottes redete: "Wenn jemand ein Ring gegeben wird, welcher zu eng ist für den Finger, und der Feind um Rat gefragt wird, was zu thun sei, so antwortet dieser: Der Finger muß abgehauen werden, und dann wird der Ring darauf passen. Der Freund aber spricht: Mit nichten! Der Ring muß vielmehr mit einem Hammer auseinander getrieben werden. - Wenn dagegen 477 jemand den Trank eines mächtigen Herrn durch ein reines Tuch gießen und seihen will, und sucht darüber einen Rat bei seinem Feinde, so wird dieser antworten: Schneide alles, was unrein ist, vom Tuche ab, und wo du eine reine Stelle antriffst, da seihe den Trank deines Herrn hindurch. Der Freund dagegen spricht: Keineswegs mag es also geschehen, sondern das Tuch ist vielmehr zuerst zu reinigen und zu waschen, nachher aber das Getränk hindurchzugießen. Also ist es auch in geistlichen Dingen. Unter dem Ringe ist die Seele zu verstehen, unter dem Tuche der Leib. Also muß die Seele, welche am Finger Gottes sein soll, mit dem Hammer der Bescheidenheit und Reinigung ausgedehnt werden. Der Leib aber soll nicht getötet, sondern durch Enthaltsamkeit gereinigt werden, damit die Worte Gottes hindurchgegossen werden können." dagegen 478
[Es folgt das Inhaltsverzeichnis des ersten Bandes auf den Seiten 479-494 (hier jeweils vor die einzelnen Bücher gestellt) und zwei Seiten Werbung auf den Seiten 495-496. Der zweite Band der Buchausgabe beginnt mit den Seiten:]
Sammlung der vorzüglichsten mystischen Schriften aller katholischen Völker
Aus dem Urtextete übersetzt.
Elfter Band.
Offenbarungen der heiligen Brigitta. II.
Zweite Auflage.
Regensburg. Verlags-Anstalt vorm. G. J. Manz. 1888. 2
Leben und Offenbarungen der heiligen Brigitta.
Zweiter Band.
Offenbarungen. II. Teil.
Zweite Auflage.
Regensburg. Verlags-Anstalt vorm. G. J. Manz. 1888. 3
Buchdruckerei der Verlags-Anstalt vorm. G. J. Manz in Regensburg. 4