Weckruf - Wegruf
Mit dem Propheten Amos auf dem Weg
Lesung in der Bücherei St. Paul am 19. November 2008
Unter der Überschrift "Menschenrechte und Menschenwürde" lud die Katholische Öffentliche Bücherei St. Paul zu einer Lesung in ihren Räumen. Es lasen im voll besetzten Bibliotheksraum
aus
"Wenn der Löwe brüllt"
von Hermann Koch
Annemarie Lebert
aus
"Schande"
von John Maxwell Coetzee
Elisabeth Rieger
aus
"Höret die Stimme"
von Franz Werfel
Jörg Sieger
Musik:
Wolfgang Nobs-Schneeberg
"Der Löwe brüllt - wer fürchtet sich nicht? Gott, der Herr, spricht - wer wird da nicht zum Propheten?" (Amos 3,8)
Seit Beginn der Vorbereitungen zu unserem Amosprojekt bewegte die Menschen auch die Frage, welche Aktualität ein Prophet aus dem 8. Jahrhundert vor Christus für uns heutige Menschen haben kann. Diese Frage hat Annemarie Lebert aufgegriffen, als sie gemeinsam mit dem Team der Bücherei eine Lesung zum Thema "Menschenrechte und Menschenwürde" am 19. November 2008 in unserer Pfarrbücherei initiierte.
Nach einer Begrüßung durch Frau von Blankenhagen führte Frau Lebert ins Thema ein. Am 10. Dezember 2008 jährt sich zum 60. Mal der Tag, an dem die Vereinten Nationen die Charta der Menschenrechte verabschiedeten. Immer wieder haben auch Propheten auf Vergehen gegen die Menschenrechte hingewiesen. Das Bild "Der Schrei" von Edvard Munch kann für uns auch ein Schrei der Unterdrückten sein. Propheten als von Gott berufene Rufer bekamen den Auftrag, gegen die Missachtung der Menschlichkeit zu rufen.
Als erstes Buch stellte Annemarie Lebert von Hermann Koch, Wenn der Löwe brüllt - Die Geschichte von Amos vor. Sie las das Kapitel Basanskühe, in dem Michal, die Frau des reichen Kaufmanns Josef ihren Mann zwingt, beim Familienvater Jussuf, dessen Frau schwerkrank ist, die Schuld einzutreiben, damit sie mit ihren Freundinnen Wein für ein rauschendes Fest anbieten kann, während Jussuf in die Schuldsklaverei gerät. Dazu sagt Amos im Abschnitt über die Unterdrückung der Armen: "Hört dieses Wort, ihr Baschankühe auf dem Berg von Samaria, die ihr die Schwachen unterdrückt und die Armen zermalmt und zu euren Männern sagt: Schafft Wein herbei, wir wollen trinken. Bei seiner Heiligkeit hat Gott, der Herr, geschworen: Seht, Tage kommen über euch, da holt man euch mit Fleischerhaken weg, und was dann noch von euch übrig ist, mit Angelhaken. Ihr müßt durch die Breschen der Mauern hinaus, eine hinter der andern; man jagt euch dem Hermon zu - Spruch des Herrn."
Als zweites las Elisabeth Rieger aus dem Buch "Schande" von John Maxwell Coetzee. In diesem Buch geht es um Lucy, die sich aus der Stadt aufs Land zurückzieht, eine Farm erwirbt und als Bäuerin lebt. Der Roman spielt im "neuen Südafrika". Lucy wird überfallen, ausgeraubt und vergewaltigt, geschändet, dies gab dem Buch den Titel. Wir hörten einen Abschnitt, als David Lurie, Lucys Vater sich bei seiner Tochter zurückzieht, mit ihr auf ein Fest geht, auf dem sie ihre Vergewaltiger wiedersieht und er die Tochter zu einer Anklage bewegen will. Sie aber lehnt dies ab, weil sie ihre Stellung in der Provinz nicht gefährden will. Sie trägt auch das Kind dieser Schande aus. Sie unterwirft sich neuen Rassengesetzen, die die Umkehrung der Apartheid bilden, was ihr Vater der Universitätsprofessor zunächst nicht verstehen und akzeptieren kann.
Das dritte und letzte Buch des Abends steuerte Pfr. Dr. Jörg Sieger bei. Der Bogen schließt sich. Das Strafgericht, das Amos ankündigte, wurde beim Propheten Jeremia Wirklichkeit. Jeremia ist der Prophet, der Solidarität zeigt mit einem Volk ohne Zukunft und Hoffnung. Er muss die Zerstörung Israels durch Babel hinnehmen, er flieht nach Ägypten, wo sich seine Spur verliert. Franz Werfel schrieb 1936 das Buch "Höret die Stimme". Werfel als Jude ist vor den Nazis geflohen. 1945, als er im August starb, sahen die deutschen und europäischen Städte teilweise so aus wie das Jerusalem, das er in seinem Roman beschreibt. Interessant ist, dass das Zentrum gegen Vertreibung einen Franz-Werfel-Menschenrechtspreis seit 2003 verleiht, mit dem Menschen geehrt werden, die im Sinne der Haager Konvention und der Charta der Menschenrechte politische, künstlerische, philosophische oder praktische Leistungen erbracht haben.
Pfarrer Sieger liest Kapitel 33, das vorletzte Kapitel des Buches. Jeremia geht durch die völlig zerstörte Stadt Jerusalem, hinauf zum Tempel. Er ist verzweifelt angesichts dessen, was er sieht: überall sind Tote, auch tote Kinder, alles ist zerstört, geraubt und geplündert. Im Tempel ruft er das erste Mal in seinem Leben den Namen JAHWE aus, was ihm als Jude ja sonst verboten ist. Und - er bekommt Antwort. Während er durch den Tempel schreitet, stößt er an eine Scherbe. Es ist ein Stück der Gesetzestafeln, die zerstört wurden. Als er das Fragment sieht, versteht er. Der Satz lautet: "Damit Du lebest".
Während der einzelnen Lesungen steuerten Wolfgang Nobs-Schneeberg (Klarinette) und Alexander Weber (Horn) sehr einfühlsam und passend "Vier kleine Stücke für Klarinette und Horn" des Elsäßer Komponisten Charles Koechlin bei.
Zum Schluss des Abends bedankte sich Frau von Blankenhagen mit einem Gedicht der Lyrikerin Carola Moosbach, die als Feministin und Christin, Autorin und Überlebende sexueller Gewalt in der Kindheit den Propheten Amos auch im Sinne unseres Abends zitiert und erklingen lässt. Mit dem Zitat bei Amos 5, 21-24 hat sie dies unter der Überschrift "Unerhörte Gottesworte" getan. Wie aktuell ist sie, wenn sie mit Amos sagt:
"Ich hasse es wie ihr das Geld anbetet
euren Fortschrittswahn kann ich nicht ausstehen
tut bloß nicht so als gäbe es keine Opfer
auf euren Altären von Börse und Autobahn"
(Marieluise Gallinat-Schneider)