Weckruf - Wegruf
Mit dem Propheten Amos auf dem Weg
Begleitheft zum Amos-Prozess
Donnerstag, 9. Juli (Amos 7,10-17)
Aufruhr in der Hängematte des Lebens
Manfred Rieger liest den Lesungstext
Dies war der Lesungstext für den Gottesdienst am 9. Juli.
Wieso? Weshalb? Warum? ...
Die Verse 10-17 sind eine eingeschobene Texteinheit, also ein Nachtrag und nicht von Amos selber. Sie kennzeichnen das Ende der Tätigkeit von Amos im Nordreich. Der Text stammt von der Amosjüngerschaft in Juda und geht wohl auf eine Mitteilung des Meisters selbst zurück. Als das Buch in seiner heutigen Form zusammengestellt wurde, setzte man diese Stelle offensichtlich dahin, weil der Name Jerobeam II. bei Amos sonst nur am Ende der 3. Vision vorkommt.
Der Ort der Auseinandersetzung ist der Reichstempel in Bet-El, wo Amos schon auf dem Hinweg aufgetreten war (1,2-2,16) und jetzt auf dem Heimweg von Samaria wieder prophetisch tätig wurde u. a. wohl mit seiner dritten Vision.
Amazja war der Oberpriester des Reichsheiligtums in Bet-El und hatte viel Personal, Güter und Macht. Als Amos den Namen des derzeit regierenden Jerobeam II. öffentlich aussprach und damit anprangerte, erstattete Amazja dem König Meldung. Er setzte dabei das "Haus Jerobeam" mit Jerobeam gleich und macht aus Amos Gerichtspredigt eine Verschwörung gegen König und Volk. Amazja lässt dem König gegenüber einfach Wichtiges weg. Er erwähnt nichts von Amos Sozial-, Staats- und Kultkritik, sondern sagt ihm nur, dass Amos zum Aufruhr gegen ihn aufruft, die Menschen also gegen ihn aufhetzt. Jerobeam reagiert darauf so, dass er Amazja auffordert, Amos auszuweisen, was Amazja dann auch tut.
"Geh, Seher, flüchte ins Land Juda" sagt Amazja zu Amos, gehe dahin woher du gekommen bist. Amazja redet Amos mit "Seher" an, was damals keinen Unterschied zu Prophet ausmachte. Er soll nach Juda zurück und dort als Prophet sein Brot verdienen. Amos merkt daran, dass Amazja ihn für einen Berufspropheten hält, der seine prophetischen Fähigkeiten zum Brot- und Gelderwerb benützt. Amazja denkt vermutlich an eine Bezahlung des Amos durch judäische, dem Nordreich feindlich gesinnte Kreise. Amos protestiert. Er verneint ein Prophet zu sein, der für seinen Profit lebt. Sein Auskommen sei durch Viehbesitz und Maulbeerpflanzungen gesichert. Jahwe selbst sei es der ihn - so wörtlich - "packte von hinter der Herde weg" und zur prophetichen Tätigkeit berief. Er ist also kein Berufs- sondern ein Berufungsprophet. Amazja hat letztlich nicht nur dem Propheten das Wort verboten, sondern Gott selbst, das ist seine Schuld, seine Sünde. Deswegen sagt Amos ihm seine schlimme Zukunft voraus: er wird seinen Besitz verlieren und in "unreinem Land" sterben. Alle fremden Länder galten als unrein, weil es dort Götzenbilder gab. Seine Frau wird zu Dirnendiensten gezwungen sein, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, was im Orient üblich war. Seine Kinder werden umkommen. Das allgemeine Schicksal des Landes und Volkes wird an Amazja beispielhaft dargestellt.
In den Versen 10-17 stellt uns die Bibel ihr Ideal eines Propheten vor. Er stellt sich ganz unter Gott und das, was ihm von Gott her widerfährt (Amos 3,8). Die Sendung nutzt er nicht für den eigenen Vorteil. Durch Jahwes Berufung ist er ein von Gott gerufener Rufer geworden, in dem Gottes Wort präsent ist. Da Amos daraus nicht seinen Brotberuf machte, geht der Vorwurf Amazjas ins Leere.
Amazja kannte Amos' Gesamtpredigt, hatte ihm aber trotzdem niedrige Motive unterstellt und sich dadurch dem Jahwe-Wort, das der Prophet verkündigte, verschlossen. Er wollte den Boten einfach mundtot machen. Gerade sein Amt als Hohepriester des Reichsheiligtums, gab seiner Schuld, die in der Rebellion gegen Gott bestand, ein besonderes Gewicht. Amos sah Amazjas Familie in der Katastrophe untergehen. Das erscheint umso härter als im irdischen Gerichtswesen eine Sippenhaftung ausdrücklich verboten war.
Vor- und nachgedacht...
Maulbeerfeigenbaum
Eitan f 14:23, 31 May 2006 (UTC), Sycomoros old, (CC BY-SA 3.0)
Ein Maulbeerfeigenbaum, Zeichen von Amos Unabhängigkeit. Dennoch wird es ihn sehr geschmerzt haben, dass er ausgewiesen wird. Niemand will seine Prophezeiungen hören. Er hat Visionen, die viel zu unbequem sind. Das Bild des Baumes trügt. Er steht da, wunderschön, Teil einer Harmonie, Teil der Natur. Wo jedoch ist die Harmonie? Geht es mir nicht oft auch so, dass ich das Gefühl habe, bestimmte Dinge aussprechen zu müssen, die zu unbequem sind? Ich bin nicht durch eine Tätigkeit abgesichert, die es mir ermöglicht, keine Angst zu haben. Wenn ich das Gefühl habe, Gott fordert mich auf, meinen Weg in eine ganz bestimmte Richtung zu gehen, gegen alle Widerstände, dann mache ich dies ohne Netz und doppelten Boden. Fängt Gott mich dann auch auf, wenn ich abstürze? Hilft Gott mir, wenn ich unbequeme Wahrheiten ausspreche? Hält er mir die Hand hin, wenn ich abgewiesen werde? Traue ich den Berufungen, die ich in mir spüre? Kann ich wie Amos unbeirrt meinen Weg gehen, Missstände aufzeigen, aussprechen, was mich bewegt? Wo ist meine Maulbeerfeigenplantage, die mir Sicherheit bietet, wenn alle gegen mich sind?
Marieluise Gallinat-Schneider
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Vermutlich hat ein Zeitgenosse des Amos den Bericht aufgeschrieben. Ob er ihm von Amos oder von anderen Zeugen mitgeteilt wurde, ist nicht erkennbar. Erkennbar ist jedoch anhand dieses Berichtes, dass es zu Lebzeiten des Amos bereits einen Schüler-Kreis um den Propheten gab. Der Bericht ist im Südreich aufgeschrieben worden, nach der Ausweisung des Amos aus dem Nordreich.
Er zeigt auf, was die Visionen des Amos konkret für das Königtum, den Kult und das Volk Nordisraels bedeuten. Die Visionen müssen der Amos-Schule bereits als Sammlung vorgelegen haben. Wir können davon ausgehen, dass zwischen dem Konflikt in Bet-El und der Verschriftlichung 20-30 Jahre liegen. Die Amos-Schüler waren vermutlich mit Nordisraeliten in Kontakt. Dieser Kontakt ergab sich, wenn Nordisraeliten das Heiligtum in Beerscheba aufsuchten und bis in den Süden des Südreiches wanderten. Die Pilger hatten den Amos-Schülern erzählt, dass der Sohn Jerobeams, Sacharja, nach 6-monatiger Amtszeit von seinem Nachfolger Schallum ermordet worden war. Durch diese Ereignisse war die Botschaft des Amos erneut in den Blick geraten und die Erinnerung an die Prophezeiungen für den König des Nordreiches wieder hoch aktuell geworden.
Hans Walter Wolff deutet die Szene etwas anders als Alfons Deissler: Dass der Oberpriester mit Amos spricht, sei nicht selbstverständlich. Amazja ist vielleicht hin- und hergerissen zwischen der Loyalität zu seinem König und der Autorität des Jahwe-Propheten. Die Titulierung des Propheten als "Chosä" (Seher) drücke Respekt vor Amos aus. Amazja möchte weder mit dem König noch mit Amos in Konflikt geraten. Deswegen schickte er einerseits um Anweisung zum König und deswegen rate er Amos andererseits zum Ortswechsel, ohne ihm jedoch das Verkündigen generell zu verbieten.
Die Information des Priesters an den König enthält einen gravierenden Fehler. Amazja lässt dem König ausrichten "So spricht Amos". Er unterschlägt einfach, dass Amos das Wort Jahwes verkündete und gerade nicht sein eigenes! Amos korrigiert im Gespräch auch Amazja, indem er ihm sagt, dass Jahwe ihn ausdrücklich ins Nordreich Israel geschickt hat - und nicht an einen anderen Ort.
Der Bericht von der Ausweisung des Amos aus Nordisrael zeigt uns einen Amos, der innerlich und äußerlich unabhängig von den Institutionen, dem Königtum und der Priesterschaft, handelt. Er ist der Zeuge Jahwes, obwohl er kein Amt hat. Die Amtsträger hingegen - König und Oberpriester - erweisen sich als Aufrührer gegen Jahwe.