Der Isenheimer Altar
und seine Botschaft
Wie waren die Standflügel ursprünglich platziert?
- Die Altarbeschreibung Franz Christian Lerses
- Die Anbringung der Standflügel zwischen 1930 und 1965
- Franziska Sarwey und die Änderung der Anbringung
- Die Untersuchung der Raumperspektive durch Joseph Harnest
- Zur Diskussion des Für und Wider
- Hinweise aus der Theologie- und Liturgiegeschichte
"Der trostspendende Gedanke, bei dem die körperliche Heilung ganz in das christliche Heil der Seele hinübergeführt wird, wird nun auch von den Flügeln aufgenommen. Hier finden sich die Krankenpatrone Antonius, der Schutzherr gegen das schreckliche Antoniusfeuer, und Sebastian, der nach dem Volksglauben die Pest abwehrte; beide, wie es die Tradition verlangte, als Standbilder erhöht, von Pfeiler oder Säule unterstützt, in ruhiger Haltung, den Blick aus dem Bild heraus zum Beter hin gerichtet. Wie sehr die beiden Tafeln mit der Kreuzigung verbunden sind, geht aus den gesteigerten Größenverhältnissen der Heiligen hervor, die inhaltlich und kompositionell erst verständlich werden, wenn man sie mit der übergroßen Figur des Gekreuzigten und dem Christus in der Grablegung der Predella zusammen sieht. In jedem Fall aber ist der hl. Sebastian ursprünglich rechts, der hl. Antonius links angeordnet zu denken. Erst dann kommt der Zusammenklang der Teile voll zur Wirkung." ⋅1⋅
In dieser Deutlichkeit plädiert Heinrich Geissler für die These, dass die beiden Standflügel des Isenheimer Altares ursprünglich anders angeordnet waren. So dezidiert und eindeutig sein Urteil auch sein mag, es ist in der Forschung durchaus umstritten.
Weshalb diskutiert man über die Anbringung der beiden Standflügel?
Die Altarbeschreibung Franz Christian Lerses
Es gibt nur eine einzige Beschreibung des Altares vor der Zerstörung durch die Französische Revolution. Sie stammt vermutlich von Franz Christian Lerse, der das Werk zwar für eine Schöpfung Albrecht Düres hielt, in seiner Beschreibung aus dem Jahre 1781 aber nichtsdestoweniger den originalen Zustand in der Isenheimer Antoniterkirche aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wiedergibt.
In dieser Beschreibung wird die Darstellung des "Märtyrer Tod des Heil: Sebastians in Lebensgrösse" als "I.ter Bevestigter Flügel auf der rechten Seite des Altars" und das Gemälde des Heiligen "Antonius im Bischoffs Ornat in Lebensgrösse" als "II.ter Bevestigter Flügel auf der linken Seite des Altars" bezeichnet. ⋅2⋅
Wenn Lerse eine Bildtafel beschreibt, bedeutet "rechts" und "links" durchweg die Position im Bildzusammenhang. Johannes der Täufer etwa steht links vom Kreuz Christi, also vom Betrachter aus gesehen auf der rechten Seite. Dies legt nahe, dass der befestigte Flügel auf der "rechten Seite des Altares" die vom Betrachter aus gesehen linke Seite meint. Damit hätte Franz Christian Lerse die Sebastiandarstellung auf der linken Seite - bezogen auf den Betrachter - gesehen. Der Antoniusflügel wäre demnach rechts angebracht gewesen. Dies würde die heutige Anbringung im Unterlindenmuseum in Colmar bestätigen.
Die Anbringung der Standflügel zwischen 1930 und 1965
Nach der Zerstörung des Altares in der Folge der Französischen Revolution wurden die Reste des Retabels im "Collège" in Colmar - bis 1765 ein Jesuitenkolleg - gelagert. Danach wurden die Tafeln und Figuren im ehemaligen Dominikanerinnenkloster, dem heutigen Unterlindenmuseum, in recht unzusammenhängender Weise aufgestellt. Alte Fotografien und Postkarten geben einen Eindruck von der damaligen Präsentation .
Im Jahre 1930 unternahm man den Versuch den Schrein zu rekonstruieren. Auch die erste Schauseite wurde dabei so zusammengestellt, dass sie dem geschlossenen Altar wirklich entsprach. Auf der Grundlage der Arbeit Heinrich Alfred Schmids aus dem Jahre 1911 ⋅3⋅ wurden dabei die beiden Standflügel so befestigt, dass der Heilige Antonius auf der - vom Betrachter aus gesehen - linken Seite und der Heilige Sebastian auf der rechten Seite zu sehen waren.
So angebracht wurden die beiden Standflügel bis zum Jahr 1965 gezeigt.
Franziska Sarwey und die Änderung der Anbringung
Franziska Sarwey, eine Stuttgarter Journalistin, plädierte als erste für eine andere Anordnung. Der Vorsitzende der Schongauer-Gesellschaft, Rechtsanwalt Alfret Betz, setzte sie dann im Jahre 1965 durch.
Marquard führt die Gründe an, die Franziska Sarwey vorbrachte: Die hellen Fenster würden sich bei der alten Anordnung gleichsam mit der dunklen Kreuzigungsszene beißen, die Zuordnung des Antonius zu Johannes dem Täufer auf der einen Seite sowie Maria und Johannes zu Sebastian auf der anderen Seite seien durch die Farbkomposition vorgegeben und Lerse habe den Altar auch in dieser Zusammenstellung gesehen und beschrieben. Auch das Bildprogramm, das Franziska Sarwey gefunden zu haben glaubt, verlangt ihrer Meinung nach die Darstellung des Antonius auf der - bezogen auf den Betrachter - rechten Seite des Altars. ⋅4⋅
Seit dieser Zeit ist die Diskussion um die Anbringung der Standtafeln nicht abgeebbt. Immer neue Argumente werden dafür angeführt, dass die Anordnung der Tafeln von 1930 die eigentlich richtige sei.
Die Untersuchung der Raumperspektive durch Joseph Harnest
Schrägsicht auf den linksseitig
konstruierten Sockel
unter dem hl. Sebastian. ⋅5⋅
Mit freundlicher Erlaubnis
des Belser-Verlages, Stuttgart
Vehement kritisiert Joseph Harnest die "heutige Aufstellung". ⋅5⋅ Er geht von der Konstruktion der Sockel unter der Gestalt des Sebastian und des Antonius aus und zeigt auf, dass diese Sockel um 6 Grad aus der Bildachse gedreht sind. Er stellt die vormalige Anordnung zeichnerisch wieder her und folgert dann:
"Wird vom Betrachter aus links in der Antoniustafel und rechts in derjenigen Sebastians der Hauptpunkt eingesetzt und mit je 6° Abweichung der eine zentrale Sehstrahl mit dem anderen verbunden, so befindet sich der Betrachter gerade vor der Türöffnung der Lettnerwand, wenn eine Rekonstruktion des Kirchenbaus nach den erhaltenen Plänen und Maßen vorausgesetzt wird. Von hier aus sieht man dann die leicht übergedrehten Sockel (diese perspektivisch konstruiert) schräg von innen. Die heutige Aufstellung der Standflügel ist also falsch und läßt Grünewalds spezielles Ziel außer acht, auf den Betrachter Bezug zu nehmen. Sie muß in dieser Form für jede logische Raumbezugnahme unvernünftig bleiben, wenn man nicht Grünewald unterschieben will, den Umgang mit den perspektivischen Gesetzen parodistisch ins Gegenteil gekehrt haben zu wollen, um damit surrealistische Effekte zu erzielen." ⋅6⋅
"Entgegen einer neueren Ansicht, die den Antonius rechts und den Sebastian links vom Mittelbild postiert, schließe ich mich der textkritisch und perspektivisch wohlbegründeten Meinung von Harnest an, der beide die Plätze wieder wechseln lassen will. Sein Vorschlag besteht zu Recht, denn auch ästhetisch gesehen verlangen die scharf nach rückwärts abgebogenen Figuren der Dreiergruppe unmittelbar davor nach einem Widerlager, das der (in einer späteren Phase der Arbeit am Altar entstandene) Sebastian, so wie er heute im Unterlindenmuseum angebracht ist, nicht vermitteln kann." ⋅7⋅
Joseph Harnest weist auch darauf hin, dass Heinrich Alfred Schmid eine Befestigung der Standflügel mit Zapfen erwähnt, deren Löcher Schmid noch gesehen habe, und zwar am Rahmen des hl. Antonius rechts und an dem des hl. Sebastian links ⋅8⋅. Bernhard Saran merkt zusätzlich an, dass die linke untere Rahmenecke des Sebastianflügels und in gleicher Weise die des Antoniusflügels - immer vom Betrachter aus gesehen - in einer Breite von 4 cm und einer Höhe von 5 cm (bzw. 2,5 cm) modern ausgebessert seien. Für ihn sind dies Hinweise darauf, dass man die Rahmen hier, entweder um einer Profilierung der Predella willen oder um die Tafeln mit dieser Aussparung auf ihr aufsitzen zu lassen, an dieser Stelle ausgeschnitten habe. ⋅9⋅
Zur Diskussion des Für und Wider
Nach Auflistung aller Argumente kommt Reiner Marquard zum Schluss:
"In Anbetracht der Anknüpfung an das Vorgängermodell, der Psychologie des Sehrhythmus, der Bedeutung der Ordenslegende und der daraus sich ergebenden Vor- bzw. Nachordnung sowie der Aspekte der Kompositionslinien, der Farbgebung und des Lichteinfalls ergibt sich zwangsläufig der Eindruck, daß eine Wiederherstellung der ursprünglichen Anordnung der Standflügel angezeigt ist!" ⋅10⋅
Aber lässt sich die Frage wirklich so eindeutig beantworten?
Immer wieder wird angeführt, dass die Grundform des Kompositionsschemas des geschlossenen Altares eine Ellipse sei. Die Linienführung ginge über die Führung der Mantelfalten es Antonius hin zu der am Oberkörper leicht gebogenen Christusdarstellung der Predella, verlängere sich im Faltenwurf des Umgangs des Sebastian und schließe sich im gebogenen Querholz des Kreuzes. Dies würde nur in der Anordnung der Standflügel, wie sie vor 1965 angebracht waren, wirklich deutlich. ⋅11⋅
Der geschlossene Altar im Chor der Isenheimer Antoniterkirche mit den Standflügeln
des Sebastian und Antonius gemäß der ehemaligen Anordnung im Unterlindenmuseum in Colmar.
Rekonstruktion: Jörg Sieger
Der Vergleich beider Anordnungen veranschaulicht allerdings, dass auch in der heutigen Anordnung, dieses Kompositionsschema durchaus zu entdecken ist.
Der geschlossene Altar im Chor der Isenheimer Antoniterkirche mit den Standflügeln des Sebastian und Antonius gemäß der heutigen Anordnung im Unterlindenmuseum in Colmar.
Rekonstruktion: Jörg Sieger
Bei der Anbringung der Tafeln vor 1965 haben der Pilaster bzw. die Säule, die seitlich der Heiligenfiguren zu sehen sind, nach außen hin die Kompositionslinie des Bogens abgeschlossen. Dies ist heute nicht mehr der Fall. In der heutigen Aufstellung bilden sie vielmehr so etwas wie eine Schranke zum dunklen Bildhintergrund des Kreuzigungsgeschehens.
Reiner Marquard zitiert Arpad Weixlgärtner und macht dessen farbkompositorische Beobachtungen als Grund für die Forderung nach einer erneuten Umstellung der Standflügel geltend.
"Links wird das Rot der Gewandung des Evangelisten wiederholt, freilich als Karmin in das Zinnober, rechts das Rot von des Täufers Mantel, wobei aber dessen Karmin in das Zinnober von Sebastians Mantel umgewechselt ward. Der mächtige weiße Bart des Antonius und die starke Aufhellung von seines Mantels Unterfutter nehmen Rücksicht auf das Weiß von Marias Mantel, während rechts wieder die größere Fläche Zinnober auf Sebastians Mantel (an dem wie am weißen Mantel der Maria die Webstuhlbreiten kenntlich sind) dem reichen Karmin von des Täufers Mantel, Sebastians helle Schulter dem Weiß von des Täufers aufgeschlagenem Buch entspricht." ⋅12⋅
Weixlgärtner aber zieht seine Schlussfolgerungen aus der Anordnung, die er vor 1965 im Unterlindenmuseum vorgefunden hat. Das bedeutet nicht zwingend, dass sich aus der heutigen Anordnung nicht minder sinnvolle Zusammenhänge entdecken lassen, die der kompositorischen Absicht des Meisters vielleicht sogar näher kommen, als diejenigen, die sich aus der ehemaligen Anbringung der Standbilder ergaben.
Auch führt Marquard an, dass das Licht bei der Anbringung der Tafeln, wie sie von 1930 bis 1965 gegeben war, von einer zentralen Lichtquelle auf beide Standflügel und damit auf die beiden Gestalten Antonius und Sebastian fällt. Die leichte Drehung der Sockel, die Joseph Harnest herausgearbeitet hat, würde dies noch einmal unterstreichen. ⋅13⋅ Doch bedeutet dies ja noch nicht, dass der Maler eine solche Lichtführung auch beabsichtigt hatte. Wollte Meister Mathis das Kreuz tatsächlich als zentrale Lichtquelle gedeutet wissen? Auch ist zu berücksichtigen, dass die Beobachtungen von Joseph Harnest bei der heutigen Anbringung der Standtafeln einen nicht minder guten Sinn ergeben können.
Viele der von den Vertretern der unterschiedlichen Positionen angeführten Argumente sind Interpretationen, die sich aus dem ein oder anderen Zustand ableiten. Von solchen Interpretationen allerdings auf die ursprüngliche Gestalt des Altares zu schließen, ist immer ein schwieriges Unterfangen.
Sicheren Aufschluss könnte eine Untersuchung der Tafeln geben, wie Pantxika Béguerie, die für den Isenheimer Altar zuständige Konservatorin, anmerkt. Es müssten dazu dieselben abgenommen und die Spuren an den Rahmen genau untersucht werden. ⋅14⋅ Möglicherweise ließen sich dadurch Hinweise auf eine ursprüngliche Anbringung finden. Solch eine Untersuchung steht aber noch aus.
Durch die historische Quellenlage könnte die Frage entschieden werden, wenn Franz Christian Lerses Beschreibung eindeutiger wäre. Aber gerade die Formulierung 'l.ter Bevestigter Flügel auf der rechten Seite des Altars' und '2.ter Bevestigter Flügel auf der linken Seite des Altars' werfen durch die jeweils beigefügte Bemerkung 'des Altars' die Frage auf, ob Lerse auch an dieser Stelle 'rechts' und 'links' im heraldischen Sinne oder eben als rechte und linke Seite des Altares - und dann vom Betrachter aus gesehen - versteht.
Hinweise aus der Theologie- und Liturgiegeschichte
Reiner Marquard glaubt jedoch daran, dass Lerse den Altar tatsächlich in einer der heutigen Aufstellung entsprechenden Form gesehen hat. Er führt dies allerdings auf den Umstand zurück, dass die Isenheimer Antoniterpräzeptorei 1777 dem Malteserorden inkorporiert wurde.
"Es ist schwer verständlich, daß der Malteserorden als ein gegenüber den Antonitern in der Krankenpflege konkurrierender Orden das Altarprogramm dergestalt bestehen ließ, daß Antonius als Ordenspatron der Antoniter sozusagen am Eingang des Altars hätte stehen bleiben können. Indem die Malteser in Isenheim eine Vertauschung der beiden Standflügel vornahmen, dokumentierten sie damit einerseits das Ende des Antoniterordens in Isenheim und die Übernahme der Verantwortung durch sie. Vor einem Altar, der ihnen Antonius signifikant als Demonstration der Würde und Bedeutung des Antoniterordens vor Augen geführt hätte, hätten sie sich schwerlich zum Gebet versammeln können, ohne diese Konkurrenz als eine Störung empfinden zu müssen. In der Vorordnung des Sebastian als Pestheiligen und Anwalt der Kranken überhaupt konnten auch sie demgegenüber in der Ikonographie des Altars kein Problem erkennen. Lerse hat also in der Tat das Altarprogramm korrekt wiedergegeben - aber nicht das Altarprogramm der Antoniter, sondern das der Malteser." ⋅15⋅
Genauso wenig, wie es für Marquard vorstellbar ist, dass die Malteser die Antoniusgestalt auf der vom Betrachter linken Seite des Altares angebracht gelassen haben, ist für ihn der Gedanke, dass die Antoniter ihn an einer anderen Stelle anders dargestellt hätten.
"Durch die Stellung des Antonius innerhalb der Gesamtkomposition des Altars ergeben sich zwangsläufig unterschiedliche Größen-Dimensionen und Abfolgen in der Zuordnung: Antonius ist deutlich größer dargestellt als Sebastian; Antonius ist gegenüber Sebastian der Ältere. Es ist unvorstellbar, dass Grünewald - gemessen an der Ordenslegende der Antoniter - den kleineren und jüngeren Sebastian an die erste und den größeren und älteren Antonius an die zweite Stelle gerückt haben sollte." ⋅16⋅
Diese Einschätzung aber ist falsch. Der "kleinere und jüngere Sebastian" hat selbstverständlich den ersten Platz vor Antonius - auch bei den Antonitern - inne. Gemäß den liturgischen Gepflogenheiten der damaligen Zeit, wie sie sich in der Tradition der römisch-katholischen Kirche bis heute erhalten haben, hat Sebastian eindeutig den Vorrang vor Antonius.
Für die Abfolge der Heiligen, die mit ihrem Rang in der Liturgie Hand in Hand geht, ist die Reihenfolge in der Allerheiligenlitanei der sicherste Hinweis. Unmittelbar nach Maria, den Engeln und den Aposteln folgen dort nämlich die Märtyrer, zu denen Sebastian gehört. Der Mönchsvater Antonius kommt als Bekenner in der Abfolge der Allerheiligenlitanei erst an sehr viel späterer Stelle.
Marquard und viele Interpreten des Altares betonen richtig, dass der Standflügel, der "zu Rechten Christi" angebracht ist, einen Ehrenplatz darstellt. Dieser Platz gebührt aber auch in einer Antoniterpräzeptorei - ohne wenn und aber - dem Heiligen Sebastian. Die Anordnung der Heiligen auf einem Altarwerk wie dem Isenheimer Altar war nicht einfach der jeweiligen Ordenspolitik unterworfen, sondern folgte klaren Regeln. Schon Emil Spath weist darauf hin, dass die Kniffe, mit denen sich die jeweiligen Ordensgemeinschaften herausnahmen, "ihrem" Heiligen besondere Ehre zuteil werden zu lassen, äußerst subtil waren ⋅17⋅. Die Isenheimer Antoniter beispielsweise bringen ihre Verehrung des Heiligen Antonius dadurch zum Ausdruck, dass sie Sebastian wohl seinen Ehrenplatz lassen, Antonius aber deutlich größer darstellen und auch seinen Sockel reicher ausstatten als den des Sebastian.
Dieses Argument aus der Liturgie und der traditionellen Heiligenverehrung wirkt bei genauerer Betrachtung der Geschichte des Antoniterordens und seiner Verflochtenheit in die Tradition der Kirche so stark, dass mit Marquard wohl davon auszugehen ist, dass Franz Christian Lerse den geschlossenen Altar in einer Anordnung gesehen hat, wie er der heutigen Aufstellung im Unterlindenmuseum entspricht. Aber diese Anordnung wurde nicht erst durch die Malteser geschaffen. Sie wäre genau diejenge, die die Antoniter von Isenheim für ihr Altarwerk gewählt hätten.
Sollte nicht eine genauere Untersuchung des Altares ergeben, dass aus heute nicht mehr ersichtlichen theologischen und inhaltlichen Gründen die Standflügel tatsächlich anders angebracht waren, ist es nicht nur sinnvoll, sondern auch geboten, von der theologie- und liturgiegeschichtlich wahrscheinlichsten Anordnung auszugehen: von derjenigen nämlich, die derzeit im Unterlindenmuseum in Colmar zu sehen ist. Es gilt dann nicht zu klären, was die Figuren zum Ausdruck bringen, wenn sie sich in die erwartete Richtung wenden würden. Aufgabe ist es vielmehr, herauszuarbeiten, was die aus dem Bild hinausweisenden Hände des Sebastian, die "uneinsichtig ins Leere" ⋅18⋅ zeigenden Fenster und die Figuren selbst - und zwar genau in dieser eigenartigen und für den heutigen Menschen eben unerwarteten Anordnung - dem Betrachter zu sagen haben.
Literaturhinweise
Vergleiche hierzu:
Joseph Harnest, Der Altar und das Raumproblem, in: Max Seidel, Mathis Gothart Nithart Grünewald, Der Isenheimer Altar (Stuttgart 1973) 247-255,
Bernhard Saran, Von der Macht des Wortes im Bild, in: Max Seidel, Mathis Gothart Nithart Grünewald, Der Isenheimer Altar (Stuttgart 1973) 222-246,
Reiner Marquard, Mathias Grünewald und der Isenheimer Altar - Erläuterungen, Erwägungen, Deutungen (Stuttgart 1996), 45-48, 81, 117-139
sowie
Emil Spath, Geheimnis der Liebe - Matthias Grünewald - Der Isenheimer Altar (Freiburg 6. Auflage 1991).
Anmerkungen