Der Isenheimer Altar
und seine Botschaft
Kreuzigungsdarstellung im Breisacher Münster
- Umgang mit dem Leid
- Verzweiflung
- Die Hände Mariens
- Gott wendet sich dem Menschen zu
- Zahlreiche Parallelen
Darstellung der Kreuzigung aus dem Breisacher Münster.
Foto: Jörg Sieger, August 2003
Die Darstellung Marias und Johannes unter dem Kreuz am zweiten nordwestlichen Pfeiler des Breisacher Münsters ist ein Gemälde aus spätgotischer Zeit. Vielleicht war sie einmal Altarbild eines Nebenaltares. Vermutet wird auch, dass sie zum Kreuzweg des Münsters gehörte. ⋅1⋅
Umgang mit dem Leid
Dass der Künstler nicht das Geschehen auf Golgotha ins Bild bringen wollte, macht das Bild selbst auf Anhieb deutlich. Keine Landschaft, nicht einmal der geringste Hinweis auf einen bestimmten Ort ist zu entdecken. Das Kreuz selbst besteht sogar aus nichts anderem, als zwei Linien, die nicht größer sind, als die Umgrenzungslinien des ganzen Bildfeldes. Ganz zu schweigen davon, dass diese schmalen Latten nie in der Lage wären, einen Körper von der Größe der Christusgestalt zu tragen.
Diese geometrischen Figuren bilden eigentlich nur die Folie auf der Christus, Maria und Johannes dargestellt werden. Schon dadurch wird klar, dass es hier um anderes geht, als um eine reine Schilderung des Geschehens am Karfreitag.
Was aber will das Bild, wenn es nicht berichtet, was sich bei der Kreuzigung Christi zugetragen hat? Anhand der Kreuzigungsszene wird dem Betrachter, der hier vor dem Andachtsbild kniet, zu erklären versucht, welche Möglichkeiten es gibt, mit Leid umzugehen.
Verzweiflung
Johannes unter dem Kreuz.
Foto: Jörg Sieger, August 2003
Dies geschieht durch die Zeichnung des Zusammenspiels der drei Figuren.
Zunächst ist hier Johannes zu nennen. Er steht unter dem Kreuz mit einem Buch in der Hand - ein Detail, das zunächst einmal verwundern muss. Warum schleppt jemand ein Buch mit zu einer Hinrichtung? Schon die Absurdität der Fragestellung macht deutlich, dass es hier nicht um eine Momentaufnahme eines historischen Ereignisses geht. Der Künstler würde Johannes immer mit einem Buch in der Hand darstellen.
Dieses Buch, das die Gestalt auf diesem Bild nicht einmal berührt, sondern ehrfurchtsvoll mit dem Zipfel seines Mantels umfängt, ist Symbol für das Evangelium. Durch dieses Buch wird der Apostel, der der Tradition nach gleichzeitig Verfasser des vierten Evangeliums war, als einer gekennzeichnet, der das Evangelium verkündet hat. Es ist nicht das einzige Mal, dass diese Symbolik im Breisacher Münster begegnet.
Dieser Johannes, der unter dem Kreuz steht, lehnt seine Wange in die rechte Hand.
"... Das Mittelalter verstand diese Haltung als Zeichen tiefster Erschütterung. Walther von der Vogelweide bringt seine Verzweiflung über die politische Lage 1198 so zum Ausdruck: "ich saz ûf eime steine ... ich het in mîne hant gesmogen (= geschmiegt) daz kinne und ein mîn wange."." ⋅2⋅
Dieser Johannes verzweifelt. Er hat seinen Herrn, seinen Freund verloren und versinkt in tiefster Verzweiflung. Er blickt zu Boden und sieht keinen Ausweg mehr.
Das ist die erste Botschaft dieses Bildes: Du hast Schweres erlitten und du kannst an deinem Leid verzweifeln.
Die Hände Mariens
Maria unter dem Kreuz.
Foto: Jörg Sieger, August 2003
Die Frauengestalt des Bildes drückt eine andere Haltung aus. Auch sie tut es zuallererst mit den Händen. Schon dieser Umstand macht deutlich, dass Hände und Handhaltung auf diesen Bildern ungemein wichtig und ausdrucksstark sind.
Maria formt die Hände in Anlehnung an einen Kelch.
Kelch und Schale sind tiefe Symbole. Schalen symbolisieren zum einen den Überfluss, sie stehen aber auch für die Bereitschaft zu empfangen. Der Mensch empfängt aus der Hand Gottes sein Geschick wie in eine Schale. Dieses Bild steht hinter dem Jesuswort:
"Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde?"
(Matthäus 20,22)
und ganz besonders hinter dem Ausruf Jesu am Ölberg:
"Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst."
(Matthäus 26,39).
Die Schale kann gefüllt werden. Ich kann aus einer Schale aber auch herausnehmen. Die zum Kelch bzw. zur Schale geformten Hände werden von daher zum Symbol des Annehmens, aber gleichzeitig des wieder Darbringens.
Allein durch diese Haltung der Hände führt die Frauengestalt unter dem Kreuz demnach den mit der Johannesfigur begonnenen Gedanken weiter: Du kannst an deinem Leid verzweifeln. Du kannst es aber auch ganz einfach als dein Schicksal annehmen und du kannst es Gott auf diese Art wieder als Opfer darbringen.
Maria blickt zwar genauso zu Boden wie Johannes. Auch sie sieht keinen Ausweg und keinen Trost. Sie aber versucht das Leid im Glauben anzunehmen und Gott zurückzugeben.
Gott wendet sich dem Menschen zu
Christus und Maria.
Foto: Jörg Sieger, August 2003
Und genau ihr wendet sich Christus zu - auch wenn Maria noch nichts davon sieht. Christus, der am Kreuz sein Leid getragen hat, wendet sich ihr mit liebevollem Blick zu.
Während Johannes zur Linken Christi steht, befindet sich Maria zu seiner Rechten und die Christusfigur ist in einer ganz eigenen Biegung, als wolle sie die leidende Frau gleich an sich drücken, ihr zugewandt.
Nimm dein Leid an und gib es Gott als dein Opfer zurück und sei ganz sicher, Gott wendet sich dir zu - diese Botschaft wollte das Bild dem Menschen des Mittelalters, der vor ihm im Gebet weilte, mitgeben.
Zahlreiche Parallelen
Dass diese Aussagen nach einem förmlichen Plan in solchen Bildern festgehalten wurden, lässt sich schon daran ablesen, dass es eine Fülle von Darstellungen gibt, die genau dem gleichen Schema folgen. Allein im Freiburger Münster gibt es mindestens vier Glasfenster, die dem Breisacher Gemälde in bis in die Details hinein gleichen: im zweiten Fenster des nördlichen Seitenschiffs, dem Malerfenster , und im Schusterfenster, einem Fenster im südlichen Seitenschiff.
Wir können demnach davon ausgehen, dass die Menschen solche Bilder damals verstanden haben und wahrscheinlich haben sie im Leid auch tatsächlich Trost darin gefunden.
Literaturhinweise
Grundlegendes zum Breisacher Münster ist zusammengestellt in:
Gebhard Klein, Das Breisacher Sankt Stephansmünster (Breisach, 3. Auflage 2002).
Zur Kreuzigungsdarstellung hier besonders Seite 68.
Zur Symbolik im Allgemeinen:
Gerd Heinz-Mohr, Lexikon der Symbole - Bilder und Zeichen der christlichen Kunst (Köln 8. Auflage 1984)
sowie
Konrad Kunze, Himmel in Stein - Das Freiburger Münster (Freiburg 4. Auflage 1985).
Anmerkungen